Johannes

 

Joh 1, 1 – 14 (Christfest II):

Fast ist das Fest schon wieder vorüber. So schnell geht das? Und in unseren Wohnungen und Kirchen - und vielleicht auch in unsren Herzen - wird es bald wieder so aussehen wie auf einem Campingplatz im September: An den zertretenen Grasflächen sieht man noch, wo die Zelte gestanden haben. Die Papierkörbe und Abfallgruben sind übervoll und zeugen noch davon, daß hier einmal viele Menschen gewesen sind. Aber jetzt sind nur noch einige Unentwegte da, die sich noch ein paar Tage Nachsaison leisten.

Sind wir vielleicht auch diesen letzten Urlaubern vergleichbar, die noch nicht wahrhaben wollen, daß die Urlaubszeit unweigerlich zu Ende geht? Morgen beginnt auch wieder unser Alltag wo wir früh aufstehen und an die Arbeit müssen. Aber Weihnachten soll auch dann noch nachwirken und nicht endgültig für ein Jahr begraben sein, wenn der Christbaum dann entsorgt ist.

Allerdings geht es nicht darum, die Weihnachtsstimmung nun weiterhin zu konservieren. Diese falsche Art der Verlängerung von Weihnachten hat der Dichter Heinrich Böll einmal beschrieben. Er schildert in seiner Kurzgeschichte: „Und das nicht nur zur Weihnachtszeit“ eine liebenswürdige Oma, die das ganze Jahr über Weihnachten macht: Sie sitzt auch in der Augusthitze unterm Tannenbaum und lauscht dem kitschigen Lied der Spieluhr. So geht es eben auch nicht. Damit flieht man aus der Welt und aus dem Alltag und hat Weihnachten gerade nicht begriffen.

In unserem Predigttext heißt es ja ausdrücklich: „Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns“. Gott hat sich ja gerade in seinem Sohn Jesus Christus in den Alltag der Menschen hi­n­ein­begeben. Die übliche Weihnachtsgeschichte von der Geburt des Kindes im Stall macht uns das schon deutlich. Nur wird diese Geschichte heute leider oftmals ins Gefühlvolle hineingezogen, man findet dieses Bild schön und rührselig und übersieht dabei ganz die harte Wirklichkeit, die doch eigentlich dahinter steht.

Der Anfang des Johannesevangeliums verführt uns nicht so in zum Abgleiten ins Kindliche. Hier wird mehr grundsätzlich die Bedeutung der Geburt Jesu deutlich gemacht, ohne daß man dazu erst noch eine ausführliche Erzählung braucht. Aber vielleicht paßt gerade diese Art der Glaubensaussage viel besser in unsere heutige so nüchterne und sachliche Welt.

Von Weihnachten ist hier überhaupt nicht die Rede. Johannes der Täufer wird erwähnt. Von Jesus heißt es: „Er kam in sein Eigentum und die Seinen nahmen ihn nicht auf!“ Das bezieht sich doch alles eher auf den erwachsenen Jesus. Wir müssen auch bedenken, daß dieser Anfang des Johannesevangeliums für lange Zeit für viele Gemeinden die einzige Weihnachtsgeschichte war. Sie hatten ja nur i h r Evangelium und kannten die anderen gar nicht.

Dennoch handelt es sich hier um eine echte Weihnachtsgeschichte. Sie betont ausdrücklich die Menschwerdung des Gottessohnes, auch wenn dazu nicht alle Einzelheiten erst ausgemalt oder erfunden werden müssen. Und diese Geschichte kann uns besonders gut deutlich machen: Die weihnachtliche Saison geht mit dem Fest nicht zu Ende, sondern sie fängt im Grunde genommen morgen erst richtig an.

Johannes singt nämlich nicht „Alle Jahre wieder“, sondern sein Lied steht unter der Überschrift: „Jeden Tag neu trifft uns die Weihnachtsbotschaft!“ Diese Botschaft ist nicht eine fromme Dekoration für ein schönes deutsches Fest, sondern sie betrifft unser ganzes Leben.

Die Losung „Friede auf Erden“ darf nicht zusammen mit den Weihnachtskugeln bis zum nächsten Jahr eingepackt werden, sondern sie ist ein Programm für unser Leben in der Familie und Arbeitswelt, ebenso für das Zusammenleben der Völker und Rassen.

Dieses Programm hat auch Aussicht auf Erfolg. Dazu ist Gott ja Mensch geworden, daß er uns die Möglichkeit zum Frieden einmal konkret vorführen konnte. Gott hat mit unnachgiebiger Liebe um die Menschen gekämpft, die er geschaffen hat. Er will sie erhalten, koste es, was es wolle. Selbst sein Sohn war ihm als Einsatz nicht zu teuer. Jesus konnte wenigstens Gottes Wort in die irdische Wirklichkeit hinein übersetzen.

Er hat auch Gott beim Wort genommen als er Partei ergriff für die Mühseligen und Beladenen, für die Asozialen und die Ausbeuter, für die Huren und die Samariter. Jesus hat sich um alle gekümmert, die keine Chance mehr hatten, auf einen guten Weg zu kommen. Er setzt sich für die ein, die meinten, ihr Leben sei verpfuscht und sie könnten auch nicht mehr auf Gott hoffen.

So kam ein neues Licht in. die Welt. Nun brauchen wir nicht mehr vom Glauben an ein höheres Wesen zu reden, sondern wir können uns ganz konkret auf den Vater Jesu Christi beziehen. Der läßt sein Licht leuchten über die Welt, ob die Menschen wollen oder nicht. So wie die Sonne immerzu scheint, auch wenn wir sie nicht sehen können, so ist Gott nur immerzu da. Er macht es hell, damit wir keine Angst zu haben brauchen. Im Dunkel lauert die Gefahr. Aber im Licht Gottes läßt es sich gut leben. Nicht alle wehren das Licht Gottes ab. Es gibt auch Menschen, die ihm Eingang gewähren.

Es hat ihn keiner daran hindern körnen, seinen Sohn in die Welt zu geben. Es kann ihn auch heute keiner hindern, in die Welt hineinzuwirken. Er macht unsre Welt erst hell und zeigt dem Menschen seinen Platz in dieser Welt. Er macht uns am Beispiel Jesu deutlich, was alles möglich ist in dieser Welt, und er möchte, daß wir diesem Beispiel folgen.

Leider muß Johannes feststellen: „Das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat‘s nicht ergriffen!“ und: „Er kam in sein Eigentum und die Seinen nahmen ihn nicht auf!“ Aber mit großer Freude kann er doch auch berichten: Viele nahmen ihn auf und wurden dadurch zu Gottes Kindern!

Für uns wird es auch darauf ankommen, dieses Licht zu ergreifen. Das ist gar nicht mehr so schwer seit Weihnachten. Wir müssen ja nicht von uns aus nach dem Licht greifen. Es ist ja schon da und wir brauchen uns ja nur in dieses Licht zu stellen. Dann würde sich auch ganz von selber die Sicht der Dinge dieser Welt schon verändern.

Die Erde ist dann wirklich eine gute Gabe Gottes, die allen Menschen gegeben ist, den Besitzenden und den Besitzlosen. Deshalb darf es keine Ausbeutung des Menschen durch den Menschen mehr geben. Alles Freund-Feind-Denken, aller Krieg und aller Rassismus müssen aufhören. Die Verständigung zwischen andersdenkenden Menschen und zwischen Ländern unterschiedlicher Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung wird gefördert. Es werden Vorurteile beseitigt und die Liebe wird gegen den Haß gestellt. Die Jungen und die Alten können miteinander und füreinander leben. Das Betriebsklima in den Werkhallen, Büros und Schulen kann anders werden. Unsre Welt kann eine Welt werden, die wirklich im Lichte Gottes steht, wenn wir nur dieses Licht heranlassen.

Noch einmal: Jesus hat uns das vorgemacht. Johannes sagt in der Sprache seiner Zeit: „Das Wort ward Fleisch!“ Wir könnten etwa sagen: Jesus übersetzt das Fremdwort „Gott“ in die konkrete Wirklichkeit des Alltags: Er ißt mit denen, zu denen man sich nicht an den Tisch setzt. Er lacht mit denen, die nichts zu lachen haben. Er begegnet den Unbeliebten mit Liebe. Er beurteilt einen Menschen nicht nach Schönheit, Gesundheit, Geld oder Lebenswandel.

Das ist auch uns möglich. So wird auch heute unser Gott in unsre Welt hineingetragen. So werden auch heute Menschen und Verhältnisse geändert und unsre Welt wird ein Stückchen menschlicher oder - vielleicht besser gesagt - göttlicher, das heißt: mehr im Sinne Gottes.

 

Es wäre schön, wenn wir hier schon „Ja und Amen“ sagen könnten. Aber unsere Welt ist ja nicht so - n o c h nicht so. Wir sind immer noch vielfach unfähig, Liebe zu üben, wo man sich haßt, zu verzeihen, wo man sich beleidigt, zu verbinden, wo Streit ist.

Es gibt also immer noch Finsternis auf der Welt. Aber sie fordert uns heraus, s o l c h e Realitäten nicht anzuerkennen. Johannes fordert uns heraus, Zeuge zu sein für ein Denken und Leben im Sinne Jesu.

Im Blick auf den Weltfrieden kann das nur heißen: Die Christen überall in der Welt müssen ihre Regierungen auffordern, den ersten Schritt zu tun. Wir können nicht mißtrauisch darauf warten, was der andere tun wird, sondern wir haben auf das zu hören, was Gott uns zu sagen hat und wie Jesus es uns vorgemacht hat. Wir dürfen nicht auf Vorleistungen der anderen warten, sondern müssen selber Vorleistungen bringen. Nur so ist das Wettrüsten zwischen Ost und West beendet worden.

Das könnten wir uns auch für unser persönliches Leben merken: Wenn w i r den ersten Schritt tun, wird es für den anderen leichter, auch einen Schritt zu tun. Und am Ende könnte es gar zu einem Wettlauf danach kommen, wer dem anderen mehr entgegengekommen ist. Dann hätte Gott seine Freude an uns, dann wäre die Weihnachtssaison nicht mit dem heutigen Tag zu Ende, dann wäre nicht vergeblich gewesen, was der Schlüsselsatz unseres Predigttextes ist: „Das Wort ward Fleisch!“

 

 

Joh 1, 19 – 28 (4. Advent):

Wie können wir Weihnachten gestalten inmitten der üblichen Betriebsamkeit von Kaufen und Verkaufen? Da sind Geschenke vorzubereiten, für die Mahlzeiten muß eingekauft werden, die Stuben und auch die Kirchen werden geschmückt. Wir haben berechtigte Erwartungen auf die freien Tage. Wir suchen Festlichkeit, Besinnung und Unterhaltung.

Wie kann man da noch dem Herrn den Weg bereiten, wie des Johannes tue sollte? Das Kind in der Krippe soll Anklang finden unter all dem Anderen. Und mehr noch der erwachsene Jesus, der uns Gott nahebringen will. Man muß sich nicht unbedingt vom Konsum einfangen lassen, sondern sollte sich von der Gewißheit nähren, daß Gott wirklich Mensch ist.

Johannes der Täufer will uns da auf den richtigen Weg führen. Er ist Zeuge des Kommenden. Für ihn ist Christus alles. Er stellt Jesus dar, der unverwechselbar ist, der der Größte und der gegenwärtig sein will.

 

(1.) Jesus ist unverwechselbar: Johannes hat eine nicht zu übersehende Bewegung unter den Menschen ausgelöst. Die geistliche Behörde in Jerusalem muß sich mit ihre befassen. Sie will klären, als wenn der Betreffende sich selber ansieht und was man von ihm zu erwarten hat.

Der Täufer sagt aber zunächst n i c h t, wer er ist, sondern wer er n i c h t ist. Doch er will nicht leugnen, sonder bekennen. Er sagt: „Über mich zu reden lohnt sich nicht. Ich bin jedenfalls nicht der, über den allein zu reden sich lohnen würde - ich bin nicht der Christus, auf den ihr wartet!“

 

Da bohren sie weiter: „Bist du Elia?“ Der Prophet Elia hat das Denken im Judentum stark beschäftigt. Er war geheimnisvoll entrückt worden und sollte als eine Heilsgestalt wiederkommen: Er würde Frieden stiften zwischen dem Menschen, Gottes Zorn beschwichtigen, die Stämme Israels wiederherstellen und überhaupt ein Nothelfer sein, ein Hoffnungsträger.

Auch die Erwartung eines Propheten entsprach der zeitgenössischen Heilserwartung. Seit dem Propheten Maleachi war die Prophetie in Israel erloschen. Wenn nun in Johannes wieder ein Prophet auftauchte, dann wäre das schon ein Stück des sich ereignenden Heils. Aber Johannes ist auch nicht ein Heilsbringer geringeren Formats, sozusagen ein kleiner Stern neben dem helleuchtenden Stern Jesus Christus.

Johannes leuchtet überhaupt nicht aus eigenem Licht. Wichtig ist nur seine Stimme, mit der er die Menschen ruft. Und wichtig ist nur seine Hand, mit der er die Menschen tauft. Johannes könnte Jesus auch nicht zeitweise vertreten. Was Jesus tut, das kann wirklich nur er tun'.

Ein guter Prediger läßt die Hörer vergessen, wer da predigt, weil ihm allein Jesus Christus wichtig wird. Je größer der Verantwortungsbereich eines Menschen ist - sei er nun Pfarrer oder Bischof oder Papst - desto größer ist die Gefahr, daß die Person des Amtsträgers interessant wird. Man kann nichts dagegen haben, wenn Menschenmassen dem Papst zujubeln, weil sie ihn liebhaben. Aber er sollte immer wieder deutlich machen: „Ich bin es nicht, ich bin nur der Zeuge für den Kommenden. So lehrt es uns jedenfalls Johannes.

 

(2.) Jesus ist der Größte: Johannes bezeugt, daß einer nach ihm kommt, dem er nicht wert ist, die Schuhriemen aufzulösen. Mit dem Wort „Zeugnis“ wird ein hoher Anspruch erhoben hinsichtlich des Werts seiner Aussage. In der Regel wird es sich um einen Augenzeugen handeln, seine Aussage hat den Charakter des Verbindlichen. Deshalb handelt es sich hier um eine ganz ernstgemeinte Aussage über Jesus Christus.

Der Täufer und der Kommende sind nicht wie zwei Vulkanberge, die aus der gleichen unterirdischen Lavamasse hervor gewachsen sind. Johannes ist nur ein Mensch, der von Gott gesandt ist, wie es am Anfang des Kapitels heißt. Jesus dagegen ist das Wort, das am Anfang bei Gott war und nun Fleisch wurde. Geholfen werde kann uns nur von dem Unvergleichlichen, der uns zuliebe Mensch wurde (wie man statt „Fleisch“ übersetzen müßte).

Er allein ist es auch, der die Kirche erhält. Manche denken, sie würden auch mit dazu beitragen: Sie geben Geld, sie lassen die Kinder taufen und schicken sie zum Religionsunterricht,

sie lesen die Kirchenzeitung. Sicher könnte man noch mehr aufzählen, was der Stärkung der Kirche dient und sicher auch unbedingt notwendig ist. Auch der häufige Gottesdienstbesuch und das mutige Bekenntnis zur Kirche gehören unbedingt dazu.

Aber das alles nutzt uns nichts, wenn Gott nicht seine Kirche erhält. Sobald wieder einmal ein heftigerer Wird wehen sollte, wird vielleicht manches einfallen. Oftmals ist die Christlichkeit nur Tünche, unter der es schlimm aussieht.

Da kann man hören: „Wir sind getauft und die Kinder sollen auch getauft werden, damit sie nachher keine Schwierigkeiten haben, wenn sie einmal getraut werden wollen!“ Oder es heißt: „Konfirmiert soll er schon werden. Was er dann nachher macht, das ist seine Sache!“

Oder: „Wir haben alles, was mit der Kirche zu tun hat, auf die Kinder verlagert!“ Es mag noch angehen, wenn einer noch spürt, daß es eigentlich anders sein sollte. Aber meist meint man damit: „Wir tun doch genug für Gott und die Kirche, die Kinder sind doch getauft und konfirmiert!“ Man meint, schon dadurch würde die Kirche gestützt; man ist noch stolz darauf und pocht auf seine Leistung.

Johannes der Täufer dagegen sagt: „Er muß wachsen, ich aber muß abnehmen!“ Wer von uns bringt das schon fertig, sich so zurückzusetzen? Lieber rechnet man sich doch die Verdienste der anderen noch selber an. Dabei könnte man durch ein stilles Vorbild viel besser überzeugen. Johannes hat durch seine ganze Haltung auf den Kommenden hingewiesen und dessen Wesen im voraus abgebildet. Als er gefragt wird, antwortet er auch. Aber er zeigt dabei nicht auf sich, sondern auf den, um den es eigentlich geht, der auch heute unser Herr ist.

 

(3.) Jesus ist gegenwärtig: Es gibt ein Bild des holländischen Malers Frans Masareel: "Unter euch ist einer, den ihr nicht kennt!" Es zeigt eine Menschenmenge zur Weihnachtszeit. Doch alle sind mit sich selbst beschäftigt, haben ihre eigenen Probleme und Wünsche. Aber mitten durch sie - etwas erhöht - geht Jesus. Man kann ihn deutlich an dem Heiligenschein erkennen. Aber niemand beachtet ihn, alle sehen sie woanders hin.

So befand sich Jesus auch irgendwo unter der Menge, die zu Johannes gekommen war, um ihn zu hören und sich taufen zu lassen. Auch der Täufer hat ihn erst herausfinden müssen. Aber es wird ein beglückendes Gefühl für ihn gewesen sein: Hier irgendwo muß er sein!

Er war schwer zu entdecken, weil er ja unscheinbar war. Sein Besonderes war in der Niedrigkeit eines schlichten Menschenlebens verdeckt. Auch als Johannes ihn entdeckt hatte, war es längst nicht allen deutlich, daß Jesus der Kommende ist. Wenn er nach weltlichen Maßstäben zu messen wäre, dann hätte man gefragt: „Wer ist der Klügste, der Erfahrendste, der Frömm­ste, wer ist das Genie des Jahrhunderts?“ Aber wir haben natürlicherweise kein Organ für

die in Jesus gegenwärtige Gotteswirklichkeit.

Heute ist der Herr nicht mehr auf irdische Weise unter uns gegenwärtig. Aber auch als der Erhöhte ist er mitten unter uns. Advent ist immer. Es bedarf nur manchmal einiger Zeit und Geduld, bis man ihn so wahrgenommen hat, daß man sagen kann: „Wir haben geglaubt und erkannt, daß du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes!“ Damit es dazu kommt, wird gepredigt.

Doch mancher wird auf den Widerspruch zwischen den großen Worten und den kleinen Taten hinweisen. „Wer bist du denn?“ wurde Johannes gefragt. Die gleiche Frage stellen viele Menschen auch der Kirche und jedem Christen: „Ihr redet vom Frieden, aber die Welt ist so friedlos! Ihr predigt vom Heil, aber wir sehen so viel Unheil! Wir brauchen starke Männer - Wissenschaftler, Denker, Staatsmänner - aber ihr steht da mit leeren Händen!“

Sicherlich hat Johannes auch dagestanden mit leeren Händen. Aber eines konnte er tun: Mit den leeren Händen hat er hingewiesen auf Christus! So hat es Matthias Grünewald auf dem Isenheimer Altar dargestellt: Johannes zeigt mit einem übergroß dargestellten Zeigefinger auf den gekreuzigten Christus. Das ist die Gebärde des Zeugen.

Insofern hat der Zeuge doch eine Aufgabe. Wir haben zwar einen unmittelbaren Zugang zu Christus und über ihn zum Vater. Aber dieser Zugang wird vermittelt durch Wort und Sakrament, die wiederum von Amtsträgern verwaltet werden. Einen Schluck Wein kann man zwar unmittelbar genießen, wenn man ihr auf der Zunge spürt; aber ohne Glas könnten wir ihn nicht zu uns nehmen. Aber es ist nicht so, daß wir mit Gott zusammenwirken körnten, sondern Gott wirkt d u r c h uns. Wir bezeugen nicht nur Gottes Wirken, sondern wir sind sein Mund und seine Hand.

So könnten auch wir weitererzählen, was wir über Jesus wissen, den Kindern, den Enkeln, allen die wir zu Weihnachten sehen werden. Manchem wird es weltfremd vorkommen, was wir da zu sagen haben, so wie die Rede des Täufers den Leuten aus Jerusalem weltfremd vorgekommen ist. Richtig verstanden haben dem Täufer auch nur diejenigen, die seinen ausgestreckten Zeigefinger sahen und diesem Fingerzeig folgten.

 

 

Joh 1, 29 – 34 (1. Sonntag nach Epiphanias):

In einem ehemaligen Kloster in Colmar im Elsaß steht der große Flügelaltar von Matthias Grünewald, der als „Isenheimer Altar“ bekannt ist. Zentrales Bild ist die Darstellung der Kreuzigung Jesu. Es ist so berühmt, daß es selbst in der DDR in den Schulbüchern für das Fach Geschichte zu finden ist. Auf diesem Bild ist auch Johannes der Täufer zu sehen, der in Wirklichkeit ja bei der Kreuzigung Jesu schon tot war.

Aber der Maler will ja nicht historisch Richtiges darstellen, sondern mit seinem Bild eine Predigt halten. Zu Füßen des Johannes sieht man ein kleines Lamm mit einem Kreuz und über seinem Arm stehen die Worte: „Dieser trägt die Sünde der Welt!“ Der Arm mit dem übergroß gemalten Zeigefinger deutet auf den gekreuzigten Jesus.

Damit ist etwas in die Kreuzigungsszene verlegt, was Johannes schon bei der Taufe Jesu gesagt haben soll und was die Bedeutung Jesu vortrefflich wiedergibt. Ehe Jesus auch nur ein einziges Wort gesprochen hat, wird sein Auftrag schon so beschrieben: Er ist nicht der zornige Richter, sondern das Lamm - er ist der Geopferte, der sein Leben gab zur Erlösung für viele.

Nun ist die Bezeichnung „Lamm“ oder „Schaf“ heute fast ein Schimpfwort. Meist denkt man an ein „dummes Schaf“ , und das möchte man halt doch nicht sein. Aber in Wirklichkeit können wir doch nur froh sein, wenn da einer kommt, der der Schaden und die Schlechtigkeit der Welt trägt. Da gibt es einen, der will uns helfen, nicht indem er uns auf eine andere Welt vertröstet, sondern indem er jetzt schon den Schaden der Welt trägt.

Es sind schon viele Vorschläge gemacht worden und viele Konferenzen abgehalten worden, aber wir leben immer noch in Angst bzw. unsre Angst wird immer größer: Geht morgen die Welt kaputt? Kommen die furchtbaren Waffen doch einmal zum Einsatz? Auch die Weltwirt­schaftslage wird immer bedrohlicher: Menschen sterben an Unterernährung, die Rohstoffe nehmen ab, Wälder sterben.

Die Welt hat lebensbedrohliche Schäden, und wir schaffen es nicht, wirklich zu helfen. Früher haben wir uns damit getröstet: Es wird schon nicht so heiß gegessen, wie es gekocht wird, die Wissenschaft hat noch immer einen Ausweg gefunden. Aber heute brennt uns etwas unter den Nägeln, das uns nicht mehr kalt läßt. Immer öfter zucken auch die Wissenschaftler hilflos mit den Achseln. Wir sehen mit Entsetzen: Eines Tages könnte es nicht mehr weitergehen!

In diese Sorgen und Ängste ruft einer hinein: „Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt!“ Jesus trägt mit, er hilft mit, wo wir es allein nicht schaffen. Vor allem stellt er sich auch als Sündenbock zur Verfügung für alles, was wir „verbockt“ haben. Jesus ist also nicht das zarte Lämmlein, sondern der Sündenbock, der sich schuldig nennen läßt, obwohl er unschuldig ist.

Wir sind wie gelähmt, solange wir mit der Schuldfrage nicht fertigwerden. Viel Zeit und Energie wird verschwendet mit der Suche nach dem Schuldigen. Die Bearbeitung von Eigentumsvergehen und Ordnungswidrigkeiten ist eine Hauptbeschäftigung unserer Polizei. Aber oft bleiben alle Bemühungen ergebnislos. Da kann der Polizist auch nur sagen: „Nennt mir den Täter, dann habe ich ihn gleich!“ Aber auch wenn der Täter gefaßt ist, dann leugnet er oft noch und will seine Schuld nicht einsehen.

Doch wenn wir selber unseren Anteil an Schuld erkannt haben, dann dürfen wir ihn diesem Lamm Gottes aufladen. Er braucht uns nicht mehr zu belasten, sondern Jesus Christus befreit uns von unseren Verfehlungen. Und damit weicht die Lähmung, die uns angesichts der Schuld­frage überfällt. Es ist nicht hoffnungslos mit uns und mit der Welt, weil einer mit seinem Blut unterschrieben hat, daß wir neu anfangen können.

Im praktischen Leben scheinen andere Dinge dringlicher zu sein als die Vergebung der Sünden. Doch das ist nur der äußere Anschein. Wenn man die Konfirmanden fragt, was wohl für die meisten Menschen die wichtigste Bitte im Vaterunser sei, dann sagen sie: „Die vierte Bitte, das tägliche Brot!“ Aber als zweites kommt dann meist die fünfte Bitte, in der es um die Vergebung der Sünden geht.

Hier liegt in der Tat ein Bedürfnis des Menschen vor, auch wenn er es vor sich selber nicht wahrhaben will. Es ist gut, wenn in unseren Gottesdienstordnungen hin und wieder die Bitten um Vergebung und der Zuspruch der Sündenvergebung ausführlich zum Ausdruck kommt (und nicht nur bei den Beichtgottesdiensten): Hier liegt wohl doch ein echtes Bedürfnis auch des heutigen Menschen vor.

Natürlich versuchen wir gern, die eigene Sünde abzustreiten oder zu verdrängen. Beim anderen aber nehmen wir die Sünde sehr schwer und entwickeln einen unheimlichen Scharfblick (Scharfsinn) im Aufdecken fremder Schuld. Aber für uns und für andere gilt: Ob Sünde weggeräumt wird oder im Raume stehen bleibt, daran hängt Sein oder Nichtsein, das ist die Mitte unseres Glaubens.

Der Schriftsteller Heinrich Böll schreibt in seinem Roman „Billard um halb zehn“ von den Sakramenten des Büffels und des Lammes. Mit dem Sakrament des Büffels meint er das Gewaltdenken, den Militarismus und die Unmenschlichkeiten, das Funktionieren des Menschen auf Befehl. Wer dagegen vom Sakrament des Lammes gekostet hat, der ist infiziert von Liebe zum Mitmenschen, zum Frieden und sogar zum Feind: Er ist bereit zu Verzicht, Opfer und Leiden.

Wir wissen, daß nur Jesus in vollem Maße dazu bereit war. In ihm sollen wir den vom Himmel Gekommenen entdecken. Das ist das Thema dieser Epiphaniaszeit nach Weihnachten. Die Ausgangslage wird mit den Worten des Johannes beschrieben: „Ihr kennt ihn nicht, auch ich habe ihn nicht erkannt!“ Gott kann eben nur durch Gott erkannt werden. Dem Täufer aber hat Gott das Zeichen gegeben, daß er Gott in Jesus erkennen kann. Der Täufer wird zum Zeugen, damit Christus offenbar wird in seinem Volk und allen Völkern. Der nach ihm Kommende ist der Eigentliche.

Wir können uns nicht damit beruhigen, daß er uns menschlich zusagt oder daß wir ihn bemerkenswert finden und vielleicht eine Schwäche für ihn haben. Er wäre dann ein großer der Menschheit, ein guter Mensch, ein Auserwählter. Er hätte dann vielleicht die Vergeistigung der Religion gefördert wie kein anderer.

Dabei wäre aber vorausgesetzt, daß jeder Mensch etwas Göttliches in sich hat. Jesus hätte es nur in besonderer Dichte und Fülle. Man würde von einer einzigartigen Deckung von Lehre und Leben in seiner Person reden. Er hätte vorgelebt, wie wir handeln sollen. Er wäre der höchste Gipfel innerhalb des Menschlichen, Gott besonders nahe, darum ein Mittler und großer Lehrer, aber mehr eben auch nicht.

Der Täufer aber sieht es ganz anders. Jesus ist nicht nur ein Zeuge wie Johannes, sondern der Kommende. Er war von Anfang der Welt an und unterliegt nicht der Vergänglichkeit. Er ist nicht ein Mensch, der sich selbst zu Gott macht, sondern er i s t Gott.

Gott selber gibt dem Täufer das Zeichen, daß nun der Richtige vor ihm steht. Der Geist fährt herab auf Jesus und bleibt auch bei ihm. Der Messias ist nicht ein geistbegabter Mensch, er wird auch nicht erst durch die Geistmitteilung zum Sohn Gottes. Jesus wird nicht zum Sohn Gottes, sondern er i s t es. Er muß nur entdeckt werden als der, der er ist.

Auf das Zeichen, das dem Täufer gegeben wurde, kommt es dabei nicht im Einzelnen an. Gott hätte dem Täufer auch ein anderes Erkennungsmerkmal geben können. In der Weihnachtsgeschichte sind es Krippe und Windeln. In keinem Fall aber könnten Fleisch und Blut es offenbaren. Das uns gegebene Zeichen ist das Wort Gottes, da Jesus der Erwählte ist.

Er räumt die Sünde und ihre Folgen aus unserem Leben weg. Aber er bringt auch das neue Leben aus dem Geist in unser Leben hinein. Die Taufe des Johannes geschah nur mit Wasser. Durch Jesus aber wird sie etwa anderes. Sie geschieht zwar auch durch Wasser, aber sie gibt dabei den Geist Gottes.

Was für Jesus bei seiner Taufe galt, das wird auch uns zuteil: Der Geist fährt nicht nur herab, sondern er bleibt bei uns, er kommt, um in uns Wohnung zu nehmen. Wir leben ein gottgeschenktes Leben. Darauf dürfen und sollten wir uns verlassen. Gott ist bei uns in unserem Leben, seit Jesus Mensch geworden ist und seit wir getauft worden- sind.

 

 

Joh 1, 35 – 42 (5. Sonntag nach Trinitatis):

Ein regionaler Kirchentag hat auch etwas für sich. In die Nachbarschaft kommt man eher einmal als in die Großstädte. Es ist alles übersichtlicher, man trifft eher einmal Bekannte, es können örtliche Dinge besprochen werden. Aber was der Kirchentag will, das kann man auch bei einem solchen Treffen haben: das gemeinsame Hören auf Gottes Wort, der Austausch, das Singen und Beten.

Man sollte nur nicht meinen hier wäre eine besondere missionarische Gelegenheit. Es kommen doch vor allem diejenigen, die sowieso in der Gemeinde stehen. Aber so können sie die Kirche einmal anders erleben und neue Anstöße empfangen. Beim Kirchentag geht es vor allem um die Stärkung im Glauben.

Wenn dabei auch ein Außenstehender angesprochen werden soll, dann wird das meist über das persönliche Gespräch von Mensch zu Mensch gehen. Es wird ja vielleicht doch der eine oder andere sich fragen, weshalb an verschiedenen Stellen der Stadt weiße Fahren mit violetten Kreuzen aushängen oder weshalb im Schloßpark eine Bühne und Stände aufgebaut sind oder weshalb Leute mit gelben Abzeichen in der Stadt herumlaufen. Da wird er vielleicht auch einmal jemanden ansprechen und mehr erfahren können.

Dieses persönliche Gespräch ist die „Andreas-Methode“, durch die jemand mit dem christlichen Glauben bekannt gemacht wird. Andreas hat bei Jesus zugehört. Er erzählt es gleich seinem Bruder weiter und führt den auch zu Jesus. Zu einem solchen Andreas können wir auch alle werden in der Familie, unter Freunden, in der Nachbarschaft. Dazu hat jeder den Auftrag. Doch gehen wir einmal der Reihe nach.

 

(1.) Die Nachfolge Jesu beginnt mit dem Hören: Die beiden Jünger sind von Johannes auf Jesus hingewiesen worden. Es wurde ihnen gesagt, wer er ist und welche Bedeutung er für die Welt hat. So wurden sie nicht nur auf ihr aufmerksam, sondern wurden auch ermutigt, sich ihm anzuschließen. Es muß einem gesagt werden, was sich hinter so einem schlichten Menschen wie Jesus verbirgt; man würde ihn sonst übersehen oder falsch einschätzen.

Johannes legt Jesus aber nicht irgendeine Würde bei, sondern er entdeckt nur, was in Jesus drinliegt. Es ehrt ihn, daß er den Blick von sich selber wegwendet auf Jesus hin. Es geht nicht um die Person des Zeugen, die Schüler sollen in der Sache nicht von dem Lehrer abhängig bleiben, sondern zu eigenen Schritten auf Jesus hin ermutigt werden.

Es ist nicht gut, wenn im kirchlichen Unterricht die Kinder sich zu sehr an die Person des Unterrichtenden binden. Ein Gleiches gilt für die Erwachsenen etwa im Gottesdienst. Die Pfarrer und Lehrer im Glauben kommen und gehen. Der Glaube aber soll bleiben. Es soll nicht so sein, daß die Kinder wegbleiben, wenn sie einen anderen Religionslehrer kriegen oder dann zum Pfarrer in den Konfirmandenunterricht sollen. Und ebenso kann man doch seinen Glauben nicht über Bord werfen, wenn man sich einmal mächtig über den Pfarrer geärgert hat.

Alle Lehrer im Glauben können nur so sein wie Johannes: Sie haben nicht ihre Person herauszustellen, sondern Christus. Johannes wußte: Gott hat mir die unvergleichliche Bedeutung Jesu gewiß gemacht. Jetzt muß ich selber den anderen predigen und sie allein zu Jesus hinleiten.

Der ausdrückliche Hinweis ist eine große Hilfe. Es gibt auch Sachverhalte, wo ein solcher Hinweis nicht nötig ist, aber man beachtet sie doch. Das gilt für Naturereignisse, aber auch für kraftvolle geschichtliche Bewegungen oder weltverändernde Entscheidungen. Da verfolgt jeder aufmerksam den Fortgang an Radio und Fernsehen, da braucht man nicht erst darauf hingewiesen werden.

Bei Jesus ist das anders. Es gibt etwas an Jesus, das Menschen veranlaßt, ihm nachzufolgen. Aber das ist so in das Unauffällige hinein verborgen, daß schon ein Hinweis nötig ist. Doch wenn es dann gezündet hat, dann fragt sich der Betreffende, weshalb er nicht von selber daraufgekommen ist. Manchem Schüler läuft man jahrelang nach: einmal dagewesen, zweimal gefehlt, so ist oft der Rhythmus. Aber dann kommt der Junge oder das Mädchen in die fünfte Klasse und die Sache klappt: fast jedesmal da, mit Interesse bei der Sache, durch die unermüdliche Einladung doch noch eine Beziehung zu der Sache gewonnen.

 

(2.) Die zweite Stufe ist dann das Sehen: Es soll nicht auf Dauer bei der Abhängigkeit von der Christuserfahrung eines anderen bleiben. Alle Verkündigung der Kirche hat ja der Sinn, daß ein Kontakt mit Jesus selbst entsteht. Der Anstoß dazu geht von Jesus aus: Er wendet sich um und spricht die Nachfolgenden an. Das erste Wort, das wir im Johannesevangelium aus Jesu eigenem Munde hören, lautet: „Wen sucht ihr?“ Sie suchen nicht  e t w a s, sondern sie suchen eine Person, den Messias, obwohl sie bisher nicht viel wissen von ihm. In diesem Suchen liegt eine bestimmte Erwartung. Sie fragen: „Wo hast du dein Quartier?“ Es liegt ihren nicht nur an einer flüchtigen Begegnung, sondern sie suchen den dauernden Kontakt mit ihm, sie wollen Erfahrung mit Jesus.

Wo Jesus ist, da wird Gott faßbar. Dort gilt es, den festen Kontakt mit ihm zu halten. Das gilt auch noch nach der Auferstehung Jesu. Wir sind nicht verbunden mit irgendeinem Christusgeist, der die ganze Welt durchweht. Noch immer begegnet uns der Herr an einem bestimmten Ort, wo sein Wort gepredigt wird und wo Brot und Wein im Abendmahl ausgeteilt werden.

„Kommt und seht!“ sagt Jesus zu der beiden. Kein Programm, keine Versprechungen, keine fertige Lehre. Die Jesusnachfolge besteht zunächst darin, daß man mit Jesus zusammen. Bei einem Kirchentag sagte ein junger Mann in einer Arbeitsgruppe: „Bei uns ist das kirchliche Leben noch nicht so entwickelt wie anderswo. Aber uns tut es gut, einmal in einer größeren Gemeinschaft zu stehen!“

Dabei fällt auf, daß er sagte: „Das kirchliche Leben ist noch nicht so entwickelt!“ Er weiß natürlich nicht, daß es früher viel stärker entwickelt war und anderswo auch nicht mehr los ist als bei ihm. Aber wir sagen doch sonst immer: „Gehört der denn noch zur Kirche?“ bzw. als Aussage: „Der gehört noch zur Kirche!“ Wir sehen immer alles unter dem Gesichtswinkel des Rückgangs. Jener junge Mann aber hoffte auf die Zukunft, meinte zu Recht, es werde noch bergauf gehen.

Ob die Kirche eine solche Zukunft haben wird, das liegt auch mit an uns. Wenn wir es so machen wie Andreas, daß wir andere herbeiholen, dann werden auch andere Jesus hören und sehen können und zu immer tieferer Erkenntnis des Geheimnisses Jesu kommen. Dann wissen wir: Es ist noch immer nicht das erreicht, was Jesus noch mit uns vorhat; es soll nicht zurückgehen, sondern aufwärts. Damit wären wir aber auch bei einem dritten Punkt der Nachfolge Jesu:

 

(3.) Nachfolge heißt: Andere rufen: Wenn man Jesus gefunden hat, kann man das nicht für sich behalten. Es hört sich so an, als habe Andreas nur zufällig seinen Bruder getroffen. Aber hin­ter solchem menschlichem Finden steht eine göttliche Regie. Und wenn Andreas sagt: „Wir haben den Messias gefunden, dann klingt das so als wollte er sagen: Wir haben ihr nicht bewußt gesucht, aber wir haben ihn durch höhere Lenkung gefunden. Gott behält die Dinge in der Hand. Wir können nicht Jagd machen auf Menschen, die möglicherweise Christus nachfolgen wollen, ihnen vielleicht sogar lästig werden und sie am Ende noch abstoßen. Es geht nur darum: das, was man weiß, auch anderen kund machen.

Aber Andreas teilt nicht nur seine Entdeckung mit, sondern führt Simon auch hin zu Jesus. Man kann nicht zu Jesus gehören, ohne auch anderen in die Nachfolge zu helfen. Wenn man die Verbundenheit mit Jesus als ein Glück empfindet, dann will man dieses Glück auch anderen mitteilen und sie daran teilhaben lassen. Woran man sich selbst freut, das will man auch anderen zeigen, denn der Andere er soll doch ebenso reich beschenkt werden wie man selbst beschenkt wurde.

Manchmal gehört auch noch eine vierte Stufe zur Nachfolge, über Hören, Sehen und andere Rufen hinaus. Es kann auch sein, daß ein Mensch auf eine ganz andere Bahn gestellt wird durch Jesus:

 

(4.) Nachfolge heißt, ein anderer werden! Simon erhält von Jesus den Namen Petrus. Wer den Namen gibt, ist der Herr. Er kann aus einem unbeschriebenen Blatt einen Träger einer ganz besonderen Aufgabe machen. Simon hat ja von Natur aus nichts mitgebracht, das ihr zu seinem Amt besonders befähigen würde. Er wird ja gerade zu etwas gemacht, das er von Hause aus nicht ist.

Jesus wählt und begabt eben, wen er will. Er nimmt sogar versagende Werkzeuge und formt sie um. Dadurch wird deutlich, daß er es ist, der sein Volk sammelt und ihm vorangeht. Und wer in seinem Dienst steht, der wird auch entsprechend ausgerüstet.

Das heißt aber doch für uns: Auch wir können diese höchste Stufe der Nachfolge erreichen. Wir können alle so ein Johannes oder ein Andreas sein, der Menschen auf Jesus aufmerksam macht und zu ihm hinführt. Ich hörte einmal, wie jemand sagte: „Mein Leben hat dann einen Sinn gehabt, wenn ich nur  e i n e n  Menschen zu Jesus geführt habe!“  Er hat allerdings auch gewußt, daß nicht er selber das vollbringen kann, sondern der Herr wendet sich dem Menschen zu und sagt: „Kommt und seht!“

 

 

Joh 1, 43 – 51 (2. Sonntag nach dem Christfest):

Es ist nicht immer leicht, Menschen für die Mitarbeit im Kirchenvorstand zu gewinnen. Und doch darf man immer wieder glücklich sein, wenn sich Menschen dafür gefunden haben, diesen wichtigen Dienst in der Gemeinde zu versehen. Sie haben damit ein Beispiel gegeben für das, was man von einem Christen erwarten darf: Wenn man gerufen wird, dann geht man mit und stellt sich zur Verfügung.

So war das schon bei der Berufung der ersten Jünger Jesu. Als Johannes der Täufer auf Jesus zeigte und sagte: „Siehe, das ist Gottes Lamm!“ da löste er damit eine Kettenreaktion aus, in der einer nach dem anderen zu Jesus fand. Hier werden einige wesentliche Züge des Christwerdens überhaupt sichtbar: Wenn einer das Geheimnis Christi entdeckt, dann bleibt er bei ihm und sagt seine Entdeckung sofort weiter. Kein Christ kann das für sich behalten, was er empfangen hat. Er will das Empfangene sofort mit dem nächstbesten Mitmenschen teilen‚ den er findet. Das Wort „finden“ kommt hier sehr oft vor. Dadurch wird eine Brücke geschlagen von einem Menschen zum anderen, gerade auch zu denen, die schon lange gesucht haben und nun gefunden wurden. Diese dürfen Jesus sehen.

Das war damals noch ganz direkt möglich. Aber es genügt nicht, wenn man nur einen optischen Eindruck von Jesus gewonnen hat, wenn man nur seine äußere Gestalt wahrgenommen hat. Es kommt darauf an auch ein inneres Bild von Jesus zu gewinnen. Denn daß sich in seinem Menschsein sein Gottsein verbirgt, das nimmt nur der Glaube wahr.

Man unterscheidet ja zwischen dem irdischen Jesus, der damals in Palästina von Ort zu Ort zog, und dem auferstandenen Christus, der seit Ostern für alle Menschen da ist, unabhängig von Zeit und Raum. Aber wir glauben nicht nur an den erhöhten Christus, wie das der Marburger Professor Rudolf Bultmann wollte, sondern für unsren Glauben ist auch der irdische Jesus wichtig.

Johannes stellt es so dar, als sei den Jüngern mit einem Schlag gleich alles klar gewesen. Von den anderen Evangelisten wissen wir, daß sie erst allmählich hinter das Geheimnis der Person Jesu gekommen sind. Johannes dagegen stellt das spätere Glaubensbekenntnis der Kirche an den Anfang und erwartet, daß man gleich den Glauben wagt.

Vielleicht würde man ohne das Glaubensbekenntnis leichter einen Zugang zu dem irdischen Jesus finden. Das sagen ja die sogenannten „Jesusleute“, die Jesus als ihren persönlichen Heiland gefunden haben und nun überall davon erzählen. Diese „Jesuswelle“ ist ja einmal aus Amerika auch zu uns gekommen. Auch bei uns gibt es junge Leute, die mit Jesus neu leben wollen. Es kann natürlich trotzdem schwer sein, die Glaubenserfahrung anderer für sich zu übernehmen, nicht jeder wird den Weg der Jesusleute gehen können.

Aber die Christuserfahrung kann man eben nur an Jesus machen. Deshalb geben wir uns ja solche Mühe, den Kindern etwa im Kindergottesdienst die Geschichten von Jesus zu erzählen. Wir kauen nicht nur das Glaubensbekenntnis durch (obwohl das für der Glauben vollauf genügen würde)‚ sondern wir versuchen den Glauben durch lebendige Geschichten zu verdeutlichen.

Dennoch wollen wir dankbar sein für das Glaubensbekenntnis. Es ist ja gestaltgewordene Glaubenserfahrung. Es ist eine Hilfe und ein Anstoß zum Glauben. In gewisser Hinsicht muß natürlich jeder wieder beim Nullpunkt anfangen, muß der Schritt nachvollziehen, den andere schon vor ihm getan haben.

Aber die schon glauben, bekennen für die anderen: „Wir haben gefunden!“ Insofern fangen wir doch nicht beim Nullpunkt an, sondern unser Weg zu Jesus ist in groben Zügen schon von anderen markiert. Wenn wir diesen Richtpunkten folgen, kommen wir schneller voran. Hierbei ist aber ganz wichtig, daß sich Menschen finden, die ihren Glauben mit eigenen Worten bezeugen.

Für Kinder ist es so wichtig, daß auch die Eltern einmal mit ihnen über den Glauben reden und ihnen erklären, was ihnen dieser Glaube in ihrem Leben bedeutet und wie er sich am Beispiel auswirkt. Und ein Kirchenvorsteher kann zum Beispiel seinem möglichen Nachfolger erzählen, welchen inneren Gewinn er von seinem Dienst gehabt hat. Das persönliche Zeugnis ist heute so überaus wichtig, wenn in einem anderen Menschen der Glaube geweckt werden soll.

Oftmals wird auch ein direkter Anstoß nötig sein. So sagt Jesus zu Philippus kurz und bündig: „Folge mir nach!“ Er will ihm damit sagen: „ritt in meine Fußspuren! Bleibe immer in meiner Reichweite! Frage mich vor allen wichtigen Entscheidungen! Trenne dich von allem, was dich an der Nachfolge hindert! Laß dich nicht durch verlockende Angebote abhalten! Suche nur noch die Ehre deines himmlischen Vaters! Bleibe bei mir, auch wenn der Weg steil und steinig wird, wenn er Opfer kostet und Leiden mit sich bringt, auch wenn man dich deshalb mißverstehen sollte!“

Nicht jeder beantwortet den Ruf Jesu so freudig und ohne zu zögern wie Philippus. Viele Menschen stellen sich taub einem solchen Ruf gegenüber. Andere schieben die Entscheidung auf, weil sie sich von liebgewordenen Sünden nicht trennen können. Wieder andere haben verstandesmäßige Einwände, sie wollen erst klar sehen, ehe sie ihr Leben in den Dienst Gottes stellen.

Zu einem Pfarrer kam einmal ein junger Mann und erklärte, er wolle auch wieder in die Kirche eintreten, aber erst solle er ihm einmal meine Meinung zu einer gerade aktuellen Frage sagen. Er hat sie ihm natürlich nicht gesagt, weil ich annehmen mußte, daß er nur eine Falle stellen wollte. Wenn es einem wirklich um den Glauben geht, dann ist er natürlich gern willkommen; aber nicht, wenn er noch nach allem möglichen anderen dabei schielt.

Bei Nathanael ist es wieder etwas anderes: Er möchte gern ganz sicher gehen. Große Versprechungen haben schon manche gemacht, und am Ende stand die große Enttäuschung. Zweifel sind da verständlich. Aber Nathanael benutzt sie nicht als Vorwände, um mangelnde Bereitschaft zu tarnen. Er ist wirklich bereit, sich helfen zu lassen. Jesus bezeichnet ihn ja als rechten Israeliten, an dem kein Falsch ist. Aber er fährt sich genau dort fest, wo die christliche Botschaft eben schwierig wird: „Was kann denn aus diesem Kuhdorf Nazareth Gutes kommen? Der allmächtige Gott in so einem Nest!“ Auch ein Mensch, der heute zur Gemeinde kommt, wird nur Menschliches sehen.

Manchmal kommen einige Touristen in die Kirche, um sie sich anzusehen, nicht um zum Got­tesdienst dazubleiben. Aber was wäre gewesen, wenn sie geblieben wären? Hätten sie den richtigen Eindruck gewonnen, vor allen Dingen einen guten Eindruck? So daß sie das Gefühl gehabt hätten: Da ist etwas, das sich lohnt, was man im Leben brauchen könnte, wo man gerne mitmacht! Würde man bei uns, mitten unter all dem Menschlichen, auch das Göttliche wahrnehmen können? 

Ein junges Mädchen, das einmal in einen Kreis frommer Menschen kam, sagte: „Ihr redet alle wie aus Büchern!“ Da hat man sich nicht verständlich machen können, da ist die frohe Botschaft nicht verständlích geworden.

Sicherlich ist das Glauben nicht so einfach. Im Grunde ist es nur möglich, weil Jesus uns gesucht und gefunden hat. Er war dem Nathanael schon nahe, als er noch unter dem Feigenbaum saß. Er hat ihn bis ins Innerste durchschaut, er überwindet ihn im Inneren. Aber er zwingt ihm nichts auf, sondern er sagt: „Komm und sieh doch selber? Überzeuge dich erst selbst und dann triff deine Entscheidung!“

Das ist die rechte Art, Mission zu treiben. So müßten wir auch die Menschen außerhalb der Gemeinde anreden: „Komm doch einmal mit zum Gottesdienst! Da erlebst du die Kraft des Wortes Gottes und die Freude der Christen! Komm mit in unsre Familie, da erlebst du, wie kein Raum mehr ist für Haß und lieblose Worte! Da findest du echte Bruderschaft und stehst nichtmehr allein mit deiner Not!“

Aber Jesus verheißt dem Nathanael noch mehr: „Ihr werdet den Himmel offen sehen!“ Er verspricht nicht ein leichtes und bequemes Leben. Aber Gottes Gnadensonne scheint auch über dem finsteren Tal, durch das seine Jünger gehen müssen. So wächst in der Nachfolge Jesu der Glaube. Er wird dann auch nicht verzweifeln, wenn ihm Gott unbegreiflich wird.

Das Rufen eines Christen bleibt nicht ohne Antwort, denn der Himmel ist über ihm offen. Er hat nicht nur ein Loch, sondern in Jesus sind Himmel und Erde eins geworden. Die Verbindung Gottes mit den Menschen reißt nicht ab, sondern die Engel Gottes sind immerzu hin und her unterwegs.

Gewiß ist das nur ein Bild für das Handeln Gottes mit den Menschen. Aber es macht doch deutlich, daß Gott keinen allein läßt. Wer in seinem Auftrag einen Dienst in der Kirche oder an der Welt wahrnimmt, der darf seiner Hilfe sicher sein, er wird nicht auf verlorenem Posten allein gelassen, sondern er erhält Rückenstärkung durch seinen himmlischen Herrn.

 

 

Joh 1, 15 - 18 (Epiphania)s:

Manches Jahr gibt es eine lange Fastnachtskampagne. Das liegt - wie so vieles - an der Bibel. Wenn Ostern spät ist, gibt es bis zu fünf Sonntage nach Epiphanias - was ganz selten ist. Was ist das nur für ein ungewöhnlicher Tag, dieses Fest der Erscheinung des Herrn, das wir am 6. Januar begehen? De Kirchen im Osten feiern an diesem Tag die Geburt Jesu, denn um die - um seine Erscheinung auf der Erde - geht es an diesem Tag. Es ist nicht so, wie es auch schon behauptet wurde, daß die Kommunisten das Weihnachtsfest in Rußland abgeschafft hätten, sondern es wurde schon immer am 6. Januar gefeiert.

Bei der Erscheinung Christi geht es um die Gegenwart Gottes in der Welt. Er ist zwar schon in seiner ganzen Schöpfung gegenwärtig. Aber er wird es erst richtig mit Christi Geburt: In den Menschen Jesus von Nazareth ist die einmalige Einheit zwischen Göttlichem und Menschlichem für uns da. In Jesus Christus hat Gott sich uns erfahrbar gemacht. Jetzt kann zum Beispiel erfahren werden, wie der Glaube an die Vergebung auch unter den Menschen Brücken schlägt und Gemeinschaft stiftet.

Heidnische Religionen haben sich Götterbilder aus Stein oder Holz gemacht. Natürlich haben wir keinen Gott, den man mit den Augen sehen und mit den Händen anfassen kann. Aber es ist nicht so, daß wir einen unsichtbaren Gott hätten: Sein Sohn hat ihn uns bekannt gemacht.

In Jesus erweist er uns seine Gnade und in ihm schenkt er uns sich selbst.

 

1. Jesus hat uns den unsichtbaren Gott bekannt gemacht:

Das Prinzip der Naturwissenschaft lautet: Nur was mit den Sinnen erfahrbar ist, das ist auch wirklich! Man muß damit experimentieren können, muß den Versuch jederzeit wieder mit dem gleichen Ergebnis wiederholen können und er muß von jedermann nachvollziehbar sein.

Doch das gilt schon nicht mehr im Bereich der Psychologie und erst recht nicht im Bereich der Kunst. Hier gibt es zwar auch wissenschaftliche Methoden, die zu einer gewissen Annäherung verhelfen. Aber das Eigentliche muß in einem Sprung geschehen, den man nicht in der Hand hat. Das gilt auch für die Liebe: „Tausendmal berührt, tausendmal ist nichts passiert, tausend und eine Nacht und es hat Zoom gemacht!“ Wie soll man so etwas mit wissenschaftlichen Methoden erklären?

Wenn eine Frau ein Kind geboren hat, dann macht sie ganz andere Erfahrungen als vorher.

Vorher war sie im Labor und am Computer. Jetzt wird sie in einer ganz anderen Weise gefordert! Und ihr Mann, der vielleicht bisher die Entwicklungschancen von Firmen wissenschaftlich berechnet hat, der muß auf einmal die Windeln wechseln. Aber ist das nicht menschlicher, sinnvoller und erfüllender?

Auch Gott können wir uns nur nähern, indem wir eine Beziehung zu ihm aufnehmen. Wenn einer uns auffordert: „Zeigt mir doch euern Gott!“ dann verlangt er etwas, das Nicht-Gott ist. Gott ist nicht mehr Gott, wenn er als Objekt gedacht wird! Er ist nicht Gegenstand der Erkenntnis, so daß ich über ihn verfügen könnte. Chemische Verbindungen ergeben sich von selbst. Massen kann man wiegen. Die Fernrohre kann man auf Gestirne richten, so daß sie Objekt unsres Forschens werden. Gott aber ist Subjekt, er ist der Handelnde, der nur in der

Begegnung erkennbar ist.

Gott tritt uns in den Weg mit dem Ziel einer solchen Begegnung. Er geht auf uns zu, gibt sich uns zu erkennen und zieht uns in seine Gemeinschaft. Das alles meinen wir, wenn wir von der Erscheinung Gottes reden und dies in den Wochen nach dem Epiphaniasfest feiern. Nicht wir suchen Gott, sondern er tritt in unser Leben.

Das ist erstmals geschehen in unserer Taufe. Das ist doch eine wunderbare Sache, wenn ein Mensch auf einmal eine Beziehung zu seiner Taufe gewinnt. Ehe er noch denken konnte, ehe er etwas darstellte, hat Gott sich ihm zugewandt. Deshalb ist die Kindertaufe besser als die Erwachsenentaufe, weil es da nicht darauf ankommt, daß man schon einen festen Glauben hat. Vielmehr wird die Grundlage dafür gelegt, daß man sich diesen Glauben schenken lassen kann.

Auch die Predigt ist nicht eine objektive Erörterung über das Wesen Gottes. Man kann nicht

von ihm reden in der dritten Person. Wir können nicht über ihn reden, so als wäre er gar nicht anwesend. Er kann nicht verkündet werden mit einem Trommelfeuer von Gottessprüchen, da würde man bald abstumpfen. Es gab ja einmal den amerikanischen Evangelisten Billy Graham. Den nannte man das „Maschinengewehr Gottes“, weil er in schneller Folge kurze Sätze auf die Zuhörer niederprasseln ließ. Und dann rief er die „Bekehrten“ nach vorne. Aber das war alles nicht von langer Dauer.

Jesus aber spricht nicht  ü b e r  seinen Vater, sondern er kommt ja vom Vater und ist mit ihm eins. In seiner Rede ist immer der auf uns zukommende Gott verborgen. Natürlich spricht er auch über Gott. Aber sein Wort über Gott ist das maßgebende, nie in die Irre führende, nie zu vielversprechende und daher verläßliche Wort.

 

2. In Jesus erweist Gott uns seine Gnade:

Vor Jesus gab es ja noch Johannes den Täufer. Er war auch ein frommer Mann, der eine Gemeinde um sich geschart hatte und der sogar vielleicht von ihnen als der Heiland angesehen wurde. Aber die christliche Gemeinde hat in ihm nur den Vorläufer gesehen. Dennoch soll er schon erkannt haben, wer Jesus ist, wenn er sagt. „Wir haben ihn erlebt und wußten, daß wir es mit dem uns sonst verborgene Gott zu tun haben. Den unsichtbaren Gott kann man nun auf einmal sehen, denn in seinem Sohne erweist er uns seine Gnade. So sind wir ständig von ihm beschenkt worden. Er hat nicht nur das Menschenmögliche auf erfreuliche und überzeugende Weise in die Tat umgesetzt, sondern wir empfingen alles aus der Fülle des göttlichen Wesens!“

Und noch früher gab es Mose. Aber Gnade und Wahrheit findet man bei ihm nicht. Er hat nur das Gesetz gegeben, mit dem sich Jesus auseinandersetzen mußte, als er am Feiertag einen

Kranken heilte. Mose machte nur Auflagen, er forderte und verpflichtete. Aber dadurch machte er die Menschen unfrei. Er hat nicht nur vorgeschrieben, daß man nicht tun darf, was man tun möchte. Er hat auch die Menschen so eingeengt, daß sie als Sklaven der Sünde auch das tun mußten, was sie nicht wollten.

Der Mensch, der ohne Gott leben will, ist ja in Wirklichkeit nicht frei. Er verfällt erst recht dem Zwang des Gesetzes, auch wenn er verneint, daß es für ihn Gesetze gibt. Er weiß: Du mußt etwas leisten. Gott wird dir alles auf Heller und Pfennig nachrechnen! Wer aber bei Christus ist, der darf aus der göttlichen Fülle immer nur nehmen, einen Gnadenerweis nach dem anderen.

Daß wir uns aber richtig verstehen: Es geht nicht um ein Schlaraffenleben, das wir bei Jesus führen könnten, sondern um ein fruchtbares und ertragreiches Leben. Das ist wie bei einer Weinrebe, die ihre Frucht nicht aus sich selber hervorbringt, sondern aus dem, was ihr zuströmt.

In Jesus gewinnt Gott seine Welt zurück. Er tut das aber nicht so, indem er sie „auf Vordermann“ bringt, sondern indem er ihr ein Gutes nach dem anderen tut. Zwar wird er dabei immer wieder enttäuscht, weil er nicht unbedingt auf Dankbarkeit hoffen kann. Aber er läßt sich davon nicht irre machen und stößt keinen hinaus.

 

3. In Jesus schenkt Gott sich uns selbst:

Das Johannesevangelium hat bei Gott angefangen: „Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort!“ Am Schluß des ersten Kapitels aber ist von dem die Rede, was Menschen an Jesus erfahren haben. Es gilt, beides zusammenzubinden. Es ist nicht so, daß uns Auskunft darüber gegeben wird, was man von Jesus empfangen kann, also zum Beispiel die Kenntnis Gottes oder immer neue Geschenke aus der Fülle Gottes. Vielmehr schenkt Gott uns nicht nur dies und jenes, sondern er schenkt sich uns selbst.

Wenn wir nur nach dem fragten, was bei Jesus „zu holen“ ist, dann hätten wir das Beste noch nicht entdeckt. Er ist zwar Bringer oder Entdecker von Freuden, aber das Wesentliche ist, daß er sich selbst gibt.

Das ist wie bei der Liebe zwischen Menschen. Die Liebe sagt nicht: „Ich will dies und das von dir, sondern ich will d i c h!“ Jesus Christus ist die uns zugewandte Liebe Gottes. Gott will die Gemeinschaft zwischen ihm und uns. Er schenkt sich selbst.

So kann man den unsichtbaren Gott doch sehen, weil er so menschlich und darum so zugänglich ist. Es wird uns sehr leicht gemacht, weil er es auf Begegnung und Gemeinschaft abgesehen hat. Schon wenn Menschen aufeinander zugehen, wird der andere Mensch nicht zum Objekt. So ist es erst recht bei Gott: In Christus macht Gott mit uns den neuen Anfang. Vor uns steht der Mensch Jesus, aber er ist Gott konkret!

 

 

Joh 2, 1 – 11 (2. Sonntag nach Epiphanias):

Im österreichischen Burgenland sagte einmal ein Junge beim Hören dieser Geschichte: „Mein Vater kann das auch: er schüttet Wasser in das Faß, und er nimmt Wein heraus!“ Aber so einfach werden wir mit dieser Geschichte nicht fertig, so als hätte Jesus hier nur Wein mit Wasser gepanscht. Diese Geschichte könnte uns schon aufregen: Jesus zeigt seine Macht an so einer billigen Sache. Bei einer Hochzeit hat man sich verkalkuliert und zu wenig Wein eingekauft. Um die Familie nicht zu blamieren, hilft Jesus ihr aus der Klemme.

Bei den Wundergeschichten in den anderen Evangelien erbarmt sich Jesus über eine menschliche Not, eine wirkliche Not. Aber hier geht es eine Pannenhilfe in einer peinlichen Verlegenheit. Doch wenn wir in Verlegenheit sind, dann schicken wir doch auch schon einmal ein Stoßgebet in den Himmel: „Gott, gib doch, daß ich hier wieder herauskomme, ohne daß etwas passiert oder ohne daß ich mich bloßgestellt habe!“ Warum sollte man nicht auch um so etwas bitten? Aber man muß dann doch wissen: Meist sind wir selber schuld dran. Gott könnte aber trotzdem helfen. Aber er muß es nicht. Wir müssen es ihm überlassen, wann und wie er hilft.

Das muß auch Maria lernen. Sie sagt zu ihm: „Zeig doch einmal, was du kannst!“ Woher sie weiß, daß er helfen kann, darf man nicht fragen, denn immerhin handelt es sich ja um das erste Zeichen. Aber Maria ist stolz auf ihre guten Beziehungen und läßt sie spielen. Sie will den Leuten zeigen: „Ihr sollt mal sehen, was mein Sohn kann!“ Aber Jesus ist kein Nothelfer, der sofort alle Wünsche erfüllt. Das erkennt auch Maria an. Sie streitet sich nicht mit ihm, sondern auch sie muß warten wie Jesus auch. Gott handelt oft erst dann, wenn man es nicht erwartet.

Die Geschichte zeigt sehr deutlich: Jesus nimmt am Leben der Menschen und an ihrer Freude teil. Er ist nicht ein finsterer Asket und griesgrämiger Spielverderber. Sogar bei einer Hochzeit ist er dabei, nicht um zu stören und den Menschen bei ihrer Fröhlichkeit ein schlechtes Gewissen zu machen, sondern um an ihrer Freude teilzunehmen.

Sonst sehen wir Jesus immer wieder bei den Weinenden und Stöhnenden, bei den Verbitterten und Hoffnungslosen. Hier aber können wir ihn als den Heiland der Frohen und Glücklichen entdecken. Diesen Christus dürfen wir den Menschen nicht vorenthalten, damit sich die Fröhlichen nicht abwenden.

Jesus ist nicht nur bei unsrem Alltag dabei, bei unsrer Arbeit und der Bewältigung unsrer Probleme und Spannungen. Jesus beginnt seine Wirksamkeit auf einem Fest. Christliches Leben ist auch ein Fest. Das soll nicht heißen, daß wir jeden Tag mit großem Aufwand alle Tage herrlich und in Freuden leben sollten und vergessen dürften, wer als armer Lazarus vor unsrer Tür liegt.

Unsre Leben ist festlich, weil es nicht ein Stöhnen ist unter einer Fülle von Pflichten. Vielmehr dürfen wir ein fröhliches und freies Leben führen, von der Liebe und vom Geist Gottes angeregt. Unsre Leben ist ein Fest, weil Jesus da ist, er macht es erst zum Fest. Nun dürfen wir leben ohne die Kleinlichkeit und Verkrampftheit der Gesetzesmenschen in der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. Wir brauchen nicht mit tierischem Ernst die strengen Regeln geheiligter Vorschriften einzuhalten, unsre Versagen zu vertuschen und unsere Fehlbeträge durch Humorlosigkeit überspielen. Daß Jesus seine Wirksamkeit auf einem Fest beginnt, ist geradezu ein Programm.

Die Wasserkrüge könnten die alte Religion des jüdischen Gesetzes symbolisieren. Sie sind leer und müssen erst auf Jesu Befehl aufgefüllt werden. Jesus verwandelt die Leere der Menschen in Fülle, so daß sie verwandelt werden. Wenn aber etwas anders wird, dann nicht durch uns. Wir stehen oft nur herum wie leere Wasserkrüge. Wir verwässern immer nur Jesus aber verwandelt.

Die Juden haben nur ihre alten Religionsüberlieferungen, ihre. Reinigungen und Gesetze; sie haben ihre mechanischen Gebetsübungen und die toten Werke und nur einen fernen Gott, der sich durch keinen Eifer der Menschen bewegen läßt, aus dem Dunkel herauszutreten. Durch Jesus aber verwandelt sich das Wasser in Wein. Über dem alten Bund erhebt sich der neue, der ferne Gott kommt nahe. Jetzt können alle Gnade um Gnade aus seiner Fülle schöpfen, wie

es schon in Joh 1, Vers 16 heißt.

Bei einer Hochzeit könnte man das Ehepaar auf diese biblische Geschichte ansprechen und sagen: „Jesus hat das gegeben, was fehlte. Möge er Ihnen in ihrer Ehe auch immer das geben, was Ihnen fehlt!“ Die Geschichte macht deutlich: Jesus ist in allen Fällen unsere Helfer. Er hilft uns nicht nur aus Verlegenheiten, sondern er will uns gerade dort beistehen, wo wir wirkliche Hilfe brauchen. Wir brauchen doch oft im Leben eine Kraft, die uns wieder voranbringt. Jesus k a n n antworten auf alle Not. Wenn wir nicht mehr aus noch ein wissen, so kann er uns doch in aller Ratlosigkeit noch Hilfe schaffen.

Doch es geht hier nicht um ein Zauberkunststückchen. Man darf nicht bei dem Wunder hän­genbleiben, sondern es geht um die Gegenwart Jesu. Ein neutraler Beobachter merkt gar nicht, was hier geschieht. Die Hochzeitsgesellschaft hat das Zeichen gar nicht bemerkt, nicht einmal der Speisemeister. Es geht allein um die Jünger. Nur sie glauben an Jesus. Nur weil sie schon vorher seine Jünger waren und an ihn glaubten, dürfen sie eine solche Tat sehen. Aber ihr Glaube beruht nicht auf einem Wunder, sondern auf dem, was sie schon vorher mit Jesus erlebt haben. Wunder kann man immer nur für sich persönlich annehmen, nicht anderen aufzwingen. Deshalb darf man nicht fragen: „Was ist hier passiert?“ sondern es geht darum: „Wer ist Jesus?“

Wir werden heute unseres Glaubens auf andere Art und Weise gewiß. Bei uns hat es mit dem Glauben schon bei dem Wasserwunder der Taufe begonnen. Aber erhalten und gestärkt wird er durch das Abendmahl. In Johannes 15 ist das in einem einzigen Satz gesagt: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun!“

Vielleicht wäre uns dieses Bild vom Weinstock lieber als diese Beispielgeschichte von einer Hochzeit. Dazu kommt, daß ein solches Weinwunder auch von dem heidnischen Gott Dionysos berichtet wird. In zwei seiner Tempel soll alljährlich zum Dionysosfest am 5. / 6. Januar Wein statt Wasser aus den Tempelquelle gesprudelt sein.

Mit der Geschichte von der Hochzeit zu Kana aber bekennt sich die christliche Gemeinde zu dem, der mehr ist als Dionysos: „Was dieser heidnische Gott angeblich macht, das kann unsre Herr schon lange!“

Dionysos verspricht im Rausch ein neues Leben. Aber die Freude ist kurz und der Rückfall in die Wirklichkeit unausbleiblich. Wovon wir uns Leben und Glück versprechen, das verzehrt sich. Was uns zunächst begehrenswert erscheint, das beginnt uns bald zu langweilen. Jesus aber gibt nicht nur den besseren Wein, sondern er gibt überhaupt die beste Freude.

Jesus sagt aber: „Meine Stunde ist noch nicht gekommen!“ Der Wein ist zwar eine der Gabe- der Heilszeit, das Weinwunder deutet an: „Die Heilszeit ist da!“ Aber die wahre „Stunde“ Jesu ist sein Sterben, und Auferstehen. Sein Heilswerk besteht nicht in einem Weinwunder, sondern in seiner endgültigen Verherrlichung durch Gott.

Maria sieht nur ein hauswirtschaftliches Problem. So sehen auch bei uns manche nur die wirtschaftlichen Probleme und versprechen sich von ihrer Lösung das Heil für die Welt. Jesus aber weiß etwas Besseres, nämlich das Leben aus Gott und mit Gott. Es geht nicht um de- Wein, sondern um Jesus. Er ist der Retter für alle Menschen. Aber seine Hilfe ist nicht eine platte Selbstverständlichkeit. Wir erleben Jesus zwar oft als freigiebigen Spender. Aber einklagen können wir das nicht. Es muß uns schon um ihn selbst zu tun sein.

Wir können Gott nur bitten, daß er an uns ein Wunder tut und uns das Geheimnis Christi erschließt, wie er es bei den Jüngern getan hat. Wenn einer in der Klemme ist, dann hilft ihm keine Philosophie und keine Weltanschauung, sondern nur das neue Leben bei Gott.

Deshalb dürfen wir in der Kirche in den Gottesdiensten und Gemeindeveranstaltungen nicht Wasser bereitstellen, sondern den guten Wein Jesu.

Dies geschieht symbolisch im Abendmahl. Ein Spötter hat einmal den Kirchenvater Hieronymus gefragt, wer denn den Wein bei der Hochzeit zu Kana getrunken habe, immerhin eine Menge von 500 bis 700 Litern. Da hat er geantwortet: „Davon trinken wir heute alle noch!“ Der heutige Abendmahlswein ist Wein wie bei der Hochzeit zu Kana. Und Jesus ist der Freudenmeister, der uns Brot und Wein zum Weiterleben gibt.

Die Kirche hat bis heute die Vollmacht, das Abendmahl auszuteilen, nur fehlen halt oft die, die den Wein trinken, der ihnen helfen könnte. Diese Geschichte hier will uns aber Mut machen, die Hilfe unseres Freudenmeisters auch in unserem persönlichen Leben wiederzufinden und ihm dafür zu danken.        

 

Zusatz:

In Kriegsgefangenschaft haben sie auch Abendmahl gefeiert mit Kaffeetassen und gewöhnlichem Kaffee, das geht natürlich auch, aber es fehlt der Symbolwert des Weines. Aber man könnte eben an die Geschichte von der Hochzeit zu Kana denken um zu wissen, daß auch

das ein vollwertiges Abendmahl ist. Das hätte man auch dem katholischen Priester in dem Roman „Die Kraft und die Herrlichkeit“ von Graham Greene sagen müssen: In einem mittelamerikanischen Staat war eine Christenverfolgung. Nur dieser eine Priester war übriggeblieben und besuchte die Gemeinden und hielt heimlich Gottesdienste. Aber er konnte nie mehr die Messe feiern, weil die Regierung den Verkauf von Wein streng verboten hatte. Doch bei einem Funktionär kann er eine Flasche schwarz kaufen. Doch kaum hat er sein letztes Geld hingelegt, da zwingt ihn der andere, die Flasche an Ort und Stelle mit ihm zu leeren. So war alles vergebens. Aber wir würden vielleicht sagen: Warum hat er nicht Wasser genommen oder Traubensaft? Es kommt doch auf den Glauben an. Und Jesus kann doch aus Wasser Wein machen!

 

 

 

Joh 2, 13 – 22 (10.  Sonntag nach Trinitatis):

Jesus mit einer Peitsche, Jesus mit drohend erhobener Hand, Jesus mit abweisenden Worten - dieser Jesus ist uns ziemlich fremd. Stellen wir uns Jesus nicht sanftmütig und barmherzig vor, ein einladender und entgegenkommender Jesus? Bei der Tempelaustreibung aber erscheint er unnachgiebig und hart. Darf Jesus denn zornig sein, darf ein Christ zornig sein?

Es gibt verschiedene Arten von Zorn. Da ist der selbstsüchtige Zorn, der dann entbrennt, wenn es nicht so läuft, wie man es sich wünscht. Da trampelt etwa ein Kind auf den Spielsachen anderer Kinder herum, weil die nicht mit ihm spielen wollten. Oder da schlitzen Jugendliche im Bus die Sitze auf, weil ihre Mannschaft nicht gewonnen hat. Oder Eltern ändern ihr Testament, weil sie mit einer Entscheidung ihrer Kinder nicht einverstanden sind.

Solche Zorneshandlungen sind Angriffshandlungen, die gefährlich und zerstörerisch sind. Sie kommen aus unverarbeiteter Erfahrung und übertragen das aufgerührte Innere nach außen. Es gibt aber auch einen Zorn, der sachlich und menschlich berechtigt ist. Er entsteht dort, wo Menschen ungerecht behandelt werden. So haben jahrhundertelang gedemütigte Menschen ihren Zorn in Revolutionen entladen. Solcher Zorn vermag zu reinigen.

Solcher Zorn war auch angebracht im Tempel von Jerusalem. Dort hatte sich ein richtiger Wallfahrtsbetrieb entwickelt. Man brauchte Opfertiere, die man nicht von weither mitbringen konnte. Man brauchte das althebräische Geld ohne das Bildnis des römischen Kaisers, wenn man eine Kollekte geben wollte. All das konnte man im Vorhof erledigen, der eigentliche Gottesdienst wurde davon angeblich nicht berührt.

Aber das fromme Treiben war auch mit unfrommem vermischt, Glaube und Aberglaube wohnen immer nahe beieinander. Die primitive Frömmigkeit ist oft sehr betriebsam. Sie meint: Viel hilft viel.  Deshalb war der Tempel immer mehr zur Markthalle und zum Bankhaus geworden.

Jesus jedenfalls hat es nicht für gleichgültig gehalten, ob im Vorhof des Tempels noch alles Mögliche geschieht. Wo Geschäfte gemacht werden, da wird auch gefeilscht und betrogen, da steht der Mensch mit seiner Leistung und seinen Werken im Mittelpunkt und der Tempel ist nur so ein Anhängsel. Wer nur ans Kaufen denkt und wie er möglichst einfach zu einer billigen Opfergabe kommt, der hat keine Kraft mehr zur wahren Anbetung.

So kommt Gott nicht zu Worte. Wenn er sprechen wollte, würde seine Stimme im Lärm untergehen. Er würde gar nicht zu den Menschen durchdringen, weil sie viel zu beschäftigt sind. Aber Gott darf nicht in den menschlichen Handel hineingezogen werden. Um das klarzustellen, treibt Jesus die Händler und Kaufleute und Geldwechsler aus dem Tempelbezirk hinaus.

Er hat damit nicht den Tempel beseitigen wollen. Er wollte ihn nur seiner ursprünglichen Bestimmung übergeben, nämlich Ort der Anbetung Gottes zu sein. Es geht Jesus um die Ehre Gottes, die nicht durch menschliche Geschäfte angetastet werden darf. Deshalb versucht er hier nicht, eine wohltemperiertes Ordnung machen, sondern er greift hart und zornig ein. Seine Reinigung erstreckt sich keineswegs nur auf Nebensächliches. Hier wird im Grunde der ganze Opferkult der Juden angetastet.

Wenn etwa ein Schlachtopfer dargebracht wurde, dann erhielt Gott das Blut und die Opfernden erhielten das Fleisch. Das heißt: das Opfer wurde fortgesetzt mit einem fröhlichen Schmausen, bei dem es mehr aufs Genießen ankam als auf den lieben Gott. So könnte manchem Kind das Eis am Himmelfahrtstag wichtiger sein als der Kindergottesdienst, in dem Eis ausgegeben wird. Vor allem besteht die Gefahr, daß man so eine Zugabe selbstverständlich erwartet und sie auch im nächsten Jahr verlangt.

Nun gehören die äußeren Formen mit zum Gottesdienst dazu. Und wenn ein Gottesdienst einmal mit einem Essen oder sonst einem gesellschaftlichen Ereignis verbunden ist, dann kann das eine gute Sache sein. Nur muß man alles daran messen, ob Gott auch wirklich zum

Zuge kommt. Man kann Gott auch verdrängen durch laute Musik oder Anspiele und Aktionen.

Dennoch kommt Gott immer leibhaft zu uns, nicht ohne das Wort und nicht ohne die Sakramente. Wie man den Gottesdienst gestaltet, liegt immer auch an der jeweiligen Zeit und der Eigenart der Menschen, die sich zum Gottesdienst zusammenfinden. Aber unmerklich schleichen sich oft auch Mißbräuche ein. Keiner bemerkt es, die nächste Generation übernimmt es als selbstverständlich, niemand findet mehr etwas dabei.

Wir können uns nicht darauf verlassen, daß ja das Gotteshaus noch in unserem Ort steht und damit alles in Ordnung ist. Gott wohnt sowieso nicht in einem Gebäude aus Holz und Stein. Er wohnt nur dort, wo Menschen in seinem Namen zusammenkommen. Wir können uns nicht damit beruhigen, daß ja Sonntag für Sonntag bei uns Gottesdienst ist, wenn wir selber nicht hingehen.

Wir sollten uns schon auch ernsthaft fragen, was bei uns und in unsrer Kirche anders werden müßte. Eigentlich brauchten wir dazu den gleichen Kampfgeist wie Jesus. Sein Zorn entbrannte aus Liebe, weil er sah, wie der religiöse Betrieb an die Stelle des Glaubens getreten war. Aber wir heute haben nicht gegen die katholische Kirche oder gegen eine zweifelhafte Theologie oder gegen irgendeine Weltanschauung zu kämpfen, sondern zuerst gegen uns selbst. Wenn wir schon etwas hinausfegen wollen, dann zuerst in der eigenen Stube und vor der eigenen Haustür.

Natürlich kann man nicht alles ausfegen, was einem vor den Besen kommt. Manchmal liegen noch wertvolle Dinge mit unter dem Unrat. Wir können deshalb nicht alles Alte einfach über Bord werfen, nur weil es uns nicht paßt. Jesus hat ja auch nicht den ganzen Tempel umgerissen, sondern ihn gereinigt.

Aber es wäre auch falsch, nun ganz auf eine Reinigung zu verzichten, nur weil unter dem Alten auch noch etwas Wertvolles sein könnte. Manche Leute sind da zu ängstlich. Sie sagen: „Das Alte war gar nicht so schlecht!“ Und das nehmen sie dann als Begründung dafür,            a 1 1 e s  beim Alten zu lassen. Jesus war da nicht so empfindlich, er hat auch etwas gewagt. Es gilt, die wertvollen Bestandteile der alten Ordnung weiterzuentwickeln, damit sie ihren ursprünglichen Sinn auch in der neuen Zeit behalten.

Ein Beispiel dafür ist der Gottesdienst. Nach jüdischer Lehre mußten jeden Tag Tieropfer dargebracht werden, um Gott mit den Menschen zu versöhnen. Seit Jesus aber sind diese Opfer nicht mehr nötig, weil Jesus das Lamm Gottes ist, das der Welt Sünde trägt. Er ist der neue Tempel Gottes, in ihm ist Gott leibhaft gegenwärtig. Doch haben wir das schon begriffen, daß Jesus sich für uns geopfert hat? Sehen wir ein, daß wir dieses Opfer nötig haben? Lassen wir uns beschenken durch das Abendmahl, in dem Jesu Opfer uns angeboten wird?

Wir sollten Gott auch darum bitten, daß er uns die falschen Gottesbilder austreibt. Allzu gerne machen wir uns doch einen Gott nach unseren Bedürfnissen zurecht. Wir meinen zu wissen, wie er sein muß und was er für uns zu tun hat; und wenn es anders kommt, kündigen wir ihm. Dagegen wendet sich Jesus. Er zeigt uns den Gott, der uns entgegenkommt, der aber nicht auf Knopfdruck funktioniert wie ein Automat.

Die Juden haben auch ein Zeichen von Jesus gefordert. Sie behaupten sogar, sie würden Jesus anerkennen, wenn er ein Wunder vollbrächte. Doch das Tempelwort Jesu verstehen sie falsch. Sie meinen, er wolle den Tempel abbrechen und in drei Tagen wieder aufbauen. Doch Jesus meint den Tempel seines Leibes, meint sich selbst: Nicht er wird den Tempel in Jerusalem einreißen, sondern die Juden werden Jesus, den eigentlichen Tempel Gottes, vernichten. Denn wo Jesus ist, da wohnt Gott in der Welt. Wenn man ihn finden will und sich ihm nahen will, dann nur über Jesus.

Der allein gültige Gottesdienst ist deshalb, sich an Jesus halten und sich auf ihn berufen und der Zugang zu Gott durch ihn gewinnen. Die Wiederaufrichtung des Tempels ist dann nichts anderes als die Auferstehung Jesu. Er ist dann aber heute unser Fürsprecher bei Gott. Frieden mit Gott haben wir nur dadurch, daß sich Jesus zu unserem Anwalt macht. Es gibt nur            e i n e n heiligen Ort, an dem wir mit Gott verbunden sein können, nämlich Christus. An ihn müssen wir uns halten, wenn wir gerettet werden sollen.

 

 

Joh 3, 1 – 15 (Trinitatis):

Was eine Geburt ist, wissen wir. Aber was soll eine „Wiedergeburt“ sein? Jeder Mensch kann nur einmal geboren werden! Da muß also etwas anderes gemeint sein. Jesus spricht von der Taufe, die den Menschen ganz neu macht. Damals wurden ja noch vorwiegend Erwachsene getauft, denen man das Neuwerden wirklich ansah. Der Mensch ist erst richtig Mensch, wenn er getauft ist.

Nikodemus ist eigentlich aus Neugier gekommen. Er hat erlebt, wie Jesus die Händler und Geldwechsler aus dem Tempel geworfen hat. Damit war für ihn bewiesen, daß Jesus ein von Gott beglaubigter Lehrer war. Nikodemus möchte sich diesen Mann etwas näher ansehen, weil er spürt: „Der hat uns allen etwas zu sagen, da steckt mehr dahinter!“

Nikodemus ist ein Vertreter des offiziellen Judentums, ein frommer Jude, der nach dem Heil

fragt. Eigentlich müßte er doch darüber Bescheid wissen, wo er doch selber ein Lehrer und Schriftgelehrter ist, der es anderen beibringen soll. Er ist aber auch Vertreter des religiösen Menschen, denn es auch heute noch gibt. Er gehört zwar keiner Kirche an, aber irgendeinen Halt außerhalb muß jeder Mensch haben. Dann sucht er sich oft eine Art Ersatzreligion und auch eine eigene Moral.

Aber Nikodemus gibt sich immerhin nicht mit dem überlieferten Wissen zufrieden, er fragt weiter. Die Gefahr ist immer, daß man genau Bescheid zu wissen glaubt, wie das mit dem Leben und der Moral, aber auch mit dem Glauben und dem Christentum ist. Wir wissen, was sich gehört und unbedingt notwendig ist. Wir wissen in welchem Alter ein Kind getauft wird, wie oft man zum Gottesdienst geht, wie hoch die Kirchensteuer zu sein hat und daß man zum Pfarrer gehen muß, wenn einer gestorben ist.

Manche glauben auch, den Weg zum Heil zu wissen. Es gibt Christen, die fordern: Erst mußt

du eine Bekehrung erlebt haben, möglichst auf Tag und Stunde festgelegt, dann erst bist du wiedergeboren. Sie machen eine Methode aus ihrem Glauben und wollen sich den Glauben anerziehen und lassen nur ihren Weg gelten. Da nimmt sich ein Mann vor: „Du mußt aber jetzt einmal unbedingt ernsthafte Anstrengungen unternehmen, um ein besserer Mensch zu werden!“

Aber ein guter Mensch ist noch nicht gleich ein Christ. Das war der erste Fehler. Und dann stellte sich heraus, daß spätestens zwei Tage danach alle guten Vorsätze vergessen waren. Mit Gewalt läßt sich gar nichts aufbauen. Wir können nicht langsam von unten anfangen und einen Turm in den Himmel bauen. Wir können von uns aus gar nichts tun! Es geht nicht darum, noch zielstrebiger an sich zu arbeiten und das schon Erreichte noch zu vervollkommnen, die im Menschen vorhandene sittliche Anlage zu entfalten und zu entwickeln, den Reifeprozeß der eigenen religiösen Persönlichkeit zu fördern und mit einer außerordentlichen inneren Kraftanstrengung es auch zu einer Bekehrung zu bringen.

Jesus sagt: „Ihr müßt von oben geboren werden, sonst könnt ihr das Reich Gottes nicht sehen!“ Mit dem „von oben her“ ist gemeint „von neuem, von vorne an. Ihr müßt radikal von vorne anfangen!“ Also ein totaler Neuanfang vom Nullpunkt aus. Man kann das Haus nicht mehr reparieren, sondern man muß es abreißen und neu bauen. Wie schwer fällt uns das aber! Wir möchten doch immer auf dem Erreichten aufbauen: auf der Kirchlichkeit unserer Eltern, auf unserer Konfirmandenzeit, auf besonderen Festen in der Kirche. Aber Jesus sagt: Jeder muß neu anfangen!

Doch er kann nicht selber etwas aus eigener Kraft erreichen, sondern es muß ihm geschenkt

werden. Unser menschliches Wesen taugt nichts, um den Weg zu Gott gehen zu können. All diese Versuche bleiben nur Flickwerk. Gott selber greift ein bei Taufe. Dort werden wir erneuert und erhalten Kraft für unser Leben.

Wenn wir schon auf irgendetwas aufbauen wollen, dann bei unserer Taufe. Jesus sagt, der neue Mensch müsse „aus Wasser und Geist“ neu geboren werden, wobei die Gabe des Geistes an das Wasser gebunden ist. Die Taufe ist nicht eine Sache, die mit dem Besitz des Taufscheins ein für allemal erledigt ist. Der Taufschein ist überhaupt nicht entscheidend. Da einmal eine Frau den Pfarrer gefragt: „Unsere Kinder sind nun schon groß. Aber getauft sollen sie werden. Geht das nicht, daß Sie einfach die Taufurkunde ausstellen und ich lade sie dann nachher zum Kaffee ein?“ Aber das Entscheidende ist doch gerade, daß das Kind mit Wasser getauft wird und dazu die Taufformel gesagt wird. Die Taufurkunde ist zweitranging (und der Kaffee erst

recht!).

Aber das Gnadengeschenk der Taufe muß nun auch ein Leben lang neu ergriffen werden. Viele Menschen stellen dieses Geschenk einfach in den Glasschrank und heften den Taufschein bei ihren anderen Dokumenten ab. Langsam verstaubt dieses Geschenk. Es steht ehrwürdig da und darf nicht angefaßt werden. Nur manchmal wird es wieder hervorgeholt, zur Konfirmation etwa oder zur Trauung. Aber so geht es halt nicht: Ein Geschenk ist dazu da, daß man es benutzt.

Aber bauen wir unser Leben wirklich auf der Taufe auf? Wer weiß denn seinen Tauftag und seinen Taufspruch? Wer verläßt sich in Gefahren denn wirklich darauf, daß er getauft ist und zu Gott gehört?

Luther war manches Mal in schweren inneren Gefahren. Er fürchtete, in seinem Glauben wankend zu werden und aus der Nähe Gottes herausfallen zu körnen. Da hat er dann immer mit Kreide auf den Tisch vor sich geschrieben: „Ich bin getauft!“ Und da war er wieder sicher, daß ihm nichts passieren konnte.

Uns wird heute die Frage gestellt: „Willst du dir dein Leben aus eigenen Kräften zurechtzimmern oder willst du dich auf Gott verlassen?“ Jesus sagt: „Der Mensch, so wie er ist, muß vom Reich Gottes ausgeschlossen sein. Er hat es nicht in der Hand, sich das Heil selbst zu besorgen. Es kommt darauf an, gleich den richtigen Anfang zu finden. Wer ihn verpaßt, rennt ins Verderben. Aber wir finden den Anfang nicht selber, sondern Gott hat ihn uns gezeigt in der Taufe!“

Alle Menschen, die Jesus begegnen, sind zunächst einmal in der Dunkelheit. Nikodemus

kommt aus dem Dunkel der Nacht, um sich den Weg zu Gott aufhellen zu lassen. Er will

wissen, woher er kommt und wohin er geht. Jesus sagt ihm: „Du bist nicht nur ein Kind deiner Eltern, sondern du kannst noch einmal geboren werden durch die Taufe zu einem Kind Gottes. Um richtig leben zu können, brauchst du nicht nur deinen Verstand, sondern auch den Geist Gottes. Der Heilige Geist ist nicht etwas Besonderes, das nicht in den Alltag gehört, sondern er will im Gegenteil dein tägliches Leben bestimmen!“

Wir dürfen Gott für ganz bestimmte Erfahrungen und Durchbrüche in unserm Leben dankbar sein. Aber als Glaubende wissen wir, daß das gerade dann der Fall war, wenn wir uns nicht auf uns selbst verließen, sondern auf den Gott außerhalb von uns. Nicht unsere menschlichen Leistungen begründen unsern Stand bei Gott, sondern allein, was Gott an uns tut. Glaube leitet sich nicht ab aus unserm Verstand oder Gefühl, aus Willen oder Erfahrung. Er ist nicht abhängig von unserm jeweiligen inneren Zustand. Aber gegen jeden Zweifel darf ich mich an Gott halten, gegen meine Traurigkeit in ihm fröhlich sein, gegen mein Versagen mich an sein Wort halten. Das ist eigentlich die entscheidende Frage: Wo sind wir gebunden, woran hängen wir unser Herz? Jesus ist nur gebunden an das Reich Gottes. Er kommt vom Vater und er geht zum Vater. Er weiß, von wem er gehalten ist.

Aber er weiß auch, daß das nicht bei allen so ist: „Der Geist weht, wo er will!“ Man kann ihn nicht sehen. Er ist wie der Wind: ungreifbar und niemand kennt sein Woher und sein Wohin. Aber er ist doch da und an seinem Ergebnis wahrnehmbar: Man kann den Wind nicht sehen; und doch knickt er die mächtigsten Bäume. Genauso kann man den Geist Gottes nicht sehen, aber man kann ihn hören, hier im Gottesdienst, beim Bibellesen und beim Gebet.

Es gibt solche Menschen, die aus dem Geist geboren sind, die anderen Menschen zum Segen werden, weil Gottes Geist in ihnen wirkt: Menschen, die für andere die Hände falten, die ihnen einmal unter die Arme greifen, die Zeit haben fair ein Gespräch, die unbeirrt bei ihrem Glauben bleiben und ihn ernst nehmen. Auch unter uns gibt es solche Menschen. Aber die Hauptfrage ist doch: Gehören wir auch zu ihnen? Die Erzählung hat ja keinen richtigen Abschluß. Aber damit bleibt die Situation offen: Jeder kann sich noch entscheiden!

 

 

Joh 3, 16 - 21 (Christvesper, Variante 1)

Kleine Kinder freuen sich noch ganz von Herzen über die Weihnachtsgeschenke. Je reifer man aber im Laufe seines Lebens wird, desto mehr verlieren die Dinge als solche an Bedeutung. Dann wird uns mehr der Mensch wichtig, der sich uns zuwendet, indem er uns beschenkt. Es kommt uns nicht so sehr auf das Geschenk selber an, sondern mehr auf die Liebe und Freundlichkeit, die dahintersteht.

So ist es aber auch im Verhältnis zwischen Gott und uns. Wir können die Liebe Gottes nicht an den Dingen ablesen, die er uns zum Geschenk macht. Wir können nicht sagen: Je mehr Glück und Gesundheit und Erfolg, desto mehr Gottesliebe erfahren wir. Viel wichtiger ist doch die grundlegende Tatsache, daß wir Geschöpfe des himmlischen Vaters sind, der uns liebhat. Wir leben nicht in einem eiskalten Weltall und in einer Welt, die kein Herz für uns haben kann. Vielmehr haben wir einen Gott, der nicht ohne uns sein möchte.

Das macht das Johannesevangelium mit dem unnachahmlichen Satz deutlich: „Also hat Gott die Welt geliebt!“ Das ist die Überschrift für das ganze Neue Testament, gewissermaßen das Evangelium im Evangelium. Luther hat über diesen Vers gesagt: „Das ist eines der herrlich­sten Evangelien im Neuen Testament. Es wäre billig, daß man es mit goldenen Buchstabes ins Herz schriebe. Jeder Christ sollte sich solche Worte täglich wenigstens einmal im Herzen vorsprechen!“

Die Götter der Griechen liebten die Welt nicht. Sie saßen auf ihrem Olymp und kümmerten sich nicht um die Menschen. Sie wollten auf weichem Boden spazierengehen und nicht ihre Füße auf die rauhe Erde setzen. Prometheus mußte ihnen das Feuer stehlen, damit sich die Menschen wärmen konnten, aber er wurde dafür furchtbar gestraft.

Wir glauben solche Göttersagen heute längst nicht mehr. Aber das Weltgefühl, das sich in ihnen ausspricht, ist uns nicht fremd. Wir ahnen heute, wie kalt und leer das Weltall ist. Es schweigt und gibt keine Antwort auf die Rufe der Menschen. Alle Zukunftsromane sind nur Ausdruck der Sehnsucht des Menschen, in dieser Wüste des Weltalls nicht allein zu sein. Aber die Erde ist nur ein winziges Staubkorn in den ungeheuren Weiten des Alls, ein kleines bißchen Leben in einer unheimlichen Welt des Todes, ein Stück Heimat in der ewigen schweigenden Unendlichkeit.

Aber gerade dieses Fünkchen Leben hat Gott geliebt und wird es immer lieben. Gott ist ein glühender Backofen voller Liebe, wie Luther gesagt hat. Er bringt Wärme in die Kälte des Alls, gibt dem ganzen erst einen Sinn. Das zu glauben mutet uns Weihnachten zu. Und ohne diesen Glauben gibt es heute nichts zu feiern.

Gott war so menschenfreundlich, daß er sieh ins Sichtbare begeben hat. Deswegen sind ja auch wohl so viele Menschen vor diesem Fest und den Gottesdiensten angezogen. Auch den Entwöhnten geht das zu Herzen., was an Weihnachten gesagt und gesungen wird, was zu sehen ist beim Krippenspiel. Unsere Gefühle brauchen wir uns dabei nicht zu schämen. Sie können uns vielmehr helfen, die eigentliche Tat Gottes sichtbar zu machen.

Heute müßten wir eigentlich anders heimgehen, als wir gekommen sind. Wir müßten entdeckt haben‚daß Gott sich uns in seiner Liebe entschlossen zugewandt hat, auch wenn wir manchmal gegen ihr rebelliert haben. Gott hat sich in seiner Liebe aufgemacht, um die verlorene Welt wiederzubekommen.

Gott schickt dazu nicht irgendetwas, sondern in seinem Sohn gibt er sich selbst. Er strahlt mit seiner Liebe wie die Sonne nach allen Seiten ab, so daß ein leicht angewärmtes Weltklima, eine allgemeine Grundstimmung des Wohlwollens entsteht. Nein, Gott tritt entschlossen in diese Welt, geht auf die Menschen zu, öffnet ihnen sein Herz und möchte, daß auch sie ihr Herz für ihn öffnen.

Man kann den Satz aus dem Johannesevangelium auch noch etwas anders betonen: Gott liebt d i e s e Welt. Es ist nicht eine Traumwelt, sozusagen nur die Schokoladenseite unsrer Welt. Er liebt die Welt, die auch am heutigen Tag so ist, wie sie ist: eine Welt voll Angst und Schrecken, voll Lieblosigkeit und Haß, voll Terror und Blutvergießen; voll armer und hungernder Menschen auf der einen Seite und voll reicher und satter Menschen auf der anderen Seite; eine Welt‚ in der Menschen auf der Flucht sind vor anderen Menschen; wo Menschen als Geiseln gefangen gehalten werden‚ wo Menschen entführt und ermordet werden, um etwas zu erpressen; eine Welt voller Gegensätze und Gefahren und vor allem voller Gräben und Grenzen.

Doch gerade diese Welt liebt Gott. Und das nicht, weil wir so edel und hilfreich und gut wären oder so unwiderstehlich liebenswert und liebenswürdig. Aber wenn Gott die Welt liebt, dann liebt er damit ja auch jeden einzelnen von uns. Dann bin ich immer mit gemeint, auch wenn ich der Ansicht bin, von Gott weit weg zu sein.

Glaube gehört allerdings dazu. Nur die an ihn glauben, werden gerettet werden. Die Hirten mußten nicht zur Krippe eilen, sie hätten sich auch weiter um ihre Schafe kümmern können.  Die Weisen aus dem Morgenland mußten dem Stern nicht folgen, ihr Wissen war sicher in ihrer Heimat sehr gefragt. Man muß nicht die Hand ergreifen, die sich einem hinstreckt. Das Gerettetwerden versteht sich nicht von selbst. Jesus kommt zwar allem in der Absicht, uns zu retten. Aber indem er kommt, findet auch das Gericht statt. Er hat es nicht gewollt; aber es ergibt sich zu seinem großen Schmerz. Wer sich nicht retten läßt, der schließt sich selber vom Heil aus und wählt das Verderben. So gibt es also ein Entweder - Oder. Aber Christus lädt uns ein, in den Strahlungsbereich seines Lichtes einzutreten. Er ist erfüllt von der Sorge, wir könnten seine Liebe ausschlagen und damit unsre einzige Chance verspielen.

Er könnte uns natürlich auch durch den Einsatz seiner göttlichen Macht zur Vernunft bringen. Aber das wäre das Ende der Liebe. Daß man die Menschen zu ihrem Glück zwingen müsse, ist eine nur allzu geläufige Überzeugung. Gott hält davon nichts. Er sucht unser Herz. Deshalb läßt er es darauf ankommen, ob wir seine rettende Hand auch ergreifen. Deshalb kommt er so bescheiden und glanzlos und unaufdringlich, wie das die Weihnachtsgeschichte schildert. Er nimmt es in Kauf, daß wir vielleicht „Nein“ sagen. Aber er will uns die Freiheit lassen für oder gegen ihn so sein. Doch das sind arme Menschen, die sich dagegen wehren, daß Gott sie liebhat.

Ein Trost ist nur, daß die Finsternis das Licht nicht dunkel machen kann. Wo aber das Licht hinkommt, da ist es mit dem Dunkel vorbei. Wer sich ins Licht stellt, der wird dann auch das Rechte tun. Er wird sich nicht nur an der göttlichen Liebe wärmen, sondern nun seinerseits versuchen, ein Stück der Liebe Gottes in der Welt wirklich werden zu lassen.

Wer sagt: „Friede auf Erden!“ der kann nicht gleichgültig bleiben, wenn es um Sein oder Nichtsein von Menschengruppen oder der ganzen Menschheit geht. Er wird seine kleinlichen Vorurteile und Haßgefühle ablegen und wissen: Gott hat alle lieb, wer sie auch seien und wie sie auch seien. Er wird im Sinne des Liedes handeln: „Gott liebt diese Welt, und wir sind sein Eigen. Wohin er uns stellt, sollen wir es zeigen: Gott liebt diese Welt!“

Das hat auch ein belgischer Pater gelernt. Er hatte den Auftrag erhalten, in einem Lager mit Aussätzigen zu predigen. Am Rande des umzäunten Lagers hatte man ihm eine Kanzel eingebaut. Von dort aus predigte er und verteilte kleine Geschenke. Aber er begreift bald, daß er die Leute in dem Lager dadurch nicht erreicht. Er predigt sie vor oben herab an, aber er gehört nicht zu ihnen; er ist ja nicht in ihrer Lage.

Da begibt er sich selber in das Lager und erklärt sich so mit den Kranken solidarisch. Aber nun darf er das Lager nicht mehr verlassen. Er steckt sich auch an und wird krank. Doch er lebt noch 15 Jahre unter seinen Leidensgefährten und predigt ihnen die Liebe Gottes und spricht ihnen Trost zu. Als sein Sarg dann wieder in die Heimat zurückgeführt wird, entblößt der belgische König sein Haupt vor ihm und sagt: „Das war einer der größten Belgier!“

Woher wird dieser Mann wohl die Kraft zu solchem Handeln genommen haben? Sie kann nur von Gott kommen. Denn nur Gott hat das Gleiche fertiggebracht. Er hat erkannt, daß er den Menschen nur helfen kann, wenn er ihnen seinen Sohn schickt. So hat sich Jesus ganz auf die Stufe der Menschen begeben.

Aber damit stand auch allen deutlich vor Augen: Gott hat sich für die Menschen entschieden. Jetzt ist nur noch die Frage: „Wie werden s i e sich entscheiden: für oder gegen ihn?“ Der Weg zu einer Entscheidung f ü r ihn steht aber offen. So geht es an Weihnachten nicht um gutes Essen und große Geschenke, nicht um wehmütige Erinnerungen oder unrealistische Hoffnungen, sondern um die frohe Botschaft, die allem Volk widerfahren soll: „Also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn gab, auf daß alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben!“

 

Joh 3,16 (Christvesper, Variante 2)

Umfrage. Was erwarten Sie von Weihnachten?

(1.) Das Fräulein aus dem großen Geschäft an der E>Was Weihnachten bedeutet? Kurz gesagt: eine große Hetze! Je näher das Fest kommt, desto toller wird es. Daß die Leute auch immer in den allerletzten Tagen einkaufen! Und an die geschäftsoffenen Sonntage mag ich schon gar nicht denken! Das geht vom Morgen bis zum Abend in einer Tour. Und Weihnachten selbst? Nun, da will ich einmal ausschlafen und ausruhen nach all der Jagd.  Und am zweiten Feiertag, da will ich mich amüsieren. Ja, das will ich!

 

(2.) Der dicke Herr von gegenüber:

Was mir Weihnachten bedeutet? So schrecklich viel ist da nicht dran! Meine Frau allerdings schafft da immer eine fette Gans auf den Tisch. Und - nicht wahr - mit ‚nem anständigen Tröpfchen Wein ist das auch nicht zu verachten! Und hinterher eine dicke Zigarre! Doch, doch - Weihnachten ist ganz nett. Man lebt mal ein paar Tage gut.

 

(3.) Die Witwe im Dachgeschoß:

Was mir Weinachten bedeutet?  O, da brechen alle alten Wunden auf! Da stecke ich mir ein Bäumchen an und träume. Da denke ich an die vergangenen Zeiten, wie mein Mann noch lebte und wie die Kinder noch klein waren. Und dann weine ich ein wenig, während die Kerzen so traurig verlöschen.

 

(4.) Der Oberschüler:

Hoffentlich schenkt mir der Alte oder das Christkindchen - mir ist es gleich - endlich ein Moped. Da könnte ich endlich einmal fort und könnte mir ein schönes Leben machen.

 

(5.) Einer: Was mir Weihnachten bedeutet? - Nichts!

 

Eigentlich haben sie alle nichts von Weihnachten begriffen. Muß es denn immer so eine Hetze sein wie bei dem Fräulein im Geschäft? Gewiß, es muß in diesen Tagen jeder hart arbeiten, es geht ja auch auf das Jahresende zu und der Geschäftserfolg muß erst noch gesichert werden. Manche wollen auch vorarbeiten, damit sie in der Zeit zwischen den Jahren arbeitsfrei haben. Auch die Hausfrau stellt die ganze Wohnung auf den Kopf und will alles aufs Beste in Ordnung haben. Selbst die Pfarrer haben an Weihnachten allerhand zu tun.

Aber man braucht doch euch einmal einen Ruhepunkt in all der Hetze. Und wenn auch die Adventssonntage nicht dazu gereicht haben, dann wird es jetzt spätestens Zeit, daß Weihnachten wird. Das heißt: Weihnachten wird es ja auch ohne unser Zutun. Aber es geht ja darum, daß es bei jedem Einzelnen von uns Weihnachten wird. In dieser Stunde wird nun ein Schlußpunkt gesetzt, j e t z t sollte jeder zum Frieden des Weihnachtsfestes finden können oder schon gefunden haben.

Zum Weihnachtsfest gehört natürlich auch etwas Gutes zum Essen und Trinken. Machen wir uns doch nichts vor: Jeder, der es sich einigermaßen erlauben kann, hat doch eine Gans oder etwas Ähnliches im Kühlschrank. Dagegen ist ja auch nichts zu sagen. Zu einer Festlichkeit gehört auch ein Festessen. Man sollte diese Äußerlichkeiten nicht unterschätzen, denn sie helfen auch, so einen Tag zu einem eindrücklichen Erlebnis zu machen.

Aber sie sind ja nicht das Entscheidende. An Weihnachten geht es doch um mehr. Wenn das ganze Fest nur aus Fressen und Saufen bestehen soll und hinterher der Magen verdorben ist, dann ist das doch bedauerlich. Dann braucht man auch kein Weihnachten zu feiern, denn gut essen und trinken kann man auch an einem anderen Tag genauso gut.

Sinnvoller ist es da schon, von dem „Fest der Familie“ zu reden. „Weihnachten ist ganz nett!“ hat der dicke Herr gesagt. Warum sollte man da nicht auch einmal nett zueinander sein, vor allem im Familienkreis? Weihnachten bietet so viele Möglichkeiten dafür. Aber das ist noch längst nicht alles.

Ganz anders sieht es bei der Witwe im Dachgeschoß aus. Sicher hat sich mancher unter uns in ihr wiedererkannt. Es geht ja vielen genauso, daß sie gerade an Weihnachten ihre Einsamkeit spüren. Sicher hat doch mancher vorhin gedacht: Diese Witwe feiert ein richtiges Weihnachten. Sie setzt sich doch wenigstens besinnlich hin, sie hat ein Bäumchen und sieht in die Kerzen. Aber woran denkt sie? Sie träumt von vergangenen Zeiten, sie denkt an Mann und Kinder, sie gibt sich nur ihrem Schmerz hin. Aber sie sieht nicht nach vorne. Sie spürt nichts von der wahren Freude des Weihnachtsfestes. Sie hat keine Zukunft vor sich, es bleibt trostlos bei ihr.

Natürlich hat diese Witwe ein schweres Los. Aber sie hat noch nicht begriffen, daß Jesus auch ihre Dunkelheit erhellen kann, daß er gerade für ihre Einsamkeit da ist. Die wehmütigen Gedanken seien ihr nicht verwehrt. Aber vielleicht könnte sie doch auch Hilfe finden, wenn

sie in der Bibel läse und sich zur Gemeinde hielte. Ohne Hoffnung kann man nicht leben. Aber Christus ist diese Hoffnung, auch für eine einsame alte Witwe.

Der Oberschüler hat solche Probleme nicht. Er denkt nur an die Geschenke bzw. an d a s Geschenk, was für ihn unbedingt an Weihnachten da sein muß. Mit den Geschenken sind wir ja heute nicht mehr bescheiden. Ein paar Hundertmarkscheine gehen schon drauf.  Aber ist das alles, worum es an Weihnachten geht? Geschenke gibt  es doch auch zu anderen Gelegenheiten. Und soll es erst soweit kommen, daß das ganze Fest verdorben war, wenn das gewünschte Geschenk nicht unter dem Baum stand?

Dabei wollen wir nicht vergessen, w i e es zu dieser Sitte des Schenkens an Weihnachten kam. Wir schenken doch nicht ohne Grund. Unsre menschlichen Geschenke sind doch nur Erinnerung an das eigentliche Geschenk, das Gott uns allen gemacht hat: Er hat uns seinen Sohn geschenkt. Das ist das Zentrum des Weihnachtsfestes, oder sagen wir besser: die Mitte des Christfestes, denn um Christus geht es!

Darüber wollen wir uns jetzt noch einige Gedanken machen; denn wer das nicht begriffen hat, für den ist heute kein Weihnachten. Um die fünfte Äußerung brauchen wir uns ja nicht zu kümmern: Wem Weihnachten überhaupt nichts bedeutet, dem ist eben nicht zu helfen. Wir aber wollen auf diesen Vers aus Johannes 3,16 hören: „Also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn gab, auf daß alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben!“

 

 

Joh 3, 31 - 36 (Christfest I):

Ein ungewöhnlicher Predigttext für Weihnachten. Er läßt Vieles vermissen, was uns etwa die Weihnachtsgeschichte des Lukas so vertraut macht. Wir hängen doch sehr an den anschaulichen Bildern von der Volkszählung, der Herbergssuche, dem Nachtquartier im Stall, der Engelerscheinung bei den Hirten und der stillen Anbetung des Kindes.

All das fehlt hier und ist anscheinend einer starren und dogmatischen Aussage gewichen. Auf den ersten Blick kann man nichts Weihnachtliches an diesem Text finden. Aber gerade wenn das Drum und Dran wegfällt, könnte das Wesentliche umso besser hervortreten, nämlich

den Einbruch Gottes in diese Welt durch seinen Sohn.

Johannes versucht‚ hinter dem: Vordergründigen das Hintergründige aufzuhellen. Er will uns helfen, nicht bei den äußerlichen Begebenheiten stehenzubleiben, wozu gerade das Weihnachtsfest so leicht verleiten kann. Wir sollen vielmehr der Tat Gottes selbst ein wenig näher kommen, so unfaßbar sie im Grunde auch ist.

Auch bei den anderen Weihnachtstexten merkt man ja, wie sehr die Menschen ins Stammeln kommen, wenn sie das große Geheimnis beschreiben wollen: Dieser Jesus von Nazareth kommt von Gott, er ist ein wirklicher Mensch, und doch ist ihm die Macht über alles gegeben. Wir sind für unser Leben darauf angewiesen, daß Gott in Jesus auch in diese Welt gekommen ist.

Dieser Bibelabschnitt will die Freude darüber wecken, daß Gott zu uns redet und uns errettet.

Deswegen sind die Weihnachtsgeschichten der anderen Evangelisten nicht überflüssig. Wir haben auch keinen Grund, so wie die „Zeugen Jehovas“ auf die Feier des Weihnachtsfestes zu verzichten. Gewiß steht nicht in der Bibel: Am 24./25. Dezember sollt ihr das Fest der Geburt Jesu begehen! Aber es ist doch recht, daß wir uns einmal im Jahr diese Tatsache vergegenwärtigen, die das ganze Jahr über gilt: Gott wurde Mensch und kam uns in Jesus von Nazareth nahe. Hier ist nicht Irgendeiner in der Geschichte der Menschheit aufgetreten, sondern hier ist eine Wende im Leben aller Menschen eingetreten.

Nicht umsonst beginnt man mit Jesus eine neue Zeitzählung. Das Johannesevangelium hat diesen Wandel am stärksten herausgestellt. Insofern ist es das am stärksten weihnachtliche, auch wenn es überhaupt keine Weihnachtsgeschichten überliefert und auch sonst sich auf das Wesentliche beschränkt. Wollen wir deshalb jetzt darauf hören, was dieser Bibelabschnitt uns über Gott, über Jesus und über die Menschen zu sagen hat.

 

(1.) Wir können von uns aus nichts über Gott und den Sinn des Lebens wissen: „Wer von der Erde ist, der redet von der Erde!“ sagt Johannes. Der Glaube an dem fleischgewordenen Gott ist eine Zumutung, der Christusglaube ist etwas grundsätzlich Menschenunmögliches. Das sehen wir ja gerade an den Menschen, die das Dasein Gottes leugnen. Ihre Weltanschauung bleibt ganz im Raum des irdischen und auf das irdische Leben beschränkt.

Luther sagte zu diesem Predigttext „Die Welt ist zweimal blind: sie erkennt ihren Schaden nicht und sie weiß nicht, wo man Hilfe suchen soll!“ Weil sie sich selber stark und gesund fühlt, fragt sie nach keinem Arzt. Aber diese Rechnung geht nicht auf: Der Mensch scheitert am eigenen Versagen, an seiner zu geringen Leistung und am Tod, der alle menschlichen Sinndeutungen zunichtemacht.

Der Schaden wird ihm erst voll bewußt, wenn der Arzt von „oben“ kommt und wirkliche Gesundheit anbietet. Alles andere ist „von der Erde her“ und keine Möglichkeit, Gott zu finden. Was wir selber erkennen und vollbringen ist immer nur eine Spielart unseres eigenmächtigen, von Gott gelösten Lebens. Selbst wenn Philosophen sich einen Gott ausdenken, dann ist das nur vom Menschen ausgedacht.

Ludwig Feuerbach hat dieses Denken ja lächerlich gemacht, als er sagte: „Wenn die Ochsen sich einen Gott machen wollten, dann würden sie sagen, Gott sieht aus wie ein Ochse!“ Ebenso aber ist auch der Gott, den wir uns so für den Hausgebrauch zurechtmachen, nicht wirklich Gott. Wer Gott wirklich ist, das können wir nur durch Jesus Christus erfahren.

 

(2.) Gott hat in Jesus zu uns gesprochen, der der Zeuge Gottes bei den Menschen ist: Das Aufregende an Weihnachten ist nun, daß der Glaube doch möglich ist. „Von oben her“ ist einer gekommen und hat der Himmel aufgerissen. Gott ist aus seiner Verborgenheit herausgetreten. Damit hat er aller Diskussionen ein Ende gemacht, ob es einen Gott gibt. Er hat einfach gehandelt und damit bewiesen: Er ist ein Gott für uns.

Wir wollen uns nicht so sehr an den Begriffen wie „oben“ und „unten“ oder „Himmel und Erde“ stoßen. Das entspricht nun einmal dem: damaligen Weltbild und der Art des Johannes. Was gemeint ist, wird jedem deutlich sein: Es gibt die beiden Bereiche des irdischen und des Göttlichen, die von uns aus nicht miteinander zu vereinbaren sind. Aber Gott hat diese Gegensätzlichkeit von sich aus durchbrochen und in Jesus den Himmel auf die Erde gebracht und damit unserem Leben einen Sinn gegeben.

Dabei geht es aber um etwas anderes als in den Göttersagen der Heiden, wo die Götter auch dann und wann einmal in Menschengestalt auf der Erde auftreten. Aber wenn sie sich in menschliche Händel verwickelt haben, dann kehren sie wieder heimlich und unversehens in ihren überirdischen Bereich zurück, ohne auf der Erde etwas Grundlegendes verändert zu haben.

Jesus aber mußte auf der Erde ausharren bis zum bitteren Ende. Wie ein Mensch, den man auf dem Mond absetzen würde und erst die nächste Rakete holt ihn wieder. Dadurch blieb aber auch der Himmel aufgetan und unser Erdenweg wird bis heute durch das Licht der Ewigkeit erhellt. Insofern ist Jesus nicht einfach der erfahrenste und bestunter­rich­teste aller Gottesmänner. Er ist unvergleichlich mehr, denn er allein kommt vom Vater.

Deswegen ist er allein auch ein sachverständiger Zeuge. Er hat selbst etwas gesehen und kann wahrheitsgemäß darüber informieren. Ihm ist Bott nicht fremd. Er denkt Gottes Gedanken. Er redet Gottes Worte. Er will, was Gott will.

Umgedreht sieht der Vater in seinem Kind sein eigen Fleisch und Blut. Jesus ist nicht bloß ein Mensch, auf den im besonderen Maß die Liebe Gottes gefallen wäre, sondern er ist der „eingeborene“ Sohn, der einzige. Seine Gottessohnschaft aber besteht nicht allein darin, daß er Gott gehorsam war. Dann wäre er nur eine Ausnahme unter den sündigen Menschen, ein Treffer unter all den Nieten. Zwischen Vater und Sohn besteht vielmehr volle Übereinstimmung und eine ungetrübte Gemeinschaft, das volle innere „Ja“ zueinander. Jesus ist und bleibt der von oben Gekommene.

 

(3.) Es gibt Menschen, die vertrauen und gehorchen Jesus und besiegeln Gottes Wort:

Gott riskiert, daß sein Zeugnis nicht angenommen wird. Er läßt uns diese Freiheit. Aber er gibt uns einen Gewährsmann, der uns sagen kann, wer und was auf uns wartet. Allerdings ist dieser Jesus nicht eine Privatperson, zu der man sich stellen kann, wie man will. Schließlich ist er der Generalbevollmächtigte Gottes. Nach ihm wird nicht noch einmal einer kommen, der ihn ablöst oder überbietet.

Deswegen ist es so wichtig, diesen Jesus als unseren Herrn anzunehmen und unter sein Zeugnis unser Siegel drücken, zum Zeichen dafür, daß wir dieses anerkennen. Unter einen Vertrag kommen Unterschrift und Siegel, nur so wird er gültig.

Es sind immer nur verhältnismäßig wenige gewesen, die sich seiner Botschaft ganz aufgeschlossen haben. Auch wenn wir uns zu diesen rühmlichen Ausnahmen rechnen, so haben wir uns doch immer wieder ehrlich zu prüfen, ob wir dann nicht viel offenkundiger mit unserem Lebenszeugnis unter Beweis stellen müßten, welchem Herrn wir gehören.

Das ist nicht nur eine Aufgabe für Menschen wie Albert Schweitzer oder Martin Luther King, Jeder von uns kann zum Siegel für die Wahrheit Gottes werden. Dazu tu er uns aber erst einmal sein Siegel aufprägen.

 

(4.) Wer an Jesus glaubt, gewinnt ein erfülltes Leben und wird selber zum Siegel für die Wahrheit Gottes: Wie wir heute uns zu Jesus stellen, das entscheidet darüber, ob und wie wir einst im jüngsten Gericht bestehen werden. Gott will durch Jesus eine dauernde Lebensverbindung mit uns herstellen, die auch durch den Tod nicht abreißt. Ewiges Leben bedeutet aber nicht die Fortsetzung unseres irdischen Daseins bis ins Unendliche hinein; das wäre für mancher sicherlich eine Qual. Es geht vielmehr um die Durchdringung von Zeit und Ewigkeit durch Gottes Gegenwart mitten unter uns. Der Helfer ist doch schon da.

Wir sind in einer Lage wie ein Bergsteiger, der sich verstiegen hatte und in gefährlicher Lage in der Steilwand hing. Aber von oben war bereits ein Seil herabgelassen und hatte die Höhe des Kletterers erreicht. Er könnte auf die Hilfe des Seils verzichten und im Vollgefühl seiner Kräfte sich selber zu retten versuchen. Er könnte sich auch in letzter Verzweiflung der Strick um den Hals legen und sich einreden, daß dann alles aus sei. Aber das Nächstliegende ist doch, daß er das Seil ergreift, es unter den Armen befestigt und darauf vertraut, daß er hochgezogen wird. So kommt es bei uns nur darauf an, die Rettung anzunehmen, die von oben kommt.

 

 

Joh 4, 5 – 14 (3. Sonntag nach Epiphanias):

„Cola, Fanta, Sprite“, das hilft gegen den Durst, will uns die Werbung weismachen. Aber gibt es etwas Besseres als klares Wasser aus einer richtigen Quelle? Wenn man im Sommer in der Hitze einen Berg hinaufgestiegen ist und man findet eine Quelle, dann kann man den Durst stillen. Das Wasser kommt vielleicht aus einem Hochmoor, ist sehr weich und angenehm kühl. Es kühlt die Unterarme und - natürlich vorsichtig genossen wegen der Kälte - löscht es vorzüglich den Durst, viel besser als süße Limonade oder saurer Apfelwein.

Der leibliche Durst nach Wasser ist bei Johannes aber immer gleich Sinnbild für den Durst nach Leben, nach einem erfüllten Leben. Und dieser Durst wird deutlich am Streben nach Geld. Diese Sucht steckt in uns allen drin. Möglichst wenig tun, aber möglichst viel verdienen, das ist so das Ziel. Besonders stark ist dieses Streben offenbar bei denen, die schon allerhand haben.

Das sagt ein Fußballschiedsrichter: „Ich wollte halt leicht nebenher viel Geld verdienen!“ Er sah die dicken Autos vor dem Café und wollte auch gern mit seinen neuen Freunden mithalten. Oder da gibt sich die Chefin einer Krankenkasse selber eine Sondervergütung von 60.000 Euro. Die beiden Stellvertreter mußten zustimmen; was wollten sie auch anders tun, wo sie doch von ihr abhängig waren. Leute, die schon sehr viel verdienen auf Kosten der Beitragszahler, die lassen sich noch zusätzlich so viel geben, wie andere in zwei Jahren verdienen.

Dahinter steht die Angst, das Geld könnte nicht reichen. Der übertriebene Lebensstandard soll ja auch im Alter noch gehalten werden. Das ist wie bei jener Frau, die ihr viel zu großes Anwesen für 1,5 Millionen Mark verkauft hatte und nun jedermann von ihrer Angst erzählt, sie könnte dennoch arm werden.

Eine Frau hatte ihr ganzes Leben über sparsam gelebt, um später einmal als Rentnerin ihr Leben genießen zu können. Aber als sie 59 Jahre alt war, stellte sich heraus, daß sie an einer unheilbaren Krankheit litt. Wenige Tage vor ihrem 60. Geburtstag ist sie gestorben. Pech gehabt, sagen wir vielleicht. Aber es geht auch darum, an welchen Werten wir unser Leben ausrichten.

Wer Geld hat, der hat auch Macht. Und in einem heißen Land wie Palästina ist Wasser eine Kostbarkeit. Wer über Wasser verfügt, hat Macht. Wer über die Quellen verfügt, der läßt das den anderen spüren und setzt seine Macht ein. Das gilt für das Erdöl und die anderen Bodenschätze, aber auch für das Trinkwasser, das weltweit zu einem kostbaren Gut geworden ist und das vielleicht noch einmal zu schrecklichen Kriegen führen wird. Wir achten das Wasser wenig, weil wir bisher noch ausreichend haben.

Aber Jesus bekommt seine Abhängigkeit zu spüren. Da ist eine Frau, die sitzt am längeren Hebel, die kann etwas gewähren oder versagen. Das läßt sie den fremden Mann auch spüren. Er hat einen solchen Durst, daß er sich sogar überwindet, als Mann eine Frau zu bitten. Für die Juden war die Frau den Sklaven und Kindern gleichgestellt, sie gehörte nicht zur Gemeinde und wurde nicht im Glauben unterwiesen.

Und dazu ist sie noch eine Vertreterin der Samaritaner, die zwar auch die gleiche Bibel lesen wie Jesus, aber vom rechten Glauben abgefallen sind. Deshalb haben die Juden keine Gemeinschaft mit den Samaritanern („Samaritern“). Aber in der Not muß der Jude Jesus seinen jüdischen Standpunkt aufgeben.

So denkt die Frau, vielleicht nicht ohne Schadenfreude. Aber Jesus überschreitet bewußt eine Schwelle, um auch gegenüber dieser Frau seinen Auftrag zu erfüllen. Er gibt der Frau ihre Würde als Mensch Gottes, er nimmt sie ernst und spricht mit ihr, auch über Glaubensdinge, gewissermaßen seelsorgerlich. Er stößt sich auch nicht daran, daß die Frau eine bewegte Lebensgeschichte hat, wie später deutlich wird. Und er bietet ihr das Kostbarste an, das er hat: lebendiges Wasser.

Die Frau lobt das frische Quellwasser aus dem Brunnen. Sie betont, daß Jakob der Stammvater ihres Volkes gewesen ist (und nicht der Juden) und diesen Brunnen ihrem Volk gegeben hat. Das Wasser war für ihn gut und sein Vieh und ist auch gut für seine Nachkommen. Was soll es da Besseres geben? Wir erfahren nicht, ob Jesus sich hat satt trinken dürfen.

Viel wichtiger ist das andere, worauf es ihm ankommt: das Lebenswasser, das nur Jesu spenden kann. Der Ausdruck „lebendiges Wasser“ ist doppeldeutig: Es bedeutet zunächst ein fließendes Wasser, aber auch das himmlische Lebenswasser. Jesus will uns nicht einreden, daß wir Speise und Trank nicht nötig hätten, er hat ja seine Jünger fortgeschickt, um Nahrung einzukaufen.

Es gibt aber noch eine andere Bedürftigkeit, die gern unterschätzt oder gar übersehen wird. Das Wasser, das Jesus spendet, stillt den Durst für immer. Aber noch versteht die Frau nicht richtig. Sie sagt: „Herr, gib mir solches Wasser!“ Sie denkt immer noch an das Wasser aus der Quelle.

Aber Jesus meint ein Begehren und Verlangen, das über den äußeren Bestand des Lebens hin­ausgeht. Es geht nicht um ein paar Annehmlichkeiten im täglichen Leben. Wir lassen uns zwar die Erfüllung dieser Bedürfnisse einiges kosten. Aber alles, was wir genießen, will auch erarbeitet sein. Aber vielleicht können wir uns das alles eigentlich längst nicht mehr leisten, was wir genießen und erstreben, weil wir zu sehr auf Kosten der Schöpfung und der nachfolgenden Generationen leben.

Vergessen wir nicht: Das System „Welt“, innerhalb dessen wir an uns reißen, was uns glücklich machen soll, ist abhängig vom Schöpfer. Die Gabe Gottes ist aber nicht nur unser natürliches Dasein. Wir müssen durstig bleiben, wenn wir immer nur mit dem rechnen, was wir selbst fertiggebracht haben. Wann werden wir aber da sein, daß wir sagen können: So, jetzt habe ich es geschafft, jetzt habe ich erfüllt, was Gott von mir erwarten konnte?

Und selbst wenn ich es schaffen könnte, dann bliebe ich auch in meinen Erfolgen nur ein von Gott Beschenkter. Warum pochen wir nur immer so auf die Statistik unserer Erfolge? Warum diese Selbstbespiegelung, dieses Selbstlob und die Gier nach Beifall? Jesus sagt zu der Frau: „Wenn du erkenntest die Gabe Gottes!“ Das wirkliche Leben ist Geschenk, Gabe Gottes. Was für ein Aufatmen gäbe es, wenn uns das wirklich aufginge!

Dann würden sich auch die Rollen vertauschen. Auf einmal ist Jesus der Geber und zugleich die Gabe. Wir brauchen ihn nur zu nehmen. So wie die Frau müssen wir zweierlei entdecken: Es genügt nicht, den Durst im körperlichen Sinn zu löschen, sondern es bedarf eines Lebens aus Gott. Und wir müssen den entdecken, in dem wir dieses Leben aus Gott finden. Wie sehr man Gott braucht, merkt man dann, wenn man ihn findet.

Die Frau erfährt in der Begegnung mit Jesus die Zuwendung der Liebe Gottes. Wir sehnen uns doch alle danach, daß uns jemand liebhat. Wir dürfen uns aber dieses Lebenswasser wünschen - und wir bekommen es auch. Das darf gerade auch der erfahren, der in einer besonderen Not ist, zum Beispiel wer an einer Krankheit leidet oder einen kranken Angehörigen hat. Wir gehen zwar sonst auch zum Gottesdienst. Aber in einer solchen Lage brauchen wir ihn doch ganz besonders als lebendiges Wasser.

Wenn wir Jesu Liebe erfahren und auch die Liebe anderer Menschen annehmen, dann stellt sich etwas Erstaunliches ein: Wer beschenkt ist, der kann selber zur Quelle für andere werden.

Man muß es ja nicht so machen wie die ältere Frau, die von Studenten in Marburg als „die Heilige Elisabeth“ genannt wurde, weil sie mit Vornamen Elisabeth hieß. Bei jedem Vortrag stellte sie dem Redner ein Glas Wasser hin, bei jedem Ausflug schenkte sie an die Mitreisenden Wasser aus ihrer Feldflasche aus. Die meisten trinken dankbar, wissen aber nicht, daß es sich dabei um so eine Art „Privatsakrament“ der Frau handelte sie: Sie hatte das Wasser aus der Elisabethquelle in der Nähe eines Dorfes bei Marburg geholt, es zum „heiligen Wasser der Liebe“ erklärt und gemeint, wenn man nur dieses Wasser trinkt, dann wir man automatisch ein guter und gläubiger Mensch.

Aber so ganz falsch ist so eine Handlung nun auch wieder nicht. Es geht aber nicht um das Wasser aus der heiligen Quelle, sondern um das Lebenswasser, das Gott uns gibt. Das kann in der Tat Menschen verwandeln. Wir kennen vielleicht solche Menschen, von denen befreiend und ermutigend Leben ausgeht. Sie erquicken uns, sie muntern uns auf, die bauen uns auf, weil das von Gott gespendete Leben durch sie hindurch weiterströmt.

Dieses Leben sprudelt und mündet sogar ins ewige Leben, es bewirkt eine Lebendigkeit, die bis ins ewige Leben reicht. Was Jesus ist und uns gibt, das reicht weit über das Heute hinaus. Was diese Frau am Jakobsbrunnen erfahren hat, das ist allen zugedacht, auch den Fremden. Was Jesus zu bringen hat, das ist er allen schuldig. Seine Liebe durchbricht alle Schranken des Herkommens und der sozialen und religiösen Stellung.

Wir sind schnell dabei, Unterschiede festzustellen und festzuschreiben, den anderen herabzusetzen und zu verachten, weil er anders denkt und lebt und glaubt. Aber wenn wir Menschen nur an uns selbst messen und in unser Schema pressen wollen, dann wird Gemeinschaft unmöglich gemacht oder zerstört. Keiner hat dem anderen etwas voraus, wir sind alle grundlos geliebt.

 

Joh 4 , 19 – 26 (Pfingsten II):

Brauchen wir unser Kirchengebäude noch? Es macht sehr viel Mühe und kostet viel Geld, es zu erhalten. Viele in unserem Ort würden sicher sagen: Wir brauchen sie noch, denn hin und wieder kommen doch einmal einige hundert Leute hier zusammen, so daß die Kirche einigermaßen voll erscheint. Aber es gibt auch Orte, wo von den 800 Sitzplätzen in der Kirche an einem gewöhnlichen Sonntag nur 20 besetzt sind.

Könnte man da nicht manche Kirche verkleinern oder gar ganz abreißen? So wie im Mittelalter manche Kirche zur Ruine wurde, so könnte es auch Kirchenruinen aus dem 20. Jahrhundert geben. Man überlegt sich jedenfalls schon ernsthaft, die eine oder andere Kirche aufzugeben. Heute feiern wir den Geburtstag der Kirche. Aber müssen wir uns nicht vielleicht eher überlegen, wie wir sie möglichst elegant beerdigen?

Aber was sollen wir machen, wenn wir kein Kirchengebäude mehr haben? Gibt es dann auch keine Gemeinde mehr? Nun, das muß nicht unbedingt so sein. Eine Gemeinde Jesu Christi ist nicht an eine bestimmte Form des Gotteshauses gebunden. Man kann auch in einem gewöhnlichen Zimmer zusammenkommen und Gottes Wort hören und zu Gott beten, die Äußerlich­keiten machen es nicht.

Aber vielleicht wird dann auch der Gottesdienst etwas anders aussehen als sonst üblich. Dann wird nicht mehr einer allein reden können, sondern dann wird man gemeinsam die Fragen des Glaubens besprechen. Dann kann keiner mehr nur Zuschauer sein, sondern jeder wird beteiligt sein mit Gesang, Gebet und Auslegung. Und man wird sich auch überlegen müssen, wie man nach dem Gottesdienst als Christ leben will, wo die Aufgaben und Probleme sind, die die christliche Gemeinde etwas angehen.

Man kann jedenfalls fragen, ob unsre jetzige Art des Gottesdienstes nicht ergänzungsbedürftig ist. Es ist eine Form des Mittelalters, die damals sicher richtig war. Aber erfordert unsere Zeit nicht auch andere Wege? Vielleicht wird auch ein Zusammenrücken der verschiedenen Kirchen notwendig werden. Wir stehen doch weitgehend den gleichen Problemen gegenüber. Was soll denn da noch der Streit, wer den wahren Glauben hat und in welche Kirche die Christen gehen sollen?

Jesus jedenfalls sagt: Vielleicht werden die heiligen Stätten und die Gotteshäuser einmal zerstört. Dann ist doch der ganze Streit, wer das richtige Gotteshaus hat, gegenstandslos. Die Samariter hatten sich mit Heiden vermischt, die Juden ließen sie deshalb nicht am Tempel mitbauen. Da bauten sich die Samariter einen eigenen Tempel auf dem Berg Garizim bei Sichem. Und von dem Tag an ging der Streit, wo denn nun die rechte Art der Anbetung Gottes sei: In der Stadt Davids oder in Sichem, wo Abraham, Jakob, Joseph und Josua waren. In Sichem kann man auf die älteren Traditionen verweisen. Deshalb gib es bis heute Leute in Israel, die dort wieder siedeln wollen. Der Berg war damals das Symbol für der Ort, wo Gott sich offenbart, die Stelle, wo man mit Gott in Verbindung kommt, wo man ihn verehren und anbeten kann.

Für Jesus aber ist dieser Streit zwischen den Konfessionen überholt. Er sagt: „Es kommt die Zeit, daß die wahrhaftigen Anbeter werden den Vater anbeten im Geist der Wahrheit!“ Das Heil kommt zwar von den Juden, aber nicht durch den Tempel in Jerusalem, sondern durch Jesus, der ein Jude war und der neue Tempel Gottes ist. Wer also Gott anbeten will, der braucht dazu nicht einen heiligen Ort, sondern er braucht sich nur an Jesus zu halten. Dort ist der wahre Ort der Anbetung.

Das ist die Erkenntnis, zu der die Frau am Brunnen durchstoßen soll. Jesus hat ihr auf den Kopf zugesagt, wie das mit ihrer fünf Männern war, und mit dem sechster, mit dem sie nun zusammenlebt. Im Grunde war es ein ziemlich sinnentleertes Leben. Die Frau staunt über das wunderbare Wissen Jesu, aber sehr tief geht ihre Erkenntnis noch nicht. Sie versucht, von den kritischen Punkten ihres Lebens abzulenken und die Sprache auf ein religiöses Sachthema zu bringen. Doch Jesus will sie ganz woandershin führen: Sie soll Gott verstehen und natürlich auch den, der vor ihr steht.

„Gott ist Geist, und die ihr anbeten, müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten!“ Das ist Jesu Antwort auf die Streitfrage zwischen Juden und Samaritern. Das heißt aber nun nicht, daß Gott auf rein „geistige“ Weise verehrt werden sollte, ohne Gemeinde und Sakramente, ohne Sichtbares und Greifbares.

Die geistigen Schichten des Menschen, selbst seine höchsten Gedanken und seine Religion bleiben immer noch im Bereich des Menschlichen. Da bleibt man immer noch im eigenen Lebenskreis. „Im Geist anbeten“ heißt aber: an den göttlichen Stromkreis angeschlossen sein. Gott bleibt immer der ganz andere, er muß sich von sich aus zeigen. Aber in Jesus ist er uns ganz nahe gekommen.

Durch Jesus ist Gott in die Geschichte der Menschen eingegangen, er ist ein konkreter Mensch in einem ganz bestimmten Volk geworden. Also nicht Geist, sondern Fleisch und Blut, wie es im Abendmahl bis heute Mittelpunkt des Gottesdienstes ist. Heute ist er allerdings nicht mehr lokal gebunden. Durch seine Erhöhung ist er vielmehr weltweit einschränkt und kann mit seinem Wort und in den Sakramenten überall hinkommen. Aber dadurch kommt erst recht keiner mehr an Jesus vorbei. Hatte Jakob in Bethel die Kontaktstelle zwischen Him­mel und Erde entdeckt, dann ist für uns nur Jesus die Kontaktstelle zu Gott.

Natürlich soll hier nicht aufgefordert werden, die Kirchen abzureißen und die bisher üblichen Gottesdienste abzuschaffen. Natürlich wohnt Gott nicht in Gebäuden aus Stein und natürlich ist unsre Form des Gottesdienstes nicht die alleinseligmachende. Aber wir nehmen das doch dankbar hin als eine Möglichkeit, mit unseren Mitteln, Antwort zu geben auf das Wort Gottes.

Es ist sicher doch ein Unterschied, ob man zu Hause bei der Hausarbeit einen Radiogottesdienst mithört oder ob man alles andere abschaltet und hier ins Gotteshaus kommt, um nichts anderes zu tun als Gott anzubeten und auf ihn zu hören. Diese äußeren Umstände sind nicht gleichgültig, sondern sie sind eine Hilfe für die innere Sammlung und Aufmerksamkeit. „Anbetung im Geist“ heißt nicht, daß man sonntags ausschlafen kann. Gott erschließt sich uns mittels irdischer Dinge; dazu gehören auch die entsprechenden Gebäude und so etwas wie „heilige Orte“.

„Gott ist Geist“ bedeutet aber: Gott gehört nicht zum Bereich der Welt und wird von der Welt aus nie erreicht. Natürlich ist er in der Welt, aber man kann seiner nicht mit menschlichen Mitteln habhaft werden. Aller menschlicher Gottesdienst steht in der Gefahr, vom Menschen und von seiner Leistung her zu denken und nicht vom Geist und von der Wahrheit her.

Wenn man Gott nur ein schönes Haus baut, um ihn daran zu binden und um über ihn verfügen zu können, dann bleibt das doch alles im Menschlichen stecken. Nicht wir tun Gott einen Dienst, sondern zuerst tut Gott uns einen Dienst. Das ist die wahre Bedeutung des Wortes „Gottesdienst“.

Gott handelt also zuerst. Gerade an Pfingsten wird das ja deutlich. Gottes Geist ist wie ein Wind, der uns durch die Luft trägt und bei der Wahrheit niedersetzt. Wie der Wind entsteht, wissen wir nicht. Wir wissen auch nicht, woher er kommt und wir können ihn nicht selber machen. Aber er ist da und wir spüren ihn deutlich.

So ist uns auch der Geist Gottes zunächst unbegreiflich. Nur das eine müssen wir wissen: Er kommt von Gott! Aber ist uns das wirklich so wichtig? Brauchen wir das unbedingt zu wissen, wo wir Gott finden, mit ihm reden und ihn anbeten können? Ist das für uns nur eine Sache unter anderen oder ist das d i e Sache unseres Lebens, ohne die unser Leben keinen Sinn hat? Wirkt sich nicht die Gleichgültigkeit gegenüber Gott und Gottesdienst um uns herum doch auch lähmend bei uns aus? Ist der Gottesdienst wirklich eine lebenswichtige Angelegenheit? Kann man Gott nicht auch suchen und finden ohne Gottesdienst? Können Wir Gott nicht auch finden im Herzen oder im stillen Kämmerlein oder in der Natur?

Die Frau am Brunnen wartet wie ihr ganzes Volk sehnlichst auf den Messias, und dabei steht er vor ihr. Aber ohne diesen Jesus kann man Gott nicht finden. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel treffen diese Frau die beiden Worte: „Ich bin es!“ Aber so kann es auch uns leicht ergehen: Wir meinen, wenn wir zum Gottesdienst gehen, dann hätten wir Christus. Aber wir können kurz vor ihm stehen und ihn doch nicht erkennen. Das viele Kirchengehen macht es sicherlich noch nicht. Aber es hilft sicherlich doch, Jesus nahe zu kommen und nach seinem Willen zu leben. Die Chancen, ihm zu begegnen, sind jedenfalls groß. Zumindest aber können wir darum beten, daß er zu uns kommen möge.

Gott läßt sich nicht in einen bestimmten Raum einschließen, nicht in den Tempel in Jerusalem, nicht in den Petersdom in Rom, nicht in eine Lutherkirche und nicht in unsere Kirche. Aber er ist da, wo sich zwei oder drei in seinem Namen versammeln. Wenn wir sein Wort

hören und die Sakramente feiern, da greift Gott nach unsrem Herzen und schließt es auf. Jeder Gottesdienst kann immer nur der Freude über das Wunder seiner Gegenwart Ausdruck geben. Hier können wir vorwegnehmend hören und sehen, schmecken und fühlen, daß Gottes Zeit schon angebrochen ist.

Und unsre Antwort ist Anbetung im Geist und in der Wahrheit, ist Lob und Dank. Doch diese Anbetung ist nicht mit dem Gottesdienst zu Ende. In der Fürbitte nehmen wir die        mit hinein in den Gottesdienst, aber wir nehmen den Gottesdienst auch mit hinein in die Welt, so wie Jesus hier mit einer „Außerstehenden“ spricht; für ihn gibt es kein drinnen und draußen. Bewährung in der Welt ist nicht die Alternative zum Gottesdienst, sondern seine Fortsetzung. Deshalb können wir nur darum bitten: Gottes Geist möge wie ein frischer Wind in unsere Gottesdienste einbrechen und von dort kräftig in die Welt hineinwehen.

 

 

Joh 4, 46 – 54 (3. Sonntag nach Epiphanias):

„Das Wunder ist des Glaubens liebstes Kind“, sagt man. Manche Leute meinen, der Glaube habe es in erster Linie mit Wundern zu tun. Er entstehe aus Wundern und er bringe Wunder hervor. Ohne Wunder könne man nicht glauben Wenn Gott mehr eindeutige Wunder täte, würden auch mehr Leute glauben.

Ein Engländer schreibt in einem Buch, wie die Menschen reagieren, wenn wirklich ein Wunder geschieht. Da ist ein Priester, der sich über einen Tanzpalast gegenüber seinem Haus ärgert. Dieser ist für ihn der Inbegriff der Verführung und der Sünde. Deshalb bittet er Gott, daß der Tanzpalast auf eine einsame Insel draußen vor der Küste versetzt wird. Das „Wunder“ (in Anführungsstrichen) geschieht auch. Aber nach dem ersten Schreck läuft alles so weiter wie bisher. Die Menschen gehen nach wie vor in den Tanzpalast, nur ist halt jetzt der Weg ein wenig weiter und umständlicher. Keiner hat sein Leben geändert, keiner ist wegen des Wunders zum Glauben gekommen. Am Schluß wird der Tanzpalast wieder an seinen alten Platz versetzt.

Auch Jesus hat bei seinen Zeitgenossen Wundersucht vorgefunden.  Er soll ihnen erst vordemonstrieren, was er kann, dann wollen sie ihn auch als einen Besonderen anerkennen. Das Neue Testament aber macht deutlich: Der Glaube braucht kein Wunder, der Glaube erfährt des Wunder, Christus ist das Wunder.

 

1. Der Glaube braucht kein Wunder:

Wer seinen Glauben auf das Außerordentliche aufbauen will, sucht eine Direktwahrnehmung Gottes. Gott soll nicht in Niedrigkeit und Unscheinbarkeit eingehüllt sein. So etwas wie die Geburt des Gottessohnes in der Krippe ist dann eine unmögliche Zumutung. Man will Gottes Wirken zweifelsfrei feststellen können. Man will sicher gehen. Also nur ein Barzahlungsgeschäft und keine unsicheren Wechsel auf die Zukunft.

Vertrauen aber wagt es mit dem anderen. Wenn man über eine Brücke geht oder fährt, braucht man kein Vertrauen. Man weiß: Die Bauleute haben richtig berechnet, die Brücke ist ordentlich gebaut worden und wird von Zeit zu Zeit überwacht; sie hat sogar noch einen großen zusätzlichen Sicherheitsbereich.

Doch schon bei einem Menschen bedarf es des Vertrauens. Beim Ehegatten wäre Kontrolle geradezu Zerstörung der Gemeinschaft, denn sie wäre ein Zeichen des Mißtrauens. Bei Jesus würde das Verlangen nach Wundern einen Glauben, der sich auf die Person Jesu gründet, unmöglich machen.

In dieser Geschichte von der Heilung des Sohnes eines königlichen Beamten ist sogar ein Drang nach Steigerung des Wunders zu verspüren. So sieht es jedenfalls auf den ersten Blick aus, wenn es hier sogar zu einer Fernheilung mit einer Reichweite von 26 Kilometern kommt. Jesu Wort, daß der Sohn lebt, und das Weichen des Fiebers sind gleichzeitig zu denken. Daß die Heilung „gestern“ erfolgte brauchte dagegen nicht so wunderbar zu klingen, weil für die

Juden der Tag um 18 Uhr begann und also nur 6 Stunden Unterschied zu sein brauchen.

Aber der Glaube braucht keine Wunder.  Errichtet sich auf die Person und nicht auf das, was bei ihr zu holen ist. Er weiß sich von Jesus angesprochen und geliebt. Da ereignet sich Gemeinschaft auf du und du. Es entsteht Vertrauen. Das, was eigentlich unmöglich sein müßte, geschieht nun: Jesus vertraut mir und ich vertraue ihm. Das Schönste, was zwei Menschen miteinander verbinden kann, ist das Vertrauen zueinander. Dann sagt man: Mit dir wag ich es gerne! Ich brauche dazu keine Beweise und keine Tests, keine Versuchsstrecken und Probebelastungen. Du hast mir einfach das Herz abgewonnen.

Wenn Jesus wirklich ein umwerfendes Zauberkunststück vollbrächte, dann müßte man ihm dann tatsächlich folgen, nachdem man sich vorher dazu verpflichtet hatte. Was aber, wenn unser Herz dann dennoch „Nein“ sagt? Es könnte doch sein, daß ein solches Wunder nachher gar nicht die Wirkung hat, die wir uns von ihm erhofft haben, daß wir dennoch nicht glauben können.

Jesus will uns nur in Freiheit haben. Wenn sich jemand von Sensationen abhängig macht, dann läßt er nicht das Herz und den Willen sprechen. Das Trachten nach Schau-Erfolgen führt auch an der Christuswirklichkeit vorbei. Gott hat nun einmal gewollt, daß alle Machtfülle tief ins Irdische verborgen ist. Wer aber Wunder verlangt, versucht‚ diese Verborgenheit wenigstens an dieser oder jener Stelle aufzureißen. Aber von außen her kommt man an das Geheimnis der Person Jesu nicht heran.

Der Glaube bedarf der Zeichen nicht. Er gründet in einer Christuserfahrung, die nicht auf der Ebene der Tatsachen zu gewinnen ist. Glaube ist ein inneres Geschehen. Dabei zieht der Vater, der Sohn ruft und der Heilige Geist beglaubigt. Der Funke springt über von Christus auf uns. Wir brauchen gar keine sensationellen Zauberkunststückchen.

 

2. Der Glaube erfährt das Wunder;

Jesus sagt halb ärgerlich Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht, so glaubt ihr nicht! Aber in diesem Fall könnte das Mißverständnis auch bei Jesus liegen. Vielleicht wollte der Mann das Wunder ja gar nicht, d a m i t  es bei ihm zum Glauben kommt. Vielleicht glaubt er ja schon und er kommt deshalb zu Jesus, weil ihn die Not dazu treibt.

Dabei stellt er nicht so kluge Überlegungen an, wie wir sie vielleicht haben. Hat es denn überhaupt Sinn, im Krankheitsfall von Jesus die Rettung zu erbitten? Krankheit ist doch ein Naturvorgang und unterliegt den Gesetzmäßigkeiten der Natur. Man kann Krankheit mit Wirkstoffen aus der Natur bekämpfen, mit chemischen oder sonstigen Mitteln oder Methoden. Aber man kann nichts gegen sie tun mit irgendeiner Wunderkraft, sei es aus der Nähe oder gar aus der Ferne.

Oder gibt es etwa Lücken, wo Gott noch Möglichkeiten des Wirkens hat? Nein, Gott wirkt nicht in den Lücken, sondern im Ganzen. Er braucht dazu nicht das natürliche Geschehen zu zerstören, sondern er steuert es nur. Gott will seine eigene Ordnung nicht aufheben, sondern er will sie benutzen. Und das tut er eben in großer Freiheit und Überlegenheit. Die Frage ist nicht, ob Gott unser Schicksal wenden k a n n, sondern ob er es w i 1 1.

Aber man darf Jesus um Hilfe angehen. Wagemutiger Glaube traut ihm zu, daß er diesen armen Vater zu Hilfe kommen kann. Jesus läßt sich erbitten, auch wenn der Glaube des Vaters noch nicht die volle Höhe erreicht hat. Der Mann erhofft ja eine Abhilfe in  e i g e n e r  Not und Angst. Er möchte sich diesmal wenigstens noch das Leiden ersparen.

Es gibt aber auch den anderen Glauben, der Jesus auch dann preisen würde, wenn er das Kind sterben ließe. Doch der Mann lernt ja dann das Glauben. Er ist gekommen, um Jesus zu holen. Aber heimkehren muß er ohne Jesus. Er hat nur die Zusage: „Dein Sohn lebt!“ Wenn er diesem Wort vertraut, dann ist das schon ein starker Glaube.

An dieser Stellennüssen wir auch sehen, daß es mit dem Wunderhaften in der Geschichte gar nicht so schlimm steht. Von einer „Fernheilung“ kann man eigentlich nicht reden, denn Gott hat es nach Kana nicht weiter als nach Kapernaum. Und die Zusage Jesu könnte nur auf einem besseren Wissen beruhen. Jesus müßte gar nicht eingegriffen haben, er hat die Veränderung nur eher gewußt als der Vater. Also liegt der Schwerpunkt der Geschichte auf den Glauben. Und der Glaube erfährt hier das Wunder. Zu solchem Glauben aber soll uns Mut gemacht werden.

 

3. Christus ist das Wunder:

Jesus stößt nicht das Vertrauen zu seiner Person zurück. Aber er läßt auch keinen Zweifel darüber, daß dies noch nicht der Glaube ist, den er sucht. Ein Arzt hat dann den größten Erfolg, wenn er sich beim Patienten überflüssig machen kann. Bei Jesus ist das anders. Da entsteht eine Dauerbindung, denn er will nicht nur für Krisenfälle da sein.

Deshalb wird - obwohl die Möglichkeit einer natürlichen Heilung offenbleibt - doch solcher Wert darauf gelegt, daß die Heilung etwas mit Jesus zu tun hat. Wer den Glauben nicht selbst erfahren hat, der wird leicht zu anderen Erklärungen greifen. Er wird lächeln über einen, der ein solches Geschehen mit Jesus in Verbindung bringt, und ihm den Glauben auszureden versuchen. Glaubenserfahrungen sind schon persönliche Erfahrungen, die man nicht so einfach auf andere übertragen kann.

Aber die hier erzählte Begebenheit kommt erst da ans Ziel, wo eine ganze Familie zum Glauben findet. Es geht um die Bindungen, die sich aus einer solchen Jesuserfahrung ergeben. Hier bildet sich eine Hausgemeinde, in der Jesus fortan der Mittelpunkt des Lebens ist. Aus einer punktuellen Beziehung wird eine ganzheitliche.

Das Wort Jesu: „Dein Sohn lebt!“ gewinnt nun an Umfang. Es sagt nicht mehr nur:  „Dein Kind muß jetzt noch nicht sterben!“ Jetzt geht es vielmehr darum: Das von Gott abgewandte und darum brüchig gewordene Leben wird jetzt erst zum wahren Leben. Es hat sich in dem Mann eine innere Geschichte abgespielt, die das eigentliche Wunder ist. Es ist jetzt ein anderer Glaube als der, mit dem der Vater zuerst zu Jesus kam.

Jetzt ist Jesus nicht mehr nur Mittel zum Zweck. Jetzt ist die Heilung des Sohnes zum Mittel geworden, diesen Mann mit seiner ganzen Familie zur persönlichen Glaubensbindung an Jesus zu bringen. Uns heutigen aber stellt diese Geschichte die Prüfungsfrage, inwieweit unser Glaube noch von sichtbaren Bestätigungen abhängt.

Die Verheißung Jesu lautet nicht, daß wir alle die gleiche Erfahrung machen werden wie dieser betrübte Vater. Aber wenn wir auf Jesu Wort vertrauen, dann wird das in keinem Fall umsonst sein. Keiner, der auf Jesu Gnade baut, hat eine Enttäuschung zu erwarten. Es kommt nur darauf an, daß wir unsre Sachen ganz in seine Hand geben.

 

 

 

Joh 5, 1 - 16 (Variante 1) (19. Sonntag nach Trinitatis):

Ärzte und Apotheker führen sie als Wappen und Erkennungszeichen: eine Schlange, die sich um einen Stab windet. Vorbild dafür ist die Äskulapnatter, die es auch bei uns gibt, zum Beispiel im Taunus bei dem Ort Schlangenbad. Der Name kommt von dem griechischen Gott Asklepios oder Äskulap, der angeblich ein Heilgott war. In Epidauros gab es schon im fünften Jahrhundert vor Christus ein berühmtes und elegantes Modebad, wo ausgedehnte Liegehallen denen Raum boten, die hier durch einen Heilschlaf oder durch ein Bad in den Wasseranlagen gesund werden wollten.

Die Bibel verachtet das Streben nach Gesundheit nicht. Schließlich ist Gesundheit ja ein hohes Gut, Krankheit ist ja eines der bedrückendsten Merkmale der unerlösten Welt. Der Gott Asklepios wurde bei den Griechen als Heiland bezeichnet. Das Johannesevangelium aber sagt: „Der wahre Heiland ist Christus, sucht Heilung nicht bei Asklepios, sondern bei Jesus Christus!“

Auch in Jerusalem gab es so ein Heilbad am Teich Bethesda. Es hatte zwei 40 mal 50 Meter große aus dem Fels herausgehauene Becken, die durch ein 6,5 Meter breites Felsband voneinander getrennt waren. Durch unterirdische Rohre waren die Becken mit dem Teich Siloah verbunden. Dort ab gab es eine Quelle, die ihr Wasser unterschiedlich stark ausschüttete. Wenn dort viel Wasser kam, lief es auch in die Anlage von Bethesda. Nach dem Volksglauben aber wurde nur derjenige Kranke wieder gesund, der als Erster dann in dieses Wasser stieg.

Bethesda war also so etwas wie der Wallfahrtsort Lourdes in Frankreich am Fuß der Pyrenäen. Dorthin kommen täglich viele Hunderte Kranke und erhoffen sich Heilung durch das dortige Wasser. Die Kirche verspricht den Besuchern keine Heilung. Aber ein Geschäft läßt sich mit den Hilfesuchenden allemal machen, und wenn es nur mit den Kerzen ist, die wahrscheinlich mehrfach verkauft werden. Rund einhundert Ärzte sind dort tätig, auch viele Priester, denn der Kirche geht es auch um das Seelenheil der Menschen. Aber solchen Heilorten muß man dennoch wohl sehr kritisch gegenüberstehen.

Das Gleiche gilt für sogenannte „Naturheilverfahren“. Diese sind in mancher Hinsicht nützlich. Mancher Anhänger der Naturheilkunde will fast alle Krankheiten mit Naturheilmitteln bekämpfen. Nur eine Ausnahme soll es geben: Bei Blinddarmentzündung sofort zum Arzt! Heute müssen wir sagen: Auch bei Krebs hilft nur die Schulmedizin.

Das mußte eine Frau erfahren, die alle Möglichkeiten der alternativen Medizin mitgemacht hatte, weil sie sich vor der Chemotherapie und deren Nebenwirkungen fürchtete. Als es schließ­lich 5 vor 12 war, ging sie doch ins Krankenhaus und unterzog sich der Chemotherapie. Daraufhin gingen die Geschwulste zurück. Geheilt war sie damit noch nicht. Das Problem war damit aber nicht gelöst, weder medizinisch noch seelisch. Schulmedizin, Naturheilkunde und seelische Betreuung müssen oft zusammenwirken, wenn Heilung gelingen soll.

Wir heute gehen zum Arzt, wenn wir krank sind. Oder wir gehen in eins der Heilbäder in Hessen, wenn wir das entsprechende Geld haben. Das ist auch gut so und nicht Zeichen eines mangelnden Glaubens an Gott. Wir können auch selber allerhand für die eigene Gesundheit tun. Das widerspricht alles nicht dem, was diese Geschichte aus dem Johannesevangelium aussagen will. Aber sie will nicht sagen, nur ein Wunder könne uns helfen: Zuerst einmal hilft Gott auf ganz natürlich Art und Weise durch andere Menschen. Doch er will mehr für uns tun: Er will, daß wir auch innerlich gesund werden, in Glaubensdingen. Deshalb wird uns gesagt: Jesus macht gesund, aber auch frei und gehorsam.

 

1. Jesus macht gesund: Bethesda heißt „Haus der Barmherzigkeit“. Aber wie geht es diesem Menschen, der fast schon sein ganzes Leben krank ist? Ohnmächtig und hilflos muß er immer wieder Geduld aufbringen und darf die Hoffnung nicht aufgeben. Er darf nicht irre werden an den Menschen, die verständlicherweise immer nur nach sich selber fragen. Jeder hat mit seiner Not genug zu tun und kann sich nicht auch noch um andere kümmern. Elend macht einsam. Jesus aber nimmt den Einzelnen in den Blick. Dabei muß man nicht unterscheiden zwischen leichten und schweren Fällen. Alle Fälle sind Gottes Fälle, für ihn ist kein Fall zu schwer.

Heilung hängt nach biblischem Denken aber mit dem Heil zusammen. Sicher kann man nicht sagen, durch Krankheit werde einem Menschen das Böse heimgezahlt, das er getan hat. Aber es besteht schon ein Zusammenhang zwischen Schuld und Krankheit. Nur kann man das nicht beim einzelnen Menschen gegeneinander aufrechnen. Krankheit ist vielmehr Zeichen der Heillosigkeit der von Gott abgefallenen Welt.

Jesus arbeitet der Not des Einzelnen und der Not der ganzen Menschheit entgegen, indem der von allen anderen übersehene und im Stich gelassene Mensch seine Anteilnahme findet. Jesus läßt sich das Schicksal des Kranken schildern. Dann versucht er, mit dem Kranken über dessen Glauben zu sprechen. Und schließlich gibt er ihm einen Befehl, so daß sich an diesem Menschen ein Herrschaftswechsel vollziehen kann. Das ist weit mehr, als der griechische Gott Asklepios bieten konnte.

Auch wir brauchen mehr als die körperliche Heilung. Als Patient sind wir froh über jede menschliche Zuwendung des Arztes, der Pfleger und der Besucher. Vielleicht müssen sich Ärzte innerlich abschirmen gegen das tägliche Leid, das sie umgibt. Aber für den Patienten ist es schwer, wenn er angeherrscht wird: „Sie müssen diese Untersuchung mit sich machen lassen. Sie haben Krebs. Und wenn wir das nicht machen, müssen Sie sterben!“

Manchmal ist die Formulierung auch nur ungeschickt. Wenn die Stations-Ärztin sagt: „Wir in der Inneren Abteilung können nichts mehr für Sie tun, ich schicke Sie zu den Chirurgen!“ dann denkt der Patient doch wer weiß was. Besser hätte sie nämlich gesagt: „Wir haben nichts Schlim­mes festgestellt. Aber die Gallenblase muß Ihnen dennoch herausgenommen werden!“ Aber in der täglichen Routine eines Krankenhauses gehen die Ängste der Patienten oft sehr schnell unter.

Auch das Pflegepersonal ist oft überfordert. Die vollständige Versorgung eines bettlägerigen Kranken darf aus Kostengründen gerade einmal 40 Minuten dauern. Da ist keine Zeit mehr für ein eingehendes Gespräch über Nöte und Ängste. Und dennoch schaffen es Schwestern immer wieder, auch einmal ein aufmunterndes Wort zu sagen, das dem Patienten über vieles hinweghilft.

Die Kirche versucht hier zu helfen, indem sie Krankenhauspfarrer abstellt. Aber auch da ist Manches im Argen. Da geht in einem Krankenhaus ein großer Teil der Kopfhörer nicht, die den Gottesdienst an die Betten übertragen sollen. Es dauert 14 Tage, bis ein Pfarrer einmal vorbeikommt, obwohl jeder doch nur rund 100 Patienten zu betreuen hat. Nun gut: Wenn ein Patient einen Pfarrer bestellt, geht es sicher schneller. Aber die Geschichte am Teich Bethesda zeigt ja gerade, daß Jesus von selber die Not des Kranken sieht und ihn anspricht.

Hier können auch wir alle helfen: Besuche sind wichtig für Patienten. Der Kranke braucht täglich Besuch, er wartet darauf! Ganz schlimm ist es, wenn wegen einer Epidemie ein Besuchsverbot über das Krankenhaus verhängt wird. Dann haben die Patienten keine Möglichkeit, ihre Ängste und Sorgen loszuwerden, sie werden nicht mehr informiert über das, was draußen vor sich geht, alles staut sich an.

Es darf nicht heißen: „Ich habe keinen Menschen!“ Sicherlich gibt es viele gute Hilfen von Seiten der Gesellschaft, es gibt Beratungsstellen und die Pflegedienste. Auch die Kirche stellt viele Einrichtungen gerade auf diesem Gebiet bereit. Aber der Einsatz des Einzelnen ist deshalb nicht überflüssig, wir alle sind hier gefragt. Wir sind zwar keine Ärzte, keine Psychologen und keine ausgebildeten Krankenpfleger. Aber wir können dem anderen im rechten Augenblick das helfende Wort sagen. Und wir können still zuhören, wenn er beginnt, sich die Nöte vom Herzen abzuräumen. Das ist unser Teil der Hilfe. Jesus aber will noch mehr geben, als wir Menschen leisten können.

 

2. Jesus macht frei, aber auch gehorsam: Daß die Heilung am Sabbat geschehen ist, geht erst mehr am Ende hervor. Im zweiten Teil der Heilungsgeschichte fordert Jesus den Konflikt geradezu heraus, wenn er den Kranken auffordert, seine Matratze wegzutragen. Aber dadurch will er dem Geheilten mehr geben als nur die körperliche Gesundheit: Richtig befreit ist der Mann erst, als er den Worten Jesu folgt und es wagt, sich aus falschen religiösen Bindungen zu befreien und das Sabbatgebot zu übertreten. Nicht durch das Halten des Gesetzes wird die verlorene Welt wieder zur Welt Gottes, sondern durch das Wirken der Liebe Gottes.

Die zweite Begegnung mit Jesus läßt den Geheilten erkennen, daß bei dieser Heilung mehr im Spiel war und die entscheidende Hilfe über das Gesundwerden der Glieder hinausging: In der Begegnung mit Jesus war es zu einer umfassenden Heilung gekommen, nämlich zur Befreiung aus der Knechtschaft der Sünde und zur Verheißung des ewigen Lebens. Wie frei der Geheilte ist, erkennt man daran, daß er unmittelbar gehorcht. Er gehorcht, obwohl er nicht einmal weiß, wer ihm da geholfen hat. Er will es nicht anders, er kann nicht anders - das ist seine Freiheit.

Jesus entläßt aber nicht in eine unverbindliche Freiheit: Der Geheilte erhält den Befehl, in Zukunft nicht mehr zu sündigen. Damit wird ihm nicht ein neues Gesetz auferlegt. Aber man kann nicht gesund werden wollen und dabei Sünder bleiben wollen. In der Bindung an Christus erledigt sich die Sünde, ohne Anstrengung, einfach aus der wunderbaren Erfahrung des Helfens und Heilens. Gesundheit ist eben mehr als die körperliche Heilung, durch die Befreiung vom Zwang zur Sünde werden wir erst richtig frei. Schulmedizin allein macht es nicht, es geht auch um menschliche Zuwendung und Heilwerden im umfassenden Sinn.

 

 

Joh 5, 1-16 (19. Sonntag nach Trinitatis,Variante 2)     

Wilma Rudolph wuchs in einer Familie mit sieben Geschwistern und elf Halbgeschwistern auf. In ihrer Kindheit erlitt Wilma eine Reihe schwerer Krankheiten. Eine Kinderlähmung setzte ihr linkes Bein außer Gefecht, und erst nach jahrelanger Physiotherapie und spezifischen Massagen konnte sie wieder ohne Hilfsmittel gehen. Von elf an konnte sie endlich mit ihren Brüdern Basketball spielen. Bald erzielte sie an der Höheren Schule große Erfolge in dieser Sportart. Ein Leichtathletiktrainer an der Tennessee-Universität entdeckte sie 1955 als Schiedsrichter bei einem Basketballmatch, erkannte ihr Talent und vermittelte ihr ein Sportstipendium an seiner Hochschule.

Schon im Jahr darauf qualifizierte sie sich für die Olympischen Sommerspielen 1956 in Melbourne, bei denen sie Bronze im 4-mal-100-Meter-Staffel gewann. Nach einer Schwangerschaftspause 1958 gehörte sie zu den weltbesten Sprinterinnen und stellte 1960 zwei Weltrekorde auf. Bei den Olympischen Spielen 1960 in Rom siegte sie in allen drei Kurzstreckendisziplinen: In den Einzeldisziplinen 100 und 200 Meter siegte sie in allen Läufen mit mindestens 0,3 Sekunden Vorsprung; die Fabelzeit von 11,0 Sekunden im 100-Meter-Finale konnte jedoch wegen zu starken Rückenwinds nicht als Weltrekord gewertet werden. In der   4 × 100 Meter Staffel lief sie zusammen mit Martha Hudson, Lucinda Williams und Barbara Jones im Vorlauf einen Weltrekord (44,4 Sekunden); im Finale sicherte Rudolph als Schlußläuferin das Gold vor der deutschen Staffel, die eingangs der Zielgeraden noch gleichauf lag. Am 19. August 1961 stellte sie über 100 Meter mit 11,2 Sekunden in Stuttgart einen weiteren Weltrekord auf. Wegen ihres eleganten Laufstils wurde sie „die Gazelle“ genannt.

Es gibt also sogenannte „Wunderheilungen“ - zum Beispiel daß ein Gelähmter wieder gehen kann - auch wenn gar kein Glaube im Spiel war. Aber oft geht es dabei auch um einen seelischen Vorgang, daß erst eine innere Blockade gebrochen werden mußte, ehe der Körper wieder funktionierte. Jesus hatte wohl so eine Gabe, Menschen zu heilen, vor allem wenn seelische Ursachen zu der Krankheit geführt hatte. Das hat man dann später ausgeweitet auf andere Heilungsgeschichten. Es sind also nicht alle so geschehen, wie sie später erzählt wurden, aber ganz aus der Luft gegriffen sind diese Erzählungen nicht. Aber hier geht es nicht allein um die körperliche Heilung, sondern auch um Befreiung und Verpflichtung.

Schon in der Antike gab es ein elegantes Modebad in Epidauros in Griechenland, ein „Gnadenort“ des Gottes Asklepios, dessen Zeichen mit der Schlange heute noch das Erkennungszeichen der Ärzte ist. Auch heute geht man gern in einen der bekannten Badeorte und läßt sich dort verarzten und verwöhnen.

Manche fahren auch in den Wallfahrtsort Lourdes in Frankreich und erhoffen sich Heilung von der dortigen Madonna. Es gibt auch immer wieder solche spontanen Heilungen, besonders auch wieder, wenn eine seelische Erkrankung die Ursache war. Aber oft verpufft dieser Effekt auch wieder.

Und man muß sich natürlich fragen: „Und was ist mit denen, die keine Heilung erfahren haben? Haben die nur nicht den richtigen Glauben gehabt!“ Da kann man doch in schwere Kon­flikte kommen. Denken wir an Samuel Koch, der in der Fernsehsendung so verunglückte, daß er jetzt vom Hals ab querschnittsgelähmt ist. Er ist ein gläubiger Mensch, wie seine ganze Familie. Man kann natürlich sagen: „Weshalb ist er auch so leichtsinnig oder zu risikobereit gewesen?“ Aber es bleibt die Frage: „Weshalb hat ihn Gott nicht bewahrt?“

Denken wir an die Menschen, die im Wachkoma liegen: Viele sind wieder aufgewacht, oft erst nach Monaten oder gar Jahren, aber andere auch nicht. Die Sportmoderatorin Monika Lierhaus hat nach einer Gehirnblutung monatelang im Koma gelegen. Aber dann hat sie sich mit großer Anstrengung wieder ins Leben zurückgearbeitet. Schließlich stellte das Fernsehen sie an, um Sonntagabend die Lottozahlen zu verkünden. Das ist ganz hervorragend vom Fernsehen, daß sie an so einer hervorragenden Stelle einen Menschen mit einer Einschränkung eingesetzt haben. Dadurch kann jeder sehen, daß auch Menschen, die wir als „Behinderte“ bezeichnen, in die Mitte unsrer Gesellschaft gehören

Daß da ein Mann 38 Jahre krank gewesen ist, zeigt die ganze Ohnmacht der Menschen. Aber es ist doch auch ein schwerer Vorwurf, wenn der Mann sagt: „Ich habe keinen Menschen, der mir hilft!“ Das kann doch nur eine Aufforderung an uns sein, es besser zu machen. Jeder Kranke braucht nicht nur eine optimale medizinische Versorgung, auch wenn diese teuer ist. Er braucht auch die liebende Zuwendung seiner Familie und die Aufmerksamkeit der Ärzte und des Pflegepersonals.

 Den Wundergläubigen muß man sagen: „Gott hilft auch durch Ärzte! Ihr könnt nicht nur auf ein besonderes Wunder hoffen!“ Es ist unverantwortlich, wenn Eltern ihre Kinder nicht gegen Kinderlähmung impfen lassen mit dem Argument: Wenn Gott will, dann kann er auch ohne Impfung mein Kind vor Krankheit bewahren!

Den Ärzten aber muß man sagen: „Ihr braucht auch den Beistand Gottes, ihr braucht das Gebet!“ Als ein Mann vor einer schweren Operation an der Wirbelsäule stand, da bot ihm sein Zimmerkollege an, vorher mit ihm zu beten. Er war ein Katholik aus dem Eichsfeld und sagte, er könne aber nur den Rosenkranz beten. Was er aber vorher nicht sagte: Während der Operation ging er in die Kapelle des Krankenhauses und betete die ganze Zeit den Rosenkranz.

Als die Ärzte im Operationssaal das mitkriegten, schickten sie alle halbe Stunde eine Schwester in die Kapelle, um zu sehen, ob der Mann noch für sie betet. Statt zweieinhalb Stunden dauerte alles dann sechs Stunden. Aber mit vereinten Kräften des medizinischen Personals und der Fürbitte des Mannes und anderer Personen, gelang das Werk.

Der operierende Arzt sagte nachher zu dem Patienten: „Man hat gemerkt, daß viele Leute für Sie gebetet haben!“ Er gab zu, daß er vorher nicht so viel vom Gebet gehalten hat, aber nachher hat er sich zu einem Glaubenskurs bei der Kirche angemeldet.

Für Gott ist kein „Fall“ zu schwer. Aber man darf auch nicht vergessen, daß die meisten Menschen ja gesund sind. Doch es geht nicht nur um Heilung, sondern auch um das Heil. Man kann nicht sagen, daß eine bestimmte Krankheit die Strafe Gottes für eine bestimmte Schuld ist. Aber daß es Krankheit in der Welt gibt, ist ein Zeichen dafür, daß alle Menschen gegenüber Gott schuldig geworden sind.

Was kann man dagegen tun? Jesus zeigt es uns. Zunächst einmal nimmt er den Menschen wahr, der seit Jahrzehnten da liegt und immer wieder im Stich gelassen wurde. Er läßt sich das Schicksal des Kranken schildern. Er fragt ihn: „Willst du gesund werden?“ Man könnte meinen: Was für eine dumme Frage, natürlich will er gesund werden. Aber Jesus ruft den Mann damit zum Glauben auf, will ihn dazu reizen, sich ganz auf Jesus zu verlassen. Jesus überläßt den Mann nicht der Zerstörung, sondern tritt der Krankheit als Herrscher und Gebietender entgegen.

So ganz nebenbei befreit er den Kranken und auch alle anderen Menschen von überholten Zwängen. Die Juden freuen sich nicht mit über die Heilung, sondern weisen den Geheilten zurecht, weil er am Feiertag die Matte trägt, auf der er Jahrzehnte gelegen hat. Jesus aber macht deutlich: Nicht durch das Halten des jüdischen Gesetzes wird die Welt wieder zur Welt Gottes, sondern durch das Wirken der Liebe Gottes. Jesus befreit die Menschen von Zwängen, die andere sich ausgedacht haben. Und es macht ihm auch gar nichts aus, daß die Juden ihm vorwerfen, er habe sich Gott gleich gemacht.

Das will diese Geschichte ja gerade sagen: „In Jesus ist Gott am Werk!“ Er gibt der Welt ein neues Leben, die sich gegen Gott verschlossen hatte. Die Heilung der Krankheit ist ein Zeichen dafür. Jetzt steht keine Vorschrift mehr zwischen Gott und uns. Wir brauchen keine Leistung zu erbringen, wie das die Juden fordern, sondern Jesus hat alles für uns geleistet durch seinen Tod am Kreuz. Wenn einer mit Leistung etwas erreichen will, dann meint er, auch einen Anspruch auf Belohnung zu haben. Wir können Gott aber nicht zu unserem Schuldner machen, so daß er uns Heilung geben müßte, weil wir doch ach so fromm sind. Von solchem Denken und von solchen Zwängen macht uns Jesus frei.

Der Geheilte wird frei, weil er problemlos gehorcht. Er weiß ja nicht einmal, wer sein Erretter ist. Man könnte zwar vermuten, daß er es nur noch einmal mit diesem letzten Strohhalm versucht, daß ihm jedes Mittel recht ist, nur um doch noch gesund zu werden. Aber bei diesem Mann ist es mehr: Er vertraut dem Wort Jesu voll und ganz, er kann nicht anders und er will nicht anders - aber gerade dadurch wird er ein freier Mensch, frei von der Krankheit, aber auch frei von auferlegten oder eigenen Zwängen.

Freiheit ist also doch Gehorsam, und zwar Gehorsam gegenüber einem höheren Befehl. Doch dieser ist von ganz anderer Art als das Gesetz des Mose. Jesus sagt: „Sündige künftig nicht mehr!“ Damit macht er deutlich: Die ganze Heilung nutzt nichts, wenn man innerlich doch der alte Mensch bleibt. Nur mit Christus kann man frei sein, kann man sich frei machen von Sünde und kann dann auch frei bleiben. Man kann nicht gesund werden wollen und dabei ein Sünder bleiben wollen.

Aber in der Bindung an Christus erledigt sich die Sünde sowieso, ohne jede Anstrengung, einfach aus der Erfahrung seines Helfens und Heilens. Freiheit ist dann aber Gebundensein an diesen Helfer. Dann würden wir als Sklaverei empfinden, wenn wir etwas anderes tun müßten als das, was ihm gefällt. Aber dann würden wir nur in ein hoffnungsloses Leben zurückfallen.

Wir dürfen aber Hoffnung haben, auch wenn die körperliche Gesundheit zu wünschen übrig läßt. Auch die innere Gesundheit ist ein wichtiges Ziel. Auch wenn wir unter Krankheit leiden, hat das Leben Sinn und macht Freude.

Eine Frau hat einmal zu ihrem Sohn gesagt. „Ich werde das Jahr 2000 nicht mehr erreichen, aber du hast gute Chancen!“ Im Jahre 2012 sagte der Sohn: „Was bleibt da anders, als für jeden Tag dankbar zu sein. Jeder Tag ist neu ein Geschenk. Auch wenn das Leben vielleicht etwas eingeschränkt wird durch körperliche Gebrechen - er ist doch jeder Tag und jede Stunde ein Geschenk!“

 

 

Joh 5, 39 – 47 (1. Sonntag nach Trinitatis):

Bei der einen Konfirmandengruppe kam ein Mädchen mit, das nicht getauft ist. Es ging um die Taufe, und der Pfarrer versuchte deutlich zu machen, worauf uns das Wasser hinweisen könnte. Er sagte: „Das Wasser brauchen wir zum Leben. Das Wasser bei der Taufe brauchen wir zum Christsein!“ Und dann die Frage: „Kann man denn auch ohne Taufe leben?“ Die Konfirmanden sahen den Pfarrer erst etwas ratlos an, wußten nicht, was die Frage sollte: So etwas fragt man sich halt nicht, wenn man getauft ist. Der Pfarrer sagte: „Na, eure Kollegin hier lebt doch zweifellos, auch wenn sie nicht getauft ist. Ohne die Taufe kann man zwar als Mensch leben, aber nicht als Christ. Auf das Wasser kann niemand verzichten, der leben will. Aber auf das Wasser der Taufe meinen manche verzichten zu können!“

Diese Leute werden natürlich sagen: Warum soll ich gerade an Christus glauben? Es gibt so viele Religionen in der Welt. Und wer von Religion nichts hält, der kann zu einer Weltanschauung greifen. Entweder zum Marxismus-Leninismus, der sich in vielen Schattierungen über die ganze Welt ausbreitet, gerade so wie eine Religion. Oder er macht sich eine eigene Weltanschauung zurecht, so eine Art Allerweltsphilosophie, praktisch und für den Alltagsbedarf durchaus ausreichend.

Wieso soll da gerade in Christus das Heil liegen? Es ist nicht so einfach, das sachkundig und verständlich ausdrücken zu können. Da sagte neulich eine Frau, deren Mann Schwierigkeiten hat mit der Lehre der Kirche: „Ich kann auch nicht so richtig diskutieren mit ihm. Mein großer Bruder könnte das viel besser, der hat eher Argumente zur Hand!“ Das wird den meisten so gehen, daß sie nur schwer umschreiben können, was sie glauben.

Ein Ausweg könnte da sein, innerweltliche Argumente und Umschreibungen für Jesus zu verwenden.  Man könnte Jesus darstellen als das große Vorbild, als ein Mensch, der immer für andere da war. Ein Kandidat für das Parlament wäre er wohl nicht geworden, weil er zu sehr von den Anschauungen der Herrschenden abwich. Aber vielleicht Gewerkschaftsführer oder Mannschaftskapitän der Olympiamannschaft. Solche Vergleiche sind sicher ein berechtigter Versuch, für das Gespräch über Christus eine gemeinsame Plattform zu finden. Auch Paulus hat ja gesagt, er sei den Juden ein Jude und den Griechen ein Grieche geworden, nur um sie für Christus zu gewinnen

Aber wir merken auch, wie unangemessen diese Vergleiche sind. Sie dürfen immer nur ein erster kleiner Schritt zum Verständnis sein. Jesus jedenfalls verzichtet auf solche Hilfestellungen: „Ich nehme nicht Ehre von Menschen!“ Er verläßt sich auf Gott und nicht auf das, was Menschen leisten. Natürlich ist unser Zeugnis und Bekenntnis nötig, unsre Übersetzung und Auslegung. Aber nicht erlaubt sind Zutaten und Auslassungen. Unsre Bemühungen um Übertragung in unsre heutige Umwelt sind immer wieder neu an der Heiligen Schrift zu prüfen. Gott ist zwar Mensch geworden in Jesus Christus; aber er ist doch immer Gott geblieben.

Deshalb kann auch nur Gott die Frage beantworten, wer Jesus ist und warum man nur ihn als seinen Herrn anerkennen soll. Mit menschlicher Einsicht und menschlichen Beweisgründen ist hier nichts zu gewinnen.Jesus sagt: „Ich bin gekommen in meines Vaters Namen!“ Auf das Zeugnis des Vaters kommt es an.

Wenn heute eine Frau zur Schwangerenberatung geht, dann wird zunächst einmal nur ihr Name festgehalten, nach dem Vater des Kindes wird noch nicht gefragt. Erst wenn das Kind geboren ist, wird auch der Vater interessant, weil er zahlen soll. Wenn die Eltern nicht oder noch nicht verheiratet sind, dann muß der Vater beim Jugendamt erscheinen und die Vaterschaft anerkennen.

Das war schon bei den alten Germanen so: Wenn ein Kind geboren war, dann hat man es dem Vater vor die Füße gelegt. Und wenn er es von der Erde aufhob, dann hat er es als sein Kind anerkannt. So hat auch Gott den Jesus von Nazareth als seinen Sohn anerkannt und ihm die gleichen Rechte eingeräumt, wie er sie selber hat. Deshalb hat er es gar nicht nötig, sich seine göttliche Würde von den Menschen bescheinigen zu lassen. Er weiß, daß Gott seine Aussagen schon beglaubigen wird. Göttliches kann sich immer nur selbst bezeugen und so seine Wahrheit erweisen.

Vielleicht bedauern wir das. Manche Menschen können mit der Lehre der Kirche über Jesus Christus, daß er nämlich Gottes Sohn sein soll, nichts anfangen oder lehnen sie direkt ab. Sie sind aber gern bereit, dem Mann aus Nazareth großen Respekt entgegenzubringen. Sie sagen: Das war einer, der es mit den Menschen gut gemeint hat, er hat sich für die in mancherlei Weise Benachteiligten eingesetzt, er war wahrhaftig und ehrlich bis ins Mark und hat sich nicht von der Meinung der Herrschenden abhängig gemacht. So war er ein Vorbild für viele. Und man könnte wünschen, er wäre es für alle Menschen.

Dann wäre Jesus also einer der Großen der Menschheitsgeschichte. An ihm könnte man ablesen, wozu Menschen fähig sind, wenn sie die in ihnen liegenden guten Kräfte mobilisieren. Eine solche Einschätzung Jesu könnte zwar bei dem einen oder anderen die Vorstufe zur eigentlichen Christuserkenntnis sein. Aber ehe es zum Glauben an ihn kommen kann, wird erst doch noch ein Bruch mit solchen Vorstellungen nötig sein.

Jesus vertraut darauf: Der Vater arbeitet schon an den Menschen, daß sie zu einer solchen Erkenntnis gelangen. Er wird schon seine Botschaft selber an den Mann bringen. Aber um Jesus zu erkennen, müßte die Liebe Gottes in den Menschen sein. Jesus zweifelt daran, daß das schon so ist. Aber er will die Menschen deswegen doch nicht verklagen. Es ist längst ein anderer da, der dem Menschen ihr Versagen wie einen Spiegel vorhält: das ist Mose bzw. die Heilige Schrift, in der Gottes Willen zu finden ist.

In dem ganzen Abschnitt wird die Frage diskutiert, wer für Jesus zeugen könnte, die Wahrheit seines Anspruchs bestätigen könnte. In Frage käme Johannes der Täufer; aber er hat natürlich Jesus nicht zu dem gemacht was er ist. Dann könnte man die Taten heranziehen, die Jesus vollbracht hat; aber an den Wundertaten kann man noch nicht ohne weiteres ablesen, daß sie von Gott ausgehen.

Bleibt schließlich noch die Heilige Schrift als Zeuge. Doch auch die kann man lesen, und doch das Wort Gottes überhören. Auch ein Atheist liest vielleicht die Bibel, um Argumente gegen die Religion zu finden. Da wird er aber wohl kaum dem begegnen, auf dessen Zeugnis alles ankommt.

In den Worten menschlicher Zeugen gilt es aber, den größeren Zeugen zu erkennen, den man je gesehen und dessen Stimme man nie gehört hat. Im Menschenzeugnis soll uns das Gotteszeugnis deutlich werden. Wir brauchen also nicht auf irgendwelche Eingebungen zu warten, die doch nur aus unserem eigenen Unbewußten kommen könnten. Jesus verweist an die Schrift, in der von ihm zu lesen ist.

Für Jesus war die Schrift das Alte Testament. Es soll auf Jesus hin gelesen werden. Natürlich haben die verschiedenen Schreiber der alttestamentlichen Schriften noch nichts von Jesus gewußt und konnten noch nicht bewußt auf ihn hindeuten. Und doch haben sie Christus bezeugt, obwohl sie ihn nicht kannten. Das ganze Alte Testament durchzieht eine ins Ungeheure angewachsene Erwartung. So erweckt das Alte Testament den Eindruck von etwas Ruhelosem, das rätselhaft über sich hinausweist.

Das Land war dem Volk Israel verheißen, aber sie waren nicht zur Ruhe gekommen. Man wartete auf den Messias, aber jeder König war wieder eine Enttäuschung. Man brachte Opfer, wußte aber, daß sie nicht ausreichen. Einmal würde Frieden sein zwischen Gott und dem Menschen, wenn der Sünde ein für allemal ein Ende gesetzt ist. So laufen alle Linien in der Schrift auf Jesus zu. In Jesus setzt Gott sein Bemühen um sein Volk fort und will alles zum allerbesten Ende führen.

Jesu Gesprächspartner wollten das nicht begreifen. Wir aber sollten immer wieder neu die Schrift erforschen und jedesmal damit rechnen, noch Neues zu erfahren von Gott. Wir können zwar nicht unser Leben und das der Gemeinde sichern und bewahren. Aber wenn wir uns in die Schrift hineinbegeben, sind wir auf dem Weg zu Christus.

Doch wir sollten in der Bibel vor allem die frohe Botschaft erkennen. Die Gesprächspartner Jesu finden in ihr nur das Gesetz des Mose. Aber Jesus sagt: Mose hat schon auf mich hingewiesen. Als Fürbitter seines Volkes hat er schon auf dem Platz hingedeutet, auf dem Jesus jetzt steht. Durch fromme Leistungen und ein korrektes Leben kann man das Ansehen bei Gott noch nicht gewinnen. Das Gesetz kann nie bestätigen, daß man gut liegt. Es zeigt immer wieder, daß man sein Soll noch nicht erfüllt hat; und selbst wenn man 99 Prozent erreicht hat, dann werden im nächsten Jahr 103 Prozent draufgeschlagen. Wenn man das immer weiter steigern will, was in einem selber liegt, dann» wird man scheitern.

Der neue Anfang muß uns von oben her geschenkt werden. Auch wir als abgestempelte Christen denken, immer noch viel zu sehr von unten her und haben eine gesetzliche Einstellung und Lebensart. Aber Jesus spricht selbst denen das Evangelium zu, die nicht an ihn glauben. Er wirbt immer wieder um sie, aber auch um uns: Glaubet der Schrift und glaubet meinen Worten!

 

 

Joh 6, 1 – 15 (7. Sonntag nach Trinitatis):

Den Menschen in der Geschichte vor der Speisung der 5.000 kommt es nur auf einen einzigen Punkt an: Sie sind satt geworden, ein ganz dringendes Lebensbedürfnis ist gestillt worden. Nun denken sie: „Diesen Jesus müssen wir uns warmhalten. Der soll uns auch weiterhin etwas zu essen verschaffen. Da wären wir alle Probleme los. Und bequemer als bei dem geht es nicht mehr!“

Sie wollen ihn also zum Ernährungsminister und Brotkönig machen. Wer dem Volk Brot geben kann, mit dem wird man zufrieden sein. Viele waren mit Hitler zufrieden, weil er die sowieso vorhandene Aufwärtsentwicklung der Wirtschaft noch ankurbelte; viele loben ihn heute noch wegen des Autobahnbaus, weil dadurch vielen Leuten Arbeit und Brot verschafft wurde, jedenfalls am Anfang. Jede Regierung muß versuchen, der Bevölkerung das Maul zu stopfen, dann sind sie wenigstens ruhig.

Man schreit immer wieder nach sozialen Maßnahmen. Obwohl es uns doch schon sehr gut geht, soll es uns immer noch besser gehen. Und wer das garantieren kann, das ist unser Mann.

Auch in Jesus hat man so einen Führer vermutet, der Wunder vollbringen kann. Hat er nicht so etwas vollbracht wie damals Mose in der Wüste, als Brot vom Himmel fiel? Mose hatte ja selbst von einem Propheten gesprochen, der so sein wird wie er selber. Das Volk hoffte ja auf einen Retter. Gerade in der Heimat Jesu rund um den See Genezareth kam es ja immer wieder zu Aufständen und zum Auftreten immer neuer Führergestalten.

Aber Jesus läßt sich nicht von der Menge vereinnahmen. Ein Wirtschaftswunder ist nicht seine Sache. Er läßt sich nicht zum König machen, dessen Amt es sein soll, jenes Wunder täglich zu wiederholen. Für solche Wünsche und Ziele läßt er sich nicht beschlagnahmen. Sicher hätte er mit vordergründigen Erfolgen den Beifall der Menge gewinnen können. Aber er handelt so wie schon bei der Versuchung durch den Teufel: Er entzieht sich der Menge, denn der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern vom Wort Gottes!

Jesus will arm und niedrig bleiben, so wie Gott es mit ihm vorhat. Er will ja der Messias Gottes sein und nicht erst vom Volk dazu gemacht werden. Schon morgen, wenn sie wieder Hunger haben, werden sie ihm nicht mehr nachlaufen. Dann wird ihre Bewunderung in Enttäuschung oder gar Haß umschlagen und sie werden ihn aus ihrer Mitte ausstoßen.

Wir wollen die Menschen nicht verachten, die Jesus in eine solche Rolle drängen wollen. Wer den Bauch voll hat und sich alles leisten kann, hat es leicht, von „höheren Werten“ zu reden.

Wir haben ja das Mehl im Schrank und den Braten in der Röhre, und unser Sparbuch ist ganz ansehnlich. Viele behaupten dennoch, es ginge ihnen schlecht. Aber in Wirklichkeit können wir beruhigt beten: „Unser tägliches Brot gib uns heute!“ Denn aller Wahrscheinlichkeit nach haben wir es ja morgen auch wieder. Wir nehmen das zu selbstverständlich hin und danken Gott nicht dafür. Für viele Menschen in der Welt hat diese Bitte aber eine viel dringlichere Bedeutung: Sie leben von der Hand in den Mund.

Mit knurrendem Magen kann man schlecht einer Predigt zuhören. Deshalb ist Jesus auch daran interessiert, daß die Menschen satt werden. Er kümmert sich auch um ihre leibliche Not; aber er erfüllt nicht einfach alle menschlichen Hoffnungen. Jesus weiß, wie weh der Hunger tut. Wenn es nach ihm ginge, würden wirklich alle Menschen satt, nicht nur einmal, sondern immer.

Aber er weiß auch: Mit ein paar Einzelaktionen kann die Brotfrage nicht gelöst werden. Wenn wir einmal ein paar Mark geben, damit Verbandszeug nach Nikaragua oder sonst wohin geschickt werden kann, dann ändern sich dadurch noch nicht die Verhältnisse in der Welt. Es wird damit ein Zeichen der Hoffnung gegeben, es wird einigen weniger Menschen geholfen, unsere Spende ist nicht sinnlos. Aber Jesus will mehr als nur ein Trostpflästerchen auflegen.

zunächst könnte man meinen, es ginge hier nur um das Wunder, das nicht so recht glaubhaft ist. Die Menschen haben eine ganze Tageswanderung hinter sich, sie können am Abend nicht wieder zurück in ihre Dörfer. Sie sehen Jesus als der Gastgeber an, der sich um ihr leibliches

Wohl zu kümmern hat. Aber in der einsamen Gegend gibt es nichts zu kaufen. Und selbst wenn man viel Geld hätte, könnte man so vielen Leuten kaum einen Überbrückungshappen bieten. Nur ein kleiner Junge ist da, der sich schnell fünf Brötchen und zwei Sprotten eingesteckt hatte. Er gibt seine „eiserne Ration“ weg und vertraut allein auf Jesus. Er sagt nicht: „Da kann man nichts machen!“ Er will vielmehr von dem leben, was vorhanden ist und will gut damit wirtschaften.           

Jesus aber sagt: „Ich bitte zu Tisch!“ Wie ein Hausvater spricht er das Dankgebet, so als hätte er genug für alle. Dann beginnt er auszuteilen und gibt jedem so viel, wie er haben will. Viele kluge Leute haben sich Gedanken gemacht, wie so etwas möglich war: Jesus hätte in der Nähe in einer Höhle ein Vorratslager gehabt, aus dem er nun alles herbeischaffen ließ. Oder die Leute hätten ja das Essen mit im Rucksack gehabt, aber vor lauter Zuhören das Essen vergessen. Oder die einen, die etwas dabei hatten, hätten nicht mit den anderen teilen wollen und deshalb erst gar nicht ausgepackt; erst Jesus habe sie dazu gebracht, zu teilen und miteinander zu essen.

Doch all diese Erklärungsversuche gehen an dem Eigentlichen vorbei. Es geht ja um ein Zeichen, das man mit keiner Fernsehkamera hätte erfassen können. Man kommt der Sache schon näher, wen n man diese Erzählung versteht als ein Gleichnis für die Erntegaben, die Gott uns jedes Jahr auf den Feldern schenkt. Im Gebet wendet sich Jesus an den Schöpfer und wirkt auch selber als Schöpfer. Er macht uns deutlich, wer der Geber aller guten und vollkommenen Gabe ist, wem wir alles verdanken.

Haben wir begriffen, aus wessen Hand wir das nötige täglich empfangen? Spüren wir, welche Liebe hinter jedem Bissen Brot steht, den wir zu uns nehmen? Was für ein Anteilnehmen an unserm Wohl und Wehe durch unser tägliches Brot zum. Ausdruck kommt? Wir könnten auch bedenken, wie wir verantwortlich mit dem umgehen, was aus Gottes Hand kommt. Ist es wirklich schon so lange her, daß wir den letzten Krümel vom Teller absuchten? Jetzt werden Mittel zum Schlankwerden gekauft: die einen hungern, die anderen fressen sich krank. Über diese Problematik von heute müssen, wir einmal nachdenken, wenn wir diese Geschichte hören.

Doch wir müßten auch noch etwas weiter gehen in unseren Überlegungen: Wie Jesus hier das Dankgebet spricht und das Brot an die Menschen austeilt, das erinnert doch stark an das Abendmahl. Heute dürfen wir doch auch so aus der Hand Jesu das Abendmahl in Empfang nehmen als Stärkung für unser äußeres und inneres Leben. Deshalb könnte man den Sinn dieser Geschichte auch mit einem Wort Jesu ausdrücken, das einige Verse später wiedergegeben wird „Ich bin das Brot des Lebens!“ Es geht also um Jesus, der sich uns heute im Abendmahl hingibt, und nicht um das vorder­gründige Brotwunder. So ist es auch auf den Mosaiken in Ravenna in Italien dargestellt: Nicht die Massen der Essenden, sondern Jesus steht ganz groß im Mittelpunkt und segnet das Brot.

Jesus versteht aber unter dem Brot mehr als Essen und Trinken, Wohnung und Kleidung, Auto und Fernseher, Geld und Vergnügen. Was nutzt uns denn alles Geld und aller Lebens­stan­dard, wenn wir trotz allem unzufrieden sind und keinen Sinn in allem sehen? Jesus will und kann a 1 1 e n Hunger stillen. Er gibt uns Lebensraum und Freiheit zum Atmen. Er läßt Bedrückte wieder aufrecht gehen und Zerstrittene wieder aufeinander zugehen. Er schafft ein gutes Betriebsklima und Frieden mit den Menschen und der Welt. Und nicht zuletzt gehört auch die tägliche Nahrung zu dem, was wir ihm verdanken.

Wir sind gefragt, ob wir Gott zutrauen, daß er a l l e Not beheben kann. Er gibt Brot für Leib und Seele, für uns und für andere. Wir könnten kein echtes Abendmahl feiern, wenn wir nicht auch an die Armen in der Welt dächten. Aber auch das Brot für die Seele ist nötig. Das Hauptthema ist nicht das Hungerproblem, sondern der Glaube, denn Jesus hat ein Wunder getan, das nur den Jüngern sichtbar war und ihren Glauben stärken sollte,

So wie wir auf das tägliche Brot angewiesen sind, brauchen wir auch die Nähe Jesu. Das Brot ist vergänglich. Jesus aber gewährt Leben über die Grenzen des Sterbens hinweg. Der Blick weitet sich auf das Ende der Welt hin. Darum werden alle satt werden, die hier noch hungern; und damit sind nicht nur die gemeint, denen der Magen vor Hunger knurrt, sondern auch all die anderen, die hungert und dürstet nach einem lebenswerten Leben in der Gemeinschaft mit Gott.

Manche haben ja schon verstanden, was das „Brot des Lebens“ ist. Sie holen es sich jeden Tag im Gebet und sonntags im Gottesdienst. Und im Abendmahl haben wir sogar etwas von diesem Brot leibhaft vor Augen. Klein und unscheinbar sind das Stückchen Brot und der Schluck Wein. Und doch nehmen wir das Kommende vorweg, wenn wir es essen. Wir erhalten Kraft aus der Welt Gottes und können damit auch unser Leben heute viel besser bewältigen.

Manchmal werden wir verzagen und sagen: „Was ist das unter so viele?“ Tausendfach sind das Leid und der Schmerz in der Welt. Was soll unser Singen und Beten, unser Opfer an Zeit und Geld dagegen ausrichten? Die Kirche müßte neue Ordnungen schaffen und mehr leisten und Brot für die Welt und Befreiung für die Welt schaffen. Also nicht weltfremd sein, sondern Probleme lösen, dann hat die Kirche noch einen Sinn.

Doch hier geht es nicht um die Welt, sondern um das, was Jesus mit dieser Welt vorhat. Er fordert uns auf, ruhig und sorglos ein Dankgebet zu sprechen und einfach anzufangen und auszuteilen und natürlich auch anzunehmen - es wird schon reichen. Das verspricht uns der, der das Brot des Lebens ist. Durch ihr werden Weinende wieder froh und Ratlose getrost, Geängstigte werden ruhig und Sterbende zuversichtlich. Diese Wendung in unserm Leben könnte schon eintreten, wenn wir das Abendmahl zu uns nehmen. Hier wird nämlich die Speisung der Fünftausend und das Wirken Jesu in unsere Zeit hinein fortgesetzt.

 

 

 

Joh 6, 30 – 35 (7.  Sonntag nach Trinitatis):

Mittelalterliche Maler haben gern geträumt von einem Schlaraffenland. Dort fliegen einem die gebratenen Tauben in den Mund und die Spanferkel laufen schon mit Messer und Gabel im Rücken herum. Die Dächer sind mit Kuchen belegt und aus dem Brummen fließt Wein oder Most. Alle Hunger- und Durstwünsche können dort erfüllt werden. Aber vielfach wird auch deutlich, daß dieser Traum im Grunde ein Alptraum ist: An die Stelle der Sättigung tritt das sinnlose Sichvollstopfen, an die Stelle des gelöschten Durstes tritt die Trunkenheit. Zum Schluß erlebt man nicht ein fröhliches Fest in der Gemeinschaft mit Anderen, sondern döst benommen als Einzelner vor sich hin.

Die Wünsche vom Schlaraffenland können wir uns vielfach heute erfüllen, jedenfalls was Essen und Trinken angeht. Es ist zwar nicht immer alles am Ort zu haben. Aber wenn etwa eine Hochzeit ist, dann fährt man auch einmal ein Stückchen weiter oder wendet sich an einen Spezialisten. Und doch sind manche Menschen unsicher: Sie haben einen wahren Lebenshunger und einen Lebensdurst, aber doch wieder die Angst, etwas zu verpassen

Jesus hat die Notwendigkeit des Essens und Trinkens keineswegs übersehen. Sonst hätte er sich ja nicht um die Speisung der Fünftausend zu kümmern brauchen, von der Johannes im 6. Kapitel erzählt und aus der unser Predigttext genommen ist. Die Bibel spricht überhaupt unbefangen lebensfroh vom Essen und Trinken. Jesus wurde vom seinen Gegnern sogar einmal als „Fresser und Weinsäufer“ bezeichnet; und eine Mahlzeit hat er mehrfach zur Gegenstand eines Gleichnisses gemacht.

 

(1.) Wir brauchen das tägliche Brot: Wir wissen aber auch, daß viele Menschen in der weiten Welt es nicht haben. Trotz aller menschlichen Intelligenz werden wir mit diesem Problem nicht fertig. Uns läßt es ja auch ziemlich kalt, solange es uns nicht betrifft. Aber es gibt genug Beispiele wie schnell sich das Ruder wenden kann. Viele bei uns sagen: „Die sollen erst einmal arbeiten, dann haben sie auch etwas!“  Aber sie übersehen dabei, daß zunächst einmal außenwirtschaftliche Gründe zur Störung der Wirtschaft geführt haben. Für das immer teurer werdende Erdöl mußte man immer mehr an Nahrungsmitteln verkaufen. Das Gleiche kann auch uns passieren, auch wenn wir einstweilen noch einen etwas längeren Atem haben. Dann würde aber noch auf eine ganz andere Art und Weise deutlich, wie wichtig die Brotfrage für uns ist.

Hunger ist Hinweis auf den Tod. Wir haben das Leben nicht in uns, so daß wir es selbst produzieren könnten. Ohne Nachschub würden wir die vorhandenen Lebensgrundlagen verbrauchen und verzehren. Wir brauchen das Brot. Aber damit zehren wir auch wiederum vom fremden Leben, von Pflanzen und Tieren. Damit wir leben können, geschieht immer wieder Sterben, indem wir die nichtmenschliche Kreatur uns einverleiben.

Das Brot fristet unser vergängliches Leben. Mit dem täglichen Brot gibt der Schöpfer uns jedesmal wieder einen Tag unesres Lebens dazu. Der Schmerz macht uns darauf aufmerksam, daß in unserem Körper etwas nicht in Ordnung ist. Der Hunger erinnert uns daran, daß wir auf anderes Leben angewiesen sind, das uns erst das Leben ermöglicht. Wir haben unsre Lebendigkeit nicht in uns selbst.

Doch wir wollen darüber nicht klagen. Gewiß ist unser Leben begrenzt. Aber innerhalb der uns zugemessenen Zeit werden' wir auch bejaht. Gott hat uns gewollt und will uns noch. Was er geschaffen hat, das will er auch erhalten. Unser Leben soll uns sogar Freude machen.

Aber dazu brauchen wir das tägliche Brot.

 

(2.) Doch wir brauchen mehr als nur Brot: Die Menschen, von denen wir in diesem Kapitel hören, begreifen dies nicht. Sie sind völlig mit der Frage beschäftigt, wie sie ihre äußere Existenz sichern können. Weil Jesus ihnen Brot verschafft hat, wollten sie ihn zum König machen. Ihr Unverständnis scheint hoffnungslos zu sein. Aber Jesus läßt sich dennoch auf ein Gespräch mit ihnen ein.

Jesus sagt seinen Kritikern: „Verschafft euch Speise, die vorhält bis ins ewige Leben!“ Doch zunächst einmal schafft sich der Mensch eine Heimstatt so wie der Vogel ein Nest; und drumherum schafft er die Bedingungen für ein auskömmliches und gesichertes Leben. Das soll auch Niemandem verleidet werden. Viele Dinge erleichtern uns ja auch tatsächlich das Leben, verschönern es und machen es glücklicher und reicher.

Aber auch der perfekteste Wohlstand ist noch nicht Leben im Sinne Jesu. Das Menschliche am Menschen ist ja nicht, daß sein Bau etwas komfortabler ist als ein Fuchsbau. Man kann alles haben, was dem Wohlstandsbürger erstrebenswert scheint, und doch das wirklich Mensch­liche verfehlen. Man kann sich alles leisten können und doch mit dem nicht zurechtkommen, was eigentlich das Leben, ist. Das eigentliche Leben ist da, wo wir das Nichtseinsollende verwerfen und das Seinsollende bejahen und uns zu eigen machen, so daß wir im Dienen und Wirken einen Ertrag bringen können.

Aber meist verwenden wir all unser Können und unsre Kräfte darauf, die äußeren Daseins­bedingungen zu verbessern. Aber das bringt einmal den Haushalt unsrer Welt in Unordnung. Je mehr wir produzieren, desto mehr Abfälle gibt es, darunter gefährliche Gifte und nicht wieder verwendbare Rückstände.  Zum anderen verfehlen wir aber auch unser Menschsein, denn „der Mensch lebt nicht vom Brot allein“. Menschsein ist mehr als Essen und Trinken und Verbrauchen.

Das Tier lebt, um zu essen, und es ißt, um zu leben; das ist ein ewiger Kreislauf, darüber hinaus gibt es nichts. Der Mensch aber ist das Gegenüber Gottes. Er wird von Gott angeredet und soll darauf Antwort geben. Das eigentlich Menschliche unseres Lebens ist die Gemeinschaft mit Gott.

Dabei haben die Gegner Jesu immerhin begriffen, daß das Brot vom Himmel nicht aus der Welt kommt. Sie wollen schon mehr haben als das irdische Brot. Aber Jesus sagt ihnen: Was ihr sucht, das habt ihr in dem „Mehr als Brot“. Das Brotwunder geschieht ja jetzt, wo ihr mich vor euch habt. Ihr braucht tatsächlich Brot, ihr braucht das Christusbrot. Es geht nicht um Brot, das ich euch geben könnte, sondern es geht um das Brot, das ich bin. Worauf ihr aus seid, das habt ihr in mir!

Das Geben ist Sache des Vaters im Himmel. Und das Gegebene ist Jesus selbst. Die Menschen sind auf etwas aus, das Jesus bringen soll. Aber er sagt: Ich bringe mich selbst! Ich zeige nicht den Weg, ich bin der Weg! Ich gebe nicht Auferstehung und Leben, sondern ich bin die Auferstehung und das Leben! Ich zeige nicht nur mit der Hand ans andere Ufer, sondern ich bin auch der Kahn, der an dieses Ufer bringt.

Man kann natürlich auch versuchen, ohne Jesus dem äußeren Bestand seines Lebens zu erhalten. Dann müht man sich eben nur um die tausend kleinen Dinge und die tausend großen Dinge des Lebens und findet doch keine Ruhe. In Jesus aber geht uns das Herz Gottes auf. Da wird uns deutlich: Wir haben das Leben zwar nicht in uns selbst, wir empfangen es aber täglich wieder neu von Gott.

Jeder Bissen Brot könnte uns daran erinnern, daß wir der Zufuhr von Leben bedürfen. Aber darunter fällt nicht nur das Brot im wörtlichen Sinne, sondern zum Beispiel auch das Wort Gottes. Das Johannesevangelium entwirft das Hoffnungsbild einer Zukunft, in der wir das Wort Gottes essen wie Brot, in der wir die Liebe Jesu Christi trinken wie Wein.

Dazu gehört auch, daß wir Brot und Wein in unsrer Gemeinschaft kreisen lassen. Brot und Wein sind nicht zum Anschauen da, sie nähren nur, indem man sie zu sich nimmt. Jesus will nicht nur mit uns sprechen im Gebet, sondern er will in uns eingehen und in uns aufgehen. Besonders für eine Kranken und Sterbenden kann das Abendmahl zum Brot des Lebens und zum Segen werden. Wer aber Christus im Abendmahl in sich aufgenommen hat, der hat das Leben in Gottes Gemeinschaft schon jetzt.

 

 

Joh 6, 55 - 65 (Lätare):

Wenn man auf dem Schulhof die Papierkörbe nachsieht, dann kann man dort manches Brot und manches Brötchen finden. In den Hungerjahren war das anders, da wurde alles nur irgendwie Eßbare verwertet. Genauso machen es aber Viele, wenn es um Christus geht, der das Brot des Lebens ist: als sie in Not waren und nicht mehr ein noch aus wußten, da haben sie gern nach ihm gegriffen. Aber dann traten andere Dinge in den Vordergrund, man mußte sich eine Existenz aufbauen und nachher dann sichern; da konnte man sich dann nicht mehr so um Gott und die Kirche kümmern, das sollte dann Zeit haben bis zum Alter.

Sicherlich gehören die Anschaffungen und all das, was wir so zum Leben brauchen, einfach mit zum Leben dazu. Das Wort „Brot“ meint ja nicht nur das Brot, das wir beim Bäcker kaufen können. Es steht an sich für das Wort „Lebensmittel“, und dieses wiederum steht für

alles, was wir zum Leben brauchen. Dazu gehören neben Essen und Trinken auch Wohnung und Kleidung, das gute Zusammenleben mit anderen und der Urlaub, das Auto und der Fernsehapparat und noch vieles andere mehr.

In der schlechten Zeit ging es wirklich nur um den Grundbedarf. Da hat man eine Mindestmenge Kalorien festgelegt und die Zuteilungen entsprechend vorgenommen. Man braucht eine gewisse Menge Kalorien, dazu Vitamine und Spurenelemente, sonst kann man auf die Dauer nicht leben. Doch die Frage ist: Gehört auch Jesus mit zu diesem Existenzminimum dazu? Ist er wirklich ein Grundnahrungsmittel, ein Mittel zu einem wirklichen Leben mit Gott? Das Johannesevangelium sagt dazu: Leben haben wir nur in Christus, Christus gibt sich uns in seinem Mahl, wir empfangen sein Mahl nur im Glauben.

 

(1.) Leben haben wir nur in Christus: Aller Überfluß nützt allein nichts, wenn man nicht das „Leben“ hat. Jesus meint damit nicht die Erhaltung des äußeren Bestandes und den Fortgang der biologischen Vorgänge.

Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, nicht von dem, was wir erarbeiten und gestalten, erfinden und konstruieren. Wir sind immer „Menschen vor Gott“ und haben darin unsre Würde und Bestimmung.

Gott ist wie das Brot, auf das wir talgtäglich angewiesen sind. Doch viele sehen ihn nur wie einen Kuchen oder eine Torte an, die man sich einmal an Son- und Feiertagen leistet, mehr so eine Zutat. Aber wenn einer nur Kuchen essen wollte, dann wird er bald überfüttert. Von Zutaten allein kann man nicht leben. Brot aber kann man jeden Tag wieder neu essen, ohne es überdrüssig zu werden.

So ist Christus für einen Christen eine Speise, die er täglich braucht. Es wird ihm auch nicht zu viel, jeden Sonntag zum Gottesdienst zu gehen, weil er dort etwas Lebensnotwendiges erhält. Für ihn ist der Glaube nicht nur so eine Weltanschauung am Rande, auf die man zur Not auch noch verzichten kann. Er weiß vielmehr: Zum wahren Leben genügt es nicht, wenn man mit Frau und Kindern zufrieden in seinem Häuschen wohnt. Das Leben läuft leer, wenn es sich nur in der Befriedigung der leiblichen Bedürfnisse erschöpft. Wenn man Christus nicht hat, dann verhungert man.

Die Zeitgenossen Jesu forderten irdisches Brot von ihm. Am Anfang des Kapitels wird ja die Speisung der Fünftausend beschrieben. Sie verlangten Hilfe in den äußeren Nöten des Lebens, aber nicht die Vergebung ihrer Sünden und die Erneuerung ihres Wesens. Sie suchten Heilung von diesem oder jenem Gebrechen, nicht aber das Heil Gottes. Vor allem suchten sie nicht das ewige Leben in Jesus Christus.

Außer der Frage nach dem täglichen Brot gibt es eben auch die Sehnsucht nach dem ewigen Leben. Das ist eine Urfrage der Menschheit. Im Alten Testament wird erzählt von dem Manna, das vom Himmel fiel und von dem die Israeliten sich bei ihrer Wüstenwanderung ernährt haben. Aber Jesus stellt nüchtern fest: „Auch sie starben!“. Irdische Nahrungsmittel sichern nur das irdische Leben, nicht das himmlische.

Das liegt vor allem auch daran, daß wir Gott oft schneiden und mißachten und dabei unser Menschsein verfehlen. Deshalb brauchen wir nicht nur das Brot vom Bäcker und auch nicht nur das Manna vom Himmel, sondern ein Leben von Gott, das den Tod überdauert. Dieses Leben empfangen wir nur in Christus. Eines Tages werden die Bedingungen für die Erhaltung unsres Lebens mehr und mehr schwinden: vielleicht wird der Atem knapp oder der Magen nimmt nichts mehr oder die Sinne schwinden oder es wird uns all das genommen, wofür wir uns ein Leben lang abgestrampelt haben - aber es bleibt das Leben, das in der ungetrübten Gemeinschaft mit Gott besteht und wo wir uns unbesorgt in seine Liebe hineinfallen lassen können.

 

(2.) Christus gibt sich uns in seinem Mahl: Die Menschen haben Sehnsucht nach der Verlängerung ihres irdischen Lebens ins Unendliche hinein. Was dem Menschen gut tut, das soll immer so bleiben. Und wenn hier etwas schlecht und unzulänglich bleibt, dann möchte man wenigstens auf eine bessere Zukunft vertröstet werden. Mancher will sich auch selber helfen: er wendet Kosmetik und Kuren an, schließt eine Lebensversicherung ab und fühlt sich mit 60 Jahren noch auf der Höhe seiner Kraft.

Beim ewigen Leben aber geht es weder um unsre Wünsche und Sehnsüchte noch um eine möglichst lange Dauer des Lebens. Vielmehr geht es um die enge Verbindung und die Gemeinschaft mit Gott. Diesen Zugang zu Gott finden wir über Jesus, der zu uns kommt in seinem Mahl. „Die Liebe geht durch den Magen!“ sagt man. So geht auch Jesus in uns ein und macht uns so die ganze Liebe Gottes deutlich. Er gibt sich uns und will sich mit uns vereinigen. Er gibt uns nicht etwas, sondern sich selbst.

Deshalb kommt es nicht auf das Brotwunder an, sondern auf den Geber der Gaben. Der hat nicht andere für sich arbeiten lassen, die er dann mit Gold und Silber bezahlt hätte, wie das andere Brotherren tun. Das neue Leben kommt nicht wie die Luft des Frühlings, sondern Jesus hat sich als Priester als Opfer hingegeben. Dadurch wurde der neue Bund zwischen Gott und den Menschen geschlossen.

Mit seinem Fleisch hat Jesus dafür bezahlt. Dieses Fleisch dürfen wir heute noch essen im Abendmahl. Sicherlich dürfen wir das nicht wörtlich verstehen, so als hätten wir wirkliches Fleisch zwischen den Zähnen. Aber wir empfangen den ganzen Christus im Abendmahl. Es ist ein wahrhaftes, aber übernatürliches Essen, in dem Jesus sich uns zuwendet und sich hingibt. Wie das möglich ist, das ist Gottes Geheimnis. Aber Christus bindet sich an Brot und Wein, so daß wir ihn in uns aufnehmen können.

Es genügt also nicht, nur die Predigt zu hören, obwohl sich Christus natürlich auch im Wort gibt. Es ist nicht genug, zu ihm zu kommen und an ihn zu glauben. Das Brot des Lebens will euch gegessen werden. Christus weiß, daß wir ihn leibhaft nötig haben. Wirkliche Gemeinschaft gibt es schon unter uns Menschen nur durch leibliche Nähe. Menschen, die sich liebhaben, wollen einander sichtbar und greifbar nahe sein.

So schwebt auch Christus nicht geistlich über uns, sondern er geht in uns ein. Wir nehmen ihn in uns auf und er nimmt uns in sich auf. Er ist ganz im Irdischen und wir sind ganz im Himmlischen. Dieses Wissen verändert auch schon jetzt das Leben. Wer seine Zukunft durch Gott gesichert weiß, der will täglich mit Gottes Wort umgehen und sehnt sich nach Gottesdienst und Abendmahl.

Wir haben Grund zur Freude: Jesus kam als Brot des Lebens zu uns. Jetzt gilt es, diese großartige Gabe Gottes im Glauben anzunehmen. Aber dann kommen viele Dinge, die man mit dem Willen nicht bewältigen kann, von innen heraus ganz neu in Ordnung: ein vorschneller Streit in der Familie, lautes Geschrei mit den Nachbarn und noch vieles andere.

 

(3.) Wir empfangen das Abendmahl nur im Glauben: Die harte Rede Jesu löst unter Vielen eine Abfallbewegung aus, sogar unter denen, die sich bisher als seine Jünger verstanden. Sie sagen: Der will uns weismachen, er sei vom Himmel gekommen und bringe uns himmlisches Leben? Er will das Brot des Lebens sein und uns mehr bieten als unsren Lebensstandard? So lassen sie sich lieber durch andere Angebote weglocken und verführen. Sie bleiben nicht, sondern sie gehen weg und verraten ihn damals wie heute.

Jesus fragt: „Wollt ihr auch weggehen?“ Und Petrus antwortet ihm mit dem berühmten Worten: „Herr, wohin sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens, das sich lohnt und das froh macht!“ Doch dieses Plus an Wirklichkeit nimmt nur der Glaube wahr. Daß Jesus vom Himmel gekommen ist und heute in seinem Mahl gegenwärtig ist, kann nur der Glaube erkennen.

Man kann Jesus die ganze Zeit leibhaftig vor sich gehabt haben wie Judas und doch an ihm irre werden und ihn verraten. Der Unglaube darf niemanden verwundern, weil er an sich das Normale ist, auch unter Jüngern und unter uns. Erst der Geist deckt uns in Christus und in seinem Mahl die göttliche Wirklichkeit auf.

Der Glaube kann ja nichts hervorbringen, sondern entdeckt nur das Vorhandene und nimmt es an. Wir haben die Christuswirklichkeit nicht geschaffen, sie kann auch nicht durch uns annulliert werden. Unsre Untreue hebt Gottes Treue nicht auf. Sein Mahl bleibt, auch wenn der Glaube aussetzt. Er wartet geduldig vor der Tür, bis wir aufmachen.

 

 

Joh 6, 47 - 51 (ähnlicher Text, aber nicht mehr in den Predigtreihen)

In der Jakobstraße in Paris gab es einen Bäcker, bei dem die Leute gern einkauften. Er war ein menschenfreundlicher und weiser Mann. Einmal kam der Busfahrer Gerard in den Laden Der Bäcker fragte ihn, weshalb er so bedrückt aussieht. „Ich habe Angst um meine kleine Tochter“, sagte der Busfahrer. „Sie ist gestern aus dem Fenster gefallen, vom zweiten Stock!“

Da nahm der Bäcker ein Stück vom Brot, das auf dem Ladentisch lag, brach zwei Bissen ab und gab das eine Stück dem Busfahrer. „Essen Sie mit mir!“ sagte er. „Ich will an Sie und ihre kleine Tochter denken!“ So aßen sie beide ihr Brotstück und dachten an das Kind im Krankenhaus.

Dann kam eine Frau dazu. Doch ehe sie ihren Wunsch sagen konnte, gab ihr der Bäcker ein Stück Weißbrot in die Hand und sagte: „Kommen Sie, essen sie mit uns: die Tochter dieses Herrn liegt schwerverletzt im Krankenhaus, sie ist aus dem. Fenster gestürzt, vier Jahre ist sie alt. Der Vater soll wissen, daß wir ihn nicht allein lassen!“ Da nahm die Frau das Brot und aß mit den beiden. So kam das öfter vor. Der Bäcker wußte eben, daß das Brot nicht nur zum Sattessen da ist.

Auch Jesus hat das den Menschen klarmachen wollen. Da waren Fünftausend satt geworden. nun interessieren sich die Leute für diesen Jesus, den sie als Brotspender erlebt haben. Nur zu gern hätten sie ihn zu ihrem König gemacht, der ihnen auch in Zukunft immer solches Brot liefert. Jesus sagt: „Ja, ich bin das Brot des Lebens. Aber wahres Leben habt ihr nur von mir, durch mein Opfer und in meinem Abendmahl.

 

(1.) Wahres Leben haben wir nur von Christus selbst: Jesus hat das Begehren der Menschen nach Brot ganz ernst genommen. Aber Schritt für Schritt will Jesus sie dahin führen, wo man Leben im Vollsinn des Wortes gewinnen kann. Er sagt: „Verschafft euch doch nicht solche Nahrung, die immer wieder verdirbt, sondern die Nahrung, die ins ewige Leben hinein bleibt. Diese kann nur ich euch geben!“ Natürlich ist das eine Rede, die der Einsicht und dem Willen sehr viel zumutet. Zunächst einmal geht es doch den Menschen darum, den Bauch zu füllen. Alles, was irgendwo vorhanden ist, muß man haben: zum Schulanfang der Kasettenrecor­der, zur Konfirmation das Moped, mit 18 Jahren ein voreheliches Verhältnis. Auch wir heute

leben in einer Anspruchsgesellschaft, in der man nicht bereit ist, einmal auf etwas zu verzichten oder nach höheren Werten zu fragen.

Auffälligerweise sind wir an dem Leben im qualifizierten Sinn wenig interessiert. Vielleicht haben wir sogar den Verdacht, das ewige Leben werde uns nur deshalb angeboten, weil wir um das zeitliche Leben betrogen werden sollen.

Aber Jesus will nicht, daß wir weniger Leben haben, sondern mehr. Allerdings genügt es nicht, daß wir das natürliche Leben nur immer mehr steigern. Es geht um ein ganz anderes Leben. So nach und nach erkennen die Menschen auch, daß man das haben müßte, wovon Jesus redet. Ob sie es wissen oder nicht: Die Menschen sind darauf angewiesen, was Gott ihnen zusagen und geben will. Nur besteht Gottes Gabe nicht unbedingt in dem, worauf w i r aus sind.

Wir brauchen etwas, was uns von Hause aus gar nicht in den Sinn kommt. Wir brauchen Gott, wir brauchen Christus! Doch das ist erst recht eine „harte Rede“: Jesus soll das von Gott gekommene Brot sein. Jesus schätzt sich doch zu „himmlisch“ ein, aber er gibt sich zu „irdisch“. Und er mutet uns zu, ihn selbst zu essen und zu trinken. Da kann man doch nur mit dem Kopf schütteln. Und ein Jude gar durfte gar kein Blut trinken und empfand den Genuß von Blut als ekelhaft.

Aber Jesus meint Folgendes: Wer Brot vom Bäcker ißt, wird immer wieder Hunger bekommen. Das Brot bringt das Leben nicht aus sich selbst hervor, sondern bedarf selber des Lebens, der Zufuhr von außen.

Man müßte aber Brot „vom Himmel“ haben, das heute schon das ewige Leben sichert. Dazu gehört aber, daß man mit Gott in eine personale Gemeinschaft kommt. Wir sind doch dazu geschaffen, sein Gegenüber zu sein. Das ist viel wichtiger, als uns immer nur mit der Fristung und Bereicherung unseres äußeren Lebens zu beschäftigen. Unser Leben beruht nicht

auf dem, was Jesus uns g i b t, sondern auf dem, was er uns i s t. In seiner persönlichen Zuwendung gibt Gott uns das ewige Leben. Dieses ist kein Luxusartikel, etwas, das auch ohne wesentlichen Schaden wegfallen könnte. Brot ist das Nötigste des Nötigen, vergleichbar nur mit Wasser und Atemluft. Es wäre ein Irrtum, ohne Jesus das „Leben“ haben zu wollen.

 

(2.) Das wahre Leben haben wir nur durch das Opfer Jesu: Das Brot, das Jesus ist, erlangt seine lebensspendende Kraft durch die Hingabe in den Tod. In dem großen Kreislauf der Natur muß ja auch das Weizenkorn erst in die Erde gelegt werden und sterben, damit Frucht daraus entsteht. Daraus kann man Brot machen, von dem wiederum andere leben können. Immer muß etwas hingegeben werden, damit anderes leben kann.

So ist auch Jesus das Brot, das für uns gegeben wurde. Er hat sich selber aufgegeben, damit wir leben können. Dabei war nicht erst sein Tod die Hingabe des Lebens, sondern seine ganze Zuwendung zu uns. Aber wird machen ihm oft das Herstellen der Gemeinschaft sehr schwer. Wir wollen ja eigentlich gar nicht i h n, sondern nur das, was er zu bieten hat. Zuletzt steht Jesus ja ganz allein da, nur die zwölf Jünger sind noch dabei, aber auch unter ihnen ist ein Verräter.

Jesus teilt nicht nur Brot aus, sondern er gibt sein menschliches Leben hin: „Das Wort ward Fleisch!“ heißt es am Anfang des Johannesevangeliums. Dabei hat er es auf die ganze Welt abgesehen. Aber das Leben aus Gott hat man nicht automatisch, sondern man muß es im Glauben annehmen. Das ewige Leben kann man nicht anders haben, als daß man zu Jesus kommt. Aber zum Glauben gerufen sind alle. Und für alle in der Welt hat er sein Leben gegeben.

 

(3.l) Das wahre Leben haben wir nur durch das Mahl Jesu: Die Gedanken nehmen noch einmal eine scharfe Wendung. Jetzt ist das Geben des Brotes ein Sakrament, eine heilige Handlung. Jetzt ist nicht mehr Jesus als Person das Brot, sondern man muß wirklich das Brot essen und das Blut trinken. Die Formulierungen am Schluß des Abschnittes deuten ganz klar auf das Abendmahl: „Das Brot ist mein Fleisch, dahingegeben für das Leben der Welt!“

Doch natürlich darf man nicht meinen, nun brauche man sich nur noch an Brot und Wein zu halten, dann habe man schon das Leben. Von Jesus, dem Herrn, kann man dabei nicht absehen. Er gibt die Speise zum ewigen Leben. Doch er sucht Verbindung zu uns auf verschiedene Art. Er tut es mit seinem Wort, er tut es aber auch mit Brot und Wein. Er bindet seine Gegenwart und sein unzerstörbares Leben an Brot und Wein. Dadurch will er uns zum Glauben helfen, damit wir nicht immer nur das Wort haben, sondern auch etwas zum Anfassen.

 

Das hat auch der Bäcker begriffen, von dem am Anfang die Rede war. Natürlich hätte er seine Kunden auch mit einigen tröstenden Worten abspeisen können. Das wäre ein Akt der Höflichkeit gewesen, vielleicht auch nur Ausdruck seiner Geschäftstüchtigkeit. Aber dem Menschen wäre nicht geholfen gewesen. Durch die Handlung, durch das gemeinsame Essen aber hat er sich auf die gleiche Stufe gestellt mit dem Mann, der Kummer hatte.  Ohne viele Worte zu machen hat er ihn getröstet, hat ihm wieder Hoffnung gegeben, hat ihm wieder das Leben ermöglicht, ein zufriedenes und erfülltes Leben. So hat Jesus auch gehandelt, so handelt er noch heute an uns.

 

 

Joh 7, 28 - 29 (Christvesper):

Vor Weihnachten wird immer sehr geheimnisvoll getan mit den Geschenken. Der Zubeschen­kende soll noch nicht erfahren, welche Überraschung da auf ihn wartet. Natürlich kann man sich auch über ein Geschenk freuen, von dem man schon vorher weiß - manchmal läßt sich das gar nicht vermeiden - aber die Überraschung ist größer, wenn man vorher nichts weiß. Und wer schon vorher die Pakete auspackt oder in allen möglichen Verstecken zu suchen beginnt, der bringt sich selber um etwas.

Diese Heimlichtuerei vor Weihnachten kann ein bescheidenes Gleichnis sein für das, was wir heute aus dem Johannesevangelium gehört haben. Diese Verse führen uns nicht in den Stall von Bethlehem oder auf das Hirtenfeld, sondern vor uns steht der Mann Jesus auf der Höhe seiner irdischen Wirksamkeit. Er spricht und wartet auf unsere Zustimmung. Wir sollen her­ausfinden, wer da eigentlich vor den Menschen steht und zu ihnen spricht.

Doch dieses Geheimnis ist nicht gleich jedem offenbar. Wir erleben hier nicht redliche Hirten, die betend vor dem Kind knien, sondern eher Menschen wie Herodes, der dem Kind nach dem Leben trachtet. Wir sollten es besser machen. Wir sollten erkennen: In Jesus haben wir das Einmalige vor uns, daß in einem Menschen Gott selber begegnet. Seitdem sind die Menschen nicht mehr unter sich, sondern Jesus ist sozusagen das Ursakrament, in dem Gott und Mensch eins geworden sind.

Ein Geburtstag ist immer auch Anlaß, über den Menschen nachzudenken, dessen Geburtstag gefeiert wird: Was bedeutet uns dieser Mensch, welche Rolle spielt er in unserem Leben, was verdanken wir ihm und was wünschen wir ihm? So könnten wir heute auch fragen: „Wer ist Jesus für uns?“

Die Jerusalemer haben sich diese Frage auch gestellt. Aber die Antwort war ihnen auch wiederum verstellt durch die landläufigen Messiasvorstellungen. Sie meinten, die Sache sei an sich klar: Wenn man die Herkunft eines Menschen kennt, dann kann er nicht der sein, in dem Gott sich offenbart. Ist er der Erwartete, dann muß um seine Person ein Geheimnis sein. Er muß wie ein Feuerwerkskörper aus einem unbekannten Dunkel aufrauschen. Bei Jesus aber gibt es kein Dunkel, man kennt seine Herkunft: Er ist Josephs Sohn. Er kommt aus Nazareth und nicht aus Bethlehem, wie es nach der Schrift sein müßte.

Aber es gehört mit zum Gehalt des Evangeliums, daß unser Herr ein ganzer Mensch gewesen ist, dessen Vater und Mutter und dessen Geburtstag und Geburtsort man angeben kann. Er ist geboren wie irgendeiner von uns. Aber er hat - anders als wir - ein Menschenleben in Armut, Unruhelosigkeit und Gefahr geführt. Heute wäre er vielleicht in Kalkutta geboren, einer der elendsten Städte der Welt. Ein Karl-Marx-Denkmal hat man dort errichtet. Aber davon werden die Hungernden nicht satt. Vielleicht kann Karl Marx der Heiland dieser Menschen werden. Wir jedenfalls haben einen anderen.

Doch dieser ist eben aufgewachsen wie irgendeiner. Nichts im Menschenleben wird ihm fremd sein: die Freude nicht, aber auch nicht Hunger und Durst, Schwachheit und Angst. Er wird geliebt und geehrt, aber auch gehaßt und verfolgt. Und zuletzt muß er sterben - grausam sterben. Aber so hat er mit uns geteilt, was das Menschendasein ausmacht.

Wir sollen ihn in seiner ganzen Menschlichkeit kennen. Er will uns in seiner ganzen Menschlichkeit nahe sein. Das macht uns ja Weihnachten so lieb: Wir haben einen Gott, der uns nicht aus unendlicher Entfernung anredet. Das möchten vielleicht viele, daß Gott nur irgendwo weit über dem Sternenzelt wohnt, damit man ihn sich vom Leibe halten kann. Unser Gott ist uns ganz nahegekommen, indem er einer von uns wurde.

Allerdings setzte er sich damit dem Mißverständnis aus, daß er n u r ein Mensch ist. Man könnte denken, sein ganzes Wollen und Wirken könne aus dem menschlichen Vermögen heraus begriffen werden. Wir würden dann an Weihnachten einen Großen der Weltgeschichte verehren, als einen gütigen und wahrhaftigen Menschen, der sich besonders der Vernachlässigten und Verachteten angenommen hat.

Er wäre aber nur ein Vorbild, der an unser Menschsein appelliert, damit wir die in uns liegenden Anlagen und Kräfte mobilisieren. Gott könnte dabei aus dem Spiel bleiben. An Jesus wäre nichts weiter, als daß er in bester Weise praktiziert,was Menschen sein und tun können.

Natürlich wollen wir auch die Ebene de s Menschlichen nicht außer acht lassen. Mancher wird den Zugang zu Jesus und dann zu Gott gefunden haben, weil Jesus so menschlich war. Aber es ist um diesen Jesus auch ein Geheimnis, das die Jerusalemer zwar ahnen, aber das sie doch an falscher Stelle suchen: Sie vermuten irgendwo eine Durchbrechung des normalen Laufs der Dinge.

Aber das Geheimnis des Christus ist nicht in einer Lücke des Menschlichen zu finden. Zunächst einmal ist bei Jesus das Menschliche und Irdische in keiner Weise durchbrochen, er ist ganzer Mensch geworden. Und doch ist ein Geheimnis um ihn. Aber es steckt in seiner ganzen Person. Man kann es nicht erkennen, wenn man nur das Äußerliche sieht. Im Grunde muß es uns von Gott selber aufgedeckt werden. Und deshalb haben die Engel gesagt: „Euch ist heute der Heiland geboren!“

Damit kommen wir auf die Frage nach dem Ursprung Jesu. Jesus sagt zunächst: „Ich bin nicht von mir aus gekommen!“ Er ist nicht ein Mensch unter Menschen, und sein Auftreten ist nicht auf eigenes Wollen und Entschließen zurückzuführen. Daß Jesus da ist, beruht auf dem Wollen eines anderen.

Der Name Gottes kommt in diesen zwei Versen nicht vor, er wird nur umschrieben. Dieser Gott ist in Christus in die Welt gekommen. Aber Jesus ist nicht nur sein Prophet und Herold, sein Beauftragter und Sprachrohr, sondern er ist in diesem Jesus selber in die Welt gekommen.

Im Lied heißt es: „Den aller Welt Kreis nie beschloß, der legt in Marien Schoß!“ Seitdem durchdringt die Wirklichkeit Gottes die ganze Welt. Jetzt haben wir es in jedem Augenblick und an allen Orten und in allen Dingen mit Gott zu tun. Besonders finden wir ihn in seinem Wort und in den Sakramenten. Dorthin sollten wir gehen, wenn wir Gott suchen und eine Hoffnung für unser Leben finden wollen.

Es gibt ein Bild von Ernst Barlach mit dem Titel „Der göttliche Bettler“. Es zeigt im Vordergrund groß einen Bettler, der die Füße mit Lumpen umwickelt hat und an Krücken geht. Er hat sich offenbar eine Treppe hinuntergequält, auf der sich viele Menschen Stufe um Stufe aufwärts gequält hatten und doch immer wieder herunterfielen. Sie haben längst aufgehört, mit Gott zu rechnen. Daß er in dem Bettler in ihrer Mitte ist, das erkennen sie nicht. Nach ihrer Meinung müßte er anders aussehen: strahlend, überwältigend, mit segnend erhobenen Armen.

Wir möchten vielleicht auch gern so einen Jesus haben. Im Mittelalter in der Zeit der Romanik hat man ihn als einen König mit einer Krone dargestellt, noch am Kreuz. Aber kann man sich vorstellen, daß man einem König sein böses Gewissen und seine Angst geben könnte? Einem Bettler aber kann man etwas geben, er erwartet ja, daß man ihm was gibt.

Einem göttlichen Bettler aber kann man alles geben. Natürlich nicht nur ein Almosen, sondern dieser Jesus will uns ganz. Deshalb wirbt er um uns mit seiner Niedrigkeit. Deshalb macht er sich so klein, damit wir uns trauen. Ein armseliges Kind ist er gewesen, ein Wanderprediger und ein geschundener Todeskandidat. Aber dadurch ist er uns auch so nahe gekommen, obwohl ein Geheimnis um ihn war und er göttlichen Ursprungs war.

Es ist eigentlich ein starkes Stück, daß Jesus den Jerusalemern und noch dazu im Tempel die Kenntnis Gottes abspricht. Sie sind das klassische Volk der Religion - und sollen Gott nicht kennen? Sie hätten doch alle Voraussetzungen dazu, Gott zu finden. Aber als er dann tatsächlich vor ihnen steht, sind sie drauf und dran, sich an ihm zu vergreifen, und eines Tages werden sie es wirklich tun. Das Kreuz steht dicht bei der Krippe.

Aber haben w i r denn begriffen, daß Gott Gemeinschaft mit uns auf du und du sucht? Er will doch nicht, daß es bei uns bei einem unverbindlichen Gottesbewußtsein bleibt. Mancher sagt ja: „Es ist schon möglich, daß es ein höheres Wesen gibt!“ Aber wer so spricht, der kennt Gott nicht. Gott darf für uns nicht zum im Grunde unbekannten Gegenstand unseres Fragens und Denkens werden.

Gott will uns vielmehr ganz konkret begegnen,, so daß er vor uns steht: sichtbar, hörbar, zum Anfassen. Gott ist dann nichtmehr Objekt unseres Wissens, sondern das uns anredende und uns ergreifende Subjekt. Vielleicht könnten wir das gerade dieses Jahr zum Christfest erfahren: Das Geheimnis Gottes ist durchbrochen durch Jesus. In ihm ist Gott einer von uns geworden. So kann er uns verstehen und helfen. Das kann uns froh machen und uns eine Zu­kunft eröffnen.

 

 

Joh 7, 37 - 39 (Exaudi):

Von uns hat wohl noch niemand richtigen Durst gehabt. Wenn wir einmal einen halben Tag nichts zu trinken hatten, dann ist das ja noch kein Durst. Eine Frau  hat einmal nach einer Operation sechs Wochen lang nichts trinken dürfen und erhielt nur über einen Tropf die notwendige Flüssigkeit. Erst dann hat man ihr eine Kanne Tee hingestellt. Die hat sie dann in einem Zug ausgetrunken. So etwas ist Durst, wirklicher Durst.

Aber eine andere Art des Durstes kennen wir wohl alle: den Lebensdurst. Wir wollen etwas erleben, wollen etwas vom Leben haben, wollen das Leben genießen. Wir haben Sehnsucht nach dem, was wir haben müßten, aber eben nicht haben. Und wir merken, daß eine Lücke klafft zwischen unsrer Bestimmung von Gott her und dem tatsächlichen Zustand unseres Lebens.

Da sind wir gespannt auf ein Familienfest, an dem wir uns wieder einmal so richtig freuen wollen und wo es wirklich gemütlich sein soll. Aber dann klappt es doch nicht, es ist alles nur Krampf, schließlich ist man froh, wenn die Arbeit wieder beginnt. Lebensdurst gibt es bei jungen Menschen, die sich von dem großen Kuchen ein möglichst großes Stück sichern wollen. Ihnen stehen ja noch alle Möglichkeiten offen, sie können sich noch viel leisten, sie wollen erst ihren Weg durchs Leben finden.

Lebensdurst haben aber auch alte Menschen. Wenn einer nicht mehr arbeiten kann, fühlt er sich abgeschoben. Er möchte noch am Leben der anderen teilnehmen, aber er kann niemandem mehr helfen und fühlt sich überflüssig. Einsamkeit ist dann wie der Tod.

„Durst“ kann man hier im weitesten Sinne verstehen. Für uns persönlich suchen wir Lebenssinn und Geborgenheit, wir wollen angenommen sein und Freude am Leben haben. Und für die Welt suchen wir nach Frieden und Gerechtigkeit. Im Grunde wissen wir alle, wie es sein müßte und daß es nicht so ist. Das ist Zeichen für den Lebensdurst, den wir doch alle irgendwie haben.

Jeder Mensch kennt in seinem Leben aber auch Durststrecken. Dann hat er keinen Schwung, die Gedanken drehen sich im Kreis, man erkennt nicht einmal den nächsten Schritt und Erfolge bleiben aus. Jesus kennt dieses Defizit an Leben und ruft: „Wen da dürstet, der komme zu mir!“ Und das sagt er ausgerechnet am Schlußtag und Höhepunkt des Laubhüttenfestes. Das war ein Tag der Freude und der Ausgelassenheit, wo alle Sorgen vergessen waren und wo man eine Art Karneval mit Wein, Weib, Gesang feierte.

Jesus will bewußt den Höhepunkt des Festes bilden. Aber es war vielleicht der unpassendste Augenblick für den Ruf des Glaubens. Wo Menschen fröhlich und ausgelassen sind, haben sie kein Ohr für die Frage nach dem Sinn des Lebens. Sicher hat Jesus der Ablauf des Festes empfindlich gestört.

An sich war es das Fest der Weinernte. Aber man erinnerte sich auch an die Wüstenzeit, in der Gott dem Volk immer wieder Wasser gegeben hat. Da ging er Priester zur Siloahquelle und bringt das Wasser zum Altar Gottes hinauf. Dort schüttet er es aus und erfleht von Gott reichen Regen für das kommende Jahr und darüber hinaus den ganzen Fruchtbarkeitssegen der Heilszeit.

In diesem feierlichen Augenblick, wenn es totenstill in der Menge ist und nur der Priester das Gebet spricht, muß Jesu Zwischenruf wie ein Protest empfunden werden. Aber Jesus wollte wohl auch protestieren. Er ruft: „Was macht ihr da? Ihr seid im Irrtum mit all eurer frommen Betriebsamkeit. Wasser gibt es nirgendwo anders als bei mir!“

Die Empörung ist groß, besonders bei den Priestern. Man singt: „Brunn alles Heils dich ehren wir!“ oder sonst so ein Lied. Und man weiß: Gott ist der Brunnquell aller Gnaden! Und nun will dieser Hergelaufene das Volk zu sich locken und sagt: „Bei mir allein erhaltet ihr das Wasser des Lebens!“

Aber Jesus erkennt: Diese Menschen haben trotz aller schönen Gottesdienste immer noch einen ungestillten Lebensdurst. Das ausgelassene Treiben ist vielleicht gerade Zeichen eines gar nicht bewußt wahrgenommenen Mangels: Man ist in Unruhe und Hast, hat Angst etwas zu verpassen, will sich etwas leisten können, man hat ein unersättliches Glücksbegehren, flieht aber oft in den Rausch und sucht dort das Entbehrte.

Diese Menschen kommen nicht los von sich selbst, sie sind immer noch im Trott ihrer ererbten Gewohnheiten. Gottesdienst gehört eben mit zum Leben dazu. Aber er kann den eigentlichen Durst nicht stillen. Er ist nur wie das abgestandene Wasser eines schmutzigen Dorfteiches und nicht wie das lebendige Wasser einer frischen Quelle.

Jesus will ihnen nicht beweisen, daß sie doch im Grunde auch Durst haben müßten. Wenn einer wirklich Durst hat, braucht man ihm das nicht umständlich klarzumachen. Aber Jesus deutet das ausgelassene Treiben dieser Tage als Zeichen eines Durstes, den sie aber nicht bewußt wahrnehmen. Er will nicht nur fragen, wenn es ihnen schlecht geht. Vielmehr fragt er gerade auf dem Höhepunkt der Freude und Fülle und will wissen, ob ihnen nicht doch etwas fehlt.

Jeder Mensch tut zwar vor sich und vor anderen so, als sei alles in Ordnung bei ihm. Er versucht die. Differenz zwischen Sollen und Sein zu verdecken und auszugleichen. Aber wenn er dann den Ruf hört: „Wen da dürstet!“ dann merkt er doch, daß er Durst hat. Das ist wie bei den Kindern: Solange sie spielen, fehlt ihnen nichts. Aber wenn man sie fragt: „Habt ihr Durst? Kommt, ihr könnt Sprudel haben!“ dann sagen sie bestimmt nicht „Nein“.

Das Schöne bei Jesus ist nur: Er hat tatsächlich etwas zu bieten. Wer sich an Leib und Seele seinem Einfluß öffnet, auf den werden Ströme des lebendigen Wassers fließen. Gottes Wille steht für jeden bereit; er muß sich nur für Gott öffnen.

Das bedeutet: Er muß andere Quellen verlassen. Er kann nicht noch einmal hier und da noch schnell einmal nippen, sondern er muß sich ganz auf Gott einstellen und auf ihn verlassen. Ein Arzt möchte ja auch, daß wir allein seinen Maßnahmen vertrauen und nicht noch alles Mögliche Andere nebenher probieren.

In geistlicher Hinsicht aber ist Gott unser Arzt. Er sorgt dafür, daß wir leben und glauben können. Sonst gilt ja die Regel: „Aus nichts wird nichts!“ Nur wer etwas hineinsteckt, kann auch etwas ernten. Aber beim Christwerden und Christsein sind solche Überlegungen falsch.

Man muß nicht „religiös veranlagt“ sein, um Christ zu werden. Und wenn man solche Anlagen mitbrächte, würden sie doch im Augenblick der Begegnung mit Christus zunichte. Den geistlich Armen gehört das Reich Gottes zuerst. Der Christ lebt nicht von dem, was er hat, sondern von dem, was er empfängt.

Am heutigen Sonntag denken wir daran, daß die Kirche vor Gott arm ist aus eigener Schuld und nichts bieten kann. Aber es kann der Kirche gar nichts Besseres widerfahren, als daß sie sich ihrer Armut bewußt wird. Sie kann immer nur um den Heiligen Geist bitten, der ihr an Pfingsten gegeben wurde.

Wer an Jesus glaubt, wird mit der Fülle Gottes überströmt werden. Er muß sich nicht mehr selber stark machen, um alles selbst zustandezubringen. Er braucht nicht mehr in der Sorge zu leben, er könnte im Leben zu kurz kommen und er müßte verbissen um sein gutes Recht kämpfen.

Wer an Jesus glaubt, der vertraut ihm. Er sagt sich: Was er mir gibt, wird das Beste sein. Ich kann unbefangen ja sagen zu der Situation, in die er mich stellt. Ich werde meine Kräfte nicht vergeuden, indem ich zu erzwingen suche, was mir doch versagt wird. Ich brauche nicht mit Gewalt und List mein vermeintliches Recht zu holen. Und ich brauche auch nichts für mein Ansehen zu tun.

Mein Ansehen besteht darin, daß Jesus sich meiner annimmt. Weil Jesus da ist, hat Gott trotz allem ungetrübte Freude an mir. Und Jesus ist da: Er ist nicht seit Himmelfahrt verschwunden, sondern hat an Pfingsten neu angefangen.

Wer an Jesus glaubt, empfängt nicht nur für sich selber Erquickung, sondern gibt sie auch an andere weiter, von ihm werden Ströme des lebendigen Wassers auf andere Menschen überfließen. Im Kloster Maulbronn im Schwarzwald gibt es einen Brunnen, der uns dieses Überfließen deutlich machen kann: Er besteht aus mehreren Schalen, die übereinander geordnet sind; nach unten zu werden die Schalen immer größer. Das Wasser fließt von der oberen Schale in die anderer hinein: keine Schale wird leer, aber jede gibt auch das empfangene Wasser weiter.

Wenn Gott uns den Heiligen Geist gibt, dann will er, daß wir ihn an andere überströmen lassen. Es gibt solche erquickenden Menschen, von denen Gottes Art auf andere Menschen übergeht. Man ist gern in ihrer Nähe. Sie verbreiten Fröhlichkeit um sich her. Sie strahlen Güte aus, sie wirken verbindend und versöhnend. In ihrer Nähe kann man schwer Böses denken, geschweige denn tun.

Man kann das für eine natürliche Veranlagung halten, die mit dem Christsein nichts zu tun hat. Und umgedreht gibt es auch viele Christen, die gerade nicht solche herzerquickenden Menschen sind. Aber wir dürfen auch nicht resignieren und sagen: „Ich bin nun einmal wie ich bin!“

Wir  h a b e n den Heiligen Geist doch von Jesus empfangen. Wenn wir ihn nicht hindern oder ableiten, wird er auf andere Menschen überströmen. Und wenn das alle tun, kann einer den anderen tragen und halten. Dann werden wir auch unsre eigenen Durststrecken am ehesten überwinden können.

Wir können sogar anderen helfen, auch wenn wir meinen, selber verdurstet zu sein. Gott betreibt seine Sache ja gerade mit unvermögenden Leuten. Es gibt natürlich auch die anderen Menschen, die „aus dem Vollen schöpfen“. Die meistern mit Eleganz, woran wir uns die Zähne ausbeißen. Solche Menschen können wir nur bewundern und vielleicht auch beneiden. Doch solche Menschen können nicht helfen und anspornen.

Da kann uns im Grunde nichts Besseres widerfahren, als daß wir uns unsrer Armut bewußt werden. Wer aus sich selber nichts vermag, der steht unter der Verheißung Gottes, daß er den Segen Gottes in die Welt hinein verströmen darf. Wir sind Arme, die aber doch viele reich machen!         

 

Joh 7, 14-18 (2. Sonntag nach dem Christfest):

In der Nazizeit wurde ein praktizierender Christ gefragt: „Woran glaubst du eigentlich?“ Er überlegte einen Augenblick und sagte dann einfach das Glaubensbekenntnis auf. Daraufhin fragt er den mit der anderen „Weltanschauung“: „Und was glaubst du?“ Der andere stotterte etwas verlegen herum und sagte dann: „In Berlin beraten sie noch darüber, aber wenn es dann raus ist, dann glaube ich ganz fest daran!“

Da haben wir es doch wirklich besser mit unserem jahrtausendealten Glaubensbekenntnis. Nur wäre es vielleicht noch besser, wenn man sich kurz und knapp auf das Wesentliche am Glau­bensbekenntnis beschränk­te. Da ist wieder Luthers Erklärung hilfreich. In Anlehnung daran könnte man sagen: „Ich glaube, daß mich Gott geschaffen hat. Ich glaube, daß Jesus Christus mich erlöst hat. Ich glaube, daß der Heilige Geist mich heilig macht!“ Und dann müßte man nur noch erläutern: „Heilig machen“ bedeutet „an Gott glauben können“.

Jesus wurde auch gefragt, was er glaubt und woher er seine Lehre hat. Und da sagt er ganz eindeutig: „Meine Lehre ist nicht von mir, sondern von dem, der mich gesandt hat!“ Er sagt gleich von vornherein, worauf es ankommt und versucht nicht, lange Erklärungen zu geben, um seine Gegner langsam an die Wahrheit heranzuführen.

Man könnte ja auch sagen: „Mach doch erst einmal mit einem anständigen Leben Ernst, dann wirst du mit der Zeit auch Verständnis für die Lehre gewinnen!“ Dahinter steht dann die Vorstellung: Gotteserkenntnis kann man grundsätzlich überall gewinnen. Ein Beispiel dafür könnte die Musik sein, Bach und Beethoven, aber vielleicht auch Abba oder Peter Maffay. Vielleicht bedürfe es doch gar nicht einer ausgeformten Religion mit einer klar umrissenen Bot­schaft und einem formulierten Glaubensbekenntnis.

Eine Kirchengemeinde hatte einer privaten Vereinigung von Senioren einen Raum im Gemeindehaus zur Verfügung gestellt. Die unterhielten sich dort, machten Spiele und tranken Kaffee, einmal im Monat gab es einen Busausflug. In einer Werbung für die Gruppe hieß es dann: „Wir sind konfessionsfrei!“ Doch das ist nicht der richtige Ausdruck. Denn das würde ja bedeuten, daß nur der kommen darf, der frei von jeder Konfession - von jedem religiösen Bekenntnis - ist. Dann hätte die Kirchengemeinde die Gruppe wohl kaum aufgenommen. Richtig muß es heißen: „Wir sind überkonfessionell“. Es spielt also keine Rolle, ob einer evangelisch oder katholisch ist oder sogar gar nichts ist- es kann jeder kommen. Dabei muß man aber bedenken, daß im Grunde jeder Mensch eine Konfession hat, ein Glaubensbekenntnis, auch wenn er gegen jede Religion ist. Wer keiner Religionsgemeinschaft angehört, der bastelt sich selber eine Weltanschauung zurecht, denn ohne das kann kein Mensch leben.

Natürlich sind wir überall auf den Spuren Gottes und auf irgendeine Weise in Kontakt mit ihm. Keiner kann sich herausreden, er habe von Gott nichts gewußt. Natürlich haben wir ihn nicht persönlich vor uns. Vielleicht wäre es auch gar nicht gut für uns, wenn wir uns als Sünder dem großen Gott nähern wollten. Aber er hat sich ja zu uns aufgemacht und will unsere Rebellion beenden durch Versöhnung und Vergebung. Nur weil er uns die Hand reicht, können wir zum Glauben kommen.

So ist für den Christen der Himmel seine Hochschule, Gott ist der ihn Berufende und Gottes Ehre sein Berufsziel. Keiner muß erst Theologie studiert haben, um über den Glauben Bescheid zu wissen, sondern jeder von uns hat einen unmittelbaren Zugang zu Gott.

 

1. Der Himmel ist die Hochschule:

Jesus redet von Gott, indem er sich auf die Schrift beruft. Offenbar ist er darin zu Hause! Er hat doch nicht studiert, er gehört doch nicht zu der Zunft der Schriftgelehrten? Er ist doch nur ein Laie, wie wir auch heute in der Kirche sagen. Bei den Synoden ist zum Beispiel festgelegt, daß nur ein Drittel der Mitglieder Pfarrer sein dürfen, die anderen sind „Laien“, zumindest auf theologischem Gebiet, denn sie haben nicht studiert. Aber Jesus macht deutlich, daß es nicht auf das Wissen ankommt, sondern auf den Glauben.

Allerdings müssen wir auch die Gefahr sehen, wenn die sogenannten „Laien“ das Zepter allein in die Hand nehmen wollen und sich dabei über die Pfarrer erheben. Das hat schon immer zum Abgleiten in Sondergemeinschaften geführt, sei es nun in der Landeskirchlichen Gemeinschaft oder in den Freikirchen oder in den ausgesprochenen Sekten wie den Neuapostolischen oder den Zeugen Jehovas. Sie wollen sich über alle Überlieferungen der Kirche hin­weg­setzen und wollen den Himmel direkt anzapfen.

Jesus aber stellt sich in die Glaubensgeschichte seines Volkes. Er sucht Gott nur in der Schrift und nicht anderswo. Nur legt er die Schrift anders aus als die Schriftgelehrten. Es ist kein Wunder, daß diese nicht mit ihm einverstanden sind. Auch wir heute wären mißtrauisch, wenn da plötzlich einer ganz anders redete und die Bibel auslegte als wir es gewohnt sind. Er kann damit durchaus recht haben, aber er kann sich auch auf einem Irrweg befinden und nur von der Wahrheit wegführen.

Die Wahrheit ist also der Maßstab und nicht das, was die Juden zum Vorwurf machen: „Du hast ja keine Vorbildung!“ Jesus kann darauf nur antworten: „Mein göttliche Herkunft ermöglicht mir das rechte Verständnis der Schrift!“ Dabei erinnert er sich nicht nur an seine Herkunft, sondern sie ist ihm ständig gegenwärtig.

Er kennt sich im Himmel und im Herzen des Vaters aus. Deshalb legt er nicht die Schrift aus, sondern er legt Gott aus. Er ist nicht ein besonders reich begnadeter religiöser Mensch, sondern er hat eine unmittelbare Gotteserkenntnis. Der Himmel ist also Jesu Hochschule.

Wir haben diesen unmittelbaren Zugang nicht. Aber wir können die Gotteserkenntnis durch Jesus gewinnen. Deshalb ist er uns nahegekommen, ist er Mensch geworden. Gott hat es uns leichter gemacht, an ihn zu glauben, indem wir auf das Wort Jesu hören. Dieses aber ist in der Heiligen Schrift niedergelegt. Er brauchte sie nicht unbedingt, aber w i r brauchen sie. Solange wir Gott nicht von Angesicht zu Angesicht sehen, ist die Schrift unentbehrlich, auch wenn sie uns manchmal rätselhaft bleibt.

So richtig dahinter kommen wird man wohl erst, wenn man sie ausprobiert. Wenn ich wissen will, was auf einer Kompaktdisk gespeichert ist, dann genügt es nicht, wenn man sich den Aufdruck oder die Speicherschicht ansieht, sondern man muß sie ins Gerät legen und abspielen. So machen wir es, wenn uns in der Weihnachtszeit mit der Werbung solche Platten zugeschickt werden mit Weihnachtsliedern: Nur wenn wir sie abhören wissen wir, ob sie nur solche Lieder enthalten wie „Am Weihnachtsbaum die Lichter brennen“ oder ob echte Weihnachtslieder drauf sind wie „O du fröhliche“ [Eine CD mitbringen und vorzeigen].

 

2. Gott ist der Berufende:

Wer in der Kirche ein Amt übernimmt, das mit der Verkündigung des Wortes Gottes zu tun hat, der wird dazu berufen. Bei den Pfarrern nennt man diesen Vorgang „Ordination“, die als Voraussetzung unter anderem ein Universitätsstudium hat. Das soll verhindern, daß einer nur von sich selbst redet. Wer nur sein eigenes Sehnen und Ahnungen, seine angeblichen Erfahrungen mit Gott vorbringen will, der braucht keine Beauftragung. Aber der Verwalter der göttlichen Gnadenmittel braucht sie. Und er kann nur darum beten, daß er Gottes Willen erkennt und ihn richtig auslegt.

Jesus war kein Wichtigtuer, der sich selbst nach vorne spielt. Aber er ließ sich von Gott beauf­tragen, ließ sich von ihm ordinieren. Nur so konnte er Botschafter an Gottes statt werden. Natürlich gibt es keinen Beweis dafür. Auch Jesus ist mit seinem Anspruch schutzlos. Aber was er sagt, das ist von Gott. Man kann sich ihm anvertrauen, im Leben und im Sterben. Und das gibt auch Kraft, selber zum Verkündiger zu werden. Dazu braucht man keine Ordination wie die Pfarrer, sondern jeder Christ ist durch die Taufe ordiniert, ein Verkündiger des Wortes Gottes zu sein.

 

Jesus ist dafür das Vorbild. Er hat nicht Sachverhalte gebracht, die einfach gelehrt werden und die man mit dem Verstand aufnehmen muß. Es geht nicht darum, daß „überm Sternenzelt ein gütiger Vater wohnen muß“, sondern in Christus kommt dieser Gott und will engste Gemeinschaft mit uns aufnehmen. Es geht nicht darum, daß Sünden künftig erlassen werden, sondern es wird gesagt: „Dir sind deine Sünden vergeben!“ Es geht nicht darum, daß wir Erkennt­nisse über Gott gewinnen, sondern daß er zu uns gekommen ist und heute noch kommt.

 

3. Gottes Ehre ist das Ziel:

Jesus sucht nichts anderes, als daß Gott zu seiner Ehre kommt. Menschlicher Ehrgeiz hat in der Geschichte der Menschheit schon großen Schaden angerichtet. Auch die Kirche ist davon nicht frei. Auch manche Pfarrer haben eine widerliche Geltungssucht und haben vergessen, daß wir alle Sünder sind und nur aus Gnade gerechtfertigt werden. Aber so etwas kann man auch bei Laien finden. Da übernimmt einer den Vorsitz im Kirchenvorstand und meint nun, er sei der „Herr Kirchenvorsteher“ und könne schalten und walten, wie er will, viel stärker, als der Pfarrer als Vorsitzender es jemals gewagt hätte.

Wenn es so kommt - bei einem Pfarrer oder einem Laien - dann verleugnet man das, was man predigt oder in der Ordination versprochen hat. Wer groß dastehen will, sich wichtig macht, immer Recht haben will gegenüber Menschen und gegenüber Gott, der rühmt nur sich selber und gibt Gott nicht die Ehre. Er sagt nur: „Ich danke dir Gott, daß ich nicht bin wie die anderen Leute!“

Jesus gibt da ein anderes Vorbild ab. Er erniedrigte sich bis zur Sklavenarbeit. Sein ganzes Leben und Wirken war ein Opfer. Alle Trümpfe, die er in der Hand hatte, warf er weg. Aber dadurch hat er es vermieden, sich so vor Gott zu stellen, daß er dessen Ehre verdeckt, auch wenn er an sich auch Ehre verdient hätte. Er beugt sich vor dem Vater, indem er sagt: „Geheiligt werde dein Name“. Aber einem solchen, der nicht auftrumpfte, sondern sich opferte, dem können wir uns gern anvertrauen.

 

 

Joh 8, 3- 11 (4. Sonntag nach Trinitatis):

Wie stehen wir zu Menschen, die die bestehenden Normen ablehnen und aus ihnen ausbrechen wollen? Wir wollen dieses biblische Beispiel nicht gleich verengen auf den Bereich des sechsten Gebots. Es gibt auch andere, mit denen wir nichts zu tun haben wollen. Für machen genügen schon die langen Haare, um einen abzulehnen. Gammler oder gar Punker ein wahrer Bürgerschreck und haben jedenfalls in der Kirche nichts zu suchen. Aber wir haben sicher auch unsre Vorurteile gegenüber Nicht-Getauften oder Nichtkonfirmierten.

Es gibt eben Menschen, die eine andere Lebensauffassung haben als die offizielle gewünschte oder als die von den Menschen wirklich vertreten wird. Damit müssen wir rechnen, das müssen wir aushalten, da müssen wir uns überlegen, wie wir uns dazu stellen wollen. Es ist nicht immer leicht, einen anderen anzunehmen, wie er ist, vor allem wenn er den eigenen Vorstellungen widerspricht. Geben wir wirklich jedem die Freiheit und die Möglichkeit, als ein Mensch zu leben?

Oder haben wir Vorurteile und versuchen jeden in ein bestimmtes Schema zu pressen? Vielfach wird das ja in unserer Gesellschaft versucht, die Menschen nach dem bestimmten Bild zu formen. Sollten wir als Christen da nicht mehr Freiheit geben und dem Anderen den Lebensraum einräumen, den er halt braucht?

In einem Buch steht zu dieser Erzählung, der Leser würde doch sofort Partei ergreifen für diese Frau. Die Strafe ist doch zu grausam, daß sie eine Stunde des wirklichen oder vermeintlichen Glücks mit dem Leben bezahlen soll. Sie hat vielleicht nur einmal eine Stunde des Versagens und der Schwachheit erlebt, und nun soll sie so hart dafür büßen? So etwas fordere doch unser Mitleid heraus, weil wir da heute großzügiger denken.

Aber vielleicht denkt man doch strenger und unbarmherziger. Gerade wenn man - zumindest nach außen - einen hohen Maßstab an sich selber legt, der wird ihn auch dem anderen auferlegen wollen. Wenn ich schon nicht darf, dann soll der andere auch nicht dürfen! Und wenn er es doch tut, dann muß ihn die ganze Härte des Gesetzes und die Verachtung der Menschen treffen. Warum soll anderen erlaubt sein, was mir selber verboten ist? So denken wir doch im Grunde alle.

Diese Geschichte wurde interessant in einer Zeit, als man sich in der Kirche fragte: „Soll man sich etwa mit der Sünde abfinden?“ Offenbar hatte auch ein Umschwung stattgefunden von der Vergebung zur Verurteilung des anderen. Da fragte man danach, wie denn Jesus mit dem sündigen Menschen umgegangen ist. Da fügte man eine solche Geschichte ins Johannesevangelium ein, um zu schildern, wie in der Gemeinde Jesu die Sünde zu ahnden sei.

Die Ankläger stellen allerdings keine echte Frage. Für sie ist das Urteil ja klar: „So steht im Gesetz des Mose geschrieben und so wird verfahren!“ Aber sie wollen Jesus eine Falle stelle - und wollen ihr unmöglich machen: Widerspricht er ihrem Urteil, dann kann man ihn als Verächter des Gesetzes festnageln, dann kann man ihm vorwerfen, ein Beschützer der Sünde zu sein. Stimmt Jesus aber ihrem Urteil zu, dann ist er nicht mehr der Heiland der Sünder und vor seinen Anhängern bloßgestellt, dann könnte man sagen: Im Ernstfall steht er doch nicht zu seiner Barmherzigkeit.

Jesus gibt ihnen die Antwort, auf die sie warten, aber er macht ihre Falle zunichte. Er bestätigt die Schuld der Frau. Er stellt ihnen sogar frei, den Urteilsspruch selber auszuführen. Aber er sagt: „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein!“

Die Ankläger müssen sich auch selber dem Urteilsspruch des Gesetzes unterwerfen. Vielleicht haben sie nicht auf die gleiche offene Art und Weise gesündigt. Aber Gott verdammt auch Begierde und schlimme Gedanken, Grausamkeit und Lieblosigkeit gegenüber dem anderen.

Die theoretische Streitfrage wird so unter der Hand zu einer Existenzfrage. Meinten die Ankläger eben noch, sich die Sache vom Leib halte zu können, so werden sie nur gewissermaßen selber davon angesprungen. Jesus, den sie eben noch aus dem Sattel heben wollten, wird nun selber zum Angreifer.

Und da wird deutlich Nach dem Gesetz ist keiner in Ordnung. Wir sind alle Sünder und dürfen einander nicht verurteilen. Am heutigen Sonntag geht es um die Gemeinde der Sünder, die nur von Gott freigesprochen werden kann. Denn das wollen wir ja auch sagen: Gerade in Ehesachen sind unsre oft freizügigen Auffassungen vom Glauben her nicht vertretbar. Wir können vielleicht Verständnis dafür haben, daß ein Mensch einmal eine schwache Stunde hat. Vielleicht ist ihm in der Ehe das erhoffte Glück versagt geblieben, vielleicht hat er sich in den Menschen getäuscht. Wir müssen die Macht der Versuchung mit einkalkulieren.

Aber sollen wir die Normen ändern, nur weil es alle so machen? Soll man über die eheliche Treue anders denken, nur weil es so viele Ausbrüche aus der Ehe gibt? Wenn viele etwas falsch machen, wird es noch nicht richtig, und es ist auch kein Grund, es zu dulden. Jesus ermäßigt die Forderungen Gottes nicht und gibt nicht für die Sünde grünes Licht. Aber er entzieht den Anklägern das Recht, einem Menschen im Namen Gottes das Leben abzusprechen oder auch nur ihn von den anderen zu isolieren, weil er schuldig geworden ist.

Die Sünde der Frau wird nicht geschmälert. Jesus verharmlost die Sache nicht und sagt nicht: Das ist nicht so schlimm, die anderen tun das ja auch! Die Schuld wird nicht vertuscht, sondern offen genannt. Aber es geht nicht darum, daß einem Gesetz Genüge getan wird, sondern daß einem Menschen in auswegloser Situation eine Hilfe angeboten wird. Das Leben dieser Frau wird nicht zerstört, sondern Jesus ermöglicht ihr einen neuen Anfang und gibt ihr neue Möglichkeiten zum Leben.

Wir wollen die Ankläger nicht abwerten. Sie sind wirklich Hüter der Ordnung. Wie anders sollte in einer Gemeinschaft das Leben geschützt werden als durch Ordnung? Nur ist Ordnung nicht Selbstzweck, sie darf nicht zur Vernichtung des Lebens führen. Es mag sein, daß diese Ankläger wirklich eine bessere Gerechtigkeit haben, nach bürgerlichen Moralbegriffen bessere Menschen sind. Aber das gibt ihnen noch lange nicht das Recht, lieblos über andere zu urteilen. Vielleicht haben sie es nur leicht gehabt, ohne Strafpunkte über die Runden zu kommen. Vielleicht waren sie nicht solchen Versuchungen ausgesetzt und haben nicht unter so ungünstigen Bedingungen laufen müssen wie diese Frau.

Jesus hebt diesen ganzen Zusammenhang zwischen Sünde und Gesetz, Urteil und Strafvollzug aus den Angeln. Er ist an all diesen Fragen und Maßnahmen nicht interessiert, weil er in ganz anderen Zusammenhängen denkt. Für ihn ist wichtig, daß das Reich Gottes kommt. Da entsteht eine neue Welt. Was will man da noch eine arme Schuldiggewordene zu 'Tode steinigen und über das Recht diskutieren? Jetzt schlägt doch eine ganz andere Stunde!

Jesus blickt einfach nach unten und schreibt mit dem Finger in den Sand. Er beachtet die Ankläger nicht mehr und gibt ihnen damit die Möglichkeit, unauffällig fortzugehen. Schweigend nehmen auch sie Jesu Verzeihen in Anspruch. Und so kann auch Jesus dieser Frau dasselbe Verzeihen gewähren. Er tat das nicht, damit sie weiter sündigen konnte, sondern um ihr einen neuen Anfang zu ermöglichen.

Jesus ist der Einzige, der tatsächlich ohne Sünde ist und deshalb der ersten Stein werfen dürfte. Aber er sagt nur ganz schlicht: „So verurteile ich dich auch nicht!“ Die anderen Richter waren nicht zuständig. Sie sind selber Sünder und dem Gericht Gottes verfallen und können deshalb keine Richter sein. Sie können es aber auch nicht sein, weil mit dem Kommen Gottes sowieso das Ganz - Andere anbricht.

In Gottes Reich aber werden die Sünder angenommen und freigesprochen. Dabei spielt keine Rolle, gegen welches Gebot man verstoßen hat.

Jedes wiegt gleich schwer. Urd wir sollten nicht nur das sehen, was man allgemein als erste Sünde ansieht, nämlich was mit Ehe und Ehebruch zu tun hat. Vor allen Dingen macht Jesus auch deutlich, daß Männer und Frauen hier in gleicher Verantwortung stehen. Denn seit den Juden bis heute hat sich bei vieler doch so die Meinung erhalten, daß sich Männer auf sexuellem Gebiet mehr erlauben können als Frauen. Das aber geht seit Jesus nicht mehr. Jesus verzeiht bedingungslos. Welche Vorleistung hätte die Frau auch erbringen können? Es ist allein die große Barmherzigkeit und Sünderliebe Gottes, die eine Verlorene rettet. Aber sie wird auch gleichzeitig verpflichtet: Sie soll in Zukunft nicht mehr sündigen. Das ist nur nicht eine noch nachträglich zu erfüllende Bedingung für den Freispruch. Sie soll vielmehr sagen: „Der hat mir das Leben gerettet und mich von meiner Schuld entlastet, jetzt will ich auch für ihr leben!“

Die große Barmherzigkeit Gottes, wie Jesus sie praktiziert, verändert das Leben, auch unser Leben. Wir dürfen erfahren, daß Gott uns angenommen hat. Aber wir sollten auch bereit sein, den anzunehmen, der ein Sünder ist wie wir.

 

 

Joh 8, 12 - 16 (Christfest II, Version 1):

Der römische Kaiser Aurelian hat im 3. Jahrhundert das „Fest der unbesiegten Sonne“ auf den 24./25. Dezember festgelegt. Das ist kurz nach der Wintersonnenwende, wenn die Sonne wieder ihren Siegeslauf gegen Dunkel und Kälte beginnt. Dieses Fest hat wohl großen Anklang gefunden, weil es mit dem Jahreslauf verbunden war. Wer würde sich nicht freuen, wenn die Tage wieder länger werden und alles wieder auf den Frühling hinausläuft.

Auf dieses volkstümliche Fest ist die christliche Kirche eingegangen, als sie im 4. Jahrhundert den 24. /25. Dezember zum Geburtstag Christi erklärte. Damit hat sie die Gedanken und Ge­wohnheiten der Menschen aufgenommen und ihnen einen christlichen Sinn gegeben. Aber gleichzeitig hat sie auch gesagt: Nicht der römische Kaiser, sondern Christus ist die wahre Sonne.

Richtig deutlich wurde das allerdings erst am Wirken des erwachsenen Jesus. Wir werden heute am zweiten Feiertag nicht mehr in den Stall geführt, sondern in die Öffentlichkeit. Heute geht es nicht mehr um ein andächtiges Betrachten von geschnitzten oder gemalten Figuren, sondern um den Mann, der gesagt hat: „Ich bin das Licht der Welt!" Dieses Licht ist wie die Sonne, wie ein Röntgenstrahl oder wie ein Weihnachtstransparent.

 

Das Licht der Welt ist wie die Sonne: Wir können heute gar nicht mehr so nachempfinden, welches Grauen vor dem Dunkel der Nacht die Menschen früher hatten. Finsternis war der Inbegriff des Unheimlichen und Bedrohlichen. Man ersehnte den Sieg des Lichts mit der gleichen Inbrunst, mit der man alle Morgen den Sonnenaufgang begrüßte.

Bei uns dagegen macht das elektrische Licht die Nacht zum Tag. Eine beleuchtete Großstadt ist zwar noch nicht taghell, auch nicht in der Weihnachtszeit. Aber sie ist doch weit von der Finsternis entfernt, die unsre Vorfahren als etwas Grauenhaftes empfanden. Ein Fußballspiel wird heute unter „Flutlicht“ ausgetragen. Und letztendlich haben wir in der Atombombe sogar ein Licht zur Verfügung, das heller ist als tausend Sonnen.

Vordergründig gesehen kann Christus also nicht mit den vielen anderen Lichtern in der Welt konkurrieren. In der Zeit des Kienspans und der Öllampen war der Christbaum mit seinen vielen Kerzen noch ein Hinweis auf die strahlende Helligkeit, die Christus verbreitet. Unsre heutige Beleuchtungstechnik aber hat den Christbaum weit überholt.

Dennoch haben viele Menschen den Christbaum lieber als alles andere Licht. Er schenkt uns zwar nicht den hellsten Schein, aber den schönsten. Die Neonlampen geben nur ein nüchternes und kaltes Licht. Aber die Kerzen, die echten Wachskerzen, strahlen Wärme und Geborgenheit aus, bei ihnen ist uns wohl.

Wir können auch den Vergleich mit dem Sonnenlicht heranziehen. Zwar kann die Sonne auch ein gleißendes Licht abgeben und sogar stechen. Aber in der Hauptsache ist sie für uns doch der lebensspendende Stern. Wenn die Strahlung der Sonne plötzlich aufhörte, wäre es in kürzester Frist um alles Leben geschehen. Leben ist nur da, wo Licht und Wärme ist. Wenn eine Pflanze kein Licht mehr erhält, vegetiert sie dahin und geht schließlich ein. Und wenn einer krank ist und lange nimmt mehr an die Sonne kam, wird er blaß; aber gerade da ist er wieder besonders anfällig für Krankheiten.

Wer aber Jesus gefunden hat, der ist in den Lichtraum eingetreten, wo das Streben nach Un­abhängigkeit von Gott überwunden ist. In seiner Nähe dürfen wir uns sicher wissen und es wird uns warm ums Herz werden. Da lassen wir uns hinein holen in die beglückende Gemeinschaft mit Gott, in der wir unser Leben haben. Es heißt nicht: „Wer Christus nachfolgt, der     s o 1 1 das Licht des Lebens haben!“ sondern es heißt: „Wer ihm nachfolgt, w i r d das Licht des Lebens haben!“

Dieses Licht ist mehr als alle anderen Lichter der Welt. Es geht dabei nicht um ein Licht mehr oder weniger, nicht um einen Wettbewerb nach dem hellsten Licht. Es geht um die grundsätzliche Entscheidung: Licht oder Finsternis. Entweder man ist ganz im Dunkel oder man ist ganz im Licht. Das Licht bringt es an den Tag, oder: Die Sonne bringt es an den Tag.

 

Das Licht der Welt ist wie ein Röntgenstrahl:

Wer im Dunkeln tappt, hat keinen Durchblick. Er wird anfällig für das Widergöttliche, das die Bibel „Sünde“ nennt. Das Leben aber in der Sonne Gottes ist erst das wahre, volle Leben. Dorthin will Jesus Christus uns führen.

Es gibt aber Leute, die behaupten genau das Gegenteil: Der Glaube verdunkle nur die Erkenntnis, hell könne es nur werden, wenn man sich davon losmacht. Sicher hat es Glaubenskriege und die Unterdrückung wissenschaftlicher Erkenntnisse gegeben. Doch Jesus will, daß es hell wird. Und wir sollen bei der Erhellung der Welt mithelfen, vor allem dabei, daß es in der Welt etwas menschlicher zugeht.

Christen sind nicht weltfremd, sondern sehen die Welt und die Menschen im Lichte Gottes realistisch. Sie machen sich nicht mehr so viele Illusionen über das Gute im Menschen, wie das weltliche Heilslehren meist tun. Man muß sehr viel glauben, wenn man deren Heilslehren bejahen will. Da tut man sich im Grunde leichter mit dem Glauben an Gott. Doch das erkennt man erst, wenn man an Gott glaubt. Durch ein helles Licht werfen die Ge­genstände erst scharfe Schatten, dann erkennt man erst so richtig, was vorher an Hindernissen alles so da war. Es ist ganz gut, wenn Licht in die Dunkelheit kommt, um Gut und Böse zu unterscheiden. Gottes Licht durchdringt unser Innerstes wie eine Röntgenstrahlung.

Jesus durchschaut uns in der Tiefe mit den Augen Gottes, so wie auf einer Röntgenplatte eine verborgene Krankheit ans Tageslicht kommt. Es wird alles aufgedeckt, was sich im Dunkel versteckt und getarnt hat. Es gibt keine unausgeleuchtete Ecke mehr, in der man Zuflucht finden könnte. So kommt ja auch die Polizei dem Verbrecher auf die Spur, indem sie Scheinwerfer oder Leuchtkugeln einsetzt. Jesus bringt auch Licht in unseren Fall. Sich von Jesus durchschaut wissen, ist schon heute das Gericht, da entscheidet sich schon heute, was am Ende sein wird.

Dennoch sagt Jesus: „Ich richte niemand!“ Seine Gegner urteilen nach menschlicher Weise und verurteilen deshalb auch. Jesu Urteil ist zugleich das des Vaters. Er schaut aber nicht nur in die Tiefe, um zu verurteilen, sondern er ist ja gekommen, um die Welt zu retten. Er will sie nicht der Verlorenheit überlassen, sondern sie ins Leben „zurücklieben“. Er tritt der Finsternis nicht mit Finsternis entgegen, sondern scheint in die Dunkelheit hinein und macht sie wieder hell.

Vor dem „Ich-bin- Wort“ Jesu hat einer die Geschichte von der Ehebrecherin eingefügt, die gesteinigt werden soll, bis Jesus zu ihren Anklägern sagt: „Wer unter euch ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein!“ Die Frau kann ihre Schuld vor Jesus nicht verbergen. Aber er erkennt auch, daß sie Hilfe und wahres Leben braucht. Jesus deckt schon auf. Er ist nicht nur ein Stimmungsmacher für die Weihnachtsfeiertage, sondern schon der Richter.

Aber er richtet anders als seine Gegner. Sein Urteil ist gerecht. Auf einmal sind die Rollen vertauscht: Sie haben ihn anklagen wolle; aber jetzt werden auch sie von ihm beurteilt und vor die Entscheidung für oder gegen das Licht gestellt. Sie werden auch eingeladen, in den Lichtkreis Jesu zu treten.

 

Das Licht der Welt ist wie ein Weihnachtstransparent: Ist es denn wirklich heller geworden, seit Jesus auf die Erde kam? Wieviel Unheil haben doch gerade Menschen, die Christen sein wollten, über die Erde gebracht? So wird doch verschiedentlich eingewandt.

Aber dieser Vorwurf trifft nicht Jesus, sondern uns selbst. Wie wenig leuchtet doch aus uns selbst das Licht Christi. Wir lassen uns zwar von diesem Licht anleuchten, aber wir werden dadurch nicht verwandelt.

Ein Mensch kann natürlich immer nur Schaltstelle sein für das Licht Gottes, so eine Art Spiegel, der das empfangene Licht dann weitergibt an andere. Wir sollten uns selber als eine solche Schaltstelle zur Verfügung stellen. Gerade in dieser Advents- und Weihnachtszeit braucht vielleicht mancher Mensch unsre Liebe, braucht ein wenig Licht in seinem Alltag, braucht jemanden, der ihm wieder Mut macht. Alleinstehende Menschen spüren in dieser Zeit ihre Einsamkeit besonders. Aber mit wenigen Mitteln läßt sich hier viel erreichen: ein Besuch oder eine Einladung kann hier viel Freude bringen.

Wir können auch den Vergleich mit einem Weihnachtstransparent ziehen. Es leuchtet nicht aus sich selbst, sondern durch die Kerzen, die dahinterstehen. So erhalten wir als Menschen unser Licht auch nur von Gott. Wir brauchen es nur durch uns hindurch zulassen und weiterstrahlen zu lassen.

Wir dürfen darauf vertrauen, daß Christus viel Licht hat. Es kommt durch uns hindurch zu anderen Menschen, damit es auch bei denen etwas hell werden kann. Es ist nicht immer leicht, die Liebe Gottes auch zu leben. Aber wir dürfen uns doch freuen, daß soviel sie zu verwirklichen trachten,

Wer sich von Jesus bescheinen läßt, der wird auch die Kraft erhalten, anderen zu helfen. Und wer anderen hilft, der wird dabei auch für sich selber viel gewinnen und wird so ganz nebenbei auch viele seiner Probleme einer Lösung zuführen.

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Nicht eingegangen wurde auf die Frage nach der Legitimation Jesu: Man wirft ihm vor, er sei nur sein eigener Zeuge, da könne ja jeder behaupten, er komme von Gott. Das ist Größenwahn und Hochstapelei und empörend für einen, der das erste Gebot ernst nimmt. Doch ein Beweis für die Richtigkeit dieser Aussage Jesu kann nicht erbracht werden. Man kann ja auch nicht den Wert eines Kunstwerks (Bild oder Plastik) nach dem Gewicht feststellen. Man muß das Werk ansehen und kann dann beurteilen, ob es Kunst ist oder nicht. So muß man sich auch erst mit Jesus einlassen, dann wird sich das Geheimnis seiner Person von selbst erschließen, von innen her (vgl. auch Voigt, S. 54).

 

Andacht: (Version 2)

In einem Gespräch ging es um das Böse im Menschen. Ein Psychologe meinte: „In der Kirche wird der Mensch in zwei Hälften zerteilt, eine gute und eine böse. Die böse Seite kommt vom Teufel; sie ist im Grunde unmenschlich und muß deshalb ausgeschieden werden. Dazu arbeitete man früher mit Teufelsaustreibungen und Hexenverbrennungen!“

Diese Sicht des Menschen sei aber völlig, falsch, wenn nicht sogar gefährlich, meinte der Psychologe. Der Mensch dürfe das Böse in sich nicht verteufeln, sondern müsse es mit in seine Persönlichkeit aufnehmen: Wenn es den richtigen Stellenwert innerhalb der Gesamtpersönlichkeit hat, kann es nicht gefährlich werden, weil es von den guten Seiten überlagert wird.

Aber hier ist das christliche Menschenbild nicht richtig gesehen. Im Johannesevangelium steht: „Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben!“ Wenn irgendwo in der Dunkelheit ein Licht aufleuchtet, dann wird dadurch doch nicht die Dunkelheit überhaupt beseitigt. Sie wird nur an einer Stelle zurückgedrängt und überlagert, sie wird überboten und nicht beseitigt.         

Und so ist auch Jesus wie ein Licht in die Welt gekommen. Aber das bedeutet nun nicht, daß wir so tun könnten, als gäbe es nichts Böses mehr in der Welt. Jesus selber hat ja unter dem Bösen gelitten und ist ihm am Ende sogar scheinbar unterlegen. Aber er hat das Böse in der Welt doch eingedämmt, nämlich bei den Menschen, bei denen er Glauben fand.

Deshalb kann man auch nicht sagen, das christliche Menschenbild sei unrealistisch. Wir gönnen nicht leugnen, daß auch ein Christ Böses tut. Aber wir sind nicht ohne Hoffnung, daß wir das Böse in seine Schranken weisen können. Dazu hat Christus sich ja zu den Menschen begeben, um ein Licht in ihre Dunkelheit zu bringen und ihnen wieder Mut zu machen, gegen das Böse in sich selber und in der Welt vorzugehen.

Viele allerdings erhoffen sich nichts von ihm, sondern suchen anderswo ihr Heil. Das hat schon Jesus an sich selber spüren

Müssen. Sie glauben seinem Zeugnis nicht. Er kann sich da nur auf Gott berufen und auf seine enge Gemeinschaft mit ihm. Entweder man erkennt diesen Gott an und damit auch Christus und dann wird man Hilfe erfahren. Oder man lehnt Gott ab, dann muß man versuchen, sich allein durchs Leben zu schlagen.

 

 

Joh 8, 21 - 30 (Reminiszere):

Wenn ein Mensch sich das Leben nimmt, dann ist das ein schreckliches Geschehen. Was muß alles geschehen sein, ehe ein Mensch zu diesem letzten Mittel greift? Was muß er alles unternommen haben, um doch noch einen Ausweg zu finden? Hat es denn gar keine andere Lösung gegeben, denn Selbstmord ist ja keine Lösung?

Aber auch die Menschen in der Umgebung - die Verwandten und Freunde - fragen sich: Was haben wir versäumt? Hätten wir uns nicht doch mehr einsetzen müssen, um diesen Schritt zu verhindern? Warum haben wir nichts gemerkt. warum haben wir die Warnzeichen nicht wahr­genommen? Sind wir vielleicht mit daran schuld?

Kommt uns Jesus von Nazareth nicht manchmal auch wie ein Selbstmörder vor? Er wußte

doch, was ihn in Jerusalem erwartete. Schon auf dem Weg nach dort belästigen ihn seine Gegner. Sie wissen nichts von dem Auftrag Jesu, sie können in ihm nur den fehlgeleiteten Spinner sehen, der sein Leben unnötig gefährdet, wenn er nach Jerusalem geht. Er kann dabei nur scheitern, er ist ein Selbstmörder.

Selbstmord galt bei den Juden als die schwerste Sünde. Höchstens aus patriotischen Gründen durfte man das tun, etwa als sich jüdische Kämpfer in der Festung Massada selbst töteten, weil ihr Kampf gegen die Römer aussichtslos war. Aber ansonsten war Selbstmord die Verbannung in die Hölle, ewiger Tod. Jesu Gang nach Jerusalem muß seinen Gegnern so vorgekommen sein wie der letzte verzweifelte Schritt eines Irren, der sich selbst festgefahren hat und nun keinen Ausweg mehr sieht.

Die „Juden“ sind im Johannesevangelium natürlich nur Beispiel für die Menschen, die nicht

an Gott glauben. Dazu können auch wir gehören - zumindest teilweise. Schütteln wir nicht auch manchmal den Kopf über den Tod Jesu? Fragen wir nicht auch: „Mußte das sein?“ Wäre er nicht besser in Galiläa geblieben, bei den einfachen Menschen vom Land. wo viele an ihn glaubten und ihn sogar verehrten, anstatt in das feindliche Jerusalem zu gehen. wo die Gebildeten ihr eigenes Gottesbild hatten und einen Konkurrenten vernichten wollten?

Wird hier nicht wieder einmal einer das Opfer von Unmenschlichkeit? Wir sehen in ihm einen unglücklichen Menschen, der das Opfer menschlicher Sünde wurde. Und besonders tragisch daran ist, daß dieser Jesus dabei noch der Meinung war, er vertrete die Sache Gottes und handle in Gottes Auftrag. Das Kreuz, das am Ende des Weges Jesu steht, kann uns eigentlich nicht zum Glauben an Gott ermutigen, sondern uns nur an Gott und an Jesus irre werden lassen. Etwas von diesen verständlichen Zweifeln und von diesem Unglauben steckt wohl in uns allen drin.

Das Johannesevangelium aber will uns sagen: Das Leiden kommt nicht so einfach über ihn, so daß er dabei nur willenloser Spielball dunkler Mächte wäre, sondern Jesus ist selber aktiv und geht bewußt in sein Leiden und Sterben. Er sagt nicht: „Ich werde jetzt nach Jerusalem getrieben!“- sondern er sagt: „Ich gehe hinweg!“ Er kommt nicht unter die Räder, sondern er ist selbst der Handelnde. Jesu Passion ist Aktion!

Das Johannesevangelium spricht etwas doppeldeutig von „Erhöhung“: Vordergründig ist damit gemeint, daß Jesus ans Kreuz geheftet wird und dieses dann aufgerichtet wird. Aber in Wirklichkeit wird Jesus dabei zu Gott erhöht, wird er der Himmlische.

Das soll nicht heißen, daß er erst durch seinen Gehorsamstod zu etwas würde, das er vorher nicht war. Als der Gottessohn ein Mensch wurde, hat er nicht aufgehört, Gott zu sein. Sein Menschsein wird dadurch nicht entwertet. Doch bei der Kreuzigung war Jesus nicht bloß ein

Mensch. Und er wurde nicht erst durch seine „Erhöhung“ zum Himmlischen, das Gottsein ist nicht etwas, das Jesus erst nachträglich beigelegt wurde: Jesus war auch auf Erden dem Bereich Gottes zugehörig.

Wenn er den irdischen Schauplatz verläßt, dann wird er kein anderer, als der, der er von Anfang an war. Er hat nie aufgehört, der Himmlische zu sein, aber er hat sich tief mit dem Irdischen verbunden. Doch er geht unangefochten durch den Tod, sieghaft und jubelnd. Am Ende geht er nur dorthin, von woher er gekommen ist. Passion ist Heimkehr!

Das alles haben die „Juden“ nicht verstanden. Damit haben sie die nie wiederkehrende Gelegenheit zur eigenen Rettung verpaßt. Wer „von unten her“ ist, kann das nicht erkennen. Nur wer „von oben her“ ist, sieht in dem Kreuz Jesu nicht mehr einen Unsinn, sondern einen Akt göttlicher Weisheit. Der Evangelist will diese Sicht seinen Zuhörern vermitteln, weil er hofft,

daß sie ihren inneren Widerstand aufgeben und doch noch an Jesus glauben. Sie sollen endlich merken, mit wem sie es zu tun haben!

Diese Aufforderung gilt aber auch uns. Wir wünschen uns auch manchmal einen siegreichen Christus, einen, der es endlich einmal allen zeigt, der die Wahrheit des christlichen Glaubens allen vor Augen stellt. Der Jesus des Johannesevangeliums scheint dieser Vorstellung ent­gegenzukommen: Er ist nicht der Verlierer, wie er oft bei den anderen Evangelisten und bei

Paulus erscheint, sondern er ist der Sieger.

Doch hier geht es jeweils nur um eine andere Sicht derselben Wirklichkeit, wie bei einem Teppich, der zwei Seiten hat. Die einen betonen nur die unansehnliche Rückseite, Johannes aber sieht das eindrucksvolle schöne Muster auf der Vorderseite.

Im Gespräch mit seinen Gegnern betont er nur die von diesen geleugnete Seite der Sache, daß er nämlich in den Bereich Gottes gehört. In Jesu Leiden wird ja nur der Plan Gottes verwirklicht, mit dem sich Jesus eins weiß.

Die Juden haben gar nichts vereitelt, sie wußten gar nicht, was sie taten. Sie haben nur geholfen, das Gottsein Jesu durchzusetzen. Nicht Jesus mußte sterben, sondern sie sind gestorben, weil sie in der Sünde verharrten, nicht an Jesus zu glauben.

Die Aussage Jesu ist hart: Ausgerechnet die Vertreter des klassischen Volkes der Religion und der Erwählung wissen nicht, mit wem sie es zu tun haben. Aber auch wir stehen sicher manchmal in dieser Gefahr: Auch wer gut kirchlich ist und in der frommen Tradition zu Hause, vielleicht sogar aktiv in kirchlichen Kreisen oder im Kirchenvorstand, kann einen „weißen Fleck“ haben, wenn es um den wirklichen Gott geht. Der ist nämlich nicht so, wie wir ihn uns

vorstellen und gernhaben möchten, sondern er ist wie er ist.

Doch Jesus macht uns deutlich: Gott ist den Menschen zugewandt. Er geht in Jesus auf die abtrünnige Welt zu. Wir haben keinen „Lehrbuchgott“, sondern einen „Gott-in-Aktion“, einen lebendigen und tätigen Gott, der uns auch jetzt in diesem Gottesdienst begegnet. Deshalb gibt es für uns überhaupt keinen Grund, am Leben zu verzweifeln oder gar sich selbst das Leben zu nehmen.

Wir gehen zwar manchmal auch zu unserem „Jerusalem“, müssen auch manches Leiden durchmachen. Aber am Ende wartet nicht das Kreuz auf uns, weil da schon ein anderer dran hängt. Das Kreuz ist zwar nach wie vor das Zeichen des unbegreiflichen Handelns Gottes. Es ist aber auch der Ort, wo Himmel und Erde sich berühren, wo das „Oben“ und „Unten“ nicht mehr getrennt sind. Es ist die Brücke, auf der man zu Gott gelangen kann, wo alles Leid auf-

hört.

Es gibt auch ein „zu spät“, wird am Schluß dieses Bibelabschnitts gesagt. Wenn Jesus sagt „Ihr werdet erkennen, daß ich es bin“, dann muß man auch tatsächlich erkennen wollen. Mit dem Gleichnis von den bösen Weingärtnern wird der Ernst der Predigt Jesu ja auch unterstrichen. Die Ablehnung des Wortes Jesu bedeutet die Selbstausschließung vom Heil. Doch diese Entscheidung fällt nicht erst am Jüngsten Tag, sondern hier geht es um Entscheidungen, die heute zu fällen sind. Wenn wir in Glauben oder Unglauben heute Jesus gegenüber Stellung beziehen, dann geschieht schon heute das Gericht. Was sich heute noch im Verborgenen ereignet, wird aber am Ende vor aller Augen offenkundig werden. Aber nach der Erhöhung Jesu wird es ein Erkennen geben, in dem Jesu Sendung durch den Vater allen deutlich werden wird.

Es gibt manches in unserem Leben, was die Nachfolge erschwert. Da ist die eigene Bequemlichkeit, die uns manchmal schon vom Besuch des Gottesdienstes abhält. Da sind unsere Bindungen und Verpflichtungen, die uns ablenken von dem, was wirklich wichtig ist in unserem Leben. Wir wissen nicht, welchen Weg Gott heute mit uns vorhat oder erkennen ihn nicht. Wir leben ja auch in einer völlig anderen Situation als die Menschen damals.

Doch helfen kann uns der Besuch des Gottesdienstes, das Befassen mit Glaubensfragen, Bibellese und Gebet. Auch in unserer Zeit und in unserem Leben können wir erkennen, daß er es ist, der unsere Rettung ist. Und wenn das geschieht, dann werden wir auch seinen Weg mit uns verstehen.

Am Schluß des Bibelabschnitts heißt es deshalb ja auch tröstlich: „Es glaubten viele an ihn!“ Jesu Ziel ist nicht das Gericht, sondern die Rettung. Trotz aller falschen Entscheidungen gibt

es noch das Angebot des Friedens mit Gott.

 

 

Joh 8, 31 - 36 (Altjahrsabend):

Der Jahreswechsel erinnert uns besonders eindringlich daran, daß wir im Fluß der Zeit leben. Es gibt auch Dinge, die wir mit ins neue Jahr nehmen. Aber es kommt auch immer wieder Neues hinzu durch eigenes oder fremdes Tun. Neues kann nur entstehen, weil wir in der Zeit leben. Unser Leben ist nicht wie ein stehendes Bild, sondern ein interessanter und zeitweilig spannender laufender Film. Aber das bedeutet auch ein ständiges Abschiednehmen.

Vielleicht fragen wir uns am heutigen Tag: „Was habe ich im vergangenen Jahr richtig gemacht und was habe ich versäumt? Wie habe ich meine Gaben eingesetzt und meine Chancen genützt? Was habe ich in das Leben eingebracht und was ist mir alles liegengeblieben?“ Aus den vergangenen Monaten können wir nachträglich nicht m e h r machen, als was sie enthielten.

Auch im Verhältnis zu Gott sollten wir an diesem Tag Inventur machen. Haben wir wirklich nach der Jahreslosung der Kirche gelebt? Haben wir es mit dem ersten Gebot ernst genommen: „Ich bin der Herr, dein Gott, du sollst keine anderen Götter haben neben mir!“ Aber wenn wir uns so umschauen und uns selber anschauen, dann haben wir dieses Gebot meist so ausgelegt „Ich bin der Herr, dein Gott, aber du brauchst es damit nicht so genau zu nehmen!“ Doch Gott nimmt es genau. Und deshalb wird heute auch manche Schuld vor unserm inneren Auge stehen.

Doch von Jesus wird uns heute auch ein Angebot gemacht. Vielleicht nicht für die, die schon alles zu haben meinen. Aber es ist befreiend für die, die noch vorankommen wollen. Zwei Begriffe werden uns da heute an die Hand gegeben, wenn wir das Angebot Jesu ergreifen

 wollen: Freiheit und Wahrheit.

 

(1.) Freiheit: Fragt man nach den Wunschträumen und geheimen Sehnsüchten der Menschen, dann stößt man mit Sicherheit auf den Wunsch nach Freiheit. Man möchte gern das verwirklichen, was man sich für dieses Leben ausgedacht hat. Man möchte Freiheit ohne Beschränkung, im Kleinen wie im Großen. Oft verstehen wir den Begriff auch rein politisch und stellen dann fest: Die Freiheit, die ich meine, stimmt nicht überein mit der Freiheit, die mir von Staats wegen gewährt wird oder gewährt werden kann.

Der Freiheit sind von außen her Grenzen gesetzt. Wir stecken alle in Abläufen drin, die wir nicht beeinflussen können. Aber wir sollten auch nicht vergessen, daß wir selber manchmal die erste Ursache sind und etwas in Gang setzen, das gar nicht so gut ist. Wir sind nicht nur ein Stück Holz, das im Wasser treibt, sondern wir sind eine Person, die für ihr Verhalten verantwortlich ist.

Wirklich frei sind wir nur, weil Gott „Ja“ zu uns sagt. Doch die Juden wollen das nicht wahrhaben. Sie sagen zu Jesus: „Wir haben deine Befreiung nicht nötig. Wir sind Nachkommen Abrahams und haben uns niemals jemandem als Sklaven unterworfen!“ Das ist so, wie wenn

wir sagen wollten: „Wir brauchen die Bibel nicht zu lesen, weil unsre Vorfahren sie schon gelesen haben!“ Freiheit muß jedem wieder neu geschenkt werden.

Außerdem sind die Juden - gerade sie - oft fremden Herrschern unterworfen gewesen. Doch äußere Unfreiheit muß nicht auch noch innere Unfreiheit bedeuten. Darin haben die Juden schon recht. Man muß in unwürdigen Verhältnissen nicht würdelos sein. Freiheit ist auch eine Sache der inneren Haltung, des Mutes und des ungebrochenen Willens. Die Freiheit muß man sich nehmen oder (noch besser:) sich schenken lassen.

Die erniedrigenste Sklaverei liegt im Verfallensein an die Sünde. Wir sehen es ja meist anders: „Man kann doch als Sünder ganz gut leben, Hauptsache, man ist äußerlich frei und kann tun und lassen, was man will!“ Wir messen alles nur an uns selber und fragen, ob wir wohl im neuen Jahr Freiheit haben werden. Gott ist dabei nicht so wichtig - und gerade das ist unsere Sünde.

Sünde wäre ein vergleichsweise leicht zu behebender Schaden, wenn sie lediglich ein Versagen auf moralischem Gebiet wäre. Sünde aber ist theologisch zu sehen. Sie besteht darin, daß wir nicht von Gott her und nicht auf Gott hin leben wollen. Wir wollen auch von Gott frei sein, geraten dadurch aber nur unter die Abhängigkeit des Widergöttlichen.

Es gibt keine neutrale Zone. Wer aus der Abhängigkeit von Gott herausgefallen ist, steht auf der anderen Seite. Entweder wir sind „Sklave“ oder „Sohn“. Jesus möchte natürlich, daß wir freie Söhne sind, die vertrauensvoll ihren Platz in der Familie Gottes finden. In jeder Familie gibt es natürlich auch Maßstäbe und Grenzen. Aber das sind nicht Grenzen, die knechten und einschränken, sondern die helfen wollen. Sie sind Grenzen aus Güte und Liebe, sie stützen und geleiten wie ein Geländer.

Zu einer solchen Freiheit will uns Jesus frei machen. Er will uns in einen Zustand bringen wie nach einer überwundenen Krankheit: Man war lange Zeit bettlägerig, hatte Schmerzen, spürte die Schwäche und wollte fast verzagen. Aber dann kam die erste Nacht eines erquickenden Schlafs, ein frohes Erwachen und ein Wachsen der körperlichen Kräfte. Schließlich kam das erste Aufstehen und die Feststellung: „Ich bin wieder gesund, ich fühle mich wie neugeboren,

das Leben hat wieder begonnen!“

Wir wissen allerdings schon, daß es auch wieder einen Rückfall geben kann. Aber Jesus macht uns immer wieder gesund. Der Mensch ist nicht auf sich selbst gestellt und rundherum das Nichts. Unsere Freiheit haben wir immer nur m i t Gott. Freiheit besteht nicht nur darin, daß man sagen kann: „Ich muß nicht!“ Zur Freiheit gehört auch, daß man sagt: „Ich kann, ich darf!“

 

(2.) Wahrheit: Zu dieser Freiheit gehört auch die Wahrheit dazu. Jesus sagt: „Die Wahrheit wird euch frei machen!“ Doch diese Wahrheit ist nicht etwas, das unverrückbar feststeht, so wie 2 + 2 = 4 ist. Die Wahrheit Gottes erhebt immer einen Anspruch auf uns: Sie fordert unsere innere Beteiligung und unsere Entscheidung. Nur so werden wir Gottes Kinder, die nicht mehr sagen: „Ich muß Gott über alle Dinge lieben!“ sondern die sagen: „Ich kann ihn über alle Dinge lieben, weil er selber mich zu sich gezogen und überwältigt hat und mich so erst

lebendig gemacht hat!“

Ein Christ will nichts anderes, als was sein himmlischer Vater will. Das ist seine Freiheit. Weil Jesus uns zu seinen Brüdern gemacht hat, dürfen wir im Haus des Vaters sein wie der Sohn selbst. Wir haben bei Gott unser Zuhause, weil Jesu Wort in uns wohnt und wir in seiner Rede bleiben.

Was Jesus uns geben will, empfangen wir nicht schon dadurch, daß wir uns in einem äußerlichen Sinn zu ihm rechnen. Zugehörigkeit zur Kirche und mitmachen in dem „Unternehmen“ Kirche tun es noch nicht. Rechte Jünger Jesu „bleiben“ in seiner Rede. Dazu gehört, daß sie regelmäßig mit seinem Wort und Sakrament umgehen.

Mit anderen Worten: „Der Gottesdienst verhilft uns zur Freiheit und zur Wahrheit!“ Das Wort Jesu ist nicht ein Studien- oder Lernpensum, sondern in seinem Wort will er für uns da sein, will er uns bergend umschließen wie unser vertrautes Zuhause. Er will persönlich mit uns Kontakt haben.

Wenn das ständig praktiziert wird, bleibt das alte Leben dahinten und es beginnt das neue, ein neues Leben in der Wahrheit und damit in der Freiheit. An sich ist jeder Tag geeignet für einen Neuanfang. Aber am Silvesterabend wird uns besonders dieses Angebot gemacht, daß Alte zurückzulassen und mit Jesus ein Neues zu beginnen. Man kann die rechten Jünger nur beglückwünschen, daß sie eine solche Zukunft haben.

 

 

 

Joh 9, 1 -7 (13-17 und 32-39) (8. Sonntag nach Trinitatis):

Jedes Jahr kommen Tausende von Menschen bei uns durch Verkehrs- oder Arbeitsunfälle ums Leben. Wir erschrecken besonders, wenn es sich um einen Menschen handelt, den wir gekannt haben oder mit dem wir gar gut Freund waren. Meist handelt es sich ja nicht um alte Menschen, die ihr Leben schon gelebt haben, sondern um junge, lebensfrohe Menschen.

Wir fragen uns dann wohl auch: „Warum mußte es wohl gerade den treffen? Was hat er getan, daß er so hart gestraft wurde?“ Schon im Altertum hat man so gefragt. Und damals war man noch mehr der Überzeugung: Jedes Leiden deutet auf eine verborgene Schuld hin! Und wenn einer von Geburt an blind war, dann ist das eine Strafe für eine Tat der Eltern, dann liegt die Schuld bei ihnen.

So denken jedenfalls auch die Jünger Jesu. Ihr Urteil über den kranken Menschen ist schon fertig, ehe sie sich noch näher mit ihm befaßt haben. Von Jesus erwarten sie, daß er den Blinden durchschaut und seine geheime Schuld ans Tageslicht bringt. Damit reagieren sie so wie wir alle. Sagen wir nicht auch, wenn einer verunglückt ist: „Warum mußte er auch so rasen!“ Wir legen den Finger auf die Fehler des anderen, um von dem ewigeren Versagen abzulenken.

Jesus aber lehrt - zumindest für dieser blinden Menschen - den Zusammenhang zwischen Krankheit und Sünde ab. Er wandelt die Warum-Frage in die Wozu-Frage: Der Mann ist nur deshalb krank, damit die Werke Gottes an ihm offenbar werden. An ihm soll beispielhaft deutlich werden, daß Jesus das Licht der Welt ist, besonders auch für diesen Blinden.

Das ist aber auch die Antwort auf unsere Warum-Frage. Das Leiden gehört mit zu unserem Leben. Aber es kommt darauf an, aus welchem Blickrichtung wir es betrachten. Das Leiden kann auch zur Gelegenheit werden, Gottes Herrlichkeit zu erfahren. Das will uns ja gerade die Geschichte von der Heilung des Blindgeborenen zeigen.

Wenn Johannes eine solche Geschichte in sein Evangelium aufnimmt, dann will er damit ja nicht eine interessante Begebenheit aus dem Leben Jesu schildern. Gerade bei ihm wird eine sogenannte „Wundergeschichte“ ja immer gleich zur Glaubensgeschichte. Und die körperliche Blindheit ist ihm nur Sinnbild für die geistliche Blindheit, in der viele Menschen vom Anfang ihres Lebens an tappen.

Frager wir uns doch gleich einmal: Wer sind denn bei uns die Blinden in diesem übertragenen Sinne? Wer sind denn bei uns die Menschen, die in der Finsternis sitzen, weil sie nichts von Jesus wissen wollen und deshalb auch nichts erfahren können.

Wir werden sofort an die sogenannten „Atheisten“ denken, Menschen, die von Kind an „blind“ für Jesus sind. Von Jesus und der Kirche wissen sie nur, was sie bei Marx oder Lenin gelesen haben oder was ihnen irgendwelche Dummköpfe eingeredet haben. Anstatt selber hinzusehen und sich selber ein Urteil zu bilden, lassen sie sich eine Brille aufsetzen, durch die man alles nur einseitig sehen kann. Sie reden wie ein Blinder von der Farbe und wollen doch alles besser wissen als einer, der Jesus als das Licht für sein Leben erkannt hat.

Aber gehören nicht auch die zu den Blinden, die gleichgültig an Jesus vorübergehen? So wie manche Menschen achtlos an den Schönheiten der Natur vorübergehen und nur in die Gast­stätte streben, so kommt es diesen Menschen nur auf ein angenehmes Leben, aber irgendwelche weitergehenden Bedürfnisse haben sie nicht. Auch Jesus liegt völlig außerhalb ihres Horizontes.

Schließlich kann man noch die Menschen erwähnen, die zwar etwas von Jesus wissen, aber doch nur das herauslesen, was ihnen paßt. Jesus soll ihnen nur ihre eigenen Anschauungen bestätigen. Und wehe, wenn er einmal etwas anderes verlangt. Dann hat er es aber mit diesen Leuten verdorben.

In unserer Geschichte könnte man die Pharisäer zu dieser Gruppe rechnen. Sie sind zwar sonst sehende Leute. Aber für das Geheimnis Jesu sind sie blind. Gerade weil sie die Gebote Gottes so peinlich genau einhalten wollen, begreifen sie nicht, was Jesus an diesem Menschen tut. Sie wenden viel Mühe auf, um das Gesetz zu erforschen. Aber an Jesus gehen sie vorbei, der doch gekommen ist, das Gesetz zu erfüllen.

Allerdings versteht er unter „Erfüllung des Gesetzes“ etwas anderes als seine frommen Geg­ner. Jesus weiß, daß seine Zeit begrenzt ist. Er muß sie ausnutzen, denn Gott fordert unaus­weichlich Taten von ihm. Deshalb kann auch der Feiertag keine Grenze für ihn bedeuten. Er

kann doch nicht wegen des jüdischer Feiertagsgebots diesen Menschen in seiner Nacht lassen!

Schließlich ist er doch gekommen, um das Licht in der Welt durchzusetzen. Dazu gehört auch dieser demonstrative Akt einer Blindenheilung.

Der Blinde hat ja gar nicht um Hilfe gebeten. Er hat Jesus sicher so etwas nicht zugetraut, denn er hat ja keinen Glauben an Jesus. Aber Jesus greift - fast willkürlich- aus der Menge der Mühselig und Beladenen einen heraus, um ihm zu helfen. An diesem Mann soll ein Zeichen aufgerichtet werden. Hier soll schon etwas deutlich werden von der zukünftigen Herrlichkeit Gottes. Denn bei Gott wird ja die Blindheit aufhören, sowohl die körperliche als auch die geistliche.

Die Jünger stellen die Sinnfrage. Wer nicht an Gott glaubt, der wird sich vielleicht zuerst mit dem sozialen Schicksal des behinderten Menschen befassen und einen Platz in der Gesellschaft für ihn suchen, wo er sich als vollwertiger Mensch nützlich machen kann. Auch ein Christ wird erst einmal alle diese Möglichkeiten nutzen. Er darf sich nicht in sein Schicksal ergeben und in einen Schmollwinkel zurückziehen und aufgeben und immer nur sagen: „Für die Behinderten wird doch nichts getan!“

Aber ein Christ wird auch sein Leben so annehmen, wie es ist. Es wäre lähmend, wenn man immer nur darüber grübelte: „Was wäre, wenn...?“ Gott hat mir Zeit und Ort meines Lebens angewiesen. Er hat mir Menschen geschickt, Gaben gegeben, Wege geöffnet. Er hat mir Lasten auferlegt, aber auch viele Freuden geschenkt. Auch ein behinderter Mensch kann ein sinnvolles Leben führen. Man sollte ihn nicht bedauern oder in falscher Hilfsbereitschaft gängeln. Sie haben ein Recht auf unsere Hilfe, wo sie nötig ist, ganz sachlich und ohne den Unterton der großen Barmherzigkeit, die man ihnen tun will.

Aber dennoch stellt sich immer auch die Sinnfrage. Auch der Gesunde macht sich bei Abweichungen von der Norm seine Gedanken über Gott. Er fragt sich: „Was ist das für ein Gott, der es den einen so leicht macht und den anderen so schwer?“ Dahinter steht die Vorstellung, Gott sei den Menschen Glück und Gesundheit schuldig und habe alle Dinge in der Welt störungsfrei und gerecht zu fügen und zu lenken.

Aber dient wirklich nur das zu unserem Besten, was wir für erfreulich und förderlich halten? Jesus lehnt diese ganze Denkweise von Schuld und Strafe ab. Es geht um das, was Jesus mit dem Menschen noch vorhat. Was in dieser Erzählung an dem einen Blinden geschieht, das wird allen Blinden widerfahren, wenn Gott alles ans Ziel bringt: Gott wird sie sehend machen!

Gerade ein Christ darf deshalb nicht einem behinderten Menschen gegenüber auf Distanz gehen. Eine Vogelmutter wirft ihr mißgebildetes Junges aus dem Nest. Und viele bei uns denken auch noch so, wenn es um Menschen geht. Doch wenn wir von einem Unglück erfahren,

dann sollten wir nicht fragen: „Womit hat dieser Mensch das verdient?“ sondern wir sollten uns fragen: „Was kann ich tun mit meinen Gaben und Kräften, mit Worten und Werken, daß an ihm die Werke Gottes offenbar werden können?“

Ein Betroffener könnte natürlich einwenden: „Was ist das für ein Gott, der Menschen leiden läßt, um einst an ihm seine Herrlichkeit zu offenbaren?“ Diese Stunde kann aber noch weit weg sein, wahrscheinlich mindestens ein Menschenleben weit. Da können wir nicht so tun, als seien wir darüber hinweg. Wir dürfen nicht so tun, als könnten wir Gott über die Schulter sehen und hinter seine Geheimnisse kommen. Rechtsansprüche kann keiner von uns Sündern anmelden. Gott wird es niemanden übelnehmen, wenn er in Glaubensnöte und Anfechtungen gerät. Aber es steht uns nicht zu, ihm vorzuhalten, er müsse es besser machen.

Gott gibt uns die heile Welt und das heile Leben nicht automatisch. Wir würden es ja doch nur gedankenlos und stumpf kassieren, so als müßte das alles so sein. Heil werden wir nur, wenn Gott zur Mitte unseres Lebens wird. Der Sinn unseres Lebens liegt vorn, dort wo Gott ist. Da kann es auch Leiden geben, wenn Gott nur bei uns zum Zuge kommt.

Der Blinde konnte wieder sehen. Aber konnte er wirklich sehen? Man kann das Augenlicht haben und doch auf andere Weise blind sein, indem man Jesus übersieht, der das Licht der Welt ist. Unser Leben hat nur dann einen Sinn, wenn Jesus mit dabei ist.

Wenn ein Mensch mir etwas liefert, dann kann er danach wieder seiner Wege gehen, bis ich wieder etwas nötig habe; ich bin ja nicht an ihm interessiert, sondern an seiner Ware. Bei Gott aber ist das ganz anders: Er ist mein Ursprung und mein Gegenüber. Gott ist in mir und ich in ihm: das erst macht mich zum Menschen, wie Gott ihn sich gedacht hat.

Selbst Jesus sagt: „Ich muß wirken, solange es Tag ist!“ Sein Wirken hat immer Entscheidungscharakter. Zu allgemeinen Wahrheiten hat man immer Zugang. Der Satz des Thales wartet auf mich, bis ich ihn zur Kenntnis nehme und begriffen habe. Christuszeit aber ist Entscheidungszeit. Das Licht kann man nicht einfangen, wie das die Schildbürger wollten. Das Licht muß man nutzen, wenn es scheint. Jesus nimmt die günstige Gelegenheit wahr: Er gibt dem Blinden nicht nur das Augenlicht, sondern er erhellt ihm sein ganzes Menschsein. Das ist das, was Jesus auch uns geben will: den Sinn unseres Lebens, unabhängig von den Fragen nach Gesundheit und Krankheit.

 

Spucke und Dreck heilen einen Blinden!

Verblüffende Tat des berühmten Wundermannes Jesus Christus!

Experten ratlos - Der Geheilte erklärt: „Das hat Gott getan!“

(von Adolf Vollbracht, stellvertretender Chefredakteur der Bild-Zeitung)

kann man mit etwas Speichel, vermengt mit Straßenstaub, einen bisher unheilbar Blinden plötzlich sehend machen? Das fragen sich seit vergangenem Sonnabend die Einwohner von Jerusalem. Diese Frage stellen sich vor allem aber die Mitglieder der Expertenkommission, die den Fall dieser Spontanheilung des blindgeborenen Bettlers B. überprüfte, sich jedoch bis heute auf kein verbindliches Kommuniqué einigen konnte.

Der Vorfall spielte sich am Sonnabendmorgen in der Innenstadt von Jerusalem ab. Jesus Christus - inzwischen in ganz Palästina als Prophet und Wundermann ebenso geachtet wie angefeindet - befand sich mit seinen Freunden auf einem Spaziergang. Auf dem alten Markt entdeckte er plötzlich den blinden Bettler. „Warum ist der Mann eigentlich blind?“ wurde Jesus von seinen Freunden gefragt. „Bestimmt durch eigene Schuld oder durch die Schuld seiner Eltern!“

Die merkwürdige Antwort: „Falsch! Weder - noch! Er ist nur aus einem einzigen Grund blind: Damit Gott zeigen kann, w a s er vermag! Und ich, ich muß sein Werkzeug sein, dazu bin ich ausgeschickt worden. Und ich muß handeln, solange ich noch Gelegenheit dazu habe, jetzt und hier, später wird es zu spät sein, dann wird niemand mehr etwas tun können! Solange ich noch hier bin, bin ich das Licht der Welt!“

Damit spuckte Jesus auf die Erde, vermengte den Speichel mit dem Straßenschmutz und schmierte dem Blinden diesen Brei auf die Augenlider. „Geh hin zum Teich Siloah und wasch dir das Zeug gab!“ Mit diesen Worten schickte er den Blinden weg. Wenige Minuten später kam er wieder zurück. Der Mann war überglücklich: Er konnte sehen....

Er verscherzte sich allerdings die Sympathien aller, als er Jesus als Propheten bezeichnete. „Das hat es noch niemals gegeben“, beschworen die Fachleute, „daß jemand einen Blindgeborenen sehend gemacht hätte! Dieser Jesus muß doch irgendwie göttlich Kräfte haben!“

Damit kam er aber bei den gelehrten Herren an die falsche Adresse. Sie warfen ihn kurzerhand hinaus.

Gegen Mittag traf B. seinen Wohltäter wieder und klagte ihm, was ihm widerfahren sei. Jesus stellte ihm nur eine Frage: „Glaubst du an den Sohn Gottes?“ Der verwirrte Bettler fragte ahnungslos, wer denn das sei - er wolle gern an ihn glauben, nachdem er auf so wunderbare Weise sehend geworden sei. Zu seiner Verblüffung erfuhr er, J e s u s selbst sei dieser Gottessohn. B. zögerte nicht einen Herzschlag lang. Er sagte nur dies: „Herr, ich glaube!“ und betete ihn an.

Jesus sah seinen neuen Freund gedankenvoll an. „Weißt du“, sagte er, „ich bin zum Gericht auf diese Welt gekommen. Urd nur aus einem Grunde: Die Blinden sollen sehend werden, die Sehenden aber blind“

 

 

           

Joh 9, 35 – 41 (17. Sonntag nach Trinitatis):

In den letzten Jahren ist es zu einer steigenden Zahl von Nachkonfirmationen gekommen. Manche der Bewerber sind für kürzere oder längere Zeit im kirchlichen Unterricht gewesen, haben aber nicht an der Konfirmation teilgenommen. Andere sind zwar als Kind getauft worden, haben aber nie weiter Berührung mit der Kirche gehabt. Und dann gibt es auch noch die Taufbewerber, die erst noch als Erwachsene getauft werden wollen und dazu auch erst entsprechend unterrichtet werden müssen.

Da ist es nicht so ganz einfach, in aller Kürze und doch mit dem nötigen Tiefgang etwas zu vermitteln. Besser ist immer der mehrjährige Weg über den kirchlichen Unterricht, da kriegt man eher ein Gespür für die Sache und kann leichter zum Glauben kommen. Wenn man in einem Vierteljahr alles nachholen will, dann kann man sich zwar informieren lassen, aber ob es wirklich zündet, das hat man nicht in der Hand. Das hat man nie in der Hand, so oder so nicht; aber die Chancen sind größer, wenn es nicht nur zu einer flüchtigen Begegnung kommt.

Bei dem Blindgeborenen geht es auch um diese zwei Stufen. Zunächst begegnet er dem Arzt Jesus. Blindsein war für ihn zunächst eine Sache der Sehorgane. Und das ist tatsächlich ein schwerwiegendes Problem. Im Wartezimmer eines Augenarztes kann man viel von schweren Schicksalen, Nöten und Hoffnungen vernehmen. Wenn hier geholfen werden kann, dann ist das schon eine großartige Sache.

Aber der Evangelist Johannes meint, mit dem Geschenk des Augenlichts wäre diesem Menschen noch nicht geholfen. Der Geheilte muß noch den Blick dafür bekommen, wer es ist, der ihn gesund gemacht hat: Er muß noch seinen Herrn und Gott finden. Das ist genauso wie bei einem Nachkonfirmanden, der oft noch eine ganze Zeit erst einmal mit der Kirche leben muß, ehe er eine innere Beziehung dazu findet.

Mancher wird diese Erleuchtung für nicht so dringlich halten. Erst einmal ist die Gesundheit für ihn wichtig. Und dann kommt noch die berufliche Karriere, das wirtschaftliche Auskommen, noch verschiedene erfreuliche Zutaten zum Leben - dann aber lange nichts - und ganz am Ende der liebe Gott. Er könnte durchaus der krönende Abschluß sein, aber doch zur Not entbehrlich.

Die Bibel sieht es ganz anders. Gott ist nicht Überhöhung und Zierrat, etwas, das man sich auch noch leisten kann, wenn man will. Er muß vielmehr bei uns zu jeder Zeit zu seinem Recht kommen. Er ist der Gott, der in Christus für uns anschaubar wurde, der das ganze Leben bestimmt. Ihn muß der Blindgeborene noch sehen lernen, wenn er wirklich geheilt sein soll. Ihn müssen wir sehen lernen, wenn wir gerettet werden wollen.

Ein Blinder wird sehend. In dieser Geschichte wird er es sogar zweimal: einmal, als er das Augenlicht empfing, das andere Mal, als er entdeckte, wer Jesus für ihn und für alle Welt ist. Mit unsrer Augen können wir nur die Gegenstände dieser Welt wahrnehmen; das ist auch nötig, damit wir uns zurechtfinden können. Es soll aber auch unser ganzes Dasein erhellt werden, von seinem Ursprung und Ziel her sinnerfüllt sein. Wir sind blind, solange wir nur die Gegenstände der Welt sehen, nicht aber Gott in unser Leben hineinnehmen.

Leben ist nur, wo „Licht“ im übertragenen Sinne ist, gewissermaßen ein geistliches Licht. In der Bibel ist „Licht“ oft die Bezeichnung für Glück und Heil, vor allem auch für den göttlichen Bereich. Dieses Licht hat der Blindgeborene gefunden. Nun kann er nicht mehr nur ein normaler und unscheinbarer Mensch sein. Er wird jetzt auch reden müssen von dem, der der Grund seines Lebens geworden ist.

Man wird ihm auszureden versuchen, daß Gott hinter allem stehe. Da wird er sich entscheiden müssen zwischen zwei Weisen zu leben: Leugnet er, daß Gott hinter Jesus steht, dann werden ihn die Menschen anerkennen und er wird allmählich einer der ihren werden. Keiner wird mehr fragen, ob er ein Sünder ist, er wird seine Ruhe haben. Bekennt er sich aber zu Jesus, dann werden sie mit ihm nichts zu tun haben wollen und ihn erneut verstoßen. Weil

die anderen ihm mit neuen Vorurteilen begegnen, wird er vielleicht wieder auf eine neue Weise einsam werden.

Aber er weiß auch, daß sein Vertrauen zu Jesus nur wachsen kann, wenn er den Mut aufbringt, sich zu seinem Retter zu bekennen. Gerade durch den Widerspruch der Gegner Jesu wird er zu weiterem Nachdenken angeregt. Sie fragen: „Wie kann ein sündiger Mensch ein solches Zeichen tun?“ Sie ziehen die Tatsache der Heilung in Zweifel. Aber der Geheilte kann darüber nur lachen: „Ob er ein Sünder ist, weiß ich nicht. Aber das weiß ich: Ich war blind und sehe jetzt!“

So kommt es, daß unter dem Widerspruch der Gegner sich die Christuserkenntnis des Geheilten immer mehr herauskristallisiert. Die Erfahrung eines Wunders macht die Christuserkenntnis noch nicht eindeutig, nicht einmal für den, der es selbst erfahren hat. Deshalb tritt Jesus noch einmal auf und macht seinen Schützling sehend für das Geheimnis seiner Person. Er sagt: „Du wartest auf den Richter, der vom Himmel kommt und über die Welt das letzte Wort spricht. Du hast ihn eben jetzt vor Augen: der mit dir redet, der ist es!“ Wo Jesus einem Menschen begegnet, da fällt schon die Entscheidung für die Ewigkeit. Der Geheilte kann ihm nur noch zu Füßen fallen: Er hat seinen Gott gefunden. Ohne umständliche Belehrung hat er an sich recht mühelos zur richtigen Erkenntnis gefunden. Da gab es keine Vergewaltigung menschlichen Denkens, sondern hier wurde einer überwunden und überwältigt.

Aber: Sehende werden blind. Man kann Jesus auch mit ganz anderen Augen ansehen. Dazu muß man gar nicht einmal den feindseligen Blinkwinkel haben wie die Pharisäer. Man kann Jesus auch durchaus wohlwollend einfach in den Bereich des Menschlichen einordnen. Viele haben ihm den Respekt nicht versagt, selbst moderne Juden. Daß er auch Gott sein soll, wird den Zugang zu ihm doch nur versperren! Jesus steht zwar auch mit den Menschen auf einer Stufe. Aber er ist zugleich ganz anderen Ursprungs.

Aber dafür sind die Pharisäer blind. Sie müßten ihn eigentlich „sehen“ können. Sie leugnen Gott ja nicht wie einer, der für das Ganz-andere kein Organ hat. Aber sie sagen: Wer das Feiertagsgebot nicht einhält, kann nicht von Gott kommen. Und außerdem halten sie es für eine Gotteslästerung, daß Gott ein Mensch geworden sein soll und unter den Menschen wirken soll.

Diese Juden sind aber nur Vertreter des Allgemein-Menschlichen. Jesus ist nicht allein an der Blindheit der Juden gestorben, sondern an der Gottentfremdung und Verblendung der ganzen Welt. Mancher sperrt sich gegen diesen Jesus von innen her und kann deshalb auch nichts Zwingendes an ihm entdecken. Aber wer es mit Jesus wagt, der wird merken, wer und woher er ist.

Ein solcher Mensch wird sich auch durch Verdächtigungen nicht beirren lassen und die Kraft haben, allen Angriffen zu widerstehen: Da übernimmt ein Pfarrer besondere Verantwortung für das Wohl der Gesellschaft, kümmert sich um eine bessere Versorgung und Probleme des Umweltschutzes. Dabei arbeitet er auch mit Unkirchlichen zusammen. Aber in der Gemeinde gibt es Mißtrauen, er soll auf der Kanzel bleiben und sich nicht um weltliche Dinge kümmern, so murmelt man.

Da spricht ein ehemals Alkoholkranker, wie er die Sucht überwunden hat. Er kann andere wieder auf den rechten Weg und auch wieder zur Kirche bringen. Aber Pfarrer und Gemeindekirchenrat fragen sich: Ob sie überhaupt geheilt sind? Wir müssen abwarten und sie kritisch betrachten.

Da sind junge Menschen, die man zwar kaum im Gottesdienst sieht, die aber einen eigenen Wag zu Gott suchen, mit ihrer Sprache und ihren Ausdrucksmitteln. Doch manche sagen: Was die da treiben, ist kein anständiger Gottesdienst. Wir wollen nichts mit ihnen zu tun haben.

In Jesu Kommen in die Welt vollzieht sich das Gericht. An ihm scheiden sich die Menschen. Er spricht als der Weltenrichter das letzte Wort: entweder am Ende der Zeit oder auch schon heute als das letztgültige Wort, das am Ende dann bestätigt werden wird. Heute entscheidet sich, was morgen sein wird. Jesu Wort fordert unsere Entscheidung heraus und bewirkt damit die Scheidung. So kann es sein, daß die bisher Blinden sich über das Sehen freuen dürfen und die Lebenden immer blinder werden müssen.

Die Blindheit ist dabei nicht vorherbestimmtes Schicksal, sondern Schuld. Die Pharisäer hätten Jesu Wort auf dem Hintergrund der überlieferten Glaubenserfahrung Israels verstehen können. Zumindest haben sie so viel verstanden, daß sie wußten, was sie ablehnten. Insofern ist es geradezu gefährlich, das Wort Jesu zu hören, denn dann muß man sich entscheiden, und wenn man ihn ablehnt, macht man sich schuldig.

Aber das Hören des Wortes Jesu ist auch etwas höchst Erfreuliches. Denn so kommt es dazu, daß wir aus unserer Unentschiedenheit herausgeholt werden. Jesus möchte, daß wir uns für ihn entscheiden, eine Entscheidung zu unserem Besten fällen. Dabei gilt es aber, nicht dabei stehen zu bleiben, daß wir einmal zum Glauben gekommen sind. Es gilt auch, den Weg des Glaubens weiterzugehen und das empfangene Licht im täglichen Miteinander auszustrahlen. Jesus ist nicht nur das Licht für mein eigenes Leben, sondern das Licht der Welt!

 

 

Joh 11, 1 und 3 und 17 – 27 (16. Sonntag nach Trinitatis):

Fast in jeder Woche müssen wir hier im Gottesdienst bekanntgeben, daß Gemeindeglieder verstorben sind und christlich beerdigt wurden. Fast in jeder Woche sind Menschen unter uns, die in besonderer Weise vom Leid getroffen wurden. Fast in jeder Woche werden wir

dem Problem des Todes gegenübergestellt. Das scheint die Widerlegung des Auferstehungsglaubens zu sein.

Was hier von den beiden Schwestern in Bethanien geschildert wird, das geschieht tagtäglich in unserer Umgebung. Auch bei uns stirbt Lazarus immerzu, einmal in diesem, einmal im anderen Haus. Jedesmal ist es einer, den wir liebhaben und den auch Gott liebhat. Aber warum läßt er ihn dann sterben?

Hier tun sich dann die gleichen Fragen auf wie damals. Aber die Antwort ist auch immer noch dieselbe. Wir sprechen auch heute immer wieder von der Auferstehung der Toten. Nur bringt Johannes darüber keine lange theoretische Abhandlung, sondern er kleidet alles in eine dramatisch ablaufende Erzählung ein. Dadurch wird die Überzeugung des ganzen Neuen Testaments anschaulich vor Augen gestellt: „Jesus kann vom Tode erwecken!“

Der Evangelist will also nicht etwas Aufregendes berichten, das sich in Jesu Erdentagen einmal zugetragen hat, sondern er will uns zum Glauben an die Auferstehung rufen. Es geht nicht um Lazarus und Bethanien und die Schwestern, sondern es geht um uns und um die Menschen in unserm Ort.

Aber wie verhalten wir uns manchmal angesichts des Todes? Oftmals versuchen wir doch, den Gedanken an den Tod zu verdrängen. Wenn einer todsterbenskrank ist, kommt er oft ins Krankenhaus und stirbt dort. Wir vermeiden ängstlich, mit ihm über seinen Zustand zu sprechen. Und wenn es dann zu Ende ist, wollen viele den Toten nicht mehr ansehen. Der Sarg wird überreich mit Blumen bedeckt, es werden ihm noch Blumen nachgeworfen. Es wird alles möglichst überdeckt.

In Johannes 11 wird nichts verschleiert. Der Tod des Lazarus wird geschildert, wie er wirklich ist: „Er stinkt schon, denn er hat schon vier Tage gelegen!“ Deutlicher kann man es nicht sagen. Und dahinter steht die Meinung: Jetzt ist es zu spät, jetzt ist nichts mehr zu machen, alles ist aussichtslos.

Nach damaliger Überzeugung blieb die Seele noch drei Tage in der Nähe des toten Körpers. Aber jetzt sind es schon vier Tage her, da ist die Grenze endgültig überschritten, das Leben ist endgültig aus dem Körper heraus, ein Scheintodsein kommt nicht mehr in Frage, außer dem klinischen Tod ist auch der biologische Tod eingetreten. - Wie reagiert Jesus auf dieses Geschehen? Als erstes wäre zu sagen:

 

(1.) Jesus bleibt fern! Er bleibt einfach noch zwei Tage dort, wo er sich gerade aufhält. Dabei weiß er genau, was sich inzwischen ereignet. Das ist aber genau auch unsere Situation. Wir behaupten in der Kirche, Jesus sei der Sieger über den Tod; und dann überläßt dieser Jesus doch dem Tod das Feld. Jedes Mal, wenn ein von uns geliebter Mensch stirbt, wird doch unser Auferstehungsglaube erschüttert.

Wir sagen dann auch oft: „Wäre der Arzt nur zur rechten Zeit dagewesen! Wenn er sich doch an die Anweisungen des Arztes gehalten hätte! Wäre er doch nicht immer so gerast mit seinem Motorrad!“ Manchmal befassen sich unser Gedanken noch lange mit solchem „Hätte, Wäre, Wenn“. Unser Herz will nicht frei werden vom Schmerz und von der Anklage, wir machen uns noch innerlich fertig.

natürlich ist das auch wieder verständlich. Wir hängen doch alle am Leben, an unserm eigenen und an dem unserer Angehörigen. Wir möchten unser Leben unter allen Umständen und mit allen Mitteln erhalten, nichts unversucht lassen und keine Möglichkeit verpassen, um das Letzte zu verhüten. Und wir würden sonst etwas dafür geben, um den Tod wieder rückgängig machen zu können.

Deshalb machen die Schwestern ja auch den Vorwurf: „Wir haben dich rechtzeitig benachrichtigt. Es war noch genug Zeit, ehe das Herz still stand. Du hättest gekonnt, aber du hast nicht gewollt!“ Dennoch ist Jesus nicht gleichgültig und läßt den Freund einfach so fallen. Er denkt nur auf weitere Sicht und in größeren Zusammenhängen, er hilft zunächst nicht, weil er mehr tun kann und will.

 

(2.) Jesus kommt! Nun wäre hier als zweites zu sagen: Als seine Zeit gekommen ist, da ist er doch da und wirft die Vorstellungen der Menschen über den Haufen. Wie kann er das? Gehört er nicht auch zur bedrohten und schwachen Menschenwelt? Er ist doch kein übermenschlicher Held, der die Flammen unversehrt durchschreiten kann. Er ist auch nicht gegen den Tod gefeit.

Und doch weiß Martha: Hier ist ein Mensch, der in völliger Verbindung mit Gott steht. Was er von Gott erbittet, das wird ihm Gott geben. Sie spürt genau: Er ist als einziger nicht in der Lage, in der alle Menschen sind, nämlich ohnmächtig, lahmgelegt, vom Tod überwältigt und zu Boden geschlagen. Jesus kann, wenn er will!

Wenn Jesus kommt, dann ist er allein der Mittelpunkt, nicht mehr Lazarus. Dann ist auch

keine Zeit mehr, sich denen zu widmen, die gekommen sind, um ihr Beileid auszusprechen und Trost zu spenden. Oftmals sind unser Bestattungsbräuche doch nur eine Kapitulation vor der Macht des Todes. Das Schreckliche wird dabei noch unterstrichen.

Müßten wir nicht an einem Sarg die Wehleidigkeit aufgeben und das Jammern ersetzen durch Getrostheit und Hoffnung? Wenn man sein Beileid ausspricht, dann sagen manche Menschen nach altem Brauch: „Es ist Gottes Wille gewesen!“ In dieser Richtung müßte auch unsere Antwort liegen, vielleicht noch etwas zuversichtlicher, etwa: „Gott wird ihr auferwecken!“

Gewiß gibt es auch eine Zeit des Trauerns und der Klage. Aber unsere Aufgabe ist es, davon wegzukommen und auf Gott zu schauen, der uns eine neue Zukunft gibt.

So machte es der König David: Solange sein Kind noch lebte, hat er um es gebangt. Als es aber dann gestorben war, stand er auf und regelte ganz nüchtern das Erforderliche. So wäre

es auch für uns gut: Nicht nur auf das Vergangene schauen, sondern in die Zukunft! Bei Lukas heißt es einmal: „Laß die Toten ihre Toten begraben; gehe du aber hin und verkündige das Reich Gottes!“ Das ist auch unsere Aufgabe gerade angesichts des Todes.

 

(3.) Jesus erweckt von Tode! Das wäre das Dritte, was über die Haltung Jesu zu diesem Geschehen zu sagen wäre. Doch Martha versteht ihn zunächst falsch: „Das weiß ich ja, daß er am jüngsten Tag auferstehen wird!“ Doch darum geht es ihr nicht. Sie hängt ja an diesem Leben mit allen Fasern und sucht es zu erhalten.

Es gab aber damals auch die entgegengesetzte Haltung. Es gab Irrlehrer, die sagten: „Die Auferstehung am Jüngsten Tag ist uns gleichgültig. Wir fühlen uns jetzt schon als Auferstandene. Auch wenn wir äußerlich gesehen sterben müssen, so macht uns das nichts aus!“ Gegen diese Meinung richtet sich die Geschichte von der Auferstehung des Lazarus, die ja das steilste Wunder dieser Art im Neuen Testament ist und sich am unwahrscheinlichsten anhört. Sie protestiert gegen die Vergeistigung der Auferstehung und macht deutlich, daß das etwas mit dem Leib zu tun hat.

Deshalb sagte man früher im Glaubensbekenntnis „Auferstehung des Fleisches“ und heute „Auferstehung der Toten“, aber nicht „Auferstehung der Seele“, so als hätte nur die Seele etwas mit Gott zu tun. Es geht hier auch nicht darum, nur zum eigenen Sterben ein neues Verhältnis zu gewinnen, sondern hier wird der wirkliche Tod überwunden.

Das soll aber andererseits nicht heißen, daß sich die Auferstehung so vollzieht, wie es hier bei Lazarus in einer anschaulichen Geschichte geschildert wird, daß sich die Gräber auftun und die Toten in ihren Sterbehemden herauskommen. Es geht hier nicht um ein Geschehen, das

mit der Filmkamera festzuhalten wäre, sondern um ein Leben in der Unverweslichkeit.

 

Jesus sagt: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, ob er gleich stürbe!“ Jesus ist gekommen, den Menschen das Leben zu bringen. Es ist überraschend, daß er sagt: „Das Leben, das ihr sucht und erhalten wollt, das habt ihr in mir!“ Und zwar soll es nicht erst ein Leben in Jenseits sein, so als ob das Eigentliche erst nach der Auferstehung am Jüngsten Tag möglich wäre. Jesus wäre dann auch im Grunde nicht mehr nötig. Er würde uns nur über unser Zukunftsperspektive informieren und dann von der Bühne abtreten. Hauptsache, wir haben alles, was wir uns wünschen. Der Glaube an Christus hätte keine Bedeutung mehr.

Jesus aber sagt: „Was ihr bisher als Auferstehung und Leben angesehen und erhofft habt, das wird euch zuteil in mir. Sucht es nicht anderswo und ohne mich. Wenn ihr an mich glaubt, dann habt ihr es. Ein ewiges Leben ohne Jesus wäre doch die Hölle. Das wahre Leben ist die Gemeinschaft mit Gott in Christus. Wenn er Grund und Ziel unsers Lebens wird, dann haben wir erst das wahre Leben.

Martha versteht Auferstehung zunächst nur als Fortsetzung des bisherigen Lebens. Aber eines Tages hätte Lazarus dann doch wieder sterben müssen. Jesus aber bietet ihr die Auferstehung zu einem Leben an, das er in die Welt gebracht hat. Es geht im Leben nicht darum, wie man die 80 oder 90 Jahre erreichen kann (An der Apotheke steht manchmal: „Sie können 103 Jahre alt werden durch gesunde Lebensweise und Medikamente“).

Aber entscheidend ist die Frage, wie meine 80 oder 50 Jahre von Christus her ihren Inhalt bekommen. Wir versuchen oft, uns auch gegen den Tod durchzusetzen und uns über ihn hinwegzusetzen. Doch Christus ermutigt uns, daß wir uns fallenlassen und loslassen an ihn, um bei ihm das Leben neu zu empfangen.

Das soll allerdings nun nicht heißen, daß wir nach dem Tod nichts mehr zu erwarten hätten. Nur: Wenn ewiges Leben nichts anderes ist als die Gemeinschaft mit Christus, dann haben wir es schon heute, dann sind wir - i n diesem Sinne - schon auferstanden. Wenn wir heute schon in der Christusgemeinschaft leben, dann bleibt sie auch m Sterben erhalten. Sterben heißt nicht: „Jetzt läßt er uns los!“ Der Tod ändert nichts daran, daß wir mit Christus verbunden sind. Lazarus ist der Freund Jesu. Er ist lebendig, diese Freundschaft ist lebendig, auch wenn er noch im Grab ist.

Das sollten wir vor Augen haben, wenn wir meinen, Christus bliebe fern. In Wahrheit kommt er und will uns auferwecken. Was heute schon im Verborgenen geschieht, das wird der jüngste Tag endgültig ans Licht bringen.

 

 

Joh 12, 20 - 26 (Lätare):

Was ein Mensch wert ist, merkt man oft erst, wenn er tot ist. Wie viele Leute sind erst nach ihrem Tod und gerade durch ihren Tod berühmt geworden! Denken wir etwa an der Südamerikaner Che Guevara, der zunächst mit Fidel Castro in Kuba gekämpft hat und auch drei Jahre einer seiner Minister war. Dann aber hatte er die Verwaltungsarbeit satt, er wollte seine revolutionären Ziele weiter verfolgen und nicht im Alltagstrott ersticken. Die Revolution sollte nicht auf die Insel Kuba beschränkt bleiben, sondern ganz Südamerika erfassen.

So brach er mit vielleicht 50 Leuten nach Bolivien auf, um dort den Kampf neu zu beginnen.

Die Polizei hatte die Gruppe aber bald aufgespürt und Che Guevara wurde erschossen. Aber gerade dadurch wurde er zu einem Vorbild für die Jugend in der ganzen Welt. Als 1968 die großen Studentenunruhen waren, da führte man überall Bilder Che Guevaras bei den Umzügen mit. Erst sein Tod hat ihn so bekannt gemacht und dazu geführt, daß er bis heute nachwirkt.

Ähnlich ist es ja mit Jesus auch gewesen. Wenn er irgendwann als alter Mann im Bett gestorben wäre, dann würde sein Name vielleicht noch in Nachschlagewerken auftauchen, aber es gäbe keinen, der ihn auch heute noch als den lebendigen Herrn anbetet. So aber ist sein Tod zu einem Sinnbild für jedes Leiden der Menschen geworden. Selbst im Geschichtsbuch für die Schule findet man ein Bild des Gekreuzigten.

Für uns als Christen ist aber noch mehr damit verbunden. Ein Mann wie Che Guevara ist ja nur für eine politische Sache gestorben. Jesus aber ist gestorben zur Erlösung für die ganze Menschheit. Er hat nicht eine Idee verwirklichen wollen, sondern den Willen Gottes ausgeführt.

Dazu ist jetzt die Stunde gekommen. Selbst gebürtige Griechen wollen Jesus sehen. „Alle Welt läuft ihm nach!“ mußten selbst die Gegner Jesu anerkennen. Wie gerufen kommen deshalb jene Griechen, die an sich zum Passahfest angereist waren. Zunächst wollen sie nur „sehen“, vielleicht aus Neugier, vielleicht auch aus Interesse. Das ist noch keine Nachfolge. Aber so fängt es an, wenn jemand ein Jünger Jesu wird. Der Weg geht dabei über die anderen Jünger. Jene beiden sind die einzigen im Jüngerkreis, die einen griechischen Namen haben. Vielleicht haben sie sich besonders um die Mission unter den Griechen gekümmert.

Doch das alles ist nur ein „Anspiel“ für die eigentliche Verkündigung. Die Griechen sind bald wieder vergessen gegenüber dem, was Jesus nun für alle ausspricht. Ihre Anfrage macht nur deutlich, daß jetzt die „Stunde“ für Jesus gekommen ist. Jetzt müssen die Dinge ihren Lauf nehmen. Jetzt wird Jesus mit den Jüngern auch von der Notwendigkeit seines Leidens sprechen müssen, wird ihnen sein Leiden ankündigen müssen.

Dabei weiß Jesus genau: „Die Jünger werden nicht begreifen, was sein Tod bedeutet. Wir heute begreifen es ja noch nicht, müssen immer noch an diesem „Wort vom Kreuz“ herum­buchstabieren. Wir sehen zwar an vielen Orten im kirchlichen Bereich und darüber hinaus das Kreuz, wir haben uns daran gewöhnt und sind wohl auch etwas abgestumpft. Aber wenn wir daran denken, was an jenem Kreuz geschehen ist, dann ist das Kreuz Jesu doch beunruhigend und erregend für uns.

Wenn es nicht so wäre, müßten wir darin doch ein bedenkliches Zeichen sehen. Sicher ist es auch eine gute Ordnung, wenn wir in den Wochen vor Karfreitag vor Augen haben, welchen Weg unser Herr hat gehen müssen. Das heißt nicht, daß wir uns damit für die übrige Zeit des Kirchenjahres davon freigekauft hätten. Jetzt befassen wir uns nur ausführlicher damit um uns für alle Zeit darin einzuüben und damit leben zu können.

Jesus verwendet hier ein Gleichnis, das uns dem Sinn seines Leidens und seiner Auferstehung deutlich machen kann. Gleichzeitig hilft er damit auch uns, mit unserm Leiden fertig zu werden. Er spricht vom Weizenkorn, das in die Erde gelegt wird und stirbt, um dann auf neue Art und Weise wieder aufzuerstehen. Dieses Gesetz des Weizenkorns        bewirkt für Jesus die Vervielfältigung seines Lebens, für uns aber die Verwirklichung unsers Lebens.

Auch in der schlimmsten Hungerzeit muß man immer noch Saatgut aufheben für das nächste Jahr. Durch die kostbaren Körner hätten ausgehungerte Menschen satt gemacht werden können. So aber sagt die Vernunft: „Sie müssen aufgehoben werden für die Aussaat im nächsten Jahr!“ Aber auch dann bei der Aussaat werden die kostbaren Körner auf die Erde geworfen und sterben ab. Doch das einzelne Samenkorn muß eben absterben, wenn es sich vervielfältigen soll.

So mußte auch Jesus seine menschliche Lebensweise aufgeben, um seine Keimkraft entfalten zu können. Zunächst war das Unternehmen Jesu nur eine innergeschichtliche Bewegung. Er hatte ein paar Schüler und Anhänger um sich gesammelt, es wurden mit der Zeit einige mehr. Er hat auf sie eingewirkt, damit sie eine neue Art des Miteinanderlebens finden und in die Welt hineinwirken.

Zunächst war Jesu Sache nur etwas, was sich im Raum dieser Welt abspielte. Sie hat sich von Mensch zu Mensch fortgepflanzt, so wie ein brennender Gegenstand den nächsten in Brand steckt. Durch den Tod Jesu aber wurde seine Sache in die ganze Welt hinausgetragen, da hat sich das Feuer im Funkenflug überall hin ausgebreitet. Das Verlangen jener Griechen, die Jesus sehen wollen, ist ein Anzeichen dafür, daß sich nun der eigentliche Auftrag Jesu vollendet.

Natürlich wird auch heute die Botschaft Jesu nur von Mensch zu Mensch weitergegeben. Aber sie wissen jetzt: „Ihrem Herrn ist schon alle Gewalt im Himmel und auf Erden gegeben. Er ist verherrlicht und in den „Raum“ Gottes zurückgekehrt. Er ist aus dem kleinen irdischen Wirkungskreis herausgenommen und zu weltweiter Wirksamkeit ermächtigt. Wo immer seine Leute hinkommen werden, um Menschen einzuladen, da ist er gegenwärtig. Wo immer zwei oder drei versammelt sind in seinem Namen, da ist er mitten unter ihnen.

Doch diese Veränderung war nicht ein harmloser Vorgang wie die Verwandlung von Wasser in Dampf. Das Weizenkorn muß in der Erde absterben. Das Sterben ist für Jesus sicher nicht leicht gewesen. Aber Kraft erhielt er nur durch die Hingabe, den Sieg nur aus der Niederlage. Aber er war kein Held, er hat ja selber darum gezittert, ob er auch alles schafft, wie Gott es will.

Jesus ist ja nicht nur einfach gestorben, sondern hingerichtet worden. Damit war doch auch zunächst einmal alles zunichte gemacht, was er in seinen Erdentagen unter Mühen und Opfern erreicht und zustande gebracht hat. Nun soll er „Ja“ dazu sagen, daß auch sein Werk zunächst einmal gescheitert ist. Er muß doch annehmen, daß er nicht nur Menschen gegen sich hat, sondern Gott selbst.

Er hat ja nicht unbedingt seine Erhöhung voraussehen können. So war sein Leiden und Sterben schon eine schwere Anfechtung für ihn. Bei uns ist das ja auch nicht anders. Wir glauben zwar an die Auferstehung der Toten das und das ewige Leben. Aber das heißt ja nicht, daß das Sterben keine Anfechtung für uns bedeutet. Auch ein glaubender Mensch wird da auf schwerste Proben gestellt. Aber er kann es auch lernen, mitten in aller Betrübnis den Weg in Gottes Arme zu wagen.

Dieses Gesetz vom Weizenkorn, vom Sterben und Neuwerden, gilt für jeden Christen. Wir sind nicht selber Christus. Sein Opfer bleibt doch einzigartig. Aber sein Weg ist auch bestimmend für unsern Weg. Wir können nicht geruhsam auf der Kirchenbank oder im Fernsehsessel sitzen und mit verschränkten Armen zuschauen, wie Jesus stirbt. Es gibt für uns keinen Weg an Kreuz vorbei, in Leben mit dem Auferstandenen ohne das Mitsterben.

Wir müssen halt ganz unverblümt sagen, daß das Christsein auch etwas kostet. Es ist nichts für solche, die nur sich selbst schonen wollen. Oftmals denken wir doch „Ich will ja Christ sein, aber mein sonstiges Leben soll nicht darunter leiden. Meine Kinder sollen deswegen keine Nachteile haben, und aktiv dafür einsetzen will ich mich auch nicht!“ im Grunde sind wir alle doch leidensscheu und bequem, feige und unfrei und wollen nur halbe Nachfolger Jesu sein. Zumindest soll es nicht an unser Lebensmöglichkeiten gehen.

Da kann man nur schwer daran glauben, daß man gerade in der Nachfolge des Gekreuzigten das Leben gewinnen wird. Aber es kommt auf einen Versuch an. Vielleicht werden wir dann erfahren, daß Christus uns gerade dann das Leben gibt, wenn wir fürchten, es zu verlieren. Es ist Gottes Sache, wie sich das Gesetz des Weizenkorns in unserm Leben auswirken soll. Der eine kriegt eben mehr ab als der andere. Jesus aber will uns willig und bereit machen, für alles, was kommen kann. Es ist nicht ein Mißgeschick oder eine Panne, wenn wir auch zu leiden haben.

Wer das begreift, der sammelt sich nicht Schätze auf Erden, denn er hat sein Bestes bei Gott. Er wird sich nicht um Unvermeidlichen wundreiben und sich nichts ertrotzen wollen. Er wird nicht meinen, daß Wohlstand und Besitz die Menschlichkeit und Vergebung der Sünden überflüssig mache. Er wird sich vielmehr Gott ganz zur Verfügung stellen, vielleicht sogar alle seine Wünsche und Hoffnungen hintenanstellen, um so auf andere einzuwirken und Gottes Tat an andere weiterzugeben.

 

Joh 12, 12 - 24 (Palmarum):

Gott und Jesus und der Kirche werden viele Erwartungen entgegengebracht. Warum besuchen denn Menschen den Gottesdienst, halten Verbindung zur Kirche und schicken ihre Kinder zum kirchlichen Unterricht? Fast könnte einem Angst werden, weil die Kirche so viel Vertrauensvorschuß hat und man ihre Macht natürlich weit überschätzt. Die Kirche kann aber immer nur Vorschläge machen und ihr moralisches Gewicht in die Waagschale werfen, aber nicht eine Änderung herbeiführen und eine heile Welt schaffen. Die Kirche ist ja auch viel zu schwach, um etwas bewegen zu können. Wenn ihre Gegner wüßten, wieviel Versagen und Verzagen, wieviel Schuld und Mißtrauen es in ihr gibt, hätten sie nicht soviel Angst vor ihr. In Zukunft werden die Einflußmöglichkeiten eher noch abnehmen. Doch das entspricht ganz dem Willen Jesu.

 

Jesus will ohne Macht zum Königtum: Schon damals hatten die Menschen falsche Erwartungen an Jesus. Eine große Menge befand sich aus Anlaß des Passahfestes in Jerusalem. Dieses Fest erinnerte an die Befreiung aus Ägypter und erweckte jedes Jahr neu Hoffnungen auf den Messias und sein Reich. Palmzweige sind Zeichen des Königtums, auf Münzen waren sie zu sehen. Und wenn die Menschen Jesus als „den Kommenden“ begrüßen, da verwenden sie den Geheimnamen für den erhofften Messias.

Doch man erwartet von ihm Hilfe im weltlichen Bereich, speziell auf dem Gebiet der Politik. Der Macht Roms war doch wohl nur mit Macht zu begegnen. Die Erde müßte umgestaltet und in ein Paradies verwandelt werden, damit die Rechtlosen und Niedergehaltenen wieder eine Zukunft haben. Die gesellschaftlichen Verhältnisse müssen neu geordnet werden, damit eine effektive Hilfe für die kleinen Leute erfolgt.

Auch wir denken im Grunde so wie die Menschen damals. Und als Christen sollten wir schon einen Standort beziehen und für die Neuordnung der Dinge uns einsetzen, unter Umständen auch durchaus kämpferisch. Es ist schon recht, wenn die Menschen auch das genießen können, was sie erarbeitet haben.

Aber all das ist nicht die Hauptaufgabe Jesu: Er läßt sich zwar den Ruf der Menge gefallen. In dem Ruf „Hosianna“ verbirgt sich ja sein eigener „Name“: Er will ja „Helfer“ und „Retter“ sein. Und er hat natürlich den Einzug in Jerusalem so gestaltet, daß das Messiasthema anklingt: Er besteigt ja ein Reittier und läßt sich zujubeln.

Doch bezeichnender Weise kommt er nicht hoch zu Roß, sondern auf einem Esel. Andere, die ihre Machtergreifung mit einem Marsch auf die Hauptstadt begonnen haben, sind mit Waffen und Soldaten gekommen und haben ihren Weg mit Blut (fremdem Blut natürlich) gezeichnet. Jesus aber ist bereit, sein Blut für die Rettung der Vielen zu vergießen. Er liefert sich dem Todesurteil aus, das über Revolutionäre verhängt zu werden pflegt, und bleibt gehorsam bis ans Kreuz.

Jesus geht einen Umweg, um ohne Macht ans Königtum zu kommen. Das geschieht nicht aus taktischen Gründen, um einmal auf eine andere Art als üblich etwas zu erreichet. Jesus entwickelt nicht einen neuen Stil des politischen Handelns, nämlich den der Machtlosigkeit und des Rechtsverzichts.

Jesu Reich ist nicht eine Herrschaft neben anderen. Er bringt vielmehr ein neues, endzeitliches Königtum, das einmal alle Staatlichkeit aufheben wird, nämlich dann, wenn er wiederkommen wird. Dann wird er wirklich sein Volk regieren, wie es vorher noch kein anderer regiert hat. Für dieses kommende Reich demonstriert Jesus, indem er den Esel besteigt; aber er macht nicht so etwas wie eine christliche Politik.

Deshalb wenden sich die Leute auch bald wieder von ihm ab. Sie haben nur vordergründig an das gedacht, was äußeren Nutzen und Vorteile bringt. Aber wenn das dann nicht so ist, dann ist auch die Sache mit Gott für die erledigt. Dann flaut die Begeisterung ab und man geht wieder zur Tagesordnung über. Die jetzt noch „Hosianna“ rufen, werden in einer Woche „Kreuzige ihn“ schreien. So schnell geht das, wenn man Jesus mißverstanden hat.

So ging es auch einer Frau, die einmal die Beste ihrer Konfirmandengruppe war und der Liebling des Pfarrers. Als sie neunzehn Jahre alt war, betete sie das erste Mal aus tiefstem Herzen um das Leben ihrer krebskranken Mutter. Als die Mutter aber doch starb, warf sie Glauben und Christentum als untaugliche Mittel über Bord. Sie war eben nicht darauf vorbereitet, daß wir unweigerlich mit unseren Erwartungen scheitern müssen, wenn wir uns Jesus nähern. Er ist eben anders, als wir es uns so wünschen.

 

Nur über das Kreuz kommt man zur Herrlichkeit: In Jesu Umwelt hat es eine Strömung gegeben, in der man glaubte, die Vollendung der Dinge sei schon eine Tatsache: Vom Ölberg her komme der Friedenskönig, und mit ihm bricht die neue Welt an. Das erste Grab hat sich ja bereits aufgetan, als Lazarus von den Toten auferweckt wurde. Jetzt wird mit dem Einbruch des Wunderwirkens Gottes gerechnet. Und wenn die Hohenpriester Lazarus aus dem Wege räumen wollen, dann wollen sie damit den Anbruch der neuen Welt beseitigen, wollen sie den beginnenden Brand austreten.

Die Gegner haben Jesus von Anfang an gehabt, weil er anders war als sie. Jesus hatte erreicht, was ihnen mißlang. Voller Neid müssen sie eingestehen: „Alle Welt läuft ihm nach!“ Das war sicher übertrieben. Jesus hatte gar kein Talent, eine Massenbewegung zu organisieren, vor allem wollte er es auch nicht.

Ob sich wohl viele zu ihm bekennen und öffentlich für ihn demonstrieren würden, wenn er in unsern Ort käme? Bekennen wir uns denn zu ihm in unserem .Alltagsleben? Wenn wir doch nur auch einmal mit solchen Zahlen aufwarten könnten, daß die anderen sagen würden: „Ihr seht, daß ihr nichts ausrichtet, denn alle Welt läuft ihm nach!“ Dann würde man auch sehen, daß die Kirche nicht nur aus Mitläufern besteht, sondern etwas dahintersteckt.

Doch viele machen sich nicht klar, daß zum Christsein auch das Kreuz dazugehört. Auch Jesus hat es noch vor sich, und deshalb ist ihm bange. Sicher wird der Weg am Ende zu seiner Verherrlichung führen. Aber das heißt nicht, daß der Tod nicht ernst genommen würde. Die Jesus da im Messiasrausch zu jubeln, haben nicht begriffen, daß das Weizenkorn erst in die Erde fallen muß, ehe es Frucht bringen kann.

Wenn wir das anerkennen, wird unser Leben auch Frucht bringen. Dann dürfen wir auch heute schon von der Herrlichkeit Gottes reden, dürfen sie heute schon vorausnehmen. Aber Christus gehört unbedingt mit da hinein. Eine Zukunft ohne Christus wäre die Hölle, er gehört in die christliche Hoffnung mit hinein.

Aber davor steht erst einmal das Kreuz. Wir stehen am Anfang der Karwoche, in der wir uns in das Leiden und Sterben Jesu vertiefen. Kinder nimmt das sehr viel mehr mit als uns. Wenn sie etwa das Kreuzigungsbild von Mathias Grünwald auf dem Isenheimer Altar sehen, dann fragen sie: „Was sind das denn für spitze Stacheln?“ Oder sie sagen: „Das sind die Zacken von der Peitsche!“ Selbst die Hartgesottenen werden davon erschüttert. Aber dieses Leiden war die Voraussetzung für die Erhöhung und damit seine Wirksamkeit

 

Die Selbsthingabe Jesu führt zur Wirksamkeit für die ganze Welt: Da sind einige Ausländer, die gern einmal Jesus kennenlernen möchten. Die Juden haben Jesus abgelehnt, aber die griechisch sprechende Welt fragt nach ihm; das soll man hier heraushören. Allerdings dürfen sie nicht mit Jesus sprechen. Der Zugang zu ihm erfolgt über die Jünger.

Das ist die Lage, in der auch wir heute sind: Wir können nicht mehr direkt mit Jesus sprechen, sondern der Zugang zu ihm geht über die Predigt der Apostel und Evangelisten. Oft müssen wir uns erst mühsam an die Botschaft Jesu heranarbeiten und uns von ihm die Augen öffnen lassen.

Sein Sterben gehört dabei unbedingt mit dazu. Denn nur so konnte er der Herr/über alle Menschen werden. Nur als der Erhöhte ist er auch heute noch für uns zugänglich. Aber wir können nicht fordern: „Nur wenn ich Jesus persönlich sehen kann, könnte ich auch an ihn glauben!“ Jesus bleibt unsichtbar, weil er erst sterben mußte, ehe er der Heiland der ganzen Welt werden konnte.

Aber schon die Griechen von damals haben an ihn geglaubt, obwohl sie ihn nicht sehen und hören konnten. Ihnen wird nur die Botschaft von dem Weizenkorn verkündet, damit sie teilhaben können an der Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn. Indem die Kirche die Botschaft Jesu weitergibt, macht sie ihn sichtbar und in der Welt wirksam.

Die Frage an uns bleibt: Sind wir nur Mitläufer, deren Begeisterung bald verflacht? Oder bleiben wir abwartend oder vielleicht sogar ablehnend, wenn nicht alles so kommt, wie wir es uns gedacht haben? Oder fragen wir nach Jesus, um noch Genaueres zu erfahren? Sind wir bereit zum Dienen?

Nur wer sich von Jesus in den Dienst stellen läßt, wird alles über ihn erfahren. Es gibt viele Dienste für Jesus: Der Gottesdienstbesuch, das Einspringen für die Nachbarin, die Geldspende. Auf diese Art und Weise können wir uns vorbereiten auf den Empfang Jesu, nicht durch eine sensationslüsterne Neugier. Und somit werden wir heute gefragt: „Bist du bereit zum Dienen und damit vorbereitet auf das Kommen Jesu?“

 

 

Joh 12, 34 - 36 (Letzter Sonntag nach Epiphanias):

Auf der einer Kunstausstellung in Dresden in der Zeit der DDR wurde eine Bronzeplastik von Professor Fritz Cremer gezeigt: „Das endlose Kreuz!“ Dieser Mann verkörperte auf seinem Gebiet die staatlich anerkennte Kunstrichtung und hat zum Beispiel auch das Denkmal in Buchenwald entworfen. Er hat sich aber auch oft mit der Gestalt des Gekreuzigten auseinandergesetzt. Vielleicht hat er dazu aber nicht so sehr die Bibel gelesen, sondern sich mehr auf solche Vorbilder wie Matthias Grünewald belogen.

Aber Cremers Christus hängt nicht mehr am Kreuz, sondern er hat sich die Dornenkrone vom Kopf gerissen und schwenkt sie in der Luft. Er steigt vom Kreuz herunter und hat die Arme hochgerissen wie der Sieger in einem Wettkampf. Es ist ganz klar, was der

Künstler damit sagen will: „Nicht der Dulder erlöst die Welt von ihrem Leiden, sondern der Revolutionär, der für die Erlösung der Welt kämpft!“

Auch der Evangelist Johannes vermeidet es, vom Leiden Jesu zu erzählen. Vom Kreuz ist nur im Passionsbericht selbst die Rede. Aber wenn Jesus am Kreuz hängt und dieses aufgerichtet wird, dann bedeutet das nach Johannes in Wahrheit seine Erhöhung und Verherrlichung. Und die Verherrlichung oder „Verklärung“ Jesu ist ja das Thema des heutigen Sonntags.

Doch das Wort „Erhöhung“ hat für Johannes gleich eine Doppelbedeutung: Der den Menschen ausgeliefert ist und umgebracht werden wird, der wird danach auferstehen. Der zwischen Himmel und Erde hängen muß, wird wieder zum Himmel erhöht, aus dem er gekommen ist.

Doch schon damals hat man gemeint: Jesus dürfte nicht weggehen, nicht irgendwohin entrückt oder erhoben werden und schon gar nicht so einen schrecklichen Tod sterben. Er sollte vielmehr ewig bleiben und in dieser Welt ein stabiles Reich errichten, in dem sich alle Hoffnungen dieser Welt erfüllen: Wohlstand und Glück, Glanz und Ansehen, Freiheit und Friede. Wozu dann dieses schreckliche „Muß“ des Leides?

Viele werden sich gesagt haben: „Was nützt uns, wenn es um die Rettung der Welt geht, ein toter Christus? Was nützt uns dieser tragische Verlierer? Was kann der Elendeste unter den Elenden schon ausrichten, wo es doch schon genug Elend in der Welt gibt!“ So denken wir doch auch im Stillen. Wir brauchen den Mann des Erfolgs und nicht den Scheiternden. Wir brauchen nicht einen am Querbalken des Holzes, sondern einen, der fest auf seinem Thron sitzt. Sieg muß sein und nicht Niederlage, Macht und nicht erbärmliches Sterben.

Und dann noch ein Punkt: Was nützt uns ein König aller Könige, wenn er nicht d a ist, sondern irgendwo „droben“? Wenn man die Herrschaft Christi erst ins Jenseits verlegt, dann gibt man das Diesseits preis. Seine Herrschaft bleibt unanschaulich und kann jedenfalls nicht direkt in Weltliches umgesetzt werden. Wie kann man da gewiß sein, daß der erhöhte Herr ge­gen­wärtig ist und die Seinen ermächtigt, noch größere Werke zu tun?

Wir wissen, daß Jesus nicht mehr auf der Erde ist, sondern bei Gott. Aber das darf nicht bedeuten, daß wir die Dinge der Welt ihren Lauf nehmen lassen. Christsein verpflichtet zum Dienst an den Menschen in den gegebenen Ordnungen dieser Welt. Alle Unordnung muß bekämpft und durch Besseres ersetzt werden. Hier haben wir mit Nichtchristen zusammenzuarbeiten, ohne allerdings unseren Herrn zu verleugnen.

Christen dürfen selbst nicht Unrecht tun. Sie dürfen aber auch nicht zulassen, daß anderen Unrecht geschieht. Dazu werden sie im Einzelfall im Sinne des Rechtes tätig werden müssen und z.B. einen Beschwerdebrief schreiben und dann nachhaken und eine Entscheidung verlangen; ob das in eigener Sache geschieht oder für einen anderen, spielt dabei keine Rolle. Es wird aber auch gut sein, sich generell für die Beseitigung menschenfeindlicher Ordnungen einzusetzen, damit es erst gar nicht zu Verletzungen im Einzelfall kommt.

Doch das alles bedeutet natürlich nicht, daß damit die Königsherrschaft Jesu Christi verwirklicht würde. In dieser Welt leben wir immer noch auf der Ebene des Gesetzes, wo Gott mit seinen Notordnungen das Leben erhält bis zu dem großen Tag Jesu Christi. Die weltliche Ordnung kann nicht allein auf der Einsicht und dem guten Willen der Bürger beruhen. Sie muß auch durch Nacht geschützt und durchgesetzt werden, weil wir noch Sünder sind. Christus aber regiert die Seinen nicht auf solche Weise, das wäre ganz unmöglich. Sein Reich ist ganz auf die Gnade gegründet.

Aber auch dem Staat wäre nicht gedient, wenn man ihm etwas abverlangte, was er gar nicht leisten kann. Der Staat maß sachlich und illusionslos handeln. Er kann nicht religiös überhöht werden und das Heil Gottes herbeiführen. Im Iran versucht man ja so etwas, einen Gottesstaat zu schaffen mit Gewalt und Fanatismus. Aber das dabei herausgekommen ist, das ist vielleicht noch schlimmer als der Fortschrittsglaube des vorhergehenden Systems.

Doch die Herrschaft des Königs Jesus Christus sieht anders aus. Zu ihr gehört eben das Tragen der Sünde der Welt, zu ihr gehört das Kreuz. Sein Reich ist nicht von dieser Welt und kann auch nicht in das weltliche Geschehen hinabgezogen werden.

Dennoch werden wir mit großem Nachdruck auch immer wieder auf das Heute gewiesen. Jesus maß sich auf ein schweres Ende gefaßt machen. Aber bis dahin bleibt noch eine kleine Zeitspanne, die genutzt werden soll. Doch man darf dabei nicht vergessen: Das Licht, in dem es zu wandeln gilt, ist er selbst. Dem Volk war es mehr um das Reich zu tun und um all die Annehmlichkeiten, die man sich von ihm erhoffte.

Jesus aber lenkt den Blick auf seine Person: Die Menschen sollen nicht irgendetwas erwarten, sondern ihn! Die Möglichkeit der Gemeinschaft mit ihm ist äußerlich gesehen aber nur kurz befristet. Begegnung ist immer die Sache des jeweiligen Augenblicks. Das schließt nicht aus, daß es auch ein „Bleiben in Christus“ gibt. Das Volk wollte Ja gerade etwas Bleibendes. Sie sollten aber auf das aus sein, was immer wieder geschieht:

Der Wandel im Licht! Heute schon sollen wir das haben, was Christus uns geben will. Es ist ja ungewiß, ob wir es morgen noch werden haben können. Sonst sind wir doch auch darauf aus, möglichst alles mitzunehmen und uns hinzulegen, damit wir es haben, wenn wir es brauchen.

Auch beim Glauben gibt es schwerwiegende Versäumnisse. Manch einer denkt: „Ich bin noch jung, mit dem Glauben und mit der Kirche hat es noch Zeit. Wenn ich erst einmal Zeit habe...!“ Aber wer weiß denn, ob er alt wird und vor seinem. Tode sein Leben noch einmal überdenken und sich noch zu Christus hinwenden kann. Wird man sich überhaupt noch an die Worte Jesu erinnern, wenn man sie in der Zeit des Wohlbehagens und der Geschäftigkeit überhört hat.

Aber noch haben wir Gelegenheit, zu diesem Jesus „Ja“ zu sagen. Noch können wir von unseren vielerlei Anforderungen für eine gewisse Zeit loskommen. Manchmal muß man sich diesen Freiraum erkämpfen. Wir brauchen gelegentlich den Abstand vom Alltag und eine stille Zeit, in der wir ungestört auf Gottes Wort hören, wo wir beten und nachdenken können. Da können wir ein besseres Verständnis für unsere Mitmenschen und für die Probleme der Welt geschenkt bekommen. Das sind wertvolle Augenblicke, wo Weichen für unser Leben gestellt werden. Es ist eben entscheidend wichtig, ob wir im Licht leben.

Wer wirklich lebt, wird das Heute nicht verträumen oder verdösen. Er wird die Zeit nutzen, die ihm gegeben ist. Er wird nicht in hastige Geschäftigkeit verfallen, aber er wird sich dem Licht Gottes ausnetzen, das ihn bescheint. Man weiß nie, wie oft Christus noch anklopfen wird, in Wort und Sakrament. Viele Leute besinnen sich erst auf Gottesdienst und Abendmahl, wenn sie krank sind. Aber dann können sie nur am Radio den Gottesdienst verfolgen. Dafür erwacht aber manchmal ganz neu der Wunsch nach dem Abendmahl. Da kann eher geholfen werden, das kann man ja auch im Haus im kleinen Kreis feiern.

Besser ist aber, wenn man die Regel beherzigt: „Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen!“ oder sagen wir es mit den Worten des Predigttextes: „Wandelt solange ihr das Licht habt!“

Wir h a b e n also das Licht. Das ewige Leben fängt jetzt schon an. Und es ist entscheidend wichtig, ob wir im Licht leben oder in der Finsternis. Im Licht gedeiht das Leben, die Wahrheit, das Gute. Wo das Licht ist, da ist Gott. Wer aber in der Finsternis wandelt, der weiß nicht, wo er hingeht. Er kann Hindernisse nicht unterscheiden, Abgründe nicht erkennen, die Richtung nicht ausmachen. Er merkt nicht, wenn er ins Verhängnis läuft, weil er sich ja für sehend hält. Aber er kann die Helligkeit der bunten und reichen Welt nicht wahrnehmen und weiß letztlich nicht, wohin die Reise wohl gehen wird.

Ganz anders ist es dagegen, wenn wir Jesus begegnen. Da werden wir wach für Gott. Da bereifen wir, daß wir als Gegenüber Gottes geschaffen werden. Da werden wir angestrahlt von dem, was nicht von dieser Welt ist. Dann leben wir zwar unser Leben wie alle anderen: Wir gehen zur Arbeit und tun, was zum alltäglichen und sonntäglichen Leben gehört. Sicher haben wir auch Leiden zu tragen und mit Problemen zu kämpfen. Aber in allem ist Christus, in dem Gott selbst uns ansprícht. So wissen wir, von wem wir herkommen und zu wem wir gehören-

 

 

Joh 12, 44- 50 (1. Sonntag nach dem Christfest):

Wenn man von einem Ort in einen anderen kommen will, dann kann man oft verschiedene Wege wählen. Man kam die Straße benutzen, die ja als bequeme Verbindung zwischen den Ortschaften gebaut wurde. Man kann aber seitwärts durch Feld und Flur gehen. Manchem gefällt das ja. Wenn man Zeit und Ruhe hat, kann das sogar ganz schön sein. Schwieriger ist es allerdings bei Nacht. Aber auch das gefällt manchem, in der Dunkelheit auf einsamen Wegen zu gehen. Nur muß er damit rechnen, daß das nicht so einfach ist und auch einmal etwas schief gehen kann.

In unserem Leben müssen wir uns immer wieder überlegen, welchen Weg wir gehen wollen. Wir können versuchen, uns allein durchs Leben zu schlagen. Aber wir können auch den Weg Gottes gehen. Dort finden wir das Licht, dort finden wir Gott und dort finden wir das Leben.

 

(1.) Jesus ist das Licht: Was lichtloses Leben ist, wissen wir kaum noch. Wenn es dunkel wird, gehen Millionen von Lichtern an, die den Fortgang eines normalen Lebens ermöglichen. Notfalls stehen große Scheinwerfer zur Verfügung. Sie tauchen zum Beispiel ein Stadion

ins Flutlicht, so daß dort sogar Farbfernsehkameras ohne Schwierigkeit zum Einsatz kommen können.

Die Alten mußten zu Bett gehen, wenn es dunkel wurde. Oder sie konnten mühsam ein kleines Öllämpchen anzünden. Wir können das nur noch nachempfinden, wenn einmal das elektrische Licht ausfällt und zum Beispiel der Fernsehapparat nicht mehr geht. Dann muß man sich mit einer Kerze oder Taschenlampe begnügen.

Gottes Licht aber scheint immer. Die Sonne scheint für jeden von uns, ohne daß wir etwas dazu tun müßten oder auch nur könnten. Es ist unausdenkbar, wenn die Sonne eines Tages nicht mehr schiene. Und es wäre dumm, wenn wir auf dieses Licht verzichten wollten und uns in einen dunklen Bunker zurückzögen, in dem nur eine 100-Watt-Lampe brennt. Wer so etwas tun will, ist selber schuld daran.

Mit Gott aber machen wir es oft so. Er hat seinen Sohn Jesus in die Welt gesandt, damit er das Licht der Welt ist. Sie sperren sich gegen dieses Licht und tun so, als ob es Gott nicht gäbe. Aber im Dunkel sieht man den Weg nicht, auch nicht die Abgründe und Hindernisse. Man findet nicht, was man sucht. Man kann nicht unterscheiden. Gefahren nimmt man nicht wahr. Böses und Lichtscheues verbirgt sich im Dunkel.

Licht und Finsternis sind nicht zwei gleichartige Größen.

Die Finsternis kann das Licht nicht verdrängen, so wie ein Giftgas die Atemluft verdrängt Wenn Licht einfällt, ist die Finsternis vernichtet. Aber das Umgedrehte ist nicht möglich. Deshalb beginnt in der Bibel auch die Schöpfung mit der Erschaffung des Lichtes, das die Finsternis überwindet.

Dennoch fühlen sich viele in der Finsternis wohl und meinen, ohne Gott im Leben auskommen zu können. Aber es hätte wenig Sinn, ihnen einreden zu wollen, sie tappten im Dunkel. Einer, der noch nie die Sonne gesehen hat, wird eine 100-Watt-Lampe für ein helles Licht halten und damit zufrieden sein. Wer aber Christus entdeckt hat, der ist gewiß: H i e r ist das Licht!

Manche fürchten aber auch, der Glaube an Christus führe zu einer Verdunkelung. Leider hat die Kirche auch immer wieder zur Verdunkelung in der Welt beigetragen'. Doch das geht auf unser Konto, nicht auf das des Herrn. Die Finsternis könnte auch öfter auf uns Einfluß gewinnen, als uns bewußt ist, auch wenn wir meinen, mitten im Gottes Volk zu stehen.

Deshalb sollten wir uns schon fragen: Hat das Licht Gottes bei uns Zutritt oder versuchen wir, es abzublenden? Gibt es lichtlose Ecken bei uns? Gibt es Winkel, in denen Unrat liegengeblieben ist? Dinge, in die wir Jesus nicht hineinleuchten lassen? Bereiche, über denen seine Sonne noch nicht aufgegangen ist?

Wenn es so ist, dann wäre jetzt die Zeit, es in Ordnung zu bringen und nicht mit ins neue Jahr zu schleppen. Wer an Jesus glaubt, kann nun unterscheiden zwischen Gut und Böse. Er hat keine Angst mehr, weil er weiß, daß er hoffen darf. Und er wird sich nicht mehr wild verteidigen, weil er aus der Vergebung lebt. Er hat ja Jesus und Gott auf seiner Seite.

 

(2.) Jesus ist Gott: Wir brauchen Gott nicht irgendwo zu suchen, weder in der Tiefe noch in der Höhe. Friedrich Schiller konnte noch sagen: „Brüder, über‘m Sternenzelt, muß ein lieber Vater wohnen“. Bis heute stellen sich manche Menschen vor, Gott sei da, wo es keine Sterne mehr gibt, sondern nur noch leerer Raum ist. Viele möchten Gott gern nach dort versetzen, damit er ja recht weit weg ist. Vielen ist auch der „liebe Vater“ zweifelhaft geworden. Sie haben zu viel Schlimmes erlebt, als daß sie noch optimistisch sein könnten.

Dennoch ist Gott ein lieber Vater, der uns in Jesus von Nazareth nahegekommen ist. Er geht uns nach und bangt um uns. Wir können so von ihm predigen, als hätte er selbst unter uns gelebt und als wäre er unter uns gestorben. Er wendet sich nicht nur uns zu, sondern wird selbst ein Stück Welt.

Er wird es so sehr, daß man das Göttliche an ihm übersehen kann. In diesem einfachen Bauhandwerker aus Nazareth kann man das Göttliche normalerweise nicht erkennen. Aber andererseits steht er auch nicht als ein Gespenst vor uns, als ein Wesen, das nicht dieser Welt angehört. Gott hat für uns ein Gesicht bekommen, denn im Sohn sehen und haben wir den Vater.

Jesus gibt sich als der zu erkennen, in dem Gott bei uns ist. Er tut es nur mit seinem Wort, aber nicht belehrend oder anklagend, sondern werbend. Er streckt die Hände aus nach den Menschen, die er nicht aufgeben will, auch wenn sie sich ihm gegenüber reserviert verhalten.

Wir haben Gott nur in Jesus. Aber in Jesus haben wir den ganzen Gott .Wer an Jesus glaubt, schenkt ihm volles Vertrauen. Er sieht sein Wort als gültig und verbindlich an und geht daraufhin jedes Wagnis ein. Das Mitgehen mit Jesus ist überhaupt kein Wagnis, sondern das Gewisseste und Verläßlichste.

Wer an Jesus glaubt, wendet sich gerade nicht von Gott ab. Vielmehr können wir in Jesus gerade Gott finden. Jesus ist nicht nur Prophet und Lehrer, sondern er ist dauernd wesensgleich mit dem Vater. Wenn ein Offizier einen Soldaten losschickt mit einem Befehl, dann müssen alle Soldaten diesem Befehl gehorchen. Der Bote bleibt zwar weiterhin gemeiner Soldat, aber hinter ihm steht die Autorität des Offiziers. Der Befehl gilt, als stünde der Vorgesetze selber da.

So steht auch Jesus für Gott da und verkörpert Gottes Willen, aber auch seine Liebe und Zuneigung. Gott ist nicht mehr ein unfaßbares Geheimnis, nicht nur der „Ganz andere“. In Jesus wurde er ein Gott zum Anfassen, mit dem man reden kann auf du und du.

 

(3.) Jesus ist das Leben: Indem Jesus in den persönlichen Lebenskreis jedes Glaubenden eintritt, geschieht Rettung und Heil hat dieser Anteil am ewigen Leben. Indem wir Jesu Wort hören und bewahren, sind wir im Strombett der Gottesgemeinschaft. Aber es genügt dazu nicht ein allgemein christliches Bewußtsein, sondern Jesu Worte sollen schon gehört und bewahrt werden und uns als ständige Anrede begleiten, wie das zum Beispiel die Herrnhuter Losungen tun können.

Jesu Kommen in die Welt erzwingt aber eine Entscheidung. Wer sich nicht retten läßt, bleibt im Gericht. Schiffbrüchige sind wir alle. Aber es kommt einer, der uns retten will. Aber wer sich nicht retten lassen will, wird umkommen; doch das liegt nicht an dem Retter, sondern an dem, der die Rettung ausschlägt.

Das Kommen des Gottessohnes in die Welt bedeutet auch Gericht. Wenn die Sonne scheint, dann deckt sie auch schonungslos alle Schmutzstellen und Unsauberkeiten auf. Da kann man mit großer Ausdauer die Fenster putzen. Aber wenn nachher wieder die Sonne durchscheint, dann entdeckt man immer noch Stellen, wo es geschmiert hat, und in dem Sonnenstrahl tanzen viele hundert Staubkörner.

Wer zu Jesus kommt, muß es sich gefallen lassen, daß ihm die ganze Wahrheit über sein Leben gesagt wird. Wer aber hört die Wahrheit schon gerne, wenn sie kein Lob enthält? Doch nur wenn die Finsternis aufgedeckt wird, kann sie überwunden werden. Gott gibt sich da immer

große Mühe mit uns. Er wirbt um uns und will uns Lust machen. Gottes Geist weht, wo und wann er will, aber wir müssen die Segel setzen, müssen- bereit sein zum Hören und Gehorchen. Wir werden heute schon zur Entscheidung gerufen, die über das Urteil am jüngsten Tag entscheidet. Dann wird nur ins helle Licht treten, was sich hier schon entschieden hat in unserem Leben. So sagt etwa ein Professor den Studenten, die erst anfangen: „Wie Sie heute studieren, das entscheidet über ihr Examen!“ Examen ist i m m e r ! Wer die Prüfung aber besteht, braucht nicht zu fürchten, daß das Urteil wieder von einer höheren Instanz aufgehoben wird. Wenn Jesus uns freispricht, dann sind wir auch bei Gott freigesprochen.

Auf diesem Hintergrund wird Jesu Rufen um so dringlicher. Er läßt sich durch Ablehnung nicht entmutigen, sondern ruft noch einmal. An Heiligabend hörten wir von Jesu Geburt, am 1..Christtag war er bereits auf der Höhe seiner Wirksamkeit, nun schließt Johannes das öffentliche Wirken Jesu ab. Er gibt seinen Jüngern noch einmal das Vermächtnis mit, den Ernst der Stunde zu erkennen. Er findet sich mit dem Mißerfolg nicht ab, sondern gibt keinen Menschen verloren. Sein Wort wirkt weiter, auch wenn er persönlich nicht mehr da ist. Unsere Aufgabe ist es, Zeugnis abzulegen von diesem Herrn. Wer selbst den Ernst der Entscheidung gespürt hat, dem können die anderen Menschen nicht gleichgültig sein, sondern er wird versuchen, sie auch zu Jesus zu führen. Jesus will ja nicht richten, sondern allein retten.

 

 

Joh 13, 1 -15 und 34 - 35 (Gründonnerstag):

Dienen ist heute nicht mehr modern. Bei uns ist keiner mehr Diener, sondern wir sind alle Hausherren. Wenn man an die unterwürfigen und trotteligen Dienerfiguren in den Filmen denkt, dann möchte man in der Tat nicht ein solcher Diener sein. Diener sind nach dieser Sicht armselige, unterdrückte Menschen, die keinen eigenen Willen haben und immer nur nach der Pfeife ihres Herrn tanzen müssen.

Jesus aber war sich nicht zu gut, seinen Jüngern gegenüber die Aufgaben eines Dieners auszuführen. In dem heißen Land Palästina mit seinen staubigen Straßen war es einfach erforderlich, daß die Füße gewaschen wurden, wenn man ein Haus betrat. Eigentlich war das die Aufgabe des Hausherrn. Aber er gab das natürlich gern an einen Sklaven ab und zwar an den geringsten von ihnen.

Wenn Jesus aber diese ganz verachtete Arbeit tut, dann erregt das natürlich Anstoß. Das ist dasselbe, wie wenn der Regierungschef persönlich die Klärgrube hinter seinem Haus ausschöpft. Wir verstehen, wenn Petrus sich weigert. Umgedreht wäre es richtig gewesen. Es ist natürlich in Ordnung, wenn man hilfsbereit und höflich zueinander ist. Aber es muß im Rahmen bleiben. Wir sagen gern: „Ich lasse mir nichts schenken. Ich will mir doch nichts nachsagen lassen“ Das Annehmen der Liebe Jesu ist gar nicht so einfach. Wir denken auch sicher: „Wo kämen wir denn hin, wenn es alle so machten?“ Nun, ans Kreuz kommt man, wie man bei Jesus sehen kann. Und mit der Fußwaschung hat es angefangen.

Die Jünger haben den Atem angehalten, als Jesus sich so zum Diener der Menschen macht; selbst dem Judas hat er ja die Füße gewaschen. Aber Jesus will damit ein Beispiel geben, wie sie sich verhalten können. Er will nichts verlangen, was er nicht selber vorgemacht hat. Er hofft, daß sie sich dadurch anstecken lassen, in gleicher Weise füreinander und für andere da zu sein. Es ist ja schließlich die letzte Nacht, die er mit ihnen zusammen ist. Da will er ihnen sozusagen sein Testament mitgeben.

Sein Vermächtnis ist das neue Gebot, daß wir uns untereinander lieben. Das ist zwar nicht so besonders neu, sondern es findet sich schon im Alten Testament. Aber es kommt ja darauf an, daß es jeden Tag bei uns neu wird und wir es auch in unser Leben umsetzen. Jesus ruft uns auf, so wie er die niedrigsten Dienste zu tun, um ein wenig mehr Menschlichkeit in die Welt zu bringen.

Zunächst gilt das Gebot einmal innerhalb der Gemeinde. Aber wir haben natürlich auch eine Pflicht zur Liebe ohne Grenzen. So wie Jesus sich selbst hingegeben hat, so haben wir uns auch hinzugeben an die Welt.

Es gibt sehr viel Haß und Elend in unserer Welt. Aber sie können überwunden werden, wenn Menschen da sind, die sich nicht scheuen, dem Vorbild Jesu nachzufolgen. Wenn wir es uns gefallen lassen, daß Jesus für uns da ist, dann werden wir auch frei, für andere da zu sein und auch Dienste zu tun, die eigentlich unter unserer Würde sind. Wenn Jesus, der Große, uns einen großen Dienst getan hat, dann können wir, die Kleinen, den kleinen Dienst nicht verweigern. An drei Lebensbereichen kann das einmal deutlich werden:

 

(1) Im Zusammenleben der Menschen kommt es immer wieder zu Beleidigungen. Das tut weh und das kann man nicht so leicht vergessen. Gut kann es nur werden nach dem Beispiel Jesu. Er hat nicht gewartet, bis die anderen ihn bedient haben, sondern ist ihnen entgegengekommen und hat ihnen seine Liebe gezeigt. Wenn man nur den Beleidigten spielt und immer nur von dem anderen Genugtuung erwartet, wird nichts besser.

Vergessen wir aber nicht: Wir sind alle auf die Vergebung anderer angewiesen, denn wir haben auch schon andere beleidigt. Jeder Mensch, ob Beleidiger oder Beleidigter, ist auf die Liebe des anderen angewiesen, sonst wäre unser Zusammenleben die Hölle. Deshalb sollten wir auch bereit sein, alte Fronten einmal zu überspringen und die Hand zur Versöhnung zu reichen. Nur so können wir die Außenseiter der Gesellschaft wieder in die Gemeinschaft hineinziehen und uns selber davor bewahren, zu einem Außenseiter zu werden.

 

(2) Jesu Beispiel wäre auch hilfreich angesichts der Unmenschlichkeiten jeder Art, die es in der Welt gibt. Es wird uns fast schon zu viel, wenn wir die Zeitung aufschlagen und nur die Überschriften            lesen [Beispiele einfügen].

Die Kirche ist hier fast ohnmächtig, und Gott scheint zu schweigen. Was soll man antworten, wenn gefragt wird: „Wie kann Gott das zulassen, daß so viele Menschen in der Welt hungern und daran sterben?“ Gewiß geht Christus auch an diesen Menschen nicht achtlos vorüber. Auch in ihrem Elend sollen sie etwas von der Liebe Gottes zu den Menschen erfahren können.

Hier sind sowohl Einzelne wie auch die ganze Kirche aufgerufen, dem Beispiel Jesu zu folgen. Getan hat das der Arzt Dr. Binger, der nach dem Vorbild Albert Schweitzers ein Urwaldhospital zunächst in Peru und dann in Mexiko aufgebaut hat. Wir können das nicht alle nachmachen. Aber wir können wenigstens mit Geld den Einsatz dieser wenigen Leute unterstützen. Hier werden Zeichen aufgerichtet für unsern Dienst im Sinne Jesu für die Welt.

 

(3) Der ferne Nächste soll uns nicht davon abhalten, auf die Probleme unserer nächsten Umgebung zu achten. Wenn wir nach Gelegenheiten fragen, unsere Dienstbereitschaft in die Tat umzusetzen, da möchte ich an erster Stelle als sozialen Schwerpunkt die alten Menschen nennen. Gewiß wird einiges für sie getan, auch von der Kirche. Denken wir an Gottesdienst und Gemeindeveranstaltungen, die doch vielfach von alten Menschen besucht werden und wo sie sicher auch ein Stück Hilfe erfahren. Und wir können auch an die vielen Besuche denken, die Gemeindeglieder von sich aus bei alten Menschen machen, auch wenn sie selber schon zu den Alten zu rechnen sind.

Doch welch reiches Betätigungsfeld liegt hier noch für Staat, Kirche und den Einzelnen! Eine einmalige Veranstaltung im Jahr tut es nicht. Wir brauchten, zum Beispiel unbedingt einen Altenclub, wo man.sich treffen und erzählen kann, wo es vielleicht auch Essen gibt und eine Bücherei und vieles andere mehr. Einen Jugendclub haben wir. Aber die Alten werden sich vielfach als überflüssig und abgeschoben vorkommen. Keiner fühlt sich so recht für die verantwortlich; hier könnte vielleicht der Dienst der Kirche einsetzen, nicht nur als Sache der Spezialisten, sondern als Aufgabe für alle.

An solchen Dingen könnte man erkennen, daß hier Christen tätig sind. Wenn man etwa in der Eisenbahn Bekanntschaft schließt mit fremden Menschen, dann wird man wohl nur selten fragen oder herausbekommen, ob der andere zur Kirche gehört oder nicht. Wir sind in diesen Dingen viel zu scheu, um uns zu offenbaren. Viele Parteimitglieder oder Vereinsmitglieder tragen ein Abzeichen und geben sich so zu erkennen und bekennen sich zu ihrer Einstellung. Christen aber bleiben weithin unerkannt.

Da hält ein Zug auf einem Bahnhof. Eine große Schar Frauen will einsteigen. Es gibt ein großes Gedränge und Geschubse. Jede will die erste sein, will einen Sitzplatz oder gar einen Fensterplatz haben. Der Beobachter findet bald heraus, daß die Frauen alle zusammengehören. Sie erzählen und lachen gemeinsam und reichen Süßigkeiten herum. Nur eine Frau läßt man links liegen, um die kümmert sich keiner. Auf einmal packen sie kleine Bücher aus und singen: „Geh aus mein Herz und suche Freud“. Da merkt der Mann: Das sind ja Fromme, die wohl einen Ausflug mit der Bahn machen. So sind eben die Christen: Fromm reden und singen, Gebete und salbungsvolle Reden, aber von Liebe untereinander keine Spur.

Mancher wird aber nun denken: Was hat denn das alles mit Gründonnerstag zu tun? Da denken wir doch besonders an das Abendmahl, da feiern wir selber das Abendmahl und da wollen wir auch etwas über das Abendmahl hören! Aber im Grunde waren wir schon dauernd bei diesem Thema. Wir haben uns nämlich mit den Folgen des Abendmahls für uns befaßt. Im Abendmahl läßt Jesus uns teilhaben an seinem Tod. Aber wir werden es nur recht empfangen, wenn wir uns dadurch zu gegenseitiger Liebeshingabe rüsten und stärken lassen.

Im Johannesevangelium findet sich kein Einsetzungsbericht für das Abendmahl und auch sonst kein Hinweis auf die Sakramente. Allerdings hat man den rätselhaften Vers 10 dahingehend gedeutet: „Wer gewaschen ist, der bedarf nichts als noch die Füße waschen, denn er ist ganz rein!“ Das hat man so verstehen wollen: Wer durch die Taufe reingewaschen ist von aller Sünde, der braucht nichts weiter als das Abendmahl, um sich täglich neu der Taufgnade zu versichern!

So wie sich Jesus in der Fußwaschung hingegeben hat, so opfert er. sich auch im Abendmahl. Wenn wir uns diesen Dienst gefallen lassen, dann werden wir auch aufgeschlossen zum Dasein für andere. Und dann ist das Abendmahl nicht der Abschied von Jesus, sondern der Anfang eines gemeinsamen Lebens mit Christus und unsern Mitmenschen.

 

 

Joh 14, 1 -12 (Neujahr):

Ein neues Jahr bringt manche Besorgnisse mit sich. Was wird mir alles widerfahren? Werden sich meine Pläne verwirklichen lassen? Wird es ein Jahr mit Jesus werden? Schließlich ist Jesus ja nicht leibhaftig unter uns. Wir müssen selber herausfinden, was heute sein Wille mit uns heute ist.

 

 (1) Jesus macht für uns bei Gott Quartier:

Mit Jesu Abschied geht etwas zu Ende. Man kann nicht behaupten, daß wir darauf leicht verzichten könnten. Jesus bleibt zwar einer von uns, bleibt sozusagen weiter mit uns verwandt. die unmittelbare Lebensgemeinschaft mit ihm hat aufgehört. Wir kennen das ja auch aus unserem menschlichen Zusammenleben. Wenn man sich jahrelang nicht sieht, ist es schwer, die Verbindung aufrecht zu halten. Man kann sich zwar schreiben. Aber das ist doch nie so intensiv wie die persönliche Begegnung. Wenn man sich nicht wenigstens hin und wieder einmal sehen kann, zerbricht die Gemeinschaft sehr leicht.

Jesus hinterläßt uns ja sein Wort. Und wir wiederum können uns im Gebet mündlich an ihn werden. Aber dieses dort läßt sich ja nicht ohne Einbuße von dem ablösen, der es gesagt hat. Wenn man einen Menschen gernhat, dann will man nicht nur seine Briefe lesen oder seine Stimme am Telefon hören, dann will man ihr auch sehen und anfassen können. Wenn Jesus nicht leibhaftig bei uns ist, dann fehlt uns schon etwas.

Aber Jesus verspricht seinen Jüngern: Das ist nur für eine Übergangszeit. Er lebt nur zeitweilig im Ausland und wird dann wieder zurückkehren. Seine Jünger brauchen nicht kopflos zu werdet, sie brauchen nicht zu erschrecken, sie brauchen nur zu glauben, dann werden sie diese Zeit schon überstehen.

Sie werden sich allerdings nicht auf günstige materielle Vorbedingungen, auf Einfluß, Reichtum und Macht verlassen können. Sie werden auch nicht auf die allgemein verbreiteten Überzeugungen und Erwartungen der Menschen eingehen können. Aber sie werden Christus auf ihrer Seite haben, der sie auch jetzt nicht in ihrem Elend allein läßt.

Dennoch hat der Thomas recht mit seiner Fragerei. Er kann ja gar nicht wissen, wohin Jesus geht. Der Weg dahin ist weder auf einer Landkarte noch auf einem Himmelsglobus festlegbar. Jesus hat durch die Himmelfahrt nicht einfach einen anderen Ort im Raum eingenommen, sondern er ist einfach in einen ganz anderen Raum gekommen. Aber diesen Raum können wir nicht mit unserem dreidimensionalen Raum oder mit dem in sich gekrümmten Weltall vergleichen, sondern er ist von ganz anderer Qualität.

Uns ist verheißen, daß wir auch einmal in dieser Welt Gottes sein werden. Gott möchte, daß alle Menschen bei ihm eine Bleibe finden, wenn er auch nicht so eine Art himmlisches Grand-Hotel bieten wird; vor allzu menschlichen Vorstellungen sollten wir uns da schon hüten. Dieses Wohnrecht bei Gott versteht sich auch nicht von selbst. Da muß einer erst die Unterkünfte ausfindig machen und für uns sichern. Deshalb mußte Jesus seinen Opfergang gehen. Er ist unser Quartiermacher, der uns schließlich nachholen wird. Nur weil er vorausging, konnte er weiter für die Seinen sorgen.

Unser Zuhause bei Gott ist also schwer erkämpft. Zwar mußte Jesus dem Vater nichts abringen. Aber es war doch erst einiges aus der Welt zu schaffen und zu bereinigen, ehe der Weg zu Gott frei war. Jesus ist also nicht einfach abgehauen, sondern er hat uns verlassen, um unsre Interessen besser wahrnehmen zu können.

Das sagt Jesus den Menschen wie Thomas und Philippus, die erschrocken sind und viele Fragen haben. Er verheißt ihnen, daß er ihnen eine Bleibe bereiten wird.  Und er wird zurückkommen und sie über den Graben holen, den er selber übersprungen hat.

 

(2) Jesus ist der Weg zum Vater:

Was verlangt Jesus wohl von uns, wenn wir an das verheißene Ziel gelangen wollen? Er legt uns nicht Gesetze und Vorschriften auf, sondern er spricht so gesetzesfrei wie möglich: „Der Weg, die Wahrheit und das Leben - das bin ich!“ Jesus beschreibt nicht einen Weg, er weist uns nicht hin auf einen Weg, sondern er ist selber der Weg. Wir möchten doch alle gern einen Weg wissen, auch in das neue Jahr. Aber Jesus  i s t  de r Weg, die Wahrheit und das Leben.

Wenn es nur darum ginge, den richtigen Weg zu finden, dann könnte  man ihn ja auch allein gehen, ohne Christus. So versucht das ja ein Lehrer, der seine Schüler zur Selbständigkeit erziehen möchte.  Aber es gibt keinen Weg zu Gott ohne Christus oder an ihm vorbei. Wer Jesus sieht, der hat auch der Vater vor Augen. Und wer bei Jesus ist, der hat auch Anteil am ewigen Leben.

Jesus ist aber auch so etwas wie ein Weg, der gegangen sein will. Wer ihn geht, bleibt nicht in der alten Verfassung. Allerdings liegt das nicht am eigenen Können, sondern weil das Gehen dieses Weges einfach voranbringt. So können wir  a11e  zu einem neuen Menschen werden,

 

(3) Jesus wird der Mächtigste:

Wenn einer im Beruf Fortschritte macht, dann kann es sein, daß er auch seinen Wohnort wechseln muß: Erst in die Kreisstadt, dann in die Großstadt und schließlich vielleicht nach New York. Wenn er wirklich etwas gekonnt hat, dann werden seine Mitarbeiter seinen Weggang bedauern. Sie müssen ja nun selber sehen, wie sie allein zurechtkommen. Aber sie werden sich schließlich auch sagen: Er hat einen größerer Verantwortungsbereich, da kann er viel mehr Menschen nutzen und am Ende haben wir selber auch einen größeren Vorteil davon.

So wird die Gemeinde Christi durch seinen Weggang euch nicht vollkommen aktionsunfähig. Sie setzt ja das Wirken Jesu in der Welt fort. Er hat sie ja dazu angeleitet und unterstützt sie nun von höherer Stelle aus. Jetzt erst kann er ja die „größeren“ Werken tun, die nun allen Christen zugutekommen.

Mit der Himmelfahrt gewinnt das Wirken Jesu erst seine rechten Ausmaße. Jetzt wird sein Wirkungsbereich über die ganze Erde ausgeweitet. Seine Jünger durchbrechen die Enge des Heimatlandes Jesu und gehen hinaus in die Welt. Sie sind erfüllt vom Geist Christi und tun vielfach die gleichen Dinge wie er.

Jetzt kommst es erst zu einem Zusammenwirken zwischen himmlischem Christus und irdischer Gemeinde. Beide können sich nun erst recht ergänzen. Christus braucht die Christen als seine irdischen Werkzeuge. Und die Christen brauchen Christus, weil sie sonst in der

Welt verloren werden.

Wie tröstlich ist doch der Satz: „Euer Herz erschrecke nicht!“ Wie gut tut das gerade in unsrer Zeit, wo doch so viele Menschen Angst haben. Sie haben Angst um ihr bißchen Hab und Gut, um ihr berufliches Fortkommen, um ihre Kinder und sie haben Angst vor dem Tod. Nur Christus kann uns von dieser Angst befreien. Wenn man weiß, daß  e r  die Herrschaft über die Welt hat, dann läßt man sich schon nicht mehr so von den Herren dieser Welt beein­drucken. Dann geht man unbeirrt seinen Weg mit Christus und dann weiß man auch: Ich habe ja längst meine Wohnung bei Gott!

Das soll nicht heißen, daß wir uns nicht um die Wohnung hier auf unsrer Erde kümmern müßten. Das ist auch notwendig und wichtig. Aber es ist nicht so wichtig, daß wir deshalb die himmlische Wohnung ganz aus den Augen verlieren könnten. Wer die himmlische Wohnung noch als Rückhalt hat, der kann gelassen die irdischen Schwierigkeiten über sich ergehen lassen: Christus hat die Macht geschieht nur, was er zuläßt.

 

Joh 15, 18-21 (23. Sonntag nach Trinitatis):

„Die christliche Gemeinde wird vom Haß der Welt getroffen. Der Haß gegen den Sohn ist aber der Haß gegen den Vater!“ So könnte man den Inhalt dieser Verse umschreiben. Als sie aufgeschrieben wurden, war der Haß gegen die Gemeinde schon eine Tatsache, der Haß ist zum Dauerzustand geworden. 

Weshalb werden Christen gehaßt? Die Kommunisten bekämpfen die Kirche, weil sie früher auf der Seite der Herrschenden stand und bemerken gar nicht, daß sie sich längst gewandelt hat. Es wäre sinnvoller, Seite an Seite mit der Kirche an der Verbesserung der Welt zu arbeiten. Aber die unrühmliche Vergangenheit der Kirche ist ja auch gar nicht der wirkliche Grund der Ablehnung der Kirche.

Viel wichtiger ist den Kommunisten, daß sie den Menschen mit Haut und Haar beherrschen wollen, er soll nur die kommunistische Ideologie im Kopf und vor allem auch im Herzen haben. Und da stört der Glaube an Gott natürlich. Dieser Glaube ist umgedreht die beste Versicherung dafür, daß man nicht einer verführerischen Ideologie erliegt. Deshalb verweist Johannes auch darauf, daß es Menschen gibt, die das Wort Jesu halten. Sie sind nicht mehr „aus der Welt“, sondern sind in das „Sein von oben“ gerufen.

Die Kirche wird auch von den Moslems gehaßt. Sie erkennen zwar Jesus als einen Propheten an, aber natürlich nicht als Sohn Gottes. Allerdings gibt es auch Unterschiede unter den Moslems. Die große Mehrheit ist gemäßigt und kommt gut mit anderen Überzeugungen aus. Aber auffällig sind die Radikalen. Die verfolgen sogar ihre Glaubensbrüder. Und dabei geht es nicht nur um den Gegensatz der beiden großen Konfessionen, der Schiiten und Sunniten, sondern es gibt auch die Ultraradikalen, die jeden köpfen, der sich nicht zu ihrer Auslegung des Glaubens bekennt. Christen haben da erst recht keine Chance.

Es ist also durchaus nicht so, daß die Christen nur durch den Staat verfolgt werden, wie das zur Zeit des Johannes war, als der römische Staat sie grausam unterdrückte. Wer dem römischen Kaiser opferte, der hatte nichts zu befürchten. Wer sich aber weigerte, wurde getötet, damit es nicht mehr so viele Verweigerer gab.

Aber die christliche Gemeinde erfuhr auch Nachstellungen von den Juden. Diese schlossen die Jesusanhänger aus der Synagogengemeinde aus oder töten sie sogar. Und dabei meinten sie, Gott noch einen Dienst zu tun. Verfolgung gibt es also nicht nur von Ungläubigen, sondern auch von denen, die auch einen Gott über sich wissen. Daß Christen verfolgt werden, scheint ihr Schicksal zu sein, weil sie sich nicht in allgemein menschliche Überzeugungen einordnen, sondern einen Herrn über sich haben, der größer ist als alle Herren dieser menschlichen Welt.

Die Welt ist ihrem Wesen nach aber nicht widergöttlich, so daß man sie möglichst bald hinter sich lassen müßte. Die Welt ist ja Gottes Schöpfung, zwar von ihm unterschieden, aber doch von ihm gewollt. Erst die negative Entscheidung gegenüber Christus macht sie zu einer widergöttlichen Größe. Deshalb haben sich die Jünger darauf gefaßt zu machen, daß die Welt auf dem Plan ist, wenn einer sie angreift und bedrängt. Sie sollen nicht überrascht sein, wenn ihre Predigt sie in harte Auseinandersetzungen mit der widerstrebenden Welt bringt.

Das Johannesevangelium gibt drei Gründe für diesen Haß an: Weil ihr zum Himmel gehört, der ihnen fremd ist. Weil ihr zu mir gehört, den sie hassen. Weil ihr zu Gott gehört, den sie nicht kennen.

 

1. Weil ihr zum Himmel gehört, der ihnen fremd ist:

Die Jünger ziehen mit einer erfreulichen Kunde durch die Welt: „Gott liebt die Welt!“ Aber diese Welt läßt sich nicht liebhaben. Sie lehnt gerade das Befreiende und Beglückende ab. Die Christen bringen der Welt das Beste, was sie empfangen kann. Aber sie erfahren nur Haß dafür. Es kann nicht anders sein: die Begegnung ist ein Zusammenprall.

Aber es hat auch immer wieder Menschen gegeben, die Gottes Wort gehalten haben. So hat das Evangelium Geschichte gemacht. Wie ein Sauerteig hat es die Welt durchdrungen und vor allem das sogenannte „christliche Abendland“ geformt und hat von da aus die ganze Welt beeinflußt. Was in den Menschenrechten aufgeschrieben wurde, was in den Papieren der Vereinten Nationen steht, was auch unser Grundgesetz ausmacht - das ist alles die weltliche Seite des christlichen Glaubens.

Diese Wirkung wird sich aber nur fortsetzen, wenn es nicht nur heißt. „Man ist eben Christ!“ sondern wenn ich sage: „ I c h  bin Christ!“ Eine Gewohnheitsreligiosität, die ihren Wurzelgrund im Menschenherzen hat, ist noch kein Christsein, denn dieses kann immer nur „von oben“ sein. Und das Reich Gottes vereinigt sich auch nicht mit der Welt zu einer Art Legierung, bei der sich beides gleichmäßig durchdringt. Die Spannungen werden sich nicht mit der Zeit ausgleichen, indem die sittlichen Kräfte des Evangeliums die Welt durchdringen.

Jesus hat seine Jünger aus der Welt heraus erwählt. Sie werden aber nicht der Welt entnommen, sondern sie werden vor dem Bösen bewahrt. Aber die Christengemeinde bleibt mitten in der Welt ein Fremdkörper, weil sie ihren Ursprung bei Gott hat. Sie hört auf ein Wort, das die Welt nicht vernommen hat oder nicht vernehmen wollte.

Christen hoffen auf das, was Gott tut und noch tun wird. Sie urteilen nach Maßstäben, die der Welt nicht geläufig sind. Christen leben in der Welt, aber sie leben nicht von der Welt. Doch die Welt wird schnell herausfinden, wo wir doch noch in Wirklichkeit auf ihrer Seite sind. Achten wir deshalb drauf, auf wessen Stimme wir hören.

 

2. Weil ihr zu mir gehört, den sie hassen:

Das Jüngerleben ist dem Leben des Herrn parallel. Als Jünger kann man nicht in Glanz und Gloria leben wollen und der Gekreuzigte ist ganz unten. Jesus ist aber nicht mit verbundenen Augen in sein Kreuzesschicksal hineingelaufen, so meine es manche, die auch sagen: Erst die Gemeinde hat die unvorhergesehene Katastrophe sich verständlich gemacht und die „Theologie des Kreuzes“ sich zurechtgelegt, daß dies nämlich alles so von Gott gewollt war. Dann wäre der Haß der Welt auch etwas ähnlich Zufälliges wie der Kreuzestod Jesu selbst. Jesu ganzes Reden und Tun schließt die Notwendigkeit des Konflikts mit der Welt ein. Wir müßten eine andere Sache predigen als Jesus, wenn es nicht auch bei uns den Konflikt mit der Welt gäbe.

Jesus schont die Welt, indem er ihr wehrlos gegenübertritt. Jesus kämpft nur mit Waffen des Friedens, mit seinem Wort, mit Dienst, Hingabe und Leiden. Dadurch setzt er die Welt ins Unrecht bzw. er macht das Unrecht offenbar, in das sie sich selbst gesetzt hat. Aber Jesus liebt die Welt. Doch diese lehnt die Liebe ab und versteift sich im Widerstand.

Im Kreuz Jesu hat dieser Konflikt seine größte Schärfe erreicht. Hier hat die Welt sich wissend an Gott vergriffen. Ihr Widerstand ist nicht nur Schwachheit und Verwirrung. Dieser Widerstand wehrt sich gegen die Liebe, mit der Gott in Christus seine verlorengegangene Welt zurückholen und zurückgewinnen will. Wenn sie aber in der Verlorenheit verharrt, ist ihr nicht mehr zu helfen. Geholfen werden kann ihr nur, wenn sie die eigene Verkehrtheit und Verlorenheit, das Losgelöstsein von Gott und das Verfangensein in das Böse sich eingesteht und das „Sein von unten her“ aufgibt.

Doch was wir hier von der „Welt“ gesagt haben, gilt auch für uns, denn wir stehen immer in der Gefahr, auch „Welt“ zu sein. Für die Jünger liegt darin die große Versuchung, nun doch größer sein zu wollen als der Herr und der Auseinandersetzung auszuweichen. Die Jünger können ja nicht mit den gleichen Waffen zurückschlagen, sondern sie werden mit ihrem Herrn ins Leiden gehen müssen. Wenn die Welt uns nicht haßt, kann das seinen Grund darin haben, daß sie jetzt auf Gott hört. Es kann aber auch darauf zurückzuführen sein, daß wir ein Evangelium predigen, das niemanden aus der Ruhe bringt, weil wir selber „Welt“ geworden sind.

 

3. Weil ihr zu Gott gehört, den sie nicht kennen:

Das klingt ja fast wie eine Entschuldigung der Welt. Aber vielleicht kann sie gar nicht anders als hassen. Sie hat sich als Kreatur dem Schöpfer gegenüber selbständig gemacht. Ist das Schicksal oder Schuld? Die Jünger Jesu sollten für die Denkweise der Welt einiges Verständnis aufbringen. Hier sind Menschen angeredet, deren Gottblindheit nicht eine naive, sondern eine bewußte und von ihnen gewählte ist. Aber jeder Jude würde protestieren und sagen: Wenn jemand Gott kennt, dann der Jude! Doch gerade diese Selbstgewißheit kann ja Verblendung sein. Sie meinen Gott zu kennen und kennen ihn doch nicht. Doch diese Gefahr besteht auch für uns.

Gott ist uns in der Tat von Hause aus verschlossen und unbekannt. Erst indem Jesu uns die Möglichkeit der Gotteserkenntnis erschließt, können wir ihn finden und mit ihm Gemeinschaft haben. Die Wirklichkeit Gottes kann sich nur selbst erschließen. Dies geschieht, indem Christus uns begegnet. Gotteserkenntnis besteht nicht in der Übernahme von Lehrsätzen, sondern darin, daß man sich ergreifen und auf den neuen Boden stellen läßt. Begreifen kann man nur, wenn man sich ergreifen läßt.

 

Joh 14, 15 – 19 (Exaudi):

In den Bildungsplänen für Kinder bis zu zehn Jahren fehlt oft eine religiöse Bildung. Dabei ist Religion längst in jedem Kinderzimmer vorhanden, wenn die Kinder Videos mit All­machts­phantasien sehen oder in die Geisterwelt von Harry Potter eintauchen. „Wir dürfen Kinder mit Religion nicht allein lassen!“ sagte einmal ein Professor. Und eine Psychologie­professorin sagte: „Es gibt zunehmend Menschen, die darunter leiden, daß ihnen das Religiöse fehlt!“ Doch es genüge nicht, daß jemand etwas glaubt, sondern man muß auch konkret wissen, welches die Inhalte sind. Darüber müsse man sich auch in einem Bildungsplan verständigen, und zwar nicht, weil die Kirche davon Vorteile hat, sondern weil die Kinder das für ihr Leben brauchen.

Auch nichtchristliche Kinder brauchen religiöse Bildung, damit sie einen Plan von unserer Kultur und von ihrem Leben haben und sich mit anderen verständigen können. Religion ist aber nicht eine bestimmte Geisteshaltung, die man hat und pflegt, sozusagen eine Sache der Kultur. Der christliche Glaube ist allerdings auch Kultur, denn der Glaube ist auch in das Denken der Menschen, in die Literatur, die Musik und die bildende Kunst eingedrungen. Was soll zum Beispiel ein Besuch im Museum, wenn man gar keine Beziehung zu den dort ausgestellten Altarbildern hat?

Es ist interessant, daß solche Fragen gerade in Thüringen gestellt wurden, wo man doch 40 Jahre im Sinne des Atheismus beeinflußt werden sollte und alles von da her lösen wollte.

So sagte eine Psychologin im Krankenhaus sagte: „Damit ihr Sohn keine unerklärlichen Bauchschmerzen hat, sollte er mehr Marx und Lenin lesen, damit er nicht im Widerspruch zu seiner Umwelt steht und davon Bauchschmerzen bekommt!“ Aber nicht Marx und Lenin haben dann geholfen, sondern eine Blinddarmoperation.

Richtig ist an der Äußerung der Psychologin allerdings, daß Leib und Seele zusammengehören und daß wir nicht nur etwas für den Leib tun dürfen, sondern auch für die Seele. Nur haben die Kommunisten es damals mit dem Gegenteil von Religion versucht. So sagte es einmal ein Musiker, der oft auf Tournee war und dann ein bescheidenes Leben mit den wenigen Sachen aus seinem Koffer auskommen mußte: „Jetzt noch kein Geld und keine Religion, das wäre die Lösung für viele Probleme!“

Genau das wollten die Kommunisten: Das Geld und die Religion abschaffen, dann werden die Menschen glücklich, meinten sie. Aber der Atheismus kann nicht die Seele ernähren, wie umgekehrt auch nur „Religion“ nicht ernährt.

Es ist auch nicht so, wie es die Philosophie des 19. Jahrhunderts wollte, daß sich der Weltgeist in den einzelnen Menschen einnistet und dieser damit „religiös“ wird. Menschengeist und Gottesgeist fließen in ganz unterschiedlichen Stromkreisen und können nicht zusammengeschaltet werden. Der Mensch kann sich höchstens in den Stromkreis Gottes einschalten und dadurch Kraft erhalten für sein Leben.

Der Mensch braucht mehr, als was aus ihm selber herauskommt. Was sich an Hilfreichem in der Kirche ereignet, ist nicht das eigene Tun der Kirche, sondern das Wirken des Geistes Gottes. Alle Krankenpflege und Beratung und Altenbetreuung geschieht nicht aus eigener Machtvollkommenheit. Das wäre „Religion“.

Wir haben „Religion“ als Schulfach. Das ist nicht unbedingt eine Einweisung in den christlichen Glauben. Dieser ist vielmehr nur ein Beispiel für Religion, der allerdings bei uns durchaus einen großen Raum einnehmen könnte. Aber was wird in der Praxis gemacht? Da geht es um Toleranz und Zivilcourage, um allgemein ethische Lebensfragen und immer wieder um die sogenannten „Fremdreligionen“. Es geht um Information, um Lernstoff, um Kultur. Es liegt allein am Lehrer, ob er persönlich auch seinen Glauben bezeugt

Es ist nicht damit getan, daß wir uns mit einem „Christentum“ begnügen und sagen: „Ich habe ja die Religion, ich bin reich, ich brauche nichts!“ Dann brauchten wir die wunderbare Zuwendung Christi und die Gemeinschaft mit ihm gar nicht mehr - es ginge auch ohne ihn. Doch wir sind immer auf seine Treue angewiesen, brauchen ständig den Kontakt mit ihm im

Gottesdienst und im Gebet. Das Leben aus dem Geist ist nicht ein ruhender Besitz, sondern die Kirche hat nur, indem sie empfängt.

Es gibt kein Frommsein des natürlichen Menschen, das sich dann in guten Taten zeigen würde. Was mich mit Gott verbindet, kann ich mir nicht selber sagen oder aus Büchern erarbeiten, sondern ich muß es mir sagen lassen und es hören. Ich kann nicht über Gottes Wort verfügen.

Aber ich darf fröhlich bekennen: „Ich bin gewiß, ich bin mir sicher!“ Aber das heißt nicht, daß wir für uns selbst die Hand ins Feuer legen könnten: Nicht i c h halte durch, sondern e r ! Eine nur auf sich selbst gestellte Kirche, die nur aus der Jesuserinnerung lebte, wäre übel

dran. Ohne Christus ist sie eine arme Kirche, aber mit ihm ist sie reich! Deshalb gilt es, sich darauf zu besinnen, woher das kommt, was uns zur Kirche macht.

Wir wären und blieben eine arme Kirche, wenn wir eine Versammlung von solchen wären, die sich die religiösen und ethischen Ziele des Mannes von Nazareth zu eigen gemacht hätten, ihn aber doch bei den Toten suchten. Arm wären wir auch, wenn wir nur das Wort hätten, nicht aber den, der es spricht. Wir versammeln uns nicht, um eine bestimmte „Sache“ zu bedenken und wenn es gut geht, diese auch voranzubringen. Wir versammeln uns um eine Person, die uns auch heute Rat und Wegweisung gibt.

Es geht vor allem um die Glaubensstärkung für die Jünger und ihre Aufgaben in der Welt. Der zum Vater heimgekehrte Jesus unterstützt sie vom Himmel her, der Geist der Wahrheit ist ihr dauernder Beistand und eine beständige innere Kraft. Während die Jünger ihre Verbundenheit mit Jesus im Tun seiner Gebote bewähren, setzt Jesus sich für sie beim Vater ein, indem er den Vater bittet, ihnen einen Beistand und Helfer zu geben.

Jesus hatte seine Jünger entlastet durch seine Nähe, durch seine Wegweisung und das Gespräch. Aber nun sollen sie erwachsen werden, ohne daß die Angst von ihnen Besitz ergreift. Jesus trennt er sich von ihnen und belastet er sie mit neuen Aufgaben und Verantwortungen. Er weiß, daß das zu Angst und Verzweiflung führt. Aber er sagt nicht: „Nehmt euch zusammen!“

Vielmehr sagt er ihnen, was er tun wird, um ihnen in ihrer Situation beizustehen. Er wird die Bitten erfüllen, die sie in seinem Namen vorbringen. Und sie wiederum werden ihn lieben und seine Gebote halten. So werden die Lebenskräfte Gottes in die Welt der Menschen einströmen.

Wir fühlen uns auch oft hilflos und allein gelassen. In einer solchen Situation brauchen wir keine Beschwichtigung, sondern konkrete Hilfe. Jesus gibt seinen Jüngern zuerst einmal Auf-

gaben, denn das hilft, die Trauer auszuhalten und zu überwinden. Sie werden die gleichen Werke tun wie Jesus, sogar noch größere. Aber er stellt auch einen Helfer in Aussicht gegen Angst und Hilflosigkeit.

Wenn ein Beschuldigter in eine Vernehmung geht, dann nimmt er sich vielleicht die Telefonnummer eines Rechtsanwalts mit. Auch wenn er sie nicht braucht, ist es doch beruhigend, wenn man so einen Beistand in der Hinterhand hat. Nur bei Gott ist es immer so, daß wir ihn immer brauchen und nicht aus uns selber tätig werden können.

Der Herr ist erhöht, aber die Kirche ist nicht verwaist. Das Leben ihres Herrn pulsiert in ihr. Und dadurch ereignet sich anbruchsweise auch schon das künftige Leben in ihr. Das Leben des Auferstandenen ist nicht bloß eine zukünftige Gabe, sondern jetzt schon ein Stück Wirklichkeit.

Gott ist bei uns da. Die katholische Kirche will das verdeutlichen, indem sie das ewige Licht in der Kirche brennen läßt. Aber das brauchen wir gar nicht. Wir begrüßen ihn im Gottesdienst mit „Herre Gott erbarme dich“ und „Allein Gott in der Höh sei Ehr“. In Taufe und Abendmahl ist er uns besonders nahe.

Wir brauchen den Geist Gottes unbedingt in unserer Welt. Das kann uns zum Beispiel deutlich werden an der Rechtsprechung: Wenn der Bundespräsident über die Begnadigung eines terroristischen Mörders befinden muß, dann kann er nicht nur danach fragen, ob dieser sich wohl in Zukunft auch friedlich verhalten wird. Er wird seine Entscheidung auch davon abhängig machen, ob rückhaltlos das Geschehen aufgeklärt wird und ob echte Reue vorhanden ist.

Zwei junge Männer, die ein Ehepaar erschlagen und beraubt haben, haben natürlich eine

schwere Schuld auf sich geladen, wenn wir dies von den Zehn Geboten her betrachten. Etwas

anderes ist allerdings der juristische Begriff der „besonderen Schwere der Schuld“, die frühestens nach 15 Jahren einen Antrag auf Aussetzung der Strafe zur Bewährung zuläßt. Ein Richter muß da nach dem Gesetzbuch entscheiden, nicht nach den Zehn Geboten. Aber selbst wenn die besondere Schwere der Schuld nicht festgestellt wird, so sieht das vor dem Gericht Gottes anders aus als vor einem menschlichen Gericht.

Zum Schluß noch ein Beispiel, das man in dem Ort Gleiberg bei Gießen sehen konnte: Zwischen zwei Häusern war ein roter Klebestreifen auf das Pflaster geklebt und an dem Haus hing ein Schild: „Besucher des Hauses bitte nur links des roten Striches gehen!“ Ein Passant erläuterte und die näheren Umstände: Eine Familie war neu in das Haus gezogen und fuhr mit dem Auto über die gemeinsame Einfahrt in den Hof hinter dem Haus. Das wollte der

Nachbar aber nicht dulden, und so kam es zum Streit und zur Trennung. Dabei hätte man alles doch gut regeln können, wenn man sich vom Geist Gottes hätte leiten lassen. Dazu dann noch ein juristischer Vertrag, daß man die möglichen Unterhaltskosten gemeinsam tragen wird, und der Friede wäre hergestellt.

Auch in unseren Ortskernen, wo man so eng zusammenwohnt, gibt es entsprechende Beispiele. Aber das Leben wird leichter, wenn man sich vom Geist Gottes leiten läßt und im Sinne Jesu mit den Mitmenschen auskommt. Dann ist er auch unter uns lebendig!

 

Joh 15, 9 – 17 (21. Sonntag nach Trinitatis):

In den ersten Jahrhunderten besaßen die Christen noch keine eindrucksvollen Kirchen mit hohen Türmen. Es gab keine Kirchenzeitungen und keine Sendungen in Rundfunk und Fernsehen. Es fehlte alles, was die Kirche heute in der Öffentlichkeit bekannt macht. Aber dennoch waren die Christen bekannt: Man erkannte sie daran, wie sie miteinander umgingen. Ein Menschenleben galt damals nicht viel; Ausländer und Sklaven wurden verachtet. Menschen, die sich liebten, fielen auf. Liebe zueinander - das war damals das besondere Kennzeichen der Christen.

Können wir das heute auch noch sagen? Da sagt ein junger Mann: „Ich habe gedacht, ich käme in eine christliche Familie. Schließlich ist der Vater meiner Freundin ein Kirchenältester. Sie gehen zwar ab und zu sonntags in den Gottesdienst. Aber darüber hinaus gibt es in der Familie keinen Zusammenhalt. Keiner gönnt dem anderen etwas, oft gibt es Streit. Ich bin sehr enttäuscht!“

Wenn Mann und Frau abends müde von der Arbeit heimkommen und er sich vor das Fernsehgerät setzt und sie die Hausarbeit machen soll, dann gehen sie sich auf die Nerven. Wenn den Eltern der Freund der Tochter nicht paßt, sie ihn aber für einen feinen Kerl hält, dann können sie sich nicht verstehen. Geschwister mögen sonst ein Herz und eine Seele sein, aber wenn es Nachtisch gibt, dann wird jede Kirsche einzeln gezählt, damit nur ja keiner mehr kriegt als der andere.

Aber es gibt auch erfreuliche Erfahrungen mit Christen. Da berichtet eine Mutter: „Ich hatte zuerst keinen Mut, die Einladung zu einer Familienrüstzeit der Kirche anzunehmen. Meine Tochter ist ja behindert, vieles kann sie nicht mitmachen, manchmal bekommt sie Anfälle. Viele reagieren verständnislos darauf, deshalb waren wir lange nicht fortgefahren. Aber dann gab es überhaupt keine Probleme bei der Rüstzeit. Alle kümmerten sich so nett um uns. Es war, als ob wir schon immer dazugehörten!“

Vor diesem Bibelabschnitt steht das Gleichnis vom Weinstock. Da sagt Jesus:" „Ich bin der wahre Weinstock, ihr seid die Reben!“ Er will damit sagen: „Ihr hängt doch alle irgendwie untereinander zusammen in der Familie, weil ihr verwandt seid. Ihr hängt zusammen bei der Arbeit, weil ihr den gleichen Arbeitsplatz habt. Und ihr hängt zusammen in der Kirche, weil ihr den gleichen Herrn habt. Gerade mit diesem Herrn aber sollt ihr eng und innig verbunden sein.

Viele Menschen handeln nach dem Grundsatz: „Du sollst deinen Freund lieben und deinen Feind hassen!“ Wir teilen die Menschen gern ein in solche, die zu uns gehören, und solche, die „die anderen“ sind. Und vielleicht machen wir auch einen Unterschied zwischen denen, die zum Gottesdienst kommen und denen, die nur die Kirchensteuer bezahlen, um einmal kirchlich beerdigt zu werden.

Jesus sagt es anders: „Wie mich mein Vater geliebt hat, so liebe ich euch. Liebet einander, wie ich euch geliebt habe!“ Wenn wir die Liebe als ein Kennzeichen der Christen bezeichneten, dann heißt das zunächst: „Gott hat uns lieb!“ Aber daraus ergibt sich: „Wir sollen lieben!“ Der Vater liebt den Sohn, der Sohn liebt die Gemeinde und diese wiederum liebt alle anderen Menschen, nicht nur die eigenen Anhänger.

Gott hat uns lieb! Wer nie Liebe erfahren hat, wird nur schwer zur Liebe fähig sein. Wer dagegen von Kindheit an von Liebe umgeben war, der wird später Liebe weitergeben können. So läßt sich Liebe nicht befehlen, sondern sie ist uns von Gott vorgelebt worden. Jesus hat sich mit den Sündern zusammengesetzt, weil gerade die Schwachen den Arzt nötig haben.

Wenn wir uns Freunde aussuchen, dann suchen wir die liebenswerten und geschickten. Aber Jesus liebt sie nicht, weil sie seine Freunde sind, sondern erst weil er sie liebt, werden sie zu seinen Freunden

Wenn man angesehen ist, viel Geld hat und eine angesehene Person ist, dann kann man schnell Freunde gewinnen. Jesus aber sieht das Herz an und liebt den, der gar nicht mehr auf Liebe gehofft hatte. Und er bleibt bei seiner Wahl, auch wenn Enttäuschungen kommen.

Jesus wählt nicht, wie man aus einem Warensortiment das aussucht, was einem gefällt oder was man brauchen kann. Sein Wählen ist immer liebevolle Zuwendung, weil er uns retten will. Nur dadurch werden wir zu Christen. Wir können uns nicht von uns aus zu Gott aufmachen. Wir können uns nicht eine Religion wählen, so wie man einen Beruf, einen Wohnort oder eine Sportart wählt. Nicht wir können uns auf Christus zubewegen, sondern e r bewegt sich auf uns zu.

Dabei hat er es auf Leute abgesehen, wie wir sind: für Gott nicht zu sprechen, undankbar, selbstherrlich, stolz. Einfache Leute, die in den Augen der anderen nichts gelten, sogar gemieden und verachtet werden. Es geht zum Glück nicht um unsre Würdigkeit und Brauchbarkeit, sondern Jesus liebt, wo eigentlich nichts zu lieben ist. Das hat ihm Haß und Verfolgung eingetragen. Aber nach dem Glücklichsein hat er nie gefragt, sondern Freude gefunden in der Hingabe für die anderen.

„Jede Liebe ist soviel wert, wie sie Opfer zu bringen vermag“, hat Bodelschwingh einmal gesagt. Nun gibt es solche Liebe natürlich auch im nichtchristlichen Bereich. Da gibt es aufopferungsvollen Dienst für die Menschen bis hin zum Einsatz des eigenen Lebens in Notsituationen. Aber Gottes Heil ist nicht splitterartig über die ganze Welt verstreut, sondern es ist an den Sohn gebunden, der Mensch wurde. An ihm gilt es zu bleiben, wenn man im Strahlenbündel der Liebe Gottes bleiben will.

Wir Menschen machen uns gern selber zum Mittelpunkt: Wir wollen auf unsere Kosten kommen, die anderen sollen uns zur Verfügung stehen. Wir wollen die ganze Welt gewinnen oder doch wenigstens so viel wie möglich von den Annehmlichkeiten des Lebens. „Hauptsache glücklich“ ist das Schlagwort.

Jesu Liebe aber hat ihren Schwerpunkt in den Menschen, denen er dient. Er wollte nicht seine Interessen wahrnehmen und sich in Sicherheit bringen, sondern er hat sein Leben hingelegt für seine Freunde. So wurden wir aus Sklaven zu Freunden und Vertrauten, die in alles eingeweiht sind, was der Vater will. Aber das hat Folgen für uns: Wir sollen lieben!

„In d er Liebe Jesu bleiben“, das geht am besten, wenn wir die Liebe Gottes weitergeben. So heißt es in einem Lied: „Das will ich mir schreiben in Herz und in Sinn, daß ich nicht allein auf der Erde bin, daß ich die Liebe, von der ich leb, liebend an andere weitergeb!“ Wer so mit Liebe beschenkt ist, der kann er nicht anders, als sie weitergeben.

Dadurch entsteht ein Kreislauf der Liebe, in den wir gar nicht hineinzukommen brauchen, sondern in dem wir schon drin sind. Wir brauchen nur dort bleiben, wohin Jesus uns gebracht hat. Er gebraucht dafür den Vergleich mit dem Weinstock. Er ist vor den Reben da. Aber die Reben müssen am Weinstock bleiben, dann werden sie reif und bringen Frucht.

So hat es „Mutter Teresa“ verstanden, die 1979 den Friedensnobelpreis erhielt. Ihr Einsatz für die Hungernden, Aussätzigen und Sterbenden in Indien ist begründet mit der Liebe, die weiterschenkt, was sie selber empfangen hat. In ihrer Arbeit sieht sie ein Mittel, ihre Liebe zu Jesus in die Tat umzusetzen. „Ich sehe Christus in jedem Menschen, den ich anrühre“, hat sie gesagt.

Doch wir werden vielleicht sagen: „Zu so einer Liebe werde ich nie fähig sein, so etwas werde ich nie leisten können!“ Wir brauchen ja auch gar nichts zu leisten, weil Gott schon gehandelt hat. Jesus spricht sogar von der Freude, in der man seine Liebe weitergibt.

Johannes spricht Verehrer des Weingottes Dionysos an, die Freude im Wein suchen. Er sagt ihnen: „An dem Weinstock Jesus wächst und reift sie!“ Früchte wachsen ohne jeden Zwang und ohne jede Anstrengung.

Man müßte dem Weinstock Gewalt antun, wenn man ihm verbieten wollte, Trauben hervorzubringen. Freude entsteht vor allem da, wo man ausgibt, wo man zu dem anderen geht, dem man Freude und Glück bringen kann. Was man da investiert, kommt vielfältig zurück, ohne daß man es darauf abgesehen hätte.

Dann kann man auch den Menschen lieben, der unsren Zorn bis zur Weißglut reizt, so daß man am liebsten mit bloßen Fäusten gegen ihn vorgehen möchte. Natürlich ist das nicht leicht, wenn einer zum Beispiel nur gehässige Dinge über uns verbreitet. Oder wenn einer

Werkzeug gestohlen hat, für das ich bei der Materialausgabe haftbar gemacht werde. Oder wenn mir der Nachbar Steine über den Zaun wirft, so daß ich meine, sie ihm wieder zurückwerfen zu müssen.

Natürlich können wir uns die Liebe nicht befehlen. Wir können nicht sagen: „Na, da wollen wir mal lieben. Das soll doch sein. Drum: Seid umschlungen Millionen...!“ Wir sind eben doch schwache und sündige Menschen. Aber da reicht Gott uns die Hand und sagt: „Deine Kraft reicht nicht. Aber bei mir ist die Fülle der Liebe. Ich habe dich geliebt, jetzt kannst du auch andere lieben!“

Deshalb können wir uns gerade derjenigen annehmen, die uns Sorgen machen und die uns nicht gefallen. Wo wir gehaßt werden, da sollen wir mit doppelter Liebe antworten. Eine Hilfe dazu könnte uns das Wort Jesu sein: „Wenn ihr meine Gebote haltet, bleibt ihr in meiner

Liebe!“ Gebote haben wir nicht so gern, weil sie uns überall einengen: das Kraftfahrzeug muß überprüft werden, jeder Haushalt muß eine Mülltonne haben, Schutt darf nur an bestimmten Stellen abgelagert werden. Aber solche Vorschriften können auch hilfreiche Hinweise sein.

So könnte es doch möglich sein, daß wir zum Vorbild für andere werden. Wie wir als Christen miteinander und mit anderen umgehen, ist ein Zeichen der Liebe Gottes in der Welt. Liebloses Verhalten, abfällige Reden, Gleichgültigkeit machen die Gemeinde unglaubwürdig. Aber die Gemeinde kann für andere interessant und anziehend werden, wo Christen noch Verständnis füreinander und für andere aufbringen, wo sie Gemeinschaft halten und sich gegenseitig helfen. So wird die Liebe Gottes unter uns lebendig.

 

 

Joh 17, 20 – 26 (Himmelfahrt):

Auf den ersten Blick scheint dieser Bibelabschnitt gar nichts mit Himmelfahrt zu tun zu haben. Bei diesem Wort stellen wir uns doch meist immer noch so ein Bild vor, wie es viele Maler dargestellt haben: Jesus entschwebt nach oben, seine Beine sind noch zu sehen, auf dem Boden noch die Abdrücke seiner Füße; die Jünger sehen ihm sprachlos und staunend nach. So hat man sich Himmelfahrt im Mittelalter vorgestellt.

Aber im Zeitalter der interkosmischen Raketen kann man dabei nicht mehr bleiben. Wir müssen uns fragen, wie wir auch heute an dem Himmelfahrtsfest festhalten können. Denn der Sache nach handelt es sich hier schon um einen wichtigen Punkt unseres Glaubers. Man muß nur wissen, was damit an sich gemeint war.

Schon für die Menschen des Alten Testaments war der sichtbare Himmel wegen seiner beeindruckenden Größe ein Sinnbild für Gottes unfaßbare Herrlichkeit. Und weil sie eine Scheu hatten, den heiligen Namen Gottes auszusprechen, sprachen sie dann vom „Himmel“. Aber

sie meinten damit Gott, der nicht an einen bestimmten Ort gebunden ist, sondern überall gegenwärtig ist.

Wenn wir von der Himmelfahrt Christi reden, dann meinen wir eben: Jesus ist wieder bei seinem himmlischen Vater. Er ist nicht mehr ein Mensch wie wir, gebunden an Raum und Zeit, sondern er sitzt jetzt zur Rechten Gottes und ist mitbeteiligt an der Regierung Gottes. Aber es müssen sich nicht alle seinem befehlenden Wort beugen, sondern sein Herrsein besteht im priesterlichen Eintreten für die Welt. Er ist bei uns alle Tage und redet uns an durch sein Wort und ist uns besonders nahe in Taufe und Abendmahl.

Und dann sagt dieser Abschnitt aus den sogenannten „Abschiedsreden Jesu“ noch: Er steht im dauernden Gespräch mit seinem Vater und betet für die Jünger. Er will sie nicht aus der Welt herausnehmen, sie haben noch eine Aufgabe in der Welt, denn ihr Wort soll andere das Glauben lehren.

Vor allem aber betet er darum, daß alle Christen eins sein möchten. Dieses Gebet ist auch wirklich nötig, denn wie oft erleben wir doch gerade die Zersplitterung der Christenheit. Das aber ist dem Vordringen des Evangeliums hinderlich. Leicht kriegt man zu hören: „Ihr seid euch ja selbst nicht einmal einig über euren Glauben, wie wollt ihr ihn da anderen verkündigen? Ihr redet von dem einen Herrn und seid selber untereinander uneinig. Wenn euer Christus nicht einmal euch zusammenbringen kann, dann wird es mit seinem Herrsein nicht weit her sein!“ Jesus weiß das. Und deshalb bittet er der Vater: „Laß sie doch so eins untereinander sein, wie wir beide uns einig sind!“ Das Thema des Himmelfahrtsfestes ist also: die Einheit der Christen!

Wie sieht es damit in der Regel an einem Ort aus? Es gibt nicht nur eine Christengemeinde, sondern gleich mehrere kirchliche Gruppen. Die Evangelischen und die Katholiken sowieso, aber auch Methodisten und Baptisten, ganz zu schweigen von den verschiedenen christlichen Sekten. Nun hat sich allerdings schon einiges getan. Manche Zäune und Schranken wurden schon abgebaut. Das Verständnis für die anderen und deren Eigenarten wächst und die gegenseitige Achtung nimmt zu.

Besonders gilt das für das Verhältnis zur römisch-katholischen Kirche. Da stehen nicht mehr die Streitgespräche im Vordergrund, sondern das gemeinsame Bemühen um die Wahrheit.

Heute aber sagen manche Katholiken, das Augsburgische Bekenntnis, in dem1555 die Evangelischen Länder und Städte gegenüber Kaiser und Reich ihren Glauben zusammengefaßt haben, auch Ausdruck ihres Glaubens sein könnte.

Wir haben jetzt einen gemeinsamen Text des Vaterunsers und des Glaubensbekenntnisses und auch einiger anderer gottesdienstlicher Stücke. Es gibt eine gemeinsame Bibelübersetzung und gemeinsame Benutzung vor Kirchen. Bei einem Rundfunkgottesdienst kann man kaum noch unterscheiden, ob er vor einem Evangelischen oder vor einem Katholischen gehalten wird. Aber es bleibt natürlich immer noch viel zu tun.

Vielfach müssen wir ja auch innerhalb der evangelischen Kirchen zu einer Einheit finden. Die Kirchen richten sich ja immer noch nach den Grenzen der früherer deutscher Länder. Etwas Höheres als eine Landeskirche mit einem Bischof an der Spitze gibt es im Grunde nicht. Aber natürlich arbeiten die Kirchen innerhalb eines Staates und auch über die Staatsgrenzen hinaus zusammen. Christen sind zwar in einzelnen Kirchen organisiert, gehören aber auch zu der einen weltweiten Kirche Jesu Christi. Deshalb muß es ihnen auch möglich sein, mit Christen aus anderen Ländern zusammenzukommen und sich auszutauschen. Für Christen gibt es keine Abgrenzung, sondern nur die Offenheit nach außen hin, und zwar nach allen Seiten.

Wir brauchen dabei gar nicht nur an die Gemeinschaft mit Christen in Asien und Afrika zu denken. In der Zeit der damaligen DDR ging es um die besondere Gemeinschaft der Christen in ganz Deutschland. Sie hatten von 1948 bis 1968 eine gemeinsame Dachorganisation in Form der „Evangelischen Kirche in Deutschland“. Als es zur Gründung des „Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR“ kam, hat gar mancher das Auseinanderbrechen der EKD bedauert. Aber die einheitliche Organisation war eben nicht mehr aufrechtzuerhalten, da kaum persönliche Kontakte möglich waren und die Organe nicht mehr arbeitsfähig waren. Um den Dienst der Kirche besonders im Osten besser wahrnehmen zu können, hat man den Kirchenbund gegründet.

Doch die Einheit mit den Christen in der Bundesrepublik bestand weiter. In der Ordnung des Kirchenbundes war sogar von einer „besonderen Gemeinschaft“ die Rede. Diese ergab sich aus der gemeinsamen Geschichte, der gemeinsamen Bibelübersetzungen und Gesangbücher und auch der gemeinsamen Sprache. Dazu kam noch, daß man von der besonderen Verantwortung für den Frieden an der Nahtstelle der beiden Weltsysteme sprach. Man hatte eben nicht nur ökumenische Beziehungen wie etwa nach Polen oder Finnland oder Holland, sondern die Gemeinschaft war und blieb enger.

Die Einheit der Kirche hängt nicht vor der Organisation ab. Einig kann man sich auch sein, wenn man keine gemeinsamen Synoden und keine gemeinsame Kirchenleitung hat. Eine gemeinsame kirchliche Organisation ist uns nicht verheißen. Heute spricht man von der „Einheit in der Verschiedenheit“ und von der „versöhnten Verschiedenheit“. Die Frage der Einheit entscheidet sich daran, ob man den gleichen Herrn und den gleichen Glauben hat und der Herr für die Einheit betet. Einheit kann man nicht „machen“. Es kommt auf den Geist an, der in einer Gemeinschaft herrscht.

Aber es gibt weiter drei Gruppierungen der Kirchen in Deutschland: Die lutherischen Kirchen wie Sachsen und Bayern, die unierten Kirchen in den ehemals preußischen Gebieten und schließlich noch die vermittelnden Kirchen, die sich zu der „Arnoldshainer Konferenz“ zusammengeschlossen haben und zu denen zum Beispiel die beiden hessischen Kirchen gehören. Jede Seite hält nun ihre Art von Kirche für die richtige und möchte, daß die anderen sich ihr anschließen.           

Immerhin sind wir so weit, daß die Pfarrer in jeder Kirche predigen und das Abendmahl austeilen dürfen [Hier etwas einfügen über den konfessionellen Stand in der eigenen Gemeinde].

Wir können nur all die Schritte begrüßen, die zu einer engeren Gemeinschaft der Christen führen.

Das Gebet Jesu um die Einheit deiner Gemeinde ist also nicht vergeblich gewesen und wird auch in Zukunft nicht vergeblich sein. Auch wenn die Gemeinde manches versäumt hat und unter sich uneins ist - durch die Fürbitte Jesu wird sie doch erhalten und sogar brauchbar und tüchtig gemacht. Christus sieht die Einheit der Gemeinde schon vor sich, so wie der Baumeister eines Domes das Werk schon fix und fertig vor sich gesehen hat, auch wenn er die Vollendung nicht mehr erlebte.

Die Einheit der Kirche besteht also nicht in einer ursprünglichen Verwandtschaft oder Zu­sammengehörigkeit. Sie wird auch nicht auf organisatorischem Wege, nicht durch geschickte Verhandlung und Verständigung, Gedankengleichheit und Vereinbarungen, und erst recht nicht durch eine Gleichschaltung von oben erreicht. Und „Einheit“ bedeutet nicht „Einheitlichkeit“ oder Gleichschritt.

Unser Einssein besteht darin, daß Christus in uns ist und wir in ihm. Die Einheit der Kirche ist uns von Christus schon vorgegeben. Sie braucht nicht hergestellt, sondern nur entdeckt und gelebt zu werden. Unser Vorbild dabei soll die Einheit zwischen Vater und Sohn sein. Diese wird uns auch heute durch den Sohn vermittelt. Durch die Himmelfahrt wurde er ja nicht in einen himmlischen Raum eingesperrt, sondern er ist auch heute allgegenwärtig und zieht uns in die himmlische Gemeinschaft mit hinein.

Wenn wir uns das einmal vor Augen halten, dann müßten doch all unsere kleinlichen menschlichen Streitereien vergessen sein. Die Gemeinde hat nämlich noch eine Zukunft. Jesus ist nämlich nicht nur jetzt bei uns und gibt uns die Kraft, unser Leben zu bewältigen. Er will auch alle zu sich holen, die der Vater ihm gegeben hat.

Die Fragen nach unserem Leben und nach unserem Tod, ob wir bei Gott sind und er bei uns - das sind die Fragen, die uns heute in der Christenheit beschäftigen sollten. Die Fragen der

kirchlichen Organisation sind demgegenüber nur zweitrangig. Unsere Einheit liegt in unserem Herrn begründet. Und dieser Herr ist überall derselbe, denn er ist seit der Himmelfahrt der Herr über die ganze Welt.

 

 

Quasimodogeniti: Joh 20, 19 - 31

Ein Professor für systematische Theologie hielt einen Bibelabend über die heutige Geschichte vom ungläubigen Thomas. Zunächst hat er alles kurz nacherzählt und dann die Frage gestellt: „Ist das denn alles so geschehen?“ Alle erwarteten natürlich: „Jetzt wird er uns Wort für Wort beweisen, daß alles so war - das ist doch die Aufgabe eines Professors der Theologie! Er wird schon allen Zweiflern eins aufs Dach geben!“

Aber da gab sich der Professor schon selbst die Antwort: „N e i n, diese Geschichte ist keine Tatsache wie etwa die Kreuzigung!“ Man kann sich vorstellen, daß Viele erst einmal aus al­len Wolken fielen. Sie waren felsenfest vom Gegenteil überzeugt und hatten all diese biblischen Geschichten als Tatsachenberichte genommen. Aber diese Erzählungen sind eben nicht geschichtlich in dem Sinne wie etwa ein Zeitungsartikel über ein ganz bestimmtes Ereignis.

Dann hat also dieser Thomas doch recht mit seinem Zweifel: Hätten wir denn die Geschichte geglaubt, so wie sie dasteht? Jesus kommt durch die verschlossene Tür. Das kann doch kein Mensch! Jesus war ja auch kein Mensch mehr; er war ja gestorben und wieder auferstanden, aber nicht mehr mit einem Leib wie vorher: Maria Magdalena hat ihn nicht berühren dürfen, als sie ihm im Garten begegnete. Die Jünger haben ihn nicht berührt. Und selbst Thomas verzichtet nachher darauf, obwohl er es doch so entschieden und stürmisch verlangt hatte. Auch Thomas hat gemerkt, daß mit Jesus etwas anders geworden ist. Deshalb kann er ja trotz verschlossener Türen bei ihnen sein. Wir dürfen die Geschichte aber nicht so verstehen, als habe sich plötzlich aus der Wand eine Gestalt gelöst und sei auf die Jünger zugegangen, und das sei Jesus gewesen. Hier muß etwas anderes gemeint sein: Jesus war bei den Jüngern. Aber w i e, das können wir heute nicht mehr so genau feststellen.

Andererseits ist Jesus immer noch derselbe, der Jesus, den sie früher gekannt haben. Sie erkennen ihn auch jetzt sofort wieder. Nur ist er jetzt anders bei ihnen als früher. Das mußten sie erst alle einsehen.

Im Grunde muß man doch allen Jüngern den Vorwurf machen: „Ihr glaubt nur, weil ihr gesehen habt!“ Doch eigentlich ist das gar kein Glaube, sondern ein Für-wahr-halten. Wir müßten das abschließende Wort Jesu so übersetzen: „Hältst du nur deshalb für wahr, weil du gesehen hast? Wohl denen, die nicht sehen und doch vertrauen!“ Es geht also darum, ob man dem Wort Jesu vertraut. Ud dieses Vertrauen nennt Jesus „Glaube“. Wir sollen nicht einfach für wahr halten, daß Jesus durch eine verschlossene Tür geht; darauf kommt es bei dieser Geschichte gar nicht an. Wir sollen aber Jesus vertrauen: Er ist bei den Jüngern, obwohl alles verschlossen ist.

Es gibt ja heute drei verschiedene Gruppen von Menschen, die grundsätzlich verschieden den­ken. Viele leben noch in einer Welt der vollkommenen Harmonie, es gibt keine Probleme und alles ist ihnen selbstverständlich. Diese Menschen nehmen auch alle Geschichten der Bibel wörtlich; es gibt für die gar keine Fragen, sie lassen sich durch keinen Zweifel erschüttern. Eigentlich sind diese Menschen zu beneiden, denn ihnen bleibt vieles erspart, was anderen Mühe macht. Für sie gibt es auch bei dieser Thomasgeschichte keine Fragen.

Die meisten hängen jedoch noch in der Weltanschauung des 19 Jahrhunderts: Am Anfang war die Materie und diese entwickelt sich nach festen Naturgesetzen immer weiter bis zum heutigen Zustand. Es gilt nur das, was sich objektiv zeigen und beweisen lassen kann. Nur was ge­messen werden kann und Geld einbringt, hat einen Wert. Von daher gesehen ist natürlich das Ostererlebnis des Thomas ein völliger Unsinn und eine lügnerische Erfindung.

Doch dieses Denken ist heute längst nicht mehr modern, auch wenn es von den unverbesserlichen Gottesleugnern immer wieder erneuert wird. Der Satz: „Ich glaube nur, was ich sehe!“ ist heute einfach Unsinn. Es gibt mehr, als wir mit unseren Sinnen wahrnehmen. Wer nur das

als wirklich ansieht, was er sieht, für den ist die Welt nur sehr klein.

Zum Beispiel hat nach niemand ein Atom gesehen - und doch ist es da. Es gibt eben Dinge zwischen Himmel und Erde, die sind nicht sichtbar und nicht vorstellbar, aber sie sind doch wahr: Gott ist nicht sichtbar und nicht vorstellbar, aber er ist doch für uns da. Es kommt nur darauf an, wie man ihn erkennen will.

Nehmen wir ein Fernrohr - aber Gott ist nicht bei den Sternen. Nehmen wir ein Mikroskop - aber Gott ist nicht im Atom! So kann man Gott nicht sehen. Wir haben nur ein Organ dafür: den Glauben! Wer an Gott glaubt, wird ihn erkennen und ihm werden die Augen geöffnet.

Doch der Thomas ist ein gutes Beispiel für die durchschnittliche Haltung der Menschen, die nicht glauben können, ohne Wunder zu sehen. Eigentlich müßten sie doch dem Wort der anderen Jünger glauben, die lügen doch nicht. Die haben doch auch wirklich etwas erlebt: Jesus hat ihnen den Heiligen Geist verliehen und ihnen den Auftrag zur Weltmission gegeben, er hat sie von ihrer Furcht erlöst und ihnen eine befreiende Freude geschenkt. Das sind doch alles Dinge, die man objektiv feststellen kann, es handelt sich doch nicht um Einbildungen der Jünger.

Aber Thomas ist nicht dabei gewesen. Da geht es ihm wie uns: Wir waren nicht dabei. Vielleicht hatte er sich enttäuscht und verbittert von den anderen abgewendet, vielleicht war dieser Jesus erledigt für ihn. Jetzt muß Thomas erst wieder in die Gemeinde zurückfinden. Aber er kommt wenigstens. Er will seinen Glauben selber finden. Er ist bereit, sich überzeugen zu lassen. Das ehrt ihn. Negativ an ihm ist, daß er Bedingungen stellt, von denen er den Glauben abhängig macht. Aber Jesus geht auch darauf ein. Er macht auch uns immer wieder solche Konzessionen, obwohl wir im Grunde natürlich nur allein mit seinem Wort zufrieden sein sollten.

Wenn wir fragen: „Was führt uns zum Glauben an Jesus?“ dann gibt uns diese Geschichte die Antwort: Er wird uns in der Gemeinde durch Jesus geschenkt. Dort wird das Wort Gottes weitergesagt und das Zeugnis derer, die dabei waren, ausgelegt. Dort kann man offen über seine Zweifel reden und von den anderen Hilfe erfahren. Wo sich Menschen unter dem Wort Gottes zusammenfinden, da ist Jesus gegenwärtig. Das ist die tiefe Wahrheit dieser Geschichte, darum geht es hier.

Aber es gibt keinen Beweis dafür. Auch wenn Thomas den auferstandenen Herrn berührt hätte, wäre das noch kein Beweis gewesen. Wer nicht glauben w i l l, der findet immer tausend Ausreden, um sich davor zu drücken und wird immer neue Vorbehalte anmelden.

Im Grunde geht es dabei gar nicht um die verstandesmäßigen Zweifel, sondern es handelt sich um einen Mangel an Vertrauen. Der Glaube ist halt doch immer ein Wagnis. Wenn man schwimmen lernen will, muß man erst ins Wasser gehen. Aber wenn man dann erst drin ist, lernt man es auch - wenn man die richtige Anleitung hat, wenn ein anderer die Sache richtig erklärt. Man muß nicht unbedingt etwas sehen, das kommt höchstens noch zusätzlich dazu. Aber durch das Sehen wird nichts leichter. Man muß selber mitmachen!

Die Jünger hätten auch noch zweifeln können, als sie Jesus gesehen hatten; aber sie haben ihm vertraut. Wir heute sind nicht selig, weil wir Jesus nicht sehen, sondern wenn wir glauben. Unser Glaube ist nicht wertvoller als der Glaube derer, die Jesus noch gesehen haben. Wir dürfen die Augenzeugen Jesu nicht verachten, nur weil Jesus gesagt hat: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!“ Aber wir dürfen sie auch nicht beneiden, denn der Glaube ist nicht vom Sehen abhängig.

Vielleicht sieht man das noch an ehesten an kleinen Kindern. Abends müssen sie allein ins Bett. Oft haben sie dann Angst und weinen. Sie haben noch kein Vertrauen und denken: „Vater und Mutter haben mich allein gelassen!“ Aber wenn dann die Tür aufgeht und Vater oder Mutter stehen am Bett, dann ist alles wieder gut. Die größeren Kinder haben es dann auch gelernt und wissen: Auch wenn es dunkel ist, sind Vater und Mutter doch da, auch wenn man sie nicht sieht. - So ist auch der Glaube eine Zuversicht auf das, das man erhofft, und ein Nichtzweifeln an dem, das man nicht sieht (Hebr. 11,1).

Ob die Eltern, die ihr Kind „Thomas“ nennen, das alles bedenken? Ob sie überhaupt diese Geschichte des ungläubigen Thomas kennen? Ihr Kind soll doch sicher oder hoffentlich ein gläubiger Thomas werden. Glauben erkennt man daran, ob einer sagt: „Mein Herr und mein Gott!“ Nicht irgendein Gott, sondern  m e i n e r! Aber auch wenn wir ungläubig oder auch nur schwach­gläubig geworden sind, wird Gott uns deshalb doch nicht gleich wegwerfen, sondern uns zum rechten Glauben verhelfen. Und wer zum Glauben kommt, der empfängt Frieden, den Jesus seinen Jüngern schenkt

 

 

Joh 10, 11 – 16 (Miserikordias Domini, Variante 1):

Gelegentlich können wir auf Feldern und Wiesen eine Schafherde beobachten. Der Schäfer blinkt über die friedlich grasende Herde und die Landschaft hinweg. Die Hunde sorgen für Ordnung und daß die Tiere zusammenbleiben. Es gibt eigentlich keine Aufregung - ein friedliches, stimmungsvolles Bild.

Aber ein Schäfer ist etwas anderes als ein Hirte zur Zeit Jesu. Damals mußte man als Hirte mit allen möglichen Gefahren rechnen und es gab dauernd Aufregungen: wilde Tiere brachen in die Herde ein, Räuber wollten sich ein Tier stehlen, die Lämmer verliefen sich leicht in dem unwegsamen Gelände, es gab Streit mit anderen Hirten um die Wasserstellen und Weideplätze.

Ein Hirte war damals ein Kämpfer, der notfalls sein Leben für die Herde einsetzen mußte. Wenn ein Löwe kam, mußte er mit Steinschleuder, Stock und Messer gegen ihr angehen und ihm notfalls das Lamm noch aus dem Maul ziehen. Als Hirten konnte man damals nur ganze Kerle gebrauchen. Deshalb verglichen sich auch die Könige und Herrscher gern mit einem Hirten. Eine gerechte Regierung und die Fürsorge für die Schwachen sollten kennzeichnend für ihr Handeln sein. Sie waren Herrscher u n d Beschützer, denn nur wer beschützt, darf auch herrschen. Wer sich nicht verantwortlich weiß für die Herde, der darf auch kein Hirte sein.

In diesem Punkt hat es manche betrüblichen Erfahrungen mit den Herrschern des alten Orients gegeben. Sie ließen sich zwar gern als „Hirte“ bezeichnen, aber sie waren es nicht. Sie waren Machtmenschen, die ihre Untertanen nur wie Schachfiguren auf ihrem Spielbrett hin und her schoben.

Wo gibt es denn bei uns heute gute Hirten? Gehen wir einmal einige Berufe durch: Da ist zunächst der Politiker und Staatsmann. Da ist der Leiter der großen Wirtschaftsvereinigungen.

Da ist der Armeegeneral. Da ist der Leiter einer großen Organisation. Sind sie Hirten, die für die anderen eintreten und ihnen nur das Beste zukommen lassen? Haben sie nur das wohl der anderen im Kopf oder denken sie nur an ihre eigene Haut?

Die Aufgabe eines Hirten kann man heute am ehesten vergleichen mit der Stellung eines Meisters. Diese Menschen haben es schwer nach allen Seiten: von oben kommen die Befehle und der Meister ist verantwortlich für die Durchführung; er muß Erfolgsmeldungen nach oben weitergeben können. Von unten kommen die Wünsche und Beschwerden, aber der Meister muß auch die Befehle von oben plausibel machen. Diese Menschen in mittlerer Position sind wirklich nicht zu beneiden. Sie drohen, zwischen zwei Mühlsteinen zerrieben zu werden, zwischen oben und unten. Der Arbeiter steht an seiner Maschine und macht oft Tag für Tag dasselbe. Den Meister aber schickt er los, um Material zu beschaffen. Wenn etwas nicht klappt, muß der Meister her. Immer muß er sich verantworten, immer muß er sich vor die anderen stellen. Die einen machen es dann halt wie die Radfahrer, die nach oben katzbuckeln und nach unten treten. Die anderen hören nur auf das, was von unten kommt. Beides ist gleich falsch: Kein guter Hirte wird seine Herde schutzlos dem Löwen und Wölfen preisgeben, aber er wird auch nicht nur dorthin gehen, wo die Herde hin will.

Auch der Pfarrer soll ein Hirte seiner Gemeinde sein. Das norddeutsche Wort „Pastor“ heißt ja „Hirte“. Unter „Herde“ versteht man heute einen Haufen von solchen, die nichts zu sagen haben, die bestenfalls einen Leithammel haben. Christus als der Hirte und der Pfarrer als Leithammel! So weit käme es noch, das wäre ja noch schöner. Das Bild von Hirt und Herde paßt heute nicht mehr auf eine christliche Gemeinde. Der Pastor ist nicht Herr und Eigentümer der Gemeinde. Es gibt nur einen unvergleichlichen Hirten, das ist Jesus. Deshalb bezeichnete man in Israel nie den regierenden König als „Hirten“. Gott allein war der gute Hirte seines Volkes. Und man hoffte darauf, daß er einen Heilsherrscher schicken wird, der sich seiner Herde annimmt. Das Wort „Hirte“ umfaßte also viele Sehnsüchte und Erwartungen, aber auch immer wieder viele Enttäuschungen.

Aber dann kam Jesus und sagte: „Was ihr gesucht und erhofft habt, das bin ich!“ Er kam nicht als schimpfender Prophet oder als unbarmherziger Richter, sondern als ein milder Christus. Er hat nicht einen höheren Posten erstrebt, sondern sich zu den Menschen in der Tiefe gestellt. Es hat ihm nicht an guten Qualitäten für den Weg nach oben gefehlt. Aber er ging aus Liebe in die Tiefe zu den Menschen, die in Not sind.

Bei ihm brauchen wir keinen Verdacht zu schöpfen, wenn er sich als „guter Hirte“ empfiehlt. Er ist ja nicht ein guter Hirte neben anderen, sondern d e r gute Hirte. Er allein macht wahr, was das Bild meint, er ist der Größte und Beste. Wenn das heute ein Baumeister oder Dirigent oder Arzt oder Politiker sagt, dann sind wir mißtrauisch. Wir haben eben auch zu viele Enttäuschungen erlebt. Aber Jesus darf so etwas mit Recht sagen, weil er der gute Hirte ist und bleiben wird.

Wir haben ein gesundes Mißtrauen gegen jeden Herrschaftsanspruch, wird sind anti-autoritär eingestellt. Aber bei Jesus besteht nicht die Gefahr, daß wir ihm hörig werden und unsere eigene Persönlichkeit verlieren. Das passiert nur bei den Mitläufern, die sich immer nur anpasse- und hinter einem Vordermann verstecken wollen; und wenn sie die Stimme eines anderen hören, dann rennen sie schnell dorthin, wenn sie sich etwas davon versprechen. Wenn wir Jesus richtig verstanden haben, dann wollen wir nur ihm gehören, dann suchen wir gar keinen anderen.

Jesus kennt die Seinen, so wie ein Hirte seine Schafe kennt. Einem Fremden wurden die Schafe nicht folgen. Aber dem eigenen Hirten laufen sie zutraulich und sorglos nach. Ihnen wird kein Zwang auferlegt, sondern sie folgen in problemloser Selbstverständlichkeit ihrer Bezugsperson. Weil der Hirte die Seinen kennt, können sie ihn auch liebgewinnen. Jesus hätte zwar viele Gründe, um an uns irre zu werden. Aber er steht doch zu uns wie kein anderer. Man kann ihn nicht auswechseln gegen einen anderen. Schließlich ist er ja unser Eigentümer und deshalb so an uns interessiert wie kein anderer. Wer nur angestellt ist, soll zwar auch auf das Wohl der Herde bedacht sein und nicht fliehen, wenn der Wolf kommt; aber er wird eben doch fliehen, wenn Gefahr droht, denn es sind ja nicht seine Schafe.

Jesus aber hat für die Seinen gekämpft und dabei sein Leben gelassen. Er wahrt zwar auch sein eigenes Interesse, wenn er um sein Eigentum kämpft; aber er tut es um des Eigentums willen und nicht nur seinetwillen. Schließlich hat man es hier ja mit einem „Wolf“ zu tun, der

das Symbol für das Böse in der Welt ist.

Dieses kann viele Gesichter haben. Manche Wölfe brechen von außen ein und wollen die Her­de auseinandertreiben. Aber es gibt auch Gefahren, die von innen aufbrechen: Wir wollen gern eigene Wege gehen und alles besser wissen. Wir drängen zur Futterkrippe ohne auf die Gefahren zu achten. Wir sind rücksichtslos gegenüber dem Nachbarn, weil keiner zu kurz kommen will.

Den Schafen kann man das nicht übelnehmen, denn sie sind ja Tiere. Wir aber wollen doch keine Schafe sein. Wir können solche Gefahren nur vermeiden, indem wir uns nach dem Vorbild unsers guten Hirten Jesus richten. Er hat mehr Erfahrungen als wir. Er weiß, wie heimtückisch der Wolf ist: Er schnappt sich immer einzelne, um so die garte Herde machtlos und hilflos zu machen. Er will Einzelne von der Herde trennen, umso besser mit ihnen fertig zu werden. Für uns gilt es, diese Methode zu durchschauen und sich nicht vereinzeln zu lassen. Der Schüler darf sich auf seine Eltern berufen, darf sich den Beistand der Mitschüler sichern und darf sich an Jesus halten. Er wird dann nicht schweigen, wo man reden sollte. Er wird feststehen und nicht nachgeben und sogar noch anderen helfen können.

Jesus will wie ein guter Hirte die Herde zusammenhalten. Zu seiner Herde gehören ja alle, die getauft sind. Aber mancher ist ihm fortgelaufen und hat ihn nicht mehr vor Augen. Er ist zwar getauft und konfirmiert worden, er hat das Abendmahl empfangen, er hat gelobt, sein Kind im christlichen Glauben zu erziehen. Aber dann ist er auf andere Wege geraten und hat Gott den Rücken gekehrt. Manchmal bilden offensichtliche Übertretungen der Gebote den Graben, über den sie nicht zurückfinden. Doch auch ihre Lage ist nicht hoffnungslos, weil es für Gott keine hoffnungslosen Fälle gibt.

Gott ist nämlich auch leidenschaftlich an denen interessiert, die weggelaufen sind. Er schickt ihnen Menschen, die sie einladen. Er schickt ihnen Krankheit, damit sie über ihr Leben nachdenken. Er läßt sie seine Güte in überwältigender Weise erfahren. Deshalb darf auch keiner von uns zu schnell Fronten aufrichten gegenüber denen, die er für verloren hält.

Gewiß gibt es auch eine Grenze der Gemeinde. Man muß ja sagen können, wer dazu gehört oder nicht. Aber Jesus hat auch die Vollmacht, sich außerhalb der Gemeinde noch Leute zu suchen. Es ist nicht gesagt, daß die ganze Menschheit einmal seine Herde sein wird. Aber er kann zu allen Zeiten aus den verschiedenen Räumen Menschen herausrufen. Er ist nicht auf uns angewiesen, sondern wir sind auf ihn angewiesen.

Wir meinen manchmal, wir müßten einen möglichst hohen Zaun um die Gemeinde errichten, um zusammenhalten zu können. Aber die Einheit der Herde wird nicht durch den Zaun, sondern durch den Hirten verbürgt. Das gilt auch für die Unterschiede, die es in der Kirche gibt. Es gibt ja leider nicht nur eine Kirche, sondern viele. Und innerhalb der einzelnen Kirchen gibt es auch noch einmal Abstufungen. Doch diese Vielgestaltigkeit darf durchaus sein. Nur der Hirt muß ein und derselbe bleiben, dann macht das nichts aus. Wenn alle auf seine Stimme hören, dann ist die Einheit auch da.

Die Gemeinde darf auch nicht hinter verschlossenen Türen an sich selbst genug haben und nur ihren eigenen Interessen nachhängen und die anderen der Sorge des guten Hirten überlassen. Ostern endet ja damit, daß die Jünger in die Welt gesandt werden. Es ist nicht damit getan, daß sie mit Ernst Christen sein wollen, regelmäßig die Gottesdienste besuchen, in der Bibel lesen, täglich beten und anständige Menschen sind. Sie sollen auch helfen, daß Entfremdete wieder zurückfinden können.

Jesus will uns zu Hirten machen die zu den anderen Schafen gehen. Die jetzt sichtbar gesammelte Gemeinde ist noch nicht die ganze Gemeinde; die hier im Gottesdienst Versammelten sind noch längst nicht alle, die dazugehören oder dazugehören könnten. Unser Aufgabe wird es sein, zu den anderen hinzugehen und sie zum frischen Wasser und zur grünen Aue zu führen. Wir werden gefragt, ob wir gute Hirten sein wollen, die gerne Verantwortung übernehmen und so ihren Hirten nachfolgen. Die andere Möglichkeit wäre, bei der geringsten Schwierigkeit oder Gefahr alles hinzuschmeißen und davonzurennen, Jesus ist nicht abgehauen, sondern hat sich für uns geopfert. Dafür sollten wir ihm ewig dankbar sein. Und unser Dankbarkeit kann sich zeigen, indem wir mithelfen, daß keines der Kinder Gottes irgendwo verlorengeht.

 

 

Joh 10, 1- 5 und 27-30 (Miserikordias Domini, Variante 2, veränderte Textauswahl):

Ein junger Mann wunderte sich darüber, daß im Gottesdienst überhaupt keine Gesellschaftskritik anklang. Das sei doch etwas unbefriedigend für einen Pfarrer, meinte er. Aber es ist nicht unsere Aufgabe in der Kirche, nun Gesellschaftskritik zu üben. Das ist nicht die erste Aufgabe der Kirche. Sicher wird auch Kritik zu üben sein. Doch zunächst einmal haben wir uns selber zu kritisieren. Und ein Pfarrer hat nicht als der Herr Soundso seine lieben Mitmenschen abzukanzeln, sondern er hat Gottes Willen auszulegen. Wie einen Spiegel hat er Gottes Wort vorzuhalten - und sich auch selber in diesem Spiegel zu betrachten.

Unsere Aufgabe in der Kirche ist nicht Gesellschaftskritik, sondern die Darstellung des Wortes Gottes. Wenn dabei etwas Gesellschaftskritik mit abfällt, wird nichts dagegen zu sagen sein. Wenn die Gesellschaft nicht mit dem Wort und dem Willen Gottes übereinstimmt, wird man das schon zu sagen haben. Aber nicht Kritik um jeden Preis und Kritik um der Kritik willen, das kann nicht unsere Aufgabe sein.

Andererseits gilt auch: Gottes Wort ist so aktuell, daß man es immer auf seine Zeit und seine Lebensverhältnisse anwenden kann. Wer zwischen den Zeilen zu lesen versteht, wird so manche Aussage auf sich anwenden können. Nehmen wir doch gleich unsern Predigttext. Kann sich da nicht jeder vorstellen, wer die falschen Hirten sind, die wie Diebe und Räuber kommen? Sie versprechen den Himmel auf Erden, aber in Wirklichkeit haben sie nur ihren eigenen Vorteil im Auge.

Mancher wird aber auch sagen: Wir brauchen einen anderen, der vor uns hergeht als Jesus. Menschen sind niemals so gehorsam wie Schafe. Und so ruhig wie auf einer stillen Weide geht es in unserm Alltag schön längst nicht mehr zu. Doch ein Hirte zur Zeit Jesu hatte nichts mit der romantischen Idylle zu tun von einem Schäfer, der gemächlich vor seiner friedlich grasenden Herde hergeht. Damals hatten die Hirten einen harten Kampf zu bestehen. Sie mußten Fähigkeiten und Charaktereigenschaften haben, die gerade auch in unser Zeit gepaßt hätten. Ohne Unerschrockenheit und Bereitschaft zum Verzicht konnte man damals nicht Hirte sein. Gegen Diebe und Räuber und wilde Tiere mußte die Herde verteidigt werden. Man

mußte immer die besten Weidegründe kennen und hatte manche Auseinandersetzungen mit den Konkurrenten zu bestehen.

Aber das Verhältnis zwischen „Hirt und Herde“ war nicht einfach das zwischen einem Menschen und einer Sache. Die Schafe waren nicht nur der ganze Reichtum des Hirten, sondern auch seine Lebensaufgabe. Das ist wie zwischen zwei Liebenden, wo einer für den anderen da ist und wo diese Wechselbeziehung als ein großes Glück erlebt wird. Hier geht es nicht nur um Bescheidwissen und Zur-Kenntnis-nehmen, sondern um gegenseitige Hingabe.

In der Bibel beschrieb man mit dem Bild von „Hirt und Herde“ das Verhältnis zwischen Regierung und Regierten, jedenfalls müßte das Verhältnis an sich so sein: Die einen sorgen für das Volk und schützen es vor Gefahren, die anderen fügen sich in das Ganze ein und setzen sich zum Wohle aller ein. Beide hängen sie aneinander und sind im Grunde nicht voneinander zu trennen.

Ist das zwischen uns und Jesus auch so? Manche sagen doch: Da wird man unmündig, wenn man nur auf die Stimme des Hirten hört! Wir wollen selber Verantwortung tragen und wollen uns nicht bevormunden lassen! Doch derjenige muß wohl erst noch gefunden werden, der unmündig wurde, weil er auf die Stimme des guten Hirten gehört hat. Jesus sagt doch: „Der gute Hirte - das bin ich!“ und die Betonung liegt dabei wohl auf dem „gut“ und auch auf dem „ich“

Es gibt ja auch andere Hirten. Im Grunde brauchen wir doch alle etwas, woran wir uns halten können und worauf wir hoffen können. Manche wollen sich ja sogar die Entscheidung darüber, was gut und was böse ist, von anderen abnehmen lassen. Oder sie suchen noch nach dieser oder jener kleinen Säule, die das Lebensgebäude abzustützen hilft.

Wenn wir nicht auf den guten Hirten hören wollen, dann kommen eben andere, die uns helfen wollen. Es gibt ja heute solche Sekten, die sich als religiös tarnen, aber nur Macht über die Menschen gewinnen wollen. Die sagen dann ganz genau, wohin unser Weg zu führen hat. Die haben auch Unterstützungen bereit. Aber die sagen auch immer: „Ohne Jesus“. Wer vor uns geholfen haben will, der muß sich von Jesus und von der Kirche trennen. Und ehe man es sich versieht, entpuppt sich der vermeintliche Hirte als der Räuber, der einen mit Haut. und Haar haben will. Und dann erst stellt sich heraus, wie unfrei man in Wahrheit geworden ist.

Bei Jesus als dem guten Hirten aber wird gerade die Verantwortung geweckt und die Mitarbeit in freier Entscheidung gewünscht. Da wird keiner untergebuttert, sondern als Mensch ernst genommen.

Gewiß, auch in der Kirche sind wir auf Leitung in sachlichen und persönlichen Angelegenheiten angewiesen. In unserer komplizierten Welt muß es Menschen geben, die leiten und führen. Aber Leitung in der Kirche ist doch von anderer Art als in der Welt. Wenn etwa ein Pfarrer eine besondere Aufgabe in der Gemeinde hat, dann bedeutet das keine Herrschaft in der Gemeinde. Er verwaltet zwar die Sakramente und hat das Wort Gottes auszulegen. Aber das bedeutet auch eine große Verantwortung und vielleicht auch eine Belastung. Er hat mehr Verantwortung und muß Rechenschaft ablegen.

An sich kann man diese Aufgabe nur übernehmen, wenn man sich getragen weiß von dem guten Hirten Jesus. Er allein gibt die Vollmacht. Aber ansonsten hat ein Pfarrer keinen Deut mehr zu sagen als jeder andere. Etwas von dem Hirtesein Jesu sollte auch in seinem Handeln deutlich werden.

Es mag sein, daß man gegen das Bild von „Hirt und Herde“ seine Bedenken hat, vor allem wenn man es falsch verstanden hat. Dennoch lohnt es sich sicher, auf die hier gemeint Sache zu hören und sich um ein rechtes Verständnis zu bemühen. Es ist auch sicher nicht so sehr lohnend, danach Ausschau zu halten, wer denn heute als Räuber oder Fremder der Gemeinde gefährlich werden könnte. Wichtiger ist es doch, auf den Hirten der Schafe zu achten, seine Stimme zu erkennen und ihm zu folgen.

Man muß schon genau hinsehen, wenn man einem folgen will! Jesus sagt: „Alle, die vor mir gekommen sind, sind Diebe und Räuber!“ Das ist eine Behauptung. Wer sagt uns denn, daß er anders ist? Die religiösen Führer in Jerusalem haben ihn eher für einen Wolf als einen guten Hirten gehalten. Der Unterschied liegt darin: Jesus wird von seinem Vater bestätigt. Er gibt dem Sohn die Menschen, er sorgt dafür, daß noch andere herbeigeführt werden, die bisher nur nicht wußten, daß sie ohne ihn nicht leben können.

Wir halten es meist für eine Sache unsers Ermessens, welchem Herrn wir glauben wollen. Mancher Konfirmand mag etwa denken: „Machst du halt erst einmal mit, und wenn es zu schwierig wird, kannst du dir ja immer noch etwas anderes suchen!“ Und das ist nicht nur bei Konfirmanden so! Dabei steht die Frage in Wirklichkeit ganz anders: „Wollen wir an den glauben, dem wir sowieso gehören, oder wollen wir uns gegen ihn sträuben?“

Wer mit ihm gehen will, wird auch sein Kreuz auf sich nehmen müssen. Die Nachfolge wandelt sich zwar mit den Zeiten. Wir können nicht mehr so unmittelbar hinter Jesus hergehen wie seine Jünger. Aber wir haben das zu tun, was er auch tat. Jesu Liebe gewinnt auch heute in seinen Nachfolgern Gestalt: er vergibt - sie vergeben, er dient - sie dienen. Seine Art prägt sich ihnen ein und prägt sich in ihnen aus.

Der Gehorsam gegenüber diesem Herrn gehört mit dazu. Jesus fragt: „Habt ihr es wirklich besser gehabt unter denen, die vor mir da waren?“ Jesus macht niemanden ärmer, als er ist. Es ist ein Irrtum, wenn wir meinen, wir kämen mit unseren Problemen besser zurecht, wenn wir nicht auf Jesus hören. Das Umgekehrte ist der Fall: Wenn sich einer von Jesus trennt, gehen die Probleme erst los. Er dachte zwar zunächst, eine Belastung los zu sein, aber nur zu schnell merkt er, daß er unter eine wirkliche Knechtschaft geraten ist.

Man fährt gut, wenn man Jesus nachfolgt. Seine Herrschaft besteht nicht darin, daß er kommandiert, sondern daß er vergibt. Wer Jesus kennt, für den liegt in dem Folgen kein Problem; höchstens könnte es sein, daß er bedauert, diesem Hirten nicht unbefangener und anhänglicher gefolgt zu sein.

Wer Jesus folgt, der wird auch bei ihm bleiben. Jesus sagt: „Ich gebe ihnen das ewige Leben!“ Hier ist das Gleichnis verlassen und Jesus spricht Klartext. Er hat an Ostern die Bahn gemacht für ein neues Leben, und nun zieht er alle mit sich, die zu ihm gehören. Es gibt schon jemand, der daran interessiert ist, die Menschen wieder von Jesus wegzureißen. Jesus muß für seine Leute kämpfen.

Aber der Kampf ist schon entschieden. Es gibt keine Gewalt, die gegen Gott an könnte. Jesu Gemeinde ist Gottes Gemeinde, Jesu Hand ist Gottes Hand. Dessen dürfen wir sicher sein, wenn jemand uns mit Versprechungen und Drohungen von unserm Glauben abbringen will: Nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes, die Gott uns geschenkt hat durch Jesus Christus, unsern Herrn.

 

 

Joh 11, 47- 53 (Judika):

In Südfrankreich ist es beim Eisenbahnbau passiert: Das Warnsignal für die Arbeiter war ziemlich spät gekommen, der Zug war schon nahe heran. Schnell springen sie vom Bahndamm. Da bemerkt einer, daß noch eine Betonschwelle auf den Schienen liegt. Der Zug wird unweigerlich entgleisen. Der Arbeiter hastet wieder die Böschung hoch und wirft sich mit aller Gewalt gegen die Schwelle. Sie rutscht auf der anderen Seite hinunter. Aber der Arbeiter wird überfahren. Er hat sein Leben geopfert, damit viele Menschen in dem Zug gerettet wurden.

So etwas kommt unter uns Menschen gelegentlich einmal vor. Man kann nur mit Hochachtung von solchen Menschen reden. Mancher wird aber auch sagen: „Das ist doch dumm, sein Leben für andere einzusetzen. Wenn es die erwischt, dann haben sie eben Pech gehabt. Und wenn es mich nicht trifft, dann habe ich Glück gehabt. Warum sollte ich das leichtsinnig verspielen?“

Genauso könnte man fragen: Mußte Jesus unbedingt sterben? Das Schicksal der Menschen hätte ihm doch gleichgültig sein können. Hauptsache: Er selber war fein raus! Er hätte doch auch so genug Gutes für die Menschheit getan: Die Botschaft von dem lieben Gott und dem neuen Gebot, das er selbst vorgelebt hat, das war doch schon genug!

Doch ein gutes Vorbild allein macht es noch nicht. Es mußte erst noch bestätigt werden durch die Tat. Licht der Welt und Bringer des Lebens konnte er nicht sein ohne das Kreuz. Gott hatte es so beschlossen: Einer sollte für alle sterben. So will es schon das Gesetz der Menschen, so entspricht es aber auch dem Willen Gottes.

Der Hohepriester spricht unbewußt die Wahrheit. Er hat sogar nach Meinung des Johannes eine prophetische Gabe. Nur meint der Hohepriester politisches Unheil, das durch den Tod des einen abgewendet werden soll. Doch Gott selbst will es ja so, wenn auch in einem ganz anderen Sinn: Das ewige Verderben soll von der Menschheit abgewendet werden. So will der irdische Hohepriester dem himmlischen Hohenpriester das Urteil sprechen und dient doch letztlich dem Heilsplan Gottes. Hier waltet eine höhere Notwendigkeit.

Der Hoherat ist fast in einer Zwangslage: „Wenn wir ihn gewähren lassen, werden alle an ihn glauben!“ erkennen sie ganz richtig. Der Beschluß des Hohenrats ist nicht einfach ein Akt der Bosheit und Willkür, der Konflikt liegt tiefer. Der Hauptgrund liegt darin: Jesus paßt nicht in diese Welt. Alles, was er ist und tut, ist ein Angriff auf die sündige Welt, auch gegen das, was im Namen der „Religion“ geschieht. Die oberste jüdische Behörde gibt vor, die Sache Gottes zu vertreten; aber als er in Gestalt Jesu wirklich auf den Plan tritt, kommt es zum Zusammenprall und tödlichen Konflikt.

Man kann nicht dulden, daß dieser Jesus noch mehr Anhänger findet. Schon die Gründe der politischen Vernunft fordern die Beseitigung dieses gefährlichen Mannes. Kaiphas hatte schon eine ganze Reihe von Jahren die äußere Ruhe und Ordnung zu wahren verstanden und sich auch damit selbst die Macht erhalten. Eine immer stärker werdende Jesusbewegeng würde aber das Eingreifen der Römer hervorrufen und den Juden den bescheidenen Rest nationaler Selbständigkeit nehmen.

So entschließt sich der Hoherat, die Drecksarbeit selber zu machen und dem Oberherrn keinen Grund zum massiven Eingreifen zu geben. Unterdrückt werden muß die Sache sowieso. Dann besser noch von den eigenen Leuten als von den Fremden. Und den Römern wird es auch recht gewesen sein, wenn die Juden in ihrem Bereich die Ruhe und Ordnung sorgten, da brauchten sie sich nicht die Finger schmutzig zu machen und vor der Weltöffentlichkeit als Unterdrücker erscheinen. Die Handlanger machen das oft besser.

So lautet die Frage für den Hoherat: „Er oder wir?“ Aus Gründen der Selbsterhaltung muß Jesus aus dem Weg geräumt werden. Weshalb soll man sich da noch Gedanken machen, weil das Recht mit Füßen getreten wird. Recht ist, was nützt. An sich soll das Recht die Welt erhalten, einen Damm bilden gegen Willkür und Unordnung. Es soll nicht zu einem leicht handhabbaren Instrument der Durchsetzung eigener Interessen werden.

Aber schon der Kaiser Ferdinand (1556-64) sagte: „Das Recht muß seinen Gang haben, und soll die Welt darüber zugrunde gehen!“ (fiat iustitia, pereat mundi). Und bei den Nazis hieß es dann: „Recht ist, was dem Volke nützt!“ Doch umgedreht ist es richtig: Das Recht soll dem Volke nützen, auch wenn es dem Einzelnen einmal Schwierigkeiten bereitet: dient es der Rechtsgemeinschaft als ganzer, dann dient es zuletzt auch dem Einzelnen.

Nur sagen die Regierenden immer: „Wir wissen ja besser als der Einzelne, was dem Ganzen nützt!“ So läßt Dostojewski den Großinquisitor Spaniens zu dem wiedergekommenen Christus sagen: „Du hast den Menschen die Freiheit gebracht. Fünfzehn Jahrhunderte haben wir unsere Not gehabt mit dieser Freiheit. Du hättest auf den Versucher in der Wüste hören sollen: Brot, Wunder, Macht - das brauchen wir, damit hättest du die Menschen unterworfen. Du wolltest die freiwillige Liebe der Menschen, aber du hast zu viel von ihnen gefordert, sie sind nun einmal Unfreie und wollen gern unterworfen werden. Wenn man ihnen sagt, was sie tun sollen, dann sind sie im Grunde glücklich!“

So hat auch schon Kaiphas gedacht: Man muß die Menschen zu ihrem Glück zwingen. Dieser Jesus paßt nicht in die Welt, er weckt und schärft die Gewissen und stellt die Menschen unmittelbar vor Gott und er liebt die Sünder. Damit das Ganze im Lot bleibt, muß der Einzelne geopfert werden. Von seinen Voraussetzungen her kann Kaiphas gar nicht anders handeln. Er war nicht ein gehässiger Mensch, sondern Jesus stirbt, weil die Welt so ist, wie sie ist. Wenn die Welt in ihrer Verfassung bleiben will, dann muß sie den Gott umbringen, der sie stört. Und sie hat dabei noch ein gutes Gewissen, wenn er als Ketzer und Gotteslästerer verurteilt werden kann.

Doch Kaiphas sagt in einem tieferen Sinn die Wahrheit, als er es selber weiß: Daß einer für alle stirbt, entspricht auch dem Plan Gottes. Kaiphas meint zwar, er würde das Rad der Geschichte seines Volkes drehen. Aber in Wirklichkeit ist es wie bei einen Windrad, an dessen Achse eine Kurbel befestigt ist, die von einer Figur in den Händen gehalten wird. Die Figur scheint das Rad zu drehen, aber in Wirklichkeit wird sie vom Wind bewegt.

So wollte auch der Hoherat allem Einhalt gebieten, was durch Jesus in Bewegung geraten war: Die Hoffnung auf die nahe Gottesherrschaft, die Gewißheit des neuen Lebens, die Gottes- und Menschenliebe, die ausgeteilt wird an Freund und Feind. Diesen neuen Anfang der Geschichte wollte man wieder zurückdrehen. Aber statt v o r Jesus werden sie durch Jesus gerettet, auch seine Feinde.

Der Hohepriester sollte sich an sich von Amts wegen mit der Frage der Ausräumung der menschlichen Schuld gegenüber Gott befassen. Stattdessen denkt er aber an die Stabilität weltlicher Ordnung. Diese Frage sollte man zwar euch nicht gering achten. Aber es wäre verhängnisvoll, darüber die Lösung des Schuldproblems zu vergessen.

Auch der Großinquisitor sah in der Beseitigung der Schuld offenbar nicht das Hauptproblem. Mit der Schuld kann man offenbar ganz gut leben. Hauptsache, man ist sonst gesund, wohlversorgt, glücklich und sicher. Dafür soll Gott zuerst einmal sorgen. So denken wir doch vielfach auch: Erst einmal das tägliche Brot, dann die Vergebung der Sünden (so im Vaterunser).

Doch die Frage nach der Vergebung der Sünden können wir nicht ohne Schaden übergehen. Schon in unseren zwischenmenschlichen Beziehungen spielt sie eine entscheidende Rolle. Keiner sagt: „Du bist nun einmal so, wie du bist!“ Sondern wir bewerten einander, erheben Vorwürfe und machen einander verantwortlich. Das zeigt, daß wir ein Gewissen haben und Verantwortung tragen.

An sich müßten wir aber sagen: „Lieber hungrig und elend, aber ein mit Gott versöhntes Gewissen!“ Das läßt sich gut sagen, solange es einem gut geht. Aber es müßte natürlich auch in mißlicher Lage gelten. Doch im Konfliktfall entscheiden wir meist wie Kaiphas. Doch er hat sich dabei verschätzt: Er hat Jesus geopfert, weil er die Römer fürchtete. Aber eines Tages sind sie doch gekommen und haben Staat und Stadt vernichtet. Durch eine Schaukelpolitik, durch ein Gutstellen mit den Mächtigen, kann man sich nicht endgültig retten. Mit Gott sollten wir uns gut stellen, das hat mehr Verheißung.

Gott hat mit dem Tod seines Sohnes teuer dafür bezahlen müssen. Hätte er nicht auch ohne ein solches Opfer die zerstörte Gemeinschaft mit den Menschen wiederherstellen können? Man sollte jedoch nicht Gottes Liebe und Jesu Opfergang gegeneinander ausspielen. Die Liebe Gottes besteht gerade darin, daß Gott den Sohn opfert. Er kann nichts unter den Teppich kehren, er kann die Sünde nicht einfach übersehen. Deshalb muß das Lamm Gottes die Sünde der Welt wegtragen.

So wird die Welt gerettet. So entsteht eine neue Gemeinschaft, zu der Gottes Kinder in der ganzen Welt gehören. Durch das Kreuzesopfer hat Gott die Tür zu sich selber weit aufgemacht. Kaiphas hat davon nichts geahnt. Aber uns wird es verkündet, und wir leben davon.

 

 

Joh 14, 23 - 27 (Pfingsten I):

Wenn wir von einem Menschen Abschied nehmen, dann sagen wir: „Auf Wiedersehen!“ Aber ob wir ihn tatsächlich wiedersehen, wissen wir nicht. Morgen können wir oder der andere schon tot sein. Oder wir können durch irgendwelche äußeren Umstände für immer voneinander getrennt werden. Oder es ergibt sich einfach keine Gelegenheit mehr, noch einmal zusammenzutreffen. Wir sagen oftmals so gedankenlos „Auf Wiedersehen“ zu Menschen, die wir das erste Mal im Leben gesehen haben und die wir wahrscheinlich auch nie wiedersehen werden. Aber man macht das ebenso.

Als Jesus von seinen Jüngern Abschied nahm, da mußte er ihnen schon etwas mehr hinterlassen als solch einen unverbindlichen Wunsch. Sie sind in Unruhe und Angst. Sie wissen nicht, was werden soll, wenn ihr Meister sie verläßt. Sie brauchen als Hilfe etwas Handfestes, das genauso gut ist, wie wenn Jesus selber bei ihren wäre. Doch genau das kann ihnen Jesus versprechen: Gott wird ihren den Heiliger Geist senden, der an die Stelle Jesu tritt.

Luthers Übersetzung „Tröster“ trifft die Sache nicht. Es geht um den, den man zur Hilfe herbeiruft. Das Wort „Helfer“ macht also noch am ehesten deutlich, was Jesus hier meint. Er kennt die Ratlosigkeit seiner Jünger und weiß, daß sie sich ohne diesen Beistand nicht zu­rechtfinden werden. Deshalb gibt er hier einer bedrängten Gemeinde ein Wort der Verheißung mit auf den Weg.

Wir müssen uns ja vor Augen halten: Als das Johannesevangelium geschrieben und diese Worte formuliert wurden, da setzte die erste Welle der weltweiten Verfolgung der Christen ein. Ja, wenn Christus noch da wäre, dann könnte er sich jetzt für seine Gemeinde einsetze-Aber wo ist er denn jetzt? So werden sich doch damals viele Christen gefragt haben.

Und das Johannesevangelium hat ihnen dann deutlich gemacht: Er ist noch bei uns, wenn auch auf andere Art und Weise. Gott der Vater und Jesus Christus der Sohn sind jetzt als Heiliger Geist bei euch. Und dieser Geist ist nicht nur so in euren Gedanken vorhanden, sondern ein wirklicher Helfer.

Das ist auch uns gesagt, die wir in diesem Jahr wieder das Pfingstfest feiern. Wir sind nicht unbedingt eine bedrängte Gemeinde. Aber heute läuft in der Kirche gar nichts mehr von selbst. Wenn eine Gemeinde sich nicht vom Geist Gottes zu selbständigem Handeln antreiben läßt, wird sie langsam aber sicher absterben. Man spricht dann gewöhnlich vor der Krise in der Kirche. Dabei übersieht man aber die große Chance für die Kirche in unserer Zeit: Sie kann wieder ganz neu lernen, daß sie ihr Leben nicht aus sich selbst heraus entwickeln kann, sondern nur als Gabe des Heiligen Geistes empfängt. Und was uns jetzt als Not erscheint und Unruhe macht, das kann dann zuletzt zu unserm Segen werden.

So ist das aber auch in unserm persönlichen Leben. Es gibt Jahre, wo alles glatt geht: wir sind gesund, können etwas leisten, es gibt keine Sorgen in der Familie. Und dann meinen wir, das müsse alles so sein. Doch plötzlich kommt es anders: Eine Krankheit hemmt unsere Schaffenskraft, ein Todesfall zerschlägt unser Familienglück; wir geraten in Sorgen und kommen in Krisen. Wenn wir dann lernen, daß wir den Helfer Gottes brauchen, dann kann alle Not in Segen umschlagen.

Entscheidend wird dabei sein, ob wir den Heiligen Geist tatsächlich an uns wirken lassen wollen. Nur wer wir alles von ihm erwarten, werden wir eine Zukunft haben, als Kirche und als einzelner Christ. In dreifacher Art und Weise möchte der Heilige Geist dabei unser Helfer sein:

 

(1.) Der Heilige Geist macht uns fähig zur Liebe: Wenn ein Mann einer Frau seine Liebe deutlich machen will, dann genügt dazu nicht eine Liebeserklärung, sondern er muß es auch durch die Tat beweisen. Etwas überspitzt ausgedrückt wird er nicht nur sagen: „Ich liebe dich!“ sondern auch: „Ich will dir auch immer den Müll runtertragen!“ Und wenn jemand seine Liebe zu Jesus zeigen will, dann geht das nur im konkreten Einsatz für die Welt und ihre Menschen.

Aber diese Liebe ist nur möglich, weil wir uns geborgen wissen dürfen in der Liebe Gottes. Wir können und nicht zur Liebe zwingen. Gott kommt zu uns mit seiner Liebe und öffnet uns das Herz, damit wir anderen Menschen mit Liebe begegnen können. Der Heilige Geist hilft uns zu solcher Liebe. Er ermöglicht uns eine Lebenshaltung im Sinne Gottes. Er leitet uns auch an zur rechten Gotteserkenntnis. Diese ist nur in der Liebe möglich. Gott kommt auf uns zu. Er will mit uns eine Wohngemeinschaft eingehen und bei uns zu Hause sein. Er hat es auf unser Herz abgesehen. Aber wir müssen unser Herz drangeben, sonst merken wir nichts von Gott. Natürlich begegnen wir Gott nicht persönlich, so wie das den Jüngern zur Zeit des irdischen Wirkens Jesu möglich war. Jetzt, wo Jesus zum Vater erhöht ist, begegnet er uns durch den Geist, begegnet er uns im Wort. Dort will Gott zu Wort kommen. Die Predigt ist nicht die Erörterung eines beliebigen Gegenstandes, sondern Gottes Zuspruch an uns und somit Gottes eigenes Werk. Wer in der festen Bindung an Jesu Wort lebt, dem wird ein solches Leben auch möglich sein.

 

(2.) Der Heilige Geist lehrt uns die Worte Jesu immer wieder neu: Er setzt Jesu Werk fort, bestätigt es und vollendet es schließlich. So sorgt er dafür, daß die Gemeinde nicht wehrlos dasteht, sondern die richtigen Argumente und Entgegnungen findet, wenn sie ihren Glauben verteidigen muß.

Man kann manchmal nur staunen, was der Heilige Geist auf diesem Gebiet fertigbringt. Da steht ein Schüler zwei Stunden lang Rede und Antwort, besser als es vielleicht die Eltern gekonnt hätten. Man kann tatsächlich nur staunen, welche Argumente die Kinder manchmal haben, noch über das hinaus, was sie einmal im Konfirmandenunterricht gehört haben. Das kann doch nur mit dieser Hilfe des Heiligen Geistes zusammenhängen. Hier wird eben heute das konkret, was Jesus versprochen hat mit den Worten: „Der wird euch alles lehren!“

Der Geist lebt, indem er erinnert an das, was Jesus schon gesagt hat. Der Geist sagt im Grunde nichts Neues, weil das Alte immer noch nicht überholt ist. Doch er will nicht zeitlose Wahrheiten auf mich anwenden, sondern er ruft mich heute persönlich. Aber er ruft so, wie er schon immer Sünder gerufen und wieder ermutigt hat.

Aber: Wenn wir die Beziehung zu Jesus aufrechterhalten wollen, dann können wir unsere Augen und Ohren nicht nur stur in die Vergangenheit richten. Wer immer nur rückwärts geht, bemerkt nicht die sich verändernde Landschaft und die damit gestellten gegenwärtigen Aufgaben. Der Heilige Geist aber erfordert den Vorwärtsgang. Er ist immer schon in der Gegenwart und beschenkt uns dort und gibt uns Aufträge.

Er gibt uns den klaren Blick für unser Zeit. Er zeigt uns aber auch, was diese unsere Welt mit Jesus zu tun hat. Wenn wir schon Probleme vor uns sehen, dann müssen wir auch wissen, wie wir sie lösen können. Den Maßstab und die entscheidende Hilfe für die Bewältigung der Probleme unserer Welt gibt uns der Heilige Geist durch die Bindung an das Wort Jesu.

 

(3.) Der Heilige Geist gibt uns Frieden: Auch das, was unser Welt mit am nötigsten braucht, vermittelt uns der Heilige Geist: Den Frieden mit Gott und den Frieden der Menschen untereinander. Frieden bedeutet aber nicht die Entrückung aus dem Getümmel der Welt. Wir können die Welt nicht ihrem Unfrieden überlassen und uns selber in ein Reich des Friedens zurückziehen.

Wir können die Welt nicht ihrem Schicksal überlassen, weil Gott uns den Frieden geschenkt hat, den wir der Welt weitergeben sollen. Wir werden von Gott beschenkt, damit wir nun unsererseits den Frieden in der Welt verwirklichen. Das ist die Aufgabe, die uns besonders an diesem Pfingstfest gestellt wird: daß wir in unserer kleinen Umgebung für den Frieden tätig werden. Der Heilige Geist gibt uns die Freiheit und die Kraft, unerschrocken und furchtlos als Zeugen des Friedens aufzutreten. Wir müssen nicht mehr erschrecken vor all der Schwierigkeiten unsers Lebens, wir sind nicht wehrlos allem preisgegeben, sondern wir können aktiv daran mitarbeiten, daß Frieden unter den Menschen ist.

Auch wenn man uns mit Haß begegnet, wenn man uns droht, wenn man uns in die Ecke drücken will, dann brauchen wir uns nicht mit den gleichen Mitteln zu wehren. Wir haben ja die Kraft des Heiligen Geistes auf unserer Seite. Der macht uns fähig zur Liebe, er lehrt uns die richtigen Argumente und er gibt uns Frieden. Da können wir ruhig und gefaßt allen Schwierigkeiten ins Auge sehen. Wir stehen ja doch auf der Seite des Siegers.

In der Abschiedssituation spricht Jesus vom Frieden. Das ist ein Frieden, der durch nichts mehr gestört werden kann. Wir freuen uns an der Buntheit des Frühlings und atmen dankbar den Duft der sich neu schmückenden Schöpfung Gottes. Aber es gibt auch Schattenseiten, die unser Herz erschüttern, und es gibt unausweichlich eine letzte Stunde für uns. Doch wir haben einen Frieden, der auch dann immer noch in Kraft ist, eine letzte Geborgenheit und Unversehrtheit.

Wir haben den Heiligen Geist nicht bekommen, um ihn für uns zu behalten und um uns in stillen Stunden daran zu erfreuen. Wenn man schon Kraft erhält, dann muß man sie auch besonnen und sinnvoll anwenden. Die Welt braucht den Helfer. Und wir können ihn ihr bringen, weil Jesus ihn uns gegeben hat. Die Welt braucht Liebe, sie braucht Maßstäbe, sie braucht der Frieden. Wir haben all das und sind es deshalb der Welt schuldig. Gott rechnet fest mit uns.

 

 

Joh 15, 1 – 8 (Jubilate):

Wie sähe unsere Welt wohl aus ohne Christus und ohne die Christen? Es fehlten nicht nur die Kirchengebäude, sondern auch die kirchlichen Heime und Krankenhäuser, die Kindergärten und Schwesternstationen. Viele große kulturelle Leistungen auf dem Gebiet der Kunst, der Musik und der Literatur aus Vergangenheit und Gegenwart gäbe es nicht. Es gäbe keine Gottesdienste, keine Taufen, keine Trauungen, keine Beerdigungen. Wer sollte dem Menschen Trost zusprechen, wer ihnen tatkräftig helfen?

Mancher wird heute sagen: „Darum kümmert sich doch der Staat. Er setzt viel Geld und viele Menschen ein, um die Bedürfnisse aller Art zu befriedigen!“ Und doch ist ein Unterschied zwischen einer Krankenschwester, die ihre Arbeit als einen Beruf wie andere auch ansieht, und einer Schwester, die aus Liebe zu Christus den Menschen hilft. Dabei ist es nicht wichtig, ob sie von der Kirche oder vom Staat angestellt ist, sondern es kommt darauf an, wie sie ihren Dienst versteht. Auch in kirchlichen Häusern kann man manche Lieblosigkeit treffen.

Doch insgesamt gesehen sollte man doch annehmen, daß in einem kirchlichen Haus ein anderer Geist herrscht als anderswo. Das hängt dann sicher damit zusammen, daß der Antrieb zu allem Tun von Jesus herkommt. Wer sich mit Jesus verbunden weiß, wird die Kraft zu solchem Handeln empfangen. Deshalb können wir auch in unserer heutigen Zeit auf die Kräfte des christlichen Glaubens nicht verzichten.

Spätestens hier aber müssen wir nun fragen: „Hängen wir wirklich so an Christus wie die Rebe am Weinstock?“ Kriegen wir wirklich von dort „Kraft und Lebenssaft“? Und zwar n u r von dort, denn eine Rebe hängt immer nur an einem Weinstock und kann sich nicht verschiedene Nahrungsspender suchen. Der Weinstock war bei den Alten so etwas wie der Baum des Lebens. Die Griechen sahen im Wein eine Gottesgabe, die den Menschen aus seiner lästigen Umwelt herauslöst und zu einem neuen Sein verwandelt und ihnen Freude bringt. Doch diese Freude ist natürlich nur oberflächlich und von kurzer Dauer, denn hinterher kommt dann der sogenannte „Kater“.

Der Rausch ist bestimmt kein Mittel, um unseer Probleme zu lösen. Es ist seltsam, daß sowohl in wirtschaftlich dürftigen Verhältnissen als auch in der Wohlstandsgesellschaft ein hoher Alkoholverbrauch da ist. Das deutet doch darauf hin, daß da Probleme bestehen, wenn auch unterschiedlicher Art. Dagegen angehen wird man nur können, indem an etwas Echtes an die Stelle solcher Drogen setzt. Dazu muß man wirklich ein anderer werden, aus sich heraustreten, eine neue Kreatur werden. 

Jesus Christus will dieser Baum sein, der uns den guten Saft für unser Leben gibt. Das Bild vom Weinstock ist ja ähnlich dem Bild vom Leib Christi. Beide Male geht es um etwas Lebendiges, das einen festen Zusammenhalt darstellt, dem man sich nicht ohne Schaden entziehen kann. Wird ein Glied vom Leib isoliert, so muß es absterben genau wie eine Rebe, die vom Weinstock getrennt wird. Das Bild vom Leib will die Abhängigkeit der Glieder untereinander deutlich machen, das Bild vom Weinstock zeigt, wie jede Rebe vom Weinstock abhängig ist.

Aber deutlich wird auf jeden Fall: „Es geht nichts ohne Jesus!“ Es hat ja schon Zeiten und Länder gegeben, wo es hieß: Das Christentum wird verboten, die Kirchen in Kulturhäuser oder Scheunen umgewandelt, die Bibeln müssen abgeliefert werden. So war es 1905 in Mexiko oder nach 1917 in der Sowjetunion (heute ist es dort wieder anders, muß man dazu sagen). Viele haben sich diesen Anordnungen gebeugt, haben nur mit den Schultern gezuckt und haben ihren Glauben still im Herzen behalten, wie sie sagten. Aber da sie vom Kraftquell des Lebens abgeschnitten waren, verkümmerte der Glaube auch bald.

Es kann aber auch sein, daß Gott selber wie ein Weinbauer die jungen Triebe herausbricht, die doch keine Frucht bringen und dem Weinstock nur den Saft wegnehmen. Es mag tröstlich sein, daß Gott selber die Schnitte tut und nur dort etwas wegnimmt, wo es nötig ist. Aber besser ist es natürlich, wenn man zu den gut entwickelten Trieben gehört, die bleiben. Die Triebe sind ja nicht bloß angeheftet, sondern sie sind aus dem Stamm herausgewachsen. Sie brauchen nur daran zu bleiben, dann kommt auch ganz von selber Frucht hervor.

Die Frucht könnte darin bestehen, daß andere Menschen zu Jesus geführt werden. Aber wenn man andere Bibelstellen heranzieht, wird man eher an gegenseitige Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, usw. denken, aber auch an Glaube, Gerechtigkeit und Wahrheit. Heute haben wir es außerdem gelernt, dabei auch die gesellschaftliche Gesamtlage

zu beachten. Wenn wir als Einzelne Gutes tun wollen, dann wird dadurch der gesellschaftliche Umbau nicht überflüssig; er kann vielmehr die Leistungen des Einzelnen noch fördern. Umgedreht macht ein gutes Sozialwesen die spontane Tat des Einzelnen nicht überflüssig.

Zum Christsein gehört notwendig auch eine missionarische Strahlkraft. Natürlich ist auch die Zusammengehörigkeit untereinander wichtig. Aber die Kirche kann nicht eigensüchtig für sich behalten, was sie hat. Wenn sie darauf verzichtet, mit Wort und Tat missionarisch aktiv zu sein, wird Gott ihr ein Ende machen. Die Rebe sitzt zwar fest am Stamm, aber sie soll ja für andere da sein. Das Leben im Kreise der christlichen Brüder und Schwestern gehört eng zusammen mit dem „Hingehen und Fruchtbringen“. Gott wartet darauf, daß bei unserm Christsein auch etwas herauskommt.

Früchte kann man aber nur bringen, wenn man eng mit dem Stamm verbunden ist, also aus Christus heraus lebt. Wir meinen immer wieder, wir seien auf uns allein gestellt, nur auf uns selbst angewiesen und uns selbst verantwortlich. Wir wollen alles alleine schaffen und Gott nicht mit unseren Dingen belästigen. Aber damit haben wir uns schon von ihm getrennt. Aber wenn uns dann der Atem ausgeht, dann wundern wir uns.

Jesus aber sagt: „Ohne mich könnt ihr nichts tun!“ Doch da sind wir anderer Meinung. Ein solcher Anspruch wird doch durch das Leben ständig widerlegt. Wir können doch sehr viel ohne Jesus tun. In unserer modernen       Welt sehen wir doch genug von der Schöpferkraft der Menschen. Auch unter Nichtchristen gibt es viel Liebe, weil Gott sie ja in seine Schöpfung hineingelegt hat. Auch wer glaubt, kann das nicht leugnen. Aber er weiß dennoch: Ohne Christus kann man nichts für das Heil tun, ohne ihn gibt es keine Vergebung und keine Hoffnung über diese Welt hinaus.

Der Glaubende weiß, daß sein „Saft“ aus dem Weinstock kommt. Man kann Gott nicht besser ehren als so, daß man aus dem lebt, was er gewährt. Gott gefällt nur, wenn wir uns darüber freuen, von ihm beschenkt und getragen zu werden. Er will ja gar nicht, daß wir uns abrackern müssen. Er befiehlt nicht und treibt nicht an, er zwingt und droht nicht, er muß uns nichts widerwillig abringen.

Gott möchte, daß wir freudig bei ihm bleiben und ihm dienen. Einen Baum muß man ja auch nicht drängeln, daß er Frucht bringt: Kaum ist die Blüte abgefallen, da wächst die Frucht heran, mit Unwiderstehlichkeit und Lebensfreude. So soll es mit unserm Glauben und seinen Früchten auch sein. Nur besteht in der Beziehung zwischen Christus und den Glaubenden nicht ein naturhafter Zwang, sondern eine personale Verbundenheit: Weil wir ihn liebhaben, wollen wir in seinem Sinne wirken.

So wird alles darauf ankommen, daß wir an ihm bleiben. Christus in uns und wir in ihm, das gehört zusammen. Er bleibt in uns, wenn seine Worte in uns bleiben. Diese Worte wollen nicht nur vernommen, sondern auch ständig bedacht sein; sie wollen mit uns gehen, so daß ihre helfende und tröstende Stimme nie stumm wird.

Christus bleibt in uns, wenn wir das Abendmahl empfangen. Hier wird ja die Ernährung der Reben durch den Weinstock besonders deutlich. Viele grüne Altardecken tragen deshalb auch den Weinstock als Symbol. Dadurch werden wir daran erinnert: Hier am Tisch des Herrn empfangen wir die entscheidende Kraft für uns Leben, hier bleiben wir mit ihm in Verbindung und von hier werden wir ausgesandt in die Welt, um alle Menschen in Verbindung mit dem wahren Weinstock zu bringen.

 

 

Joh 15, 26 - 16, 4 (Exaudi, Variante 2)

An bestimmten Tagen im Jahr können wird endlich den ganzen Tag rund um die Uhr einkaufen und am Sonntag von 14 bis 20 Uhr. Wem es am Sonntag zu langweilig ist, weil er nicht zum Gottesdienst war, der kann dann wenigstens am Nachmittag noch etwas erleben. Früher ging man da in die Natur oder zu Bekannten, heute geht man halt ins Kaufhaus. Aber wozu brauchen wir da noch einen Sonntag? Aber ohne Sonntag ist alle Tage Werktag.

Dazu paßt die Forderung eines Arbeitgebervertreters, den Maifeiertag auf den jeweils ersten Sonntag im Mai zu verlegen, damit Arbeitskräfte eingespart werden können und die Gewinne steigen. Folgerichtig hat ihm ein Politiker entgegengehalten, da könnte man doch auch gleiche alle christlichen Feiertage abschaffen. Beim Buß- und Bettag ist das ja schon gelungen. Man hat natürlich nicht den Feiertag angeschafft, denn die Kirche bestimmt allein über ihre Feiertage, und Gottesdienste kann man auch am Werktag halten. Aber wenn der Tag nicht mehr arbeitsfrei ist, dann ist er auch nicht mehr so im öffentlichen Bewußtsein.

Wir leben nicht mehr in einer gegenüber den Christen feindlichen Gesellschaft wie die ersten Christen. Aber es ist heute auch nicht mehr selbstverständlich, daß christliche Überzeugungen das öffentliche Leben prägen. Manche Politiker sprechen zwar von den „christlichen Werten“, die ihr Parteiprogramm bestimmen. Aber die wenigsten werden wohl sagen können, was das konkret bedeutet.

Wenn man sich dann gegen Tierversuche und Embryonenforschung ausspricht, dann stößt man gerade bei diesen Leuten auf Unverständnis: „Man dürfe doch den Fortschritt nicht behindern, man müsse den Hunger in der Welt besiegen und die Medizin müsse immer mehr vervollkommnet werden!“ Und dann werden eben auf der Staatsdomäne die gen-veränderten Pflanzen ausgesät. Und die Atomkraftwerke sollen erst noch einmal weiter laufen und der Müll kommt dann in ein sogenanntes Zwischenlager, das aber ein Endlager ist. Und zum Kriegführen muß man natürlich auch weiterhin fähig sein. Mit den christlichen Werten ist es

nicht so weit her in unserer Gesellschaft. Wer diese Dinge aber alle ablehnt, der hat es als Christ in unserer Gesellschaft nicht leicht.

In manchen Wohngegenden fällt es bereits auf, wenn junge Menschen sich trauen lassen oder ihr Kind zur Taufe bringen. Es ist gar nicht so leicht, mit dem Gesangbuch in der Hand zum Gottesdienst zu gehen, während die lieben Nachbarn hinter der Gardine stehen.

Oder ein junger Mann sagt: „Die anderen denken doch, bei mir sei etwas ausgehakt, wenn ich plötzlich zur Kirche ginge. Es muß doch genügen, ganz für sich persönlich einen Glauben zu haben. Die anderen brauchen das doch gar nicht zu wissen!“ So denken doch viele.

Wir dürfen dankbar sein, wenn wir nicht von Seiten des Staates im Glauben behindert werden. Leider gibt es das noch allerhand Staaten in der Welt, vor allem mit andersgläubiger Mehrheit. Aber auch Diktaturen wollen immer den möglichen Einfluß der Kirche ausschalten.

Wir aber dürfen ungehindert als Christen leben, ohne Verfolgungen von Seiten des Staates oder der Parteien oder sonstiger gesellschaftlicher Gruppen fürchten zu müssen. Wir werden lediglich durch andersgläubige oder ungläubige Mitmenschen zum ehrlichen Bekennen herausgefordert.

In einem Buch aus der früheren DDR schreibt ein Ausleger: „Den Christen ist das Recht, sich zu ihrem Glauben zu bekennen, garantiert. Sie haben die gleichen Rechte und Pflichten wie alle anderen Bürger. Alltagsschwierigkeiten dürfen uns nicht dazu verführen, uns als Märtyrer zu verstehen!“ Aber jeder, der damals so etwas las, wußte natürlich, daß hier die Politik des Staates gegenüber der Kirche kritisiert wurde, weil im alltäglichen Leben dieses Recht oft nur auf dem Papier stand.

Dennoch gab es auch in der DDR keine echte Christenverfolgung. Das war in der Zeit der ersten Christenheit anders. Da wurden sie aus den jüdischen Gemeinden herausgestoßen und verloren damit den Schutz der staatlich zugelassenen Religion. Die Juden begnügten sich nicht mehr mit dem Ausschluß aus ihrer Gemeinschaft, sondern sie empfanden die Christen mehr und mehr als Konkurrenz und wollten sie durch Anklagen bei den heidnischen Behörden unschädlich machen.

In diese Situation hinein wollte der Evangelist Johannes seiner Gemeinde Trost zusprechen. Man zählte inzwischen ja ungefähr das Jahr 90 nach Christus, die ersten großen Verfolgungen mit der Ermordung von Christen waren angelaufen. Da legt der Evangelist seinem Herrn Worte in den Mund, die in seine damalige Zweit wirken sollen. Der wirkliche Jesus hat sich wohl keine großen Gedanken um eine spätere Kirche gemacht. Aber was hier also seine Rede angeführt wird, ist durchaus in seinem Sinne: „Zum Christsein gehört die Anfeindung und Verfolgung dazu!“

Wenn die Kirche groß dastand in weltlicher Macht und Größe, da war sie meist nicht mehr auf dem Weg ihres Herrn. Wenn sie im Windschatten weltlicher Mächte ihre Vorteile suchte, da hat sie das verleugnet, was sie nach Christi Willen sein sollte. Es besteht eine grundsätzlich unvermeidbare Spannung zwischen der Christenheit und der Welt. Man darf sich nicht darüber wundern, wenn Christen gehaßt werden, denn schon ihrem Herrn und den ersten Christen ging es nicht anders.

Wenn jede Bedrängnis von außen fehlt, dann muß sich die Kirche fragen, ob sie die Sache ihres Herrn verbogen oder verharmlost hat und damit um ihre heilende und richtungsweisende Kraft gebracht hat. Was niemanden aufregt, ist bestimmt nicht das Evangelium. Deshalb wundern sich ja auch die Politiker manchmal, wenn sie dachten, sie hätten die Kirchenleute in der Tasche und dann sagt plötzlich ein Bischof oder sogar gleich mehrere etwas, das ihnen gar nicht in den Kram paßt.

Aber die Gefährdung kommt nicht nur von außen, sondern auch von innen. Wir werden vielfach überschätzt und wir überschätzen uns selber auch. Wir sehen uns als Volkskirche mit vielen Mitgliedern und großen sozialen und gesellschaftlichen Leistungen. Was die Kirchen im Gesundheitswesen, in der Kindererziehung und bei der Freizeitgestaltung auf die Beine stellen, ist schon gewaltig. Aber über den wahren geistlichen Zustand kann man sich da leicht hinwegtäuschen.

Das ist ja auch die Gefahr bei den Statistiken: Irgendwie kann man es immer wieder so drehen, daß es doch aufwärts zu gehen scheint. Und wenn es wirklich einmal nicht der Fall ist, dann tröstet man sich damit, daß es anderswo noch schlechter ist. Statistiken erfordern viel Zeit, ändern aber gar nichts, wenn man nicht bereit ist, daraus auch Folgerungen zu ziehen. Statistiken fangen das Leben nicht ein.

Jesu Abschiedsrede ist aber nicht auf den Ton des Tadels gestimmt, sondern auf den der Vorsorge und des Vorausdenkens. Er will ankündigen, daß die Kirche nur arm und schwach sein kann. Man muß die Möglichkeit des Schwachwerdens und Versagens in die eigenen Überlegungen einbeziehen. Jesus möchte, daß wir nicht überrascht sind, wenn unsere Zugehörigkeit zu ihm auch einmal ihren Preis von uns fordert.

Doch in den schwersten Bewährungsproben des Glaubens kann auch der Glaube reifen und können die größten Gotteserfahrungen gemacht werden. An der Art, wie einer bereit zum Opfer ist, erkennen andere, was einem der Glaube wert ist. Und dann wird man aufmerksam und bringt Vertrauen entgegen.

Es geht dabei nicht nur darum, daß wir unsern Mann stehen müssen, wenn es hart auf hart geht. Jesus bangt auch um unsern inneren Zustand. Aber er weiß auch: Selbst wer schwach ist wie Petrus, der kann noch seine Brüder stärken.

Mit seiner müden und unzuverlässigen Kirche kann Christus noch immer etwas anfangen, weil er selbst der Beistand ist. Kein Widerstand der Welt, kein Schwachwerden der Gemeinde wird verhindern, daß die Sache Jesu weitergeht. Natürlich: Die Sache Jesu wird durch Menschen in der Welt vertreten und verbreitet. Die Menschen mögen das gut oder schlecht machen, tapfer und fröhlich oder kleinlaut und schwächlich.

Aber letztlich kann die Sache Gottes nur durch ihn selber begreiflich gemacht werden. Der Glaube ist ein Geschenk. Es gibt keinen Beweis dafür. Aber die Botschaft trifft plötzlich ins Herz. Da geht etwas auf, das vorher verschlossen war. Der Glaube ist immer eine Entdeckung, die uns zuteilwird. Aber am Sonntag vor Pfingsten wird uns zugesagt, daß der Geist Gottes über uns kommt und daß wir einen Beistand haben, der uns hilft, unsern Glauben und unser Leben in dieser Welt zu bewältigen.

Und die Gemeinde ist auch nach Jesus nicht allein: Er sendet ihr einen Helfer als Beistand, der ihn jetzt vertritt. Im Grunde ist das aber Jesus selbst, der auf andere Art und Weise bei seinen Leuten ist. Aber man muß um diesen Tröster beten, man kann ihn nicht haben, sondern immer nur empfangen. Man muß kommen, aber man empfängt.

Aber Gott kommt dann nicht in unser stilles Kämmerlein, um dort mit uns zu reden. Er möchte, daß wir in die Kirche kommen, um dort mit seinem Wort bekannt gemacht zu werden. Gottes Zeugnis ist verbunden mit dem Zeugnis von Menschen. Und da gibt es immer noch Neues zu entdecken. Beim Glauben weiß man nie alles, auch wenn man Theologie studiert hat und sogar den Doktor gemacht hat und Professor ist.

Wenn wir uns aber etwas sagen lassen, dann sind wir auch fähig, etwas weiter zu geben. Dann finden wir auch die richtigen Entscheidungen in den Fragen unseres Alltags. Dann wissen wir, wie die „christlichen Werte“ in unserm Leben konkret aussehen. Und dann können wir das auch furchtlos gegenüber anderen vertreten, weil wir Gott als unsern Beistand haben.

 

 

Joh 16, 5 - 15 (Pfingsten I): 

Einer der bekanntesten Prediger seiner Zeit war Billy Graham. Man nannte ihn das „Maschinengewehr Gottes“, weil er in einer Minute einschließlich Übersetzung 13 Sätze sagen konnte, so schnell und abgehackt sprach er. Aber offenbar hatte dieser Mann etwas an sich, das viele Menschen anspricht und mitreißt. Der Höhepunkt seiner Auftritte war jedesmal, wenn er am Schluß diejenigen nach vorne ruft, die sich jetzt für Christus entschieden haben. Da wird sicher auch manches Echte mit dabei sein. Aber das meiste ist einfach Massenpsychologie: Überall im Publikum hatte er seine Leute verteilt, die dann aufstanden und nach vorne kamen. Und wenn einige gehen, dann ziehen sie adere mit. Und wenn er noch einmal zum Kommen auffordert, dann stehen wieder zuerst die eingeteilten Helfer auf.

Am Schluß sieht es so aus, als sei eine ungeheure Bekehrung erfolgt. Aber in aller Regel kommen nur die, die sowieso schon Christen sind und eben für diese Art der Predigt empfänglich sind. Auch solche Großveranstaltungen können nicht darüber hinwegtäuschen, daß die natürliche Veranlagung des Menschen nicht auf das Christentum hinläuft. Der Unglaube liegt uns immer mehr als der Glaube.

Selbst die Jünger Jesu wissen nicht, was werden soll, wenn er nicht mehr da ist. Ohne ihn geht es nicht. Sie werden wieder auf sich selbst angewiesen sein. Es besteht die Gefahr, daß sie nur wehmütig zurückschauen auf die gute alte Zeit. Jetzt stehen sie allein in einer gottlosen Welt. Doch sie sollten lieber nach vorne fragen: Wohin gehst du? Aber wenn sie auf ihre bloße Menschlichkeit zurückgeworfen sind, dann wagen sie nicht einmal zu fragen, wo Jesus denn hin­geht. Daran sieht man wieder: Gott bleibt uns verschlossen, wenn ­er sich nicht selber erschließt.

Die Traurigkeit der Jünger ist mehr als der Schmerz, den wir empfinden, wenn uns ein geliebter Mensch genommen ist. Wenn Jesus geht, sind sie von Gott abgeschnitten. Jesus hatte ihnen den Vater verständlich gemacht, in Jesus waren sie Gott selber begegnet und hatten Gemeinschaft mit ihm. Aber nun waren sie wieder aus der Gemeinschaft mit Gott herausgerissen und auf sich selber gestellt.

So mag es auch uns manchmal vorkommen. Wir waren zum Gemeindetag oder sonst einer kirchlichen Großveranstaltung, und das hat unseren Glauben gestärkt und uns neuen Schwung gegeben. Aber schon am Montag ist der Alltag wieder da mit all seinen Problemen; da läßt sich das Erlebte dann wieder nur schwer umsetzen. Wir haben die Konfirmation ernst genommen und waren fest entschlossen, mit der Kirche zu leben. Aber mit der Zeit traten andere Dinge in den Vordergrund und alle Vorsätze waren vergessen.

Aber es kommen Krisen im Leben, wo man sich ganz von Gott verlassen fühlt: ein Mensch stirbt, an dem wir sehr gehangen haben, wir haben uns mit einem Menschen zerstritten, an dem uns sehr gelegen hat, wir spüren unser eigenes Versagen. Und manchmal ist es so: wenn es schon sowieso knüppeldick kommt, dann erfolgt gleich noch ein Schlag.

Doch Jesus sagt im Johannesevangelium: Es ist euch gut, daß ich hingehe! Es besteht kein Grund zur Betrübnis. Es erfolgt keine Trennung, sondern eine neue Gemeinschaft entsteht, nun sogar auf einer höheren Ebene. Wir haben nicht weniger, seit Jesus weggegangen ist, sondern mehr.

An Pfingsten dürfen wir hören: Gott ist selbst mitten unter uns, kraftvoll wirkend und Glauben schaffend; er hilft dem Schwachen und begründet neue Hoffnung.

An Pfingsten dürfen wir hören: Gott ist gegenwärtig, er wirkt weiter durch seinen Geist. Er ist nicht zu sehen. Aber er ist in uns wie ein elektrischer Strom, der Kraft gibt und alles in Gang hält. Die natürlichen Kräfte unsrer Person werden dabei nicht ausgeschaltet, sondern Gott bedient sich ihrer und ruft dadurch neue Wirkungen bei uns hervor.

Vor allem holt er uns aus dem Zustand der Unentschiedenheit, ja der Entscheidungslosigkeit heraus. Mancher möchte gern in der Finsternis verharren. Aber damit spricht er über sich selber das Urteil und gelangt in eine selbstverschuldete Hölle. Wer mit Gott nichts zu tun haben will, wer sich gegen ihn sperrt, der ist fern von Gott und das ist eben die Hölle.

Jesus aber hatte davor retten wollen, indem er zur Glaubensentscheidung aufrief. Genau dasselbe tut aber nun der Heilige Geist. Er nötigt weltweit zur Entscheidung für oder auch gegen Gott. Insofern geht der Prozeß Jesu - das was beim Prozeß Jesu zu verhandeln und zu entscheiden war - immer noch weiter. Er wird nicht am Ende der Tage entschieden, sondern schon heute in jedem einzelnen. Wenn er von der Wirkung des Geistes getroffen wird, dann ist er aller seiner Taten überführt, dann gibt es kein Leugnen mehr.

Der Heilige Geist wirkt von innen her. Und dann kommt wirklich heraus, was Sünde ist. Wenn wir uns ein polizeiliches Führungszeugnis besorgen, dann steht da drin: er hat keine Vorstrafen, über seine Lebensführung ist nichts Nachteiliges bekannt geworden. Aber das heißt ja noch

lange nicht, daß wir ohne Sünde wären. Der Heilige Geist schürft tiefer. Nicht umsonst ist im dritten Glaubensartikel, der vom Heiligen Geist handelt, auch von der Vergebung der Sünden die Rede. Unter uns Menschen läßt sich mancher Fehltritt noch wieder ausbügeln. Ein Punkt in Flensburg wird nach einiger Zeit wieder gelöscht, wenn nichts Weiteres dazukam.

Aber die schlimmste Sünde ist, „daß sie nicht glauben an mich“ (V. 9), das ist die Süde gegen den Heiliges Geist, die nicht vergeben werden kann. Wir erleben diesen Unglauben in unserer Umgebung und sind auch selber gefährdet davon. So richtige kämpferische und fanatische Atheisten gibt es ja nicht unter uns. Aber dafür umso mehr Gleichgültige und solche, die halt auch gern einmal der Kirche eins auswischen wollen oder einen Sündenbock brauchen für ihr eigenes Versagen. Am schlimmsten sind noch die, die selber einmal der Kirche angehört haben und nun lautstark in  sich selber etwas tot machen müssen.

Wir sind manchmal durch diese Haltung verwirrt, die uns entgegenschlägt. Aber andererseits sind wir eine ständige Anklage gegen diejenigen, die nicht glauben. Sie müssen sich immer wieder entscheiden und werden mit der Sache nicht so leicht fertig. Manche wollen zwar nach der Regel leben; Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß! Aber das liegt ja auch mit an uns, ob sie davon erfahren, und vor die Entscheidung gestellt werden.

Als die Jünger Jesu bei jenem ersten Pfingstfest von der Kraft des Heiligen Geistes erfaßt wurden, da konnten sie auch frei und offen von Jesus reden. Da war die Angst verflogen, es könnte ihnen genauso ergehen wie Jesus. Da schämten sie sich nicht mehr, zu einem Mann sich zu bekennen, der wie ein Verbrecher gestorben war. Da waren sie auf einmal wie umgewandelt.

Das lag aber daran, daß Gott seine Sache unter den Menschen selber vertritt. Er deckt auf, wie es mit den Menschen bestellt ist. Und er läßt nicht locker: An ihm kommt keiner vorbei! Er sorgt dafür, daß sein Wort verkündet wird. Und deshalb kann es im Grunde kein unbefangenes Heidentum oder eire Unentschiedenheit mehr geben. Gott ist überall da in seinem Geist. Doch er will die Menschen nicht richten, sondern sie dem Gericht entreißen. Er will sie von innen her überwinden und zu neuen Menschen machen. Aber das ist dann etwas anderes, als es der Evangelist Billy Graham erreichen konnte.

Es ist auch nicht so, daß man den Geist Gottes nur zu sich zu nehmen brauchte und dann hat man ihn für alle Zeit. Christsein ist ein Wagnis, ein Gehen ins Unbekannte. Selbst Jesus kann nicht sagen, was alles auf seine Jünger zukommt. Aber was auch kommen mag: Wir sind nicht allein gelassen, der Geist der Wahrheit ist bei uns. Er vertritt Jesus unter uns, er ist die Form, in der Jesus uns heute noch begegnet.

Doch es ist nicht so, daß der Heilige Geist über Jesus hinausführen könnte. Wir brauchen unser Glaubensbekenntnis nicht durch neue Lehren zu ergänzen und den Sakramenten weitere hinzufüge. Der Heilige Geist will Jesus nicht überbieten, sondern nur ins richtige Licht rücken. Der biblische Ausdruck dafür lautet: „verherrlichen“. Gemeint ist damit, daß Jesus von oben her beleuchtet wird, so wie im Theater die Schlüsselfigur von den Scheinwerfern hervorgehoben wird. So bringt der Geist zum Vorschein, was an Jesus selbst leuchtet. Man muß nur Augen haben, es richtig wahrzunehmen.

Es geht auch nicht darum, nur etwas zur Kenntnis zu nehmen und geistig zu verarbeiten. Hier ist vielmehr ein Weg zu gehen. Glaube hat zwar auch mit Lehre zu tun. Es ist gut zu wissen, wer dieser Jesus ist, was er getan hat und was er tun wird. Aber wichtiger ist, daß man ihn hat bzw. sich von ihm haben läßt und sich in die Gemeinschaft Gottes hineinstellt. Gott ermöglicht uns solche Gemeinschaft, indem er immer wieder seinen Geist zu uns sendet. Wir können ihn nicht herbeizwingen, aber wir haben um Christi willen das Recht, uns an die Zusagen Gottes zu halten.

 

 

Joh 16, 16 (17 - 19) 20 - 23a (Jubilate):

Wir haben alle schon einmal eine Prüfung zu überstehen gehabt, und wenn es nur eine Klassenarbeit in der Schule war. Das ist dann immer etwas Aufregendes. Man hat Angst, schon ehe es losgeht. Aber es dauert dann doch nur eine kurze Zeit und alles ist überstanden, man kann wieder aufatmen und sich freuen. Auch wenn man nicht so ganz zufrieden mit sich selbst ist, kann man doch erleichtert sein. Mancher freut sich und jubelt, weil es wieder einmal gut gelaufen ist.

Von der Freude soll auch am heutigen Sonntag die Rede sein. Wir können den Namen dieses Sonntags leicht übersetzen: „Jubilate“ - jubelt, freut euch! Warum sollte man sich auch nicht freuen, wenn draußen die Sonne scheint und die Vögel zwitschern und wenn alles auf den Frühling hinausläuft. Aber Jesus hat seine Jünger auch zur Freude aufgefordert, als es auf seinen Tod zuging.

Kann man das überhaupt? Freude kann man doch nicht befehlen. Wenn wir wüßten, daß wir nur noch zwei Tage zu leben hätten, dann würden wir eher heulen und klagen. Wenn wir stark sind, würden wir vielleicht noch unsre Angehörigen trösten. Aber zur Freude auffordern? Das

ist doch zu viel verlangt. Es ist ja auch nicht eine künstlich zur Schau gestellte Freude gemeint, die sich christlich gebärdet und immer nur lächelt, aber dem Leben nicht standhält. Aber Jesus sagt: „Eure Traurigkeit wird zur Freude werden!“

 

(1.) Wir können uns oft nicht freuen! Es gibt so vieles, was uns traurig macht: Die Frau hat ihren Mann verloren, die Kinder sind weggezogen. Oder der einzige Sohn ist aus dem Krieg nicht wiedergekommen und zu Hause ist keiner, der einmal nach dem Rechten sieht. Viele haben ihre Heimat verlassen müssen und fühlen sich anderswo gar nicht wohl. Es gibt Dinge, die stehen einem immer wieder vor Augen, so als seien sie eben erst geschehen. Oft ist auch eine geheime Schuld damit verbunden, die uns nicht zur Ruhe kommen läßt.

Jesus sagt auch ganz nüchtern: „Ihr habt jetzt Trauer!“ Er weiß: Die Jünger fühlen sich jetzt wie Kinder, die von den Eltern allein gelassen wurden. Sie waren doch ganz von ihm abhängig, ohne ihn konnten sie kaum weiterleben. Seine Ankündigung traf sie wie ein Faustschlag. Sie müssen es erst noch lernen, selbständig weiterzugeben, was sie von Jesus erfahren haben. Er kann ja jetzt nicht mehr nur für die Jünger da sein, sondern er will der Helfer für alle Menschen werden.

 

(2.) Es muß so sein, daß wir auch einmal traurig sind! So sagt es auch Jesus, denn das gehört mit zum Leben dazu. Wer niemals traurig war, der weiß gar nicht, was Freude ist. Wer nie beim Spiel verloren hat, der weiß nicht, wie schön der Sieg ist. Wer nie gezweifelt hat, weiß nicht, was ein fester und Starker Glaube ist.

Jeder muß einmal durch Trauer und Unglauben hindurch. Es hat jeder schon einmal erlebt, daß er bestimmte Pläne aufgeben mußte. Oder er hat einen lieben Menschen verloren, an dem er sehr gehängt hat. Vielleicht hat er auch darum gebetet, daß das alles nicht eintrifft und es ist doch so gekommen.

Aber im Grunde sind das alles Prüfungen, die Gott uns schickt. Die müssen einfach sein, wenn wir innerlich vorankommen wollen. Durch die Prüfung lernen wir ja erst. Und wenn es schwer für uns war, dann kann es nachher nur umso schöner werden. Jesus räumt nicht alle Konflikte aus dem Weg. Aber wenn Jesus die Lebensgrundlage und das Lebensziel ist, verlieren sie an Lebensbedrohung.

Es wird immer so bleiben, daß es Leid und Not in der Welt gibt. Manche wollen ein Paradies auf Erden schaffen, wo Krankheit und Not ausgeschaltet sind, wo es keine Verbrechen und Streitigkeiten gibt und wo jeder nur zum Wohle der Gemeinschaft handelt. Die Verkündigung der Kirche wird von ihnen als Störung des optimistischen Menschenbildes hingestellt. In der damaligen DDR zum Beispiel haben die Zeitungen in Todesanzeigen den letzten Vers dieses Kapitels einfach nicht mit abgedruckt, wo es heißt: „In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden!“ Die Begründung war: Im Sozialismus brauche keiner Angst zu haben. Und schon gar nicht könne Jesus die Angst überwinden. Jesus ist da nüchterner. Aber er sagt:

 

(3.) „Alles zu seiner Zeit!“ Schrecken und Entsetzen sind kein Dauerzustand. Wenn Grund zur Trauer ist, dann dürfen wir ruhig trauern; das ist ganz natürlich und Jesus hat Verständnis dafür. Aber wenn dann Grund zur Freude ist, dann sollen wir uns auch freuen. Dann dürfen wir vergessen, was vorher war und uns darüber freuen, was jetzt ist. Es kann immer nur besser werden.

Jesus bringt hier den Vergleich mit einer Frau, die Mutter werden soll. Zunächst kommt sie auch in große Bedrängnis und Angst. Sie muß erst durch ihre Stunde hindurch. Schwer Erworbenes liebt man besonders. Das Ziel, einem Menschen das Leben zu schenken, ist unendlich größer als die Beschwerden der Geburt. Diese verblassen angesichts der Freude und werden von ihr überboten. So gibt es auch sonst im Leben noch manche Ziele der Freude, die wir ansteuern können.

Letztlich können wir die Traurigkeit nur ertragen um der Freude willen, die nachher kommt. Wenn wir nicht wüßten, daß auch wieder einmal bessere Zeiten kommen, könnten wir es gar nicht aushalten. Jeder Mensch braucht diese Hoffnung. Durch die Auferstehung Jesu ist dieser Wandel der Traurigkeit in Freude aber möglich geworden. Seitdem ist eine neue Zeit heraufgezogen, die uns immer wieder Hoffnung schöpfen läßt für die Zukunft.

a.) Es gibt zwar immer noch Krieg und Haß zwischen den Völkern und zwischen einzelnen Menschen. Aber man kann auch bei immer mehr Menschen den Willen zum Frieden finden. Sie wollen Spannungen und Zwischenfälle auf friedliche Weise bewältigen. Vielleicht ernten wir heute schon manche Früchte solcher Bemühungen und Hoffnungen auf eine friedliche Zukunft.

b.) Es gibt immer wieder Krankheit in unserem Leben. Aber vielleicht lernen wir dadurch, daß es auf ein gutes und offenes Miteinander ankommt und nicht auf die Erreichung persönlicher Ziele und daß es auf Menschlichkeit und Wärme ankommt und nicht auf Ehrgeiz und Gewinnsucht.

 

(4.) Die Traurigkeit dauert nur kurz! Jesus sagt ganz betont „über ein Kleines“. Die Zeit der Trennung wird nur kurz sein. Zunächst scheint die Welt recht zu behalten, und sie werden am Kreuz nicht vorbeikommen. Aber das Leiden ist nichts Endgültiges. Das Letzte wird Gottes Reich sein. Wenn wir diese Hoffnung haben, dann werden wir auch in jeder Notlage schon ein Stück dieses Reiches für uns in Anspruch nehmen können.

Oft nehmen wir nur den alten Menschen noch viel zu ernst. Deshalb nimmt in uns die Traurigkeit überhand. Doch sie soll überwunden werden, nur noch einen Randplatz haben. Christen leben in einer Freude, die ihnen niemand nehmen kann. Das haben die Jünger gespürt, als Jesus nach zwei Tagen wieder bei ihnen war.

Sie konnten ihn sogar wieder sehen. Allerdings war es ein anderes Sehen als vorher. In der griechischen Sprache gibt es sogar zwei verschiedene Wörter für diese unterschiedlichen Weisen des Sehens: einmal das leibliche Sehen, wie es vor Ostern möglich war, zum anderen das geistliche Sehen, das ihnen an Ostern widerfuhr. Da wurden den Jüngern erst in einem umfassenden Sinn die Augen geöffnet und sie konnten mehr sehen, als sie erwartet hatten. Das gab ihnen auch die Kraft, auf die Wiederkunft Christi zu warten.

Uns mag es lang vorkommen, daß es jetzt schon Jahrtausende dauert mit der Wiederkunft. Aber für Gott ist das sicher nur eine kleine Zeitspanne. Entscheidend aber für uns ist auch:  J e t z t ist für uns die Zeit zum Glauben. Wir dürfen weder in der Vergangenheit verweilen noch von der Zukunft träumen. Jetzt ist die Zeit zum Glauben und die Zeit zur Freude. Wenn  e r uns das sagt, dann wird es wohl stimmen: Er garantiert uns, daß wir jubeln dürfen, auch wenn einmal etwas dazwischen kommt. Wir können diese Freude zwar von uns aus preisgeben. Aber keiner kann sie uns wegnehmen, weil sie von Gott kommt. Kein Mensch kann uns mit Gewalt daran hindern, froh zu sein. Aber auch kein Leid und keine Gefahr kann uns von der Freude Gottes abbringen.

Es gibt ein Spiel, das heißt das „Ruferspiel“. Einem Spieler werden die Augen verbunden und im Zimmerwerden allerhand Hindernisse aufgebaut. Ein anderer Spieler, der „Rufer“, sagt nun, wie der „Blinde“ gehen soll, entweder rechts oder links, damit er nicht an ein Hindernis aneckt.

Nun wäre das an sich einfach, wenn nicht noch zwei Störer da wären, die immer falsche Ratschläge geben. Auf wen soll man hören? Auf die Stimme des einen Rufers oder auf die Störer? Diese Frage stellt sich in unserem Leben immer wieder. Da gibt es auch manchen „Störsender“, Menschen, die uns von Gott abbringen wollen, oder schwere Schicksalsschläge, die uns entmutigen wollen.

Hier kommt es darauf an, ob wir mitten im Haß der Welt dennoch auf Gott vertrauen und glauben können, daß  i h m die Zukunft gehört. Und es kommt immer darauf an, daß wir das Ziel vor Augen haben und nicht aus den Augen verlieren. Die Reiter sagen: „Wirf dein Herz erst über die Hürde, dann kommst du auch darüber!“ Wenn wir unser Herz in Gottes Hand legen, dann kommen wir auch über alles Leid hinweg und dürfen uns mit Christus und den anderen Christen freuen.

 

 

Joh 16, 23b - 27 und 33 (Rogate):

Wenn ein Kind sich etwas wünscht, dann geht es immer zuerst zu den Eltern. Warum hat es wohl solches Zutrauen gerade zu diesen Menschen? Nun, weil es eben die Eltern sind, die schon immer für ihr Kind gesorgt haben. Wenn man gute Erfahrungen gemacht hat, geht man immer wieder hin. Die Kinder wissen eben, daß sie mit ihren Kindern ganz eng zusammengehören. Doch manchmal schlagen die Eltern auch eine Bitte ab, weil es nicht gut wäre für das Kind, diesen Wunsch zu erfüllen. Aber Kinder sind ja nun schlau: Sie gehen vielleicht zu einem Onkel oder einer Tante oder zur Oma und erhalten dann alles. Aber damit sind sie eigentlich den Eltern ungehorsam geworden, sie sind aus der engen Gemeinschaft mit den Eltern ausgebrochen.

So geht es uns in unserm Verhältnis zu Gott auch manches Mal: Wir versuchen es vielleicht ab und zu einmal mit dem Beten, aber wenn es dann angeblich nichts nützt, wenden wir uns anderen Helfern zu. Jesus aber sagt uns: Beten kann man nur im Vertrauen auf Gott, wenn man in enger Gemeinschaft mit ihm steht und sich nur auf ihn verläßt. Wer sich erst noch bei anderen rückversichern möchte, der wird von Gott nichts erhalten. Doch der bleibt in enger Gemeinschaft mit ihm, der ihn - und n u r ihn - auch wirklich um etwas bittet.

Der heutige Sonntag „Rogate“ erinnert uns ja ans Bitten. Früher machte man an diesen Sonntag die Umgänge durchs Feld, Bittprozessionen für die Ernte. An vielen Stellen stehen noch die großen Feldsteine auf der Grenze der Flur. Dort hat man bei den Feldbegehungen Halt gemacht und um eine gute Ernte gebetet.

Wenn wir beten, dann denken wir doch meist an Bitten um unser irdisches Wohlergehen. Da hat einmal eine Frau erzählt: „Ich hatte gerade die Milch aufgesetzt, mußte aber auch unbedingt die Wäsche von der Leine nehmen, weil es anfing zu regnen. Ich habe ich gebetet: Lieber Gott, laß die Milch nicht überlaufen! Als ich mitten beim Wäscheabnehmen war, sagt mir auf einmal der Heilige Geist: Jetzt ist es soweit! Und wie ich hochkomme, ist die Milch gerade vor dem Überkochen!“

So geht es halt nicht mit dem Beten. Gewiß, auch so etwas kann einmal eine wichtige Bitte sein. Jesus meint hier auch ganz konkret das Bittgebet: Nur wer wirklich bittet, ist und bleibt ein Kind des Vaters. Ein Kind, das nie seine Eltern um etwas bittet, sondern immer zu anderen geht, ist kein Kind mehr. Nur im Gebet wird das Alles praktische Wirklichkeit, was Christus seinen Jüngern damals und uns heute zugesagt hat.

Aber in das Gebet gehören nicht nur unsere rein menschlichen Wünsche. Wer nur für sich bittet, bleibt ewig unzufrieden. Jesus aber will uns Frieden schenken. Wer keinen Frieden hat, ist unzufrieden. Frieden und zufrieden sein hängen ja zusammen. Jesus sagt: „Trotz all eurer Wünsche sollt ihr zufrieden sein!“

Das Gebet ist deshalb erst einmal Dank und Anbetung. Jesus zählt aber noch ganz andere Dinge auf, die Gott uns geben will: „Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch!“ (14,27). „Meine Freude soll in euch sein!“ (15,11) und am Schluß des heutigen Abschnittes sagt er: „In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden!“

Ist das nicht ein Angebot? Wer von uns hätte keine Angst? Angst vor der Atombombe, vor Verrat, vor der eigenen inneren Leere? Jesus sagt: „Wenn ihr zu Gott gehören wollt, kann euch das alles nichts mehr anhaben. Dann seid ihr so sicher wie ein Kind in den Armen der Mutter oder an der Hand des Vaters!“ Das Gebet ist also mehr als das Aussprechen unserer menschlichen-allzumenschlichen Wünsche. Es ist auch nicht nur einfach ein Stoßgebet für den äußersten Notfall. Nein, es gibt uns die ständige Gemeinschaft mit Christus und die Geborgenheit bei Gott. Bei ihm dürfen wir uns sicher fühlen wie bei einem Vater, denn er redet mit uns und beschützt uns.

Jesus hat seine Jünger verlassen. Er hat ihnen nichts hinterlassen als das Angebot: „Jetzt gehört ihr nicht mehr nur zu mir, sondern zuerst zu meinem Vater. Jetzt dürft ihr unmittelbar zu ihm reden, so wie ich mit ihm geredet habe!“ Die Jünger standen in der Gefahr, sich nur an den Menschen Jesus zu binden. Wenn er nun nicht mehr da war, würde vielleicht ihr ganzer Glaube zusammenbrechen. Da verweist sie Jesus an den Vater und sagt: „So, wie ihr mir bisher vertraut habt und mir nachgefolgt seid, so sollt ihr euch jetzt zu Gott halten!“

Wir heute stehen eher in einer anderen Gefahr: Wir glauben vielleicht an einen Gott, so ein höheres Wesen muß es ja geben. Aber mit Jesus Christus wissen wir nichts anzufangen. Das ist aber auch falsch: Zu Gottkommen wir nur über Jesus. Auch wenn wir im Gebet urmittelbaren Zugang zu Gott haben, so können wir doch Jesus nicht ausschalten aus unserm Leben. Genauso macht ja auch der Heilige Geist den Herrn Jesus nicht überflüssig. Wenn wir zu. Gott wollen, kommen wir an Jesus nicht vorbei. Das ärgert natürlich viele Leute.

Doch Jesus ist kein bissiger Hund oder gehässiger Türhüter, der uns nicht hineinlassen will in das Haus Gottes. Nein, er lädt uns sogar nach dort ein, zeigt uns den `Weg und begleitet uns hin zum Vater. Der Weg zu Gott, dem Vater, ist das Gebet „im Namen Jesu Christi“. Wenn wir beten, dann immer nur zu Gott, aber „durch Jesus Christus, unsern Herrn!“.

Ohne Christus müßte unser Gebet bald ersticken unter den Dornen der Anfechtung und der Angst der Welt. Ohne Christus wäre es auch ein bodenloses Experiment, das nur in einer großen Enttäuschung endet.

Jesus aber sagt: „Ihr dürft gewiß sein, daß Gott euch hört und auch e r h ö r t. So, wie ihr euch auf mich berufen dürft, so erfüllt Gott euch auch die Bitte, weil ich es euch zugesagt habe. Gott erfüllt die Bitten, weil er sich dadurch zu Jesus und zu seiner Offenbarung bekennt. Gott darf sich doch nicht blamieren vor den anderen. Jesus braucht ihn gar nicht um die Erfüllung der Gebete zu bitten, denn sie sind schon erfüllt.

Die Jünger dürfen damit neben Jesus treten und das alles am eigenen Leibe erfahren. Und w i r sind damit auch zu Freunden Jesu geworden. Wenn ein Junge einen Freund hat und er bittet den Vater um Geld für ein Eis, der Freund aber steht daneben, dann wird der Vater auch dem Freund seines Sohnes ein Eis spendieren. So wie Gott seinen Sohn Jesus liebt, so liebt er auch alle, die an ihn glauben.

Deshalb hat nicht die Welt das letzte Wort zu sprechen, sondern Gott. Wer aber nicht betet, dem geht diese Gewißheit unweigerlich verloren. Man muß das Beten auch üben, feste Zeiten und eine gewisse Gewöhnung gehören dazu. Wenn man Konfirmanden nach Gebetstextexten fragt, wissen sie zum Teil zumindest das Vaterunser. Aber wenn man dann fragt: „Betet ihr es auch?“ dann sagen sie mit entrüsteter Miene: „Nein!“ und würden am liebsten hinzufügen: Wie kann man nur so etwas fragen!“ Aber dadurch werden wir halt alle unglaubwürdig vor denen, die sowieso nicht beten. Wer aber betet, der darf von Gott erfahren, welche Macht so ein ganz gewöhnliches Gebet hat, weil Gott dahintersteht.

 

 

Joh 17, 1 - 8 Palmarum, Variante 1):

Wenn ein Mensch älter wird, überdenkt er sein Leben. Er zieht so etwas wie eine Bilanz und überlegt: Was ist gelungen in meinem Leben? Was habe ich geleistet? Was werde ich hinterlassen? Was habe ich falsch gemacht? Was werde ich oder was könnte ich der Nachwelt überlassen, vor allem den eigenen Nachkommen?

Wer recht handelt, der macht auch ein Testament, damit alles geregelt ist. Und dabei kann man über die Regelung der Vermögensverhältnisse hinaus so eine Art „persönliches Testament“ machen. Da kann man dann die Erfahrungen seines Lebens niederlegen und Wünsche und Empfehlungen an die nachkommenden Generationen weitergeben.

So bedenkt auch Jesus bei der Ankunft in Jerusalem sein Leben. Zu Beginn der Passionszeit

haben wir gehört, daß er sagte: „Siehe, wir gehen jetzt hinauf nach Jerusalem, und es wird alles vollendet werden, was vom Menschensohn geschrieben ist!“ Nun ist es also so weit, er steht vor Jerusalem und weiß, daß seine Tage gezählt sind. Er wird zwar noch einmal unter dem Jubel seiner Anhänger in die Stadt einziehen, aber seine Gegner werden ihn dort umbringen. Er ist noch jung, aber er muß dennoch Bilanz über sein Leben ziehen.

Wir dürfen uns das nicht so vorstellen, als habe der wirkliche Jesus dieses sogenannte „hohe­priesterliche Gebet“ wirklich so gesprochen und als habe jemand danebengestanden, der es wörtlich aufgeschrieben hat. Hier sprechen vielmehr die Gemeinde des Johannes und der Evangelist selber. Sie haben sich vorgestellt, was Jesus gebetet haben könnte, als er das Ende seines Lebens fühlte. So wie jeder andere Mensch sein Leben in so einer Lage zu überdenken versucht, so wird es wohl auch Jesus gemacht haben.

Und doch geht dieses Gebet auf Jesus zurück. So könnte Jesus der Sache nachgebetet haben, ja so h a t er gebetet. Er ist darin auch ein Vorbild für unser Gebet. Einerseits spricht hier der erhöhte Christus zu uns, aber er ist kein anderer als der, der im Kreise seiner Jünger gelebt hat. Hier erinnert sich die Gemeinde nur an das, was Jesus selbst gesagt hat. Thema ist dabei: Die Verherrlichung Gottes und die Verherrlichung Jesu

Jesus schaut auf sein abgeschlossenes Lebenswerk zurück. Er sagt zu Gott: „Ich habe dich verherrlicht auf Erden und das Werk vollendet, das du mir aufgetragen hast!“ Nun soll der Vater ihm den himmlischen Lichtglanz zurückgeben, den er vor seinem Erdenleben hatte. Aber das bedeutet nicht, daß sein Erdenleben nun uninteressant geworden wäre. Es war auch nicht ein Zwischenspiel, sondern es gehört notwendig zum Werk Jesu. Wir haben den großen Vorteil, daß wir nicht einen unanschaulichen Gott haben, einen unsichtbaren Gott über den Wolken, sondern er wurde Mensch wie wir.

Wir brauchen nicht theoretisch über Gott zu philosophieren, sondern wir haben einen Gott, vom dem Geschichten aus dem wahren Leben erzählt werden können. Natürlich sind diese Geschichten von Menschen aus dem Orient abgefaßt, die gern etwas blumig reden und für unsere Begriffe auch etwas übertreiben. Sie stellen nicht nur einfach einen Glaubenssatz auf, sondern verpacken ihn in eine Geschichte. Unsere Aufgabe ist es dann, diese Geschichte in unser westliches Denken zu übersetzen, um ihren Kern und die eigentliche Aussage herauszufinden.

Die Geschichte von Jesu Leiden und Sterben ist aber sehr klar und für alle verständlich, sie entspringt nicht orientalischer Fabulierkunst, sondern sie ist wirklich so geschehen. Diese mit Karfreitag zu Ende gehende Zeit, in der Christus als Mensch gegenwärtig war, ist wichtig um der Menschen willen, weil sie so wissen können, daß ihr Herr nicht ein gestaltloses Gespenst

ist.

Sie ist aber auch wichtig für Gott, denn nun meldet der Sohn die Erfüllung seines Auftrags. Durch Jesu Kommen in die Welt ist das Verhältnis zwischen Gott und den Menschen grundlegend verändert worden. Und nun kommt er zum Vater als der, der das ihm aufgegebene Werk vollbracht hat. Er war gehorsam und ist damit berechtigt, nun auch vor Gott für die Seinen einzutreten.

Indem Jesus da war und da ist, indem er gehört wird und Glauben findet, wird Gott wieder Herr seiner verlorenen Schöpfung. Da wird sein Name geheiligt, da kommt sein Reich, da geschieht sein Wille. Was im Himmel schon Wirklichkeit ist, das geschieht nun auch auf Erden.

Indem Menschen glauben, daß Jesus vom Vater ausgegangen ist und der Vater ihn gesandt hat, setzt Gott sich in diesen Menschen durch. Indem sie sich der Liebe Gottes anvertrauen, kommt Gott zu seiner Ehre und er wird ihnen erst richtig zum Gott. So erst haben sie das wahre Leben. Wir könnten tausend schöne und wichtige Dinge haben, die wir für das Leben so wichtig halten. Aber das, was „Leben“ genannt zu werden verdient, haben wir letztlich nur in Gott.

Jesus hat in der wirklichen Welt der Menschen - unter Alltagsbedingungen - vorgelebt, daß man an Gott glauben kann. Aber nun bittet er um seine eigene Verherrlichung, aber im gleichen Atemzug auch um die Verherrlichung des Vaters. Allerdings konnte man diese Verherrlichung nicht unbedingt am Leben des irdischen Jesus ablesen. Dazu war ein rein äußerlich zu arm und gering und hat sein Leiden geduldig getragen. Wer von der Welt her denkt, kann das Gottsein Jesu gar nicht erkennen. Der Unglaube nimmt nichts von Jesu Herrlichkeit wahr. Die wahre Gottheit ist so tief in die Menschlichkeit eingehüllt, daß allein der Glaube sie noch entdeckt.

Verherrlichung meint ja nicht, daß Jesus sein Menschsein abstreift wie ein lästiges Kleid. Hat er als Mensch nicht aufgehört, Gott zu sein, so hört er in der Verherrlichung nicht auf, ein Mensch zu sein. Nur die Niedrigkeit legt er ab, nicht sein Menschsein. Jesus hat auch nicht etwas für sich beansprucht, was er nicht ist. Nur die Gegner Jesu haben nicht gemerkt, daß Gott nicht anderswo handelt als in Jesus. Gott ist nur in diesem Jesus zu finden und nicht anderswo.

Für Jesus kommt es zur Verherrlichung aber schon vor Ostern. Jesus wird nicht erst durch die Auferstehung zum Sohn Gottes. Er wird nur, das er bisher schon in aller Niedrigkeit gewesen ist, nunmehr „in Kraft“. Jesus bittet den Vater, er möchte ihn in die Herrlichkeit zurückkehren lassen, die er schon bei ihm hatte, ehe die Welt wurde.

Bisher war seine Wirksamkeit auf die engen Grenzen eines Menschenlebens beschränkt: soweit die Füße gehen können und soweit der Schall der Stimme reicht. Nun aber beginnt die

Zeit seiner weltweiten Wirksamkeit. Der Gekreuzigte wird erhöht und der Herr der Welt, sowohl der gläubigen Menschen wie der ungläubigen. Die Christen glauben nicht an einen vergangenen und räumlich weit entfernten Christus, sondern an den Herrn, der bei ihnen alle Tage war, bis an der Welt Ende. Von jedem Punkt der Erde aus ist erreichbar, weil er als der Himmlische überall gegenwärtig ist.

In unserer Zeit gibt es dafür ein schönes Anschauungsmittel aus der Technik. Da ist einmal die E-Mail, mit der wir in Sekundenschnelle einem anderen Menschen eine Botschaft schicken können, und er kann ebenso schnell wieder antworten. Wenn zum Beispiel die Tochter nach Kanada geht, kann man ganz schnell mit ihr Verbindung haben. Sogar Bilder kann man schicken oder sich am Bildtelefon unterhalten. Was früher nur der Polizei oder Firmen zur Verfügung stand, das kann heute jedermann zu niedrigen Preisen haben.

Noch einfacher ist es mit dem Handy. Manchmal ist diese moderne Errungenschaft auch ein Fluch, weil wir damit jederzeit erreichbar sind und der Anruf oft dann kommt, wenn er stört. Aber Gott dürfen wir auf die Nerven gehen, er will jederzeit erreichbar sein und ist es auch. Er schaltet das Handy nicht ab oder stellt den Anrufbeantworter ein. „Gott ist gerade ein Gebet weit entfernt“, heißt es in einem Lied.

Jesus bittet aber auch um das himmlische Leben für die Kirche. Ihr gilt die Fürsorge und Fürbitte des Herrn. In seinen Erdentagen war Jesus bei den Seinen und konnte sie in der Gemeinschaft mit Gott halten. Jetzt will er auf andere Weise für sie einstehen. Die Christen werden ja dem Haß der Welt ausgesetzt sein.

Aber sie sollen nicht aus der Welt herausgeholt werden, sondern sie werden ja gerade in sie hineingesandt. Sie könnten dabei allerdings den Mut verlieren und aufgeben. Da aber steht Jesus für sie ein, für ihren Glauben und ihr Bewahrtwerden in Gott.

Die Welt wird aber nun nicht total vereinnahmt. Die Mitteilung des Lebens wird ja nur auf die beschränkt, die der Vater Jesus gegeben hat. Er hat die Menschen nicht eigenmächtig genom­men, sondern der Vater hat sie ihm gegeben. Die Welt wird nicht pauschal verändert, sondern Menschen werden durch Christus in die neue Gemeinschaft mit Gott gezogen. So entsteht die Kirche.

Hier sind die Menschen, die gemerkt haben, woher sie kommen und die Jesu Wort angenommen haben. Hier wird ihnen der Name Gottes gesagt. Dadurch können sie ihn anreden und dürfen „Vater“ zu ihm sagen. Ihre Zukunft als Gemeinde Gottes wird davon abhängen, daß sie sein Wort festhalten. Die Gemeinde ist zwar in die Zugluft der feindlichen Welt gestellt. Aber sie wird durch Jesu Gebet so gehalten, so daß keiner verlorengeht. Dafür steht Jesus beim Vater ein.

An uns ist es, diese frohe Botschaft den anderen Menschen weiter zu sagen. Es wäre doch gut, wenn wir als grundlegende Erkenntnis unseres Lebens von unserem Glauben reden könnten. Unser Testament hat nicht nur mit unserem Haus und unserem Geld zu tun. Wir haben etwas viel Wertvolleres zu vererben: Den Glauben an Gott. Ein junger Mann sagte einmal: „Das Ziel meines Lebens ist es, wenigstens einen Menschen zum Glauben an Gott geführt zu haben!“

 

Joh 17, 1 (2-5), 6-8 (Palmarum, Variante 2):

(Nach Möglichkeit läßt man nach der Verlesung des Predigttextes ein Handy klingeln, unter Umständen mit Hilfe eines zweiten Handys).

Ehe ich mit der Predigt beginne, will ich erst einmal mein Handy ausschalten. Ich bitte Sie, auch Ihr Handy auszuschalten, damit wir nicht im Gottesdienst gestört werden. Ach so, Sie haben gar kein Handy? Wie kommen Sie denn da zurecht? Man muß doch jederzeit erreichbar sein, an jedem Ort und von überall her! Ohne Handy ist man doch gar kein Mensch! So ist doch heute vielfach die Ansicht.

Was soll Gott da nur machen, wenn er uns erreichen will. Muß er uns da auch ein Handy in die Hand drücken? Möchten wir es überhaupt haben? Vielleicht wollen wir doch gar nicht

immer erreichbar sein, vielleicht ist uns die göttliche Aufsicht lästig. Da wäre der umgedrehte Kontakt schon eher etwas: Wenn wir Gott brauchen, dann soll er zur Verfügung sein. So etwas wie ein Handy wäre da schon praktisch: Man muß es nicht benutzen, aber wenn man es schnell einmal braucht, dann ist es zur Hand.

Als Jesus auf seine Kreuzigung zuging, da mußte er sich schon überlegen, wie er in Zukunft den Kontakt mit den Seinen aufrechterhalten wollte und wie die Verbindung zwischen ihnen und Gott aussehen sollte. In einem Gebet blickt er noch einmal auf sein abgeschlossenes Lebenswerk zurück. Er bittet aber auch den Vater, ihm den himmlischen Lichtglanz wieder zurückzugeben, den er vor seinem Erdenleben schon hatte. So muß Jesus im Angesicht des Karfreitags seine Verhältnisse ordnen und sich Gedanken darüber machen, wie es weitergehen soll.

Wir müssen dabei nicht annehmen, hier ein originales Gebet Jesu vor uns zu haben, wie das zum Beispiel beim Vaterunser der Fall ist. . In diesem sogenannten „hohenpriesterlichen Gebet“ spricht nicht der wirkliche Jesus, sondern der Evangelist Johannes und seine Gemeinde. Aber Jesus könnte so gebetet haben. Und der erhöhte und verherrlichte Jesus ist kein anderer als der, der im Kreise seiner Jünger gelebt hat. Auch wenn er nicht mehr persönlich da sein kann, so ist der Kontakt zu ihm nicht abgebrochen.

Wenn wir Kontakt mit Jesus halten wollen, dann müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Das Erste ist der Blick in die Vergangenheit, das Sich-Erinnern an das, was gewesen ist. Wir haben es zwar heute mit dem erhöhten und damit gegenwärtigen Christus zu tun. Aber das bedeutet nicht, daß sein Erdenleben damit uninteressant geworden wäre. Die mit Karfreitag zu Ende gehende Zeit war kein Zwischenspiel. Jesus ist nicht eine gestaltlose Erscheinung, die zeitlose Wahrheiten abgebildet hat.

Jesus hat sich den Menschen gleich gemacht, hat mit ihnen Hunger und Durst getragen, er hat Freunde gewonnen und den Haß seiner Gegner ausgehalten. Er ergriff die Partei derer, die nichts zu melden haben, aber er mußte sein Leben für seine Freunde lassen. Er wollte die Menschen zu Gott führen, aber sie schalteten ihn aus. In seiner letzten Fürbitte steckt dieses ganze Erdenwirken mit drin.

Jesus bringt sein ganzes Leben mit, wenn er vor dem Vater erscheint. Ihm meldet er die Erfüllung seines Auftrags, daß das Werk jetzt vollbracht ist. Durch Jesus hat Gott wieder Macht über seine verlorene Schöpfung gewonnen. Da wird dann Gottes Name wieder geheiligt, da kommt sein Reich mitten unter uns und da geschieht sein Wille hier auf Erden.

Jesus hat den Menschen wieder das Leben gegeben. Der Mensch erkennt jetzt wieder, daß er einen Gott über sich hat. Er weiß von seinem Ursprung und von dem Ziel seines Lebens. Er

weiß sich ständig mit diesem Gott verbunden. Wir könnten tausend schöne und wichtige Dinge haben - aber ein richtiges und wahres Leben haben wir nur durch Gott. Deshalb brauchen wir die ständige Verbindung zu Gott.

Es bringt auch nichts, wenn wir uns einen anderen Anbieter suchen wollen, wie wir das beim Handy ja durchaus können. Gott handelt nur in diesem Jesus, er ist nirgendwo anders zu finden als in ihm. Äußerlich mag Jesus dabei ganz unscheinbar aussehen. Nur im Glauben kann man seine Herrlichkeit sehen. Die wahre Gottheit ist so tief in die Menschlichkeit eingehüllt, daß nur der Glaube sie entdeckt.

Es ist schon schwer, daß wir an einen Jesus glauben sollen, der den Weg der Niedrigkeit gegangen ist. Uns selber ist auch nichts anderes verheißen, wenn wir wahre Christen sein wollen. Unser Lebensziel kann es nicht sein, eine besondere Stellung und einen besonderen Glanz zu erarbeiten.

Wenn wir oft unzufrieden sind mit unserem Leben, dann brauchen wir uns darüber nicht zu wundern. Das ist die Regel für den Christen. daß er nur einen geringen Weg gehen kann. Wir sind nicht die Stars dieser Welt, sondern ganz einfach Gottes zuverlässige Mitarbeiter. So wie Jesus können wir nur darum bitten, daß wir eines Tages an der Herrlichkeit Gottes Anteil bekommen.

Jesus wird aber nicht erst durch die Auferstehung zum Sohn Gottes. Er war es auch schon vorher, allerdings nur in Niedrigkeit und im Verborgenen. Nach Ostern aber ist er es „in Kraft“, wie es am Anfang des Römerbriefs heißt. Bisher war Jesu Wirken beschränkt auf die engen Grenzen seines Menschenlebens, soweit die Füße gehen können und soweit der Schall seiner Stimme reicht.

Nun aber steht eine weltweite Wirksamkeit vor ihm. Jetzt hat er Anteil an Gottes weltweiter Macht: Für den Glauben ist er der Retter, für den Unglauben der Richter. Als Christen glauben wir nicht an einen vergangenen und räumlich weit entfernten Christus, sondern an einen Herrn, der jederzeit von jedem Punkt der Erde aus erreichbar ist, weil er als der Himmlische erhöht und überall gegenwärtig ist. Vor allem ist er auch gegenwärtig in seiner Kirche.

Man hat gesagt, das Johannesevangelium habe gar keine ausgeprägte Lehre von der Kirche zu bieten. Solange Jesus bei den Seinen war, da konnte er sie vor dem Verlorengehen bewahren. Aber nach seinem Tod muß er auf andere Weise für sie einstehen. Deshalb hat Jesus auch eine bleibende Gemeinschaft im Blick, die seine Leute nach seinem Tod zusammenschließen soll. Ob er aber damit die Kirche gewollt hat, so wie sie sich heute darstellt, ist allerdings eine andere Frage.

Doch die Fürsorge und die Fürbitte des Herrn gilt der Gemeinde. Jesus weiß genau: Seine Gemeinde wird dem Haß der Welt ausgesetzt sein. Sie wird aber nicht aus der Welt herausgenommen, sondern im Gegenteil gerade in diese Welt hineingesandt. Diese Sendung ist schon riskant, denn es besteht keine Aussicht, daß sich der Unterschied zwischen Kirche und Welt mehr und mehr verringert.

Aber so sehr auch Anlaß ist, den Mut zu verlieren und aufzugeben: Jesus steht für uns ein und bewahrt uns im Namen Gottes. Noch stehen wir im Kirchenjahr vor dem Karfreitag. Aber danach kommt Ostern - das wissen wir schon. Das gibt uns Kraft, auch mit den ganz persönlichen Problemen unseres Lebens fertig zu werden.

Es gibt Menschen, die können bei jeder Sache noch etwas Positives finden. Sicherlich haben sie auch allerhand Schweres im Leben mitmachen müssen und Enttäuschungen erlebt. Doch so schnell haben sie sich nicht unterkriegen lassen. Das ist nicht einfach eine Charaktereigenschaft ist, sondern hat mit dem Glauben zu tun.

Wenn man sein Leben von Gott gehalten weiß, dann läßt man sich nicht so leicht umwerfen. Sicherlich wird man dadurch nicht gleich zum Helden. Jeder Mensch hat seine Schwächen, hat Angst und geht auch einmal durch ein tiefes Tal der Verzweiflung. Aber letztlich kommt er doch wieder da heraus, weil er Gott auf seiner Seite hat.

Selbst der Tod kann dann keine letzte Gewalt über uns haben. Jesu Art, wie er die letzte schwere Krise seines Lebens bewältigte, kann uns dabei ein Vorbild sein. Er wußte, daß er sterben mußte. Aber das hat ihn nicht erschreckt, nicht in die Verzweiflung getrieben, hat ihn ruhig bleiben lassen.

Nur vergessen wir nicht: Jesus wird nicht der Herr über alles und jeden, sondern nur über die, der der Vater ihm gegeben hat. Er hat sie sich nicht eigenmächtig genommen. Sie haben sich ihm auch nicht spontan zugewandt. Es geht nicht um eine pauschale Veränderung der ganzen Welt, sondern Menschen müssen einzeln durch Christus in die neue Gemeinschaft mit Gott

hineingezogen werden.

Nur hat jeder dazu eine Chance. Jesus hat jedem ein Handy mitgegeben, der es haben wollte. Er hat nämlich den Seinen den Namen des Vater offenbart, hat ihnen sozusagen die Handynummer Gottes mitgegeben. Wessen Namen wir kennen, den können wir anreden. Zu Gott dürfen wir sogar „Vater“ sagen.

Jesus hat uns auch das Wort Gottes mitgegeben. Jetzt gilt es, dieses Wort zu bewahren. Unsere Zukunft wird davon abhängen, dieses Wort festzuhalten. Aber es wird darauf ankommen, nicht nur eine alte Tradition zu übernehmen. Sie ist notwenig, um auf Jesus aufmerksam zu machen. Aber es nutzt gar nichts, wenn man versteht, was damals mit so einem Bibeltext gemeint war. Die Botschaft bleibt aber unverstanden, wenn sie nicht zum eigenen Glauben anleitet, wenn sie mir nicht etwas für mein heutiges Leben sagt. Die Bibel oder das Gesangbuch im Regal nutzt uns gar nichts, wenn wir nicht damit umgehen, wenn sie nicht lebendige Anrede werden. Deshalb mühen wir uns ja auch in diesem Gottesdienst mit so einem schweren Predigttext ab. Man kann schon etwas stöhnen, wenn man diese Verse das erste Mal liest. Aber wenn man sich etwas mit Gottes Wort beschäftigt, dann kann es doch sein., daß es zu einem redet.

Hier noch einmal die wichtigsten Gedanken zusammengefaßt: Jesus hat das Leben der Menschen bis zum Letzten kennengelernt und Gottes Auftrag erfüllt. Nach seinem Tod übernimmt er die neue Aufgabe, der Ansprechpartner für alle Menschen zu sein. Er hilft uns in jeder Hinsicht zur Bewältigung unseres Lebens und verspricht uns das ewige Leben bei Gott.

Aber vielleicht bleibt Ihnen doch mehr im Gedächtnis, was am Anfang und zwischendrin immer wieder über das Handy gesagt wurde. Und wenn sie zu Hause vielleicht doch ein Handy haben und es gelegentlich in die Hand nehmen, dann denken Sie doch daran: Auch mit Gott kann man ganz leicht Kontakt aufnehmen, an jedem Ort der Welt und zu jeder Zeit!

 

 

Joh 19, 16 - 30 (Karfreitag):

Jesus ist nicht der einzige Mensch, der gekreuzigt worden ist. Die Kreuzigung war bei den Römern eine übliche Todesstrafe. Vielleicht war sie deshalb so beliebt, weil der Todeskampf oft stunden- und tagelang dauerte und die anderen sich an diesem Anblick weiden konnten. Sicherlich erhoffte man sich auch eine abschreckende Wirkung davon. Die Leute haben eher ein Schauspiel darin gesehen, das etwas Abwechslung versprach. Und dabei dachten sie: „Armer Kerl! Zur gut, daß es uns nicht erwischt hat!“

Dabei hätte es eigentlich jeden einzelnen von ihnen erwischen müssen - und auch jeden einzelnen von uns heute. In den Augen Gottes sind wir alle Verbrecher und Hochverräter. Aber wir sind natürlich euch Gottes geliebte Kinder, die nicht alle am Kreuz enden sollen. Deshalb ging ja Jesus stellvertretend für uns ans Kreuz. Aber eine Kreuzigung war damals nichts Besonderes. In dem Film „Spartakus“ wird die Kreuzigung von 6.000 aufständischen Sklaven gezeigt. Was bedeuten da schon die drei Kreuze in Jerusalem? Und doch war der Tod Jesu etwas anderes, weil er f ü r u n s geschah. Wir können sagen: Karfreitag ist die Vollendung des Planes Gottes, die Verherrlichung des Sohnes Gottes und die Errettung des Volkes Gottes.

 

Die Vollendung des Planes Gottes: Die Hinrichtung wird sachlich berichtet, fast im Protokollstil. Nichts ist davon zu hören, daß die Seele des Gekreuzigten erschüttert und verwirrt ist. Kein Weinen und Heilen der Seinen, die Flucht der Jünger wird nicht einmal berichtet. Die Entkleidung des Hingerichteten wird nicht als Entwürdigung gesehen, sondern als Erfüllung der Schrift.

Jesus ist nicht das Opfer, sondern er kümmert sich noch fürsorglich um seine Leute. Man hört keinen Klageruf über die Gottverlassenheit, erst recht keinen unartikulierten Schrei, sondern die Aussage des Siegers, daß Gottes Plan nun zum Ziel gebracht ist.

Da hängt kein geschundener Leib am Kreuz, der mit seiner Last die Arme nach unten zieht und an den Nägelwunden reißt, da drücken nicht die Gesichtszüge die ganze Sterbensnot aus, sondern wir sehen einen Christus, der aktiv sein großes Werk vollbringt. Aufrecht steht er vor dem Kreuz, die Nägel sind bloße Zutaten. Das Kreuz ist nur das geometrische Zeichen, das die segnenden oder einladenden Arme abbildet. So hat man die Kreuzigung in der Zeit der Romanik dargestellt (im Gegensatz zur Gotik wie auf dem Isenheimer Altar).

Für den Glaubenden wird das grausig vernichtende Geschehen durchscheinend und er nimmt wahr, daß hier das Heil geschieht. Christus gehört zwar der himmlischen Lichtwelt an, wie das die Gegner des Johannesevangeliums behaupten. Aber er mußte auch ganzer Mensch werden und wie ein Mensch sterben, ehe er wieder erhöht werden konnte. Als er auf das Kreuz genagelt wurde und dieses aufgerichtet wurde, da war das für den, der sehen kann, seine Erhöhung. So war Karfreitag nicht die große Stunde der Finsternis, sondern die große Stunde Gottes, dessen Plan nun endlich verwirklicht und ans Ziel gebracht wird.

Zur Deutung des Geschehens greift man auf die Schrift zurück. Das geschieht nicht, um peinliche Lücken der Überlieferung zu füllen. Vielmehr soll deutlich werden: Dies ist nicht der Zusammenbruch der Sache Gottes, sondern die Erfüllung seiner Zusagen, nichts anderes als das, was Gott von Anfang an im Sinn hatte. Niemand konnte ihm das Programm verderben, sondern im Gegenteil: Mit der vermeintlichen Ausschaltung Jesu mußte der Fürst dieser Welt helfen, das Werk Gottes zu verwirklichen.

Die spätere Gemeinde hat Jesus auch so dargestellt, daß Jesus sogar noch für die Zukunft seiner Kirche sorgt. Maria, die Mutter Jesu, ist Symbol für die Kirche, für die Gemeinde unter dem Kreuz, die vom Erhöhten das Heil erwartet. Sie wird dem Lieblingsjünger anvertraut, also dem, der das Johannesevangelium geschrieben hat. Man hat also nicht nur die Verheißungen aus dem Alten Testament, sondern auch den Zeugen aus dem Neuen Testament. An sein Wort kann man sich halten. Er verbürgt die Überlieferung von Jesus Christus und nimmt die Gemeinde in seine Obhut und Fürsorge.

Gleichzeitig werden die beiden Gruppen der Urchristenheit, die sich oft um den Vorrang miteinander gestritten haben - die Judenchristen und die Heidenchristen - aneinander gewiesen. Jesus weist in seiner letzten Stunde die Heidenchristen an, in der größeren Kirche ihre neue Heimat zu finden. Und er weist die Heidenchristen an, das Judenchristentum als die Mutter zu ehren, aus der sie hervorgegangen sind.

 

Die Verherrlichung des Sohnes Gottes: Unter dem Kreuz Jesu stehen auch die, die nun endlich ihr Ziel erreicht haben, wie sie meinen. Dort am Kreuz sollte er enden! Aber ganz zufrieden sind sie immer noch nicht. Pilatus hat am Kreuz die Inschrift anbringen lassen: „Jesus von Nazareth, der König der Juden!“ Aber die Gegner wollen, daß er schreibt: „Jesus hat behauptet, er sei der König der Juden!“ Pilatus hat sich vielleicht gar nichts gedacht bei dieser Überschrift. Aber natürlich bleibt er dabei. Welcher Beamte und dazu noch von der Besatzungsmacht würde jemals etwas freiwillig zurücknehmen.

Vielleicht will er auch absichtlich die Juden ärgern. Denn sie haben ihn ja zu diesem Schritt gezwungen, jetzt zahlt er es ihnen heim. Die Juden haben sich von ihrer Messiashoffnung los­gesagt. Damit haben sie sich selbst gedemütigt. Jetzt fügt Pilatus noch den Hohn dazu. Der Einspruch der Juden macht ihr Verletzt­sein erst recht offenbar. Sie erkennen genau: Ohne es zu wollen ruft Pilatus die Königswürde Jesu aus. Und das noch in drei wichtigen Sprachen, also für die ganze Welt.

Nun kann niemand mehr sagen: „Wer es glauben will, der mag es glauben!“ Nur für die Frommen und die religiös Veranlagten ist Jesus der König. Dann könnte man Jesus unter die Religionsstifter einreihen und die Nichtreligiösen würden in Ruhe gelassen. Pilatus aber hat dafür gesorgt, daß der Anspruch Jesu an die ganze Welt gerichtet ist. Alle können und sollen es lesen. Und sie müssen sich entscheiden, ob sie diesem Wort glauben oder sich daran stoßen werden.

Jesus stirbt ja f ü r die Welt und nicht gegen sie. Er setzt nicht die Macht ein, sondern die Liebe. Er fordert nicht, sondern er schenkt. Wenn er am Schluß sagt: „Es ist vollbracht!“ dann ist das nicht nur ein Seufzer der Erleichterung, weil nun alle Qual ein Ende hat. Vielmehr ist jetzt das entscheidende Werk Gottes vollbracht. Was äußerlich aussah wie ein Werk des Hasses, ist der Sieg Gottes über die Bosheit der Welt.

Wenigstens einer hat es fertiggebracht, das Böse zu überwinden. Deshalb kann auf Karfreitag auch Ostern folgen. Deshalb können wir auch mit dem Bösen in uns fertigwerden. Jetzt geht die stille Gewalt Jesu durch die Welt. Er ist fortan König in dem Reich, das nicht von dieser Welt ist.

 

Die Errettung des Volkes Gottes: Unter dem Kreuz sind auch die Kriegsknechte, die sich um die Kleider Jesu streiten. Sie sind völlig unbeteiligt, ihnen geht es nur ums Geld: Sie haben diesen Jesus für Geld ans Kreuz geschlagen, nun versuchen sie, aus seinen Habseligkeiten noch Geld zu machen. Ausdrücklich wird vermerkt, der Rock Jesu sei ungenäht gewesen. Das erinnert an das Obergewand des Hohenpriesters. Nur ist Jesus sogar ein Hoherpriester, der

sich sogar für die Seinen zum Opfer weiht.

Noch eine Parallele zu jüdischen Bräuchen kann man feststellen: Jesus hängt am Kreuz, während im Tempel die Passahlämmer geschlachtet werden. Dort sind es viele Lämmer, hier ist es das eine Lamm, das der Welt Sünde trägt und stellvertretend für die anderen stirbt. Wir wären ja nicht einmal bereit, für die eigenen bösen Taten den Kreuzestod zu erleiden, schon gar nicht stellvertretend für die anderen.

In Schillers Gedicht „Die Bürgschaft“ soll ein völlig Unbeteiligter anstelle des Freundes hingerichtet werden, für den er sich verbürgt hat. Wären wir dazu bereit gewesen? Wir sind doch froh, wenn wir überhaupt nichts mit dem Tod zu tun haben. Den Gedanken an den eigenen Tod schieben wir von uns weg. Und wenn wir ihn in unserer Umgebung erleben, dann denken wir: „Armer Kerl, nur gut, daß es mich nicht erwischt hat!“

Wenn plötzlich ein Mensch aus dem Leben gerissen wurde, zum Beispieldurch einen Unfall, dann sollte man doch annehmen, daß die anderen etwas zur Besinnung kommen. Aber sie sagen höchstens: „Schicksal“ oder „Pech gehabt“ oder „Hauptsache, mir geht es nicht so!“ Sie gehen zur Trauerfeier und sagen Beileid. Aber sie sind kaum zur Kirche heraus, da sind sie schon wieder zur Tagesordnung übergegangen und bereden ganz andere Dinge.

Jesus aber war das unschuldige Opfer, das stellvertretend für uns gebracht wurde. Da kann man nicht unbeteiligt bleiben. Dadurch wurden ja schließlich für unser Begegnung mit Gott und für unser Leben ganz neue Bedingungen geschaffen. Vielleicht unterschätzen wir die Bedeutung dieser Frage, halten sie für belanglos und unterdrücken sie. Wir meinen, hier brauche nichts bereinigt und vollbracht zu werden.

Gott aber weiß es besser. Nur durch das Opfer Jesu leben wir noch. Nun kann uns niemand mehr streitig machen, daß Gott ein Gott für uns ist und uns liebhat.

 

 

Joh 20, 11 - 18 (Ostern I: Vers 1 mitlesen):

Wiedersehen macht Freude. Das ist die frohe Botschaft, die wir an diesem Ostertag hören wollen. An Karfreitag hatten Menschen nicht irgendeinen ersetzbaren Gegenstand, sondern ihr Haupt verloren. Sie waren hoffnungsvolle Wege mit diesem Jesus gegangen. Die Begegnung mit Jesus hatte eine neue Welt eröffnet. Es war etwas in Bewegung geraten, sie hatten Vergebung und Gemeinschaft untereinander erfahren. Aber nun war Jesus tot, sie waren kopflos.

Wenn wir die Kreuzigung Jesu persönlich miterlebt hätten, dann hätten wir uns wohl kaum anders verhalten als Maria Magdalena auch. Wir erfahren den Tod doch auch als das endgültige Ende des Lebens. Wenn man nichts von Ostern weiß, dann kann man doch nur alle Hoffnung fahren lassen; dann gibt es eben auch keine Hoffnung über den Tod hinaus.

Der Mensch braucht allerdings eine Hoffnung, ohne sie kann er nicht leben. Und wenn er keinen echten Grund zur Hoffnung hat, dann bildet er sich eine ein: Er redet dann vom Weiterleben in den Kindern oder im Gedächtnis der Überlebenden oder von den übergreifenden Ideen, die nun in den anderen fortwirken. Aber das sind alles nur Auswege.

Als Christen aber haben wir eine reale Hoffnung. Sie bezieht sich auf etwas, das schon geschehen ist. Hier liegen schon Tatsachen vor, nicht nur ein Hirngespinst für die ferne Zukunft. Doch wir erinnern uns nicht nur an ein Ereignis, das sich vor vielen Jahrhunderten in einem fernen Land zugetragen hat. Ostern wirkt weiter und, greift um sich. Es will auch uns hineinziehen in das Tun unsres Gottes. Wir dürfen wissen: So wie Jesus dürfen wir auch einmal in einem neuen Leben wandeln.

Über lacht kann das Leben wieder neu vor uns liegen. Jesus ging aus der Grausamkeit der Menschen neu und lebendig hervor, er tauchte wieder auf aus dem Tod. Wer einen Blick dafür hat, wird ihn neu wahrnehmen und voller Freude über das Wiedersehen sein, heute wie damals.

Die Ostererfahrung von heute ist nicht anders als die von damals. In drei Punkten wollen wir ihr einmal nachspüren anhand unesres Textes: Wir erfahren den auferstandenen Herrn....

1. uns persönlich zugewandt

2. unsrem Zugriff entzogen

3. auch bei Gott mit uns verbunden.

 

1. Der auferstandene Herr ist uns persönlich zugewandt:

Ostern hat zwar eine Bedeutung für die ganze Kirche, ja für die ganze Welt. Man darf sie nicht verengen oder gar privatisieren, so als wäre es etwas für das stille Kämmerlein. Aber die frohe Botschaft hat es auf die ganz persönliche Begegnung zwischen Christus und dem einzelnen Menschen abgesehen.

Es ist nicht zu übersehen, daß bei Johannes eine Frau die erste Zeugin des Auferstandenen ist. Die Jünger haben nur das leere Grab gesehen und sind wieder heimgegangen. Maria Magdalena aber darf den auferstandenen Jesus selber sehen. Frauen zählten damals nichts, ihre Zeugenaussage galt nichts vor Gericht. Aber diese Frau darf nachher eine Meisterin und Lehrerin der Apostel sein, wie Luther das gesagt hat.

Aber auch für Maria war es schwer, hinter die Sache zu kommen.             Sie steht vor dem Grab und weint, sie ist immer noch nicht weiter als vorher. Ostern ist zwar schon geschehen, aber sie weiß es noch nicht. Ostern kann eben spurlos an einem Menschen vorübergeben, wenn er die Auferstehung noch nicht wahrgenommen hat.

Ihr größter Schmerz scheint gar nicht einmal der Tod Jesu zu sein. Sie ist so fassungslos, weil das Grab leer ist. Jeder Gedanke an eine Auferstehung liegt ihr fern. Der Lieblingsjünger hat gesehen und geglaubt. Aber man kann auch ganz andere Schlüsse ziehen. Maria kann sich das Verschwinden des Leichnams nur auf ganz natürliche Weise erklären: Man hat ihn fortgebracht, um ihr an einer anderen Stelle zu bestatten. Verbrecherische Menschen haben nicht einmal dem Toten die Ruhe gegönnt. Sie wollten nicht dulden, daß er ein so ehrenvolles Grab erhält, daß man ihm noch über den Tod hinaus Liebe und Dankbarkeit bewahrt. Deshalb haben sie ihn anderswo verscharrt. Nur so kann sich Maria alles erklären.

In dieser Ratlosigkeit ist uns Maria gar nicht so fern. Wie oft stehen doch Menschen an einem offenen Grab und sind ratlos. Nicht weil das Grab leer wäre, sondern im Gegenteil: weil in dem Grab einer liegt, über dem sieh bald die Erde schließen wird. Gerade weil einer im Grab liegt, ist es so schwer, an seine Auferstehung zu glauben. Dieses Gefühl der Ratlosigkeit können wir nicht so schnell mit frommen Sprüchen und theologischer Formeln überspielen.

Das leere Grab ist für Maria noch längst kein Beweis für die Auferstehung. Es macht aber deutlich: Der Auferstandene ist kein anderer als der Gekreuzigte und Begrabene. Gott hat den wirklichen Jesus von Nazareth in ein neues Leben hinein erweckt.

Aber zunächst einmal ist das leere Grab etwas Negatives, denn es zeigt nur an: Der Tote ist weg! Bei den anderen Evangelisten klärt das Wort der Engel die Situation. Johannes aber will von den Engeln möglichst bald wegkommen. Immerhin ist es hilfreich, daß sie sich für den Kummer der Maria interessieren. Aber das Entscheidende ist erst, daß der Auferstandene selber sich ganz persönlich der Maria zuwendet.

Doch sie erkennt ihn zunächst nicht. Sie klagt ihm ihr Leid: „Sie haben meinen Herrn weggenommen!“ Man möchte rufen: „Heiß, du bist ganz nah dran!“ Mit dem „sie“ hat man damals nämlich den Namen Gottes umschrieben. Wenn Maria statt ihrer Anklage gegen „Unbekannt“ d a r a n dächte. Ganz dicht ist sie an der Wahrheit dran. Das wird auch deutlich, als sie den Gärtner mit „Herr“ anredet. Sie vermutet, daß er mit der Sache etwas zu tun hat. Wieder ist sie ganz nah dran.

Die Anrede des vermeintlichen Gärtners macht die Lage dann deutlich: Maria erkennt ihn nicht an der Stimme, sondern weil er ihren Namen in vertrauter Weise sagt. Der Name macht die Person unverwechselbar, durch den Namen erhält eine allgemeine Rede ihre Adresse. Maria merkt, daß gerade sie gemeint ist. Vor ihr steht nicht irgendein Fremder, sondern sie kennt den, der hier redet. Und sie antwortet so, wie sie Jesus immer angeredet hat: „Rabbuni! Mein Herr!“

In diesen beiden Anreden „Maria“ und „Herr“ liegt alles drin. Das ist der ganze Dialog. Aber er sagt alles. Genauso spricht der auferstandene Herr auch uns an und wir dürfen ihn so persönlich anreden. Ostern heißt nicht: Es ist einer von den Toten auferstanden, es geht „etwas“ weiter. Vielmehr besagt es: Wir dürfen zum auferstandenen Jesus „Du“ sagen. Er ist kein Gespenst, das uns staunen oder zittern macht. Er ist auch nicht bloß ein Wort, sondern es geht um den, der das Wort spricht und der sich uns ganz persönlich zuwendet.

 

2. Der auferstandene Herr ist unserem Zugriff entzogen:

Maria hat aber noch nicht ausgelernt. Sie meint, nun sei alles wieder so wies es vorher war. Sie ist immer noch beschäftigt mit ihrer Treue zu einem Toten. Sie blickt in die Vergangenheit und nicht in die Zukunft. Dabei läßt das Niederschmetternde sie die Auferstehung verpassen. Aber Jesus kann es ihr auch nicht erlauben, sie leibhaft anzufassen oder festzuhalten. Er sagt: „Rühre mich nicht an!“ oder auch: „Halte mich nicht auf! Ich bin nicht mehr so wie früher. Ich bin nur noch nicht zu meinem Vater aufgefahren, aber ich gehöre bereits jetzt dorthin!“

Daß mit Jesus etwas anders geworden ist, sehen wir in allen Ostererzählungen: Er kommt und geht, wie er will, selbst durch verschlossene Türen und dicke Wände. Er ist bald hier und bald dort, sogar an zwei Orten gleichzeitig. Das ist keinem Menschen möglich. Er gehört schon nicht mehr in die alte Welt hinein, er ist schon auf dem Weg zum Vater.

Maria soll nicht bei ihrer Wiedersehensfreude stehenbleiben, sondern soll seinen weiteren Weg verfolgen. Erst wenn seine Erhöhung abgeschlossen ist, wird auch das Heil endgültig sein, wird erst der volle Osterglaube da sein. So werden auch wir lernen müssen: Jesus entzieht sich unserem Zugriff. Aber gerade indem er das tut, ist er uns ganz nahe. Jetzt erst kann er ganz gegenwärtig sein in Predigt, Taufe und Abendmahl.

Maria konnte Jesus noch sehen, wir sehen ihn nicht mehr. Heute gibt es Gemeinschaft nur noch mit dem Erhöhten. Aber dieser ist kein anderer als der, der auf Erden war. Aber er ist de-noch der heute Lebendige und Gegenwärtige. Wir erinnern uns nicht an einen Mann von ehedem, sondern wir begegnen dem heute Lebenden, in dem wir den irdischen Jesus wiedererkennen.

 

3. Der Auferstandene Herr ist bei Gott mit uns verbunden:

Maria hätte enttäuscht sein können, weil sie den Herrn nach zwei oder drei Augenblicken schon wieder verloren hat. Was man liebt, will man nicht gern verlieren. Aber wenn Jesus sich von den Menschen entfernt, dann fährt er ja auf zu dem Gott, der zugleich unser Vater ist. Nirgendwo im Neuen Testament sagt Jesus „unser Vater“ , nie schließt er sich in diesem Punkt mit seinen Jüngern zusammen. Er sagt „mein Vater“ und „euer Vater“, im Gebet sollen die Jünger „Vater unser“ sagen, aber er rechnet sich selber nicht mit dazu.

Doch sein Gott ist auch der Gott der Jünger. Deshalb sind diese seine Brüder. Zu Maria sagt er: „Gehe hin und sage meinen Brüdern: Ich fahre auf zu meinem und zu eurem Vater!“ Darin steckt das ganze Evangelium. Er schämt sich nicht, uns Brüder zu nennen. Durch ihn ist sein Vater auch unser Vater geworden.

Das kann uns froh machen. Wir haben einen Vater und einen Bruder im Himmel. Sie sind uns nahe bei allem, was wir tun. Der Auferstandene ist nicht weit weg. Wir können ihn nicht sehen und greifen, aber er ist da. Und sie werden uns erst recht nahe sein, wenn dieses Leben einmal ein Ende hat. Deshalb dürfen wir Ostern und jeden Tag im Jahr so begehen wie Maria Magdalena: Eben noch hat sie geweint - aber nun überbringt sie die frohe Nachricht mit dem Jubelruf: „Ich habe den Herrn gesehen!“

 

Joh 21, 1 - 14 (Quasimodogeniti):

Unser Leben verläuft doch meist im gleichen Trott: Morgens aufstehen, zur Arbeit, die Kinder in die Schule. Abends Hausarbeit und Fernsehen. Samstag und Sonntag langes Ausschlafen. Einmal im Jahr Urlaub. Aber im Grunde ist doch alles ziemlich gleichmäßig und es geschieht kaum einmal etwas Außergewöhnliches und Aufregendes. An dieses Gleichmaß haben wir uns so sehr gewöhnt, daß wir es gar nicht mehr missen möchten.

Solch ein Leben hatten auch die Jünger Jesu geführt: Arbeit, Essen, Schlafen - Tag für Tag. Bis dann Jesus sie eines Tages aus diesem altgewohnten Trott herausgerufen hat und sie zu seinen Jüngern gemacht hat. Sie waren auch anstandslos mitgegangen und hatten ein neues Leben begonnen.

Aber nun war Jesus tot, und alles war für sie zusammengebrochen. Es ist Petrus, der sich als Erster wieder ein Herz faßt: „Ich will fischen gehen!“ Er will den Faden wieder dort aufnehmen, wo er in der Berufung durch Jesus abgerissen war. Er will wieder so leben  wie in der Zeit, als er Jesus noch nicht kannte. Das monatelange Zusammensein mit Jesus wäre dann nur eine kleine Unterbrechung auf seinem Lebensweg gewesen, ein Irrtum und ein Abweichen von der geraden Linie.   

Die anderen Jünger scheinen erleichtert zu sein über diesen Vorschlag ihres Anführers. Sie haben der Stadt Jerusalem den Rücken gekehrt, wo all diese aufregender Ereignisse geschehen sind. Sie sind wieder in ihrer alten Heimat am See Genezareth. Hier wollen sie nun in der alten Weise wieder weitermachen und alle ihre Erwartungen mit dem Tod Jesu begraben seinlassen.

So wird es denen gehen, die vom Kirchentag zurückkommen. Dort war alles einfach: Da wurden Reden und Gottesdienste gehalten, da wurde geklatscht, da war eine prächtige Stimmung, man war unter sich. Aber zu Hause ist man dann wieder auf dem Boden der Wirklichkeit und muß die Alltagsprobleme bewältigen.

Aber manchmal wird eben auch unser Alltagstrott unterbrochen. Dann ereignet sich ein Todesfall in unsrer Umgebung oder es kommt ein wichtiger Besuch oder es ergibt sich eine einschneidende Veränderung im Beruf. Es kann auch durch ein besonderes Ereignis zu einer tieferen Begegnung mit Jesus kommen. Dann befassen wir uns eine Zeitlang mit ihm, gehen öfter zum Gottesdienst und lesen wieder einmal in der Bibel. Aber dann läßt der Schwung wieder nach und es beginnt wieder der alte Trott.

Ist Jesus nur eine Störung in unserem Leben, so wie wenn einmal der Strom ausfällt? Oder ist er der Strom, der unser Leben in Gang hält und voranbringt? Welches ist der Normalfall in unserem Leben: Ein Leben auf der Seite Jesu oder ein Leben meist ohne ihn? Selten wird einer seinen Weg ganz gradlinig gehen. Jeder glaubende Mensch wird auch einmal in Krisen kommen. Doch die Jünger sahen die ganze Zeit mit Jesus als eine Unterbrechung an, während für Jesus nur der Karfreitag eine Unterbrechung war. Er möchte die Jünger wieder in das alte Verhältnis zu ihm zurückbringen.

Im Morgengrauen sehen die Jünger vom Boot aus einen Mann am Ufer stehen. Nur undeutlich können sie die Umrisse sehen. Das soll auch so sein. Der Auferstandene soll ein Geheimnis bleiben. Er gehört nicht zu dieser Welt, so daß man nur genauer hinsehen und ihn notfalls anzuleuchten brauchte, um ihn zu erkennen. Er ist nur zu erkennen, wenn er selbst den Anfang macht und sich zu erkennen gibt. Aber das ist dann jedes Mal wie ein Wunder für den betreffenden Menschen.

In diesem Augenblick der Begegnung erkennt Petrus, daß er ja seinem eigentlichen Beruf untreu geworden ist. Er sollte ja Menschen fischen, sollte die Botschaft von Jesus weiter­sagen. Der Herr will nicht, daß seine Jünger hier am See Genezareth Fische fangen als sei nichts gewesen. Als Petrus das erkennt, schwenkt er sofort wieder um: Er springt aus dem Boot und watet durchs Wasser ans Ufer. Er packt mit zu, als die Fische an Land gezogen werden müssen. Das ist wieder der alte Petrus, den wir kennen.

Die anderen Jünger aber bleiben merkwürdig still. Sie wissen im Grunde alle, daß der Herr wieder bei ihnen ist. Aber sie können sich das doch nicht erklären. Jesus bleibt ihnen letztlich fremd und unnahbar. Auch Petrus, der auf seinen Herrn zustürzt, kommt ihm eigentlich noch nicht innerlich näher. Es ist mit dem Auferstandenen doch anders als früher. Sie können das alte Leben mit ihm nicht wiederaufnehmen, können nicht an die Zeit vor dem Karfreitag wieder anknüpfen.

Uns geht es nicht anders. Manchmal sind wir enttäuscht darüber. Wir möchten doch gern alles begreifen und in den Griff kriegen. Aber der Herr kommt und geht, wann er will. Er hilft uns, wenn er es für richtig hält und wenn es für uns gut ist. Er zeigt sich uns und er entzieht sich uns auch wieder. Er bleibt der Herr, wir sind ganz auf ihn angewiesen.

Jesus sagt nicht zu Petrus: „Du bist für mich erledigt“ oder „Schwamm drüber“. Er spricht ihn auf die Verfehlung in der Nacht der Verhaftung an. Aber mit der Frage: „Hast du mich lieb?“ Und er vergibt ihm

Jesus fragt seine Jünger: „Kinder, habt ihr denn nichts zu essen?“ Damit werden sie völlig bloßgestellt. Denn diese fleißigen und gut ausgebildeten Fischer haben nichts, das sie ihm anbieten könnten, nicht einmal einen Fisch. Sie hatten ihre Existenz aus eigener Kraft sichern wollen. Aber sie müssen gerade auf einem Gebiet ihre Schwäche erleben, auf dem sie doch eigentlich Fachleute sind. Der Leerlauf ihres alten Lebens wird ihnen dadurch erst so richtig deutlich.

Erst hielten sie ihren Herrn für machtlos und tot. Jetzt müssen sie selber ihre Machtlosigkeit erkennen. Sie müssen erst wieder lernen, was es heißt: „Ohne mich könnt ihr nichts tun!“ Nur der Befehl Jesu wird sie wieder aus der Verlegenheit herausbringen. Sie sollen noch einmal fischen gehen, jetzt aber im Auftrag ihres Herrn. Er braucht sie auch weiter in seiner Nachfolge, auch wenn sie in Jerusalem versagt haben. Wer erst einmal mit Jesus zu tun hatte, der kann nicht mehr in sein altes Leben zurückkehren.

Aber dann braucht Jesus den großen Fischzug gar nicht. Ehe die Jünger dafür sorgen können, ist alles zubereitet. Alles eigene Könner und Vermögen nutzt nichts, wenn Jesus nicht seine Zustimmung dazu gibt. Wir können nichts erhalten oder behalten, was der Herr nicht gibt. Und das bezieht sich nicht nur auf das tägliche Brot auf dem Tisch, auf die äußerliche Sicherung des Daseins.

Die Eingeweihten wissen längst: Hier handelt es sich um das Abendmahl, das Jesus mit seinen Jüngern feiert. Bis jetzt waren die Jünger immer noch unsicher. Aber nun wissen sie: Jesus ist bei uns! Das Abendmahl ist das Erkennungszeichen. Hier wird die Mahlgemeinschaft erneuert, die sie schon vor Karfreitag und Ostern hatten. Miteinander am Tisch zu sitzen und aus einem Topf zu essen ist Kennzeichen tiefster Verbundenheit. Jesus verbindet sich mit dem Seinen zu enger Lebens- und Dienstgemeinschaft.

Aber er verbindet sie damit auch untereinander. Das wird deutlich am Verhältnis des Petrus zu dem Lieblingsjünger. Hinter diesem dürfen wir Johannes vernuten. Er erkennt Jesus zuerst; aber er ist der stille Typ, der nicht gleich Entschlüsse faßt. Petrus aber ist resoluter, kämpft sich gleich durch das Wasser hindurch, will gleich Gewißheit haben. Petrus wird einmal den Märtyrertod sterben, Johannes aber viel später ganz undramatisch den Tod finden. Doch beide sind uneingeschränkt Jesu Jünger. Die Kirche des Johannes hat ihr Recht neben der Kirche des Petrus, denn sie sind beide durch den gleichen Herrn zusammengehalten. Die Verschiedenheit in  der Kirche widerspricht nicht ihrer Einheit.

Das Verbindende ist das Abendmahl. Vielleicht war der eine oder andere bei der Konfirmation zum letzten Mal beim Abendmahl gewesen. Es kam eine lange Zeit des Fernbleibens, alle Verbindungen schienen abgerissen. Aber es ist sehr einfach, den Herrn wiederzufinden: Man kann ihr immer wieder erkennen an den Worten: „Das ist mein Leib, das ist mein Blut!“ Dadurch wird die Gemeinschaft immer wieder hergestellt.

Aber wer in einer solchen Gemeinschaft lebt, wird auch immer wieder so wie die Jünger Jesu in seinen Dienst berufen. Die Gemeinschaft hat das Ziel der Mission. Auf eigene Faust zu fischen, das wäre allerdings vergeblich. Aber im Auftrag Jesu das Netz auswerfen, da kann man es bald nicht mehr ziehen vor der Menge der Fische. Im Altertum zählte man 153 Arten von Fischen. Bei der Menschenfischerei wird man Menschen aus allen Völkern gewinnen können. Die Gemeinde wird sehr farbenprächtig sein.

Wir werden vielleicht sagen: „Bei uns merkt man aber nichts davon, von den großen Fischen, die der Kirche ins Netz gehen!“ Nun, der Kirche sollen sie auch nicht ins Netz gehen, sondern der auferstandene Christus will sie ja zu sich holen. Es gibt aber Gebiete in der Welt, wo man die nach Christus Fragenden nur mit Mühe fassen und eingliedern kann. Aus Tansania wird zum Beispiel berichtet, daß man dort gar nicht genug Lehrer hat, um in den Schulen den gewünschten Religionsunterricht zu erteilen, und daß in zehn Jahren die Zahl der Gemeindeglie­der sich fast verdoppelt hat.

Auch heute noch wirft der Herr sein Netz aus und fängt einen reichen Fang. Auch wir könnten ihm ins Netz\ gehen und noch andere dabei mitziehen. Das wird nicht ohne Enttäuschungen und Rückschläge abgehen. Wenn wir jemanden zum Gottesdienst oder sonst einem Ereignis in der Kirche einladen, dann wird der Einladung nicht immer willig Folge geleistet. Und doch wird das Netz voll. Christus sorgt dafür, daß es voll wird und daß es auch zusammenhält. Immer wieder neu wird sein Netz voll. Darauf weist auch der Name dieses Sonntags: „Wie die Neugeborenen!“ Jesus wird auch uns neu machen, wenn wir uns in seine Gemeinschaft rufen lassen und uns in seinen Dienst stellen lassen.

 

 

Joh 21, 15 - 19 (Miserikordias Domini):

Es kommt vor, daß ein Klassefußballer einen schlechten Tag erwischt hat. Es gibt ja so Tage, wo nichts gelingt, wo man zwei linke Füße hat und alles daneben geht. Das Publikum pfeift und schimpft dann und ruft: „Laß dir dein Lehrgeld wiedergeben!“ Aber dann klappt erst recht nichts mehr. Dann ist all das vergessen, was der Mann sonst geleistet hat. Gestern noch der Liebling der Massen, heute schon in Grund und Boden verdammt.

Auch der Spielführer kann versagen. Vorher hat er noch dem Trainer versprochen: „Dieses wichtige Spiel gewinnen wir!“ Aber nun ist er selber eine Niete und verunsichert die ganze Mannschaft. Wenn schon der Anführer versagt, dann wird es mit den anderen nicht viel anders ergehen.

So war das im Grunde auch mit Petrus: Erst war er Jesu bester Mann. Man konnte sich hundertprozentig auf ihn verlassen, wenn er auch manchmal ein wenig ein Feuerkopf war. Aber was er als Sprecher der Zwölf tat, das taten die anderen auch. Aber nun hatte dieser Petrus kläglich versagt. Erst hatte er seinem Herrn Gefolgschaft bis in den Tod versprochen, obwohl ihn doch niemand dazu gedrängt hat. Er war ihm ja auch bis in den Hof des Hohenpriesters gefolgt. Aber dann hatte ihn die Angst gepackt und er hatte dreimal gesagt: „Ich kenne diesen Jesus nicht!“ Damit hatte er alles ausgelöscht, was vorher war. Petrus war ein gebrochener Mann.

Vielleicht haben wir auch schon einmal in ähnlicher Weise unseren Herrn verleugnet. Es wird doch immer einmal auf Gott und die Kirche geschimpft. Aber viele unserer Gemeindeglieder sind dann still und sagen keinen Ton. Und die kirchlich engagiert sind, haben dann einen schweren Stand, seien sie nun Kirchenvorsteher oder sonst wer. Nur gut, daß unser Herr dann keinen allein läßt und die wieder beauftragt, die versagt haben. Doch vorausgehen muß erst die Lossprechung.

Petrus wird losgesprochen: Petrus hatte sein inneres Konto überzogen, als er seine großspurigen Versprechungen machte. Doch nun ist er vor Jesus bloßgestellt. Er wird nicht mehr als Petrus, „der Fels“, angesprochen, sondern nur als „Simon, Sohn des Johannes“. Petrus wagt auch nicht, das Wort Jesu zu gebrauchen: „Hast du mich lieb?“ Jesus verwendet hier das Wort, das die Liebe zwischen Gott dem Vater und Gott dem Sohn bezeichnet. Petrus dagegen verwendet nur ein Wort, das man mit „gernhaben“ wiedergeben könnte.

Die zweite Frage Jesu fragt nach weniger und läßt den Vergleich mit den anderen Jüngern weg. Aber sie fragt wieder nach der Liebe und nicht nur nach dem Gernhaben. Da fragt Jesus, ob Petrus ihn wenigstens gernhat. Auch dies stellt er wohl in Frage. Dreimal muß Petrus gefragt werden, weil er den Herrn ja auch dreimal verleugnet hat: Dem Petrus wird nichts erlassen.

Petrus spürt die Sinnlosigkeit jeder Beteuerung. Vor ihm steht ja der Herr, vor dem niemand etwas verbergen kann. Es findet sich keine Spur von Selbstrechtfertigung, sondern nur die völlige Kapitulation: „Herr, du weißt alles!“ Künftig wird er nicht mehr der alte Petrus sein. Aber weil er seine Schuld nicht abstreitet, sondern sie bereut, wird sie ihm auch vergeben.

Natürlich hatte Petrus seinen Herrn immer liebgehabt. Aber es muß doch noch etwas gefehlt haben, sonst hätte es nicht zu einem solchen Versagen kommen können.

Petrus hatte gemeint, dies Fehlende aus eigener Kraft mit erzwingen zu können. Aber nun hat er lernen müssen: Die ganze Aktivität liegt bei Gott. Unsere Liebe empfängt ihre Kraft nur von der Liebe Gottes. Und was wir tun, ist nur Antwort auf das, was durch Gott schon geschehen ist.

Im Grunde erleben wir hier ein Beichtgespräch, auch wenn keine ausdrückliche Lossprechung von Sünden vorkommt. Doch es geht nicht nur darum, daß der Auferstandene sich seelsorgerlich um einen einzelnen Sünder müht. Es handelt sich ja um Petrus, und in ihm um die ganze

Kirche. Es wird deutlich: Ein Amtsträger der Kirche braucht für sein Christsein und für sein Amt nicht die Tadellosigkeit und Zuverlässigkeit eines Menschen, der nirgends aneckt und einbricht.

Es geht nur darum, daß er mit ganzem Herzen an ihm hängt und bereit ist zum Empfangen. Daß hier aber wirklich Vergebung geschehen ist, zeigt sich darin, daß auch ein Petrus wieder in sein altes Amt eingesetzt wird und einen neuen Auftrag erhält.

Petrus wird neu beauftragt: Wenn ein Fußballspieler versagt hat, wird der Trainer im ersten Augenblick enttäuscht sein. Aber er wird seinen besten Mann am nächsten Sonntag doch wieder aufstellen. Und dann wird er auch das wieder leisten, was man von ihm erwartet. So wird auch Petrus nach Ostern wieder von seinem Herrn in den Dienst gerufen. Damit wird nichts beschönigt, das Verhältnis zwischen Jesus und seinem Jünger war schon ernsthaft gestört. Aber Jesus macht aus diesem einmaligen Versagen keine Staatsaktion, sondern er hat dem Petrus schon längst vergeben, ehe er es ahnte.

Petrus hat ja dann auch nach Ostern viel im Sinne Jesu gewirkt: Er war der zweite Leiter der Gemeinde in Jerusalem und später Missionar in vielen Gemeinden. Und schließlich hat er doch noch den Tod gefunden, dem er erst aus dem Weg hatte gehen wollen. Wahrscheinlich ist er im Jahre 64 bei der Christenverfolgung durch Kaiser Nero in Rom gekreuzigt worden. In dem Buch und Film „Quo vadis“ wird das ja weiter ausgesponnen: Petrus will die Stadt verlassen, aber da begegnet ihm Jesus und fragt ihn: „Wohin gehst du?“ Da kehrt Petrus wieder um und nimmt das Kreuz auf sich.

Die Gemeinde weiß: Diesmal ist Petrus fest geblieben. Als junger Mann hat er noch über sich selbst verfügen wollen. Nun aber wird über ihn verfügt: Ein anderer hat ihn gegürtet und geführt, wo er nicht hin wollte. Wer selbst Pläne macht, mag nicht gern vom Gehorsam hören. Aber wer sich von Christus in Dienst stellen läßt, der wird von Station zu Station geführt. Das heißt nicht, daß man sich treiben lassen soll. Aber den allzumenschlichen Eigenwillen und die eigensüchtigen Wünsche muß man drangeben. Aber der uns führt, wird auf jeden Fall ein guter Hirte sein.

Man kann leicht fordern, ein jeder Christ müsse sein Kreuz auf sich nehmen und notfalls auch für seinen Glauben in den Tod gehen. So kann man reden, solange man noch mit der Möglichkeit rechnet, am Leiden vorbeizukommen. Aber keiner von uns muß wohl den Märtyrertod erwarten. Aber es könnte schon sein, daß man gerade durch schwere Ereignisse besondere Erfahrungen mit Gott macht und sogar zum Lob Gottes geführt wird.

Petrus jedenfalls darf die Erfahrung machen: Wenn Jesus ihn wieder in sein Amt einsetzt, dann macht er ihn auch dazu fähig. Er läßt seinen Helfer nicht allein, sondern steht ihm mit Rat und Tat zur Seite. Jesus ist der gute Hirte, der für die Gemeindeglieder und auch für die Leiter der Gemeinde da ist. E r ist es, der jedem an seinem Ort die Kraft gibt für den Auftrag.

Wenn man Konfirmanden fragt: „Wer ist denn das Haupt der Gemeinde?“ dann kommt oft die Antwort: „Der Pfarrer!“ Aber Jesus versteht es hier anders. Er sagt zu Petrus: „Weide meine Lämmer!“ Sie gehören also ihm, und Petrus ist nur ein Angestellter des Oberhirten Jesus. Sein Auftrag geht nur solange, wie Jesus ihn in diesem Amt haben will. Die Gemeinde gehört nicht dem Pfarrer oder sonst einem Gemeindeleiter, sondern Christus. Es geht nicht um das Leiten, sondern um das Weiden, d.h. um Fürsorge und Schutz vor äußeren Gefahren und innerer Zersetzung.

Der Herr regiert die Gemeinde - durch das Amt in der Gemeinde. Das „Weiden“ aber geschieht allein durch die Gnadenmittel, durch die Predigt, die Darbietung der Sakramente und die Lossprechung von Sünden. Das gepredigte Wort bindet auch den Prediger. Geistlich regiert werden kann die Kirche nur im völligen Gehorsam gegenüber dem Herrn der Kirche, der auf alle Eigenmächtigkeiten verzichtet.

Der mit der Leitung Beauftragte ist dennoch immer ein Sünder. Oft wird es immer noch anders gesehen: Wer in der Kirche eine Funktion hat, muß etwas anderes sein als die üblichen Christen; wenn er sich dann etwas zuschulden kommen läßt, wiegt das weit schwerer als bei anderen. Dabei ist er auch nichts anderes als ein begnadigter Sünder. Christus baut seine ganze Kirche aus lauter Sündern und Versagern. Auch die Pfarrer und sonstigen Gemeindeleiter sind davon nicht ausgenommen.

Der Pfarrer ist nicht der Trainer, sondern bestenfalls der Spielführer der Mannschaft. Er spielt selber mit und ist nicht mehr als die anderen Spieler auch. Vielleicht hat er eine besonders wichtige Aufgabe. Aber er ist dabei doch voll und ganz auf die anderen Mitspieler angewiesen. Wenn einer alles allein schaffen will, rennt er sich meist in der gegnerischen Abwehr fest. Nur gemeinsam kann man die anderen ausspielen und dann auch gemeinsam zum Erfolg kommen.

Auch ein Pfarrer macht natürlich einmal Fehler. Und je länger er in einer Gemeinde ist, desto mehr Leute werden vielleicht auf ihn schimpfen. Vielleicht hat er ihnen im Gehorsam gegen den Herrn der Kirche einen Wunsch nicht erfüllt, zum Beispiel eine Patenbescheinigung

versagt. Vielleicht hat er sich auch wirklich einmal geirrt und die Schuld liegt bei ihm. Wer nichts macht, der macht auch keine Fehler. Aber wenn etwas passiert ist, geht die Welt noch nicht unter.

Es kann doch einmal eine Predigt oder ein Gottesdienst schlecht gewesen sein. Aber deswegen muß man doch am nächsten Sonntag wieder auf die Kanzel steigen und Gottes Wort verkünden. Was ein echter Fußballanhänger ist, der geht jeden Sonntag auf den Sportplatz,

bei Wind und Wetter, und auch wenn ein Spiel einmal schlecht war. Und was ein echter Christ ist, der läßt sich auch nicht abhalten, wenn er einmal enttäuscht wurde oder sonst einen Ärger hatte. Alle zusammen, Pfarrer und die anderen Gemeindeglieder, kämpfen um den Sieg. Die Mannschaft soll gut abschneiden und der Trainer hinterher zufrieden sein. Er braucht alle für den Dienst in der Gemeinde!

 

 

 

 

 

 

 

Apostelgeschichte

 

 

Apg 1, 3-11 (Himmelfahrt):

Wenn man einen Menschen auf der Straße fragt, was er sich unter „Himmelfahrt“ vorstellt, dann macht er die typische Handbewegung von unten nach oben und sieht dabei in den Himmel. Das ist selbst bei Kindern und Jugendlichen so, die den kirchlichen Unterricht durchlaufen haben und es dort anders gehört haben. Deshalb wollen wir es heute erneut versuchen, die Blickrichtung umzudrehen und mehr von oben nach unten zu blicken.

Wir machen uns ja oftmals immer noch Gedanken darüber, wie die Himmelfahrt Jesu in Wirklichkeit vor sich gegangen sein soll. Aber der Hauptinhalt ist dabei die Sendung der Jünger und die Verheißung des Heiligen Geistes. In der damaligen Zeit gab es ganz andere Himmelfahrtserzählungen, mit vielen unglaublichen Ausschmückungen. Hier ist nur ganz knapp die Tatsache der Himmelfahrt mitgeteilt, es wird mehr verhüllt als erläutert. Die Wolke ist nicht das Fahrzeug, das Jesus in den Himmel bringt, sondern sie verhüllt Jesus nur und entzieht ihn dem Blick der Zurückbleibenden. Es geht nicht um Himmelfahrt, sondern um die „Erhöhung“ Jesu, also das „Sitzen zur Rechten Gottes“ und die Mitbeteiligung an der Herrschaft Gottes über die Welt. Und unser Augenmerk soll mehr auf die letzte Rede des Auferstandenen an seine Jünger gelenkt werden.

Dadurch wurde der jungen christlichen Gemeinde wieder eine Zukunft eröffnet. Sie war nämlich nicht mit dem Problem fertig geworden, daß das Reich Gottes noch nicht gleich angebrochen ist. Es bestand die Gefahr, daß man den Kopf hängen ließ oder sich gar wieder vom Glauben an den auferstandenen Christus abwenden wollte. Deswegen schafft Lukas hier eine Gliederung mit genauen Zeitangaben und sagt: Es geht alles der Reihe nach, eins muß nach dem anderen kommen. Jetzt ist erst einmal die Zeit der Kirche und der Mission. Ihr habt Aufgaben in der Welt, ihr seid immer unterwegs und habt ein Ziel. Dorthin habt ihr den Blick zu lenken und nicht in den Himmel zu starren. Jesus wird schon wiederkommen. Aber er allein bestimmt den Zeitpunkt, an dem das Zeugesein ein Ende findet. Ihr habt nicht zu fragen: „Wann wird das sein?“ sondern ihr sollt fragen: „Was haben wir zu tun?“

 

(1.) Die Geschichte der Kirche ist das Werk des Erhöhten: Die Spanne zwischen der Himmelfahrt und der Wiederkunft Christi ist die Zeit der Kirchengeschichte und der Ausbreitung des Evangeliums in der Welt. Nur deshalb hat Lukas sein Evangelium und danach dann die Apostelgeschichte geschrieben. Damit blickt er zurück auf das Leben Jesu, aber er blickt vor allem auch nach vorne.

Die Kirche lebt nicht von der Erinnerung an das Vergangene, sondern sie lebt mit dem, von dem die Evangelien erzählen, der heute aber vor allem in der Kirche gegenwärtig ist. Die Geschichte der Kirche besteht nicht aus den Spätwirkungen eines Mannes, der vor langer Zeit als eine Art Religionsstifter gelebt und gewirkt hat. Er hätte dann nur gewisse Impulse gegeben, wie eine Rangierlok, deren Stoß sich durch sämtliche Wagen im Zug fortpflanzt und dabei immer mehr abnimmt. Der Erhöhte wirkt jedoch auch heute sozusagen „senkrecht von oben“ auf seine Kirche und die Welt ein. Natürlich wirken in der Kirche auch die Menschen und Verhältnisse, weltliche Mächte und Gedanken. Aber in ihnen verborgen und sie benutzend regiert der Erhöhte seine Kirche und damit auch die Welt. Während Ostern uns sagt: „Er lebt!“, so bringt „Himmelfahrt“ zum Ausdruck „Er regiert!“

 

(2.) Die Geschichte der Kirche ist das Werk des Gepredigten: Man könnte enttäuscht sein: Christus bleibt in der Wolke, er schickt nur seine Leute vor. Es wäre doch besser, wenn er auch weiterhin hervorträte und die Frage beantwortete „Wo ist nun dein Gott?“ Nur glauben und nicht sehen, das ist eine harte Sache. Er sollte lieber aus seiner Unsichtbarkeit heraustreten und dafür sorgen, daß niemand mehr arm sein muß oder unterdrückt wird oder stirbt am Hunger oder am Krebs oder am Krieg. Wenn Christus schon erhöht ist, dann schreit doch alles nach einer öffentlichen Machtausübung.

Die Kirche kann da nur ein schlichter Ersatz sein. Der himmlische Herr mag zwar gut sein, aber sein „Bodenpersonal“, das ist oft zum Davonlaufen. Die Christen dürften an sich alle keine Sünder mehr sein. Und sie müßten die Kraft haben, die Herrschaft ihres Herrn umzusetzen. Die Kirche ist aber von den Tagen der Apostel an eine kritikwürdige Größe.

Aber darin liegt auch ein Trost: Die Kirche ist nicht nur etwas für die Könner, die Entschlußkräftigen und Mächtigen. Christus tut sein Werk mit einer wenig überzeugenden und höchst anfechtbaren Kirche. In dieser gibt es eben so etwas wie die Trunkenheitsfahrt der Bischöfin Käßmann und die Schläge des Bischofs Mixa und all das andere, da uns in diesen Tagen so bewegt.

Aber es bleibt der Auftrag, Zeugen zu sein, also das auszusagen, was sie als Zeugen gesehen haben. Christus ist der Welt bekannt zu machen. Christus bedient sich nicht der Mittel der Wirtschaft und der Politik, sondern seine Nachfolger haben nur das Wort und müssen so wie er notfalls auch bereit sein zum Leiden. So hat zum Beispiel schon Paulus sich voll eingesetzt und den Befehl zur weltweiten Mission ernst genommen und sich keine Ruhe gegönnt. Und dabei hat er in seinem ganzen Leben weniger Leute erreicht als heute ein Prediger, der sich des Rundfunks oder des Fernsehens bedient.

Aber den Dienst für Christus darf man nicht beginnen, ohne vorher der Geist Gottes erhalten zu haben. Die Kirche soll nichts auf eigene Faust und im Vertrauen auf sich selbst tun. Das geschieht aber, wenn man Unternehmensberatungsfirmen heranzieht wie MacKinsey. Die sagen dann: „Ihr müßt euer Personal ausdünnen, also weniger Pfarrer anstellen, dann rechnet sich das wirtschaftlich wieder!“ Doch wenn man kein Personal hat, kann man auch keine Menschen gewinnen. Und man kann auch nicht alles auf die Ehrenamtlichen abwälzen, obwohl diese unverzichtbar sind.

Das kann bedeuten, daß man warten muß, bis die Stunde schlägt. Manchmal zuckt es in den Händen, da möchte man neue Methoden ausprobieren und Aktionen starten. Nichts gegen das alles, wenn es im Dienst des Geistes Gottes geschieht. Es gibt auch Zeiten, in denen die Türen verschlossen sind oder in denen wir die eigene Schwäche besonders spüren. Aber Christus behält die Dinge in der Hand. Er gibt den Geist, wann und wo er will. Oft können wir nur staunen, was der Herr mit einer solchen Kirche, wie wir es sind, fertigbringt.

 

(3.) Die Geschichte der Kirche ist das Werk des Kommenden: Die Frage der Jünger nach der Aufrichtung des Gottesreiches wird beantwortet mit der Zusage: „Der Herr wird kommen, wie er aufgefahren ist!“ Ein französischer Theologe hat etwas spöttisch gesagt: „Jesus hat das Reich Gottes verkündet, aber gekommen ist die Kirche!“ Die Kirche ist immerhin die Zwischengestalt des Reiches Gottes. Auch wenn sie oft schwach ist, so wirkt und regiert Christus in ihr tatsächlich. Die Kirchengeschichte ist zum Glück nicht nur eine lange Kette von Peinlichkeiten. Durch sie sind wirklich Menschen auf Gott aufmerksam geworden. Jesus hat wirklich auf eine sanfte Art und Weise Macht gewonnen. Hier werden Sünden vergeben, Menschen finden zueinander und werden bereit zum Dienst an anderen. Neue Freude entsteht in der Hoffnung auf den kommenden Christus.

Aber diese Unterwegskirche ruht sich nicht aus auf dem, was sie hat. Das Warten auf den kommenden Christus geschieht gerade dann nicht in der rechten Weise, wenn man wie gebannt zum Himmel schaut. Unser Blick wird herumgedreht: Wenn wir mit der Wiederkunft Christi rechnen, dann haben wir keine Zeit zu verlieren. Die Aussicht auf den Kommenden macht uns mutig, die Aufgaben anzupacken, hier in unsrer Gemeinde und an der Welt, das heißt aber: In unserer unmittelbaren Umgebung.

Zeuge zu sein bis an das Ende der Erde, das bedeutet in unsrer Zeit vor allem, auch der gottfernen Welt das Heil in Jesus Christus ausdrücklich zu bezeugen. Sich vor eine christliche Gemeinde zu stellen und ein sogenanntes „Zeugnis“ abzulegen, das ist nicht einmal besonders schwer. Aber einmal die Fernstehenden anzusprechen oder mit Ungläubigen zu diskutieren, das ist erst wirkliches Zeugesein.

Heute ist Mission in allen fünf Kontinenten nötig, vor allem auch bei uns. Wir können dabei nicht darauf warten, daß nun Afrikaner zu uns kommen und hier als Missionare tätig sind. Wir sind selber alle Missionare in unserem eigenen Land. Schließlich haben wir ja nicht mehr auf den Heiligen Geist zu warten, wie die Jünger Jesu vor Pfingsten, uns ist der Heilige Geist ja schon gegeben durch die Taufe. Aber er wird seine Kraft nur dann erweisen, wenn wir

uns auch tat

 

 

Apg 2, 1 - 18 (Pfingsten I):

Auf dem Fußballplatz kann man sehr oft erleben, wie die Menschen außer Rand und Band geraten. Leute, die sonst eigentlich ganz vernünftig sind und am Werktag als friedliche Bürger gelten, die verwandeln sich auf einmal in ganz andere Menschen: Wenn ein Spieler der eigenen Mannschaft mit dem Ball dem gegnerischen Tor zustrebt, dann wird geschrien und ins Horn getutet, daß man sein eigenes Wort nicht mehr versteht. Und wenn, ein Tor gefallen ist, dann kennt die Begeisterung keine Grenzen. Würdige Familienväter toben herum wie Schuljungen. Wenn aber ein Anhänger der anderen dazwischen sitzt, dann wird er am Ende noch mit Schirmen und Fäusten bearbeitet. Und wenn die Fußballeuropameisterschaft oder die Weltmeisterschaft im Fernsehen übertragen wird, dann erlebt man entsprechende Szenen vor dem Fernsehapparat.

Hinter diesen, Menschen steckt doch eine Kraft, die erst diese Begeisterung hervorruft. Es kommt einem manchmal so vor, als sei ein neuer Geist in sie gefahren. Das ist oft wie ein Massenrausch, in dem der Einzelne restlos untergeht, die Kontrolle über sich verliert und nachher nicht mehr weiß, was mit ihm geschehen ist.

Auch in die Jünger Jesu ist ein neuer Geist gefahren bei jenem ersten Pfingstfest in Jerusalem. Erst waren sie verschüchtert und ängstlich gewesen. Sie hatten sich in ihre Häuser verkrochen und wagten sich nicht zu regen. Aber dann passiert etwas, das wie Feuer von oben ist, das Klarheit im Inneren schafft und zu einer Bewegung nach außen führt.

 

(1.) Gottes Geist ist wie Feuer von oben: Die Jünger Jesu zeigen auf einmal ein ganz unerwartetes Verhalten. Sie stehen auf einmal vor einer großen Menschenmenge und reden frei und offen von diesem Jesus, der vor einigen Wochen als Hochverräter und Gotteslästerer hingerichtet worden ist. Keiner von ihnen steht allein Keiner versteckte sich hinter dem anderen. Aber Petrus ist auch nicht der Einzige, der den Geist gepachtet hat, sondern die ganze Gemeinde ist erfüllt von den Gaben des Geistes.

Es sind elf Männer, aber keine Fußballmannschaft, sondern die Mannschaft Gottes. Es sind Durchschnittsmenschen aus dem Volk Israel, nicht Spieler, die man aus allen Ländern der Erde zusammengekauft hat. Viel Staat ist mit ihnen nicht zu machen: als ihr Mannschaftskapitän verhaftet wurde, sind sie davongelaufen. Im Grunde waren sie schon abgestiegen.

Doch plötzlich meldeten sie sich wieder zu Wort und stießen sogar zur Weltklasse vor. So könnte man es einmal mit einem Bild sagen.

So wie Menschen auf dem Fußballplatz begeistert sind, so darf auch ein Christ begeistert sein, wenn er von Jesus erzählen will. Nur ruft er nicht „Tor“ oder „Bravo“, sondern „Halleluja, gelobt sei Gott!“ Das „Halleluja“ ist gewissermaßen das „Hurra“ der Christen.

Doch die Kirche lebt nicht von dem, was Menschen in sich haben und nur zu entfalten brau­chten. Sie lebt von dem, was von außen auf die zukommt, was gewissermaßen wie ein Feuer von oben ist. Hier wurde nichts vorausgesehen und vorbereitet oder gar manipuliert. Es ist einfach über sie gekommen, als Gott seinen Geist ausgegossen hat. Aber erzwingen kann man nichts. Man kann nur darum beten. Die Jünger selbst haben warten müssen. Aber es kann der Kirche nichts Besseres geschehen, als daß sie begreift, wie nötig sie ihren Gott doch letztendlich hat.

Es gehört in der Tat schon ein gewisser Mut dazu, von Jesus frei und offen zu reden, damals wie heute. Wir brauchen die Kraft des Heiligen Geistes, wenn es gegen die Kirche geht, und sei es auch nur in einer so ganz äußerlichen Frage wie der Kirchensteuer.

Jedes Gemeindeglied ist da gefordert. Petrus und die anderen Jünger waren ja auch im Grunde ganz arme Kerle, die nirgendwo gelernt hatten, wie man vor so vielen Leuten spricht. Sie waren einfache Fischer und Handwerker, nicht gebildet und geschult.

Das Einzige, was ihnen helfen konnte: Sie hatten Jesus zugehört! Das ist in der Tat die einzige Voraussetzung, um Bote Gottes zu werden: erst auftanken, dann losfahren - und das Nachfüllen nicht vergessen. Hier der Gottesdienst ist die Tankstelle, in der wir uns immer wieder neue Kraft holen. Den Kraftstoff gibt Gott uns gratis. Aber wir müssen ihn uns abholen.

Allerdings sind wir wohl alle andere Typen von Menschen als die erste Gemeinde in Jerusalem bei jenem ersten Pfingstfest. Wir brauchen nicht zu befürchten, es könne heute ähnlich ergehen, denn wir leben in einer gemäßigten Zone. Vielleicht fehlt uns deshalb etwas. Manchmal blicken wir neidisch auf große Erweckungsbewegungen in Gemeinden der USA (besonders bei dem Schwarzen) oder in Indonesien. Auch bei uns ist es zu begrüßen, wenn das frohmachende Wort Gottes die Menschen ergreift und erneuert.

Aber allzuviel Geistergriffenheit würde für viele von uns eher ein Hindernis sein, Zutrauen zu Christus zu gewinnen. Wir erleben sie auch, aber in etwas kühlerer und stillerer Weisen. Es muß nicht so zugehen wie damals in Jerusalem. Der Geist kann auch auf andere Art und Weise ergreifen, er ist nicht an bestimmte Formen des religiösen Lebens gebunden.

 

(2.) Gottes Geist gibt Klarheit im Inneren: Es ist durchaus gesund und normal, wenn Menschen aus sich „herausgehen“ können, in Ekstase geraten, wenn sie Christus entdeckt haben. Auch ein Petrus war vom Geist erfaßt. Aber er spricht nüchtern und klar. Seine Predigt

war eine Wirkung des Geistes Gottes, und auch was danach kam. Der Heilige Geist liebt nicht den Nebel, sondern die Klarheit. Darum bindet er sich an das gepredigte Wort, er wirkt nicht an Christus vorbei, sondern wird durch die Predigt von Christus gegeben.

Aber diese sollte sachlich und nüchtern sein. Es gibt auch eine bestimmte Art frommer Rede, die heute viele Leute einfach abstößt. Es gibt ja Christen, die meinen, sie hätten den Heiligen Geist allein gepachtet. Und dann sprudeln sie alles Mögliche über andere her und lassen sie gar nicht zu Wort kommen. Sie wollen ein „Zeugnis“ von Jesus ablegen, gebrauchen aber dazu Worte, mit denen nur die Eingeweihten etwas anfangen können. Und das Ergebnis ist dann leider, daß man nur über sie lacht und nicht auf die Sache hört.

Es gibt allerdings auch eine echte Begeisterung, die man nicht einfach als Schwärmerei abtun kann. An Pfingsten wird uns aber eher unsere Armut an Lebendigkeit und Bewegtheit bewußt. Der Heilige Geist ist halt nicht verfügbar, er kommt nicht auf Bestellung. Aber es kann auch Augenblicke im Leben geben, wo man von Gott und vom Glauben wirklich begeistert ist, und das müssen nicht unbedingt besonders fromme Augenblicke sein.

Aber Gottes Sache bleibt dabei immer dieselbe. Luther sagt einmal in einer Pfingstpredigt: „Der Heilige Geist predigt nur Christus, der arme Heilige Geist weiß sonst nichts. Einen Harfenspieler lachen die Leute aus, wenn er auf einer Harfe spielt, die nur noch eine einzige Saite hat. So geht es dem Heiligen Geist, er kann nur auf einer Saite spielen: Christus allein!“

Aber auch wenn man immer nur dieses „Christus allein“ einhämmern kann, dann macht doch der Ton die Musik. Langweiligkeit ist eine schlechte Reklame für Christus. Und verständlich muß die Rede doch auch sein. Als die Jünger noch alle durcheinander redeten, hat sie niemand verstanden. Erst als Petrus eine wohlgeformte Predigt hielt, ließen sich die Leute überzeugen.

Unser Kirchendeutsch, das noch aus der Zeit Luthers stammt, wird heute kaum noch jemanden ansprechen, der nicht schon vorher etwas davon gehört hat. Wenn wir überhaupt auf andere einwirken wollen und sie überzeugen wollen, dann müssen wir schon in der Sprache unserer Zeit reden und unseren Glauben auch mit eigenen Worten ausdrücken. Der Katechismus mag eine Hilfe sein, er gibt eine gute Gliederung, aber man muß den Glauben auch mit eigenen Worten formulieren können.

 

(3) Gottes Geist führt zu einer Bewegung nach außen: Eine kleine Gemeinde wagte es, an die Öffentlichkeit zu gehen, und hat Tausende gewonnen. Sie hat sich nicht vor lauter Angst in ihr Schneckenhaus verkrochen, um nur ja nicht aufzufallen oder irgendwelche Nachteile zu haben. Wenn die Jünger Jesu damals so gedacht hätten, dann wäre es aus gewesen mit der Jesusbewegung.

Heute sind wir die Jünger Jesu. Heute entscheiden wir darüber, ob es mit der Sache Jesu weitergeht. Wenn wir immer nur den Mund halten, kann es damit ja nichts werden. Wir könnten natürlich auch sagen: „Wir beschränken uns auf unseren eigenen Club, dort werden wir ja verstanden und sind uns einig!“ Aber dann hätten wir ja gerade unsren Auftrag verfehlt. An Pfingsten haben sie angefangen mit der Mission. Aber die Aufgabe ist heute noch genauso groß wie damals. Es genügt nicht, wenn wir unsren Glauben für uns behalten und uns auf die beschränken, die sowieso da sind.

Die Jünger Jesu haben nicht so gedacht. Im Grunde konnten sie auch gar nicht anders, als immer wieder von allem zu erzählen. In ihnen steckte einfach eine Kraft, die sie dazu antrieb. Sie empfanden sie wie Feuer und Sturm, der in sie gefahren war, nicht eine Wirkung des Alkohols, sondern eine revolutionäre Kraft, die alles neu macht. Jetzt war der Damm gebrochen und alle Hemmungen beseitigt.

Wenn es nun heute so einer Erweckung solchen Ausmaßes käme? Da wären wir als Kirche wohl sehr überfordert. Es gibt ja ganze Gruppen von Menschen, die die Kirche suchen Nichtangepaßte Jugendliche, Umweltschützer, Menschenrechtler. Das gibt doch allerhand Probleme, wenn wir sie einerseits ernstnehmen wollen, aber auch unsren Auftrag nicht verleugnen wollen.

Vielfach sprechen wir eine andere Sprache als diese Leute. Es sind zwar die gleichen Worte, aber deshalb braucht man sich doch noch nicht zu verstehen. Auch bei uns könnte ein Sprachenwunder nötig sein. Die Verwirrung der Sprachen beim Turmbau zu Babel wurde an Pfingsten aufgehoben. Der Geist Gottes führt zusammen und überspringt die Grenzen der Sprachen und Nationen, Fragen und Probleme.

Aber diese sollte sachlich und nüchtern sein. Es gibt auch eine bestimmte Art frommer Rede, die heute viele Leute einfach abstößt. Es gibt ja Christen, die meinen, sie hätten den Heiligen Geist allein gepachtet. Und dann sprudeln sie alles Mögliche über andere her und lassen sie gar nicht zu Wort kommen. Sie wollen ein „Zeugnis“ von Jesus ablegen, gebrauchen aber dazu Worte, mit denen nur die Eingeweihten etwas anfangen können. Und das Ergebnis ist dann leider, daß man nur über sie lacht und nicht auf die Sache hört.

In der Kirche finden Menschen zusammen und sind ein Herz und eine Seele und verstehen sich oft besser als Verwandte. Aus verschiedenen Ländern kommen sie zusammen und sind sofort auf der gleichen Wellenlänge. Das gibt auch Kraft, nach außen zu wirken. Pfingsten will uns dazu Mut machen. Das Fest will uns an unsre Taufe erinnern, in der uns der Heilige Geist geschenkt wurde, diese Kraft Gottes, die uns fähig macht, zu allen Menschen frei und offen von unsrem Glauben zu reden.

 

 

Apostelgeschichte 2,22-23.32-33.36-39 (Pfingstmontag):

Es hat schon manchmal schlecht ausgesehen um die Kirche. Schon den Wochen vor dem er­sten Pfingstfest sah es so aus, als sei alles erledigt. Aber der von Jesus verheißene Geist Gottes hat die Gemeinde neu zusammengeschlossen und zur unüberwindlichen Kirche gemacht. Natürlich kann man sich auch gegen diese Kraft sperren und sich wieder von der Gemeinde abspalten. Wer aber erst einmal im falschen Eisenbahnzug sitzt, kommt nie ans richtige Ziel. Er kann dann zwar einem alten Mann einen Sitzplatz anbieten oder einer Frau den Koffer ins Gepäcknetz heben. Das nennt man dann „Humanismus“. Man kommt dann zwar auch irgend­wo an. Aber  in Wahrheit läuft alles falsch.

Im Grunde kann man auch nicht zweigleisig nebeneinander her fahren, hier Humanismus und dort Christentum. Denn bei der Eisenbahn gibt es auf der linken Strecke immer Gegenverkehr und es kommt dann zum Zusammenstoß. Es fährt nur der Zug weiter, der auf dem rechten Gleis ist. Es kommt alles darauf an, daß wir im richtigen Zug sitzen. Aber wir können immer noch umsteigen.

Dazu fordert Petrus in seiner Pfingstpredigt alle Menschen auf. Sicherlich hat Lukas in seiner nachträglichen Schilderung etwas übertrieben, denn ohne Lautsprecher kann man kaum zu 3.000 Menschen sprechen und man kann sie auch nur schwer auf einmal taufen. Aber ihm geht es um das Grundsätzliche. Er will sagen: Jetzt gibt es nicht mehr nur das kleine Grüpp­chen, das Jesus um sich geschart hat, sondern es geht jetzt auf die weltweite Kirche zu. Gott hatte es von Anfang an darauf abgesehen.

Aber die Kirche ist kein von Menschen entworfenes und geplantes Wirtschaftsunternehmen, sondern sie ist durch den Geist Gottes ins Leben gerufen worden. Das sogenannte „Sprachenwunder“ - daß sie sich nämlich auf einmal alle verstehen können - ist dabei nur der Einstieg. Die Predigt führt bald zu der Sache selbst, zu der Botschaft vom Leben, Leiden und Auferstehen Jesu. Aber wenn diese innere Einheit dann da ist, dann spielen auch die Sprachunter­schiede nicht mehr so eine große Rolle. Das Wunder an Pfingsten besteht darin, daß das Wort durchs Herz geht, daß die Taufe den Geist vermittelt und daß die Kirche die Nahen und Fernen vereint.

 

1. Das Wort geht durchs Herz:

Wer Herzrhythmusstörungen hat, der weiß, wie das ist, wenn „etwas durchs Herz“ geht: Dann bleibt das Herz einen Augenblick stehen, um dann durch zwei schnelle Schläge wieder in den richtigen Rhythmus hineinzukommen. Das ist meist mit der Angst verbunden, es könnte ganz stehen bleiben. Aber letztlich ist man doch froh, wenn es weitergeht. In schwereren Fällen wird ein Herzschrittmacher eingebaut, der dann bei Bedarf den Herzrhythmus zuverlässig regelt.

So kann es auch beim Glauben gehen: Erst stockt das Herz, weil man plötzlich erkennt, daß bisher alles falsch gelaufen ist. Dann aber greift der Geist Gottes ein und bringt alles wieder in die richtige Spur und hält diese auch zuverlässig ein. So hat auch die Predigt des Petrus die verhärtesten Herzen der Zuhörer aufgeschlossen, weil der Geist Gottes in seinen Worten wirksam war.

Der göttliche Geist kommt nicht nur von außen. Er wirkt nicht nur in außerordentlichen Vorgängen und Erscheinungen wie Prophetie und Zungenreden. Er erweist vor allem in dem was, im Herzen vorgeht. Unser natürliches Menschsein wird nicht ausgeschaltet oder übergangen, sondern es wird in Dienst genommen und erfüllt. Der Geist wendet sich nicht nur an unseren Verstand, sondern an unsere Personmitte, in der alle Kräfte und Regungen unseres Menschseins zusammenlaufen und ihren Ursprung haben.

Wem etwas durchs Herz geht, der ist in seinem ganzen Menschsein betroffen und wird ganz in Anspruch genommen. Er kann beunruhigt oder gefragt sein, aber auch beglückt und befreit. Wenn man aber über die eigene Lage unruhig geworden ist, wird man sich selbst auch ganz anders sehen lernen.

Petrus mutet den Leuten dabei etwas zu. Das war keine Predigt für die Durchschnittsfrommen. Es nutzt nämlich gar nichts, wenn man die christliche Botschaft glattzuhobeln versucht, um damit mehr Erfolg zu haben. Vielmehr ist hier etwas Unerhörtes zu entdecken. Petrus sagt unmißverständlich, daß jetzt die Stunde geschlagen hat. Jetzt geht es nicht mehr um allgemeine Wahrheiten

Jetzt wird Jesus in den Mittelpunkt gestellt. Sein Auftreten hätte die Menschen aufmerksam machen müssen wegen seiner Machttaten und Wunder. Aber Petrus wirft ihnen vor: Ihr habt ihn kreuzigen lassen! Aber dann hat er etwas Überraschendes mitzuteilen: Gott selbst hat es so gewollt. Das entlastet euch nicht. Aber es ist nicht vorbei mit dem gekreuzigten Christus. Was ihr gerade erlebt habt - die Ausgießung des Heiligen Geistes - das ist sein Werk. Gott hat Jesus zum Christus gemacht, er ist noch da, jetzt erst recht.

Man hätte erwarten können, daß die Leute diesen Petrus empört von der Bühne geholt hätten. Aber das Gegenteil tritt ein: Sie sind betroffen und sehen ihren tiefen Irrtum ein. Aber diese völlig neue Sicht der Dinge ist die Wirkung des Geistes Gottes. Das hat auch der Dichter Heinrich Heine erfahren: Er war ein entschiedener Gegner des Christentums, hat ätzende Kommentare gegen Christus geschrieben, um dann im Alter zu sagen: „Zerschlagen ist die alte Leier am Felsen, welcher Christus heißt!“

Dabei handelt es sich aber nicht um das Begreifen einer neuen Lage, die man nur zähne­knirschend eingesteht, so wie ein Feldherr einsieht, daß er die Schlacht verloren hat. Ist das Herz betroffen, dann ist der Mensch innerlich überwunden und das sonst so rechthaberische Herz sieht sein Unrecht ein.

 

2. Die Taufe vermittelt den Geist:

Als die „Männer von Israel“ fragen, was nun zu tun sei, antwortet Petrus nicht. „Ihr habt verspielt, für euch ist nichts mehr drin!“ Er hat sie zunächst erschreckt und nicht getröstet. Aber der Zuspruch des Evangeliums folgt dann doch. Petrus antwortet: „Tut Buße!“ Damit meint er einmal ein rückschauendes Nachdenken über das Vergangene, aber auch einen Wandel des Denkens und der Gesinnung und die Umkehr zu Gott. Er sagt: „Ihr sollt und könnt noch anders werden!“

Das ist auch die große Chance für uns, die wir doch auch vieles falsch gemacht haben im Leben. Gott gibt die Möglichkeit zur Umkehr. Diese ist nicht allein unsere Tat, sondern sie ist einbezogen in das große Heilshandeln Gottes. Die sich schuldig gemacht haben, bekommen die Erlaubnis, zu ihrem Gott zurückzukehren.

Damals wurde das äußerlich sichtbar in der Taufe. Durch die Taufe wird man Christus übereignet, wird mit seinem Namen zusammengeschrieben. Das bedeutet aber auch die Vergebung der Sünden und die Tilgung der ganzen bösen Vergangenheit. Sie gibt aber auch den Geist als ein Geschenk Gottes und ein neues Leben. Hier geht eine Tür auf für die, die gerade noch so betroffen waren.

Die Taufe ist aber nicht nur so eine symbolische Handlung, sondern sie bewirkt Abwaschung von Süden und Übereignung an Gott in Christus und sie verleiht den Geist. Da wir alle schon getauft sind, dürfen wir uns darauf verlassen: Was auch geschehen mag, nichts kann uns von Gott trennen. Wir sind nun einmal getauft und gehören damit zu Gott und dürfen uns darauf verlassen, daß der Geist Gottes an uns wirkt.

3. Die Kirche vereint die Nahen und Fernen:

In unserem Leben sind wir nicht allein, sondern wir haben die Gemeinschaft der Kirche als Hilfe. Petrus bezieht die Verheißung des Propheten Joel von der Ausgießung des Heiligen Geistes auf die an Pfingsten Versammelten, aber auch auf die, die noch von ferne herangeführt werden sollen. Lukas beschreibt hier ja den Weg der Kirche bis an die Enden der Welt und bis an das Ende der Zeit.

Die alte Verheißung des Propheten bezieht er auf diejenigen, die vor gut sieben Wochen noch gerufen haben: „Kreuzige ihn!“ Gerade ihnen wir nun das Heil angeboten, damit aber auch allen ihren Nachkommen. Schon am ersten Pfingsttag waren die „Fernen“ im Blick. Gott ruft sie heran - durch uns. Dem Volk Gottes wird dadurch noch Zeit gegeben. Sie können sich alle in freiem Glauben ihm zuwenden. Geht es nach dem Willen des dreieinigen Gottes, dann geht keiner verloren.

Wenn von dem Angebot der Kirche und ihres Herrn die Rede war, dann muß man aber auch die Pflichten mit bedenken. Aber beides ist wichtig für unser Leben und wird uns bestimmt helfen. Alle in der Gemeinde haben mit Verantwortung zu tragen.

Deshalb fordert Petrus auf dem Höhepunkt seiner Predigt auch die Zuhörer auf: „Tut Buße! Dreht euch um und ändert euer Leben!“ Was müßte wohl in unserem Leben erst noch anders werden, ehe es ein wahres Pfingstfest bei uns und in unsrer Gemeinde geben kann? Auch damals waren sie keine idealen Menschen. Aber j e d er hatte die Möglichkeit, herbeizukommen, sich taufen zu lassen und die Gabe des Heiligen Geistes zu empfangen.

Aber so etwas bringt immer mit sich, daß man diesen Geist dann weitergeben muß an die anderen. Ob man in unserer Gemeinde etwas von dem neuen Gottesgeist spürt, hängt allein von jedem einzelnen von uns ab.

 

 

Apg 2, 41 – 47 (7. Sonntag nach Trinitatis):

Ein Konfirmand antwortete auf die Frage, ob er auch nach der Konfirmation den Kontakt mit der Gemeinde suchen werde: „Sicher werde ich mich öfters blicken lassen. Man braucht ja immer einmal einen, der sich um einen kümmert. Wenn ich einmal Sorgen habe, könnte ich mich bestimmt gut mit dem Pfarrer zusammensetzen. Dafür finde ich die Gemeinde ganz prima. Wenn ich Kontakt suche, werde ich bestimmt in die Jugendgruppe gehen oder mal in den Gottesdienst. Prima, so eine Gemeinde!“

So könnten wir auch gedacht haben, als wir die zusammenfassende Beschreibung der Gemeinde in Jerusalem gehört haben. Aber wir werden vielleicht auch denken: „Das ist doch viel zu schön, um wahr zu sein. Das ist wie das Gemälde eines alten Meisters, das man nur

bestaunen kann, aber heute kann man doch so etwas nicht mehr machen, da ist eben alles anders!“

Man könnte direkt ein Gegenbild entwerfen, etwa so: „Die nun sein Wort aufnahmen, hatten meist schon einen Taufschein. Aber die Zahl der Ausgetretenen war größer als die der neu Hinzukommenden. Sie hielten an ehrwürdigen Lehrformen fest, die nur roch die Experten verstanden. Sie hielten auch an ihren überlieferten Gemeinschaftsformen fest. Sie hielten das Abendmahl, ohne daraus Folgerungen für das Leben zu ziehen. Sie hielten fest an ihren Gebeten, aber die Worte waren nur zum innerkirchlichen Gebrauch bestimmt. Die zum Glauben kamen, versammelten sich sehr selten, und keiner ließ sich in seine Lohntüte gucken. Sie kauften und verkauften, aber meist nur für sich selbst, selten für die, die es nötig hatten. An Feiertagen waren sie manchmal in größerer Zahl beieinander, aber jeder war dann mit seinen eigenen Problemen beschäftigt. In den Häusern feierten sie ihre eigenen Feste, ohne an die Gemeinschaft mit anderen zu denken. Sie verzehrten ihre täglichen Mahlzeiten meist ohne Dank, dachten selten an Gott. Und im Volk gerieten sie in eine merkwürdige Außenseiterrolle!“

Das ist doch eher eine Beschreibung der Gemeinde von heute, wenn auch sicher nach der anderen Seite übertrieben. Auch das Bild des Lukas strahlt etwas aus bis in unsere Tage. Aber man kann dieses Bild eigentlich nur verstehen, wenn man selbst zum Pinsel greift und es mit Farbe und Fröhlichkeit ausgestaltet. Und erst wenn man sich selber mit einzeichnet, wird sich die ganze Schönheit dieses Bildes erschließen, auch heute.

In einem Zehn-Punkte-Programm schildert uns Lukas, wie eine christliche Gemeinde nach dem Willen Gottes aussehen sollte:

 

(1.) Christen lassen sich taufen: Man kann sich zwar auch zur Gemeinde halten, ohne getauft zu sein. Aber eines Tages wird man doch voll und ganz dazugehören wollen. Die Taufe bildet die Grundlage für das Christsein, setzt einen Anfang. Die damals am Morgen ihre Häuser verließen, haben nicht geahnt, wie anders sie wiederkommen würden. Aber dem Tag der großen Wende folgten ungezählte andere, wo es ums Dranbleiben ging. Das beharrliche Festhalten ist vielleicht noch schwerer als der erste große Schritt. Es ist nicht damit getan, daß man einmal der göttlichen Feuersglut inne wird und meint, nun könne man jahrzehntelang davon zehren. Die Erweckung sollte vielmehr in das geordnete kirchliche Leben eingehen und dort noch eine Festigung und Vertiefung erfahren.

 

(2.) Christen hören zusammen: Sie gehen bei denen in die Lehre, die mehr von Jesus wissen und erfahren haben. Es gibt zwar bei uns keine Pflicht, jeden Sonntag den Gottesdienst zu besuchen, wie das bei den Katholiken ist. Aber die Verletzung des dritten Gebots ist mehr als ein christliches Kavaliersdelikt. Mancher hat seine Christlichkeit in den Alltag verlegen wollen, hat gesagt: „Es ist doch alles heilig!“ Aber am Ende war ihm nichts mehr. heilig! Ein Christ m u ß nicht am Gottesdienst der Gemeinde teilnehmen, aber er nimmt teil, aus freien Stücken, weil er da sein will, wo Gott zu finden ist.

 

(3.) Christen leben zusammen: Gemeinschaft hilft gegen die Einsamkeit, aber auch gegen die Vermassung. Es werden auch die mit in die Mitte genommen, mit deren keiner etwas zu tun haben will. Speziell gehört zu dieser Gemeinschaft auch das Überreichen von Gaben im Gottesdienst, also die .Diakonie der Gottesdienstgemeinde. Gemeinschaft kann man nicht nur im Glauben haben, sondern sie hat auch ganz praktische Folgerungen. Davon später noch mehr.

 

(4.) Christen feiern das Abendmahl: Sie erinnern sich dabei an Jesus und hoffen auf das große Abendmahl für alle Menschen. Hier wird dafür der Ausdruck „Brotbrechen“ verwendet, weil damit das Abendmahl anfing. Daraus kann man aber nicht schließen, daß der Gemeinde nur das Brot gereicht werden dürfe, wie das bei den Katholiken üblich ist. Hier ist schon ein volles Abendmahl mit Brot und Wein gemeint, eine richtige gottesdienstliche Feier. Dadurch erhält man Anteil am Leib Christi, wird selber zum Leib Christi. Aber wer einmal davon gegessen hat, der muß dann auch so leben, wie es vor einem Teil an diesem Leib erwartet werden kann.

 

(5.) Christen beten zusammen: Sie wollen Gott nahe sein und wollen vor ihm alles aussprechen, was sie bewegt. Beten ist solide Arbeit. Wenn wir dies versäumten, liefe eine Menge Dinge in der Welt anders. Natürlich können wir Gott nicht zu irgendetwas überreden. Aber er will gebeten sein und uns dann Gutes geben.

Der Künstler Helmut Uhrig hat in einer Graphik diese Kennzeichen einer christlichen Gemeinde dargestellt (vorzeigen). Immer sind es mehrere Christen, immer weisen Hände auf den erhöhten Herrn. Dargestellt sind von unten nach oben: Apostellehre, Brotbrechen, Gebet. Aber alle drei Szenen sind durch die umgebende Linie zusammengeschlossen. Diese zeigt die Gemeinschaft der Christen, ist aber auch das Rettungsseil Gottes, an das sie sich klammern können und das ihnen das Bleiben ermöglicht. - Doch nun weiter mit den Programmpunkten des Lukas.

 

(6.) Christen teilen und verzichten: Jeder soll bekommen, was er zum Leben braucht. Jeder ist frei, von seinem Eigentum abzugeben. Opfern heißt immer, ein Stück von sich zu verschenken, so wie Jesus sich ganz verschenkt hat. Unsere Sonntagskollekte aber hat meist nur Symbolwert. Lukas aber sagt: „Nicht einer sagte von seinen Gütern, daß sie sein wären!“ Wer sein Eigentum als Lebensgabe Gottes versteht, wird es dankbar nutzen. Er wird es nicht gierig

vermehren wollen und verteidigen, als ob es ums Leben ginge. Er wird es so einsetzen, daß es auch anderen dient. Keiner wird ärmer, wenn er anderen hilft und diese dadurch vielleicht glücklicher werden. An Menschen, die Hilfe brauchen, fehlt es auch bei uns nicht.

Aber noch schwieriger wird es, wenn wir nach Händen fragen, die etwas tun können. Wir leben eben sehr.anspruchsvoll und sind damit ausgelastet, unseren Standard zu sichern. Die Christen in Jerusalem aber konnten abgeben, wenn Not am Mann war.

 

(7.) Christen kommen in der Kirche zusammen: Sie kapseln sich nicht ab in irgendwelchen kleinen Grüppchen, sondern treten als ganze Gemeinde in Erscheinung. Alt und Jung vertragen sich, Männern und Frauen, Fortschrittliche und Konservative. Die Gemeinde ist eine Einheit, auch wenn es in ihr einige Schattierungen gibt.

 

(8.) Christen besuchen aber auch einander in den Häusern: Sie laden sich gegenseitig ein und erfahren so voneinander. Sie feiern nicht nur das Abendmahl in der Kirche, sondern essen auch im Haus miteinander. So kennen wir es ja auch von Gemeindetreffen. Dabei ist es gleichgültig, ob man gemeinsam in der Gaststätte ißt oder irgendwo bei einer Familie - die Hauptsache ist das Verbindende dieses Essens. Aber wir können nur so miteinander umgehen, weil wir zuvor in die Gemeinschaft mit Christus hineingenommen wurden. Er steht über uns, zu ihm blicken wir gemeinsam auf; und das verbindet uns dann auch untereinander. Das Abendmahl in der Kirche hilft uns, auch über den Kirchenraum hinaus Gemeinschaft miteinander zu haben.

 

(9.) Christen feiern der Gottesdienst am Sonntag und im Alltag: Wir brauchen einander, um unser Christsein gestalten zu können. Dazu brauchen wir den Rat und die Erfahrung der anderen. Und wir wiederum dürfen den anderen unseren Rat nicht schuldig bleiben. So setzt sich der Gottesdienst in den Alltag fort.

 

(10.) Christen erfahren Gottes Segen: Nicht wir erhalten die Kirche, sondern Gott gibt und ermöglicht uns alles. Die Kirche lebt nicht von dem, was uns gelingt; und sie geht auch nicht zugrunde an dem, was uns mißlingt. Gott sorgt dafür, daß es mit ihr weitergeht. Auch heute ist die Kirche noch für manche Menschen anziehend und auch heute noch werden welche „hinzugetan“. Sie lassen sich hineinziehen in den Wirkungsbereich Gottes, lassen sich taufen und lassen sich stärken durch das Abendmahl und die Gemeinschaft mit anderen Christen. Aber das alles ist nicht Menschenwerk, sondern hier wirkt sich der Segen Gottes auch heute sichtbar aus.

 

Apg 3, 1 – 10 (12. Sonntag nach Trinitatis):

Was tun wir, wenn wir einem Bettler begegnen? In Frankfurt auf der Zeil kann man sie sehen: ein ungepflegter alter Mann mit einem Senfbecher in der Hand oder ein junger Mann mit einem Schild um den Hals „Ich habe Hunger“, dem man ja eigentlich nicht Geld geben müß­te, sondern zum Beispiel ein Brötchen. Sagen Sie nicht, so etwas gäbe es nicht bei uns, es geschieht nur nicht so offen. Die Pfarrer werden immer wieder von Bettlern aufgesucht, obwohl sie auch nur vom Eigenen den Leuten geben können. Oder soll man ihnen lieber nichts geben?

Wir haben doch schnell das Argument bei der Hand: Die Alten kriegen doch Rente, die anderen mindestens Sozialhilfe, und die aus dem Gefängnis Entlassenen erhalten ein Überbrückungsgeld. Wir sagen auch: „Wer arbeiten will, der findet auch Arbeit und kann sich selber

etwas verdienen!“ Es gibt viele Gründe, einem Bettler nichts zu geben.

Aber es kann auch sein, daß man so einem Menschen schnell eine Kleinigkeit gibt, damit man ihn schnell wieder los wird. Es ist uns unangenehm, vor diese Entscheidung gestellt zu werden. Es wird an unser christliches Herz appelliert, aber es regt sich auch unsre Vernunft, die uns sagt: „Hilfst du dem Menschen wirklich, wenn du ihn mit ein paar Almosen abspeist?“

Petrus sagt zu dem Gelähmten im Tempel: „Gold und Silber habe ich nicht!“ Hier spricht die Kirche der Armen. Es soll auch so sein, daß die Kirche arm ist. Sie sollte nicht die Güter dieser Welt im großen Stil einsetzen, um das Elend einzudämmen. Wir können auf andere Art und Weise reich machen durch Zuwendung, Heilung und Aufnahme.

 

1. Zuwendung: Zunächst fingt alles ganz undramatisch an. Petrus und Johannes gehen zur üblichen Gebetszeit in den Tempel. Am Tor begegnen sie dem Elend der Welt, einem Bettler, der um eine milde Gabe bittet. „Barmherzigkeit“ nannte man das, wenn man einem Bettler einige Kupfermünzen hinwarf. Aber in Wirklichkeit war das grimmiger Hohn und zur Gewohnheit gewordene Unmenschlichkeit. Weil es keine staatliche Fürsorge hab, hatte man das Almosengeben zum „verdienstlichen Werk“ erklärt: Wer etwas gibt, tut nicht nur dem Bettler, sondern im Blick auf das ewige Heil auch sich selber einen Gefallen. Aber der Bettler durfte nicht mit hinein in den Tempel, er wurde mit einigen Pfennigen abgespeist, und die Frommen durften noch das Gefühl haben, ein gutes Werk getan zu haben.

Daß der Mann dort sitzen mußte, war wahrscheinlich schlimmer als sein Leiden als solches. Daß ihm der Tempel verschlossen ist, macht sein Los erst bitter. Aber Menschen mit einem Gebrechen waren aus der Nähe Gottes verbannt, denn Krankheit und Behinderung galten als Strafe für eine Sünde. Aber Geld geben durfte man ihnen natürlich, das war dann sogar ein verdienstliches Werk. Daß ihm aber auch die milde Gabe verweigert wird, hat den Gelähmten nicht nur enttäuscht, sondern auch verwundert. Die beiden Männer scheinen gar nicht darauf aus zu sein, sich so einen kleinen Anrechtschein für den Himmel lösen zu wollen.

Unsre Gesellschaft hat eine andere Einstellung zu den Behinderten gefunden oder sucht sie zumindest. Sie werden finanziell einigermaßen abgesichert. Aber man versucht auch, sie in

Die übliche Gesellschaft mit hineinzunehmen und sie sogar beruflich zu fördern. Dennoch werden Behinderte oft nicht als vollwertige Menschen angesehen und darum an den Rand des Blickfelds geschoben. Die Gesunden sind den Behinderten gegenüber auch oft befangen. Dabei täte ihnen nichts wohler als daß sie angenommen würden wie andere Menschen auch. Sie wollen nicht „Barmherzigkeit“ und Bedauern von oben herab, sondern ganz normal genommen werden und mitten drin sein in der Gemeinschaft der Menschen.

Auch der Gelähmte im Tempel wurde nur am Rande gesehen. Die ihm etwas hinwarfen waren nur „Passanten“, waren nur Vorübergehende. Der Bettler sagte schnell „Danke“, dann war der Geber schon wieder woanders und mit vielem anderen beschäftigt, nur nicht mit diesem Mann, der in seinem Leben eigentlich nur störte.

Die beiden Apostel dagegen nehmen mit diesem Mann eine persönliche Verbindung auf, sie richten ihr Augenmerk und ihr ganzes Interesse auf ihn. Der einzelne Mensch, wer immer er auch sei, ist für einen Christen kostbar. Jesus ist gekommen, die Verlorenen zu suchen. Jetzt wird sein Name auch über diesem Gelähmten genannt, der sich schon fast 40 Jahre mit seiner schweren Behinderung hat abfinden müssen.

Aber jetzt geschieht, was er immer hat vermissen müssen: Er wird als Mensch ernst genommen. Da findet sich einer nicht mit dem Zustand der Welt ab, sondern er will Jesu Herrschaft in ihr durchsetzen. Das geschieht, indem dieser Mann durch die Apostel Zuwendung erfährt, angenommen wird und Zugang zu Gott erlangt.

 

2. Heilung: Mit Geld kann man dem Mann nicht helfen. Aber es muß ihm geholfen werden. Wenn hier einer helfen kann, dann nur Jesus Christus. Als er noch da war, hat er solchen Leuten geholfen. Aber jetzt stehen die Jünger allein da. Petrus wagt es dennoch und handelt im Namen Jesu.

Was wäre, wenn der Gelähmte kraftlos zurücksänke? Die Umstehenden würden grinsen. Und der Kranke wäre enttäuscht und käme sich verhöhnt und beleidigt vor. Aber Petrus rechnet einfach mit Jesus und nimmt dessen Vollmacht für sich in Anspruch. Natürlich weiß Lukas, daß e s auch nach Jesu Auferstehung eine Unzahl kranker und behinderter Menschen gibt und die Kirche nicht über die Wundermacht verfügt, allen Menschen zur Gesundheit zu verhelfen.

Um ein „Verfügen“ geht es schon gar nicht. Ein Zauberwort ist der Name Jesu nicht, sondern Petrus spricht vom Glauben an diesen Namen.

Gerade der Glaube weiß, daß man Gott nichts abzwingen kann. Er lebt vielmehr von dem, was Gott in seiner Freiheit und ohne daß er eine Verpflichtung hätte uns gewährt. Er weiß auch, daß Gottes Tun unsrem natürlichen Auge nicht offenliegt. Unser Bestes empfangen wir ja gar nicht im zeitlichen Leben, sondern erst in der Vollendung, zu der es hier noch nicht kommen kann.

Die biblischen Wunder sind Zeichen, sind Hinweis auf das Kommende. Daß der Mann nachher Luftsprünge macht wie ein Hirsch, ist Erfüllung der Verheißung aus dem Propheten Jesaja (Kapitel 35, 6) ,wo das für die Heilszeit verheißen ist. So will Gott seine Welt zurückgewinnen. Er findet sich nicht mit dem ab, was uns quält, sondern seine Welt soll heil werden.

Es gibt auch heute noch Zeichen seines heilenden Wirkens, die der Glaube wahrnimmt. Es gibt auch dies, daß ein Arzt mit seinem Wissen und Können das Werkzeug Gottes ist. Die Heilungsmöglichkeiten der modernen Medizin grenzen doch manchmal ans Wunderbare: Eine Spritze wirkt oft in Sekundenschnelle und macht jedes Wunder überflüssig. Wir sollten doch nicht meinen, Gott handle nur durch Wunder. In der Regel handelt er auf ganz natürlichen Wegen.

Aber all das ist nur Hinweiszeichen auf das, was noch kommen soll. Wenn unser Heil sich vollendet, dann werden wir auch völlig Heilung erfahren. Das uns zugedachte Gute muß sich nicht immer in dieser Welt verwirklichen. Daß einer in diesem Leben wieder auf die Beine kommt, rettet ihn nicht davor, daß er doch einmal sterben muß. Aber die leiblichen Gebrechen sind nicht das größte Problem. Gott muß mehr an uns tun, wenn uns geholfen werden soll. Vorerst erleben wir es nur zeichenhaft, einst aber in Vollendung.

 

3. Aufnahme: Wir können nicht darauf warten, ob wir vielleicht auch einmal ein solches Wunder tun können wie Petrus. Aber wir können alle Kraft zusammennehmen, um helfende Veränderungen in der Welt vorzunehmen. Hilfe haben besonders die Menschen nötig, die mit ihren Problemen nicht mehr aus eigener Kraft fertigwerden .Wir können uns nicht damit beruhigen, daß schon der Staat mit seiner Sozialgesetzgebung helfen wird.

Niemand sollte sich um einen Platz im Altersheim bemühen müssen, weil er fürchtet, bei einer Krankheit allein zu sein. Niemand sollte darum bitten müssen, daß man ihn nach seinem Tode verbrennt und die Asche in einem Massengrab beisetzt, nur weil er denkt: „Es wird ja doch niemand mein Grab pflegen!“ Kein Kind sollte in ein Kinderheim müssen, weil die Mutter krank geworden ist. Es gibt viele Möglichkeiten, wie man mit Liebe die Lebenssituation im günstigen Sinne verändern kann. Petrus hat das erkannt und das Leben eines Menschen und damit auch ein Stück unsrer Welt verändert.

Vor allem hat der Geheilte aber Aufnahme in der Gemeinde Jesu gefunden, ohne die man kein Heil gibt. Noch schöner wäre gewesen, wenn Petrus und Johannes den Mann gleich mit zur Halle Salomos mitgenommen hätten, noch ehe er geheilt war. Das wäre eine Demonstration gewesen, daß zum Vater Jesu Christi alle kommen dürfen, auch die Behinderten. Es wäre ein schönes Zeichen gewesen, wenn auch die Gemeinde ihn noch als Behinderten bewußt in ihrer Mitte aufgenommen hätte.

Auch bei uns wäre es gut, wenn Menschen mit einem solchen Schicksal bei uns wirklich zu Hause wären ohne jeden Sonderstatus, einfach als Glied der Gemeinde wie jedes andere auch.

Als Geheilter wird jener Mann künftig seinen Platz in der Gemeinde haben. In dieser Gemeinde wird Gott gelobt und der Name Jesu bekannt. So ist der Mann nicht nur auf die Beine gekommen, sondern er hat auch seinen Herrn gefunden.

 

 

Apg 6, 1 – 7 13. Sonntag nach Trinitatis, Variante1):

In vielen Städten gibt es Heime für ältere Menschen. Das sind sehr segensreiche Einrichtungen. Wir können froh sein, daß wir sie haben. Aber wenn wir es recht bedenken, dann ist so ein Haus auch wieder ein Armutszeugnis. Früher waren solche Heime nicht nötig: Die Alten blieben in der Familie, die Kranken wurden dort gepflegt, und gestorben wurde auch zu Hause.

Die Verhältnisse haben sich natürlich geändert: Die Wohnungen sind nur klein, die Großfamilie gibt es nicht mehr. Meist sind Mann und Frau beide berufstätig, in der Regel sogar noch auswärts, Da kann man sich einfach nicht mehr rund um die Uhr um einen pflegebedürftigen Menschen kümmern. Das ist der Preis des Fortschritts.

Das ist unsere Lösung, wie wir uns auf eine Änderung der Verhältnisse einstellen. Wir können nicht klagen, daß es nicht mehr so ist wie früher. Wir müssen uns vielmehr etwas Zukunftsweisendes überlegen. Es waren zuerst Menschen der Kirche, die im 19. Jahrhundert die Probleme der Industrialisierung erkannten. Sie gründeten die Schwesternorden und richteten Häuser für Nichtseßhafte und Behinderte ein.

Es ehrt die Kirche, wenn sie Lösungen für neue Probleme ausprobiert. Es ist gut, wenn sie Vorreiter ist, bis die Gesellschaft und der Staat ihre Aufgabe erkennen. Wenn das geschieht, dann sind meist schon wieder neue Aufgaben da. Dann braucht man nicht traurig zu sein, wenn der Staat der Kirche eine Aufgabe abnimmt - es gibt immer wieder Neues zu tun und Neues aufzugreifen.

Schon ganz am Anfang hat die Kirche sich in guter Weise an die veränderten Verhältnisse angepaßt. Mit dem Wachsen der Gemeinde konnte die Arbeit nicht so weitergehen wie zur Zeit Jesu. Seine Jünger waren zunächst einmal die geborenen Leiter der Gemeinde. Sie haben sich diese Stellung nicht angemaßt. Aber jeder in der Gemeinde dachte: Ohne die Apostel kann und darf ich nichts tun! Das führte aber dazu, daß das Arbeitsfeld zu groß und zu unübersichtlich wurde. Da konnte es schon einmal passieren, daß ein an sich wichtiges Gebiet völlig übersehen wurde.

In Jerusalem traf es vor allem die griechisch sprechenden Witwen, die auf ihre alten Tage wieder in ihre Heimat zurückgekehrt waren. Aber so ein wenig hat man sie doch als Fremde angesehen. Man hat sie verdächtigt, es mit den religiösen Gesetzen nicht so genau zu nehmen. So war es wohl doch nicht nur Zufall, sondern man hat sie auch mit etwas Absicht übersehen und erst einmal für die „eigenen“ Leute gesorgt; und das nicht nur aus Versehen und einmalig, sondern es ist schon ein länger andauernder Mißstand.

Es kann uns tröstlich stimmen, daß es schon in der Urgemeinde solche Spannungen gab. Die Kirche besteht eben aus Menschen mit allen Fehlern und Schwächen. Sie wurden nicht auf die leichte Schulter genommen, sondern die Verantwortlichen haben sofort reagiert. Sie haben sofort erkannt, daß ein Minderheitenschutz notwendig ist.

Bemerkenswert ist vor allem, wie man eine Lösung findet. Die Verantwortlichen sind nicht wegen der Kritik beleidigt. Nichts zertrennt eine Gemeinschaft so sehr wie Rechthaberei. Nichts führt aber auch so sehr zusammen wie das Überwinden von Schwierigkeiten und Spannungen. Richtig war zunächst, daß die Benachteiligten sich meldeten. Sie zogen sich nicht still in ihre Ecke zurück, sondern sie rufen und murrten. Sie reden nicht hintenherum, sondern wenden sich an die richtige Stelle.

Richtig ist auch, wie die Apostel reagierten. Sie erkennen, daß hier die Gefahr einer tiefen Spaltung besteht. Sie fragen aber gar nicht danach, wer Schuld hat, sondern ändern die Aufgabenverteilung. Dabei sprechen sie nicht kraft ihrer apostolischen Autorität ein Machtwort, sondern lassen die Gemeinde demokratisch entscheiden.

In der Gemeinde Jesu müssen nicht alle das Gleiche denken oder sich gleich verhalten. Keiner ist deshalb ein schlechter Christ, nur weil er nicht so ist wie die Mehrheit. Aber alle sollten sich gemeinsam bemühen, allen gerecht zu werden. Ganz geschickt ist es, gerade die Gruppe mit der neuen Aufgabe betrauen, die sich bisher beschwert hat. Dadurch wird sie wieder eingebunden, und die Luft wird wieder rein.

Dabei wird so ganz nebenbei eine Grundentscheidung getroffen: Die christliche Gemeinde hat ihre Mitte in Wort und Gebet. Deshalb müssen Gottesdienste und Gemeindeabende, Religionsunterricht und Jugendarbeit, Beichte und Abendmahl, unter allen Umständen sein. So wie man nicht elektrischen Strom für ein Vierteljahr tanken kann, kann man auch nicht sagen: eine Predigt oder ein Gebet halten erst einmal eine Weile vor.

Die sieben neuen Amtsträger predigen und taufen ja auch, sie haben nur außerdem noch eine Spezialaufgabe. Zur Diakonie gehören immer auch Predigt und Seelsorge dazu. Aber es gilt auch das Umgekehrte: Alle gute Predigt wird unglaubwürdig, wenn die Gemeinde die Armen und Schwachen in ihrer Mitte und außerhalb übersieht. Die Liebe gegenüber dem Nächsten ist die Kehrseite des Wortes Gottes. Ohne sie ist die Gemeinde wie ein abgestellter Anhänger: er kann höchstens bergab rollen, aber nie bergauf Aber wir wollen doch hoffentlich hinaufkommen.

Doch das ist nicht möglich, wie es einmal auf einem Bild in einer Kirchenzeitung dargestellt: war: Ein Pfarrer zieht einen schwer beladenen Karren den Berg hinauf Und die Gemeindeglieder klettern noch oben auf den Wagen drauf und lassen sich mitziehen.

Ein Pfarrer darf nicht als „Mädchen für alles“ verschlissen werden, weil er dann seinem eigentlichen Auftrag untreu wird. Natürlich ist es nicht unter seiner Würde, sich auch einmal die Hände schmutzig zu machen. Es ist kein Ruhmesblatt, wenn einer sagt: „Davon verstehe ich nichts und ich will es auch nicht lernen!“ Aber es dürfen auch nicht alle Mißstände und Mängel dem Pfarrer zugeschoben werden, denn dann kann er es mit seiner Verkündigungsaufgabe nicht mehr so genau nehmen. Seine eigentliche Arbeit ist die Sorge um die Menschen in ihrem Verhältnis zu Gott. Dazu braucht man aber Kraft, Sammlung und Aufmerksamkeit.

Diakonie, die praktische Sorge um den Menschen, ist Sache der ganzen Gemeinde. Da sind alle Ausreden nicht mehr stichhaltig. Einmal könnte man sagen: „Heute tut doch der Staat das, was früher die Kirche tat. Es hat da ganz andere Möglichkeiten und Mittel, die Kirche kann sich zurückziehen!“. Wir dürfen dankbar sein, wenn der Staat sich von der Kirche hat anregen lassen, sich um Alte und Kranke kümmern.

Wir dürfen zum Beispiel froh sein über die Pflegeversicherung. Sicher gibt es da noch Ungereimtheiten, vor allem, weil die Hilfe genormt und egalisiert werden soll. Aber wir können doch beruhigt sein, wenn wir alle diese Absicherung haben, auch wenn wir sie hoffentlich nicht brauchen. Wer gesund ist, sollte über das zu zahlende Geld nicht stöhnen. Es bleibt aber immer noch genug zu tun für die christliche Gemeinde. Vor allem die seelischen Nöte gewinnen eine immer größere Bedeutung.

Zum anderen könnten wir sagen: Es gibt doch die Einrichtungen des Diakonischen Werkes, da wird uns doch die Arbeit abgenommen. Lieber will ich Geld dafür geben, als mich persönlich einsetzen zu müssen. Zum Glück gibt es bei der gegenwärtigen Arbeitsmarktlage nicht mehr die schweren Personalprobleme für diese Anstalten wie früher. Aber es ist ja nicht damit getan, daß in einem kirchlichen Heim koreanische oder muslimische Schwestern und Pfleger angestellt werden. Es genügt nicht, wenn eine Pfarrerin dort Gottesdienste hält und von Bett zu Bett geht.

Wir brauchen auch christliches Pflegepersonal, das nicht nur richtig zufassen kann, sondern auch die Hände falten kann. Gerade das Wort des nicht beamteten Mitmenschen wird gern aufgenommen. Wie beim barmherzigen Samariter geht es um das spontane Eintreten für den Mitmenschen, über das hinaus, wofür man bezahlt wird.

Wir dürfen dankbar sein, wenn ein großer Teil der mitmenschlichen Hilfe durch offizielle Einrichtungen geregelt ist. Wir haben gar nicht so viele barmherzige Samariter, daß wir alles Leid der Welt lindern könnten. Heute gehört auch die geordnete Diakonie zum Leben der Gemeinde.

Aber für das Tun des Einzelnen gibt es deshalb immer noch ein weites Betätigungsfeld. Vielleicht kann er die Aufgabe aus seinem Gefühl und seinem natürlichen Wissen heraus wahrnehmen. Vielleicht muß er sich aber auch erst ausbilden lassen, wie das zum Beispiel für die Telefonseelsorge angeboten wird. Vielleicht muß man sich mit anderen zusammentun zu einem Verein. Da ist auch heute manches möglich. Und es ist schon eine großartige Sache, wenn eine pflegebedürftige Frau nicht in ein Heim muß, sondern von ihren Angehörigen unter großen Opfern versorgt wird. Und wo keine Angehörigen da sind, da ist die Gemeinde zur Hilfe aufgerufen, auch wenn dann in der Praxis der Pflegedienst die meiste Arbeit leistet.

Bei einer solchen Aufgabe kann man natürlich keine besonderen Ehren einheimsen. Aber wer sich an die Arbeit macht, der darf wissen: Ich nehme einen wichtigen Dienst in der Gemeinde

wahr. Nicht nur die Hauptamtlichen stellen die Gemeinde dar, sondern wir ziehen alle mit, damit der Wagen der Kirche vorankommt.

Wer mitmacht, der darf sich von Gott beauftragt wissen. Die Diakone sind zwar von unten gewählt worden. Aber letztlich sind sie doch von oben eingesetzt. Deshalb dürfen sie wissen: Gott ist immer mit dabei. Er steht hinter allen, was in der Gemeinde geschieht. Er hilft, daß die Probleme gelöst werden und Aufgaben erkannt und wahrgenommen werden.

 

 

Apg 6, 1 – 7 (13. Sonntag nach Trinitatis, Variante 2):

Günter Jacob, der frühere Generalsuperintendent von Cottbus, schrieb Anfang der 70iger Jahre einen Aufsatz, wie nach seiner Meinung die kirchliche Organisation im Jahre 1985 aussehen werde. Er meinte, dann sei nur noch ein Pfarrer für 20 Dörfer da, aber es gäbe viele ehrenamtliche Helfer. Das Idealbild wäre, daß der Pfarrer sich sonntags auf die Stufe seiner Kirche setzt und zusieht, wie alles auch ohne ihn läuft.

Bis zum Jahr 1985 ist das noch nicht gekommen. Auch in den Ballungsgebieten wird das noch nicht so schnell kommen, weil dort viele Menschen an einem Ort wohnen. Aber es gibt Gegenden in Deutschland, die entvölkern sich zusehends. Da ist alle zwei Kilometer ein Dorf aber in jedem Dorf wohnen nur noch 30 Leute. Da kann man das übliche Angebot mit einer Kirche und einem Pfarrer am Ort nicht aufrechterhalten.

Günter Jacob hat seinen Aufsatz geschrieben unter dem Eindruck der wachsenden Entkirchlichung in der damaligen DDR. Aber gekommen ist das erst nach der Wende, als auf einmal das Geld eine übergroße Rolle spielte und Pfarrstellen nach dem Wirtschaftlichkeitsprinzip besetzt wurden. Wirtschaftswissenschaftler sagen zwar, die Kirche müsse in den Gemeinden viel Personal einsetzen, um Erfolg zu haben und ihre Zukunft zu sichern. Aber was will man machen, wenn das Geld fehlt?

Da hat ein Pfarrer am Wochenende bis zu acht Gottesdienste zu halten, weil die Leute den Gottesdienst in ihrer Kirche haben wollen. Wenn der Pfarrer ihnen sagt: „Ich lade euch ins Auto und dann fahren wir ins nächste Dorf?“ dann sagen sie: „Dann kommen wir gar nicht!“ Und so kommen dann an Pfingsten in dem einen Dorf fünf alte Frauen zum Gottesdienst, im anderen sind es sieben (Im Verhältnis zur Einwohnerzahl ist das noch ein hoher Prozentsatz!). Im Altenheim, das der Pfarrer auch noch zu betreuen hat, kommen aber 70 Leute zur Bibelstunde, nur kostet das unheimliche Kraft, das auch noch zu schaffen.

Da wird vielleicht geraten „Du mußt dir Lektoren schaffen!“ Aber das ist leichter gesagt als getan. Und oftmals nimmt die Gemeinde den Lektor nicht ernst und will lieber den Pfarrer haben. Aber die Gemeinde braucht viele Helfer, je mehr es sind, desto geringer ist der Aufwand für den Einzelnen. Sie braucht Helfer für das Wort und Für die Tat.

 

Die Gemeinde braucht das Wort:

Die meisten Menschen in der Urgemeinde in Jerusalem waren arm. Das wären heute zum größten Teil Arbeitslosengeld-II-Empfänger, die froh sind, gelegentlich einmal etwas an einer sogenannten „Tafel“ abzubekommen. Dazu kam die unterschiedliche Herkunft: Die einen waren alteingesessene Jerusalemer, die anderen waren erst aus dem Ausland zugezogen, zwar auch Glaubensgenossen, schon als Juden, aber jetzt erst recht als Christen. Aber offenbar gab es immer noch einen Unterschied zwischen Einheimischen und „Fremden“.

Anfangs hatten die Apostel die Sache noch im Griff: Sie kümmerten sich um alles, um den Gottesdienst und um die Verteilung der Nahrungsmittel. Das ist eigentlich ein wünschenswerter Zustand. Die praktische Hilfe soll nicht abgespalten sein von der Verkündigung des Wortes Gottes.

Und den meisten in der Gemeinde wird das auch recht gewesen sein: Sie hatten Verantwortliche, da brauchten sie sich nicht darum zu kümmern. Das ist eine allgemein menschliche Haltung. In jedem Verein sind sie froh, wenn wieder jemand für eine bestimmte Aufgabe gefunden wurde. Und auch in der Kirche hat man ja den Pfarrer oder die Pfarrerin und dazu einige andere hauptamtliche Angestellte, da kann man außen vor bleiben.

Die Verkündigung des Wortes Gottes, die Austeilung der Sakramente und das Gebet sind aber die Hauptaufgabe der Kirche, sie dürfen nicht zu kurz kommen. Die Rettung der Menschen geschieht nur durch das, was Gott uns anbietet. Deshalb muß gepredigt werden: Traurige brauchen Gottes Zuspruch, Irrende seine Zurechtweisung, Zweifelnde brauchen Unterrichtung. Alles, was in der Kirche geschieht, ist hilfreiches Tun für die anderen. Deshalb gilt aber auch:

 

Die Gemeinde braucht die Tat:

Das heißt aber nicht, daß der Pfarrer oder ein anderer kirchlicher Angestellter nicht auch einmal mit der Hand zugreifen sollte, wenn es nötig ist. Aber das Technische darf nicht so die Kräfte in Beschlag nehmen, daß Predigt, Unterricht und Seelsorge zur Nebensache werden und nur noch mit der linken Hand getan werden.

Für bestimmte Aufgaben haben wir seit über 150 Jahren die Diakonie der Kirche, also die Krankenhäuser und Heime und Pflegedienste. In unserer spezialisierten Welt sind einfach medizinische Fachkräfte nötig. Durch das Vorbild der Kirche hat inzwischen der Staat seine Aufgabe erkannt und selber Krankenhäuser, Kindergärten und Beratungsstellen geschaffen. Wenn die Kirche hier noch tätig wird, dann sollte sie sich Felder suchen, wo der Staat noch nicht erkannt hat, daß hier etwas getan werden muß. Oder sie behält die Aufgaben weiter, die ihr ganz eigenes Gebiet betreffen wie Telefonseelsorge oder Notfallseelsorge.

Aber all das entbindet nicht den einzelnen Christen von seinen Aufgaben. Dazu einige Stichworte:

Bereit werden: Ich müßte schon herauskommen aus der Beschäftigung mit den eigenen Problemen. Vielleicht würden sie sich unbemerkt lösen, wenn ich die Probleme meines Nachbarn zu meiner eigenen Sache machte.

Sehen: Wahrscheinlich wohnt der Mensch, der mich braucht, nicht weit. Ich soll nicht zwanzig Menschen in meine Obhut nehmen. Aber einen oder zwei könnte ich finden.

Zeit haben: Mancher Mensch versauert, weil er zu viel Zeit hat. Aber auch jeder andere kann noch Lücken ausfindig machen, ohne seine Aufgaben oder Hobbies zu vernachlässigen.

Lernen: Man lernt, indem man es tut. Man kann sich Rat holen, mit anderen mitgehen und so die rechte Einstellung zum anderen Menschen finden.

Hoffen: Oft lähmt uns der Gedanke, daß man doch nicht auf Dauer helfen kann. Aber bei Gott ist nichts endgültig. Ich kann im leidenden Menschen schon den sehen, den Gott aus ihm machen will. - Zuletzt noch ein Gesichtspunkt:

Ordnung:

Wer helfen will, muß aber auch eine gewisse Ordnung beachten. Die Erfahrungen anderer sind eine große Hilfe. Und Vorschriften sind nicht ein hartes Gesetz, sondern erleichtern das eigene Tun. Wo Liebe ist, da ist auch eine gute Ordnung. Die Einsetzung der Diakone, wie sie uns in der Apostelgeschichte beschrieben wird, ist ein klassisches Beispiel dafür, wie man Probleme in der Kirche löst:

1. Das Problem muß erst einmal erkannt werden, leugnen hilft nicht auf die Dauer.

2. Die Sache muß den Verantwortlichen zu Ohren kommen, Getuschel hilft nichts.

3. Die Leiter der Gemeinde müssen auf die Mitteilung reagieren und etwas unternehmen.

4. Sie wollen und können aber nicht alles an sich reißen, sie brauchen viele Mitarbeiter.

5. Das Problem wird mit allen in öffentlicher Versammlung diskutiert.

6. Es werden Aufträge verteilt und die Aufgaben werden auf mehrere aufgeteilt.

7. Eine Beauftragung im Namen Gottes gehört unbedingt dazu. Dadurch kommt zum Ausdruck: Gott muß seinen Segen dazu geben! Dienen ist zwar unser aller Aufgabe, aber es darf nicht der falsche Eindruck aufkommen, die Kirche lebe von den menschlichen Einfällen und Aktivitäten.

Heute kennen wir nur die Ordination von Pfarrern und Pfarrerinnen, also die ordentliche und offizielle Berufung in das Amt der Kirche. Andere kirchliche Mitarbeiter werden zum Teil auch noch in ihr Amt eingeführt, aber das ist dann schon eine Stufe tiefer. Aber im Grunde braucht auch jeder ehrenamtliche Mitarbeiter so eine Beauftragung, im Auftrag Gottes und vor der Gemeinde. Es gibt nur e i n Amt in der Kirche. Und das fächert sich auf in viele Funktionen, vom Pfarrer bis zum Spendensammler.

Was die Apostelgeschichte uns hier vorführt, ist ein gesundes Wachstum einer Kirchengemeinde. Sie wird wachsen, wenn sie auf Gott vertraut und wenn sich viele zur Verfügung stellen. Die Probleme, die dabei entstehen, nehmen wir gern auf uns und lösen sie.

 

 

Apg 8, 26- 39 (6. Sonntag nach Trinitatis):

In der Bibelausgabe mit dem Text von 1964 ist dieser Abschnitt überschrieben mit „Der Kämmerer aus dem Mohrenland“. Seit mehr als zehn Jahren aber darf es keine „Mohren“ mehr geben, stattdessen essen wir jetzt „Schokoküsse“ oder „Schaumküsse“. Aber wir wissen noch, daß das „Mohrenland“ im Norden Afrikas zu suchen ist. Dort gibt es im Sudan und in Äthiopien bis heute Christen, die diese biblische Geschichte als Gründungsurkunde ihrer Kirche ansehen. Das Christentum ist nicht nur eine Sache der Europäer und der hellhäutigen Menschen. Schließlich ist es eine orientalische Religion und der Schwerpunkt der Kirchen wird sich in Zukunft mehr in die sogenannte „Dritte Welt“ verlagern. Die Erzählung macht uns deutlich: Auch der Fremde soll gefunden, unterwiesen und getauft werden.

 

1. Auch der Fremde soll gefunden werden:

Ehe der Mann gefunden wird, ist er erst einmal auf der Suche. Man muß sich das einmal vergegenwärtigen: Er geht auf die Wallfahrt über eine Strecke von 3.000 Kilometer - das ist so weit wie der Jakobsweg von Deutschland bis Santiago di Compostella ganz im Westen Spaniens. Manche laufen das in Etappen zu Fuß. Dieser Minister der Königin von Äthiopien hat immerhin dafür einen Reisewagen. Aber bei den damaligen Verkehrsverhältnissen war das sicher auch anstrengend. Wer von uns heute würde sich die Sache mit Gott schon so viel kosten lassen?

Aber der Mann ist ein sogenannter „Gottesfürchtiger“, der von jüdischen Missionaren schon mit dem Glauben an Gott bekannt gemacht wurde. Er ist also schon auf der Suche. In Jerusalem - dem Zentrum der jüdischen Religion - hofft er, dem Gott der Juden besonders nahe zu sein und Antwort auf seine Fragen zu finden. So ging es auch Martin Luther, als er von seinem Mönchsorden nach Rom geschickt wurde und die Laterantreppe auf den Knien hinauf­gerutscht ist. Aber am Ende war er doch enttäuscht von dem, was er in Rom erlebte, weil er feststellen mußte, wie verkommen die Kirche seiner Zeit war.

Auch der Minister aus Äthiopien kehrte enttäuscht und im Herzen leer aus Jerusalem zurück. Er hatte den Tempel besucht, an Gottesdiensten teilgenommen, mit Religionsgelehrten gesprochen - aber es war nicht das, was er sich erhofft hatte. Um wenigstens nicht ganz vergeb­lich gereist zu sein, nimmt er sich ein Stück einer Schriftrolle aus Jerusalem mit – so wie man heute aus einem Wallfahrtsort ein Bild oder eine Kerze mitnimmt.

Immerhin ist er überzeugt: Mit der Religion Israels fängt es an. Hier ist der Ort, wo man Gott viel näher sein kann als irgendwo in der Welt. Und mit dem Besuch des Tempels war für ihn die Sache mit Gott nicht erledigt, er bleibt an der Sache dran.

Aber zunächst einmal entfernt er sich von dem Ort seiner Sehnsucht. Er ist auf der menschenleeren Straße nach Gaza, wo schon fast der Weg durch die Wüste beginnt. Aber in Wirklich­keit ist er gerade hier auf dem Weg zu dem wahren Gott. Und dieser schafft auch die äußere Voraussetzung für eine Begegnung:

Ein Mensch muß da sein, der den Glauben vermittelt. Oft versteht man erst die Wege Gottes, wenn alles vorbei ist. Philippus hat zunächst auch nicht gewußt, weshalb er mitten aus seiner Verkündigungsarbeit unter vielen Menschen herausgerissen wird, um vielleicht einem einzelnen Ausländer zur Verfügung zu stehen. Und der Äthiopier hat sicherlich nicht damit gerechnet, daß er doch noch eine Antwort auf sein Suchen finden wird.

Philippus muß sogar erst noch ermutigt werden, seine Aufgabe wahrzunehmen: „Jetzt nichts wie ran und Kontakt halten mit diesem Wagen!“ Gott ist hier der Lenker, der die Fäden in der Hand hält. Er hat es auch gemacht, daß der Fremde eine Bibelstelle liest, bei der Philippus anknüpfen kann. Es geht ja nicht nur darum, daß der Mann den Text versteht, wie ihn damals ein Jude verstanden hat. Dann hätte man nur die Frage beantworten müssen, ob der „Gottes­knecht“ hier sich selber meint oder vielleicht sein ganzes Volk.

Die Frage des Ministers zeigt nicht seine Dummheit und sein Unverständnis - wie man früher gemeint hat – sondern sie ist in Wirklichkeit klug und nahe am Text. Hier fügt sich eins ins andere. Gott führt eine kluge Regie, in der alles zusammen paßt. Am Ende kommt man auch ganz zufällig an ein Wasser, wo die Taufe stattfinden kann. Gott braucht aber Menschen, die seinen Regieranweisungen folgen. Dann kann aus dem Suchen ein Finden werden. Aber letztlich ist allein Gott derjenige, der findet.

Dabei geschieht die Ausbreitung des Glaubens nicht nur von einem Menschen zu seinem Nachbarn, sondern sie greift auch über weite Räume hinweg und bewirkt auch etwas, das man nicht erwartet hat. Es gibt keine aussichtlosen Fälle. Ein einzelner Mensch ist Gott so wichtig, daß er alle Hebel in Bewegung setzt. Das Erstaunlichste aber ist an sich, daß er auch uns gefunden hat, daß er auch uns Menschen geschickt hat, die uns das Wort Gottes erklärt und lieb gemacht haben.

 

2. Auch der ganz Ferne soll unterwiesen werden:

Dazu muß man ihn aber wohl dort abholen, wo er gerade ist. Hier war es eine Stelle aus dem Buch Jesaja, die eine Gelegenheit zu einem umfassenden Christuszeugnis gibt. Die Frage: „Verstehst du auch, was du liest!“ ist die Grundfrage für jeden, der glauben will. Es geht dabei nicht nur darum, daß man herauszufinden sucht, was der Verfasser im Augenblick des Niedersschreibens gedacht hat und hat ausdrücken wollen. Diese einzelne Stelle ist auch in den Gesamtzusammenhang der Bibel zu stellen.

Dann wird man vielleicht erkennen, daß anderswo noch nähere Erläuterungen zu finden sind oder daß es anderswo anders steht. Dann muß man abwägen, wie die einzelne Stelle vom Gesamtbild her zu verstehen ist. Die einzelne Stelle bestimmt das Gesamtbild mit und dieses wiederum legt die einzelne Stelle aus. Diese Methode zu lernen und anzuwenden ist eine Hauptaufgabe des Theologiestudiums.

Nun muß und soll nicht jeder Theologie studieren. Aber man muß verstehen können und überzeugt werden, daß das Gesagte mit dem eigenen Wahrheitsbewußtsein übereinstimmt. Dazu gehört aber auch, daß man bereit ist zum Hören und Verstehen, daß man sich öffnet für das, was einem gesagt werden soll. Das macht schon etwas Mühe.

Aber schöpfen muß man da, wo die Quelle ist. Das müssen wir jedem Suchenden zumuten, daß er sich informiert, die Bibel liest und Gottesdienste besucht. Allerdings muß man es ihm auch nicht unnötig erschweren. Von keinem wird verlangt, daß er die Erzählung von Adam und Eva als wirklich so geschehen ansieht. Überhaupt ist der Anfang der Bibel denkbar ungeeignet, einen Menschen an den christlichen Glauben heranzuführen. Da gibt es bessere Einstiege. Im Internet findet man unter „Bibel für Einsteiger“ Beispiele dafür. Man kann zum Beispiel mit den Ostergeschichten beginnen und von dorther das Leben und die Verkündigung Jesu aufrollen. Wiederholungen und heute überholte Aussagen kann man weglassen. Auch für Philippus genügt eine Stelle aus dem Jesajabuch, um dem Äthiopier deutlich zu machen, daß Jesus schon in den alten Schriften immer mit im Spiel war.

Dieser Minister kommt aus einer politischen Welt, in der das angeblich Notwenige durchgesetzt wird. Im Jesajabuch aber wird ihm ein Mann verkündigt, der stillhält wie ein Schaf, das geschoren wird. Er stirbt sogar – aber um unsertwillen, weil wir eben so sind, wie wir sind. Das ist eine ganz andere Art von Verstehen, als wir das vom Verstand her gewohnt sind. Aber es ist auch ein Verstehen – nur halt auf einer höheren Ebene.

 

3. Auch der ganz Ferne soll getauft werden:

Aber geht das nicht alles zu schnell mit der Taufe? Müßte da nicht ein Jahr Konfirmandenunterricht vorgeschaltet werden und eine Teilnahme am kirchlichen Leben? Philippus wird sich ja bald wieder anderen Aufgaben widmen müssen, der neue Christ wird in Zukunft allein zurechtkommen müssen. Aber der das gute Werk angefangen hat, der wird es auch weiterführen. In Äthiopien ist schließlich eine starke Kirche entstanden, die auch in unserer Zeit die Zeit einer kommunistischen Herrschaft überstanden hat.

Doch zu einer Taufe gehört immer auch ein gewisses Maß an Zuversicht und Gottvertrauen.

Wenn heute Kinder getauft werden, dann versprechen Eltern und Paten zwar die christliche Erziehung, aber ob diese auch wirklich erfolgt, steht auf einem anderen Blatt. Aber die Taufe wirkt auch aus sich selbst heraus. Sie ist wie ein Kleid, das im Augenblick noch zu groß ist für das Kind. Aber es wird hineinwachsen und großen Nutzen davon haben.

So ist auch die Kindertaufe eine Hilfe, zum Glauben zu kommen. Man kann sagen: „Du gehörst schon dazu, du mußt nur noch in der Praxis umsetzen, was dir schon gegeben ist!“ Und du hast nicht nur das Wort Gottes, sondern auch das Sakrament, etwas, das man sehen und spüren kann und etwas veranschaulichen soll, das man nicht sehen kann.

Wenn der Äthiopier fragt: „Was steht einer Taufe entgegen?“ dann zeigt das, daß er das Evangelium verstanden hat. Man muß nicht erst alles wissen, ehe man würdig ist, die Taufe zu empfangen. Man muß nur mit dem Herzen dabei sein und es wollen.

Das drückt auch ein Abschreiber die Bibel aus, der hier ein ausdrückliches Glaubensbekenntnis vermißt hat, wie er es aus seiner Kirche kannte. Er läßt Philippus sagen „Wenn du von ganzem Herzen glaubst, so mag es geschehen!“ Er aber antwortete und sprach: „Ich glaube, daß Jesus Christus Gottes Sohn ist!“ So ein Bekenntnis ist nicht falsch. Aber es war in diesem Fall wohl nicht unbedingt notwendig (deshalb ist die Ergänzung in den Bibelausgaben auch in Klammern gesetzt). Es ist Gottes Sache, wann und wo er uns zu fassen bekommt. Aber weil er alle Hindernisse beseitigt, dürfen auch die ganz Fernen kommen, aber natürlich auch wir alle.

 

 

Apg 9, 1 – 20 (12. Sonntag nach Trinitatis):

In den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts ist an der Universität Jena mit viel Aufwand und Lautstärke ein „Lehrstuhl für Atheismus“ errichtet worden. Jena hat darin schon fast eine Tradition. Denn um die Jahrhundertwende lehrte dort Ernst Häckel. Er hat das Buch „Die Welträtsel“ herausgegeben, das von vielen links orientierten Arbeitern gelesen wurde. In dem Buch sollten die Aussagen der Bibel durch sogenannte „wissenschaftliche Erkenntnisse“ ersetzt werden. Zum Beispiel sollte auch die Entstehung des Menschen „wissenschaftlich“ er klärt werden.

Der erste Inhaber jenes neuen Lehrstuhls für Atheismus war Olof Klohr. Er trat zunächst durch eine Reihe von Veröffentlichungen hervor und wurde auch zu Vorträgen gebeten. Aber dann wurde es immer stiller um ihn. Schließlich wurde er wieder von seinem Posten abgelöst. Man munkelt, er habe sich durch die eingehende Beschäftigung mit dem Christentum vom Glauben anstecken lassen. Nicht, daß er gleich ein Christ geworden wäre. Aber er hat

sich offenbar doch von der christlichen Lehre beeindrucken lassen.

An solchen und ähnlichen Beispielen sieht man, daß die christliche Botschaft ihre Kraft entfaltet, gerade auch bei ihren entschiedenen Gegnern. Das Problem ist nur: Die meisten Gegner kommen gar nicht mit der wirklichen Botschaft in Berührung. Sie haben etwas in Büchern und Zeitungen gelesen, sie haben etwas am Stammtisch gehört oder am Arbeitsplatz - aber im

Grunde hängen sie immer wieder an den alten Vorurteilen. Nur die Begegnung mit einem wirk­lichen Christen könnte hier eine Änderung bringen.

Sicherlich ist auch Paulus von den Christen beeindruckt worden. Er hat sie ja als gläubiger Jude zunächst fanatisch verfolgt. Aber dabei hat er sicherlich auch mit ihnen gesprochen und

sich mit ihnen auseinandergesetzt. Und dabei hat er wohl auch erlebt, wie sie unerschütterlich am Glauben festhielten. Das wird ihm doch zu denken gegeben haben.

Doch die Wende im Leben des Paulus kam nicht nur aus ihm selber heraus. Wenn in einen Stausee immer mehr hineinläuft, dann läuft er eines Tages über. So etwas mag bei Paulus auch eine Rolle gespielt haben: Weil er immer mehr von den Christen erfuhr, kippte er schließlich um. Gott handelt schließlich durch Menschen und benutzt sie als seine Helfer.

Aber entscheidend ist die Begegnung mit Christus selber. Dieser hat nicht gewartet, bis der Stausee von selber überlief, sondern er hat selbst die Sperrmauer hinweggeräumt. Mit stiller Gewalt hat er seinen Verfolger um volle 180 Grad herumgedreht. Nicht die Begegnung mit Menschen hat Paulus aus der Bahn geworfen, sondern die Begegnung mit Christus selbst hat dazu geführt.

Wir werden vielleicht sagen: „Mir ist Christus noch nicht in so einer Lichterscheinung begegnet, für mich hat es noch kein Damaskus-Erlebnis gegeben!“ Aber das ist eher ein gutes Zeichen. So massiv muß er nur auftreten bei entschlossenen Gegnern. Er gibt nicht auf, auch wenn die Lage hoffnungslos erscheint. Für ihn gibt es keinen hoffnungslosen Fall. Da sollte es das auch bei uns nicht geben! Wie oft hört man aber von sogenannten „gut-kirchlichen“ Leuten: „Der ist unkirchlich, den braucht man gar nicht erst wegen einer Mitarbeit anzusprechen!“ Zum Glück erlebt man aber auch einmal Erfreuliches und Erstaunliches von Menschen, die andere längst abgeschrieben haben. Es ist nie zu früh und selten zu spät für einen Menschen, noch zum Glauben zu kommen.

Christus hat seinen Verfolger nicht einfach mit harter Gewalt kampfunfähig gemacht. Er hat ihn nicht überrumpelt, so daß er sich zähneknirschend einem fremden Willen gebeugt hätte. Die Wende ist freiwillig im Inneren des Paulus erfolgt. Erst war er äußerlich sehend und innerlich blind. Nun ist er durch das helle Licht äußerlich blind geworden, tastet sich aber innerlich zum Licht der Wahrheit hin.

Ein mächtiger Mann ist auf einmal ganz hilflos. Sein altes Ziel ist ihm fragwürdig geworden. Nun sucht er ein neues Ziel. Durch Fasten und Beten will er Klarheit gewinnen. Nur langsam findet er sich in der neuen Lage zurecht. Es ist ja etwas von außen auf ihn mit Macht eingedrungen.

Mancher ist richtig traurig, weil er noch kein so großes Ereignis erlebt hat. Er wartet immerzu auf den großen Knall, aber er kommt nicht. Manche Christen können ja angeblich ganz genau Tag und Stunde angeben, an dem sie sich als Erwachsene zu Christus bekehrt haben. Sicherlich muß man irgendwann im Leben einmal eine Beziehung zum Glauben finden, wenn man als Kind getauft wurde

Bekehrung geschieht aber nicht immer so dramatisch wie bei Paulus. Eher ist das die Ausnahme. Man muß jedenfalls sehr skeptisch sein, wenn einer den genauen Zeitpunkt seiner sogenannten „Bekehrung“ angeben kann. Es könnte ja auch sein, daß man unter Erfolgsdruck gerät, wenn alle anderen von ihren Bekehrungen erzählen. Man sagt sich: „Da muß doch etwas bei dir nicht stimmen, wenn alle anderen so etwas erfahren, nur du nicht!“ Dann bildet man sich ein, doch das große Erlebnis gehabt zu haben. Aber hüten wir uns davor, uns selbst bekehren zu wollen! Das Normale ist doch, daß der Glaube allmählich wächst.

Die Taufe gibt dafür die Grundlage. Der kirchliche Unterricht vermittelt die notwendige Information. Man erlebt erfreuliche und bedrückende Dinge. Man erlebt Gottesdienste und andere kirchliche Ereignisse. Man nimmt am Abendmahl teil. Man spricht mit Menschen und betrachtet die Kunstwerke christlicher Meister. All das läßt den Glauben wachsen, ganz allmählich und wenig spektakulär - aber es entsteht natürlich auch auf diesem Weg ein echter Glaube.

Manchmal haben allerdings auch handfeste weltliche Ziele eine Bekehrung herbeigeführt. So hat zum Beispiel der römische Kaiser Konstantin im 4. Jahrhundert das Christentum zur Staatsreligion erklärt, weil er ein einigendes Band für sein Reich haben wollte. Dieses Bündnis zwischen Staat und Kirche hat dann auch eineinhalb Jahrtausende gehalten. Es ist der Kirche nicht immer gut bekommen. Aber immerhin wurde dadurch Europa christlich geprägt. Und durch die flächendeckende christliche Erziehung ist dann in vielen Fällen auch echter Glaube gewachsen.

Das ist auch der Grund, weshalb wir am Religionsunterricht in der Schule festhalten sollten. Er hat sicher seine Schwächen, er ist mit Recht umstritten. Er kann jungen Menschen unter Umständen den Weg zum Glauben verbauen. Aber er kann auch den Weg zum Glauben eröffnen.

Gott hat viele Möglichkeiten. Aber er braucht auch immer wieder Menschen, um seine Ziele zu erreichen. Wo einer zu Gott findet, da braucht er auch immer die Gemeinde als Helfer und Vermittler. Für den Leiter der Gemeinde in Damaskus war es schon ein Risiko, den schlimm­sten Verfolger der Gemeinde aufzunehmen. Aber jetzt war er ja nicht mehr der Feind, sondern der „liebe Bruder Saul“.

Man spricht ja manchmal davon, es sei einer „vom Saulus zum Paulus" geworden. Aber das ist nicht exakt. Saulus ist nur die jüdische Namensform, und Paulus die griechische. Es ist immer der gleiche Mensch, der sich geändert hat. Paulus hat zu seiner Vergangenheit gestanden. Aber vor allem wollte er ein neuer Mensch sein, die Zukunft war ihm wichtiger als die Vergangenheit.

Doch als Christ hat er zunächst einmal ganz kleine Brötchen gebacken. Lukas stellt es in der Apostelgeschichte so dar, als sei Paulus gleich mit einem Paukenschlag ganz groß herausgekommen, als sei er gleich der Großstadtprediger in den Zentren der Welt geworden. Aber in Wirklichkeit hat er erst einmal 14 Jahre als kleiner Missionar in Syrien gewirkt. Von der Wen­de in seinem Leben hat er nur sehr zurückhaltend gesprochen. Er hat nicht immer wieder seine Bekehrung erzählt, er hat nicht sein Leben zum Inhalt seiner Predigt gemacht, sondern Christus.

Auch heute kann sich so etwas wie bei Paulus mitten unter uns ereignen. Deshalb sollten wir offen dafür sein, wenn sich einer der Gemeinde nähert. Er soll sich trauen dürfen und keine Vorbehalte spüren. Wir dürfen dem Handeln Gottes nicht hinderlich im Wege stehen. Und wir sollten begreifen, daß wir selber auch nur von dem leben, daß Gott uns täglich neu vergibt und uns immer wieder in seine Gemeinschaft ruft.
 

 

 

 

Apg 10, 21 - 35 (34 -35) (3. Sonntag nach Epiphanias):

In der Apotheke sind die Medikamente fein säuberlich in Schubkästen untergebracht, von A bis Z. Der Apotheker braucht nur hinzugreifen. Verwechslungen sind so gut wie ausgeschlossen. Das ist eine notwendige und wohltuende Ordnung. Um Ordnung bemühen wir uns auch an unserem Arbeitsplatz und nur unserem Haushalt: die Zange gehört nicht an den Platz für den Hammer, die Salzsäure nicht in die Sprudelflasche, ein Buch wie die „Schatzinsel“ nicht in die Schultasche.

Aber manchmal übertragen wir unsre Ordnungsliebe, die bei Dingen so notwendig ist, auch auf Menschen. Dann ordnen wir die Menschen in unsrer Umgebung auch in Schubkästen ein, von A wie „Ausgetretener“ bis Z wie „Zahlungsverweigerer“. Oftmals ist sehr schnell unser Urteil über den anderen fertig: „Der kommt sowieso nicht zum Gottesdienst“ - „Die lassen ihre Kinder nicht konfirmieren!“ - „Die wollen doch nichts von den Geboten Gottes wissen!“

Wir sehen unsre Mitmenschen, wir hören und erleben sie - und wir ordnen sie ein in unsere inneren „Schubkästen“.  Entsprechend richten wir unser Verhalten diesem Menschen gegenüber ein: mit dem einen reden wir überhaupt nicht, den nächsten grüßen wir nur kurz, und Freundschaft halten wir dann nur mit denen, die sich in unseren „oberen Schubkästen“ befinden.

So etwas gab es schon immer. Im Mittelalter gab es die Standesunterschiede zwischen Adel, Geistlichkeit und Bürgertum. Bei den Juden teilte man ein in „Israel“ und „Heidentum“ bzw. rein und unrein. Man war davon überzeugt, daß das von Gott gewollte Unterschiede seien. Da gab es keine Brücke, geschweige denn eine Gemeinschaft.

So dachten auch die Menschen in der Geschichte von der Bekehrung des Kornelius. Dieser römische Hauptmann hielt sich mit seiner ganzen Familie zur jüdischen Gemeinde, er betete zum Gott Israels und gab sein Opfer für die Gemeinde. Trotzdem blieb er ein Ausländer, ein Fremder, ein Heide. So wurde er einsortiert und damit in Wirklichkeit aussortiert. Man sagte: Wir müssen uns gegen Fremdeinflüsse schützen!

Doch bei Gott gibt es kein menschliches „Schubkastendenken“. Er urteilt oft nach Maßstäben, die den unsrigen entgegengesetzt sind. Petrus und. Kornelius müssen es beide erst lernen: Gott ruft auch der Heiden in seine Gemeinschaft.

Die Vorstellungen der ersten Christen über die Grenzen der Kirche waren der Ausbreitung der Christusbotschaft eher hinderlich als förderlich. Von Jesus wußten sie, daß er nur gelegentlich mit Heiden zu tun hatte. Heidenmission war ihnen nicht geläufig. Zunächst einmal war das Evangelium für die Juden bestimmt.

Gott aber wollte, daß sich das Evangelium in die ganze Welt ausbreitet. Deshalb legt er Schritt für Schritt die trennenden Mauern nieder: An Pfingsten wendet sich die Predigt noch an Juden und Judengenossen. Aber dann wir ein immer größerer Kreis erfaßt: Zuerst werden die griechisch sprechenden Prediger noch Samarien vertrieben und breiten dort das Wort aus. Dann erreicht es den Kämmerer aus dem Morgenland und damit die Enden der damals bekannten Erde. Nun bahnt sich der nächste Schritt an: die erste Heidenbekehrung durch einen leitenden Mann des Zwölferkreises, durch Petrus selbst.

Doch man konnte nicht erwarten, daß die Entscheidung ein für alle Mal für die gesamte Kirche gefallen wäre. Querschläge und Rückschläge bleiben nicht aus: Mit dem Ereignis in Caesarea war es für Petrus noch nicht endgültig geklärt, wie man es mit den Heiden halten sollte. Von Gott geführt und gedrängt handelt Petrus einfach, ohne daß die Fragen umfassend durchge­klärt sind. Im Galaterbrief hören wir, daß Petrus später wider besseres Wissen dem Druck falscher Brüder nachgibt und sich von den Heidenchristen trennt und in seinem Gewissen wieder schwankend geworden ist.

Nur gut, daß Gott die Weichen stellt. Die Kirche hängt nicht von Menschen ab, sonst wäre sie längst vergangen. Wir meinen immer, es sei eine menschliche Entscheidung, ob sich einer zu Gott bekennt oder nicht oder zu welchem Gott oder zu welcher Weltanschauung. Aber wir können unter einem Angebot von Göttern nicht den uns angenehmen heraussuchen. Wir können uns auch nicht kraft eigenen Entschlusses zu dem Gott aufmachen, den wir als den einzigen erkannt haben. Kein Sünder - und das sind wir alle - hat auf Gottes Gemeinschaft und Liebe ein Recht.

Wir können nicht fordern: „Gleiches Recht für alle“, sondern wenn schon, dann eher „Gleiche Gnade für alle“. Gott sieht die Person nicht an. Gnade ist ein unerwartetes und nicht zu forderndes Geschehen. Es ist Gottes Sache, seine Türen zu öffnen, wo und wann er will. Aber wenn er die Türen öffnet, dann sollten wir sie nicht zuschlagen. Auch wir sollten allen Menschen mit der gleichen Offenheit begegnen, wie Gott das tut.

Nach dem Krieg war es nicht einfach, die sogenannten „Flüchtlinge“ in die Gemeinden aufzunehmen, auch in die Kirchengemeinden. Sie brachten ein fremdes Element in die geschlossenen Dörfer und Kleinstädte. Zum Glück waren doch einige dabei, die für einen Aufschwung des kirchlichen Lebens sorgten und den Einheimischen ein gutes Beispiel gaben. Das hat das Zusammenwachsen erleichtert. Aber wenn etwa ein neuer Kirchenvorsteher gesucht wird, dann denkt man immer zuerst an die aus den alteingesessenen Familien, deren Väter und Großväter schon Kirchenvorsteher gewesen waren. Ähnlich schwierig ist es oft mit den Kindern aus den verschiedenen Orten des Kirchspiels

Doch wir sind e i n e Kirche und oft sogar e i n e Kirchengemeinde. Aber alteingewurzelte Vorurteile und Rivalitäten sind nicht so leicht abzubauen. Und gerade in der frommen Gewöhnung sind die Menschen beharrlich, ihr Denken und Empfinden ist bis in tiefe Seelenschichten hinab festgelegt. In der Predigt kann manches anders und freier sein. Aber im Ablauf des Gottesdienstes soll es möglichst keine Veränderungen geben. Vor allem beim Abendmahl rufen Abweichungen immer gleich Unsicherheit hervor.

Was dem Petrus in der herabgelassenen Leinwand zum Essen angeboten wird, ist ein Gleichnis. In Wirklichkeit geht es ja um Menschen, und da sind Reinheitsvorschriften im Wege. Genauso wie ein Jude kein Schweinefleisch essen durfte, genauso durfte er keine Gemeinschaft mit Heiden haben, schon gar nicht auf religiösem Gebiet.

Man muß das verstehen: Man war ja ringsum mit Heidentum umgeben. Und auch im eigenen Lande war man stets der Versuchung der anderen Götter ausgesetzt. Man mußte sich der Überfremdung und des Verrats an Gott immer wieder erwehren. Im Bewußtsein Israels war es tief eingegraben: Heidnisches verunreinigt, man muß es meiden! Doch Gott sagt dem Petrus: „Ich habe es gereinigt!“

So kann Petrus ganz unbefangen das Haus des römischen Hauptmanns betreten, zusammen mit einigen anderen Christen, für die damit diese Entscheidung auch gilt. Dem Heidentum ist nicht durch Absonderung zu widerstehen, sondern durch aktives Eingreifen. Das wird deutlich, als Kornelius vor Petrus niederfällt und dieser entschlossen kontert: „Steh auf,  ich bin auch nur ein Mensch. Es gibt nur einen Gott, und den wollen wir gemeinsam anbeten!“

Wir alle haben es gleich weit zu Christus. Und er will für alle da sein, wer sie auch sind. Deshalb müssen wir darauf achten, daß wir nicht eine „Gruppenhaut“ um uns legen, die den anderen den Zugang erschwert. Je familiärer es in einer Gemeinde zugeht, desto eher ergibt sich so eine Abstoßung. Wir merken das an der Gemeindekreisen, wo dann nur die hingehen, die dazugehören. Der Gottesdienst in der Kirche ist da schon leichter zugänglich.

Mehr Tuchfühlung kann auch von Vorteil sein. Aber leicht kommt es dann dazu, daß man sich zu sehr für den anderen interessiert und ihn dann in Schubfächer einordnet. Man fragt: „Was bist du, was leistest du? Wie ordentlich war deine Erziehung, wie korrekt lebst du?

In welcher Welt- und Lebensanschauung lebst du? Welche Meinung hast du von der Kirche?“

Für Gott spielt das alles keine Rolle. Niemand braucht etwas mitzubringen, wenn er zu Christus kommt: keine frommen Verdienste, keine eindrucksvolle Lebensbilanz, kein kirchliches Benehmen. Wir sind alle Teil einer weltweiten Bruderschaft. Auch Heiden - oder sagen wir heute vielleicht besser „Ungläubigen“ - können in Christus einverleibt werden, in die Gemeinde als seinen Leib.

Doch wir sollten nicht meinen, man brauche nur Gott zu fürchten und recht zu tun, dann sei man schon Gott angenehm; man brauche also gar nicht die Gottesgnade, sondern nur einen guten Lebenswandel. Es wird nicht gesagt, daß sich das Christwerden erübrigt, sondern daß es ohne weiteres möglich ist. Gott hat auch gleich von Anfang an ins Auge gefaßt, daß die in Cäsare Versammelten „Worte“ hören sollen, also die christliche Botschaft.

Es ist also nicht gleichgültig, ob man Christ oder Heide ist, sondern es wird gesagt: Heiden können genauso gut wie Juden nun Christen werden. Dazu sind alle eingeladen. Das Evangelium führt uns alle zusammen. Da hat keiner etwas vor dem anderen voraus, sondern alle werden „umsonst“ geliebt. So kommt es zu der Freiheit der Kinder Gottes, die der Geist schafft.

 

 

Apg 10, 34 – 43 (Ostern II):

Karfreitag war wie das gewaltsame Ende eines Boxkampfes: Die Verhaftung Jesu war der erste Niederschlag, da mußte er schon auf die Bretter. Die Verurteilung war der entscheidende zweite Schlag. Und seine langsame Hinrichtung ist vergleichbar mit dem Zählen des Ringrichters bis zum „Aus“. Der Kampf war entschieden. Jesus hatte verloren. Aber dann kam etwas, was niemand für möglich gehalten hätte und was es auch beim Sport nicht gibt: Obwohl Jesus k.o. geschlagen wurde, hat Gott ihn zum Sieger erklärt. Das ist unfaßbar, aber eine Tatsache: Der äußerlich Unterlegene ist in Wahrheit der große Sieger!

Für Petrus war es nicht einfach, diese Erkenntnis den Heiden im Haus des Hauptmanns Cornelius zu vermitteln. Sie hatten zwar schon Kontakt zum Judentum, aber Gottes Tat an Ostern ist im Grunde für jeden schwer verständlich. Petrus erzählt zunächst aus dem Leben Jesu, weil dieses mit dem Sterben und Auferstehen zusammengehört. Dadurch wird der Auferstandene nicht zu einer nebelhaften Größe, zu einer überirdischen Gottheit ohne Gesicht, sondern trotz seiner himmlischen Herkunft bleibt er menschlich.

Petrus verwendet keine schwergewichtigen theologischen Ausdrücke, sondern er sagt: „Gott war mit ihm!“ Aber dieser harmlos erscheinende Satz hat es in sich. Damit ist mehr gemeint, als daß Jesus nur im Rückenwind des Wohlgefallens Gottes gesegelt wäre. Sie haben ihn ja dennoch ans Holz gehängt und umgebracht.

Hier wurde ein harter Kampf ausgetragen um Menschen, die vom Teufel überwältigt waren. Aber Jesus hat dem Teufel sozusagen in den Rachen gegriffen und gerade da, wo der Fürst dieser Welt regiert, die Sache Gottes betrieben. Schon in seinem Erdenleben hat sich das gezeigt. Erdenwirken und Ostersieg Jesu gehören zusammen.

Plötzlich wußten die Jünger: Jesus lebt, er ist bei uns! Sie drückten das dann so aus: „Wir haben ihn gesehen!“ Irgendetwas muß geschehen sein, daß diese feigen Männer zu neuen Menschen gemacht hat. Nirgends wird beschrieben, was da genau geschehen ist, aber seine Auswirkungen waren deutlich festzustellen.

Die Jünger haben für das Ostergeschehen das Wort „Auferstehung“ verwendet, weil man sich damals etwas darunter vorstellen konnte. In vielen Religionen sah man das Absterben der Natur im Herbst und ihr Wiedererwachen im Frühjahr als das Sterben und Auferstehen der Gottheit an. Im Grunde hat sich das ja noch bei uns gehalten. Ostern wird als Frühlingsfest bezeichnet und die Neubelebung der Natur in den Mittelpunkt gestellt. Oder zumindest vergleicht man die Auferweckung Jesu mit der Auferweckung der Natur.

Doch das geht nicht: Bei Jesus handelt es sich um eine einmalige Tat Gottes, die sich nicht alle Jahre wieder ereignet, sondern die sich nicht wiederholen wird. Was wir als „Auferstehung der Toten“ bezeichnen geschieht erst am Ende aller Tage. Das Entscheidende aber, was die Jünger an Ostern verkünden, lautet: „Jesus lebt schon jetzt, hier und heute!“

Jesus war nicht ein Religionsstifter und Menschenfreund, der vor fast 2000 Jahren gelebt hat und dessen Worte noch weiterwirken und Geschichte machen. Er hat auch nicht etwas in Gang gebracht, das nun ohne ihn weiterläuft wie ein Eisenbahnwagen auf dem Rangiergleis. Jesus ist eine Person, deren Namen man anrufen kann, und die Kirche ist die Gemeinschaft der Menschen, in denen Gott selbst gegenwärtig ist und wirkt. Sie ist aus der Botschaft vom auferstandenen Christus entstanden, ohne Ostern gäbe es sie nicht.

Petrus betont immer wieder: „Dafür sind wir Zeugen!“ Den Auferstandenen haben nur die ausgesuchten und bestimmten Zeugen gesehen, die schon zu seinen Lebzeiten mit ihm zusammen waren. Sie durften als Erste erfahren, daß Jesus kein Vergangener ist, sondern Gott ihn am dritten Tag auferweckt hat von den Toten.

Diese Predigt aber richtet sich „an alles Volk“. So hat sich die Botschaft von Ostern über die Welt ausgebreitet und ist eines Tages auch zu unseren Vorfahren gekommen. Keiner gehört von Geburt an zum Volk Gottes. Aber durch die Taufe ist allen Menschen die Möglichkeit eröffnet, Glieder des Gottesvolkes zu werden.

Das gilt auch für die Heiden in unserer Umgebung, die noch nicht oder nicht mehr zur Gemeinde gehören. Wir können nicht einfach sagen: Die sind verlorene und verdammte Menschen! Gott kann auch an ihnen das Wunder tun, daß sie zum Glauben finden. Und wir erleben das hin und wieder ja auch, daß so etwas geschieht, trotz unserer Schwachheit und unseres Versagens in der Liebe.

Allerdings stoßen in anderen Ländern mehr Leute zur Kirche als bei uns. Auf keinen Fall können wir mehr vom „christlichen Abendland“ reden und von den armen, unterentwickelten Heiden in Afrika. Heute geht es um eine Mission in allen fünf Kontinenten. Gott hat viele Möglichkeiten, auch wenn Manches von unseren gewohnten Vorstellungen abweicht. Aber Gott kann immer und überall wirken.

Aber immer kann man sich nur auf das Wort der Zeugen verlassen. Auch zu uns kommt das Osterereignis nur durch die Predigt. Wichtig ist allein, daß wir diesem Wort glauben. Was dagegen damals im Einzelnen geschehen ist, braucht uns nicht so sehr zu interessieren. Entscheidend ist allein, daß Jesus heute der Lebendige ist und im Abendmahl uns nahekommt. Da ist er greifbar und schmeckbar, da wirkt er in die Welt hinein und will zu allem Volk kommen, da kann man zu seinem Leib werden.

Für Petrus war es nicht leicht, in das Haus eines Römers zu gehen und dort von Jesus zu erzählen. Sein ganzes Inneres muß sich dagegen gesträubt haben, daß auch diese Heiden zum Volk Gottes gehören sollen. Durch die Auferweckung Jesu kann auf einmal jeder „Kind Gottes“ werden, egal aus welchem Volk oder welcher Rasse oder welcher Gesellschaftsschicht er kommt, ob er Mann oder Frau, Kind oder Greis ist. Gottes Sache läßt sich nicht beschränken auf eine bestimmte Gruppe oder eine bestimmte Art des Glaubens oder der Frömmigkeit. Deshalb muß eine christliche Gemeinde Platz haben für die verschiedenartigsten Menschen, Interessen und Anschauungen.

Allerdings ist durch diese Vielfalt der christlichen Kirchen eine Entwicklung eingetreten, die sicherlich nicht im Sinne Gottes war: Wir haben heute nicht mehr die eine christliche Kirche, sondern die verschiedensten Kirchen und Kirchlein, Gruppen und Grüppchen. Man kann diesen Zustand der Kirche am besten mit einem Baum vergleichen, so eine Art „Stammbaum der Christenheit“.

Seine Wurzeln liegen im Judentum und entsprossen ist er aus Jesus von Nazareth. Dann war die Kirche etwa tausend Jahre eine Einheit, bis es zur Spaltung in Ostkirchen und Westkirchen kam. Weitere 500 Jahre später hat sich die Westkirche noch einmal gespalten in die römisch-katholische Kirche und die Kirchen der Reformation mit den drei Hauptzweigen lutherische, reformierte und anglikanische Kirchen. Aber auch die haben sich verästelt, so daß nur

ein mächtiger Baum mit einer reichgestalteten Krone entstanden ist.

Man mag das einerseits bedauern, daß die Kirche nicht mehr eine organisatorische Einheit ist. Aber andererseits kommt es doch auf die innere Einheit an. Heute arbeiten fast alle christlichen

Kirchen im Weltrat der Kirchen zusammen. Nur die römisch-katholische Kirche ist nicht Mitglied, weil sie sich selbst als die eine weltweite Kirche versteht; aber sie ist auch durch Beobachter vertreten und arbeitet an vielen Stellen mit.

Die Einheit der Kirche zeigt sich heute nicht mehr in einer Einförmigkeit. Die Sitten und Gebräuche können ohne Schaden unterschiedlich sein. Selbst in der Theologie kann es manche Unterschiede geben, weil die eine Gruppe das eine mehr betont und die andere das andere. Wichtig ist allein, daß wir alle den gleichen Glauben und den gleichen Gott haben.

Wir dürfen dankbar sein, daß es in unserer Zeit nicht bei einem Nebeneinander der vielen geschichtlich gewordenen Kirchen geblieben ist. Durch den Austausch und das gegenseitige Kennenlernen ist viel Verständnis gewachsen und jede Kirche selber bereichert worden. Das merken wir auch, wenn wir mit Christen des Auslands zusammenkommen. Aber die Gemeinschaft der Christen zeigt sich auch am Ort.

Wir haben nicht das Recht, die Weise des Kirchenseins zum Beispiel der Katholiken und ihre Art des Glaubens abschätzig zu betrachten. Gottes Heiliger Geist wirkt auch unter ihnen. Wir sollten eher darauf achten, daß wir ihn auch ungehindert unter uns wirken lassen. Wir haben ihn nicht allein für uns gepachtet. Aber Gott gibt uns die Möglichkeit, uns von dieser Kraft beschenken zu lassen.

Die Herrschaft des auferstandenen Christus erstreckt sich aber nicht nur auf die Herzen der Menschen, sondern auch über die außermenschliche Kreatur. Solange er in Palästina lebte, war sein Wirken begrenzt. Seit Ostern aber ist seine Wirksamkeit entschränkt.  Nun können alle, die an ihn glauben, Vergebung der Sünden empfangen. Christus will ja nicht verdammen, sondern erretten. Dies geschieht in der Taufe. Und die schon Getauften sollten das immer wieder wahrnehmen, was sie in Christus haben.

Jesus ist gekommen, den Frieden zu verkünden, sagt Petrus am Beginn seiner Predigt; den Frieden zwischen Gott und den Menschen und den Frieden der Menschen untereinander. Das könnte viel bedeuten für das politische Zusammenleben von Ost und West, Nord und Süd, in Deutschland, Mittelamerika und in Vorderasien. Aber wir brauchen gar nicht an die großen Spannungen in der Welt zu denken.

Auch im alltäglichen Zusammenleben der Menschen brauchen wir den Frieden, der von Gott kommt. Da geht doch oft so vieles schief! Wenn wir in unserem kleinen, ganz alltäglichen Be­reich Frieden halten, dann haben wir schon unseren Beitrag zum Frieden des Osterfestes geleistet. Gott selber hat uns das Vorbild gegeben, als er wieder Frieden geschlossen hat mit      d e n Menschen, die seinen Sohn umgebracht haben.

Das neue Leben des Christus muß auch zu einem neuen Leben der Christen führen. In der Folge der Auferstehung haben sie den Frieden zu bezeugen und zu leben. Wir können die Aufgabe an Ostern auch mit dem zweiten Wort sagen, das Petrus hier verwendet: „Vergebung!“ Am Anfang seiner Predigt spricht er nur allgemein vom Frieden. Am Schluß aber wird er konkret und spricht von der Vergebung.

Wir brauchen die Vergebung für all das, was wir Gott angetan haben. Die hat Jesus uns an Karfreitag und Ostern verschafft. Doch nun wird es für uns darauf ankommen, ebenso zur Vergebung bereit zu sein und etwas von der Osterfreude zu allen Menschen zu tragen.

 

Apg 12, 1 – 11 (16. Sonntag nach Trinitatis):

Da ist ein Mann schon eine Woche im Gefängnis. Er hat nichts weiter verbrochen, als daß er ein Christ ist. Aber da genügt ja oft schon, ihn als „Staatsfeind Nummer eins“ erscheinen zu lassen. Mit einem ordentlichen Gerichtsverfahren hält man sich gar nicht erst lange auf. Jeder Tag kann der letzte für den Gefangenen sein. Doch er schläft ruhig ein, ohne Angst.

Wie ist so etwas möglich? Wir bringen so etwas ja kaum fertig. Uns ist ja schon die Nachtruhe geraubt, wenn wir eine Vorladung zur Verkehrspolizei erhalten. Aber es gibt natürlich auch schwerwiegendere Fälle, wo es verständlich ist, wenn einer nicht schlafen kann: wenn eine Prüfung bevorsteht, wenn einer von seinem Gewissen geplagt wird, wenn man Sorgen in Familie oder Beruf hat - vor allem aber auch, wenn jemand schwerkrank ist, an dem man sehr hängt. Da lassen wir uns oft aus der Bahn werfen.

Nicht so aber Petrus, der Jünger Jesu. Ruhig schläft er zwischen den beide- Soldaten, an die er gekettet ist. Er ha-t mit seinem Leben abgeschlossen. Er wird nun bald als Zeuge für Jesus sterben müssen, so wie sein Herr es ihm vorausgesagt hat. Gefaßt sieht er dem Kommenden entgegen. Gott hat ihm Kraft und Glaubensstärke gegeben, er wird diesen letzten Schritt im Vertrauen auf Gott gehen können. Er weiß:

 

1. Gott kann das Leben fordern! Wir können nur froh sein, wenn uns dieses Letzte erspart bleibt. Wir stöhnen ja oft schon, wenn wir weit Leichteres auszuhalten haben. Aber es kann auch einmal ganz Schweres auf uns zukommen. Keinem der Blutzeugen zwischen 1933 und 1945 war es an der Wiege gesungen worden, daß sie einmal aller Welt zeigen müßten, wieviel ihnen Gott gilt. Es könnte auch sein, daß der eine oder andere von uns so geführt wird.

Doch das bedeutet niemals, daß Gott des Geschehens nicht mehr mächtig ist. Vielmehr treibt er auch dadurch seine Sache nur voran. Schon im Altertum sagte man: „Das Blut der Märtyrer ist der Same der Kirche!“ Je mehr die Kirche verfolgt wurde, desto mehr schloß sie sich zusammen und desto mehr wurde sie auch anziehend für andere. Je mehr man die Kirche unterdrücken wollte, umso mehr ist sie gewachsen, innerlich und auch äußerlich. Der Brand, der durch Druck ausgetreten werden sollte, breitete sich desto mehr aus und war nicht mehr aufzuhalten.

Empörend ist allerdings, daß ausgerechnet ein Mann wie Herodes Agrippa über die Diener Gottes solche Macht hat. Er hatte sich bei den Römern „lieb Kind“ gemacht und war zum König von Roms Gnaden eingesetzt worden. Er herrschte noch einmal über all die Kleinstaaten, über die schon sein Großvater Herodes der König war. Aber auch bei den strengen Juden wollte er sich lieb Kind machen. Wenn er in Jerusalem war, dann gab er sich gesetzestreu, unterstützte die Frommen und förderte den Tempelkult. Aber das alles nicht aus Überzeugung, sondern weil er „gut Wetter“ machen wollte. Dahin gehört auch die Verfolgung der Christen: dadurch wollte er sich den Juden gefällig erweisen. Kurz gesagt: Dieser Herodes Agrippa war ein „fieser Typ“.

Wir meinen leicht: Gott müßte doch verhindern, daß so ein Kerl auch nur irgendeine Macht über seine Boten hat, er müsse solche Geschehnisse doch verhindern. Gott könnte es, das zeigt die Petrusgeschichte. Wenn wir unser Leben einmal überdenken, dann werden wir wohl doch manches Beispiel finden, wie Gott uns vor Schlimmem bewahrt hat.

Aber er m u ß es nicht.

 

2. Gott kann die Freiheit geben: Für die Gemeinde hätte es so aussehen können, als werde die Front nun Zug um Zug aufgerollt. Zuerst war Jakobus umgebracht worden. Nun soll das Gleiche mit seinem Nachfolger Petrus geschehen. Die Gemeinde ist erschüttert und bedrückt. Was wird wohl noch alles kommen?

Da tut die Gemeinde das einzige, was ihr zu tun bleibt: Sie betet pausenlos. Herodes wird sicher seine Geheimpolizisten losgeschickt haben, damit sie erkunden, wie die Christen reagieren. Sie hätten ja demonstrieren können oder gar einen gewaltsamen Befreiungsversuch

unternehmen können. Aber nichts von alledem.

Die Spitzel berichten: „Die Christen tun gar nichts, sie sitzen nur in ihrem Haus und beten!“ Da konnte sich Herodes natürlich beruhigt die Hände reiben: Wenn sie ja „nur“ beten, dann kann ja gar nichts passieren, das ist harmlos, das wird ihm nicht gefährlich. So denkt der Machtmensch Herodes.

Doch man hat den Eindruck: Es ist ein kämpferisches Beten, was die Gemeinde dort unternimmt. Sie wollen im Herzen Gottes etwas in Bewegung bringen und damit auch seinen Arm bewegen, damit er eingreift. Vielleicht haben sie es nicht gewagt, um die Befreiung des Petrus

zu bitten. Jakobus hatte ja auch sterben müssen, obwohl sie für ihn gebetet haben. Aber sie werden gebetet haben, daß Petrus stark bleiben kann, daß er nicht an Gott irre wird, wenn er nun wird sterben müssen. Es ist tröstlich, wenn man weiß: Wenn man selber nicht mehr beten kann, dann tritt die Gemeinde fürbittend ein.

Doch Petrus kommt noch einmal davon. Wie seine Befreiung erfolgt, wird nicht im Einzelnen deutlich. Es war nicht ein Erdbeben, das die Türen aufspringen läßt. Gott hat sich in diesem Fall nicht natürlicher Mittel bedient. Der Evangelist Lukas wußte nur: Petrus ist verhaftet worden, aber nachher hat er wieder als Apostel gewirkt. Was dazwischen lag, hat Lukas mit seinen eigenen Vorstellungen ausgeschmückt. Für uns heute geht es nicht darum, diese Geschichte so wörtlich zu glauben, wie sie hier erzählt wird. Wir werden vielmehr gefragt: „Traust du Gott zu, daß er auch heute die Seinen aus auswegsloser Lage erretten kann? Betest du darum, daß er dir hilft?“

Aber die Befreiung des Petrus ist ein reines Wunder. Er hat nichts dazu getan, er hat geschlafen. Wie seine Befreiung in Wirklichkeit vor sich gegangen ist, wissen wir nicht. Die Schilderung der Apostelgeschichte aus späterer Zeit klingt für uns ein wenig unwahrscheinlich. Aber Tatsache ist, daß Gott den Petrus aus dem Gefängnis geholt und damit vor dem sicheren Tod bewahrt hat. Für ihn ist eben keine Situation ausweglos. Gott findet immer noch einen Weg - auch für uns.

Gott hat dabei eine Absicht. Es geht vielleicht gar nicht so sehr um das Einzelschicksal des Petrus. Wenn es nötig gewesen wäre, hätte er sterben müssen, so wie Jakobus. Aber Gott braucht ihn noch, seine Stunde war noch nicht gekommen. Und das höhere Ziel dabei war:

 

3. Gott will die Gemeinde mehren!

Es war nur eine kleine Gemeinde in Jerusalem. Sie haben sich wohl wieder in dem Haus zusammengefunden, in dem Jesus das letzte Abendmahl mit ihnen gefeiert hatte. Es sind gerade wieder die Tage der ungesäuerten Brote, also die Zeit, in der Jesus gestorben ist. Seit dieser Zeit haben sie sich mit Gottes Hilfe gehalten. Aber jetzt haben sie eine schwere Gefährdung durchzustehen.

Doch die Hilfe ist schon nahe, ganz anders, als sie es zu hoffen gewagt haben. Mit einem gewissen Humor wird geschildert, wie das Mädchen Rosel ganz bestürzt ist, als Petrus draußen vor der Tür steht. Auch die anderen meinen, sie sei nicht ganz da und spinne sich etwas zusammen. Und als Petrus dann leibhaftig vor ihnen steht, da sind sie doch ziemlich entsetzt.

Es wird auch uns wohl erleichtern, daß auch die ersten Christen nur voller Bangen gebetet haben. Da ist nichts von einer unerschütterlichen Gewißheit, Gott werde schon unmittelbar auf das Gebet eingehen. Sie beten noch - und können es nicht fassen, daß ihr Gebet schon erhört ist. Ganz echt und ehrlich ist das geschildert.

Gott erhört auch unsre kleinmütigen und schüchternen Gebete. Er handelt über unser Bitten und Verstehen. Er tut mehr, als unser Glaube zu fassen vermag. Das ist sicher ein guter Trost für uns.

Manchmal sind wir sicher auch verzweifelt, wollen gar Gott anklagen und fragen: „Warum hilft er nicht? Kann er nicht oder will er nicht? Doch dann erleben wir auch wieder, wie er mehr tut, als wir zu bitten gewagt haben. So ist eben unser Gott, der das Leben fordern, aber auch die Freiheit geben kann. Das alles aber geschieht mit dem Ziel, die Gemeinde zu mehren.

Petrus verläßt Jerusalem und geht auf Missionsreise. Das war nicht Feigheit. Wenn Petrus feige gewesen wäre, dann hätte er auch untertauchen und sich in Privatleben zurückziehe- können. Aber seine Befreiung hatte keinen privaten Charakter. Petrus wird von Gott weiterhin gebraucht. Deshalb verläßt er jetzt die Stadt und riskiert nicht leichtsinnig eine erneute Verhaftung.

Petrus wird jetzt erst recht der Bote Jesu sein. Herodes Agrippa hatte den christlichen Glauben unterdrücken wollen. Aber das Ergebnis war, daß er sich nun erst recht ausbreitet. Ohne Herodes wäre Petrus nicht oder noch nicht in die Umgebung ausgewichen. Letztlich hat der König doch Gottes Plan gedient.

Das wird auch deutlich an einem Bild zu dieser Geschichte: Von unten greift die gewalttätige Hand des Herodes in die Gemeinde hinein und greift sich den Petrus heraus. Die Gemeinde kann nichts anderes tun als die Hände zu Gott zu erheben. Schützend und bergend streckt sich ihr die Hand Gottes entgegen. Je mehr aber der Druck von unten wächst, desto mehr wird die Gemeinde in die Arme Gottes getrieben.

Doch Gott faßt seine Entschlüsse, so wie er es für richtig hält: Der eine muß leiden, der andere wird befreit. Der eine stirbt im Dienst, der andere wird befreit zum Dienst. Für den ausscheidenden Jakobus hat Gott schon einen anderen bereit. Das Leben der Gemeinde geht weiter. Darauf dürfen wir uns auch heute verlassen.

 

Ergänzung:

In einer Gegend Afrikas war einmal eine große Dürre. Die Ernte wäre vernichtet gewesen, wenn nicht bald der Regen einsetzt. Die Christen versammeln sich zu einem Bittgottesdienst um Regen. Sie wollen zu Gott beten, daß e r ihnen doch endlich Regen schickt. Doch der Pfarrer hält erst einmal eine Standpauke. Er sagt: „Ihr wollt um Regen bitten. Aber es glaubt ja gar keiner richtig daran, daß Gott unser Gebet erhören wird. Was wollt ihr denn machen, wenn Gott unser Gebet sofort erhört und ihr wieder nach Hause wollt. Holt erst eure Regen­schirme und dann können wir auch um Regen bitten!“ Es ist nicht überliefert, wie die Sache ausging, ob es wirklich bald geregnet hat. Aber das Beispiel zeigt doch: Wenn man schon betet, dann muß man es auch ernst meinen

Ist das nicht typisch für uns? Wir beten alle immer wieder. Vor allem im Gottesdienst werden sehr viele Gebete gesprochen. Aber meinen wir sie wirklich ernst? Glauben wir wirklich, daß Gott sie auch erhört? Oder denken wir nicht oft: „Man kann es ja einmal versuchen. Aber wenn Gott keine Änderung herbeiführt, muß es auch so gehen!“

Die Gemeinde Gottes weiß: Das ist jetzt unsrer einzige Waffe. Der Macht des Schicksals können wir nur die Macht des Gebets gegenüberstellen. Aber dieses „nur“ ist etwas anderes als bei Herodes: Er will damit die Harmlosigkeit und Ungefährlichkeit des Gebets kennzeichnen. Die Gemeinde aber bekennt: „Mit unsrer Macht ist nichts getan, wir sind gar bald verloren, es streit für uns der rechte Mann, den Gott selbst hat erkoren!“

Vielleicht wird das einem erst so richtig deutlich, wenn all die eigenen Rettungsbemühungen gescheitert sind und man ganz am Ende ist. Wir kommen ja manchmal in Situationen, in denen unsre Ohnmacht nur zu deutlich ist. Wir merken das einmal in unserem persönlichen Leben, zum anderen aber auch in der Entwicklung der ganzen Gemeinde.

Da ist eine Krankheit, die trotz allen Einsatzes ärztlicher Kunst zum Tode zu führen droht. Oder da ist ein Mensch, der im Beruf nicht vorankommt und kein Verhältnis zu seinen Mitmenschen findet. Oder da ist ein behindertes Kind, das trotz aller Bemühungen keine Fortschritte macht.

Vielleicht steht uns ein solcher Mensch besonders nahe. Wir möchten gern helfen. Aber alles Reden und Helfen war bisher vergeblich. Wir gleichen einem Löwen im Käfig, der nach Freiheit strebt und sich doch nur an den Gitterstäben wund stößt. Und so verzehren wir uns im Gefühl der Ohnmacht und Ungeduld.

Ähnliches gibt es im Leben der Gemeinde. Da gibt es Orte, wo der Prediger mit Menschen- und mit Engelszungen reden kann und es versammeln sich doch nur drei oder vier Leute zum Gottesdienst. Vielleicht hat einer seiner Vorhänger den Dienst nur nachlässig versehen. Oder ein unerquicklicher Streit hat die Gemeinde zerspalten. Oder es ist einfach kein Bedürfnis für den Gottesdienst mehr da. Da ist es schwer, wieder einen Neuanfang zu finden und wieder etwas aufzubauen.

Ein Gebet muß nicht immer gleich helfen. Insofern zeigt das Beispiel von dem Bittgottesdienst in Afrika nur die e i n e Seite. Die Erhörung muß nicht immer gleich erfolgen. Aber das Gebet muß von einer starken Glaubensgewißheit getragen sein, wenn es Erfolg haben soll. Die Mutter des großen Kirchenlehrers Augustin hat 16 Jahre lang für die Bekehrung ihres Sohnes gebetet. Der hatte alles Mögliche Andere im Kopf: Bald war er Atheist, bald Anhänger Platos, bald Mitglied einer Sekte. Aber dann eines Tages trifft es ihn: Er schlägt die Bibel auf, ändert sein Leben. Läßt sich taufen und wird einer der bedeutendsten Theologen der frühen Kirche. Die Gebete seiner Mutter waren doch noch erhört worden.

Hier hat Gott also mehr getan, als die Gemeinde ihm zugetraut hat. Gott tut nicht nur so viel an uns, wie unser Glaube zu fassen vermag. Er ist unserem Denken vielmehr immer schon ein Stück voraus und überrascht uns immer wieder. Das sollte uns auch Zuversicht geben, wenn wir wieder einmal etwas von ihm erbitten möchten.

 

 

Apg. 14, 8 – 18 (12. Sonntag nach Trinitatis):

Die Götter sind nicht mehr unter uns, wohl aber die Halbgötter. Gemeint sind damit die Ärzte, die gern als „Halbgötter in Weiß" bezeichnet werden. Sie stehen bei der Wertschätzung der Berufe an oberster Stelle. Jeder ist ja auch auf sie angewiesen, jeder braucht einmal einen Arzt. Und in der Regel können sie ja auch helfen. Sie bringen unter Umständen auch so etwas fertig, was Paulus in Lystra schafft, nämlich die Heilung eines Gelähmten. Eine solche Krankheit kann nämlich einfach seelische Ursachen haben. Ein Seelenarzt, der die wahre Ursache erkennt, ein Seelsorger, der etwas von dem Zusammenhang zwischen Leib und Seele weiß, kann durchaus einmal ein solches Wunder vollbringen. Denn wenn die Seele geheilt wird, kommt auch der Körper wieder in Ordnung.

Jesus hatte wahrscheinlich eine Gabe zu solchen Heilungen. Seine Kraft geht dann auf seine Boten über, die in der Vollmacht und im Auftrag Jesu auch Heilungen vollbringen können. Glaube muß natürlich da sein. Auch der Gelähmte in Lystra glaubt erst einmal, ehe Paulus ihn anspricht. Aber nicht die körperliche Heilung ist das Entscheidende. So etwas kann immer wieder einmal vorkommen (Selbst bei Doktor Dreßler in der Lindenstraße ist noch nicht raus, ob er nicht doch eines Tages wieder laufen kann).

Die entscheidende Frage ist: Bringen wir eine solche Heilung mit Gott in Verbindung? Lassen wir uns umfassend heilen, nicht nur am Körper, sondern auch an Geist und Seele? Die Ärzte kommen sich sicher manchmal wie eine Reparaturwerkstatt vor: Da wird etwas geölt, etwas ausgewechselt, durch eine Maschine wieder auf Trab gebracht - schon ist der Fall gelöst. Und wenn es nicht klappt, dann hat der Arzt nichts getaugt.

Ob man es dann vielleicht doch einmal mit dem Pfarrer versucht Ich glaube jedoch, daran denkt kaum einer. „Pfarrer sind auch nur Menschen“, sagen so die Leute. Sie sagen das entweder tadelnd, weil sie mit irgendetwas nicht einverstanden sind. Oder sie sagen es auch wohlwollend, weil sie nicht zu viel verlangen wollen und wissen, daß Pfarrer auch nur Menschen sind.

Paulus und Barnabas hatten das Wunder allerdings schon vollbracht, ehe man die falschen Folgerungen daraus zieht. Die Leute wollen sich die Sensation nicht mehr nehmen lassen. Für sie wiederholt sich, was in den alten Geschichten erzählt wird: „Die Götter kommen in Menschengestalt zu den Sterblichen und wollen bei ihnen einkehren!“ So sehr weit sind sie damit gar nicht von der Wahrheit entfernt. Nur sind Paulus und Barnabas nicht selber die Götter, sondern sie bringen den richtigen Gott. Auf diesen muß jetzt nur noch alles ausgerichtet werden.

Die Heilung ist nur ein Vorspiel, an dem man nicht hängenbleiben darf. Sie ist Vorausschau auf das, was am Ende der Zeit allen Kranken widerfahren wird. Und sie ist Hinweis auf den lebendigen Gott, der auch heute schon Krankheiten überwinden kann.

Nur sollte man eine Heilung nicht allein von der Natur her erklären und sie nicht nur auf die Kunst des Arztes und den Fortschritt der Medizin zurückführen, sondern auch mit Gott in Verbindung bringen. Heilung und Heil gehören zusammen.

Deshalb dürfen Menschen nicht zu Göttern hinaufgesteigert werden, auch wenn Menschen das gerne tun. Je absoluter einer herrscht, desto mehr besteht die Gefahr des Personenkults. Vor allem die Untergebenen meinen dann, etwas für das Ansehen des Chefs tun zu müssen. Dann werden seine Bilder in die Schaufenster gestellt, das Unkraut gemäht und die Bord­steinkanten gestrichen, nur weil hoher Besuch kommen soll. Aber der Herrscher läßt alles wieder zurückdrehen, weil er gar nicht so verehrt werden will.

Für viele gilt doch nur noch das Höchste, das Extremste, das Sensationellste, sonst hören oder sehen sie gar nicht mehr hin. Da muß dann schon einmal eine berühmte Schwimmerin betonen, daß sie kein Supermensch ist, sondern auch einmal Fehler machen kann oder einmal einen schlechten Tag hat.

Auch Dinge können den Rang des Göttlichen bekommen. Man spricht dann von „Zwängen“, denen man nicht entgehen kann: Wenn die Politik versagt, dann muß eben der Krieg entscheiden, sagt man. Und wenn dann noch Öl mit im Spiel ist, muß man auch von außen her eingreifen, ansonsten kann man die Gegner sich selbst überlassen. So sind heute die Regeln, so wird Menschliches absolut gesetzt.

Dabei gibt es tatsächlich Wunder unter uns. Allerdings sind sie keine tägliche Erfahrung, sondern sie kommen nur in besonderen Fällen. Man braucht dazu gar nicht nach Lourdes oder Tschenstochau zu gehen, Wunder gibt es auch bei uns. Aber Gott wird schon wissen, weshalb er uns damit kurz hält. Vor allem darf nicht vergessen gehen, daß e r der Handelnde ist und nicht mit seinen Boten verwechselt werden darf.

Deshalb zerreißen Paulus und Barnabas ihre Kleider und springen unter die Menge. Sie verhalten sich ganz ungöttlich, um ja nicht mißverstanden zu werden. Sie belassen es aber nicht nur bei dem Protest, sondern sie gehen gleich dazu über, ihren Gott positiv zu bezeugen.

Wie macht man das, Menschen erstmals mit Gott bekannt zu machen? Das Beste ist sicher, von den Menschen auszugehen. Ihnen darf nichts übergestülpt werden, sondern man geht von dem aus, was sie schon kennen.

In diesem Fall ist es der Glaube an den Schöpfergott, den diese Menschen schon kennen, der längst schon ihr Gott ist, auch wenn sie es noch nicht wissen. Deshalb ist der Streit auch müßig, ob man den Menschen erst Gott oder erst Jesus Christus predigen soll. Wer schon mit Jesus in Berührung gekommen ist, denn wird man über Jesus zu Gott zu führen versuchen. Und wer eher etwas mit dem Glauben an Gott anfangen kann, den wird man erst daraufhin ansprechen und dann vorsichtig versuchen, ihm auch Jesus nahezubringen.

Auch für uns ist es nicht falsch, uns über den Schöpfer klar zu werden: Unsere Erde dreht sich nicht ohne ihn, in allen Kräften der Natur ist er am Werk. Er ist da im Schlagen unserer Herzen, im Zufassen unserer Hände, in jedem Schritt, den wir tun. Sein Wohlwollen haben wir schon immer spüren können, bei jeder Schnitte Brot, bei jeder Arbeit, bei jeder Begegnung mit einem Menschen. Wer das bejaht, liegt nicht völlig falsch.

Paulus erläutert: Gott hat in den vergangenen Zeiten die Heiden ihre eigenen Wege gehen lassen. Dabei haben sie auch schon Zeichen seiner väterlichen Fürsorge erfahren. Das gilt auch für solche Menschen wie jene junge Frau, die sagte : „Ich bin nicht getauft, ich halte auch nichts davon, was soll ich da mit einem Kreuz in der Schule?“

Aber es kommt dann auch einmal eine neue Zeit. Dann gilt es, vom Unglauben oder vom Glauben an irgendeinen Gott oder nur an den Schöpfergott voranzuschreiten zu dem lebendigen Gott, der der Vater Jesu Christi ist. Man kann nicht ohne Christus mit Gott im Reinen sein, weil man dabei die Sünde und ihre verheerenden Folgen abblendet.

Eine Jüdin sagte einmal: „Die Deutschen sind so verbittert und so trübsinnig. Sie nehmen alles so ernst und arbeiten wie unter einer Last. Sie wissen gar nichts von der Freude im Leben, wie das bei den Juden der Fall ist!“ Sie ist eine Ausländerin, deshalb sprach sie von den Deutschen, nicht von den Christen. Aber sie meinte auch unsere christliche Tradition.

Sie kritisierte besonders die Erzählung von Adam und Eva, durch die alle Sünde in die Welt gekommen sein soll. Doch Adam und Eva kommen ja bekanntlich aus dem Buch der Juden, aus dem, was wir „Altes Testament“ nennen. Doch diese jüdische Frau meinte, erst durch Jesus sei das Sündenbewußtsein in die Welt gekommen, weil er von der Notwendigkeit sprach, die Sünde zu überwinden. Er habe die Sünde erst zum Problem gemacht und deshalb den Menschen die Freude genommen.

Mit Jesus ist tatsächlich eine neue Zeit gekommen. Jetzt glauben wir nicht mehr an irgendein „höheres Wesen“ oder an eine „Vorsehung“. Jetzt hat der unerkannte Gott ein Gesicht bekommen in Jesus Christus.

Jetzt sucht Gott Gemeinschaft mit uns und kommt uns in Jesus nahe. Heute spricht er uns an in seinem Wort. Dieses macht uns in der Tat deutlich, daß wir sündige Menschen sind und manches in unserem Leben falsch läuft. Aber es zeigt uns ja auch den Ausweg. Durch Jesu Opfer kann uns die Sünde nichts mehr anhaben. Gott will, daß uns geholfen wird und wir gerettet werden, in Wirklichkeit sind wir ja schon gerettet.

Nahegebracht wird uns das von den Pfarrern und anderen Mitarbeitern der Kirche, auch von manch anderem Mitmenschen. Aber vergessen wir nicht: Sie sind wirklich nur Menschen. Ihre Fehler und Schwächen dürfen uns den Blick für die Sache nicht verstellen.

Es kann einem nur leid tun, wenn einer davon spricht, daß er mit der Kirche gebrochen habe. Dabei macht er eine prima Arbeit, sogar als kirchlicher Beauftragter. Doch er klagt: „Wenn ich es dann zu ernst nahm und mich zu sehr für die Menschen einsetzte, wurde ich von der Kirche zurückgepfiffen, weil die Verantwortlichen es nicht mit staatlichen Stellen verderben wollen!“

Man kann ihm da nur sagen: „Aber die Sache darf man doch nicht aufgeben, trotz aller schlechten Erfahrungen mit der Kirche als Organisation!“ Dem stimmte er zu, aber zum Gottesdienst geht er nicht mehr und in der Gemeinde engagiert er sich nicht mehr.

Wenn der heutige Sonntag unter dem Stichwort „Die große Krankenheilung“ steht, dann geht es nicht nur um unsere persönliche Heilung an Leib und Seele. Diese ist auch wichtig. Aber sie ist nicht allein die Sache der Ärzte, jener „Halbgötter in Weiß“, sondern Sache des wahren Gottes. Es geht aber auch um die Heilung der Kirche. So wie wir persönlich für uns hoffen dürfen, so ist auch die Kirche noch nicht verloren, weil Gott in ihr trotz allem lebendig ist.

 

 

Apg 16, 9 - 15 (Sexagesimä):

In einer Tageszeitung lag eine Anzeige bei, die das Buch „Kraft zum Leben“ anpries. Auch auf großflächigen Plakaten wurde dazu aufgefordert, sich kostenlos dieses Buch kommen zu lassen. Geldgeber ist ein Amerikaner, der ganz konservativen Kreisen angehört. Man kann sagen: Das sind christliche Fundamentalisten, die die Bibel wörtlich verstehen und diese enge Auslegung als Maßstab für das Handeln in der heutigen Welt ansehen. Prominente Zeitgenossen wie den Sänger Cliff Richard, die Schauspielerin Jutta Speidel und den Golfspieler Bernhard Langer haben sie gewonnen, um für ihr Buch zu werben. Ihr Angebot klingt ja auch durchaus christlich, da kann man sich leicht blenden lassen. Aber in Wirklichkeit sind diese Leute rechtsradikal, fremdenfeindlich,        

Der Vorgang zeigt aber: Religiosität ist ein Bedürfnis unsrer Zeit, wenn auch nicht unbedingt Religiosität in Form des Christentums. Da befassen sich Menschen mit fernöstlicher Religion, mit Buddhismus, Ayurveda und Feng Shui. Der Islam übt eine große Anziehungskraft aus, gar mancher bei uns ist zu dieser Religion übergetreten, obwohl sie doch gar nicht bodenständig ist. Die Palette geht hin bis zum Satanskult, dem junge Menschen anhängen und der manche bis in die Kriminalität geführt hat. Wie soll sich der christliche Glaube in dieser Umwelt behaupten? Er darf doch nicht dem Wirtschaftsgesetz von Angebot und Nachfrage unterworfen werden. Ein Witzbold hat ja einmal behauptet, die Kirche gebe Antworten auf Fragen, die kein Mensch stellt.

So ganz unrecht hat er damit gar nicht einmal. Der selbstgerechte Sünder weiß nämlich gar nicht, daß er die Vergebung braucht. Aber man sollte auch nicht versuchen, ihm dieses Gefühl einzubleuen, indem man ihm kräftig mit der Hölle und anderem einheizt, wie das leider auch christliche Gruppen tun. Erst der, dem Gott aufgegangen ist, erkennt seine Lage.

Doch es geht nicht darum, daß einer ein „Bedürfnis“ nach Glauben entwickelt oder daß wir dieses Bedürfnis erst durch Werbung hervorrufen müßten. Vielmehr sieht Gott, wo Hilfe nötig ist und setzt seine Leute entsprechend ein. Dabei will er auch zu uns kommen und erwartet von uns eine offene Tür, ein offenes Herz und ein offenes Haus.

 

1. Offene Tür:

 Eine offene Tür fanden Paulus und die anderen Apostel in jener Zeit vor. Die Menschen waren erfüllt von einer religiösen Sehnsucht. Religion ist wahrscheinlich ein Grundbedürfnis des Menschen: Er will wissen, was der Sinn des Lebens ist und wie es nach diesem Leben weitergehen soll, nach welchen Regeln er sein Leben ausrichten soll und wie er mit Krisen in seinem Leben fertig werden kann.

Allerdings bleibt Gott auf diesem Weg immer der Handelnde. Nicht menschliche Missionsprogramme bestimmen den Gang der Kirchengeschichte, sondern Gottes Plan. So wird Paulus gehindert, den Weg nach Asien und zum Schwarzen Meer einzuschlagen. Stattdessen erscheint ihm in der Nacht ein Mann aus Mazedonien und ruft: „Komm herüber und hilf uns!“

Es muß nicht immer ein Traum sein, durch den Gott den Weg zeigt. Nach einer Bibelhandschrift haben die Apostel auch durchaus ganz nüchtern überlegt, wie es weitergehen soll. Die Leitung durch Gottes Geist schließt nicht aus, daß man die anstehenden Fragen auch ganz menschlich durchdenkt. Gott leitet nicht dadurch, daß er ein übernatürliches Signal gibt. Wir müssen bei fälligen Entscheidungen nicht immer auf ein äußeres Zeichen warten, unsere eigenen Überlegungen sind dabei durchaus gefragt.

Auch in unserem persönlichen Leben läuft nicht immer alles so ab, wie wir uns das gewünscht haben. Es ist schon erforderlich, daß wir uns in den Plan Gottes mit uns einfügen. Aber wir werden auf eigenwillige Pläne verzichten müssen und auch einmal warten, bis wir Klarheit gewinnen.

Pläne gehören mit zu unserem Leben, zum Beispiel wenn wir einen Urlaub vorbereiten. Manchmal sind das Planen und die Vorfreude sogar so viel wie die eigentliche Ausführung. Aber auch wenn man schon fertig ist zur Abreise, kann noch etwas dazwischen kommen, weil einer krank wurde oder der Gastgeber noch absagte. Manche Pläne lassen sich eben nicht verwirklichen, und damit müssen wir eben fertig werden.

Man kann nicht eine Tür einrennen, die Gott zugeschlossen hat. Aber wenn Gott Wege verlegt, dann zeigt er anderwärts neue Wege. Auf unsrem Lebensweg stehen wir manchmal vor einem Stoppschild. Aber dann wird uns plötzlich ein Ziel vor Augen gestellt, mit dem wir gar nicht gerechnet hatten. Das mag uns ein starker Trost sein, wenn einmal einer unsrer Pläne gescheitert ist. Es gilt nur, ein offenes Herz für das Handeln Gottes zu behalten.

 

2. Offenes Herz:

Das offene Herz hat Paulus auch in Philippi gefunden. Seine Anfänge dort waren aber durchaus bescheiden, ein paar Tage passiert überhaupt nichts. Aber das macht nichts, Gott wird schon Mittel und Wege finden. Die Apostel werden auch nur das Wort einsetzen können, die gute Nachricht von Jesus Christus. Aber anders will der Glaube gar nicht geltend und verbreitet werden.

Aber so beginnt die Kirchengeschichte Europas, eine Sternstunde auch unsrer Geschichte. Was wäre wohl geworden, wenn Paulus ein Afrikaner erschienen wäre? Dann hätte es wohl kein „christliches Abendland“ gegeben, also unsere europäische Kultur, die fast den ganzen Erdball ergriffen hat. So aber war es Gottes Wille, daß zunächst Europa die frohe Botschaft erhalten sollte. Was wäre, wenn wir ohne sie hätten auskommen müssen?

Sicherlich gibt es auch viele dunkle Seiten auf dem Weg des Christentums durch Europa: Zwangsbekehrung, Glaubenskriege, Unterdrückung, Anhäufung von Reichtum, Zusammenarbeit mit den Herrschenden. Aber es gab auch viel Positives: Predigt, aufopferungsvolle Liebe, kulturelle und wissenschaftliche Leistungen. Da ist doch vieles eingesickert in den Boden unserer Geschichte, in unsere Sitte und Kultur, das uns prägt, ob wir es wissen oder nicht.

Wir haben es leichter, zum Glauben zu finden, wenn unsre Gesellschaft vom Christentum geprägt ist und zumindest ihm nicht feindlich gegenüber steht. Es ist hilfreich, wenn in der Schule Religionsunterricht ist und Rundfunk und Fernsehen Gottesdienste übertragen. Doch es gibt auch bei uns Abbau christlicher Sitte und Lebensart. Den Zerfall der Volkskirche wird man nicht auf die leichte Schulter nehmen dürfen.

Zu Zeiten des Paulus gab es diesen Hintergrund noch nicht. Philippi war eine Weltstadt, gegründet vom Vater Alexanders des Großen. Hier fanden die Mörder Cäsars ihr Ende. Verdiente Krieger wurden hier angesiedelt. Es war eine Stadt, in der Männer Geschichte machten.

Gott aber fängt nicht im Zentrum der Stadt an, sondern an ihrem Rande. Er fängt an mit ein paar Frauen. Die Männer kamen offenbar nicht zum Gottesdienst, so wie sie heute auch in der Minderheit sind. Wir werden heute sagen: Da sieht man einmal, daß Frauen viel klüger sind als Männer. Aber damals war das eher ein Zeichen dafür, wie unscheinbar sich das alles zutrug.

Gott will aber niemanden listig vereinnahmen oder drohend einschüchtern und allen Widerstand brechen. Gott sucht auch nicht bloß den Verstand, sondern unser Herz. Nicht die hochtrabende Predigt, nicht der gelehrte Vortrag sind erforderlich, sondern das schlichte Zeugnis. Gott will unser freies Ja, die freiwillige Übergabe, daß wir ihn wirklich liebgewinnen.

Die Purpurhändlerin Lydia ist allerdings schon in gewisser Weise vorbereitet. Sie ist ein „Gottesfürchtige“, die zum jüdischen Gottesdienst geht, aber nicht selber Jüdin ist. Sie hört deshalb interessiert, was Paulus zu sagen hat. Weil Lydia aber ein geöffnetes Herz hat, wird das gepredigte Wort auf einmal interessant und wichtig, es trifft und zündet, so daß man aus einem fröhlichen inneren Muß heraus Antwort gibt. Bei Lydia geschieht das auch in Form der Taufe.

 

3. Offenes Haus:

Lydia hat auf einmal ein offenes Haus. Ein langer Unterricht ist da nicht mehr möglich. Sie fragt die Apostel, ob sie anerkennen können, daß sie an den Herrn glaubt. Und damit beginnt eine große Taufe, die erste christliche Hausgemeinde Europas entsteht. Indem Christus in dieses Haus einzieht, nimmt er auch Wohnung in Europa. Kinder, Enkel, Sklaven und deren Angehörige sind mit dabei. Dabei wird deutlich, daß Gott die Menschen in die Taufe hineinzieht, sogar ehe sie selber davon wußten, wie das bei den Kindern der Fall ist. Er wartet nur darauf, daß man glaubend auf das eingeht, was er zuvor getan hat.

Sie hatten noch keine großartige Kirche und keinen großen Taufstein. Aber darauf kommt es ja auch gar nicht an. Der kleine Kreis, die Hausgemeinde, ist sogar vielfach wieder ein Modell für heute. Eine volle Kirche oder gar ein Kirchentag ist natürlich auch sehr schön. Aber vielleicht lebt es sich doch leichter in kleinen Räumen wie in einem Gemeindehaus oder gar in einer Wohnstube. Hier kann man mehr voneinander wissen und einander mehr sein als in einer volkskirchlichen Großgemeinde. Das ist ja das, was Sekten und Freikirchen oft so anziehend macht.

Aber es gibt auch die anderen, die mehr die Anonymität suchen, die mehr unverbindlich die Kirche besuchen möchten. Das muß ja nicht heißen, daß sie nicht auch Suchende wären und sich von dem Gehörten anrühren ließen. Die Kirche ist für vieles offen und macht unterschiedliche Angebote. Entscheidend ist immer, ob Gott uns ganz von innen her gewinnen kann, ob er auch bei uns ein Zuhause finden kann, heute und in Zukunft. Er wirbt um unser Herz und wird es am Ende aufschließen. Er wartet auf die offene Tür, das offene Herz und das offene Haus.

 

 

Apg 16, 23 - 34 (Kantate):

[Vorspann vor der Textlesung: Nachdem Paulus und Silas in Philippi auf Befehl des höchsten römischen Beamten ausgepeitscht worden waren, warf man sie ins Gefängnis]

Wir hören und lesen täglich von schweren Unglücksfällen und bedrohlichen Situationen für Menschen: Ein Flugzeugabsturz, ein Brandunglück, kriegerische Verwicklungen. Wir erfahren von Menschen, die gefoltert werden oder in Lager gesteckt werden. Ob die Betroffenen wohl in dieser Situation beten werden? Wir sagen ja: „Not lehrt beten!“ Vielleicht lernt man es erst in einer solchen Lage richtig.

Aber wir können uns doch kaum vorstellen, daß man in einer solchen Gefahr auch noch Gott lobt. Genau das aber wird vor Paulus und Silas berichtet, als sie in Philippi im Gefängnis sitzen. Ihre Füße sind in den Block gelegt und am nächsten Tag werden sie vielleicht zum Tode verurteilt. Ihrem Wirken ist zunächst einmal ein Ende gesetzt. Wo Gott seine Macht erweist, da ist auch der Widersacher immer gleich da.

Dabei hatte alles so verheißungsvoll begonnen. Einige Leute waren schon für das Christentum gewonnen. Aber sie werden kaum das Zeug haben, das Evangelium weiterzuverbreiten. Was eben erst zu keimen begonnen hat, erstickt schon wieder. Was werden wohl die denken, die vielleicht schon die Absicht hatten, sich taufen zu lassen? Sie müssen doch denken: Dieser Christus läßt wohl seine Leute im Stich, die Überbringer der „guten Nachricht“ werden brutal mißhandelt und die Sache wird sich nicht lange halten können. Das ist keine gute Reklame für den neuen Glauben.

So geht es den Kindern, die wegen des Besuchs von kirchlichen Veranstaltungen ausgelacht werden. Da sagen die anderen in der Klasse: „Wer da hingeht, der ist doch dumm!“ Wer ein bißchen empfindlich ist, wird sich das nicht gern sagen lassen wollen. Dann geht er nicht mehr hin, um nicht ausgelacht zu werden. Man läßt sich nicht so gern auf eine Sache ein, bei der man von vornherein sieht: Man wird äußerlich betrachtet nur Nachteile davon haben1

Auch die Erwachsenen rechnen sich aus: Du könntest Nachteile im Beruf haben! Oder zumindest könntest du Vorteile haben, wenn du dich von der Kirche trennst. Weshalb sich Unannehmlichkeiten machen, wenn man es leichter haben kann; es ist doch immer einfacher, mit dem Strom zu schwimmen.

Die Geschichte von Beten und Singen der Apostel will uns helfen, von dem Starren auf die Nöte des Augenblicks frei zu werden. Es ist nicht gut, wenn man klagt: „Ich bin doch für Gottes Sache eingetreten und jetzt geht es mir gerade deswegen zu schlecht!“ Paulus und Silas quälen sich nicht mit Gedanken über ihre ausweglose Lage. Sie jammern nicht und machen Gott keine Vorwürfe.

Das ist so unsre Art, wenn einmal etwas nicht nach unsren Wünschen läuft. Aber Grund zum Klagen hätten eher die Apostel gehabt. Wir haben es heute leicht, Loblieder zu singen. Wir haben den Sonntag „Kantate“, da ist das dran. Aber wenn man im Gefängnis Loblieder anstimmen soll, dann scheint das doch so unbegründet und sinnlos zu sein wie nur möglich.

Aber diese Männer können das, weil sie vorwärts schauen auf das Ziel der Wege Gottes. Sie wissen: „Was jetzt geschieht, ist nur vorläufig. Gott hat noch mehr mit uns vor!“ Und diese künftigen Taten Gottes preisen sie. Mitten im Leiden vertrauen sie ihren Lebensweg ihrem Gott an und stellen ihm die Zukunft anheim.

Aber das war öfters so in der Geschichte der Kirche. Gerade in Verfolgungszeiten ist das Gott gewachsen. Wir singen heute nach dem Vaterunser den Lobpreis: „.....denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit!“ Dieses Bekenntnis hat sich gerade in einer Zeit in der Kirche durchgesetzt, als die Verfolgungen begannen und immer schärfer wurden. Man hat damit doch sicher ausdrücken wollen: „Trotz allem - unserm Gott ist das Reich in alle Ewigkeit!“

Diese Gewißheit werden wir aber nur erlangen, wenn wir fest an der Sitte des Gebets und des Lobpreises festhalten. Das tägliche Gebetsläuten will uns daran erinnern. Das regelmäßige Gebet sollte uns keine Last sein. Je sorgfältiger wir an ihm festhalten, desto mehr wird es uns helfen. Wer nur auf den Augenblick wartet, wo er einmal Lust zum Beten hat, der lernt es nie.

Wir brauchen auch etwas Ordnung und Einübung. Die Gewöhnung wird uns dann auch tragen und über Krisen hinweghelfen. Woran sich die Gemeinde in vielen Jahrhunderten gehalten hat, das ist auch uns in der Stunde den möglichen Schwachwerdens eine Hilfe. Deshalb sollten wir auf die altvertrauten Gebete und Lieder zurückgreifen. Damit stellen wir uns in die Gemeinde der Beter und werden von ihr mitgetragen, weil unser Ruf tausendfach verstärkt wird. Dadurch erwacht auch oft die innere Bereitschaft zum Beten; was zunächst nur Formsache und Gewöhnung war, wird zur Herzenssache.

Wer betet und Gott lobt, der gibt damit zu erkennen, daß er auch in einer ausweglosen Lage eine Hilfe und einen Halt hat. Äußerlich gesehen mag es vielleicht nicht viel anders werden. Ein Christ hat es genauso schwer wie andere Leute auch. Und die Striemen von den Peitschen haben die Apostel nicht weniger geschmerzt als bei anderen Leuten.

Aber sie hatten einen Punkt außerhalb, an den sie sich halten konnten und vom dem Kräfte bis ins Gefängnis hineinreichten. Sie wußten genau, daß Christus auch diese Situation fest in der Hand hat. Und sie wußten: das augenblickliche Leid, alle Demütigungen und Schmerzen, aller Jammer und alle Not, gehören mit zu der Führung Christi. Aber sie sind nicht unabänderlich, sondern werden überboten durch eine große Hoffnung.

Ja, Loblieder waren im Gefängnis von Philippi sicher etwas Neues. Aber für viele Christen in ähnlicher Lage ist diese Geschichte zum Vorbild geworden. Wer so betet und lobt, der ist gewiß, daß der lebendige Herr zu seiner Stunde seine Sache weiterführen wird. Auch in den Konzentrationslagern haben die Christen gesungen und gebetet und sogar das Abendmahl gefeiert. Dietrich Bonhoeffer hat im Gefängnis Gedichte und Lieder geschrieben.

So etwas hat natürlich auch seine Ausstrahlungskraft auf die anderen, die es hören. Selbst wenn man die Boten Gottes hindern will, können sie noch wirken, wenn Gott es will. Im Ge­genteil: Auf diese Art und Weise haben sie Menschen erreicht, zu denen sie sonst nie gekommen wären. Auch im Gefängnis soll man doch von Gott hören. Und das Lob Gottes wird vielleicht gerade dort am glaubhaftesten gesungen, wo es aus der Tiefe kommt.

Für Paulus und Silas tun sich hier im Gefängnis Türen auf, nicht nur im wörtlichen Sinne, sondern auch die Türen zu den Herzen der Menschen. Der Erste, bei dem das deutlich wird, ist der Gefängnisaufseher. Der möchte auf einmal auch zu diesen Männern gehören, die im Gefängnis ihren Gott loben und dann noch die anderen Gefangenen von der Flucht abhalten. Sie haben ihm ja das Leben gerettet, denn wenn nur e i n Gefangener gefehlt hätte, wäre es ihm an den Kragen gegangen. So aber ist er durch das Bekenntnis und das Handeln der Apostel mit Gott zusammengebracht worden.

Der Gott dieser Männer hat aber auch zu erkennen gegeben, daß seine Boten nicht festgehalten werden sollen. Die Missionierung Europas kommt in Philippi nicht zum Stillstand, sondern beginnt erst richtig. Auch das innerste Gefängnis ist ihm nicht zu fest verschlossen,

der lebendige Herr setzt sich doch durch: Er gibt offene Türen auch zu den Herzen der Menschen.

Das Erdbeben war ja nur ein kleines Wunder. Es ist gar nicht gesagt, daß es postwendend auf das Gebet der Apostel folgte. Sie werden nur die üblichen Gebete gesprochen haben und gar nicht um ihre Befreiung gebetet haben. Aber natürlich besteht hier doch ein Zusammenhang: Wer so betet und lobt, der ist gewiß, daß der lebendige Herr schon die Seinen erretten wird und ihnen einen neuen Auftrag gibt.

Das große Wunder aber kam erst noch: Eine ganze Familie wurde getauft! Es sieht so aus, als habe Gott das alles nur inszeniert, weil er am Ende mit dieser Familie ans Ziel kommt. Das mag uns ein ziemlich kompliziertes und umständliches Vorspiel sein. Aber billiger ging es offenbar nicht.

Soviel ist also ein Mensch bei Gott wert: Er scheut keine Umwege, bringt viele Opfer, setzt manches in Bewegung und bahnt sich mühsam den Weg zu diesen Menschen. Es muß nicht in jedem Fall zu um jeden Einzelnen gekämpft werden. Aber vielleicht könnten wir doch einmal voller Dankbarkeit erkennen, was Gott alles aufgeboten hat, um u n s zu gewinnen, wie viele Menschen dafür nötig waren und wie viele Umwege er uns dabei hat fuhren müssen.

Es ist doch nicht so, daß wir nur einfach in diesen Glauben hineingewachsen wären. Einmal hat sich jeder entscheiden müssen, ob er dabeibleibt und ob der Glaube ihm etwas bedeutet.

Mancher hat sicherlich geschwankt und im ersten Augenblick noch nicht gewußt, wie es weitergehen wird. Und auch später kommen immer wieder einmal Zeiten, wo es auf der Kippe steht. Dann kommt es darauf an, daß man in einer Familie und in einer Gemeinde steht, die Rückhalt geben können. Dem Einzelnen wird dadurch die Entscheidung nicht abgenommen; auch bei dem Gefängnisaufseher mußte es erst einmal gezündet haben.

Aber dann hat er seine ganze Familie hinter sich, sind sie eine richtige kleine Gemeinde. Nach der Taufe setzen sie sich an den gedeckten Tisch und haben vielleicht bei dieser Gelegenheit auch das Abendmahl miteinander gefeiert. Mit dem Lobgesang der Gefangenen hatte die Geschichte begonnen, nun endet sie mit dem Jubel des Gefängnisaufseher und seiner Familie.

Sie können sich alle freuen, weil diesen Hause Heil widerfahren ist.

Nicht nur die Apostel wurden in dieser Nacht frei, sondern auch die Wächter. Was zunächst als das Ende erschien, wurde zum neuen Anfang. Der Herr läßt sich eben nicht aufhalten, er ist auferstanden und lebt und wirkt. In dieser Gewißheit will uns der Sonntag „Kantate“ führen. Vielleicht gibt es auch bei uns solche Familien, wo miteinander gebetet und gesungen wird. Dann würden von da aus auch Türe geöffnet werden können und Menschen das Heil in Christus ergreifen.

 

Apg 17,22-34 (Jubilate):

Im Londoner Hydepark gibt es die „Redner-Ecke“, wo jeder öffentlich seine Ideen vortragen kann. Menschen der verschiedensten Weltanschauungen und politischen Richtungen wollen die Aufmerksamkeit der Vorübergehenden erreichen und werben um die Zustimmung der Stehengebliebenen. Nachdenkenswertes und weniger Sinnvolles wird nebeneinander geboten. Den Neugierigen bleibt es überlassen, ob sie die vorgetragenen Gedanken beachtenswert oder lächerlich finden.

So kann man auch die Rede des Paulus auf dem Marktplatz in Athen sehen. Hier liegt eine typische Predigt vor, die sich an Menschen, richtet die vorher keine Juden waren. Die Eigen­art der Stadt Athen ist gut eingefangen: Die vielen Tempel und Götterbilder, die besondere Frömmigkeit der Athener, ihre Neugier, die vielen Philosophenschulen, der Marktplatz, auf dem man gelehrte Unterhaltungen pflegte. Selbst der Altar des unbekannten Gottes wird in der Literatur erwähnt, auch wenn man keinen solchen Altar gefunden hat.

Doch was Lukas hier den Paulus sagen läßt, erinnert sehr an philosophische Gedanken der Griechen: In Gott leben, weben und sind wir! Wir sind nicht außerhalb des Göttlichen angesiedelt! Die Vernunft ist das Göttliche im Menschen! Der Göttervater Zeus hat aus einem Menschen die ganze Menschheit gemacht! Selbst die Kritik an der Verehrung der Götterbilder kann man bei griechischen Philosophen finden. Hat Lukas hier nicht einfach die Griechen in ihrem Denken bestätigt?  Christlich ist an sich nur der Schluß der Rede.

Das ist auch heute noch die Frage, wenn wir Menschen für Christus gewinnen wollen. Die Werbefachleute raten der Kirche ja, sie solle die Schwelle für den Zugang möglichst niedrig ansetzen. Nur wenn man eine einfache Lehre hat und nicht zu hohe Forderungen stellt, würde man Anhänger gewinnen. Das sagt man ja auch den politischen Parteien: Nur nicht zu viel vorher festlegen, möglichst allgemein reden, Probleme aussitzen, erst einmal die Umfragen abwarten und sich dann anschließen.

Für die Kirche gilt auch, daß sie die Menschen dort abholen muß, wo sie sind. Mit Kindern müssen wir anders reden als mit Erwachsenen. In der Familie herrscht ein anderer Ton als unter Freunden. Und mit Kranken unterhalten wir uns über andere Dinge als wir es mit Gesunden tun.

Wir können auch nicht mehr voraussetzen, daß Kinder biblische Geschichten kennen. Kirchliche Lehren sind heutzutage kein Allgemeingut. Nicht selten passiert es, daß ein neugieriger Dreikäsehoch durch die offenstehende Kirchentür kommt und verwundert fragt, warum der Mann da vorn am Kreuz hängt. Das ist der Sohn Gottes? Wer ist Gott? Ich kenne ihn nicht. Wo wohnt er? Man muß ihn doch sehen können, wenn es ihn gibt!

Sicherlich muß man da vorsichtig beginnen. Mit der kleinen Enkelin kann man vielleicht ein Weihnachtslied singen. Und dann sagt sie: „Ich will noch einmal mir dir das Lied von dem Vater im Himmel singen!“ Aus dem Lied „Ihr Kinderlein kommet“ hat sie sich besonders dieses Stichwort gemerkt. Sie wird noch nicht wissen, wer der „Vater im Himmel“. Aber eines Tages wird sie danach fragen; und dann gilt es, kindgemäß zu antworten.

Wenn die Kinder größer sind und in die Schule kommen, sollten sie nicht nur Lesen und Rechnen lernen, sondern auch biblische Geschichten und Lieder. In Israel ist das so geregelt: Da müssen alle Schüler die Tradition des Volkes kennen lernen, egal ob sie gläubig sind oder nicht. Da lesen sie die Bücher, die wir als Altes Testament kennen. Auch die arabischen Kinder sind daran beteiligt, denn sie sind ja Staatsbürger und müssen die Geschichte und die Kultur ihres Landes kennen.

Das wäre auch für uns richtig. Wir brauchen nicht unbedingt einen konfessionellen Unterricht -  den kann dann die jeweilige Kirche leisten. Aber es muß dann in der Schule auch einen Religionsunterricht geben, der sich nicht nur mit „Fremdreligionen“ beschäftigt, sondern möglichst breit die Bibel und die Kirche von heute behandelt.

Die Kirche kann sich nichts von ihrer Botschaft abmarkten lassen, schon weil Gott das von ihr verlangt. Und vielleicht wird die Botschaft gerade deshalb so interessant, weil sie Ecken und Kanten hat, weil sie neugierig macht. Gerade das Außergewöhnliche ist oft anziehend für die Menschen.

In der Rede auf dem Marktplatz von Athen wird in diesem Sinne vorgegangen: Der Redner umkreist den Hörer zunächst in weitem Bogen. Aber von Vers zu Vers erkennt man, daß er nicht eine Kreislinie beschreibt, sondern eine sich immer mehr verengende Spirale. Immer weniger kann der Hörer in die Unverbindlichkeit ausweichen. Was zunächst heidnisch klang, ist christlich gemeint. Immer mehr treibt die Predigt auf den Gott zu, der Jesus zur Schlüsselfigur seiner Botschaft gemacht hat. Aber das Ende war damals der Spott der Zuhörer. Paulus hatte es so geschickt angefangen, aber schließlich doch nichts erreicht („am Ende des Tages“, wie man heute sagt).

 

1. Wir haben es schon immer mit ihm zu tun:

Der Theologe Dietrich Bonhoeffer sah in der Zeit der Naziherrschaft ein „religionsloses Zeitalter“ heraufkommen. Das ist nicht unbedingt so gekommen: Es gibt in unserer Zeit sehr viel Religion, aber nicht unbedingt die christliche Religion. Viele Menschen suchen sich etwas anderes oder basteln sich selber etwas zusammen. Heidentum hat heute ein anderes Gesicht. Altäre errichten wir nicht mehr. Was sollen auch die vielen Altäre, wenn Gott nicht in ihnen ist. Gott gleicht keinem der Bilder, die Menschen von ihm gemacht haben.

Uns geht es auch oft so wie den Athenern: Sie verehren viele Götter, aber sie bekommen keine richtig zu fassen. Deshalb haben sie dem unbekannten Gott noch einen Altar errichtet. Man kann ja nie wissen! Doch diese Einstellung ist auch uns nicht fremd: Im Alltag leben wir oft so, als ob es Gott nicht gäbe. Aber für den Notfall soll er doch da sein, damit man ihn aus der Ecke herausholen kann. Aber dann muß er auch wirklich helfen, sonst ist er ein nutzloser Gott. Auch wir haben unsere selbstgemachten Götter oder fürchten wie damals die Menschen  „namenlose Götter“ wie Sorge um das Einkommen oder die Gesundheit. Luther hat es ja so ausgedrückt: „Woran du dein Herz hängst und worauf du dich verläßt, das ist eigentlich dein Gott!“

 

2. Wir haben ihm alles zu verdanken:

Aller menschliche Kult will der Gottheit etwas bringen, um sie damit gnädig zu stimmen. Aber unserem Gott können wir nur uns selber ganz und gar bringen, aber nachdem wir selbst alles von ihm empfangen haben. Gott braucht uns nicht. Aber er w i l l uns!

Doch wir leben schon immer aus seiner Hand. Das will auch die Geschichte vom kleinen Fisch Emil sagen. Er hatte von irgendwoher gehört, daß Fische Wasser zum Leben brauchen. Da er aber noch nie Wasser gesehen hatte, wollte er aufbrechen und das Wasser suchen, von dem die Leute erzählten, daß es zum Leben notwendig sei. Da fragt er seine Freunde, was denn Wasser sei.

Die Kaulquappe sagt nur: „Hier gibt es Steine und Muscheln, grüne und blaue Algen, aber Wasser habe ich hier mein Lebtag noch nicht gesehen“. Der Wels sagt: „Das Wasser ist vor dir!“ Aber Emil widerspricht ihm: „Vor mir ist doch nichts, da bist nur du!“ Da gibt ihm der Wels den Rat, doch einmal zu dem großen Wal zu schwimmen. Dieser sah ihn schon kommen und sagte: „Du bist Emil, der kleine Fisch, der das Wasser sucht? Ich bin Juno, der Wal. Leg dich auf meinen Rücken. Ich werde dir zeigen, wie notwendig das Wasser ist.

Der Fisch tat, wie ihm geheißen, und der Wal stieg immer höher, bis er schließlich aufgetaucht war und wie ein Berg aus dem Wasser ragte. Dann blieb er liegen und rührte sich nicht. Der kleine Emil zappelte auf dem Rücken des Wals. „O, wenn ich doch im Wasser geblieben wäre!“ zuckte es ihm durch seinen kleinen Fischkopf. Als er wieder zu sich kam, lag er auf dem Meeresgrund neben dem Wal. „Na, weißt du jetzt, wo das Wasser ist, das die Fische so notwendig zum Leben brauchen?“ - „Das Wasser, das ich so lange gesucht habe, hat mich immer umgeben“, sagte Emil verschämt.

So sieht man auch Gott nicht, und doch brauchen wir ihn wie die Luft zum Atmen, wie der Fisch das Wasser. Er ist es doch, der allen Menschen das Leben gibt und sie atmen läßt. Er ist uns immer schon voraus, wir haben es schon immer mit ihm zu tun. Aber er ist uns allen auch ganz nahe, näher als die Haut. Da gibt es kein Sich-Entziehen. Von allen Seiten umgibt uns Gott.

Das schreit geradezu danach, daß man diesen Gott nun auch kennenlernt, mit dem man es schon immer zu tun hat. Es ist nicht das „höchste Sein“, wie ihn die Philosophen beschreiben, sondern er begegnet uns wie eine Person. Die entscheidende Frage ist nicht: „Wie denkst du von Gott?“ Sondern die entscheidende Frage ist: „Was passiert zwischen Gott und dir?“

 

3. Wir werden uns ihm zu stellen haben

Paulus ist nicht gekommen, um seine Meinung unverbindlich zu diskutieren und seine Privatmeinung vorzubringen. Gottes Anspruch ist allumfassend. Er gebietet den Menschen, daß alle an allen Enden ihr Leben ändern. In dem Augenblick, in dem man es mit Gott zu tun bekommt, muß man ein neues Leben beginnen. .Gott läßt sich nicht anschauen wie ein Gemälde. Er kommt auf uns zu, er will etwas von uns.

Damit ist es aus mit dem Gott, über den es sich im Hörsaal oder am runden Tisch in Ruhe diskutieren läßt. Aus ist es mit der „Kanzelrede“, die im Unverbindlichen bleibt. Aber alles, was in Athen und anderswo verkündet wurde und verkündigt wird, zielt auf das Evangelium von Jesus Christus. Gott will, daß seine Menschen durch Christus zu ihm finden.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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