Lukas

 

 

Lk 1, 26 - 33 und 38 (4. Advent, Andacht):

Katholiken kennen den Rosenkranz. Es ist eine Gebetsschnur mit Perlen zum Zählen der Gebete: Man läßt den Kranz Perle um Perle durch die Finger gleiten und betet bei jeder Perle ein Gebet, bis man einmal ganz herum ist. Meist wird dabei abwechselnd das Vaterunser und das „Ave Maria“ gebetet.

Wem ist aber bewußt, daß es bei diesem „Ave Maria“ um den Gruß des Engels Gabriel an Maria handelt? Das Lied wird oft bei Trauerfeiern gewünscht, wohl deshalb, weil man davon schon einmal etwas gehört hat. Aber die wenigsten werden wissen, daß es sich dabei eigentlich um ein katholisches Lied handelt, um ein Lied aus dem katholischen Gottesdienst. Oder ist Maria auch eine biblische Gestalt für unsre Kirche?

Die Mutter Jesu ist auch für uns wichtig. Sie kann uns in vieler Hinsicht ein Vorbild sein. Das fängt damit an, daß Maria erst einmal zuhört (Die Diskussion über die Jungfrauengeburt ist ja erst von Lukas eingefügt worden). Erst am Schluß sagt sie: „Siehe, ich bin des Herrn Magd. Mir geschehe, wie du gesagt hast!“  .

In diesen Tagen vorweihnachtlicher Unrast kann Maria uns die Ruhe lehren, die wir doch auch so nötig brauchen. Diesen Text sollten wir nicht nur durchdenken, sondern auch einmal im Herzen bewegen. Viele Maler haben diese Szene andächtig dargestellt, sie haftet in unserem Bewußtsein. Sie könnte Freude auslösen über die großen Taten Gottes.

Die Menschwerdung Gottes durchkreuzt die Erwartungen der Zeit. Diese Offenbarung geschieht nicht im Tempel, sondern im Alltag. Der Bote Gottes kommt in die kleine Stadt Nazareth, von der man sagte: „Was kann schon aus Nazareth Gutes kommen?“ Er grüßt eine junge Frau, obwohl man in jüdischen Kreisen sagte: „Einer Frau entbietet man überhaupt keinen Gruß!“

Diese Frau ist nicht die Madonna und Himmelskönigin, nicht die Gottesmutter und das Urbild der Kirche. Dazu hat man sie später gemacht. In jüdischer Sicht ist sie nur eine junge Orientalin, die einen Sohn gebar, den sie nicht verstehen konnte, dem sie aber doch bis unter das Kreuz seiner menschlichen Tragödie folgte. Auch wir sollten erst einmal die menschliche Seite an Maria sehen.

Der Engel rühmt nicht irgendwelche Tugenden oder andere nennenswerte Eigenschaften. Es wird nichts gesagt von ihrer Frömmigkeit und ihren Gebeten, schon gar nichts von ihrer Sünd­losigkeit von Geburt an, wie das die katholische Kirche behauptet. Wir wissen von ihr an sich nicht mehr als ihren Namen. Es ist die ins Griechische übertragene Form des hebräischen Namens „Miriam“. Diese war die Schwester des Mose und führte mit ihm das Volk Israel aus der Gefangenschaft in die Freiheit.

Nun handelt Gott durch Maria weltweit. Aber er handelt auf ganz natürliche Art und Weise. Maria war mit Joseph verlobt. Das geschah in der Regel mit 13 Jahren. Die Braut blieb aber noch etwa ein Jahr im Vaterhaus, galt aber praktisch als verheiratet und konnte auch mit ihrem künftigen Mann zusammen sein.

Der Engel teilt ihr nun mit, daß sie schwanger ist, ehe sie es selber weiß. Maria gibt ihr Kind nicht preis, sie versucht keine Abtreibung, sondern entscheidet sich für das Leben. Der Bote Gottes hat ihr die Furcht vor allem genommen. So steht schon ganz am Anfang eine gnädige Zusage Gottes, die dann in der Christnacht das dunkle Feld der Welt erhellt.

Maria wird einen dornenreichen Weg in einer gespaltenen Welt gehen. Aber die Freude am Kind kann ihr nicht mehr genommen werden, weil sie der Liebe Gottes traut. Schmerz und Liebe liegen in der Welt oft nahe beieinander. Aber wer das „Ave Maria“ betet, begibt sich damit unter den Schutz Gottes (nicht nur der Maria) gegen die herrschende Moral der Machthaber.

Maria ist uns in vielem voraus. Sie ist nicht ein dümmliches und einfältiges Mädchen. Sie ist nicht das verderbte Weib, die Verführerin, das Einfallstor der Sünde. Sie ist aber auch nicht die sündlose und geschlechtslose Gottesmutter. Vielmehr ist sie eine erwachende und ermutigende Frau. Durch Gottes Zusage traut sie wieder dem Leben und wird ihm gerecht.

So können wir von Maria lernen: Wenn Gott uns braucht, dann gilt es zu hören. Keine Vorurteile anderer Menschen und keine irgendwie gearteten Verpflichtungen dürfen uns davon abhalten, Gottes Willen zu tun. Niedrigkeit und Demut und erst recht nicht das Frausein sind kein Hindernis für einen echten Glauben. Gott rechnet nicht mit unsren verstandesmäßigen Fähigkeiten, sondern mit unserem schlichten Gehorsam. Am Schluß sollen auch wir sagen: „Mir geschehe, wie du gesagt hast!“

 

 

Lukas 1, 39 – 47 (4. Advent):

In vielen katholischen Kirchen hat Maria, die Mutter Jesu, einen hervorragenden Platz. Manchmal ist sie sogar die Hauptfigur des geschnitzten Altars. Bei manchen katholischen Christen ist deshalb der Eindruck entstanden, als sei Maria die Hauptfigur in der Kirche. Zumindest hält man es für gut, sich im Gebet an sie zu wenden, damit sie Fürsprache bei ihrem Sohn einlegt. Für uns dagegen hat Maria nur eine Bedeutung im Zusammenhang mit Jesus. Sie hat ihren Platz nicht einmal neben dem Sohn, sondern Christus ist unser einziger Erlöser. Doch oftmals haben wir Christus nur „i n“ etwas: Er begegnet uns in Wort und Sakrament, er ist in anderer Weise da in der Kirche, und hier haben wir ihn gewissermaßen im Schoß seiner Mutter.

Doch nur um Christi willen schauen wir auf Maria. Wir dürfen sie ehren, aber nicht verehren. Sie war auch nur ein Mensch und hat später an ihrem Sohn gezweifelt und nicht an ihn geglaubt. Erst nach Ostern hat sie wieder zum Glauben gefunden und ist zur christlichen Gemeinde gestoßen.

Dabei gab es an sich genügend Vorzeichen: Maria tritt in das Haus der Elisabeth und wird sie achtungsvoll gegrüßt haben, wie sich das von einer jüngeren Frau gegenüber einer älteren gehört. Der Gruß der Elisabeth aber fällt völlig aus dem Rahmen: „Gott hat dich unter alle- Frauen ausgezeichnet, dich und dein Kind! Wer bin ich, daß mich die Mutter meines Herrn besucht!?“ Spricht jemand, der ein großes und unverhofftes Geschenk bekommt und noch gar nicht glauben kann, daß es ihm gehört, sondern einen Irrtum befürchtet.

Hier begrüßen sich nicht nur Maria und Elisabeth, sondern der noch ungeborene Johannes freut sich im Leibe seiner Mutter über die Begegnung mit Jesus. Aber woher weiß Elisabeth eigentlich von dem Kind der Maria? Woher weiß sie, daß jenes Kind mehr sein soll als andere Kinder? Die Geschichte beantwortet die Frage einfach: „Sie wurde des Heiligen Geistes voll!“

Durch den heiligen Geist kann Elisabeth mit den Augen Gottes sehen. Durch die unscheinbaren Äußerlichkeiten kann sie hindurchsehen und sie erkennt, wer in Wirklichkeit vor ihr steht. Und sie preist Maria: „Selig bist du, die du geglaubt hast!“ Maria hat nicht an sich einen Vorzug, sondern nur als eine beispielhaft Glaubende wird sie gepriesen.

Und hier können wir auch als evangelische Christen in Maria ein Vorbild sehen; nicht weil sie die Mutter Jesu ist, sondern weil sie eine beispielhafte Glaubende war, ehren wir sie. Auch bei den katholischen Christen hat sich da seit einem Konzil einiges geändert: In vielen Kirchen finden wir immer noch Mariendarstellungen, aber etwas an die Seite gerückt - und da gehört sie auch hin: Wichtig, aber nicht die Hauptsache in einer Kirche!

Mit dem Glauben der Maria allerdings hat es nichts Besonderes auf sich. Manche meinen ja, das Bekenntnis zur jungfräulichen Geburt Jesu sei doch ein handfester Beweis. Hier habe Gott so sichtbar eingegriffen und den normalen Gang der Dinge durchbrochen, daß man gar nichts mehr zu glauben brauche.

Aber eine Jungfrauengeburt ist kein Gottesbeweis. Von vielen Menschen wird nicht nur die Sache an sich angezweifelt, sondern auch die Aussage, die doch dahinter steht, nämlich daß Jesus Gottes Sohn ist. Auch die Engelerscheinung ist nicht eindeutig, sie schließt nicht einfach jeden Zweifel aus und macht den Glauben nicht überflüssig.

Deshalb läuft Maria ja auch gleich zu Elisabeth, um sich zu vergewissern. Aber das hätten wir alle auch so gemacht, darin ist uns Maria menschlich so nahe. Aber sie findet nicht nur die Aussage des Engels erfüllt, sondern vernimmt ein ganz unerwartetes Christuszeugnis aus dem Munde Elisabeths. Gott macht eben auf verschiedene Weise auf das aufmerksam, was noch geschehen soll. Christus ist schon da in dieser Welt: vorerst noch stumm, nicht einmal sichtbar, aber Maria ist doch schon das Gefäß der leibhaften Gegenwart Gottes. Das darf Maria so nach und nach erkennen.

Einfach war es für sie sicher nicht, zu solchem Glauben zu kommen. Sie hat auch nach Zeichen gesucht, das die Aussagen bestätigen und den Glauben stützen könnte. Doch in Wirklichkeit gibt es so etwas gar nicht: ein Glaube, der bewiesen werden könnte, ist kein Glaube. Aber Maria wagt den Schritt, den wir alle tun müssen; sie vertraut auf Gottes Wort! Deshalb soll Maria gesegnet und seliggepriesen werden.

Aber es steigt ihr nicht zu Kopf, was sie oben gehört hat. Sie bleibt ganz passiv, als sie die Größte aller Frauen genannt wird. In ihrem Lobpreis läßt sie keinen Zweifel an ihrer Niedrigkeit und Bedürftigkeit. Maria hat nichts Besonderes an sich, das nicht jeder von uns auch haben könnte. Gott kann sein Werk auch durch Sünder tun. Er braucht nicht besondere Organe, die er erst einmal vollkommen und untadelig gemacht hat. Aber er schenkt seine Gnade denen, die sie an sich nicht verdient haben und wendet seine Güte denen zu, die ihrer nicht wert sind.

Wir alle haben Menschen, die wir für kürzere oder längere Zeit in unserem Herzen mehr oder weniger groß machen möchte: den Sohn oder die Tochter, aber auch einen Filmstar oder einen Olympiasieger oder irgendeinen anderen Meister seines Faches. Es gibt auch Menschen, die sich selber groß machen; in den Weihnachts- und Neujahrsreden werden wir sicher wieder etwas davon erfahren.

Maria aber singt das Lied des Menschen, den Gott groß machen will. Sie freut sich ihres Gottes. Sie kommt aus dem Staunen über die Mitteilung Gottes nicht heraus. Sie widerstrebt nicht, sondern gibt Gott recht, noch ehe sie ihn begriffen hat. Sie sagt „Ja“ zu ihm voll zitternder Erwartung.

Gott ist wie ein Mann, der sich zu einem Kind herabbeugt, das sich verlaufen hat. Maria war eine kleine unbeachtete Frau, von der in der großen Welt keiner Notiz nimmt. Dort kümmert sich keiner um den Verlierer. Dort steht nur der Sieger im Scheinwerferlicht. Die Erfolgreichen werden geehrt und ihr Werk wird aufbewahrt und gepflegt. Gott aber hat bei Maria haltgemacht und sich zu ihr herab geneigt. So beugt er sich immer herab zu den Übersehenen und Zukurzgekommenen in der Welt und stellt sie in die Geschichte seines Reiches.

Maria ist aber doch die größte unter allen Frauen - um Jesu Christi willen. Sie ist das Gefäß, durch das Gott in der Welt und im Fleisch wohnen kann, sie ist seine Eingangspforte in die Welt. Gott hat sie sich auserwählt für seine Anwesenheit und sein Wirken. Aber das bedeutet nicht, daß Maria mit ihrem Menschsein sich am Werk Gottes beteiligen könnte. Sie ist und bleibt ein verlorener Sünder und ist ganz auf die Gnade Gottes angewiesen.

Wer das im Glauben erkannt hat, wird Gott loben, so wie Maria das tut. Sie würde das ihr Widerfahrene geradezu verleugnen, wenn sie nicht den Herrn groß machte. Maria aber ist hier wiederum nur das Vorbild der Kirche und unser Vorbild. Wir haben alle Ähnliches erfahren und haben Grund, dieses Lob Gottes aufzunehmen und mitzutun.

Vielleicht ist in diesen letzten Tagen der Festvorbereitung unser Atem ein wenig kurz. Aber es gehörte trotz allem mit dazu, daß in diese Tagen das Gotteslob vernehmbar wird so wie bei Maria. Das sollten wir uns noch einmal überlegen, wo und wie wir in diesen Tagen Gott loben können, der so große Dinge an uns getan hat.

Und noch etwas könnten wir uns überlegen: Gott beginnt in der Maria Wohnung zu nehmen. Mit anderen Worten: Gott kann uns in einem anderen Menschen begegnen. Man kann zwar nicht den Glauben an Gott in Mitmenschlichkeit hinein aufzulösen; aber etwas Wahres ist schon dran: Wir körnen Gott finden in dem Menschen, der uns gerade begegnet, vielleicht gerade in diesen Tagen.

Doch wir werden auch betroffen feststellen, wie oft uns Gott begegnen wollte und wir haben ihn übersehen. Er begibt sich oft gerade in die Gestalt eines unscheinbaren Menschen. In dem Menschen, der unsre Hilfe braucht, begegnet uns Gott.

Aber auch in dem Menschen, der uns durch einen guten Rat weiterhilft, hilft Gott uns selber. Selbst in dem Menschen, der uns beleidigt, kann Gott vor uns stehen, um uns zu prüfen, wieviel wir von dem Vorbild Jesu Christi begriffen haben.

Gewiß können wir die Aufgabe der Maria nicht wiederholen. Aber Maria wird uns deutlich: Gott sieht uns freundlich an, gerade auch durch andere Menschen. Da haben wir nun die Aufgabe, unsererseits andere Menschen freundlich anzusehen. Gott will uns benutzen, daß wir Christusträger werden. Gott braucht unseren Mund und unsre Hände, um seine Botschaft laut werden zu lassen in der Welt.

Manchmal hören wir dann sogar ein Echo unseres Tuns Vielleicht sagt jemand: „Damals hast du mir in einer verzweifelten Lage geholfen. Du hast zu mir ein Wort gesagt, das für mich wie ein Wort Gottes war!“ Das muß nicht zum Hochmut führen, sondern zum Lob des Gottes, der unsren Mund und unsere Hände benutzt hat für sein Werk.

So erzählte es ein Häftling aus dem Lager Buchenwald: In der nächsten Nacht wollte er in den elektrischen Draht gehen und Schluß machen. Da hörte er aus dem Fenster des Bunkers heraus eine laute und klare Stimme: „Ich bin das Licht der Welt, wer mir nachfolgt, wird nicht wandeln in der Finsternis!“ Es war die Stimme des Pfarrers Paul Schneider. Er wurde für diesen Ruf geschlagen und schließlich stumm gemacht. Aber diesen einen Mann hat er gerettet, denn er wußte nun, daß doch einer bei ihm ist. Wenn uns doch nur das gelänge, auch nur einem Menschen mit unsrem Reden oder Tun wieder Mut zu machen! Dann hätten wir uns recht auf das kommende Fest vorbereitet.

 

 

Lk 1, 67 – 79 /1.  Advent):

„Nach menschlichem Ermessen gibt es keine Rettung mehr“, sagt der Arzt am Bett eines Kranken. „Es müßte ein Wunder geschehen, wenn er sich noch einmal von diesem Zustand erholt!“ Aber fünf Wochen später ist das Wunder geschehen: der Mann kann aus der Klinik entlassen werden und muß nur noch von Zeit zu Zeit zur Beobachtung hin. Wir wissen alle, daß so etwas nicht die Regel ist.

Aber wo wir nichts weiter sehen als hoffnungslose Fälle, da ist Gott oft heilend und helfend am Werk. Welcher Römer hätte dem Volk Israel zur Zeit des Johannes noch eine Chance eingeräumt? Die Geschichte dieses Volkes war doch ein einziger Niedergang, aus dem mächtigen Reich Davids war eine klägliche Provinz am Rande des Römerreiches geworden. Aber gerade in diesem Volk fängt Gott etwas Neues an.

Bei einfachen alten Leuten, die sich schon mit ihrer Kinderlosigkeit abgefunden hätten, kommt ein Sohn zur Welt. Er erhält den sonderbaren Namen „Johannes“, was so viel bedeutet wie „Gott ist gnädig“. Hier kündet sich eine Wende an, die mit Jesus dann eintritt. Die große Erweckungsbewegung, die Johannes der Täufer auslöste, war Vorspiel für das Kommen

Gottes in Jesus Christus.

Auch wir dürfen darauf vertrauen, daß Gott immer wieder einen Neu-Anfang mit uns macht. Das Sprichwort: „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr!“ gilt in diesem Fall nicht. Für Gott gibt es keine „hoffnungslosen Fälle“. Wenn er es will, kann es immer wieder von vorne losgehen.

Das will uns auch diese Adventszeit und das neu begonnene Kirchenjahr sagen. Nicht zu Unrecht singen wir: „Alle Jahre wieder!“ Das Weihnachtsgeschehen wird immer wieder neu für uns, ein Neuanfang in unserem Leben ist immer wieder möglich.

Deshalb wird dieser Lobgesang des Zacharias auch in der Morgenandacht verwendet: Nach dem Schweigen der Nacht beginnt wieder ein neuer Tag, und das erste an ihm ist ein Lobgesang. So hatte auch Zacharias monatelang schweigen müssen, weil er dem Wort Gottes nicht glaubte, das ihm einen Sohn verhieß. Als sein Mund sich wieder öffnet, geschieht das für einen Lobgesang.

Doch das Beherrschende darin ist nicht die Freude über den Sohn, wie wir es wohl erwarten würden. Vielmehr freut er sich, daß nun die Zeit anbricht, von der die Propheten Israels seit Jahrhunderten geredet haben: Jetzt beginnt die große Zeitenwende, in der einer geboren wird, der der Sohn Gottes ist.

Wie viele Wünsche verbinden sich doch jedesmal mit einem solchen Neubeginn! Jeder politische Herrscher wird von großen Hoffnungen begleitet. Man bedauert die Genrationen der Wartenden, denen doch etwas entgangen ist. Zu recht haben sie gesagt: „Wir haben nur e i n Leben‚ wir wollen die neue Zeit nicht erst als Rentner erleben, wenn wir sie nicht mehr nutzen können. Gleiches Recht und gleiche Gnade für alle!“

Doch schon in den Beziehungen zwischen den Menschen gibt es verschiedene Stadien. Zum Entstehen einer Liebe zwischen Mann und Frau gehören auch Zeiten des Noch-nicht, des Wartens und Sehnens. Wo das Miteinander nicht ausreift und sich erst einmal bewährt, geschieht meist ein Unglück. So geht auch Gott mit uns einen Weg mit verschiedenen Stationen. Da gibt es Gefahrenstellen und Einengungen, aber dann auch wieder Stellen mit weitem Ausblick.

Auch in unserem persönlichen Leben gibt es viele Hoffnungen: Wir möchten, daß unsre Sorgen aufhören, daß wir von Krankheit befreit werden, daß ein still getragener Kummer aufhört. Wir möchten auch, daß die Spannungen zwischen Alten und Jungen sich lösen. Wir wünschen uns Frieden unter den Völkern der Erde und daß wir selber in Frieden leben dürfen.

Wir haben Träume, und wir dürfen sie auch haben. Kinder träumen in dieser Zeit von einem Fahrrad oder einem MP3-Player. Die Erwachsenen meinen, sie dürfen keine Träume mehr haben, sie dürften sich nicht einer Sehnsucht hingeben. Doch wenn sie ihre Träume verdrängen, dann erregt das Unzufriedenheit und nervöse Hast, wie sie gerade vor Weihnachten immer mehr zu beobachten ist. Doch wenn wir Träume haben, dann wird sich so manches ändern in uns, und das nicht unbedingt zum Schlechteren.

Der Lobgesang des Zacharias sagt uns: „Gott kommt und will uns helfen! Er will uns herausholen aus der Finsternis und dem Schatten des Todes und uns hineinführen in die Gemeinschaft mit ihm!“ Am Anfang und am Ende des Lobgesangs ist die Rede davon, daß wir besucht werden. Das ist die Klammer, die das Lied umschließt und auch das Wesentliche von Advent und Weihnachten wiedergibt.

Das „Besuchen“ ist nicht eine „Heimsuchung“, wie es im Nachwort zu den Zehn Geboten heißt: „Gott wird die Sünden der Väter heimsuchen an den Kindern!“ In Wirklichkeit geht es aber um das genaue Nachprüfen eines Tatbestandes: Der Sache wird nachgegangen und sie wird gründlich in Augenschein genommen. Dieses Nachprüfen kann sich ebenso segensreich wie strafend auswirken.

Hier geht es eindeutig um den segensreichen Anteil. Gott kümmert sich um uns. Er winkt nicht nur aus der Ferne oder er schickt nicht ein Glückwunschtelegramm, sondern er tritt selbst über unsere Schwelle. Gott will gerade hier bei uns sein: in unseren betriebsamen Straßen, an den Stätten unsrer Arbeit, überall wo Menschen sich freuen oder leiden. Auch wenn wir meinen, für ihn keinen Platz zu haben: er besucht uns, er ist einfach da und wartet darauf, gastlich aufgenommen zu werden.

Gottes Verhältnis zu uns ist nicht ein gleichbleibender Zustand, eine Art Naturgesetz oder eine mathematische Formel. Vielmehr wird es immer wieder anschaulich, indem Gott zu uns kommt. Seine Liebe zu uns ändert sich auch nicht je nach unserem Verhalten. Gott kann sich zwar zurückziehen und verbergen. Das ist ja dann so besonders schwer für uns, wenn wir seine Hilfe nicht zu spüren meinen und denken, er hätte uns verlassen.

Aber dann erkennen wir auf einmal, daß wir ja selber heillose Wege gegangen sind, die er nicht beleuchtete. Wenn wir einmal unser Verhältnis zu unseren nächsten Angehörigen - zum Ehepartner, den Kindern, den Eltern - durchleuchten, dann erkennen wir, wie sehr wir außerhalb des Lichtes lebten. Finsternis und Schatten des Todes haben halt doch immer wieder etwas Faszinierendes für uns. Wir verbergen uns gern einmal im Dunkel, um dem Anspruch Gottes ausweichen zu können.

Der Lobgesang des Zacharias aber holt uns aus diesem dunklen Loch heraus. Er holt uns hinein in den Lichtkegel dessen, der das Licht der Welt und der Weg zum Leben ist. Er lenkt unsere Füße auf den rechten Weg und läßt uns wieder von vorn beginnen. Wir dürfen wieder Hoffnung haben.

Schon wenn wir in die Vergangenheit schauen, werden wir dort die Spuren Gottes erkennen. Das Volk Israel hat immer wieder auf den Erlöser gehofft, der es von seinen Feinden erretten sollte. Damals sah man die Feinde nur in den mächtigen Nachbarvölkern. Aber wir wissen heute, daß es viel schlimmere Feinde gibt. Luther spricht vom „altbösen Feind“ und seinen Handlangern,  die uns immer wieder von Gott wegbringen wollen. Unser sündiger Aufstand gegen Gott hat uns ins andere Lager getrieben. Aber wer erst einmal dem Bösen nachgegeben hat, wird unfrei. Erst wollte man Böses tun, dann konnte man nicht mehr anders.

Solange wir in Furcht leben mußten, weil wir bei Gott nichts Gutes mehr zu erhoffen hatten, hatte der Feind leichtes Spiel. Aber Gott hat uns erlöst zur Freiheit der Kinder Gottes. Jetzt sind wir wieder ganz Gottes Eigentum und niemand kann uns mehr von ihm trennen. Was auch in unserem Lebenslauf gegen uns spricht, es spielt keine Rolle mehr. Die Zeit des Konflikts ist vorbei. Gott selber ist gekommen und hat die Situation bereinigt.

Wir glauben nicht ins Blaue hinein, sondern es liegt schon eine lange Geschichte des Gottesvolkes hinter uns. Gott hat sich schon eh und je der Bedrängten angenommen. Er wird auch all unsere Hoffnungen und Erwartungen überbieten. Die Erfahrungen unserer Vorfahren mit Gott gönnen uns zur Glaubensgewißheit helfen. Wenn wir hier den Gottesdienst miteinander feiern, dann sind sie unsichtbar mit dabei. Sie nehmen Anteil an unserem Leben und weisen uns durch ihr Zeugnis auf den richtigen Weg.

Gott hat nämlich auch in Zukunft noch etwas mit uns vor: Nach dem ersten Besuch wird es noch zu einem weiteren kommen. Aber dann geht es nicht mehr um das Kind in der Krippe, sondern um den wiederkommenden Christus, der aller Zeit und Welt ein Ende machen wird. Wie der helle Morgenstern wird er plötzlich da sein und alle mit sich führen, die zu ihm gehören. Während sonst die Gestirne von unten her über die Horizontlinie aufsteigen, wird eines Tages ein Gestirn aus der Höhe aufleuchten und dann wird der zweite Advent Jesu da sein.

Weil wir das wissen, können wir schon heute von dem Licht in der Finsternis erzählen. Hat Christus sich zu uns aufgemacht, dann bedeutet das auch für uns Aufbruch. Gerechtigkeit im Verhalten gegenüber den Menschen und Heiligkeit im Verhalten gegenüber Gott sind uns nun möglich. Unsere Aufgabe wird es sein, Licht in das Zusammenleben der Menschen und Völker zu tragen.

Gott hat ja unsere Füße auf den Weg des Friedens gerichtet. Jetzt können wir Frieden schaffen, wo Unfriede ist. Nun können wir miteinander versöhnen, was verfeindet ist. Unser Herr darf doch von uns erwarten, daß wir ihm dienen, nicht mit Worten allein, sondern auch mit der Tat.

Nur so können wir unsrem Herrn den Weg bereiten. Auch wir sind aufgerufen, Wegbereiter unseres Herrn zu sein zu den Herzen unsrer Mitmenschen. Diesen Dienst werden wir aber nur dann tun können, wenn wir selber mit ganzer Treue in seiner Nachfolge stehen und uns zu seiner Gemeinde halten.

 

 

Lk 2, 1 - 14 (Christnacht):

An Weihnachten erinnert sich mancher daran, daß er ja auch wieder einmal in die Kirche gehen könnte. Man ist es noch so gewohnt, mag erfreut sich am Schmuck der Kirche und an den Liedern. Es soll von der Familie die Rede sein und von der eigenen seligen Kinderzeit. Es ist eben so eine ganz besondere Stimmung im Zusammenhang mit Weihnachten. Wenn sich jemand davon hat ansprechen lassen und deswegen heute hier in die Kirche gekommen ist, dann ist er herzlich willkommen, auch wenn er sonst das ganze Jahr über nicht kommt.

Hier in der Kirche erfährt das Fest seinen wahren Höhepunkt. Hier wird darüber nachgedacht, weshalb wir denn überhaupt diesen ganzen Aufwand treiben. An Weihnachten lautet die Botschaft: „Gott sucht mit uns persönliche Verbindung!“ Manchmal haben wir doch dem Eindruck, Gott sei weit weg; wir können ihn zwar noch dumpf ahnen, aber es bleibt alles unverbindlich. An Weihnachten aber hören wir: „Gott will die Entfernung überbrücken, er will Kontakt zu uns bekommen und uns für sich gewinnen. Dazu hat er sich in das Gedränge der Welt begeben. Er ist zwar nicht Mensch, sondern er w u r d e Mensch und einer von uns, mit allen Konsequenzen!“

Und dennoch gibt es auch heute Menschen, die sagen: „Für mich gibt es sowieso kein Weihnachten!“ Das kann auch an dem betreffenden Menschen selber liegen, weil er meint, das Fest setze eine besondere Seelenstimmung voraus und zu der könne er sich nicht aufschwingen. Einem solchen Menschen helfen kein noch so großes Geschenk und keine noch so gute Medizin. Sie brauchen aber vielleicht die Ruhe des Gotteshauses und sie brauchen vor allem das Wort Gottes, um wieder froh zu werden.

Allerdings haben wir hier in der Kirche keine Insel der Seligen, wo man sich schönen Illusionen hingeben kann. Auch an Heiligabend bestehen die harten Realitäten dieser Welt weiter. Es gibt Hunger in der Welt und Kriege, es gibt viel Einsamkeit und Hoffnungslosigkeit. Viele erwarten sicher von einem solchen Gottesdienst etwas Stimmung und auch schöne Worte. Aber das Unheil in dieser Welt läßt sich nicht leugnen. Doch wir fragen heute nach seiner Überwindung, nach dem Heil Gottes in dieser Welt des Unheils.

Wir können nichts ändern. Auch das Kind in der Krippe konnte zunächst nicht helfen: Es lag da in den Windeln, konnte nur schlafen und trinken und vielleicht auch schreien. Und doch ist durch dieses Kind etwas anders geworden in der Welt, schon allein dadurch, daß es da war.

Hier ist Gott über den breiten Graben gesprungen, der ihn von den Menschen getrennt hat. Sein Sohn wurde gerade für diejenigen geboren, die meinten, Gott habe sie vergessen. Er wird geboren für die Armen, die kein Bett für ihr Kind haben und die sich ungeborgen und entwurzelt fühlen.

Gerade in dieser Nacht spürt mancher besonders seine Einsamkeit und sucht Anschluß. Da ist es gut, wenn er Menschen findet, die sich um ihn kümmern. Zumindest aber hat er einen Gott, der ihm nahe ist. Das verdeutlicht die Weihnachtsgeschichte. Das Tröstliche an ihr ist, daß dort auch von der Not der Menschen die Rede ist: Es wird uns deutlich, daß es dem Gottessohn auch nicht besser erging als den Menschen. Aber hier wird auch ein Weg aus der Not heraus gezeigt. Manchmal genügt dafür allein das Wort Gottes. Jesus hat bewußt auf seine Macht verzichtet. Und dennoch hat sein Wort die Welt und die Menschen grundlegend verändert.

Deshalb sollten wir an einem Tag wie heute nicht nur klagen über die Schlechtigkeit der Welt, sondern sollten sie auch im Lichtglanz Gottes sehen. Jesus wurde Mensch, um die Menschheit herauszuführen aus dem Elend in eine bessere Zukunft. Heute können wir schon vielerorts etwas entdecken von der großen Freude, die allem Volk widerfahren wird - sicher auch bei uns.

Allerdings kann dieser Gott auch heute nur durch Menschen aktiv werden. „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden!“ Das gibt es nur, wenn wir auch unseren Teil dazu beitragen. Die frohe Botschaft liegt in dem „und“: Auch auf der Erde soll Friede sein! Daß Gott im Himmel gerühmt wird, braucht nicht unsere Sorge zu sein. Aber der Friede auf Erden liegt mit in unsrer Hand.

Natürlich könnte sich Gott auch mit seiner unwiderstehlichen Allmacht rücksichtslos in der Welt durchsetzen. Aber er will nicht zwingen, sondern überzeugen. Wir sollen von uns aus einsehen, daß der Friede notwendig ist, wenn wir überleben wollen. Doch vergessen wir nicht: Letztlich wird die Welt „von oben herab“ in eine andere Verfassung gebracht: Gott wendet sich den Menschen mit seiner Liebe zu. Er betritt das Aufstandsgebiet und begibt sich auf die Stufe der Aufrührer und liebt selbst seine Feinde. So zeigt er, wie sehr ihm an uns liegt und macht Frieden mit der Welt. Er regiert die Welt nicht mehr nur von außen, sondern er wird selber ein Stück Welt und wirkt als solches in die Welt hinein.

Die Welt ist dadurch noch nicht pauschal verwandelt worden. Aber in der Person Jesu ist doch ein Anfang gemacht. Jesus hat gezeigt, daß man Frieden halten kann. Dieser Frieden ist mehr als nur das Schweigen der Waffen. Er ist die Überwindung des Hasses durch die Liebe, die Beseitigung der Schuld durch die Vergebung, die Heilung der Kranken. Dann ist die Feindschaft behoben und Versöhnung eingetreten. Dieser Friede beruht auf einer durchgreifenden Neuordnung der Dinge. Da werden die Wurzeln der Feindseligkeit aufgespürt und beseitigt. Nur das Geordnete und Gesunde, das Gerechte und Heile wird einen echten Frieden ermöglichen. Jesus hat den Weg dazu gewiesen.

Wir können etwas gegen den Krieg tun. Vielleicht nicht so sehr gegen den aktuellen Krieg in irgendeinem Winkel der Welt. Aber wir können dazu beitragen, daß eine Bewußtseinsänderung bei uns und in der Welt eintritt. Lange war man weithin der Meinung, man müsse viele Soldaten und Waffen haben, um sicher zu sein. Heute aber erkennen wir immer mehr, daß die Mittel viel besser in der Entwicklungshilfe angelegt sind. Beides können wir nämlich nicht leisten, Rüstung und Entwicklungshilfe nebeneinander. Wenn wir aber den Gegensatz zwischen reichen und armen Völkern abbauen, dann werden die Soldaten überflüssig. Denn in Zukunft wird die Hauptgefahr von den armen Völkern ausgehen, die sich eines Tages werden holen müssen, was man ihnen heute noch vorenthält. Manche reichen Länder liefern ihnen noch die Waffen dafür, anstatt ihnen lieber Maschinen und Ausbilder zu geben.

Es gibt aber auch Länder, die die Zeichen der Zeit erkannt haben. Dazu gehört etwa Tansania.

Dort gibt es keine Wehrpflicht, sondern nur eine kleine Armee, die zudem noch stark bei zivilen Projekten eingesetzt ist. Das Land wurde zwar einmal von Uganda überfallen. Aber dennoch hält man an dem Vorrang der Entwicklung des Landes fest.

Auch in Europa gibt es Länder, wo man sagt: Die Kriegsgefahr ist gegenwärtig nicht so groß. Deshalb rüsten wir nicht weiter, sondern versuchenden Lebensstandard der Bevölkerung zu heben. Durch eine solche Einstellung aber wird der Frieden sicherer und die Rüstung immer überflüssiger.

Friede umfaßt auch den Wohlstand und das äußere Glück. Das war auch schon die Sehnsucht der Menschen zur Zeit der Geburt Jesu. In einer Inschrift von damals heißt es: „Die Menschen sind voll guter Hoffnungen für die Zukunft, voll frohen Mutes für die Gegenwart!“ Hier ist festgehalten, was die Menschen aller Zeiten ersehnen.

Doch um dieses Ziel zu erlangen, gilt es, nach der Liebe Gottes zu handeln. Die Hirten haben sich ja auch nicht mit dem Hören der Botschaft begnügt, sondern sie gingen hin zu dem Kind und brachten ihm Geschenke mit. Ein Schaf-Fell konnte immerhin ein Hundertstel des Jahreseinkommens ausmachen. Damit wurde die mißliche Lage des Jesuskindes noch nicht geändert, aber es war doch ein Zeichen der Liebe. Und wenn wir heute für die Aktion „Brot für die Welt“ sammeln, dann ändert das noch nicht schlagartig die Not in der Welt. Aber es ist doch ein Zeichen der Hoffnung für viele Menschen. Sie spüren dann: Wir sind nicht allein, wenn uns Flüchtlingselend und Naturkatastrophen heimsuchen. Da sind Menschen, die helfen uns beim Aufbau unseres Gesundheitswesens und unsrer Schulen. Weihnachten kann nicht nur ein Familienfest bleiben, an dem wir uns untereinander beschenken, sondern diese Geschenke von Volk zu Volk gehören mit dazu.

Man konnte am Stall von Bethlehem vorbeilaufen. Und man kann auch heute aus dieser Christvesper so weggehen, wie man gekommen ist. Christus aber wartet auf die Menschen, die seinen Frieden annehmen und dann praktizieren. Wir müssen es mit den Menschen riskieren, mit denen wir immer noch in Unfrieden leben, hier bei uns und anderswo. Vielleicht ist uns noch heute abend ein Schritt in diese Richtung möglich. Dann wäre das „Friede auf Erden“ kein leeres Wort mehr.

Der uns dazu den Anstoß gibt, hat als Kind in der Krippe gelegen. Wenn in einer Familie ein Kind geboren wird, dann sagen die Geschwister: „Wir haben ein Kind!“ Es ist nicht das Kind der Mutter, sondern es gehört allen. So will auch das Kind in der Krippe „unser“ Kind sein.

Ein neues Kind bringt immer eine Umstellung mit sich. So will auch Jesus uns und alle Welt umstellen. Er fordert jeden Einzelnen dazu auf. Wenn aber viele Einzelne sich ändern, dann wird auch das Ganze anders. Wenn doch nur schon a l l e Menschen erkannt hätten, daß wir schon Frieden mit Gott haben. Dann gäbe es auch Frieden unter den Menschen. Dann wäre es so wie in einer großen Familie, in der sich alle einig sind und einer für den anderen da ist.

 

 

Lk 2, 15 – 20 (Christfest I):

Ein Kind erzählte einmal diesen zweiten Teil der Weihnachtsgeschichte folgendermaßen: „Denk mal, Mutti, da waren Hirten auf dem Feld. Auf einmal war es sehr hell und sie haben sich gefürchtet. Aber da ist ein Engel gekommen und hat gesagt: ‚Fürchtet euch nicht!‘ Und da haben sie weiter geschlafen!“

Das ist fast eine moderne Weihnachtsgeschichte. Weihnachten leuchtet einmal kurz auf. Wir sind jedes Jahr wieder neu berührt von diesem Fest. Vielleicht erinnert es uns so sehr an die Weihnachtsfeste unsrer Kindheit, die uns heute wie ein Stück heiler und vollkommener Welt erscheinen. Aber nachher ist alles wieder beim Alten. Wir sehen flüchtig auf das Licht der Kerzen die uns an das ewige Licht erinnern sollen. Dann geht der Blick weiter zu den Geschenken, die uns meist schon mehr ansprechen. Und dann machen wir weiter oder schlafen weiter, als ob nichts geschehen wäre. Höchstens wundern wir uns noch, daß im Alltag von Weihnachten so gut wie nichts übrigbleibt.

Den Hirten aber hat sich Gott gerade in ihrem Alltag gezeigt. Es war eine Nacht wie andere auch. Keiner konnte ahnen, daß etwas Außergewöhnliches passieren sollte. Die Hirten taten ihre Arbeit, wie man es von ihnen erwartete. An Gott werden sie wohl kaum gedacht haben, denn Arbeit ist Arbeit, da hat man anderes im Kopf.

Dabei hätten sie Gott so nötig gehabt. Hirten hatten nichts zu sagen, sie galten als unehrlich, unsauber und ungläubig. Ihre Arbeit war schwer und gefährlich und erforderte ganze Kerle. Mit anderen Menschen kamen sie kaum zusammen. Von allen verachtet blieben sie allein mit ihren Gedanken und Gewohnheiten. Es gab zur Zeit Jesu keinen verachteteren Beruf als den der Hirten. Sie galten als Betrüger und Gewalttätige. Man hielt sie für Menschen, die Gott längst abgeschrieben hatte. Und es mag sein, daß sie deshalb auch ihrerseits Gott längst abgeschrieben hatten. Sie waren die Unterdrückten und Benachteiligten von damals. Nur weil sie diesen Beruf hatten, waren sie aus der Gesellschaft ausgeschlossen, obwohl sie doch nötig waren und jeder auf ihre Arbeit angewiesen war.

Aber gerade für solche Menschen interessiert Gott sich zuallererst. Gerade den Ausgestoßenen wird die frohe Botschaft zuerst verkündet. Gott ist gerade bei denen, die es am wenigsten erwarten. Und er zeigt sich oft zu einer Zeit, in der man gar nicht mit ihm gerechnet hat. Diese Hirten waren nicht besonders fromm, sie waren Menschen wie wir alle. Sie brachten keine besonderen Voraussetzungen mit, die sie als Empfänger der Botschaft Gottes hätte geeignet erscheinen lassen.

Und doch dürfen sie als erste die frohe Botschaft Gottes hören. Man kann sich nur wundern, daß sie nicht mißtrauisch oder gar ausfällig wurden. Wenn man immer wieder zum Narren gehalten wird, verliert man leicht das Vertrauen. Aber diesmal werden sie nicht enttäuscht. Für einen Augenblick wird der Vorhang vor der göttlichen Welt weggezogen und sie dürfen etwas vom Geheimnis Gottes erfahren. Gott hat entschieden, wann und wem er sich zeigen will. Er wohnt nicht irgendwo im Weltall, sondern er kommt mitten hinein in das menschliche Leben.

Deshalb können wir ja auch nicht nach dem Hören seiner Botschaft so einfach zur Tagesordnung übergehen. Wir können nicht so tun, als sei schon der dritte Feiertag - oder sagen wir besser: als sei schon wieder der Alltag. Gott läßt den Hirten nicht sagen: „Es besteht kein Grund zur Aufregung, ihr könnt weiterschlagen, so als sei nichts geschehen!“ Nein, er hat eine frohe Botschaft für die Hirten, die ihr Leben verändern wird.

Dabei entsprach diese Botschaft durchaus nicht ihrer Hoffnungen und Erwartungen. Sie ersehnten einen mächtigen Herrscher, der den Glanz ihres Volkes wieder herstellen würde. Stattdessen wurden sie auf ein Kind verwiesen, das gerade noch einen „Krippenplatz“ im wörtlichen Sinne des Wortes erlangt hatte. Aber die Hirten waren ja praktisch die erste Gemeinde, die sich um das Kind versammelte. Sie gingen bald wieder fort in die Nacht. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als voller Hoffnung zu warten, bis aus dem Kinde ein Mann würde, der sein Werk beginnt.

Aber immerhin: Sie hatten etwas gesehen, was sie von nun an nicht wieder loslassen würde. Wir haben hier eine Hauptschwierigkeit: Gott bleibt ja unsichtbar für uns! Und was nicht sichtbar ist, das ist für viele auch nicht wirklich. Aber achten wir einmal darauf, wie oft hier vom „hören“, „kundtun“ und vom „Wort“ die Rede ist. Mit anderen Worten: Wir heute können nur sehen, indem wir h ö r e n. Wenn wir Gott auch nicht sehen, so können wir ihn doch hören.

Allerdings hören wir ihn nicht aus einem himmlischen Lautsprecher. Wir haben nur die Erzählungen der Augenzeugen von damals, die uns gerade an Weihnachten lebendig vor Augen stehen sollten, als wären wir selber dabeigewesen. Schon damals war auch das gesprochene Wort nötig. Die Hirten wären nie auf diese Geburt aufmerksam geworden, wenn sie nicht darauf hingewiesen worden wären. Erst recht hätten sie nicht herausbekommen, w e r da geboren worden ist. So ist also das gesprochene Wort zur Deutung nötig, es macht eine Sache eindeutig. Als Gott sagt: „Dies Kind ist mein Sohn!“ da erkennt er es als seinen Sohn an, so wie ein irdischer Vater ja auch erst sein Kind anerkennt.

An sich hätte den Hirten die bloße Mitteilung genügen können. Im Stall konnten sie auch nicht mehr finden, als sie schon gehört hatten. Aber dennoch wird ihnen auch ein Zeichen gegeben: Das Kind wird in einer Krippe liegen! Diese wird das Zeichen sein, daß dieses Kind der angekündigte Heiland ist. Das Kind hatte ja keinen Heiligenschein und es waren auch keine Engel im Stall dabei, wie das die Maler so gern darstellen.

Mit menschlichen Augen kann man nicht wahrnehmen, daß dieses Kind der Sohn Gottes sein soll, das muß einem erst gesagt werden. Für das Gottsein haben wir sonst kein Organ. Aber um es uns leichter zu machen, wird Gott in einem Kind greifbar und kommt uns leibhaft

ganz nahe. Nun kann man ein Leben Jesu erzählen. Man hätte es filmen können. Gott läßt sich sehen und fassen.

Dennoch ist das kein Beweis, wenn ich sage: „Ich glaube an Jesus Christus, Gottes eingeborenen Sohn!“ dann ist das ein Glaubensbekenntnis. Und wenn ein anderer sagt: „Ich glaube nicht an Jesus“ dann ist das auch nur ein Bekenntnis und kein Beweis. Es geht allein darum, ob wir das Wort Gottes annehmen und ihm vertrauen.

Wir heute haben es im Grunde ja noch besser als die Hirten. Die sahen nur den unscheinbaren und ärmlichen Anfang. Wir aber wissen von den späteren Worten und Taten Jesu und von seiner Auferstehung. Wir haben in Taufe und Abendmahl äußerlich sichtbare Zeichen für die Gegenwart Gottes. In den Schriften der Bibel haben wir ausführliche „Briefe“ Gottes vorliegen, die uns von seiner Liebe zu uns erzählen. All das hatte man ja nicht von Anfang an. Wir haben es da doch eigentlich sehr viel besser, wenn wir glauben wollen.

Vielleicht hätte uns der Gottessohn im Stall nur vom Glauben abgehalten. Die Hirten aber waren nicht enttäuscht. Sie waren ja durch das Wort des Engels darauf vorbereitet. Und außerdem war ihren diese Umgebung vertraut. Sie spürten genau: Das ist einer, der zu uns gehört. Der kommt nicht nur schnell einmal zu Besuch und danach ist alles wieder, wie es war. Der geht unseren Weg mit durch Höhen und Tiefen und geht auch durch den Tod mit uns hindurch. Gottes Wort wird gerade durch unscheinbare Dinge bestätigt.

Es muß nur auch einer da sein, der die Botschaft Gottes aufnimmt, so wie man ein Empfangsgerät haben muß, wenn man Radio oder Fernsehen empfangen will. Um uns herum sind ja ständig Wellen in der Luft. Wir können sie nicht sehen, und doch kann jeder feststellen,

daß da etwas da ist. Es ist nicht nur das wirklich, was man sehen kann. Man muß nur bereit sein zum Empfang, dann wird einem doch manches aufgehen.

Doch diese Hirten werden gleichzeitig auch wieder zu Sendern. Sie hören nicht nur, sondern gehen hin, um zu sehen. Und als sie gesehen haben, geben sie Auskunft über das Wort, das ihnen Gott über dieses Kind gesagt hat. Zunächst werden es die Leute gehört haben, die mit in der Herberge waren. Aber nachher haben sie es weiter verbreitet, wo sie auch hinkamen: in ihren Familien, bei den Arbeitskollegen, bei Nachbarn und Bekannten, auch bei ganz Fremden.

An den Hirten können wir sehen, was Glaube bedeutet: Sie hören, gehen hin, sehen und sagen weiter. Diese Schritte sind auch uns aufgegeben. Das Weihnachtsfest ist bald vorüber und wir stehen wieder in unserem Alltag. Da wird sich zeigen müssen, ob es nur Tage waren wie viele andere oder ob von der Botschaft dieses Festes eine praktische Wirkung ausging. Weihnachten ist für uns nicht mit dem Besuch des Gottesdienstes erledigt, sondern beginnt jetzt erst richtig.

Wie viele Menschen gibt es in unserer Umgebung, die bedrückt oder verzweifelt sind. Viele sind am Leben verbittert oder gleichgültig geworden. Sie erleben die Vergänglichkeit und der Kreislauf der Jahre. Gott scheint ihnen so weit weg zu sein wie den Hirten der Tempel. Gerade an Weihnachten wird vielen das wieder bewußt werden. Viele singen dann dieses eine Mal im Jahr die Lieder, die ihnen aus der Kindheit vertraut sind und trauern dabei dem Glauben ihrer Kindheit nach. Aber es sind auch andere da, bei denen alles stumm und leer bleibt, die keinen Christbaum und keine Kerze haben, die auch keinen Menschen haben‚ der einmal mit ihnen spricht.

Aber sie warten vielleicht gerade auf ein Wort, auf unser Wort. Sie hoffen auf e i n Stück der Weihnachtsbotschaft, das gerade ihnen gilt. An diesen Menschen haben wir eine Aufgabe. Es ist nicht damit getan, daß wir an Familie Müller eine vorgedruckte Karte schicken und nur unsre Unterschrift daruntersetzen. Es gibt heute noch so vieles, was zum Himmel schreit. Die umfassende Weltverwandlung, in der der Friede auf Erden volle Wirklichkeit wird, erwarten wir erst, wenn Christus erneut wieder auf die Erde kommt. Aber das darf uns nicht faul machen. Es gibt zwar Probleme, für die unser Arm zu kurz ist. Aber wohin er reicht, dort sollten wir zufassen. Unseren bescheidenen Beitrag können wir auch leisten, daß unsere Welt ein wenig der Welt Gottes ähnlich wird.

Am Alltag der Hirten hatte sich äußerlich gesehen nichts geändert. Die Arbeit war noch genauso schwer und alle Probleme waren auch noch da. Aber sie selbst hatten sich verändert. Sie gingen in ihren Alltag zurück wie ein Mädchen, das die erste große Liebe erfahren hat. Sie hat zwar weiter ihren alten Arbeitsplatz. Aber alles strahlt an ihr; sie ist eine andere geworden und möchte es am liebsten aller Welt erzählen. Wenn wir jetzt hinausgehen, dann müßte man es doch uns auch ansehen, daß mit uns etwas anders geworden ist.

 

Zusatz:

In der Konfirmandenstunde kam die Bemerkung: „Wenn wir erst auf dem Mond sind, werden wir es vielleicht wissen, wer Gott ist!“ Natürlich weiß heute jeder Konfirmand, daß Gott nicht auf dem Mond wohnt. Aber dahinter steht eben doch die ernsthafte Frage: Wie wird Gott für uns greifbar und begreifbar Wir wollen dieser Frage einmal nachgehen, indem wir uns überlegen, wie die Hirten in Bethlehem das erste Weihnachten erlebten.

Die Hirten hatten den Abgesandten Gottes für einen Augenblick sehen dürfen. Der dichte Vorhang, der für uns vor der göttlichen Welt hängt, hatte sich für einen kurzen Augenblick geöffnet. Sie haben einen Blick tun dürfen in die Herrlichkeit Gottes. Aber nun ist wieder alles wie zuvor: dunkle Nacht - das Feld, über dem die Sterne leuchten - die Viehherden.

Wir können nicht von uns aus fragen: „Wo ist Gott?“ Gott zeigt sich schon von sich aus. Aber e r entscheidet, wann er sich uns zeigen will. Die Hirten waren gerade mitten bei ihrer üblichen Arbeit, als Gott sich ihnen offenbarte. Es war eine Nacht wie andere auch. Aber gerade im Alltag ist er ihnen begegnet.

 

 

Lk 2, 25 – 35 (1. Sonntag nach dem Christfest):

Folgt man den Umfragen, so war das vergangene Jahr ein gutes Jahr. Und Viele rechnen sogar damit, daß es für sie im kommenden Jahr noch besser wird. Dennoch meint die knappe Hälfte der Bevölkerung, da ß sich die Gesellschaft in einer schweren Krise befindet und vielleicht sogar auf eine Katastrophe zusteuert. Es gibt allerhand noch zu lösende Probleme, auch im neuen Jahr (…..):

So geht es uns in dieser Zeit „zwischen den Jahren“ wie alle Jahre: Wir blicken voller Dankbarkeit zurück auf ein gutes Jahr. Wir haben Essen und Trinken gehabt, Wohnung und Kleidung, aber auch noch vieles andere mehr, was über diese Grundbedürfnisse hinausgeht. Im Weltmaßstab gesehen haben wir alle auf der Sonnenseite des Lebens gestanden, auch wenn es unter uns beträchtliche Unterschiede gibt. Auch bei uns gibt es Menschen, die relativ arm sind, also weniger als der Durchschnitt der Einwohner unsrees Landes haben. Aber es geht ihnen immer noch weit besser als der großen Mehrheit der Menschen.

Aber wir wissen natürlich nicht, ob diese guten Zeiten uns erhalten bleiben. Und so blicken wir auch mit etwas Sorge in das neue Jahr. „Wie wird es weitergehen?“ fragen viele. Und: „Wird es überhaupt weitergehen?“ so fragen vielleicht besonders die Älteren unter uns. Sie können nicht mehr viel im Leben bewegen, sie haben ihre Aufgaben an Jüngere abgeben müssen. „Aber werden die auch alles bewältigen?“ so wird doch gefragt.

Zuversicht können uns da aufmunternde Ereignisse aus Vergangenheit und Gegenwart geben.

In der heutigen biblischen Geschichte wird von Simeon erzählt. Er wartet noch auf ein besonderes Kind. Ein Kind ist immer ein Zeichen der Hoffnung, denn es verkörpert die Zukunft. Der Name „Simeon“ bedeutet „Erhörung“. Der Simeon in der Geschichte gehört offenbar zu einem Kreis von Menschen, die auf die Erlösung Jerusalems warten. Ehe sie nicht kommt, ist sein Leben noch nicht vollendet, kann er noch nicht sterben.

Man stellt sich ja vor, daß er schon ein Greis gewesen sei, obwohl das nicht zwingend ist. Aber die eigentlichen Leistungsjahre des Lebens hat er wohl schon hinter sich. Doch seine Leistung besteht nicht darin, daß er Jahrzehnte fleißig gearbeitet und seine Familie ernährt hat. Seine Leistung besteht vielmehr darin, daß er zu warten gelernt hat und die Hoffnung nicht aufgegeben hat.

Ihm zur Seite gestellt wird Hanna. Nach damaliger Auffassung konnte eine Frau nicht als Zeugin zählen. Aber hier macht sie die gleichen Erfahrungen wie Simeon. Beide sind sie vom Geist Gottes erfüllt. Dieser sorgt dafür, daß Hanna die ganze Zeit im Tempel geblieben ist und Simeon nun dorthin geführt wird. Und der Geist läßt sie auch erkennen, daß es mit diesem Kind etwas Besonderes auf sich hat. Der natürliche Mensch hat kein Organ für das, was in diesem Kind verborgen ist. Aber diese zwei Menschen lassen sich von Gott sagen, daß man noch hoffen darf, weil mit diesem Kind etwas Neues begonnen hat. Jetzt ist Simeon am Ziel seines Lebens.

Möglich wird diese Begegnung, weil die Eltern etwas mehr getan haben, als es die Sitte von ihnen verlangt. Üblich war, daß man den erstgeborenen Sohn wieder Gott „darbrachte“, wie man damals sagte. Damit wollte man zum Ausdruck bringen, daß er Gott gehören sollte. Aber man hat ihn natürlich nicht selbst geopfert, sondern ein Tier an seiner Stelle dargebracht. Diese Auslösung hätte aber bei irgendeinem Priester im Land erfolgen können. Jesu Eltern aber bringen das Kind in den Tempel, weil es dort hingehört. Gottes Geist hatte sie dazu getrieben, damit es zu der denkwürdigen Begegnung im Tempel kommen kann.

Mit diesem Kind ist Gott in der Mitte. Er ist im Gotteshaus, er ist mitten unter den Menschen, die auf ihn warten und auf ihn hoffen. Er ist aber auch mitten in der Welt. Dieses Kind ist nicht mehr nur die Hoffnung Israels, sondern auch die Heiden werden in die Geheimnisse Gottes eingeweiht: Er ist das Licht, zu erleuchten die Heiden!

Nun ist Gott wieder in der Welt gegenwärtig, die sich von ihm abgewandt hatte. Er ist auch in unsrer Welt gegenwärtig. Manchmal füllt es uns schwer, das zu glauben. Wir erleben doch immer wieder Dinge, die wir nicht für möglich gehalten hätten. Da sind auf einmal Menschen, mit denen man jahrelang friedlich miteinander belebt hat, plötzlich zu Feinden geworden. Da werfen vorwiegend junge Leute plötzlich Brandsätze auf die neuen Nachbarn; auf einmal führen sie Parolen im Mund aus einer Zeit, wie wir längst überwunden glaubten. Wer bringt denen denn so etwas bei, wer hat sie denn verhetzt? Was haben die Eltern und Erzieher versäumt, daß so eine Saat unter ihnen aufgehen konnte? Was haben Politiker falsch gemacht, daß man so unzufrieden mit ihnen ist?

Viele sagen auf einmal: „Denen geben wir einen Denkzettel. Bei der nächsten Wahl wählen wir eine der radikalen Parteien, egal welche!“ Wenn man dann genauer nachfragt, dann sagen sie: Natürlich wollen wir nicht, daß diese Parteien wirklich an die Macht kommen!“ Aber was ist, wenn viele aus Protest eine Partei wählen, die sie eigentlich nicht wollen, und sich nachher wundern, wie viele Stimmen so eine extreme Partei doch gekriegt hat. Sie wird nicht gleich die Mehrheit bekommen. Aber sie könnte so stark werden, daß nur noch eine große Koalition gegen sie möglich ist, und das ist auch wieder nicht gut.

Jetzt sind wir vom Geist Gottes zu den nächsten Wahlen gekommen. Aber das ist nicht, falsch, da sind wir noch genau am Bibeltext. Denn wenn Gott ein Zeichen setzt, wenn er sich in der Welt bemerkbar macht, dann kommt es in der Welt zum Widerspruch. Auch dieses Weihnachtsfest ist nicht nur friedlich verlaufen. Gott kam in sein Eigentum, und die Seinen nahmen ihn nicht auf - bis heute ist das noch so.

Schon Simeon hat dem Kind einen schweren Weg vorausgesagt. Die Menschen werden in ihrer großen Mehrheit Jesus ablehnen, so wie sie schon immer Gott abgelehnt haben. Auch Maria wird in das harte Schicksal ihres Sohnes hineingezogen. Krippe und Kreuz gehören

eng zueinander. Immer wieder sind es Mütter und auch Väter, die ihre Kinder beweinen müssen. Aber heute ist das meist die Folge des Fehlverhaltens der Menschen. Bei Jesus gehörte das alles in den Plan Gottes.

Jesus ist wie der Stein, über den man stolpern und an dem man zu Fall kommen kann. Aber er kann auch der Stein sein, auf dem man stehen und festen Stand gewinnen kann. Fallen oder Aufstehen -n das ist die Frage. Beides ist möglich! Und an Jesus entscheidet sich, wie es mit uns weitergehen wird.

An Jesus kann man zu Fall kommen: Wer ihn verwirft, verspielt die einzige Chance, die wahre Zukunft im Frieden mit Gott zu finden. Wer Jesu Vergebung zurückweist, bleibt unter der Schuld und unter allen ihren Folgen. Aber das muß ja alles nicht sein. An Jesus kann und soll man „aufstehen“. Wer ihn annimmt, der gewinnt das neue Leben in Freiheit und Hoffnung.

Fallen oder Aufstehen - beides ist möglich. Gott aber will nicht, daß wir fallen, sondern daß wir aufstehen.

Doch vielleicht kann man nur stehen, wenn man vorher an Christus zu Fall gekommen ist. Wer das erfahren hat, der hat allen Stolz auf die eigene Leistung aufgegeben. Der hat erkannt, daß er sich selber nicht helfen konnte. Aber er stellt auch dankbar fest, daß Christus ihn längst schon wieder aufgerichtet hat.

Deshalb braucht uns auch vor dem neuen Jahr nicht bange zu sein. Es wird manchen Fall bringen. Aber mit Gottes Hilfe werden wir auch wieder aufstehen. Wir brauchen die Frage: „Wie wird es weitergehen?“ nicht voller Bangen zu stellen. Wir können sie erwartungsfroh und hoffnungsvoll stellen. Denn nichts hätte Gott lieber, als daß wir durch ihn zum „Aufstehen“ kommen.

 

 

Lk 2, 41 – 52 (2. Sonntag nach dem Christfest):

Es gibt auch bei uns Kinder, die müßten zu ihren Eltern sagen: „Wißt ihr nicht, daß ich sein muß in dem, was meines Vaters ist?“ Manche Kinder gehen so eifrig zum kirchlichen Unterricht und zum Kindergottesdienst, daß sich die Erwachsenen nur schämen können, vor allem die eigenen Eltern. Manche Kinder erzählen ihren Eltern zuhause haarklein wieder, was sie gerade gehört haben. Sie haben mit zwölf Jahren ein besseres Verständnis des Evangeliums als ihre Eltern und viele Erwachsene.

Es gibt aber auch den anderen Fall. Es nutzt doch nichts, wenn eine Mutter mit ihrem Jungen schimpft: „Warum gehst du nicht hin zu den kirchlichen Veranstaltungen. Zum Kindergottesdienst könntest du auch gehen, da lernst du doch nichts Schlechtes!“ Da kann man nur antworten: „Gehen Sie doch erst einmal zum Gottesdienst, dann wird auch ihr Kind kommen!“

Ganz extrem wird es, wenn ein Mädchen sagt: „Meine Mutter hat gesagt, sie wolle sowieso aus der Kirche austreten, ich soll nur erst noch konfirmiert werden. Da komme ich lieber gleich gar nicht!“ Das Mädchen hat halt auf seine Art die Folgerungen aus dem Verhalten der Mutter gezogen.

Von Jesus und seinen Eltern dagegen heißt es in dieser Geschichte: „Sie gingen jedes Jahr nach Jerusalem zum Passahfest.“ Das Kind wurde gleich von Anfang an in die religiösen Bräuche seines Volkes mit hineingenommen, es wuchs ganz wie selbstverständlich darin auf.

Diese Wallfahrt nach Jerusalem gehörte halt zu dem ganzen Leben mit dazu. Das Vorbild der Eltern wirkte hier aber mehr als alle Belehrungen.

Wenn ein Kind schon vom Säuglingsalter an erlebt, daß die Eltern abends vor dem Einschlafen mit ihm beten, dann wird es auch nachher selber beten. Welch ein Segen geht von den Eltern aus, die mit ihren Kindern zum Gottesdienst kommen, vor allem im Konfirmandenalter und danach. Das ist sowieso eine schwierige Zeit, weil die Jugendlichen nicht so recht wissen, wie sie sich verhalten sollen. Da brauchen sie eine Stütze und das Vorbild der Eltern. Man merkt es immer wieder: Wenn es auf die Konfirmation zugeht, springen all die ab, deren Eltern nicht voll und ganz dahinter stehen. Aber andererseits werden all die durch diese kritische Zeit hindurch getragen, die in ihren Eltern ein Vorbild haben.

Jesus war sicher kein Wunderkind, das diese ergrauten Theologen in Verlegenheit gebracht hätte. Er hört erst einmal zu und fragt dann. Es sind kluge und wohlüberlegte Antworten, die Jesus auf ihre Gegenfragen gibt. Das merken die anderen auch. Wer aber richtig im Glauben seiner Eltern aufgewachsen ist, der kann solche Fragen durchaus beantworten. Jesus hat diese alten Männer nicht belehrt. Er hat ihren auch keinen neuen Glauben beigebracht, denn noch steht er ja ganz in der jüdischen Religion. Aber es wird hier doch deutlich: Auf diesem Kind ruht ein besonderer Segen, seine Weisheit weist es als den Sohn Gottes aus. Das will uns diese Geschichte zeigen: „Mit dem Kind hat es etwas Besonderes auf sich.“

Das müssen auch die Eltern schmerzhaft erfahren. Im Alter von zwölf Jahren beginnt ja der erste entscheidende Schritt von den Eltern weg. Eltern müssen ihre Kinder ja alle einmal hergeben. Aber bei manchen vollzieht sich die Ablösung schmerzhafter als bei anderen. Es kann auch sein, daß die Kinder trotz aller Bemühungen der Eltern auch im Glauben andere Wege gehen und sich von Gott entfernen. Das ist selten, aber es kommt vor. Die Eltern müssen sich dann ernsthaft fragen, was sie trotz allem falsch gemacht haben.

Hier die Eltern Jesu müssen plötzlich auch einen Ungehorsam ihres Sohnes erfahren. Sie dachten, doch alles für den Sohn getan zu haben, und nun hat er auf einmal ganz andere Bedürfnisse. Das tut Eltern natürlich weh. Hier kommen sie an eine Grenze, wo der Wille Gottes über dem Gehorsam gegen die Eltern steht.

Jesu Eltern lebten ganz in ihren religiösen Gewohnheiten. Nach dem Gesetz hat es genügt, einmal im Jahr diese eine Woche Passah zu feiern und seinen Glauben einmal unter Beweis zu stellen. Jesus aber durchbricht diese Ordnung und gibt sich ganz dem himmlischen Vater hin. Das Fragen nach Gott geht ihm über alle menschlichen Formen. Er bleibt auch über diese sieben Tage hinaus, weil es jetzt in diesem Augenblick notwendig ist.

Deshalb erschrecken die anderen. Auch uns erscheint dieser Jesus als ein Fremder. Und er wäre auch heute ein Fremder unter uns, weil er ganz ernst macht mit dem Willen Gottes. Aber in Wahrheit sind doch w i r die Fremden, die fern von Gott leben, während Jesus ganz bei Gott ist.

Wir leben in unsren Ordnungen und Gewohnheiten - so und so oft zum Gottesdienst - aber Jesus ist in jedem Augenblick offen für den Willen Gottes, für den Ruf, der ihn erreicht. Mit welcher Schlichtheit und Selbstverständlichkeit ist doch dieser Satz gesagt: „Muß ich nicht sein in dem, was meines Vaters ist!“ Das sagt Jesus zu seinem leiblichen Vater und macht ihm damit deutlich: Es gibt noch einen anderen Vater für mich, der mir mehr zu sagen hat als du es sagen kannst! Jesus ist der Sohn Gottes! Das zeigt sich darin, daß er mit großer Weisheit von Glaubensdingen redet und daß er einfach dort bleibt, wo gerade davon gesprochen wird. Das ist ihm zurzeit einmal wichtiger als selbst die eigenen Eltern.

Doch dann geht er ohne Widerrede wieder mit den Eltern nach Nazareth und ist ihnen gehorsam. Er bleibt das Kind seiner irdischen Eltern und ist ihnen in allen Dingen des irdischen Lebens untertan. Er will nicht eine gewisse jugendliche Aufsässigkeit mit religiösen Gründen rechtfertigen, sondern hält sich an das vierte Gebot.

Es gab ja in Israel junge Leute, die wollten ihre alt gewordenen Eltern nicht mehr unterstützen. Da erklärten sie einfach, sie wollten ihren Verdienst und ihren Besitz später einmal dem Tempel zur Verfügung stellen. Sie durften jedoch zunächst alles so behalten wie vorher, aber sie durften es nicht an jemand anders weitergeben, auch nicht an die eigenen Eltern. Jesus hat diese Praxis später hart gegeißelt. Man kann nicht das erste Gebot („Wir sollen Gott über alle Dinge fürchten, lieben und vertrauen“) gegen das vierte Gebot („Du sollst Vater und Mutter ehren“) ausspielen, denn auch das vierte Gebot ist von Gott.

Jesus ist Gott gehorsam und deshalb gehorcht er auch seinen Eltern. Indem er aber den Eltern gehorcht, gehorcht er auch Gott. Nur an e i n e m Punkt stellt er einmal heraus: „Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen!“ Das gilt zwar in jedem Augenblick, aber es zeigt sich nur in einigen entscheidenden Augenblicken. Dann geht Jesus wieder mit den Menschen und mit den Eltern.

Der nächste entscheidende Augenblick war für Jesus gekommen, als sein Vater gestorben war und seine Mutter und seine Brüder kommen und sagen: „Du bist jetzt das Familienoberhaupt, du mußt jetzt mitkommen und für uns sorgen!“ Da lehnt Jesus das auch ab und sagt: Meine Mutter und meine Brüder sind die, die Gottes Wort hören und tun!“ (Lk 8,21).

Wer das Wort Gottes zum Grund seines Lebens macht, der ist ein Verwandter Jesu, ein Kind Gottes. Nur weil Jesus ganz auf Gott aufbaut, ist er der Sohn Gottes. Manchmal muß er sich dabei auch gegen seine irdischen Eltern wenden.

 

 

Lukas 3, 1 - 9 (14) (3.  Advent):

An den Adventssonntagen sind in vielen Städten die Geschäfte wieder offen. Es ist an sich unverständlich, weshalb man nicht auch am Samstag einen Einkaufsbummel machen kann. Aber wahrscheinlich liegt es daran, daß die Leute mit dem Sonntag nichts anzufangen wissen und statt in die Kirche in die Konsumtempel gehen. Die Geschäftsinhaber wissen, daß in diesen Wochen der höchste Gewinn zu machen ist, sie rechnen in jedem Jahr mit einem Zuwachs. Doch es ist ja nicht der Einzelhandel in den kleinen Geschäften, der von dem verkaufsoffenen Sonntag einen Vorteil hat, sondern die großen Kaufhäuser in den Einkaufsmeilen der Großstädte.

Aber vor den Geschäften gibt es auch Bettler. Ein Reporter hat sich einmal verkleidet auf die Zeil in Frankfurt gesetzt. Viel hat er nicht eingenommen: In zwei Stunden drei Euro. Als er Leute direkt ansprach, waren es auch nur zwei Euro in der Stunde.

Viele haben Hemmungen, einem Bettler etwas geben. Fachleute wie der Pater Paulus von der Liebfrauenkirche in Frankfurt rät auch davon ab: Man unterstütze damit nur Leute, die „Armut“ als ihren Lebensentwurf haben und sich nicht helfen lassen wollen, man solle das Geld lieber Organisationen geben, die wirklich wissen, wo Not am Mann ist. Jeder hat die Möglichkeit, Arbeitslosengeld II zu erhalten wie die anderen Leute, die nicht betteln. Und ganz problematisch sind natürlich die Bettlerbanden, wo Frauen und Kinder auf die Straße geschickt werden und dann ein Mann auf einem Parkplatz alle abkassiert.

Aber paßt ein Bettler nicht viel besser zum Advent als die hektischen Menschen im Kaufrausch? Am dritten Advent wird uns immer Johannes der Täufer vor Augen gestellt, ein Mensch, der auf alle Annehmlichkeiten der Zivilisation verzichtet und vom kommenden Reich Gottes redet. Er paßt doch besser in die Adventszeit als die sogenannten Weihnachtsfeiern.

Lukas beginnt mit einer großartigen Aufzählung der großen Männer von damals: Kaiser, Fürsten, Statthalter, Hohepriester. Eigentlich müßte Lukas doch nun mit einer ähnlichen Größe der Menschheit fortfahren. Aber dann ist er nur ein Asozialer, einer der fern von der Gemeinschaft der Menschen in der Wüste gelebt hat, der Sohn eines unbedeutenden Priesters in Jerusalem. Wie ein Urmensch tauchte er wieder unter den Zivilisierten auf und redete von Gericht und Buße. Genauso wie sein Äußeres ungewöhnlich war, so war auch seine Botschaft abstoßend. Schon damals hörte man nicht gern von Gericht und Buße.

Es gab an sich viel guten Willen unter den Leuten, die zu dem seltsamen Mann am Jordan kamen. Aber sie wurden mit einem Hagelwetter empfangen. Johannes wirft ihnen grobe Schimpfworte an den Kopf und fordert sie auf, sich eine völlig andere Lebensweise anzugewöhnen. Damit macht sich niemand beliebt. Schließlich setzt doch jeder Mensch alles daran, sich ein einigermaßen erfreuliches Leben aufzubauen. Wem fällt das schon in den Schoß! Und dann soll man sich das mühsam Erreichte madig machen lassen?

Aber bei Gott gelten andere Maßstäbe als unter den Menschen. Er sucht sich seine Leute nicht unter den Größen der Welt, die von vornherein Einfluß haben, sondern nimmt ganz einfache Menschen, um sie erst während ihrer Tätigkeit groß und einflußreich zu machen. Was wissen wir denn, ob nicht die Kinder oder die Bettler oder die Verrückten mehr vom Reich Gottes verstehen als die guten Kirchenchristen. Offenbar hat doch Johannes mehr von Gott verstanden als die frommen Pharisäer und Schriftgelehrten:

1. Mit großer Nüchternheit ruft er uns aus aller falschen Sicherheit heraus.

2. Mit großem Ernst ruft er zur Buße und zu einem spürbaren Ergebnis.

3. Mit großer Entschiedenheit ruft er zur Umkehr im täglichen Leben.

 

1. Mit großer Nüchternheit ruft Johannes uns aus aller falschen Sicherheit heraus:

Die Leute, die zu Johannes dem Täufer hinaus an den Jordan gezogen sind, meinten genau zu wissen, wer draußen steht und wer drinnen. Draußen waren die Heiden und die Gottlosen, eben „die anderen“. Sie aber waren Abrahams Kinder, sie gehörten zum Volk Gottes, ihnen konnte nichts passieren.

Deshalb wollen sie wohl mehr aus Neugier mal den berühmten Prediger hören, von dem jetzt alle Welt spricht. Man muß ihn mal gehört haben, denn man ist ja fromm. Mit einem wohligen Gruseln hofften sie zu hören, wie Gott voller Zorn mit den anderen abrechnet.

Aber dann werden sie plötzlich gefragt, wie s i e denn dem künftigen Zorn Gottes entrinnen wollen? Der Ruf zur Umkehr gilt immer allen Menschen. Er gilt nicht den anderen, sondern immer denen, die ihn hören. Gerade wer meint, nicht auf die Gnade Gottes angewiesen zu sein, hat die Umkehr nötig.

Auch bei uns gibt es falsche Sicherheit und Selbstgerechtigkeit: Wir verlassen uns auf den Taufschein, auf den Kirchensteuerzettel, auf das eigene Frommsein, auf sein fleißiges Arbeiten. Als wir heirateten, ließen wir uns trauen. Unsere Kinder ließen wir taufen. Wir besuchen auch öfter oder seltener den Gottesdienst. Wir beteiligen uns am kirchlichen Leben, soweit es unsre Zeit zuläßt und wir es für gut halten. Wir lassen uns geistlich bedienen und genießen das, was uns vonseiten der Kirche angeboten wird.

Wir sind doch alle irgendwie der Meinung, daß bei uns doch die Richtung stimmen und wir uns über Gottes Gericht und Zorn nicht so viel Gedanken zu machen brauchten. Wir halten uns doch alle so ein bißchen für die Favoriten Gottes. Mit wem sollte er denn sonst eine Kirche bilden und seine Welt erhalten, wenn nicht mit uns?

Das ist aber das Gefährliche an unserer Kirchlichkeit, daß wir Gottes helfendes und rettendes Tun uns gefallen lassen, um auf diese Weise Gott auszuweichen. Man kann Gnade nicht verdienen, aber wohl verscherzen. Gott kann dem Abraham aus Steinen Kinder erwecken. Er fragt uns nicht danach, was die anderen getan haben, sondern was wir tun!

 

2. Mit großem Ernst ruft Johannes zur Buße, zu einem spürbaren Ergebnis:

Haben wir bei aller Adventsstimmung und Weihnachtsrührseligkeit einmal bedacht: Gott kommt zum Gericht! Jeder Gottesdienst ist sein Advent, seine Ankunft bei uns, die über Tod und Leben entscheidet. Das ist wie eine Lawine, die Berge und Hügel einebnet, alle Täler auffüllt und das Krummes geradegerichtet. Jetzt gibt es eigentlich nur noch eins: Entweder sich der Lawine entgegenstellen und darin umkommen oder ihre Gewalt anerkennen und einen sicheren Ort suchen, wenn es ihn gibt. Wenn eine Lawine über ein Haus hinweggebraust ist, dann ist es zunächst einmal zerstört. Aber nachher wird es dann umso schöner wiedererstehen, und Menschen werden in ihm wohnen. Advent bedeutet deshalb beides: Bußruf  u n d  Ankündigung des Heils.

Eine Predigt am dritten Advent wird notgedrungen etwas gesetzlich sein. Schließlich geht es ja um den Bußprediger Johannes den Täufer. Doch wie immer findet man auch das Evangelium.

Aber wir können Gott nicht den Weg in der Welt bereiten, weil Gott sich schon selber Bahn schafft. Wir können auch nicht irgendwelche Vorbereitungen treffen und unseren gegenwärtigen Zustand erhalten wollen oder möglichst viel durch die Katastrophe hindurchretten wollen. Wir können nicht mehr bloß theoretisch von einem höheren Wesen reden, sondern nun werden wir ganz praktisch gefragt: Bedeutet dir Gott etwas?

Wer aber mit einem mißratenen und verdorbenen Leben zu Gott kommt, wer gläubig Hilfe bei ihm sucht, der darf auch an die rettende Barmherzigkeit Gottes glauben. Und so ist dann die Kirche der Ort der Geborgenheit, wo wir uns hinretten können vor der Lawine, die da auf uns zukommt. Unsre Taufe, die ja mehr ist als die Taufe des Johannes, ist so ein Rettungspunkt. Und im Abendmahl sind wir dem Herrn nahe.

Advent bedeutet: Jetzt macht er sich zu mir auf! Er ist zu mir unterwegs! Er wendet sich seiner Welt zu, kommt auf sie zugegangen. Er will gestörte und abgerissene Gemeinschaft wie­derherstellen. Lukas zitiert ausdrücklich noch einen Satz mehr als die anderen Evangelisten: „Alles Fleisch wird den Heiland Gottes sehen!“

Zwar ist die Ankündigung des Gerichts kein blinder Alarm, sondern es wird stattfinden. Aber aus dem Gericht sollen alle die errettet werden, die sich retten lassen wollen. Dann werden sie auch das Heil Gottes sehen können. Im Vorblick auf Weihnachten wollen wir als Letztes und Wichtigstes aus diesem Text heraushören: Das Heil ist uns nahe!

 

3. Johannes ruft zur Umkehr im täglichen Leben:

Mit der Kirchlichkeit allein ist es nicht getan. Erst wenn auch wir fragen: „Was sollen wir denn tun?“ sind wir auf dem richtigen Weg. Buße besteht nicht in Selbstzerknirschung, im Wühlen in begangener Schuld. Es geht nicht um ein Grübeln über sich selbst, sondern um eine Wegwendung vom eigenen Ich.

Ziel ist einmal die Auslieferung an Christus, aber auch die konkrete Hinwendung zum Mitmenschen. Die Antworten des Johannes sind verblüffend schlicht. Er könnte ein tief eingreifendes ethisches, soziales, politisches Programm entwickeln. Ideale aber kann man sich vom Leibe halten. Über Lebensprinzipien kann man dicke Bücher schreiben. Über Reformprogramme kann man aufwendige Kongresse halten. So machen es die Politiker - aber nichts wird anders.

Dem Unmenschlichen in der Welt ist nicht so abzuhelfen, daß man hin und wieder ein Liebespaket schickt oder hier und da ein Werk der Barmherzigkeit tut. Wenn einer in seinen Kleiderschrank sieht und viele Hemden entdeckt, die er lange nicht getragen hat und dann eins davon aus seinem Überfluß abgibt, dann ist das noch nicht das, was Johannes gemeint hat. Er ging ja auch davon aus, daß einer n u r zwei Hemden hat und eins davon abgibt.

Aber um nachhaltig Hilfe zu leisten, müssen auch Strukturen geändert werden, damit der Unterdrückung und Ausbeutung, dem Hunger und Elend der Menschen und dem Mißbrauch von Gewalt ein Ende gesetzt wird. Wir stöhnen unter dem Flüchtlingsstrom aus Afrika. Aber dort kann man nicht durchgreifend helfen mit etwas Entwicklungshilfe. Vielmehr müssen die ungerechten Handelsbeziehungen verändert werden, damit sie dort nicht unsere Maschinen teuer bezahlen müssen und uns dafür Rohstoffe, Lebensmittel (!) und billige Textilien liefern müssen.

Wenn man dort aber die Wirtschaft entwickeln würde wie bei uns, dann brauchten sie nichts mehr bei uns einzukaufen und wir hätten dort keine Absatzmärkte. Unser Reichtum beruht wesentlich auf der Armut der unterentwickelten Länder.

Man kann aber nicht warten, bis die Verhältnisse der Welt andere geworden sind. Wenn eine aktuelle Not vorliegt, muß es eine Sofort­hilfe geben. Aber nach einem Erdbeben wird man sich überlegen müssen, ob man nicht erdbebensicherere Häuser baut, oder nach einer Überschwemmung wird man die Flüsse anders regulieren müssen oder auf die Verbesserung der ganzen Umwelt achten.

Als nach der Aufhebung der Milchquote zu viel Milch auf dem Markt war, brach der Mildpreis zusammen, so daß die Milchbauern nicht mehr existieren konnten. Da hätte es es auch nichts genutzt, wenn man im Laden 10 Cent mehr gezahlt hätte, denn das hätte die Bauern nicht erreicht. Schließlich haben die Molkereien sich zusammengesetzt und den Bauern einen höheren Preis versprochen, den diese dann auch gegenüber den Discountern durchgesetzt haben. Das nicht war Hilfe im Einzelfall, sondern durch Strukturveränderung.

Johannes sagt: Die Situation ergibt, was zu tun ist: Kein langes Besinnen, kein Aufschub, sondern sehen, was der Augenblick verlangt. So einfach ist es mit der Umkehr. Der Täufer verweist nur auf das Nächstliegende: Da steht einer ohne Rock, da hat einer nicht genug zu essen dabei! Gebt ihnen etwas ab von dem, was ihr habt. Jeweils die Situation ergibt, was zu tun ist. Er spricht zu Zöllnern und Soldaten und weist sie auf die Alltäglichkeiten ihres Berufes hin.

Er tut das, was wir heute „Seelsorge“ nennen: Die Verkündigung des Wortes Gottes an den Einzelnen und in seine besondere Lage hinein. Buße gibt es nämlich nicht so im „Allgemeinen“, sondern immer nur konkret. Man kann gar nicht auf einmal und für alle sagen, wie Buße auszusehen hat, sie muß konkret sein.

Johannes verlangt nichts Unmögliches von seinen Hörern. Er will nur erreichen, daß sie eine andere Einstellung zum Besitz und zu ihrer Arbeit erlangen. Besitz an sich ist nichts wert; er bedeutet nur etwas, wenn er dem Menschen dient und das Leben ermöglicht. Deshalb dürfen wir nicht Herz und Hand verschließen, wenn einer unsere Hilfe braucht. Das gilt im Bereich des alltäglichen Lebens wie im Weltmaßstab.

So müssen wir auch heute schlicht und deutlich das jeweils Notwendige herausfinden. Wir leben allerdings in einer anderen Zeit als Johannes, denn wir wissen, daß das Heil in Jesus schon angebrochen ist. Wir werden heute mehr im gemeinsamen Gespräch herauszufinden haben, wie wir den Willen Gottes verwirklichen können. Wenn das geschieht, muß es zu einer tiefgreifenden Verwandlung unseres Wesens und zu einer durchgängigen Änderung unseres Tuns kommen.

 

Weitergehende Hinweise zum Predigttext Lukas 3,1 - 9:

Der Wirksamkeit des Täufers ist - im charakteristischen Unterschied zu Markus - alles Eigengewicht genommen: Seine Tätigkeit kann nur rahmend als Einleitung und Schluß für das dienen, was Lukas an ihm wichtig schien: sein Hinweis auf Christus. Sicherlich allen bekannt ist Grünewalds Bild auf dem Isenheimer Altar: Johannes mit dem übergroßen Zeigefinger, der auf den Gekreuzigten zeigt. Nach Lukas bewirkt die Johannestaufe nicht die Sündenvergebung, sondern weist auf sie hin.

Das ist noch nicht die Christustaufe, die den Geist und damit die Totalerneuerung bringt. Die Johannestaufe bewahrt vor dem Zorn des hervortretenden Richters. Dies kann sie nur, wenn es zur Umkehr kommt zu dem kommenden Gott, „Umkehren“ das heißt: die Richtung ändern, sich auf einen anderen Punkt zubewegen. Der Täufer erneuert den Ruf der alten Propheten, zu Jahwe umzukehren, in der Naherwartung des Kommens Gottes

Angeregt sind die, die zu ihm herausgekommen sind (vgl. V. 3), und zwar alle, nicht nur (wie bei Matth.) die Pharisäer und Sadduzäer. Das Zorngericht ergeht nicht nur über die Heiden, sondern auch über Israel, sofern es nicht bereitet ist

Der Weg soll nicht mehr in der Wüste gebahnt werden, sondern die Stimme - des Täufers - wird in der Wüste vernehmbar. Und die Wegbereiter des kommenden Gottes sind nicht mehr die Himmlischen, sondern die hier angeredeten Menschen (EG 9, Wochenlied). „Bereitet den Weg des Herrn. Nicht, damit er komme, sondern weil er kommt!“

Bei einer Umfrage wußten viele nicht zu sagen, was Advent bedeutet. Nun weiß man al­lerdings nicht, wie repräsentativ die ausgewählten Antworten sind. Aber daß es sich um eine Bußzeit handelt, eine Zeit der ernsten Vorbereitung auf Weihnachten, das ist heute kaum einem klar. Aber am Adventskranz wird das Licht nur sparsam gesteigert, da geht es nicht um Reklame und Lichterketten, da läuft es hinaus auf Jesus Christus, das Licht der Welt.

Nicht die Weltgeschichte mit ihrer besonderen Konstellation enthält die Voraussetzung für das, was sich hier von Gott her, als sein Heil (soterion) ereignet. Bei Gott liegt die Initiative. Er beruft (V. 2). Er kommt selbst (VV. 4-6.16). Durch Gott wird dieses 15. Regierungsjahr des Tiberius zur „ausgezeichneten Stunde“.

Was Gott zu unserem Heile getan hat, ereignete sich in den Ereignissen der Weltgeschichte. Aber wie von den vielen Broten, die es auf der Welt gibt, einige konsekriert und damit für des Herrn sakramentales Handeln benutzt werden, so wird hier ein Stück Weltgeschichte „aus­gesondert“ zur Heilsgeschichte. Wie in der Hostie, so erkennt auch in diesem Stück Geschichte nur der Glaube den anwesenden und handelnden Gott.

Johannes sagt etwa so: Wenn ihr jetzt noch dem Gericht Gottes entgehen wollt, dann laßt euch taufen. Die Wassertaufe bewahrt vor der vernichtenden Feuertaufe. Aber auch die Johannestaufe erfordert ein Absterben. Wer aber an sich selber das Gericht vollzieht, wird nicht dem ewigen Gericht verfallen. Wer getauft ist, geht fortan als ein neuer Mensch durch die Welt. Er führt sein Leben schon nach dem Willen Gottes und braucht deshalb das Gericht nicht mehr zu fürchten.

PROGRAMMHINWEIS! Wir alle haben wohl dieses Wort schon in großen Buchstaben auf unserem Fernsehschirm gesehen. Und was dann folgte, waren kurze Ausschnitte aus einer Fernsehsendung, die am nächsten Tag oder in naher Zukunft ausgestrahlt werden sollte. Welchen Zweck haben solche Programmhinweise zu erfüllen? Mit ein paar interessanten Bildern und zugkräftigen Worten wird der Zuschauer auf eine kommende Sendung aufmerksam gemacht. Programmhinweise sollen also werben für ein bestimmtes Programm. Zwei Dinge soll der Zuschauer wissen: was ihn erwartet, wenn er zur angekündigten Zeit vor dem Bildschirm sitzt, und n was er verpaßt, wenn er nicht dabei ist.

Man könnte auch unseren heutigen Predigttext als solch einen Programmhinweis verstehen. Und Lukas ist der Mann, der aus dem großen Adventsprogramm einen kleinen Ausschnitt vorstellt.

Wir können Johanes nicht hinauswerfen. In Gottes Programm hat Johannes einen festen Platz. Es könnte allerdings sein, daß wir das bisher nur zu gern übersehen haben, weil uns Johannes nicht ins Programm zu passen schien. Genau wie beim Fernsehen! Was uns nicht zusagt, das überhören wir. Wir picken uns die Rosinen heraus! Doch eines muß uns ja klar sein: Beim Fernsehen geht es um Information und Unterhaltung, im Adventsprogramm Gottes um das einzigartige Angebot eines neuen, eines heilen Lebens. Und wer meint, es genüge, die Hauptsache zu erfassen, der irrt sich. Was hilft uns die schönste und genaueste Beschreibung eines Zieles, wenn wir den Weg dorthin nicht kennen?

Mit großer Sachlichkeit erinnert der Täufer uns an die Vorläufigkeit alles unseres Tuns. Trotz aller Ähnlichkeit seiner Verkündigung mit Jesus ist der Täufer nicht der Christus. Auch wir stehen, wenn wir seinen Ruf hören und ernsthaft befolgen, noch immer im Vorläufigen drin. Schon in aller seiner Unvollkommenheit jetzt kann unser „Tun“ menschliches Mühen, nicht aber „Frucht“ sein. „Frucht“ ist noch mehr. Der Unterschied zwischen der „Frucht“ und menschlichem Mühen ist ähnlich wie der Unterschied zwischen dem Tun einer Gouvernante und dem Tun einer liebenden Mutter. Christus sucht „Frucht“. Und er allein ermöglicht „Frucht“. Er wird mit Feuer und dem heiligen Geist taufen. Darauf sind wir auch heute täglich angewiesen. Das Offensein für den Nächsten setzt das Offensein für Christus voraus.

Johannes der Täufer wurde eigens ausgesandt, um auf das Kommen Jesu vorzubereiten. Gott überfällt uns nicht unerwartet, sondern läßt uns eine Zeit der Vorbereitung. An diesem Johannes können auch wir uns nicht einfach vorbeidrücken. Er richtet sozusagen erst einmal ein Stopschild auf der breiten Straße nach Weihnachten zu. Wir kommen nicht so schnell und einfach zur Krippe, sondern erst einmal müssen wir umkehren, wenn wir ans Ziel gelangen wollen.

Es könnte sein, Gott kommt wirklich, aber wir bauen ihm Hindernisse oder belassen vorsätzlich die bestehenden Sperren. Mancher bezichtigt Gott, zu ihm sei er nicht gekommen; aber er hat ihn nur nicht an sich herangelassen.

Es geht uns wie einer bankrotten Firma: Sie wird liquidiert oder sie kann höchstens noch mit Beteiligung eines anderen weiterbestehen. Das heißt für unser Christenleben: mit göttlicher Beteiligung! Nur so können wir weiterleben.

Am Beispiel zweier Berufsgruppen macht Lukas das noch einmal deutlich: Da kommen Zollbeamte und Soldaten und fragen: „Was sollen w i r denn tun? Die Verhältnisse zwingen uns doch einfach, die Leute zu betrügen oder zu töten!“ Sie meinen, ihre Welt stünde unter anderen Gesetzen und sie könnten nichts dagegen machen. Der Täufer aber meint, es gebe auch unter mißlichen äußeren Umständen genügend Möglichkeiten zur Umkehr. Er gibt aber nicht den Rat, daß sie ihren Beruf aufgeben oder die Waffen wegwerfen und desertieren. Er fragt nur danach, wie sie sich innerhalb des Gegebenen verhalten.

Die Zöllner sollen ihr Amt in Zukunft korrekt und in menschlicher Weise führen und damit eine Wendung zum Neuen vollziehen; am Beispiel des Zöllners Zachäus schildert Lukas dann später, wie so etwas konkret aussieht. Auch das Soldatsein läßt Johannes gelten. Er erörtert nicht, in wessen Dienst sie stehen. Aber er appelliert an ihre Menschlichkeit, vor allen Dingen jetzt, wo sie nicht im Kriegseinsatz sind.

Natürlich wird im echten Kampf nicht viel nach Menschlichkeit gefragt, vor allem nicht in den modernen Kriegen, wo man weittragende Waffen hat und das Ausmaß der Zerstörungen gar nicht mehr selber sehen kann. Aber man kann trotzdem vieles tun, um Schikanen und Mißhandlungen zu vermeiden.

Seine vorrangige Aufgabe ist nicht, Krieg zu führen, sondern Krieg zu verhindern. Gerade so gilt im umfassendsten Sinne: „Mißhandelt, schikaniert, erpreßt niemanden!“ Das muß sich jeder gesagt seinlassen, der - unmittelbar oder mittelbar - mit dem Instrument der Gewalt umgeht, und es wird für den Fortbestand der Menschheit ausschlaggebend sein, wie viele Menschen in ihrem alltäglichen Leben solche Umkehr - Gesinnung und - Praxis sich in persönlicher Entscheidung zu eigen machen.

 

 

Lk 4, 14 – 21 (Neujahr):

Am Neujahrsmorgen wünschen wir unseren Freunden und Bekannten ein gutes und erfolgreiches, gesundes neues Jahr. Vielleicht sprechen wir auch von einem gesegneten neuen Jahr. Aber überlegen wir uns dabei auch, was damit eigentlich gemeint ist? Wünschen wir dabei wirklich den Segen Gottes auf den anderen herab? Oder ist das zu einer Formel geworden wie unsre „Guten Tag“ oder „Grüß Gott“ in Bayern?

Auch Jesus spricht zu Beginn seiner Wirksamkeit vom Segen Gottes. Er verspricht seinem Volk das angenehme Jahr des Herrn. Vom Alten Testament her kennen wir die Einrichtung des Gnadenjahres: Alle 50 Jahre sollten die alten Besitzverhältnisse wiederhergestellt werden, alle Sklaven sollten freigelassen werden und keiner sollte mehr irgendwelche Vorrechte haben.

Wir wissen nicht, ob diese Bestimmung der Bibel in Israel jemals tatsächlich durchgeführt worden ist. Aber wir wissen, daß auch Jesus ein solches Gnadenjahr angekündigt hat. Allerdings hängt das nicht mehr vom guten Willen der Menschen ab, sondern nun tritt Gott in Aktion und beginnt sein Heil.

Deshalb zählen wir ja auch die Jahre von Christi Geburt an. Zwar haben wir offiziell jetzt das Jahr …. „nach unsrer Zeitrechnung“. Aber jeder wird sich doch fragen müssen: „Wonach richtet sich denn unsre Zeitrechnung?“ Und da sind wir wieder beim Handeln Gottes an der Menschheit, sind wir wieder bei Jesus Christus und seiner Geburt angelangt. Seitdem ist jedes Jahr ein Jahr des Herrn, oder wie man es früher auf lateinisch sagte „anno domini“ = im Jahr des Herrn.

Wir wissen nicht, was in diesem Jahr auf uns zukommt. Aber wir sollen wissen, daß es ein Jahr des Herrn ist. Es steht allein unter der Verfügung Gottes und ist allein durch seine Gegenwart bestimmt. Wir sind nicht irgendwelchen dunklen Schicksalsmächten unterworfen oder den Launen großer Männer, sondern wir haben auch im neuen Jahr allein nach Gott zu fragen.

Jesus hält hier ja gewissermaßen seine Antrittspredigt. So etwas ist immer eine besondere Sache. Wenn ein Pfarrer bei seiner ersten Predigt die Stufen zur Kanzel hinaufsteigt, dann ist das schon ein besonderes Gefühl. Er sieht Menschen, die meist freundlich dreinschauen, allerdings noch abwartend und ein wenig neugierig, wie sich der Neue wohl machen wird, aber selten feindselig oder ablehnend. Es ist eine schöne Ermutigung für einen neu angekommenen Pfarrer, wenn er mit großen Erwartungen freundlich empfangen wird.

Aber in solchem Verhalten liegt auch eine Versuchung. Man meint leicht, es müsse nun immer gute und gefällige Worte geben. Und man kann leicht in Bedrängnis geraten, wenn einmal von Gottes Wort her etwas gesagt werden muß, was unbequem ist und nicht gern gehört wird. Die Erwartungen können eben nicht immer erfüllt werden, es wird auch Widerspruch geben müssen. Aber entscheidend ist, ob dabei Gottes Sache betrieben wird.

Jesus ist auch auf Widerstand gestoßen, als er sagte: „Heute ist diese Schrift erfüllt vor euren Ohren!“ Es ist ausdrücklich gesagt: „vor euren Ohren“. Man kann also nur davon hören. Die Zuhörer aber beklagen sich: Sie wollen keine Reden hören, sondern sie wollen Taten und Wunder sehen. Aber Jesus bleibt dabei: Er lehnt es ab, seine Macht und Herrlichkeit und seinen Auftrag mit Wundern zu demonstrieren.

Die „holdselig“ angefangene Predigt, die das Wohlgefallen der Zuhörer hervorgerufen hat, endet so ziemlich unerfreulich. Ein Wort ergibt das andere und schließlich heißt es: „Sie standen auf und stießen ihn zur Stadt hinaus!“ Solange er sich in den eingefahrenen Geleisen bewegte, war es gut. Als er aber konkret wurde und vom „Heute“ sprach und vom Anspruch Gottes, da wollen sie ihn nicht mehr haben.

Das Wort „heute“ ist das eigentlich Aufregende an dieser Predigt. Ohne dieses Wort wäre der Gottesdienst in Nazareth verlaufen wie jeder andere. Die Leute hätten ihre religiösen Überzeugungen behalten und nicht missen mögen. Sie hätten sicher auch gesagt: „Es gibt einen ewigen und allmächtigen Gott, der die Welt geschaffen hat und heute noch regiert!“ Das ist immer wahr und regt niemanden auf. So etwas kann man immer schön sauber zu Papier bringen und im Gottesdienst immer erneut wiederholen. Aber es bringt doch niemand aus der Ruhe.

Jesus aber erregt mit einem einzigen Satz einen Aufruhr. Er rückt seinen Zuhörern auf den Leib, indem er sagt: „Jetzt ist die Stunde der Entscheidung!“ Jetzt könnt ihr nicht mehr nur zuhören, sondern müßt „ja“ oder „nein“ sagen. Das ist bis heute nicht anders. Aber viele kommen auch heute mit dem Gedanken zum Gottesdienst: „Mal sehen, was uns heute geboten wird!“ Man setzt sich in die Bank und harrt der Dinge, die da kommen sollen. Aber man ist entschlossen, sich nicht vom Sitz hochreißen zu lassen.

Aber in jeder Stundenkann uns Gott begegnen. Nicht jede Zeit ist wie die andere. Nach dem Kalender und der Uhr gleicht sich die Zeit natürlich, aber nicht nach ihrem Gehalt, nach den Ereignissen und Gelegenheiten.

Es gibt manchmal nur kurze Zeitspannen, die den Lauf der Geschichte für lange Zeit bestimmen oder doch wenigstens beeinflussen. Es gibt Augenblicke, in denen das Schicksal eines Volkes oder gar der ganzen Menschheit gewissermaßen an e i n e m Faden hängt. Eine Jahreswende gibt immer Anlaß, im Blick auf das Vergangene solche Entscheidungsstunden zu bedenken und im Blick auf die Zukunft sich darauf gefaßt zu machen.

Wenn wir es mit Gott zu tun haben, genügt es nicht, einige Richtigkeiten zur Kenntnis zu nehmen. Wir werden immer persönlich angesprochen und können reden oder schweigen, die Beziehung aufnehmen oder fliehen.

Die Leute von Nazareth haben theoretisch schon verstanden, was Jesus meinte. Aber es wollte ihnen nur nicht in den Kopf, daß dieser Jesus etwas Besonderes mit Gott zu tun haben soll, wo sie ihn doch von klein auf kennen und wissen, daß er ein Sohn Josephs ist und von Beruf ein Zimmermann. Auch seine Familie wird sehr unter den Ereignissen in Nazareth gelitten haben. Anfangs war er der Stolz der Familie, nun war er das schwarze Schaf und brachte große Schande über sie.

Es mag sein, daß wir im vergangenen Jahr auch nach stolz waren auf unsre Zugehörigkeit zu Gott. Aber vielleicht kann es im neuen Jahr schon zu einer Belastung werden. Dann wird sich zeigen müssen, ob der Glaube nur eine Tradition ist oder ob er fest in unsreem Leben verwurzelt ist.

Alle Zeit, die uns gegeben ist, ist Christuszeit, eine Zeit der offenen Tür. Es liegt nicht in unsrer Macht, die Türen bei Gott aufzuschließen oder gar aufzubrechen. Wir sind darauf angewiesen, daß er uns selber eine offene Tür schenkt. Die Tür kann auch einmal wieder verschlossen sein. Noch steht sie weit offen. Auch im neuen Jahr ist Gelegenheit, Gott zu begegnen und seine Hilfe zu erfahren.

Mißerfolge brauchen uns im neuen Jahr nicht umzuwerfen, denn Jesus nimmt unsre Versagen auf sich. Was wir drangeben müssen, erstattet er vielfältig. Er heilt unsre Krankheiten. Und wenn uns eines Tages die Krankheit zum Tode ereilt, dann führt er uns dadurch erst recht ins Leben.

Jesus lädt heute wieder alle ein, egal wie sie bisher gelebt haben. Er spricht nur von dem Gnadenjahr und läßt den zweiten Teil des Satzes, wie er noch bei Jesaja steht, das Wort vom Tag der Vergeltung, weg. Jesus sagt die Zeit der Liebe an. Er deckt unsre Vergangenheit mit der Liebe Gottes zu und gibt uns damit die Möglichkeit, in Zukunft uns mit Liebe für die Mitmenschen einzusetzen.

Man kam natürlich der Meinung sein, Jesus sei uns das Meiste schuldig geblieben, was er uns verheißen hat. Viele werden uns vorwerfen, wir redeten uns ja nur ein, es sei alles gut: Wenn uns etwas Mißliches trifft, würden wir es hinterher als wünschenswert bezeichnen, und wenn uns etwas Trauriges trifft, würden wir behaupten, es mache uns Freude. Das wäre nur ein billiger Trick, wenn wir alles Leidvolle wegdeuten wollten.

Wenn wir glauben, wird tatsächlich etwas anders. Wir können sogar das Schwere liebgewinnen, wenn wir darin die Hand Gottes erkennen. Und was als zerstörerisch erschien, kann heilend und aufbauend sein. Es gibt ungezählte Menschen, denen das einfach eine Erfahrung ist.

Aber auf der anderen Seite bedeutet das auch, daß die frohe Botschaft für die Armen nicht eine Vertröstung sein darf. Es muß einfach Freiheit für die Gefangenen, Heilung für die Blinden und Erlösung für die Mißhandelten geben. Deshalb werden wir aufgefordert, alles uns Mögliche zur Behebung dieser Not zu tun.

Wir sind nicht nur Hörer und Empfänger der Botschaft, sondern auch Menschen, die sie an andere weitergeben. Es gibt sicher viele Menschen, die von dem freundlichen Jahr des Herrn etwas hören möchten und die dadurch wieder Mut zum Leben finden könnten. Wenn schon,

dann soll es doch für alle ein Gnadenjahr werden.

Vielleicht denken wir nun an die vielen Menschen, die in Heimen leben müssen, wo Alte und Kranke betreut werden. Sie brauchen nicht nur Essen und Trinken, sie wollen nicht nur versorgt und gepflegt sein, sondern sie suchen nach einem Menschen, der ganz für sie da ist, der einmal einen Brief schreibt oder ein        gutes Gespräch mit ihnen führt.

Aber wir können ruhig auch an die Einsamkeit und Verlassenheit der vielen Menschen in unsrer Umgebung denken. Oder auch an die Menschen, die von Zweifel und Gottverlassenheit geplagt sind und die einen regelrechten Hunger nach Liebe haben.

Vielleicht können wir dabei so wie Jesus nur einzelne Zeichen aufrichten für das, was von Gott her allen zugedacht ist. Zunächst ist es noch so wie bei der aufgehenden Sonne, die ihre Strahlen vorausschickt, so daß der Horizont hell wird. Aber die große Umwälzung und die Neuordnung der Dinge stehen noch aus.

Das kommende Jahr soll uns dem ein Stück näherbringen. Es soll aber nicht nur für uns ein Gnadenjahr werden, sondern auch für die anderen. Daran müssen wir arbeiten. Da werden wir auch im neuen Jahr genügend Arbeit haben.

 

 

Lk 5, 1 – 11 (5. Sonntag nach Trinitatis):

„Petri Heil“ möchte man sagen, wenn man diese Geschichte hört. So etwas wünschen sich die Angler gegenseitig, oder auch die Fischer. Und dieser Wunsch kommt wohl von dieser Erzählung vom Fischzug des Petrus her. Einen großen Fang wünscht sich jeder Angler oder Fischer. Aber hier geht es ja gar nicht so sehr um die Fische, sondern in einem ganz anderen Sinn um das Heil des Petrus.

Er ging wie viele andere seinem Beruf nach. Ein harter Beruf, der mit viel Mühen und manchen Enttäuschungen verbunden war. Petrus und seine Kollegen haben gerade wieder eine solche Nacht hinter sich. Da aber tritt Jesus in ihren Arbeitsalltag. Gerade den arbeitenden Menschen will Jesus seine Botschaft sagen. Er hat keine Kirchgänger vor sich, die sich extra für den Gottesdienst feingemacht haben. Vielmehr macht er ein wahllos zusammengelaufenes Volk zu seiner Gemeinde, einen Fischerkahn zu seiner Kanzel.

An sich haben ja viele der Predigt Jesu zugehört und die Sache mit dem wunderbaren Fischfang miterlebt. Aber nur einige wenige lassen sich von Jesus rufen. An Petrus wird das beispielhaft deutlich. An ihm wird anschaulich, was letztlich von allen gilt, die in Jesu Dienst

treten.

Sie sollen „Menschenfischer“ sein. Im Markusevangelium ist allein dieses Wort überliefert. Lukas hat es gewissermaßen illustriert durch den Fischfang. Bei Johannes schließlich wird das Ganze erst in die Zeit nach Ostern verlegt. Lassen wir ruhig die Frage offen, wo dieses Wort eher hingehört: zu der ersten Berufung der Jünger oder zu der zweiten Berufung nach Ostern. Deutlich ist doch in jedem Fall: Wer Menschen für Jesus gewinnen will, der ist immer auf  i h n angewiesen, der kann es nicht aus sich selber tun, sondern nur mit diesem Herrn im Rücken.

Im Altertum wurde das Bild von der Menschenfischern nur in einem üblen Sinne gebraucht. Wir denken dabei vielleicht an manche christliche Sekten, die im Teich der Kirche fischen und die Leute der Kirche für sich gewinnen wollen. Sie treiben ja keine echte Mission, sie gehen ja nicht zu denen, die nichts von Gott wissen wollen, sondern sie wollen ja gerade die aktiven Leute der Kirche abwerben. Wenn heute überhaupt noch Mission getrieben wird, dann nur über die Kirche. Und da gibt es im Grunde auch nur zwei Möglichkeiten, nämlich über den kirchlichen Unterricht und zum anderen im Zusammenhang mit einer Eheschließung. Aber auch da liegt kein Verdienst der kirchlichen Mitarbeiter vor, sondern hier ist allein der Geist Gottes am Werk.

Der christliche Künstler Herbert Seidel hat diese Tatsache mehrfach in Bildern zum Fischzug des Petrus dargestellt. Da sieht man drei Männer, die sich wirklich abmühen, das volle Netz ans Ufer zu ziehen. Aber hinter ihnen steht Jesus. Er hat das Netzt in Wirklichkeit in den Hän­den und zieht es an Land. Die Männer meinen, sie hätten alles geschafft, aber in Wirklichkeit ist alles nur dem Herrn zu verdanken, der hinter ihnen steht.

Da hat im 19. Jahrhundert ein Missionar auf einer Insel Indonesiens gewirkt. Fünf Jahre hat er gepredigt, bis die Bewohner der Insel ihn aufgegessen haben, denn sie waren noch Menschenfresser. Es kamen aber andere Missionare dorthin und haben weiter gepredigt. Es hat noch einmal acht Jahre gedauert, bis die erste Frau sich taufen ließ. Heute ist dort eine blühende christliche Kirche. Und die Christen von heute können gar nicht verstehen, was ihre Großväter mit jenem ersten Boten des Evangeliums gemacht haben. Er hat sich abgemüht und keinen Erfolg mehr gesehen. Aber Gott hat doch noch das Netz eingeholt und einen reichen Fang sichergestellt.

Die Dienstleute Gottes müssen damit rechnen, daß sie sich anscheinend vergeblich bemühen. Der Kreis der Leute, die in der christlichen Gemeinde leben, wird immer kleiner. Die Chorsänger kommen nicht mehr. Es wird immer schwerer, Jugendliche oder Männer oder Frauen für die kirchlichen Veranstaltungen zu gewinnen. Da könnte man leicht den Kopf hängenlassen.

Man kann nur so sprechen wie Petrus: „Aber auf dein Wort hin, Herr Jesus, will ich es immer wieder versuchen!“ Und in der Tat stellt sich auch das ein, was wir in unserer Redeweise als „Erfolge“ bezeichnen. Aber wenn es anders kommt, als zunächst befürchtet, dann nur deswegen, weil der Herr der Kirche sein großes Wunder getan hat. Das eigentliche Wunder in dieser Geschichte dreht sich nicht um die Fische, sondern um den Glauben des Petrus und der paar anderen Jünger.

Dieses Wunder können wir auch bei uns immer wieder erleben. Die Zeiten, in denen die Kirche mit dem Zeitgeist segelte, waren nicht immer die besten für die Kirche; zu leicht hat man Menschenwerk mit dem Werk Gottes verwechselt. Umgekehrt hat man unter ungünstigen äußeren Bedingungen einen überwältigenden Ertrag erleben dürfen. Man kann nicht sagen: „Bei günstigen äußeren Umständen gibt es nur Scheinerfolge und bei schlechten kann man Wunder des Glaubens erwarten!“ So einfach ist das sicher nicht.

Aber die Kirche muß nun einmal lernen, daß sie sich nicht auf ihre Methoden und Erfahrungen und Kniffe verlassen kann. Sie hat sich höchstens ein gewisses handwerkliches Können anzueignen, sie sollte schon etwas von den Methoden der Verkündigung verstehen. Aber sie wird diese nie in den Griff bekommen. Sie wird vielmehr immer so wie Petrus sagen müssen: „Auf dein Wort hin!“

Das gilt auch für unser persönliches Leben. Wie manche Frau hat ihren Mann vorzeitig verloren und stand dann allein mit ihren Kindern da. Die Aufgabe stand vor ihr wie ein Berg, die Kinder allein durchzubringen. Vielleicht waren auch noch die alten Eltern zu pflegen. Da wird man leicht denken: „Das schaffst du nie. An einer solchen Aufgabe gehst du kaputt!“ So etwas kann man nur schaffen, wenn man seine feste Zuversicht auf Gott setzt. Manchmal ist man am Ende seiner Kräfte und sieht keinen Ausweg mehr. Aber die Zuversicht, daß Gott gerade einer solchen Frau beisteht, gibt doch immer wieder neue Kraft.

Allerdings kann man an so einem Fall auch immer wieder sehen, wie beschränkt die eigenen Kräfte sind. Das wird auch Petrus mit einem Schlag deutlich. Man hätte doch erwarten können, daß er beglückt über den großen Fang ist. Stattdessen erleben wir Erschrecken und Erschütterung bei ihm. Er erkennt auf einmal, wie schlecht sein Leben bisher war. Es geht dabei nicht um einzelnes Versagen, sondern er ist ganz und gar ein sündiger Mensch. Das erkennt er, als er Jesus begegnet. Jetzt merkt er: „Der und ich, wir passen nicht zusammen, denn er ist das Gegenteil von mir.“ Wer aber vor Jesus steht, der steht damit auch vor Gott.

Aber statt einer Strafe trifft ihn das Wunder, daß er nun auf einmal ein Mitarbeiter Gottes werden soll.

Diese Erfahrung muß man wohl erst gemacht haben, ehe man in den Dienst Jesu treten kann. Erst muß man zuhören, so wie das Petrus getan hat. Ehe man weitersagen kann, muß man erst einmal gehört haben. Und dann muß man erkennen, daß man im Grunde gar nichts ist und Gott allein der Handelnde ist. Wenn man sich nichts mehr auf die eigene Leistung einbildet, dann ist man reif für eine Aufgabe im Auftrag Jesu.

Jesus hält der Petrus für würdig, einen solchen großen Auftrag zu übernehmen. Damit bindet er ihn fest und erdgültig an sich. Jenes: „Fürchte dich nicht“, hat Petrus nie mehr aus der Ohren verloren. Als er später vor dem Hoher Rat steht, da sagt er: „Wir können es ja nicht lassen, vor dem zu reden, was wir gehört und gesehen haben!“

Man merkte dem Petrus noch später an, aus welch tiefer innerer Freude heraus er gesprochen hat. Er wollte mit Menschen Kontakt aufnehmen, um ihnen etwas von der guten Botschaft Gottes zu sagen. Auf einen solchen Kontakt warten heute vielleicht auch viele Menschen. Auch wenn sie sonst alles haben, fehlt ihren noch etwas zum wahren Menschsein. Dieses aber sind wir alle ihren schuldig, durch uns können sie es erfahren.

Wie sind zwar auch nur sündige Menschen. Aber Jesus betreibt seine Sache gerade mit sündigen Menschen. Es braucht also keiner so zu tun, als sei er ein makelloser Heiliger und als hänge der Fortbestand der Kirche an ihm. Die Kirche ist nicht das Unternehmen der Menschen, sondern immer Sache Jesu Christi.

Wenn wir ihm nachfolgen und in seine Dienste treten wollen, dann wird das zuweilen etwas mühevoll für uns sein. Aber das steht ja nicht einfach in unserm Belieben, ob wir uns zur Verfügung stellen. Jesus hat ja auch nicht lange gefragt, sondern ist in das Boot des Petrus gestiegen und hat ihm Anweisungen für die Fischerei gegeben und hat ihm den Auftrag zum Menschenfischen gegeben. Jesus ist eben mehr als ein Vorbild, das man sich selber wählt und notfalls auswechselt und auf das man verzichten kann, wenn man selber Fortschritte gemacht hat. Zu Jesus kann man niemals sagen: „Danke, jetzt komme ich auch allein weiter!“

Wir bleiben immer in unserm Leben auf diesen Herrn angewiesen. Aber wenn wir uns ihm zur Verfügung stellen, werden wir auch eine große Stütze in allen Dingen an ihm haben. Er wird dann unser Leben führen und leiten, wie es richtig ist. Und wir werden das nicht als ein lästiges Muß empfinden, sondern fröhlich bekennen wie Petrus: „Ich kann nicht anders!“

 

 

 

Lk 6, 36 – 42 (4. Sonntag nach Trinitatis):

Eine Frau hat sich mit ihrem Bruder verkracht. Sie wohnen im gleichen Haus, aber sie gehen sich aus dem Weg. Sie arbeiten nicht gegeneinander, aber sie betrachten sich gegenseitig als Luft. Ab und zu klagt die Frau anderen Leuten ihr Leid. Natürlich ist der Bruder daran schuld, daß alles so gekommen ist. Aber sicherlich war sie mindestens genauso daran beteiligt. Nachher will es dann immer keiner gewesen sein: man sucht nur die Schuld beim anderen, merkt aber gar nicht, welch gerütteltes Maß an Schuld man selber hat. Vielleicht ist die eigene Schuld sogar noch größer als die der anderen.

Aber so sind wir Menschen eben: Die Fehler des anderen fallen uns auf, aber über die eigenen sehen wir großzügig hinweg. Das ist in der großen Politik so: Da bricht ein Krieg aus. Jede Seite beschuldigt die andere, sie haben angefangen. Keiner will es gewesen sein, aber das Unglück ist da. Aber das ist auch in unserm Alltagsleben so: Wenn in der Schule einer bestraft wird, dann redet er sich gern damit heraus: „Aber die anderen haben noch mehr gemacht als ich!“

Wir waschen alle lieber die schmutzige Wäsche der anderen, anstatt vor der eigenen Haustüre zu kehren. Aber damit täuschen wir uns über unsere wirkliche Lage hinweg, wir versuchen es zumindest. Aber Gott läßt sich nicht bemogeln. Bei ihm können wir nicht die Aufmerksamkeit von uns weg auf andere lenken. Im Gegenteil: Gott ergreift Partei für unser Mitmenschen! Wir müssen damit rechnen, daß alle Anklagen gegen andere wieder auf uns zurückfallen. Darauf will uns dieser Abschnitt der Bergpredigt Jesu hinweisen.

Man könnte ihm zunächst die Überschrift geben: „Wie ich dir, so Gott mir!“ Mit unseren Mitmenschen gehen wir oftmals nicht gerade zimperlich um. Aber Kritik fordert Gegenkritik heraus, ein abschätziges Urteil wird mit Verachtung quittiert. Dadurch aber wird die Gemeinschaft untereinander zerstört: Wenn ich einen anderen verurteile, verliere ich den Zugang zu ihm und er wird nicht mehr auf mich hören. Aber auch andere werden mit der Zeit unsicher, wie sie sich dem Betreffenden gegenüber verhalten sollen. Ich sage zwar: „Ich will euch ja nur warnen, einen solcher unzuverlässigen Nichtskönner darf man doch nicht hochkommen lassen!“ Aber in Wirklichkeit machen wir mit einem solch lieblosen Richten mehr kaputt, als daß es hilft.

Dürfen wir uns denn nicht wehren, wenn uns einer geärgert hat? Doch wir wollen ja nur den anderen herabsetzen, um selber besser dastehen zu können. Dadurch wollen wir ja nur ablenken. Gott fragt: „Wie bist du?“ und wir antworten: „Aber der andere ist noch schlechter als ich!“ Bei dem anderen sehen wir halt immer sehr scharf, wo der Fehler liegt. Wir wollen ihm sogar helfen, den Splitter aus dem Auge zu entfernen. Aber' den Balken im eigenen Auge wollen wir nicht bemerken.

Meist wollen wir es gar nicht wahrhaben, daß es bei uns ein großer Balken ist. Wir fangen an, mit anderen Menschen und mit Gott zu streiten, bei wem der Balken und bei wem der Splitter zu finden ist, wer mehr oder weniger schuld ist. Doch darum geht es ja gar nicht. Viel wichtiger ist, die eigene Verkehrtheit einzusehen.

Wir sind alle miteinander blind, das ist doch die Wahrheit! Das Urteil darüber steht nur Gott zu. Er fragt nicht, ob andere dasselbe oder noch mehr verbrochen haben. Er will nur wissen: „Was hast d u getan?“ Und unsere Schuld wird nicht kleiner, wenn ein anderer sich auch schuldig gemacht hat.

Wir jedenfalls haben nicht das Recht, einen anderen zu verurteilen, selbst wenn er sich hundertmal schuldig gemacht hat. Verurteilen könnte höchstens einer, der völlig ohne Schuld ist. Aber Jesus hat einmal eine Ehebrecherin in Schutz genommen und zu ihren Anklägern gesagt: „Wer unter euch ohne Schuld ist, der werfe der ersten Stein!“ Da haben sich alle nacheinander stillschweigend verkrümelt.

Nur Gott ist wirklich unparteiisch und nicht selber in einen Fall verwickelt. Er allein kann gerecht richten. Und er allein kann jeden von uns in seinem Handeln zurechtweisen. Er sagt: „Durchbrecht den Teufelskreis des Vergeltens und Wiedervergeltens! Bewegt euch stattdessen in dem Gotteskreis der Verzeihung und der Liebe! Achtet euren Mitmenschen und wertet ihn auf, dann wird er euch auch mit Achtung begegnen und gut von euch reden!“

Es geht dabei nicht nur um das Zusammenleben der Menschen untereinander. Man kann ja zunächst fragen: „Was tun denn Christen anderes als die Nichtchristen, bei ihrer täglichen Arbeit, in der Freizeit, auf kulturellem Gebiet, bei sozialer Tätigkeit?“ Äußerlich unterscheidet sich das tägliche Tun der Christen ja nicht von dem anderer Leute. Und doch durchdringt die Verbundenheit mit Christus alles Tun. Wir stehen zwar mitten in der Welt und sind ihren Anforderungen verpflichtet. Aber wir sind doch in das Kommende hineingezogen und leben aus dem Neuen. Das ist die Spannung, unter der unser Handeln steht. Sie kann auch dazu führen, daß wir uns vom Handeln anderer unterscheiden.

Irgendwo muß ja auch einmal deutlich werden, daß wir zwar i n der Welt stehen, aber nicht v o n dieser Welt sind. Wir sind auch noch einem höheren Herrn verpflichtet. Dieser ist uns sogar wichtiger als alle anderen Ansprüche. Schließlich geht es dabei ja um unser Zukunft Wie wir mit dem Mitmenschen umgehen, so wird Gott auch uns behandeln.

Die zweite Überschrift über diesen Bibelabschnitt aber lautet: „Wie Gott mir, so ich dir!“ Gleich der erste Satz ist der alles umspannende Bogen: „Gott ist barmherzig, da seid ihr es auch!“ Früher wurden die Leute an den Pranger gestellt und angespuckt. Luther aber sagt uns in seinem Katechismus: „Wir wollen unsern Mitmenschen entschuldigen, Gutes vom ihm reden und alles zum Besten kehren!“

Hier könnten wir am ehesten zeigen, daß wir „ganz der Vater“ sind. Von ihm haben wir viel Barmherzigkeit erfahren. Da werden wir doch wohl auch anderen gegenüber barmherzig sein können. Wir leben ja alle von der Güte Gottes. Wir stehen nicht nur alle unter der gleichen Drohung, sondern auch alle unter der gleichen Liebe Gottes. Er wendet sie auch denen zu, gegen die manches einzuwenden wäre. Gott ist eben ein „unverbesserlicher Optimist“, wie das einmal der Holländer Hoekendijk genannt hat.

Gott ergreift ja auch Partei für mich, gegen den viel einzuwenden ist. Er hebt mich auf die gleiche Stufe mit denen, über die er sich auch schon erbarmt hat. Dadurch entsteht eine ganze neue Gemeinschaft zwischen denen, die Gottes Barmherzigkeit erfahren haben. Vorher standen sie miteinander in Konkurrenz, wollten durch ihr Können zu Erfolg und zu Ansehen kommen.

Jetzt aber merken sie: Wir haben alle auf der gleichen niederen Stufe gestanden. Gott aber hat uns emporgehoben und unserm Leben, wieder einen neuen Sinn gegeben. Jetzt ist es nicht mehr nötig, von der eigenen Schuld abzulenken. Natürlich ist es zunächst immer angenehmer, sich mit den Fehlern der Nebenmenschen zu befassen. Es ist leichter, sich aufs hohe Roß zu setzen, als selber abzusteigen und demütig zu Fuß zu gehen. Aber weil Gott uns trotz unserer Fehler und Schwächen liebt, können wir unser Versagen ruhig eingestehen und brauchen es nicht mehr mit der Schuld der anderen zu vergleichen. Jeder macht einmal Fehler. Deswegen brauchen wir uns selbst und anderen nicht mehr zu beweisen, was wir doch für feine Menschen sind und wie verhältnismäßig gute Kerle wir doch noch sind.

Wir sollten auch den Versuch aufgeben, den anderen ändern zu wollen. Es muß sich schon jeder selber ändern. Das bedeutet aber auch: „I c h muß mich ändern!“ Das kann ich nämlich und dafür bin ich auch zunächst einmal zuständig. Wenn jeder das beachtet, braucht keiner in dem Bereich des anderen einzudringen.

Manchmal kann es allerdings auch hilfreich sein, den anderen auf Schwächen hinzuweisen. Es gibt ja Dinge, die merkt er gar nicht selber. Da wäre es lieblos, ihn nicht darauf hinzuweisen und ihn dem Gespött der anderen preiszugeben. Aber solche Hinweise müssen dann sachlich bleiben und mit reinem Herzen und aus der Liebe geschehen. Da darf keine heimliche Freude dabei sein, dem anderen eine auswischen zu können.

Es sollte auch keiner nur Anteilnahme und Hilfsbereitschaft heucheln, in Wirklichkeit aber sich überlegen fühlen. Es gibt ja so Leute, die tun immer überfreundlich und besorgt; aber im Grunde weiden sie sich innerlich daran, dem anderen seine Schwächen vorzuhalten. Aber Kritik an der eigenen Person würden sie nicht ertragen, aber sie fühlen sich besser als die anderen.

Es ist schon viel verlangt, wenn wir die eigenen Fehler einsehen sollen und mit denen anderer nachsichtig sein sollen. Doch Jesus hat es uns so vorgelebt. Wir können in unserm Urteil nicht strenger sein als er selbst. Wir sollten lieber versuchen, ihm gleich zu werden in der Liebe. Und wir müßten natürlich auch immer daran denken, daß wir selber uns einmal vor Gott zu verantworten haben und dann auch ganz auf seine Gnade und Barmherzigkeit angewiesen sein werden.

 

 

Lukas 7, 11 – 16 (16. Sonntag nach Trinitatis):

Die schwerste Aufgabe, die einem Pfarrer in seinem Amt gestellt werden kann, ist die Beerdigung eines Kindes. Die eigentliche Trauerfeier ist dabei nicht einmal das Schlimmste, weil da alles nach einer vorgegebenen Ordnung abläuft und der Pfarrer nur Haltung bewahren muß; er darf nicht weinen, auch wenn ihm danach zumute ist, so wie den anderen auch.

Aber vielschwieriger ist das Gespräch mit den Angehörigen: Was soll man sagen, das ihnen eine Hilfe sein könnte? Was soll man den Eltern eines ermordeten Kindes sagen? Was den Eltern, deren Kind bei der Trennung der siamesischen Zwillinge gestorben ist?

Man kann das sagen, was alle sagen: Worte der menschlichen Anteilnahme, die meist nur ein wenig hinwegtrösten können. Man kann die biblischen Aussagen wiederholen, die zwar richtig sind, aber doch in dieser Situation zunächst einmal etwas weltfremd erscheinen. Gerade vom Pfarrer erwartet man in dieser Situation mehr als nur die Wiederholung von Bibelworten oder von allgemeinen Wahrheiten.

Wenn man Theologie studiert, um Pfarrer zu werden, dann denkt man noch nicht an solche Fälle. Aber dann erlebt er den Tod eines 17jährigen jungen Mannes. Er war das einzige Kind, ein netter Junge, wie er im Buch steht. Er kümmerte sich um einen Schulkameraden aus der Nachbarschaft, der durch ein Arzneimittel, das die Mutter während der Schwangerschaft genommen hatte, nur unvollständige Arme hatte. In der Schule war er gut. Er war in der kirchlichen Jugendgruppe, wo er einen sehr positiven Einfluß hatte. Und dann starb er von einem Tag auf den anderen an den Folgen einer Gehirnerkrankung in den Armen seines Vaters. Der Familie war die Zukunft genommen, denn er war der einzige Nachkomme.

In der Geschichte mit dem Jüngling von Nain ist die Situation noch einmal verschärft, weil eine Witwe ihr einziges Kind verliert und nun ganz allein dasteht. Witwen waren schon damals in einer schweren Lage. Deswegen nahm sich die Gesetzgebung schon damals ihrer besonders an, genauso wie der Fremden, der Armen oder der Tagelöhner. Aber dennoch hat eine Witwe es schwer, ihr Recht zu erkämpfen. Das zeigt sich auch darin, daß diese Frau ja ihren Ernährer verloren hat. Sie hat keinen mehr, der ihr einmal handwerkliche Arbeiten erledigt oder zu den Behörden geht. Sie hat niemanden mehr, mit dem sie einmal über ihre Probleme sprechen kann. Ihre Zukunft war so dunkel, daß sie am liebsten auch gleich mit gestorben wäre.

Wie kann es in dieser Lage noch eine Hilfe geben? Unsere Erfahrungen sind doch andere. Wenn so etwas bei uns passierte wie eine Totenauferweckung, dann wäre das doch das Sensationellste des Sensationellen. Aber bei Lukas steht diese Geschichte völlig unbetont in einer Reihe mit den anderen Werken Jesu. Überhaupt machen die Totenerweckungen im Neuen Testament wenig von sich her.

Das Wunder von Nain scheint sich nicht besonders herumgesprochen zu haben. Es geht ja auch nicht um eine Sensation. Es geht nicht einmal um die Überwindung des Todes durch Jesus, denn der junge Mann ist ja längst ein zweites Mal gestorben. und nunmehr endgültig. Wenn der Tod besiegt werden soll, dann muß mehr geschehen als das Zurückrollen des alten Lebens in die alte Welt hinein. Vielleicht hat Jesus den jungen Mann ja nur davor bewahrt, als Scheintoter lebendig begraben zu werden.

Das Wunder Jesu ist aber ein Zeichen. Wir sollen nicht staunen, daß Jesus einen Toten auferwecken konnte. Vielmehr geht es hier darum, daß im Wirken Jesu die helfende Nähe Gottes gepriesen wird. Mit einem Schlagwort könnte man den Sinn dieser Geschichte so zusammenfassen: Schach dem Tod!      

 

1. Mattgesetzt ist er noch nicht: Paulus schreibt, er sei der letzte Feind, der vernichtet werden

wird. Was sich da in Nain abgespielt hat, ist doch nur ein Vorspiel der eigentlichen Auferweckung. Aber ansonsten ist unsere Welt zwar in erster Linie geprägt durch das Leben, aber dann auch durch den Tod. Dieser ist das Zeichen dafür, daß unsre Welt noch zerfallen ist mit Gott.

Wir lehnen uns deshalb gegen das Sterben auf, weil wir den Zorn Gottes fürchten. Die Überwindung des Todes kann sich nämlich nur in einem Ganzen vollziehen, da muß mehr geschehen als ein Sprung in die Unvergänglichkeit. Vor allem geht es ja auch darum, daß nicht w i r handeln, sondern Gott. An sich sind wir weit weg von ihm. Aber er hat sich aufgemacht und ist zu uns gekommen.

Die Geschichte erinnert stark an eine Geschichte aus dem Alten Testament, in der der Prophet Elia auch den Sohn einer Witwe wieder zum Leben erweckt. Wenn Jesus nun das Gleiche tut, dann soll damit gesagt werden: Die Prophetie ist wieder erwacht. Seit langem beklagte man sich darüber, daß man sich in einer prophetenlosen Zeit befand. Man wartete darauf, daß ein glaubhafter Prophet erstehen würde. Schon in Johannes dem Täufer sah man den wiedergekommenen Elia. Dann wurde Jesus als der neue Prophet angesehen. Daß er mehr ist als das, das hat man in Nain damals noch nicht erkannt.

Aber man jubelte: „Es gibt wieder unter uns Prophetie! Der Himmel ist nicht mehr für uns abgeriegelt. Gott wendet sich uns wieder zu. Die Sünde kann Gott nicht mehr von seinem Volk fernhalten. Die Zeit des Schweigens Gottes hat ein Ende!“ Daß Gott wirklich da ist, kann man daran sehen, daß er dieses Machttat vollbracht hat. Tote erwecken kann nur Gott, aber er tat es durch Jesus. Zum Kommen Gottes gehört auch die Überwindung des Todes.

 

2. Jesus wirkt konkret: Doch es wir hier nicht nur eine neue Weltstunde ausgerufen, sondern es wird hier konkret gehandelt an einem jungen Mann und seiner Mutter. Jesus wirkt durch das Wort, aber dieses hat auch wirkende Kraft, besonders an hilfsbedürftigen Menschen. Jetzt gibt es einen Großeinsatz der erbarmenden Liebe Gottes. Er könnte seine Schöpfung fallenlassen. Aber er kann es nicht ansehen, daß sie an ihrer Sünde kaputt geht. Aber er bringt sich nicht mit Macht zur Vernunft, sondern er liebt sie über alle Maßen.

Liebe und Erbarmen fangen an mit dem Sehen: Jesus sieht die Not dieser Witwe. Der Evangelist Lukas verwendet hier ein Wort, das er sonst nicht im Zusammenhang mit Jesus gebraucht: Es ging ihm an die Nieren, es drehte ihm die Eingeweide um! Die sogenannten „Wunder“ Jesu sind Liebestaten. Sein tätiges Eintreten für Rechtlose, Arme und Verlassene ist aber nicht nur ein Zeichen seiner menschenfreundlichen Gesinnung, die in seiner Persönlichkeit begründet liegt. Es geht nicht nur um den Menschenfreund, sondern um einen Angriff der Liebe Gottes auf das ganze Geflecht von unsichtbaren Mächten und Zwängen, der die Welt wegen ihrer Sünde unterworfen ist.

Diese Witwe empfängt beispielhaft die Liebe Gottes, so daß sich ihr Geschick wendet. Nicht umsonst heißt es: „Er gab ihn seiner Mutter!“ Es geht nicht nur um den Sohn, sondern die ganze Tat war eine Tat des Erbarmens an dieser Frau. Damit fängt überraschend im Haus der Frau ein neues Leben an.

Man kann natürlich fragen: Warum sorgt Gott nicht von vornherein dafür, daß solche Fälle sich überhaupt nicht mehr ereignen? Doch Glaube ist eben immer ein Wagnis: Er soll auch bestehen bleiben, wenn es einmal nicht so läuft, wie wir es uns gewünscht haben. Es wird uns zugemutet, daß wir uns durch die Anfechtungen durchkämpfen. Ein schweres Schicksal läßt

uns nach Gott fragen.

Wir sind nicht Jesus, wir können nicht erreichen, daß ein Toter sich wieder aufrichtet und zu reden anfängt. Aber eins können wir tun: Wir können traurigen Menschen, die verlassen und ohne Hoffnung dastehen, beistehen. Jesus tut heute seinen Dienst durch die Kirche und durch jeden einzelnen in ihr. Und deshalb sind wir aufgefordert, das zu tun, was wir können. Und wenn wir etwas in dieser Richtung tun, dann ist das ein Zeichen, das auf Kommendes hinweist. Dadurch steht der Tod schon im Schach: Noch ein oder zwei Züge, dann ist er mattgesetzt.

 

3. Der Tod von Nain ist noch nicht der große Tag der Auferstehung: Aber das ist ein Machtzeiten Jesus deutet auf diesen Tag hin. Jesus wir mit dem Tode fertig. In Nain wird der verhangene Horizont ein Stück aufgerissen. Dieses Zeichen soll man wahrnehmen.

Aber die Wiederherstellung des sterblichen Lebens ist nicht die Überwindung des Todes. Unvergängliches Leben gibt es nur in der neuen Welt, die den Begrenzungen des irdischen Lebens entnommen ist. Wir dürfen uns freuen über die Fortschritte der Medizin, über die gestiegene Lebenserwartung. Aber eine Auferweckung in die alte Welt hinein kann doch nicht das Ziel sein.

Deshalb steht auch die Figur des Todes noch auf dem Schachbrett unseres Lebens. Aber Jesus weiß schon die nächsten Züge. Der Ausgang des Spiels ist nicht zweifelhaft. Wir können uns ruhig schlafen legen. An unseren Sarg wird Jesus treten und uns auferwecken.

Das ist die Botschaft, die wir denen sagen können, die in großer Trauer sind. Wenn wir die Frage vom Anfang „Was können wir einem trauernden Menschen sagen?“ noch einmal aufnehmen, dann können wir schon etwas tun. Letztlich ist es doch nur Gottes Wort, das uns im

Angesicht des Todes (eines anderen oder des eigenen) weiterhelfen kann. Joachim Fuchsberger sagte einmal im Fernsehen: „Ich beneide die Menschen, die glauben können!“ Wir brauchen niemanden zu beneiden, weil wir selber glauben und dadurch auch anderen helfen können.

 

 

Lk 7, 36 -50 (11. Sonntag nach Trinitatis):

Peinlich ist diese Geschichte, in die Jesus da hineingezogen wird. Stellen wir uns nur vor, uns würde so etwas passieren. Es brauchte nur jemand hier in den Gottesdienst zu kommen, der sich selbst außerhalb der Gesellschaft gestellt hat oder von ihr an den Rand gedrängt worden ist. Vielleicht war er im Gefängnis wegen krimineller Sachen. Nun ist er entlassen und kommt in die Kirche. So etwas gibt es ja tatsächlich. Wir würden doch zumindest erwarten, daß er sich still und bescheiden irgendwo in eine Ecke setzt und brav zuhört. Wir würden denken: „Das ist sein Platz, dort gehört er hin. Daß er zurückhaltend ist und aufmerksam zuhört, das gehört sich, sofern sich einer an diese Regeln hält, dann könnten wir einen solchen Menschen schon ertragen!“

Aber wenn er durch irgendetwas die Aufmerksamkeit auf sich zieht und sich in den Vordergrund spielen will, dann gehen wir doch sofort in eine Abwehrstellung. Wer Dreck am Stecken hat, der muß sich erst einmal bessern, muß erst einmal unter Beweis stellen, daß er ein anderer geworden ist, ehe er vor der Gemeinschaft wiederaufgenommen werden kann. Wenn aber so einer herausfordernd auftritt, dann fänden wir uns sicher bald auf der Seite des frommen Pharisäers, der Jesus kritisiert.

Dieser Mann handelt gesetzlich völlig korrekt. Er hat den durchreisenden Prediger und Lehrer bei sich eingeladen. Er redet ihn sogar als „Rabbi“ an, obwohl er das vor Amtswegen gar nicht ist, denn er ist nicht zum Predigtamt ordiniert. Aber man soll ihm eben nichts nachsagen können.

Doch der Pharisäer tut nur, was das Mindeste an Anstand von ihm verlangt. Wenn man einen Gast besonders herzlich begrüßen wollte, dann ließ man ihm durch einen Sklaven die Füße waschen oder stellte zumindest Wasser für ihn hin. Man begrüßte ihn mit einem Kuß oder salbte sein Haupt mit Öl, wie es im 23. Psalm heißt. Doch Pflicht war das alles nicht. Man war auch anständig, wenn man all das nicht tat.

Daß dann diese Frau hereinkommt, war nicht vorgesehen. Ihr Erscheinen läßt das Gespräch ersterben. Der Pharisäer Simon geht sofort in Abwehrstellung: „Sie ist eine Sünderin!“ So drückt er seinen Abscheu aus. Bei ihm ist im Unterschied zu ihr alles wohlgeordnet. Er kennt Gott und Gottes Gesetz. Er hat sich darin eingeübt, Gottes Gesetz sorgfältig zu halten. Also sind seine Beziehungen zu Gott durchaus normal. Hier ist nichts zu bereinigen und nichts zu befürchten. Die ewige Seligkeit ist für ihn eine ausgemachte Sache!

Andererseits aber ist es ausgemachte Sache, daß Gott sich von einer solchen Frau nur trennen kann. Simon kennt einigermaßen ihre Lebensgeschichte. Das reicht, um darüber Klarheit zu gewinnen, wie man sich ihr gegenüber zu verhalten hat; von so einer kann man sich nur sorgfältig fernhalten. Und auch für Gott muß es klar sein: Die Frau hat verspielt.

Simon hat Jesus zunächst für einen Propheten gehalten. Aber wenn er das wäre, dann müßte er wissen, wie es um diese Frau steht. Aber er weiß es offenbar nicht, sondern läßt sich alles gefallen. Also kann er auch kein Prophet sein. Für den Pharisäer ist nun alles klar: Er hat sich in Jesus getäuscht!

Dieser Simon ist ein Beispiel dafür, wie man trotz aller Kraftanstrengung dem Herrsein Gottes nicht gerecht wird. Er erfüllt das Gesetz bis zum I-Tüpfelchen. Aber er verhärtet sich immer mehr und lehnt schließlich Jesus ab und wird zum Feind Gottes. So erreicht er gerade das Gegenteil vor dem, was er wollte.

Aber so geht es denen immer, die aus eigener Kraft ein vollkommener Marsh werden wollen. Es ist nun mal die Überzeugung des natürlichen Menschen, daß man sich anstrengen und an sich selber arbeiten muß, um sittlich zu reifen und eine ethische Persönlichkeit zu werden. Gutsein ist dann eine Leistung des eigenen Willens. Und wer Böses tut, der hat nur nicht genug Willenskraft gehabt und ist deswegen zu verachten.

Auf der menschlichen Ebene ist so ein Denken durchaus berechtigt. Sonst brauchte man sich nicht um Erziehung zu bemühen und nicht versuchen, Menschen zu formen nach seinen eigenen Vorstellungen bzw. denen der Gesellschaft. Nur: Vor Gott liegen die Dinge anders. Da versagt das Gesetz, da wird das Selbsterarbeitete sogar zur Gefahr und zum Hindernis, weil es zur Lieblosigkeit gegenüber denen führt, die es noch nicht so weit gebracht haben.

Simon wird etwas unsanft aus seinen Überlegungen herausgerissen, als Jesus ihn anspricht: Er versucht schnell, Haltung zu gewinnen, denn innerlich kocht es in ihm. Korrekt spricht er Jesus sogar mit „Meister“ an. Aber es ist der einzige Satz, den er in der ganzen Szene spricht. Er muß antworten, weil ihm eine Frage gestellt worden ist, aber sonst bleibt er stumm.

Das Gleichnis von den beiden Schuldnern ist so einleuchtend, daß es kein Ausweichen mehr gibt. Auch Simon muß zugestehen, daß der mehr lieben wird, dem viel vergeben worden ist. Jesus sagt ihm darauf: „Du hast das richtige Urteil gefällt, auch über dich selbst!“ Simon ist derjenige, dem wenig erlassen wurde und der darum auch wenig liebt.

 

Wenn man nur gesetzlich denkt und sich den Himmel selber verdienen wi1, braucht man Gott gegenüber nicht dankbar zu sein. Es entsteht keine Liebe, sondern Gott wird zum Vertragspartner, dem man etwas bringt und der einem darum auch etwas schuldet. Dann beweist man Gott nicht nur seine Unschuld, sondern auch seine Erfolge und Vorzüge und braucht sich nichts schenken zu lassen. Da gibt es kein Zeichen der Freude und Dankbarkeit, keine Liebe und Zuneigung. Korrektheit erzeugt Kälte.

Aus der Vergebung leben aber läßt Liebe entstehen. Das kann man an der Frau erkennen. Man kennt sie als Sünderin. Worin ihre Sünde besteht, wird nicht gesagt. Man hat immer auslegen wollen, daß es sich um Ehebruch gehandelt habe. Verstöße gegen das sechste Gebot werden immer wieder als „die“ Sünde angesehen, als gäbe es keine anderen. Doch eine Ehebrecherin hätte ein Pharisäer nicht nur verachtet, sondern gesteinigt. Aber es ist an sich ganz gleichgültig, um welche Schuld es sich handelt, jedes Gebot wiegt gleich schwer.

Nun aber durchbricht die Frau zusätzlich gesellschaftliche Normen. Sie dringt in eine Männergesellschaft ein und beschäftigt sich mit Jesu Füßen. Als besonders schamlos galt dabei, vor Männern das Haar zu lösen. Aber ihr Handeln weist auf eine bewußte Selbstdemütigung hin.

Jesus versteht, was die Frau damit sagen will. Er hört daraus die Liebe und Verehrung, aber auch die Reue und die Dankbarkeit. Vor Jesus braucht sich keiner zu schämen, der über seine Sünde weint. Denn er hat sich von der Sünde losgesagt, nicht nur mit Worten, sondern aus tiefstem Herzen.

In dem von Jesus erzählten Gleichnis ist die Liebe die Folge des Erlasses der Schuld. In der Salbungsgeschichte dagegen ist die Liebestat die Voraussetzung der Vergebung. Doch man muß hier nicht unbedingt einen Widerspruch sehen. Die Sündenvergebung könnte auch schon vor der Handlung der Frau geschehen sein auch wenn sie erst ganz am Schluß mit Worten ausgesagt wird. Allgemein kann man sagen: „Die Liebe ist sowohl eine Voraussetzung wie eine Folge der Vergebung!“

Von der Liebe der Frau kann man zurückschließen auf die Größe der Vergebung, die ihr widerfahren ist. Wem am meisten erlassen ist, der liebt am meisten. Aber gerade so gewinnt Gott seine verlorenen Menschenkinder zurück. Menschen Gottes sind gerade nicht die, die

sich zutrauen es zu sein. Sondern gerade die sind Gottes Kinder, die es zunächst nicht waren, aber Gottes vergebende Gnade empfingen.

Sollen wir uns nun nicht nur in dem Pharisäer, sondern auch in der Sünderin wiedererkennen? Auch das wird uns schwerfallen. Denn wir sagen uns doch immer wieder: Ich bin ja nicht so!“ Der Pfarrer sagt es zwar immer wieder, daß wir Sünder sind, aber es stimmt ja nicht, jedenfalls nicht bei mir.

Doch die Schuld der beiden Menschen im Gleichnis verhält sich nicht wie 10 zu 0, sondern immerhin wie 10 zu 1. Also auch der „kleine Sünder“ ist ein Sünder. Wir können die Sünder nicht in Gruppen einteilen. Jeder ist Sünder auf seine Weise, der eine mehr grob und auffällig, der andere mehr verdeckter und vornehmer.

Doch Jesus redet mit einem jeden über seine Sünde, nicht über die der anderen. Wenn einer sich zu den weniger Verschuldeten rechnet und sich seines Vorteils freut, so verunsichert Jesus ihr sofort wieder. Seine Sünde liegt ja gerade darin, daß er der Frau etwas vorauszuhaben meint und überheblich wird.

Jesus aber möchte, daß wir durch seine Vergebung zu großer Freude und Dankbarkeit gelangen. Aus dem Überwältigtsein von der vergebenden Güte Gottes entsteht neues Leben, das sich dann in unserer Liebe zu Jesus und der von ihm geliebten Menschen Ausdruck verschafft. Das letzte Wort hat nicht die Schuldfrage, sondern der Zuspruch der Vergebung. Dieser macht es möglich, Jesu Freiheit in Liebe umzusetzen, die keine Grenzen kennt.

 

 

Lk 9, 10 – 17 (7. Sonntag nach Trinitatis):

Wenn man fragt, welches wohl für die meisten Menschen die wichtigste Bitte im Vaterunser ist, dann wird die Antwort wohl sein: „Die Bitte um das tägliche Brot!“ Das ist eine ehrliche Antwort, die sicher auch der Wirklichkeit entspricht. Unter dem täglichen Brot ist ja nicht nur das Brot zu verstehen, das es beim Bäcker gibt, sondern das ist ja weit umfassenderes gemeint: Essen und Trinken, Wohnung und Kleidung, Arbeit und Urlaub, Glück und Zufriedenheit, bis hin zum Frieden in der Welt.

Der heutige Predigttext stellt Jesus vor als den Heiland der Seele u n d des Leibes. Die Jünger sind gerade von einer großen missionarischen Aktion zurückgekommen, eine Verschnaufpause wäre ihnen eigentlich zu gönnen gewesen. Doch Jesus beginnt sein Handeln an den Menschen damit, daß er ihnen auch wieder predigt. Er beschäftigt sie mit der Frege, wie Gott in der Welt und in ihrem Leben endlich zur Herrschaft kommt.

Die Dringlichkeitsskala der Menschen sieht meist anders aus, auch die Praxis der Frommen. „Erst kommt das Fressen, dann die Moral!“ sagt Brecht. Und wir denken: Erst einmal unsere Pflicht, dann das mit Gott. Zuerst muß man einmal leben können. Und wenn das gesichert ist, dann kann man auch einmal an den lieben Gott denken, wenn man will.

Natürlich wäre es grausam, die hungernden Menschen in den unterentwickelten Ländern nur geistlich trösten zu wollen. Wenn in so elementarer Weise die Sorge um das tägliche Brot drängt, dann kann man nicht aufnahmebereit sein für die Botschaft Gottes. Aber bei aller Entwicklungshilfe sollten wir ihnen auch nicht das geistliche Brot schuldig bleiben. Waffen allein tun es nicht, auch nicht Maschinen oder Weizen, sondern zu einem erfüllten Leben gehört auch das Wort Gottes.

Umgedreht kann man aber auch sagen: Wenn wir wirklich immer nach Gottes Reich trachteten, dann wäre es erst gar nicht zu dieser Not gekommen. Und wir hätten in der Kriegs- und Nachkriegszeit nicht zu hungern brauchen, wenn wir dem Verführer Hitler widerstanden hätten. Daß es Not in der Welt gibt, ist weitgehend Schuld der Menschen. Und wenn wir mehr auf Gott hörten, wäre vielleicht manches Problem in der Welt schon gelöst.

Nun gibt es aber Christen, die meinen, die alltäglichen Dinge hätten in der Kirche nichts zu suchen. Jesus sei für den Himmel zuständig, nicht für die irdischen Angelegenheiten, es ginge um das ewige Heil und nicht um das tägliche Wohl. Die Kirche habe sich nicht um Rassismus und Hunger zu kümmern, der irdische Frieden sei Aufgabe der Politiker, die Weltereignisse gehörten nicht in die Predigt, seien sie beklagenswert oder lobenswert: Gottesdienst sei etwas anderes als eine Nachrichtensendung oder eine Pressekonferenz.

Diese Christen begrüßen es auch, wenn die Abkündigungen am Anfang des Gottesdienstes stehen, ehe es so richtig losgeht. Ebenso soll die Kollekte nur am Ausgang stehen, damit der eigentliche Gottesdienst getrennt wird von den Dingen, die zwar nötig sind, aber nicht zur Hauptsache gehören.

Doch immer wo wir vom Eigentlichen reden, von den „zentralen“ Anliegen des Glaubens, stehen wir in der Gefahr, die Zuständigkeit Jesu einzugrenzen. Da will man den Himmel säuberlich von der Erde trennen. Doch Jesus macht deutlich, daß er nicht nur für die „höheren Dinge“ zuständig ist. Seine Botschaft betrifft den ganzen Menschen, er nimmt auch die leiblichen Bedürfnisse und Nöte ernst. Zur Verkündigung tritt die Diakonie, zur Seelsorge die Leibsorge, zur Heilung der Beziehung zwischen Gott und Mensch tritt die Erneuerung der Beziehung der Menschen untereinander, zum religiösen Bereich kommt der soziale.

Die Geschichte ist aus der Sicht der Zeit nach Ostern erzählt. Da wirkt Christus zunächst nur im Wort. Der Vollzug dessen aber, was er gebietet, ist Sache der Jünger. Die Versuchung der Kirche ist aber schon immer gewesen, die Menschen zu entlassen und wegzuschicken. Jesus aber sagt: „Gebt i h r ihnen zu essen!“ Sie dürfen nicht abschieben, wo sie selber gefordert sind.

Natürlich gilt immer: E r macht es, aber er will es durch u n s tun! Seine Leute sind die Werkzeuge für sein Wirken. Sie sollen beispielhaft und zukunftweisend zu erkennen geben, was Gott mit allen Menschen vorhat. Im Handeln der Kirche ragt das Kommende schon anbruchsweise in unsere Welt hinein.

Doch die Ausrede der Jünger lautet wie so oft: „Wie sollen wir geben, wir haben ja selber fast nichts!“ Wenn Jesus nicht da wä.re, dann spräche die Wirklichkeit eindeutig für die Jünger, dann würden sie die Lage nur aufgrund der Tatsachen nüchtern einschätzen. Aber wo Jesus ist und wirkt, ist kein Grund, daß man aufgibt.

August Hermann Francke fand in einer bisher nur kärglich gefüllten Sammelbüchse eines Tages 4 Taler und 16 Groschen. Das war ein Kapital, von dem er etwas Rechtes stiften wollte. Er fing eine Armenschule damit an, aber daraus geworden sind die Franckeschen Stiftungen in Halle, die heute noch bestehen.

Der Holländerin Corrie ten Boom war es gelungen, eine Flasche mit Vitamintropfen ins Konzentrationslager zu schmuggeln. Wochenlang gab sie den Frauen in ihrer Baracke ein paar Tropfen ab. Sie hatten alle den Eindruck, der Flascheninhalt würde kaum weniger. Als es dann den Häftlingen gelang, aus der Krankenstation Vitamintabletten herauszuschmuggeln, waren auch die Tropfen aufgebraucht.

Man muß erst einmal mit dem beginnen, was vorhanden ist. Jesus kann dafür sorgen, daß das bißchen doch weiter reicht, als man zunächst dachte. Es kann sich doch noch ein Ausweg zeigen, wo zunächst nichts in Sicht war. Wir wissen nicht, wie es bei der Speisung zugegangen ist. Jesus sucht nur Verbindung zu seinem Vater, er spricht das Dankgebet für das Brot und die Fische, er reicht weiter. Denen, die er satt gemacht hat, ist nichts aufgefallen, so daß sie in Staunen oder Jubel hätten ausbrechen müssen. Hier gibt es nichts Sensationelles.

Wir sollten auch nicht vergessen, daß Jesu lebenserhaltenes Wirken auch in dem geschieht, was wir für normal halten. Natürlich geschieht auch viel menschliches Bemühen in der landwirtschaftlichen Produktion. Aber hinter allem und in allem vollzieht sich das Wirken

des Schöpferwillens Gottes, den wir an Jesu Tun ablesen können. Wenn es auf den Feldern wächst, dann teilen sich die Zellen im Korn, wie wenn Jesus von dem Brot abbricht und austeilt.

Aber noch wichtiger als die Gabe ist der Geber. Die Szene ist verständlicher in der nachösterlichen Zeit. Die Aufteilung in Gruppen zu je 50 Leuten wäre in der Wüste nicht sinnvoll gewesen. Aber in einer Gemeinde von 5.000 Menschen ist es gut, wenn man überschaubare Gruppen bildet, damit menschliche Verbundenheit untereinander entstehen kann. Wenn man bei Jesus bleiben will, kann man den Nebenmann zur Rechten und zur Linken nicht mehr

aus dem Spiel lassen. Für das Schicksal des anderen kann man sich aber nur interessieren im überschaubaren Kreis. Hier läßt sich der Hunger nach Liebe und Anerkennung und nach einem Sinn im Leben besser aussprechen und dann auch stillen.

Die Jünger sind dann für das Ganze verantwortlich. Sie teilen die Speise aus, die Jesus als der Gastgeber geschenkt hat. Wiederum ist hier vor Augen, wie der lebendige Herr auch heute in seiner Gemeinde gegenwärtig ist. Zu der Predigt kommt noch das Mahl, in dem man ihn selbst aufnimmt. Wir haben ihn in uns wie das Brot, das wir aufnehmen und das sich in Lebenskraft umsetzt.

Es geht dabei um einen Prozeß Nehmens und Gebens, von dem keiner ausgeschlossen ist. Wenn man immer nur geben müßte, ohne selber etwas zu empfangen, wäre das eine Überforderung. Ohne das Weiterreichen aber bliebe das Abendmahl im Unverbindlichen. Die tätige Liebe braucht die Kraft vom Abendmahl her, sonst versandet sie.

Wenn geholfen werden soll, muß ein Helfer da sein, der selber durchhalten kann. Es wäre sicher gut, wenn wir bei jedem Abendmahl (vor allem bei dem heute zu feiernden) das Bild der Speisung der 5.000 vor Augen hätten: der Herr, der das Brot bricht - die Jünger, die austeilen - die Gemeinde, die empfängt und dabei von Jesus nicht nur das Irdische, sondern auch das Himmlische geschenkt bekommt.

 

 

Lk 12, 35 – 40 (Altjahrsabend):

In wenigen Stunden geht das alte Jahr zu Ende. Wir werden das neue Jahr mit Raketen und Kanonenschlägen und manch anderem Krach begrüßen. Ursprünglich sollten dadurch ja böse Geister vertrieben werden, die besonders in der Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr ihr Unwesen treiben sollten. Wir glauben natürlich nicht mehr an solche Geister, wir leben in einer aufgeklärten Zeit. Aber warum machen wir (oder viele bei uns) diesen Quatsch noch mit? Warum hat auch der Staat nichts dagegen?

Vielleicht ist mit dem Jahreswechsel doch eine geheime Angst verbunden, die durch den Krach übertönt werden soll. Einmal geht es dabei um die Angst vor der Zukunft; doch davon wird eher morgen an Neujahr zu reden sein. Noch mehr aber werden wir heute Angst empfinden, wenn wir an das denken, was hinter uns liegt. Wenn ein Kind in den dunklen Keller oder durch den Wald gehen soll, dann pfeift es oft vor sich hin, um sich nicht so allein fühlen zu müssen. Vielleicht brauchen wir auch den Krach an Silvester, um unsree Angst zu verscheuchen. Und vielleicht braucht man auch den Alkohol an so einem Tag, um sich wieder etwas Mut anzutrinken.

Wir ziehen auch wohl alle Bilanz an so einem Tag wie heute. Das Jahr wird vor unsreem in­neren Auge ablaufen wie ein Film, in der wir doch irgendwie die Hauptrolle spielen. Es wäre schön, wenn wir die hellen und heiteren Stunden mehr im Gedächtnis behielten, als die traurigen. Aber wir können die Vergangenheit auch nicht abschütteln. Unsree Verfehlungen stehen uns vor Augen. Wir hatten Pläne, die sich nicht verwirklichen liehen. Wir hatten gute Vorsätze gefaßt, aus denen nichts geworden ist. Wir haben Menschen aus dem Blick verloren, wir haben andere hergeben müssen an den Tod. Und zu den persönlichen Nöten kommt noch die Furcht vor gefährlichen politischen oder wirtschaftlichen Entwicklungen.

Wir wissen, daß wir für alles Verantwortung tragen: Für das uns anvertraute Stück Welt, für die Menschen unsrees Lebenskreises und für uns selbst. Die Zeit ist ja unumkehrbar; was einmal geschehen ist, kann nicht wieder rückgängig gemacht werden. Die Zeit spult sich unaufhaltsam ab. Das wird uns wohl besonders heute wieder einmal bewußt. Und dann machen wir einen Strich unter alles, rechnen Plus und Minus gegeneinander auf und stellen entweder Erfolg oder Mißerfolg fest.

Sicherlich macht auch Gott seine Rechnung auf. Bei ihm sieht das Ergebnis unter Umständen sehr viel anders aus. Vielleicht ist es besser. Es gibt ja Menschen, für die wiegt das Negative sehr viel schwerer; sie sehen gar nicht mehr die schönen Seiten ihres Lebens und klagen immerzu nur, während ein Außenstehender die ganze Sache lehr viel freundlicher beurteilt. Aber vielleicht sieht das Ergebnis bei Gott auch schlechter aus. Wenn wir unsreen persönlichen Jah­resabschluß machen, dann schieben wir gern alles Unangenehme weg; aber Gott hat es doch gesehen und es kommt mit auf die Rechnung. Er hat letztlich das entscheidende Wort zu sagen; und nicht nur, wenn wieder einmal ein Jahr seinen Abschluß gefunden hat.

Das heißt aber: Wir sind Gott verantwortlich für das, was wir mit seiner Welt machen. Christen sind Menschen, die das Eigentum des zurzeit abwesenden Herrn zu verwalten haben. Zwischen Auferstehung und Wiederkunft haben sie das zu versorgen und zu verwalten, was ihm gehört. Der Mensch soll sich die Erde untertan machen. Aber er hat damit auch eine besondere Verantwortung für sie. Er ist Gottes Ebenbild und vertritt Gott gegenüber der Welt. Was aus der Schöpfung Gottes wird, ist also in hohem Maße in die Hand der Menschen gegeben. Wir brauchen uns deswegen nicht aufzuplustern, so als ständen wir am Schaltpult der Menschheitsgeschichte. Aber wir brauchen auch nicht darüber zu verzweifeln daß unsre Einfluß auf das Ganze so gering ist.

Aber wir könnten das vergangene Jahr auch einmal unter diesem Gesichtspunkt betrachten, ob wir diese Verantwortung für die Welt recht wahrgenommen haben in der Familie und im Beruf. Haben wir unsre Gaben und Fähigkeiten, haben wir unsre Eigentum recht eingesetzt und zum Wohl der Welt verwendet? Gott hat uns alles nur geliehen, damit wir es in seinem Sinne verwenden zum eigenen Wohl und zum Wohl anderer Menschen.

Aber eines Tages wird er selber wiederkommen und alles in die Hand nehmen. Wenn er anklopft, soll ihm sofort die Tür aufgemacht werden. Es wäre schön, wenn er dann einen Zustand vorfände, mit dem er zufrieden sein kann. Wenn er im Haus Licht sieht, dann hat man also auf ihn gewartet; dann muß man nicht erst aus dem Schlaf geweckt werden, sondern ist gleich wach und bereit. Dann kann das Haus auch ohne Schwierigkeiten an den Eigentümer übergeben werden

So will uns Gott allezeit bereitfinden. In jedem Augenblick kann er ja einen Schlußstrich ziehen und unsre Leben beenden Nicht ohne Grund steht im gleichen Kapitel bei Lukas die „Geschichte vom Reichen Kornbauer“. Dabei ist es unerheblich, ob die Geschichte der ganzen Welt endet oder nur die kleine Lebensgeschichte des Einzelnen; für den Betreffenden läuft das auf dasselbe hinaus.

Es gibt eben auch ein „zu spät“. Es könnte ja sein da sich einer gerade aus seinem Minus wieder hocharbeiten wollte. Aber wenn es draußen klopft, kann er nicht sagen: „Warte noch einen Augenblick, ich bin gerade noch beim Aufräumen!“ Gott kommt wie ein Dieb in der Nacht. Wenn man wüßte, welche Nacht das ist, könnte man natürlich einmal aufbleiben. Gott möchte uns aber jederzeit bereitfinden.

Wir wissen nur: Einmal kommt er bestimmt! Aber wir sind nicht immer darauf vorbereitet. Deshalb haben wir auch diese untergründige Angst. Wir merken, wie schnell die Zeit vergeht und daß sie unumkehrbar ist. Gerade an Silvester wird uns das besonders deutlich vor Augen geführt. Da wird uns wieder in Erinnerung gerufen: „Du müßtest ja eigentlich immer bereit sein!“

Gott verlangt von uns, daß wir immer auf dem Posten sind. Bei unsrer Arbeit wird ja auch Aufmerksamkeit und Sorgfalt verlangt. Wenn es um unsre Leben geht, dann lohnt sich der Einsatz umso mehr. Für andere Dinge setzen wir uns auch ein. Wenn es um eine Ausbildung oder eine Prüfung geht, dann muß vieles andere zurücktreten. Wenn einer bauen will, was setzt er da doch Kräfte ein! Das lohnendste Ziel ist aber, sich auf die Wiederkunft des Herrn einzurichten.

Am heutigen Tag sollten wir nicht nur in die Vergangenheit blicken und unsre Zeitängste dadurch noch steigern. Besser wäre es schon, auf die eben erst gefeierte Geburt Christi zu blicken, die uns der Blick auf die Zukunft eröffnet.

An ihm sollten wir alles Erlebte und Getane messen und unter seine Vergebung stellen. Dann aber dürfen wir nach vorne schauen auf das Wiederkommen des Herrn. Das ist das einzige gewisse Ereignis gegenüber den vielen Hoffnungen und Befürchtungen, die wir vielleicht sonst für die Zukunft haben. Dort liegt das Ziel aller Jahre und auch der Sinn unsrees Lebens.

Wir wissen nicht, wann der Herr kommt. Aber wir haben uns darauf einzurichten, d a ß er kommt. Sicher ist, daß mit dem Verrinnen der Zeit auch die Heimkehr des Hauseigentümers näher rückt. Der Silvestertag ist einmal ein Anlaß, darüber nachzudenken, obwohl er sich ja

ansonsten in nichts von anderen Tagen unterscheidet.

Sicherlich könnten wir auch. unsre Zeitbewußtsein etwas trainieren. Doch nicht so, daß wir bedauernd oder gar weinerlich klagen: „Mir bleibt immer weniger vor der mir zur Verfügung stehenden Zeit!“ Eher könnten wir wach und fröhlich sagen: „Immer näher kommt die Stunde, in der Christus da sein wird!“

Es könnte ja auch sein, die Knechte fühlen sich ganz wohl, wenn der Herr weit fort ist: Die Katze ist aus dem Haus, da haben die Mäuse freien Lauf. Dann denkt man: „Mein Leben gehört mir selbst, ich kann machen, was ich will, ich habe ja keinen über mir, ich bin niemandem Rechenschaft schuldig. Da könnte es tatsächlich mit der Gemütlichkeit zu Ende sein, wenn der Herr wiederkommt. Dann wird er sich bedienen lassen und die anderen müssen springen.

Aber dann kommt die große Überraschung: Der Herr bindet sich selbst die Zipfel des Gewandes hoch, läßt seine Knechte am Tisch Platz nehmen und bedient sie. In England macht man das in hochherrschaftlichen Häusern manchmal zur Fastnacht. Da werden dann die Diener einmal von den Herrschaften versorgt. Das geschieht dann aber unter vielen Scherzen und Späßen.

Jesus aber ist es ganz erst mit seinem Dienen, das ja hingeht bis zum Kreuz. In dieser Zusage, daß er dann seine Leute bedienen und betreuen will, steckt das ganze Evangelium. Wenn Christus kommt werden wir allein von dem leben, was e r an uns tut. Wenn wir uns zum Abendmahl einladen lassen, dann geschieht das in gewisser Weise schon heute.

So müssen wir das alte Jahr mit einem Defizit an Leistung und Erfolg abschließen; auch unsree Schuld vor Gott ist nicht zu leugnen. Aber wir können auch aufatmen. Denn wir erfahren aufs Neue, daß es zuletzt nicht auf uns ankommt und auf das was wir selbst zuwege gebracht haben oder nicht. Zuletzt hängt unsre Zukunft davon ab, was der Herr für uns getan hat und vor allem was er noch tun wird.

Lk 8, 4 - 8 (9 - 15) (Sexagesimä):

Vielen Menschen ist es rätselhaft, was hier im Gottesdienst gesprochen wird und was uns immer wieder zusammenführt Äußerlich gesehen passiert doch kaum etwas, und was wirklich geschieht, kann man ja doch nicht sehen. Mancher wird vielleicht sagen: „Was, du gehörst

auch zu dem Verein?“ Wenn wir aber dieses Gleichnis vom Sämann richtig verstanden haben, dann sagen wir ihm lieber: „Ja, ich gehöre s c h o n zu dieser Gemeinde und bin froh darüber!“

Es gibt vieles, was uns von dieser Gemeinde fernhalten will. In der Deutung des Gleichnisses sind einige Beispiele aufgeführt. Doch hier sind nicht vier Typen von Menschen dargestellt; und wir sind nicht einfach das gute Land, wo der Same aufgeht. Wir sollten nicht fragen: „Zu welcher Gruppe gehöre ich?“ Vielmehr sollen wir hier aufmerksam gemacht werden auf die Hindernisse und Verschlossenheiten, auf die Dornen und Disteln, die auch bei uns die Entfaltung des Wortes Gottes behindern. In jedem vor uns steckt etwas von diesen vier Gruppen; wir alle lassen uns einmal hindern, das Wort Gottes zu hören. Auch unter den treuen Kirchgängern und Predigthörern sind Menschen aller vier Gruppen zu finden.

 

(1) Manchmal gleicht unser Herz einem harten, festgetretenen Weg, in den kein Samenkorn eindringen kann. Entweder ist alles fort und vergessen, wenn der Gottesdienst vorbei ist. Das verstockte Herz spricht dann: „Das geht mich ja alles nichts an, das betrifft mich nicht!“ Dann kommt in den Gesprächen in der folgenden Woche die Predigt dieses Sonntags nicht mehr vor, weil sie mit dem Zuklappen der Kirchentür abgetan ist.

Oder das Wort Gottes geht zum einen Ohr rein und zum anderen wieder heraus, prallt ab an unseren Einwänden und unserer Bequemlichkeit. Gerade wer oft zum Gottesdienst kommt, steht in dieser Gefahr. Am schwierigsten ist es sicher für die Konfirmanden. Anstatt zuzuhören ritzen sie dann Zeichnungen in die Kirchenbänke. Viele reagieren auch so, daß sie nach der Konfirmation erst einmal eine Erholungspause einlegen und oft dann gar nicht mehr kom­men. Das Wort konnte keinen Glauben wirken. Im Grunde ist es überhaupt nicht gehört worden, obwohl die Möglichkeit dazu da war. Aber das Herz ist verstockt und zu Stein geworden.

 

(2.) Manchmal fällt das Wort auf steinigen Boden. Wir nehmen das Wort mit Freuden auf. Wir kommen gern zum Gottesdienst und sind begeistert von der Predigt, erzählen vielleicht auch davon weiter. Wir glauben auch dem Wort, denn es leuchtet uns im Augenblick ein. Aber die schönen Ansätze bleiben Strohfeuer. Wir glauben nur solange wie es bequem ist, ein Christ zu sein. Wenn einer uns verspottet wegen unseres Glaubens, dann lassen wir ihn fallen; wir schämen uns und bleiben weg. Wieder stehen uns manche Konfirmanden vor Augen, die im Unterricht eifrig mitmachten und nachher wegblieben. Irgendetwas wurde im Herzen angerührt, aber es ging nicht tief genug.

Die Versuchung kann aber auch anders aussehen: Der Tod eines lieben Menschen kann mir zur Anfechtung werden, während ein anderer ganz kalt dabei bleibt. Leicht steht man dann in der Versuchung, sein Vertrauen ganz wegzuwerfen und zu sagen „Ich habe doch so viele

Gottesdienste besucht, doch es hat alles nichts genutzt. Gott schweigt!“ Gerade dann aber kommt es darauf an, unter dem Wort zu bleiben, Geduld zu haben und weiter zuzuhören.

 

(3.) Manchmal hören wir das Wort schon aber es bleibt fruchtlos. Der Same geht auf, man sieht etwas. Aber die Dornen gehen auch auf und ersticken wieder alles. Wie mancher nimmt sich vor, zum Gottesdienst zu gehen oder zu beten oder einen kranken Menschen zu besuchen. Aber vor lauter Arbeit und Sorgen unterbleibt es dann immer wieder. Oder das Vergnügen ist wichtiger, und wenn es nur in einer Fernsehsendung besteht. Wenn unsere Leben davon bestimmt ist und nicht vom Wort Gottes, dann bleiben wir Namenschristen, dann sind wir Hörer des Worts, aber keine Täter. Dann wirkt Gottes Wort nicht in unseren Alltag hinein.

Deshalb gewinnen dann Arbeit und Sorge, Vergnügen und Geld solch eine Bedeutung.

Wer aber sein Herz an das Wort Gottes hängt, der findet auch das richtige Verhältnis zum Geld und zum Fernsehen. Er wird frei, mit dem Reichtum und der Freude am Leben richtig umzugehen. Deshalb sollten wir uns schon fragen: „Wovon ist wohl unser Tun und Handeln im Alltag bestimmt? Von Gott oder von unseren eigenen Gedanken? Ist der Christenglaube wirklich die Macht, die unsere Leben bestimmt? Sind wir vielleicht nur einmal angerührt worden und machen heute nur noch so mit? Ist der Glaube nur eine bloße Überzeugung oder eine hohl gewordene Gewohnheit?“

Mit erschrecken dem Ernst stellt Jesus fest, wie schwer und wie selten sein Wort bei uns Wurzel schlägt und wie schwer unsere Leben sich ihm angleicht. Dieser Vorwurf trifft gerade die, die an das Wort zu glauben meinen. Oft kritisieren sie auch den Gottesdienst, um eine Entschuldigung für ihr Nicht-Hören zu haben. Im Konfirmandenunterricht sagte einmal einer: „Zum Gottesdienst gehören auch Zuschauer!“ Doch wir brauchen keine Zuschauer, sondern Mitbeteiligte. Die Zuschauerhaltung ist nur ein Versuch des Teufels, das Wort Gottes aus unserem Herzen wegzureißen. Ob es ihm gelungen ist, zeigt sich vielleicht schon bei den Gesprächen auf dem Nachhauseweg.

 

(4.) Aber oft geht auch eine Frucht auf. Dann hören wir das Wort nicht nur, sondern behalten es auch und leben nach ihm in unserem Alltag. Wir Menschen fragen leicht nach dem Augen­blickserfolg. Der ist aber schnell vorbei. Gott aber fragt nach der Frucht, die bleibt. Ehe es aber so weit kommt, muß Gott sehr oft unser hartes Herz erst einmal aufbrechen und es durch Leid und Not umpflügen, ehe es den Samen des Wortes Gottes aufnimmt und Frucht bringt in Geduld. So kann sogar das Leid einmal Segen bringen.

Jetzt haben wir aber immerzu nur auf die Art des Bodens geachtet. Darauf legt auch die an­schließende Deutung des Gleichnisses Wert und hat damit zum ersten Mal dieses Gleichnis in einer Predigt ausgelegt. Wenn wir aber das Gleichnis für sich betrachten, hat Jesus es noch etwas anders gemeint.

Er will sagen: „Der Sämann beginn so verhältnismäßig zufällig, es kommt auch zu Ausfällen bei der Saat. Aber er kommt doch zum Ziel, weil er eben gesät hat. Er wendet alle Sorgfalt an, aber er kümmert sich gar nicht um das, was daneben geht. Er läßt sich dadurch nicht ab­schrec­ken, sondern freut sich über das, was Frucht bringt. Was dort aufgeht, ist so viel, daß es ihm genügt, denn es hat hundertfach Frucht gebracht!“

Jesus tröstet damit seine Jünger. Diese hatten zuerst von leichten Erfolgen geträumt. Aber dann hatten sie erleben müssen, wie Gegner auftreten, wie Jesus auf Gleichgültigkeit und Ablehnung, ja offene Feindschaft stößt. Einige hatten begeistert mitgemacht, sich aber nach einiger Zeit wieder enttäuscht abgewandt. Andere hingen zu sehr an ihrem Geld und ihren Verpflichtungen. Jesus läßt sich dadurch nicht erschüttern. Er freut sich über die, die auf ihn hören und ihm nachfolgen. Für die ist er da. Und die bringen auch so überreiche Frucht, daß es für das Reich Gottes langt.

Gott könnte natürlich auch aus seiner Verborgenheit heraustreten und sich dann mit seiner Allmacht Respekt verschaffen. Aber er möchte unser Vertrauen gewinnen. Er will nicht Marionetten, sondern Kinder. Er will solche, die zu ihm kommen, weil seine Liebe sie überwunden hat. Wenn der Kirche etwa Praktiken und Methoden einfielen, die Massenerfolge sicherten, wäre das nicht unbedingt gut. Das war der Irrglaube der Deutschen Christen, die sich den Nazis anpaßten, weil sie hofften, dadurch die Volksmassen zu erreichen.

Der geringe Erfolg des kirchlichen Wirkens sollte uns nicht anfechten. Wir können nicht widersprechen, wenn uns jemand vorhält, wir brächten nicht viel zustande. Wir sehen oft nur den Mißerfolg, sehen nur das, was daneben fällt. Auch Jesus stellt hier nüchtern fest: Es fällt etwas daneben. Allerdings sind es nicht Dreiviertel der Aussaat, wie wir uns das so vorstellen. Das Meiste fällt ja auf gutes Land und das andere ist der übliche Verlust.

Damit will Jesus die Jünger vor Anfechtung bewahren: Der Same ist gut, am Samen liegt es nicht. Im Gegenteil: Er bringt trotz allem so viel Frucht, daß es reicht. Der Ertrag ist unwahrscheinlich hoch. Und um dieses Ertrags willen hat sich dann doch das Ganze gelohnt. Im Grunde ist die Arbeit Jesu doch ein großer Erfolg.

Das liegt auch mit am Sämann. Es ist nicht gleichgültig, wer den Samen sät. Nur Jesus garantiert, daß seine Art der Aussaat doch zum Ziel führt. Auf unscheinbare und geheimnisvolle Weise baut Gott sein Reich, natürlich ist das heute noch nicht nachweisbar. Heute wird immer noch gesät und die Ernte wird erst später aufgehen. Aber doch ist schon etwas von diesem Reich sichtbar.

Wo nur e i n Mensch sich für Gott entscheidet und den Willen Gottes tut, da bringt das hundertfache Frucht, da ist er selber zum Sämann geworden. Der sichtbare Erfolg bleibt vielleicht armselig. Doch Gottes Sieg ist unter dem Mißerfolg verborgen. Wie wenige in unserer Gemeinde hören überhaupt das Wort Gottes, wie wenige tun es. Aber wo einer dem anderen ein tröstendes Wort sagt, wo einer Zeugnis ablegt für seinen Glauben, da ist das Reich Gottes und der Segen Gottes, da ist hundertfache Frucht.

Gott erreicht auch mit wenigen sein Ziel. Das heißt: In unseren Augen sieht es vielleicht wenig aus, aber bei Gott ist es alles. Wie wenig ist zum Beispiel das, was uns im Abendmahl gereicht wird! Und doch hat es solche Durchschlagskraft, daß es uns langt, um Kraft für unser Leben zu empfangen. Nehmen wir doch dieses Samenkorn an und lassen es aufgehen in unseren Herzen.

 

 

Lk 9, 57b - 62 (Okuli):

Ein Glück nur, daß so etwas nicht in jedem Fall von uns verlangt wird. Wir wollen doch auch Jesus nachfolgen. Aber müssen wir deshalb zum Landstreicher werden, der nicht weiß, wo er am Abend sein Haupt hinlegen soll? Den Jüngern Jesu ging es so, als sie Wohnung, Arbeit und den Schutz der Familie aufgaben, um Jesus nachzufolgen.

Den Hugenotten in Frankreich ging es so, als sie wegen ihres evangelischen Glaubens ihre Heimat verlassen mußten; ebenso den evangelischen Salzburgern, die mitten im Winter von dem katholischen Erzbischof vertrieben wurden. Wer weiß, was uns da noch einmal blühen kann, wenn wir es mit dem Glauben an Jesus ernst nehmen!

 

1. Der erste Mann:

Andererseits erwartet der erste Mann, der hier zu Jesus kommt, wohl eine bestimmte Geborgenheit von ihm. Es gibt ja Menschen, die sich nicht allein durchs Leben schlagen wollen, sondern sich lieber an eine stärkere Persönlichkeit anschließen und ihr ganz die Führung überlassen. Irgendetwas an Jesus hat ihn gepackt, so daß er bedingungslos mitgehen will - eigentlich eine sehr lobenswerte Einstellung.

Aber mit so ein bißchen Begeisterung und Bereitschaft ist es ja noch nicht getan. Wird er über Krisen und Nöte und das Auf und Ab persönlicher Stimmungen hinwegkommen? Jesus warnt: „Stell dir das nicht zu leicht vor! Du wirst nur Unruhe und Ärger davon haben. Die Tiere haben wenigstens noch einen Bau oder ein Nest. Aber ich kann am Morgen nicht sagen, wo ich am Abend sein werde!“

Wer Jesus nachfolgt, muß auf alle Sicherungen verzichten und sich wahrscheinlich in immer neue Unruhe führen lassen. Wir können heutzutage gelegentlich wieder etwas von dieser Unruhe spüren. Es kann zu ganz schönen Aufregungen kommen, wenn es etwa um die christliche Erziehung der Kinder geht oder wenn einer zeigt: „Der christliche Glaube ist mir wichtiger als alles andere!“ .Jesus hat uns da von vornherein reinen Wein eingeschenkt. Mit solchen Dingen muß man rechnen, wenn man Christ sein will.

Jesus selber ist es ja auch nicht anders ergangen. Schon bei seiner Geburt wußte man nicht, wo man ihn hinlegen sollte. Kurz bevor er das hier zu dem Mann sagt, haben ihn die Samariter vor die Tür gewiesen. Er wird von den anderen eben nicht als einer der ihren angesehen. Er möchte sich ihnen aber auch nicht anpassen. Deshalb bleibt er fremd und sein Dienst bringt ihn ständig in Unruhe. Er kann sich nicht in das Schneckenhaus seines Privatlebens zurückziehen, wie wir modernen Menschen das so gern tun. Der Ort der endgültigen Hingabe wird „Schädelstätte“ heißen; dort wird alle Begeisterung   und aller Personenkult enden.

Doch nicht jedem wird zugemutet, daß er sein Zuhause und die Annehmlichkeiten des zivilisierten Lebens aufgibt. Jeder hat doch Freude an der gemütlichen Wohnung, er sucht die Gemeinschaft anderer und möchte auch einmal ein Fest feiern. Auch ein Pfarrer muß nicht unbedingt ein schlechtes Gewissen haben, wenn er in einem schönen Pfarrhaus wohnt.

Aber wenn es der Dienst für Jesus erfordert, wenn unser Zeugnis vor der Welt nötig ist, wenn es Kampf um den Glauben gibt, dann gilt es, hart zu sein gegen sich selbst. Dann wird ein Christ alle Strapazen fröhlich auf sich nehmen und notfalls auch alles aufgeben. Jesus wird dann schon weiterhelfen.

Die Bequemlichkeit bleibt aber immer eine Gefahr für uns. Gerade in einer sogenannten „Volkskirche“ ist man es gewohnt, alles billig haben zu können. Weil es dieser Kirche um die große Zahl zu tun ist, macht sie es sich in ihrer Verkündigung und in ihrem Leben in der Welt leicht zu bequem.

Aber je mehr sie den breiten Weg einschlägt, den die vielen gehen, desto uninteressanter wird sie für die anderen. Vielleicht haben uns die Nichtchristen längst überholt in ihrer Bereitschaft, zu arbeiten, zu opfern, zu dienen und sich selbst nicht zu schonen. Wir machen eben gerne noch unsere Einschränkungen, wenn wir dem Ruf Jesu folgen wollen.

 

2. Der zweite Mann:

So geht es ja dem zweiten Gesprächspartner Jesu. Jesus hat ihn angesprochen; und er ist auch zur Nachfolge bereit. Aber er will erst einer heiligen Pflicht genügen: Sein Vater ist gerade gestorben und nun muß er erst noch alles mit der Beerdigung regeln. Das ist ein frommer Brauch und der letzte Liebesdienst, den man einem Menschen erweisen kann - doch geradezu eine Selbstverständlichkeit.

Umso befremdender ist es, daß Jesus dieses Selbstverständliche dem Mann nicht zugesteht. Jesus verstößt hier gegen die heilige Ordnung und den frommen Brauch. Auf dem Gebiet aber sind die Leute bis heute empfindlich. Jesu Verlagen ist nicht nur taktlos, sondern sogar unmenschlich hart. Doch wir dürfen nicht vergessen, was Jesus damit hat ausdrücken wollen. Jesus beanstandet nicht, daß man die Toten begräbt oder an einer Beerdigung teilnimmt. Aber er will den Mann zum Nachdenken bringen, auch gegenüber heiligen Pflichten. Er übertreibt, damit man das radikal Neue seiner Predigt wahrnimmt.

Vor allem ist Jesus gegen die damals üblichen Bestattungsbräuche. Er hatte eine tiefe Abneigung gegen das Geheul und den Lärm der Klageweiber. Wer so klagt und vor der Unabänderlichkeit des Todes kapituliert, der kann nicht an Gottes Macht glauben. Er sieht in seiner Hoffnungslosigkeit nur nach hinten und wartet nicht auf Gottes Reich. Wer aber mit Jesus geht, der geht ins Leben hinein. Er wird sich nicht an die Toten hängen und sie nicht in der Vergangenheit suchen, sondern in der Zukunft mit Jesus. Dieser beanstandet nicht, d a ß die Toten begraben werden, sondern w i e man es tut: Man kann nicht Gott dienen und sich an die Hoffnungslosigkeit der Welt verlieren. Man kann die Nachfolge nicht mit einem Sonderurlaub wegen eines Todesfalls beginnen.

Wir fragen uns: „Kann man denn sein ganzes Denken und Glauben im Handumdrehen auf das Neue einstellen? Und dazu noch an einem so leidvollen Tag! Hat es nicht wenigstens noch bis morgen Zeit, das neu geschenkte Leben zu beginnen?“ Doch Jesus will gerade jetzt die totale Kehrtwendung. Gerade in der Situation der Traurigkeit und Erschütterung gilt es, das Evangelium zu begreifen. Gerade wo die Wirklichkeit der Welt so bedrückend ist, soll die tröstende Kraft des Wortes Gottes deutlich werden.

Deshalb wird auch heute noch gerade dieses Wort von der Auferstehung an Gräbern verkündet. Oft kann man auch helfen, indem man eine neue Aufgabe vor Augen stellt. Jesus gibt dem Mann ja auch einen konkreten Auftrag: „Gehe hin und verkündige das Reich Gottes!“ Oft wird man noch am ehesten mit dem Leid fertig, wenn man.sich eine neue Aufgabe geben läßt.

 

3. Der dritte Mann:

Von dem dritten Mann schließlich wird verlangt, daß er sich aus den normalen bürgerlichen Bindungen herauslöst. Auch das ist nicht der Normalfall für uns. Wir haben es ja gerade gelernt, die Nachfolge Christi innerhalb von Ehe und Familie und in der Gesellschaft zu leben und uns dort zu bewähren.

Heute kennen aber viele nur noch die Familie. Sie wollen unter sich sein und sich um Gott und die Welt nicht kümmern. Die Notwendigkeit, auch einmal etwas Außerordentliches zu tun, wollen sie nicht sehen. Schon gar nicht wollen sie alle Brücken hinter sich abbrechen oder gar Familienbande auflösen, wie das etwa auch heute noch von einem Missionar oder einer Diakonisse verlangt wird.

Man wird, wenn man zu Jesus stößt, aber immer etwas hinter sich lassen. Heutzutage muß sich mancher von einem lieben Beruf von Plänen und Erfolgsaussichten trennen, weil sie ihm zur Versuchung würden. Wer mit Jesus geht, hat ein unsicheres Leben und kann nicht mehr so planen und ist auf viele Arten gefährdet.

Aber wir sollten nicht über das klagen, was wir nicht mehr haben, seit wir bei Jesus sind. Es kommt auf die Blickrichtung an. Wer Jesus nachfolgen will, der wird geradezu magnetisch angezogen von dem, was er vor sich hat. Nur wer nach vorne schaut, wird auch seine Furche gerade ziehen können.

Wenn einer sich das Kettenrauchen abgewöhnen will, dann kann man ihm nicht empfehlen, zum Abgewöhnen noch einmal andächtig eine zu rauchen. Und wenn einer bei Jesus in Dienst treten will, dann kann er nicht gleich mit dem Urlaub beginnen. Entweder man gehört dazu

und setzt sich sofort voll und ganz ein. Oder man ist eben noch nicht reif zur Nachfolge. Ein Christ lebt von der Zukunft her. Er läßt das Alte getrost zurück und sieht nach vorne auf den Herrn. Er klagt nicht wehleidig über das, was er nicht mehr hat, sondern er freut sich über das, was er mit ihm gewonnen hat.

Dennoch wird immer wieder versucht, uns als die ewig gestrigen hinzustellen. Vielleicht hat man mit diesem Vorwurf auch gar nicht so unrecht. Die Kirche hat doch weitgehend nur versucht, das Bestehende zu erhalten. Viele erwarten das auch von ihr: Sie soll alles beim Alten lassen, das Bestehende als göttliche Ordnung hinstellen, den materiellen Besitzstand und den eigenen geistigen Standpunkt sichern. Die Kirche soll eine feste Insel sein in einer sich ständig wandelnden Welt. Sie ist für viele noch ein Stück der guten alten Zeit.      

Die Kirche hat ihre Kraft in sinnlosen Rückzugsgefechten verplempert, anstatt sich auf die veränderte Umwelt einzurichten und alle Kräfte dafür einzusetzen, daß man auch in Zukunft bestehen kann. Jesus will, daß wir vorwärts schauen. Es geht ihm allerdings nicht um das, was andere mit der Welt vorhaben. Er will nicht menschliche Pläne unterstützen, sondern das verwirklichen, was e r mit der Welt vorhat. Nur wenn wir da mitmachen, wird unser Arbeit einen Sinn haben.          

Es wird uns nicht gesagt, was aus den drei Gesprächspartnern Jesu geworden ist, ob sie mitgegangen sind oder sich abgewandt haben. Aber hier wird an Einzelbeispielen deutlich, welche Opfer unter Umständen von uns verlangt werden. So schwer kann die Nachfolge sein! Aber bei jedem kann das wieder anders aussehen, wir können uns da nicht pauschal festlegen.

Es wird nicht von uns gefordert, präzis das Gleiche zu tun wie ein anderer. Vielleicht müssen wir in einem ähnlichen Fall genau das Entgegengesetzte tun und das ist auch Nachfolge. Unter Umständen führt uns der Ruf Jesu nicht aus der Familie heraus, sondern gerade in sie hinein.         

Es geht nicht darum, daß wir Jesus kopieren, sondern daß wir ihn kapieren. Nachfolge geschieht immer in Freiheit und erfordert viel     Originalität. Wir müssen uns auch heute wieder fragen: Was müssen wir tun, in unserer Lage, in unserer Umwelt und in unserer Zeit? Es werden uns keine Rezepte gegeben. Aber wir werden aufgerufen, nach vorne zu schauen auf Jesus und dann unsere Entscheidung zu fällen.

 

 

Lk 10, 25-37 (13. Sonntag nach Trinitatis, Variante 1):

In manchen Großstädten muß man aufpassen, daß man nicht über die ausgestreckten Beine eines sogenannten „Penners“ fällt. Meist sind es jugendliche Rauschgiftsüchtige, die hier mitten im Zentrum normaler Menschen herumhängen. Da kann es einem schon schwer fallen, nicht hochmütig auf diese Menschen herabzusehen. Allzu leicht kommt doch dem wohlanständigen Bürger der Gedanke: Wie kann man nur so tief sinken? Aber diese jungen Menschen haben doch auch Väter und Mütter, die sich Sorgen um sie machen, die verzweifelt sind und sich fragen: Was haben wir nur falsch gemacht?

Und wenn man dann alles mit dem Wort Gottes in Beziehung setze, dann fragt man sich: „Sind das nicht meine Nächsten, die mir vor die Füße gelegt sind? Bin ich nicht derjenige, der der Nächste für diese Menschen ist? Bin ich nicht auch wie jener Priester in der Erzählung Jesu, der schnell auf die andere Straßenseite geht?“

Er tut so, als hätte er nichts gesehen. Er redet sich damit heraus, er habe jetzt etwas Dringenderes zu tun, seine Pflicht sei jetzt der Gottesdienst im Tempel. Aber dann kommen natürlich auch gleich wieder die Gegenargumente:

- Die sind doch selber daran schuld; wer sich in Gefahr begibt, der kommt darin um.

-Die wollen sich doch gar nicht helfen lassen, die fühlen sich doch wohl mit dieser Art

 zu leben.

- Es ist Aufgabe des Staates und der Hilfsorganisationen, das ist eine Sache für Profis

   und nicht für Amateure.

- Warum soll denn gerade ich eingreifen, es sind doch noch genug andere da.

Es sind doch immer die gleichen Argumente - seit Jahrhunderten - die uns daran hindern, dem anderen zum Nächsten zu werden. Er liegt vor unserer Haustür. Aber wir denken: Solche Verhältnisse wie in den alten Geschichten der Bibel gibt es doch gar nicht mehr.

 

Doch diese Erzählung kann uns noch mehr auf den Leib rücken. Was sagen Eltern, wenn der Sohn kommt und in ein Krisengebiet gehen will. Er hat sich schon impfen lassen, es fehlen nur noch die Papiere! Es müssen Europäer dorthin gehen, um die Hilfsgüter zu verteilen, damit sie nicht auf dem schwarzen Markt landen!

Soll der Aufruf Jesu solche Folgen haben? Sind auch die Menschen in irgendeinem Krisengebiet der Welt unser Nächsten? Wir erleben sie als Fernsehbild, nicht länger als drei Minuten. Daß es hier um menschliche Schicksale geht, kann man ja gar nicht umsetzen. Sind unser Nächsten auch noch die Menschen, die so weit weg sind? Müßten wir nicht erst einmal die erkennen, die vor unserer Haustür liegen? Dürfen wir uns beim Helfen selber in Gefahr begeben?

Wenn einer fragt: „Wer ist Gott?“ dann verstehen wir die Frage. Aber wenn einer fragt: „Wer ist mein Nächster?“ dann schütteln wir mit dem Kopf, denn es weiß doch jeder, wer sein Mitmensch ist. Doch ist es nur die eigene Familie und Verwandtschaft? Sind es die Leute des eigenen Volkes oder auch die Ausländer? Sind es nur die der eigenen Kirche oder zum Beispiel auch die Moslems?

Der Schriftgelehrte will wissen, wer sein Nächster ist, damit er weiß, welchem anderen Menschen er k e i n e Liebe schuldig ist. Ein Samariter zum Beispiel war nach seiner Meinung kein „Nächster“. Die Samariter kamen nämlich nicht mehr zum Tempel, sie hatten sich mit den Heiden vermischt, sie waren keine Volksgenossen mehr. Es bestand eine erbitterte Feindschaft zwischen Juden und Samaritern: Ein Samariter gehörte für einen Juden zu jener Sorte Mensch, vor der man sich als guter Bürger fernzuhalten hatte. Auch wir denken doch leicht: „Das ist ein Ausländer, um den brauche ich mich nicht zu kümmern!“ Oder: „Er ist ein Fremder oder er gehört nicht zur gleichen Kirche wie ich- vielleicht gehört er zu überhaupt keiner Kirche!“

Jesus aber verbietet uns, so zu denken. Man kann gar nicht festlegen, wer der Nächste ist. Wenn einer in Not ist und Hilfe braucht, dann ist er mein Nächster, und ich bin der Nächste, der ihm helfen kann. Wer am schlechtesten dran ist und meine Hilfe am nötigsten braucht, der wird mir zum Nächsten. Da gibt es keine Ausreden, da kann man keine Grenzen ziehen, da wird man einfach von Gott verpflichtet. Man kann gar nicht fragen: „Wer ist mein Nächster?“ sondern man wird immer von dem anderen gefragt: „Wem kannst du jetzt zum Nächsten werden?“

Natürlich hatten der Priester und der Kirchendiener gute Gründe. Der Überfallene hätte ja schon tot sein können, dann hätte der Priester den Gottesdienst nicht mehr halten dürfen. Der war schließlich wichtiger als der Dienst als Krankenpfleger, da warteten Leute auf ihn. Auch der Kirchendiener wurde unbedingt gebraucht, er sollte vorsingen und andere Handreichungen übernehmen. Vielleicht waren die Räuber noch in der Nähe und würden auch noch die Helfer überfallen.

Sicherlich gilt auch, daß man sich nicht verzetteln darf. Man kann nicht alle lieben, kann nicht für alle da sein; das wäre auch nur eine Ausrede und eine Flucht vor der Verantwortung. Aber wir können wenigstens dem Liebe erweisen, der uns so im Weg liegt, daß wir fast darüber stolpern.

Jesus sagt sogar: „Es gibt keine Gemeinschaft mit Gott ohne die helfende Tat an dem Mitmenschen. Niemand kann den Weg zu Gott finden, indem er an dem Bruder vorübergeht. Auch wenn du auf dem Weg zum Gottesdienst bist, gilt für dich das Gebot der Menschenliebe. Dann ist sogar die tatkräftige Hilfe für den Mitmenschen ein Gottesdienst - ein Dienst für Gott!“

Allerdings liegt unser Nächster nicht immer offen auf der Straße. Man muß schon die Augen offenhalten und eine Beziehung zu dem hilfsbedürftigen Menschen aufnehmen. Durch eine Diskussion will man nur einen Aufschub erreichen. Jesus aber fordert den sofortigen Einsatz. Die Frage nach dem Nächsten wird nicht in einer Diskussion gelöst, sondern indem Jesus sagt: „Gehe hin und tue desgleichen!“ Dann wird aus der Lehrfrage eine Lebensfrage. Damit ist auch jener furchtbare Satz verurteilt: „Jeder ist sich selbst der Nächste!“ Wenn wir wirklich so handeln wollten, dann wären wir bald untergegangen.

Im Sinne Jesu muß es richtig heißen: „Jeder ist jedem der Nächste!“ Dann können wir uns auch nicht mit der Überlegung beruhigen, daß sich heute der Staat um solche Dinge kümmern muß. Gewiß haben sich viele Dinge durch den wachsenden Wohlstand und das eng geknüpfte soziale Netz erledigt. In unserm Land brauchen wir das Brot nicht mehr mit den Hungernden zu teilen, es haben alle genug zu essen.

Aber im Weltmaßstab gibt es noch genug Menschen, die unter die Räuber gefallen sind.

Auch diese rücken uns immer mehr auf den Leib. Sie kommen aus den armen Ländern und erhoffen sich bei uns ein besseres Leben. Früher waren es meist Menschen unsers eigenen Volkes. Heute kommen Sinti und Roma aus Rumänien, Polen und Jugoslawen, Albanier und Türken bzw. Kurden. Es kommen Afrikaner und Asiaten. Man bezeichnet sie als „Wirtschaftsflüchtlinge“, aber es sind eher Armutsflüchtlinge. Würden wir nicht auch so handeln, wenn es für die Kinder weder Nahrung noch Medikamente gibt und schon gar nicht Schulbildung und Arbeitsplatz?

Wir haben heute erkannt, daß diesen Menschen in ihrem Heimatland geholfen werden kann. Martin Luther King, der ermordete amerikanische Schwarzenführer, hat in einer Auslegung der Geschichte vom Barmherzigen Samariter gesagt: „Die Christen haben immer nur gewar­tet, bis einer unter die Räuber fiel. Dann sind sie hingegangen und haben ihn verbunden und gepflegt. Heute aber kommt es darauf an, die Straßen so sicher zu machen, daß es keine Räuber mehr gibt. Damit ist mehr geholfen!“

Er wollte damit sagen: „Wir können nicht warten, bis erst etwas passiert ist. Wir müssen schon die Ursachen ausschalten, damit nichts passieren kann. So handeln wir heute als barmherzige Samariter. Erst wenn dann trotzdem noch etwas passiert, können wir Samariter im üblichen Sinne werden!“

Zuletzt können wir noch einmal darüber nachdenken, daß Jesus gleich zweimal in dieser Geschichte vorkommt: Er ist verborgen in dem Überfallenen - wer an dem vorübergeht, der geht auch an Jesus vorüber! Er ist aber auch selber der barmherzige Samariter; er hilft uns, wenn wir in Not sind bzw. schickt uns andere Menschen zur Hilfe. Seine Liebe und unbedingte Bereitschaft für den Mitmenschen kommen auch uns zugute.

 

Lk 10, 25 - 37 (13. Sonntag nach Trinitatis, Variante 2):

Das Paradebeispiel für einen Samariter von heute ist der Mensch, der auf einen Verkehrsunfall stößt. Er sieht einen Motorradfahrer im Straßengraben liegen und muß sich nun blitzschnell entscheiden: anhalten oder weiterfahren? Man hat ja schon öfters Tests unternommen: Ein Unfall wurde nur vorgetäuscht und über 20 Autos sind vorbeigefahren, ehe einer anhielt. Wie oft wird das auch im Ernstfall vorkommen?

Man könnte ja immerhin so tun, als habe man nichts gesehen. So ein Verletzter macht doch allerhand Mühe und Umständlichkeiten: Man verliert kostbare Zeit, der Verletzte könnte das neue Auto verunreinigen, die Polizei wird hinterher allerhand Fragen stellen. Gibt es nicht das Rote Kreuz für solche Fälle? Werden nicht noch andere kommen, die vielleicht viel besser helfen können?

Solche Gründe hatten auch der Priester und der Kirchendiener in der Geschichte, die Jesus erzählt hat. Der Priester sagt sich: „Vielleicht ist er schon tot; und wenn ich ihn dann berühre, darf ich den Gottesdienst nicht mehr halten. Außerdem ist ein Priester keine Krankenschwester; für Verwundete ist er nicht zuständig, so wie jener Theologieprofessor in Göttingen, der einer alten Frau nicht den Handwagen schieben wollte, weil das nicht sein Amt sei.

Und der Kirchendiener sagt sich: „Ich muß mich beeilen, daß ich nicht zu spät zum Gottesdienst komme. Ich muß vorsingen und habe allerhand Aufgaben im Gottesdienst, ohne mich kann es nicht losgehen. Vielleicht sind auch die Räuber noch in der Nähe und würden auch mich überfallen; diese einsame Gegend zwischen Jerusalem und Jericho war schon immer eine unsichere Ecke!“

Es sind heute noch die gleichen Gründe wie damals. Vor lauter Erörterungen über das Für und Wider kommt man nicht zum Helfen: Erst werden einmal die Grundlagen erörtert und Pläne aufgestellt, aber zur praktischen Tat kommt man nicht - eigentlich typisch menschlich, oder soll man besser sagen „typisch deutsch“?

Jesus läßt sich auch zunächst auf eine Erörterung mit dem Schriftgelehrten ein. Dieser will dem bekannten Laienprediger aufs Kreuz legen, ihm gar eine Ketzerei nachweisen. Aber seine Frage kann er sich an sich selbst beantworten, von den Glaubensgrundlagen Israels her, die er ja selber anerkennt. Und er muß sich die Aufforderung gefallen lassen: „Tue das, so wirst du leben!“

Aus einer Lehrfrage ist plötzlich eine Lebensfrage geworden. Plötzlich geht die Theorie unter die Haut und es geht um Leben und Tod. Der Schriftgelehrte kann nicht mehr Zu­schauer bleiben, sondern muß sich der Aussage Jesu stellen: „Du weißt es doch, daß Gott dich fordert, wenn er dir einen Mitmenschen in den Weg stellt. Er hat ein Recht auf deine ganze Liebe. Wenn du es nicht von selber weißt, so sagt es dir doch Gottes Wort und Gebot.

Auch durch staatliches Gesetz ist jeder zur Hilfeleistung verpflichtet. Kraftfahrer werden sogar für den Ernstfall ausgebildet. Aber machen wir uns nichts vor: Wer würde im Notfall tatsächlich helfen? Wer weiß noch, wie man es richtig macht? Guter Wille allein macht

es nicht, es gehört auch etwas Wissen und Erfahrung dazu. Aber ein Opfer kann froh sein, wenn unter den vielen neugierigen Zuschauern einer ist, der tatsächlich zupackt. Es kann nicht jeder in jedem Fall helfen. Aber man sollte auch nicht sensationslüstern dabeistehen und vielleicht noch besserwisserisch kommentieren: „Der ist ja selber schuld daran, weshalb mußte er auch so rasen!“

Aber wir brauchen uns ja nur einmal vorzustellen, wir lägen selber im Straßengraben und brauchten Hilfe. Oder wir sind krank und keiner kommt mal zu Besuch, aus angeblichem Zeitmangel oder aus Furcht vor Ansteckung. Es gibt so viele Gelegenheiten, wo wir die Hilfe anderer nötig haben. Auch deshalb können wir nicht Zuschauer bleiben und erst lange Überlegungen anstellen, ob wir helfen sollen oder können oder nicht.

Der Schriftgelehrte will wissen, wer sein Nächster ist, damit er weiß, welchen anderen Menschen er keine Liebe schuld ist. Ein Samariter zum Beispiel war nach seiner Meinung kein Nächster: Die Samariter kamen nicht mehr zum Tempel, sie hatten sich mit den Heiden vermischt, sie waren keine Volksgenossen mehr. Es bestand eine erbitterte Feindschaft zwischen Juden und Samaritern. Ein Samariter gehörte für die Juden zu jener anderen Sorte Mensch, von der man sich als guter Bürger fernzuhalten hat.

Auch wir denken doch leicht: „Das ist ein Ausländer, um den brauche ich mich nicht zu kümmern. Oder es ist ein Fremder oder er gehört nicht zur gleichen Kirche wie ich, vielleicht gehört er überhaupt nicht zu einer Kirche!“ Jesus aber verbietet uns, so zu denken. Er macht alle Ausflüchte unmöglich und stellt Gottes Gebot unausweichlich vor Augen: Auch die Andersgläubigen und selbst die Gottlosen sind unser Nächsten!

Man kann gar nicht vorher festlegen, wer der Nächste ist. Wenn einer in Not ist und Hilfe braucht, dann ist er mein Nächster und ich bin der Nächste, der ihm helfen kann. Wer am schlechtesten dran ist und meine Hilfe am nötigsten braucht, der wird mir zum Nächsten. Da gibt es keine Ausreden, da kann man keine Grenzen ziehen, da wird man einfach von Gott verpflichtet. Ungefragt wird man zum Nächsten gemacht. Ich kann nie fragen „Wer ist mein Nächster?“ sondern ich werde immer von dem anderen gefragt: „Wem kannst du zum Nächsten werden?“

Es gibt viele Gelegenheiten, wo wir zum Nächsten werden können. Achtlos gehen wir oft an Menschen vorüber, die innere und äußere Hilfe brauchen. Hier gilt es, scharfsichtig zu werden und die Augen aufzumachen, damit wir die Not des Mitmenschen erkennen. Wir können nicht alle Menschen lieben, denn das wäre unmöglich und wäre auch nur eine Flucht vor der Verantwortung. Aber wir können wenigstens dem Liebe erweisen, der uns so im Weg liegt, daß wir fast darüber stolpern.

Jesus sagt sogar: „Es gibt keine Gemeinschaft mit Gott ohne die helfende Tat an dem Mitmenschen. Niemand kann den Weg zu Gott finden, indem er an dem Bruder vorübergeht. Auch wenn du auf dem Weg zum Gottesdienst bist, gilt für dich das Gebot der Menschenliebe. Dann ist sogar die tatkräftige Hilfe für dem Mitmenschen ein Gottes dienst - ein „Dienst für Gott“.

Damit soll rieht gesagt sein, daß es nur darauf ankomme, ein anständiger und hilfsbereiter Mensch zu sein. Mitmenschlichkeit ist nicht mehr als Kirchenlaufen. Und was man so „Humanismus“ nennt ist kein Ersatz für den Gottesdienst. Aber damit ist der furchtbare Satz verurteilt: „Jeder ist sich selbst der Nächste!“ Wenn wir wirklich nach diesem Satz handeln wollten, dann wären wir bald untergegangen. Richtig im Sinne Jesu muß es heißen: „Jeder ist jedem der Nächste!“ Gefragt ist immer nach dem, der liebt.

Wir können uns auch nicht damit beruhigen, daß sich heute der Staat um solche Dinge kümmern muß. Gewiß haben sich viele Fälle durch den gesellschaftlichen Fortschritt erledigt. Wir brauchen heute in unserm Land das Brot nicht mehr mit einem Hungernden zu teilen, es haben alle genug zu essen.

Aber im Weltmaßstab gibt es noch genug Menschen, die unter die Räuber gefallen sind. Wir brauchen dabei gar nicht nur an Entführer, Geiselnehmer und Terroristen zu denken, es gibt auch viele geschniegelte und gebügelte Räuber. Ihnen bereitet das Elend der Menschen im Straßengraben keine schlaflosen Nächte, wenn es um ihr Geld und ihre Macht geht.

Es kann nicht Aufgabe der Kirche sein, gesellschaftliche Veränderungen im großen Maßstab und mit revolutionären Mitteln zu vollziehen.

Aber man kann auch nicht durch christliche Liebesarbeit lösen, was nur durch Veränderung der Gesellschaftsordnung zu lösen ist. Es gibt heute über 6 Millionen Flüchtlinge in der Welt, die Mehrheit davon in Afrika. Die kann man nicht alle anderswo unterbringen, da müssen, die Verhältnisse im Heimatland so gestaltet werden, damit niemand zu fliehen braucht.

Martin Luther King, der ermordete amerikanische Schwarzenführer, hat in einer Auslegung zur Geschichte vom Barmherzigen Samariter gesagt: „Die Christen haben immer gewartet, bis einer unter die Räuber fiel; und dann sind sie hingegangen und haben ihn verbunden und gepflegt. Heute aber kommt es darauf an, die Straßen so sicher zu machen, daß es keine Räuber mehr gibt. Damit ist mehr geholfen!“

Er wollte damit sagen: „Wir können nicht erst warten, bis etwas passiert ist, sondern wir müssen alles tun zur Verhütung von Gefahren. An dem Beispiel vom Verkehrsunfall können wir uns das einmal deutlich machen: Zur Erhöhung der Sicherheit auf der Straße können wir bessere Straßen bauen, verkehrssicherere Autos herstellen, strenge Maßstäbe bei der Fahrschule anlegen, die Verkehrsteilnehmer ständig schulen und in Erster Hilfe ausbilden, strenge Strafen verhängen und manches andere mehr.

Noch konkreter gesprochen: Wann wird endlich Schluß gemacht mit dem Verbrechen, die Autos auf dem Bürgersteig abzustellen, so daß die Fußgänger auf die Fahrbahn treten müssen? Wenn einer schon sein Fahrzeug falsch parken zu müssen glaubt, dann soll er es auf der Fahrbahn abstellen und seine Kraftfahrerkollegen behindern und nicht vor allem Kinder und alte Leute gefährden. Wenn erst einmal etwas passiert ist, dann ist es zu spät. Wir müssen die Ursachen ausschalten, damit gar nicht erst etwas passieren kann. So handeln wir heute als barmherzige Samariter. Und wenn dann dennoch etwas passiert, dann ist immer noch Gelegenheit, ein Samariter im üblichen Sinne zu werden.

Dieses Bild vom barmherzigen Samariter hat ja Geschichte gemacht und ist heute immer wieder aktuell. Dieses Bild hat die Liebesarbeit der Kirche in Gang gesetzt und ist zum Leitbild der Diakone geworden. Viele Christen sind dadurch angetrieben worden, hinzugehen und desgleichen zu tun. Auch wir sollen            dadurch in unserm Gewissen wachgerüttelt werden und in Bewegung gebracht werden. Gelegenheiten zum Helfen finden sich genug.

Zuletzt könnten wir noch einmal darüber nachdenken, daß Jesus selber gleich zweimal in dieser Geschichte vorkommt. Er ist verborgenen in dem Niedergeschlagenen; wer an ihm vor­über­geht, der geht auch an Jesus vorüber. Er ist aber auch selber der barmherzige Samariter, der uns hilft, wenn wir in Not sind bzw. uns andere Menschen zur Hilfe schickt. Seine Liebe und unbedingte Bereitschaft für den Mitmenschen kommen auch uns zugute.

 

 

Lk 10, 38 - 42 (Estomihi):

Wenn der Pfarrer zu alten Leuten kommt, um ihnen zum Geburtstag zu gratulieren, dann haben diese oft nichts Eiligeres zu tun, als etwas zu essen herbeizuschaffen. Kaum hat der Pfarrer einen Satz gesagt, da sitzt er auch schon wieder allein und die Oma hantiert draußen in der Küche herum. Sicherlich ist das gut gemeint, aber nicht der Sinn des Besuchs. Wenn ein Arzt kommt, dann setzt man ihm doch auch nicht erst Kaffee und Kuchen vor!

Würden wir uns denn in Maria oder in Martha wiedererkennen? Viele würden sofort sagen: „In Maria!“ Denn sie kennen ja das Urteil Jesu. Aber im Alltag ist Martha unsre Idealgestalt. Wir wollen doch alle tätige und schaffende Menschen sein und auch von anderen als solche angesehen werden. Wer nichts oder wenig tut, das ist doch ein Gammler - und das ist fast das Schlimmste, was man von einem Menschen sagen kann. Ein Christ ist arbeitsam und fleißig, er tut seine Pflicht und weiß, was sich gehört.

Gegen Martha ist doch eigentlich nichts zu sagen. Ihr gehört das Haus. Als Gastgeberin ist sie verpflichtet, den Gast fürsorglich und nobel zu bewirten. Jesus soll sich erst bei ihr wohlfühlen. Man soll ihr nicht nachsagen können, sie gäbe sich nicht alle Mühe.

Jesus hat natürlich mit seinem unangemeldeten Besuch nicht die Hausfrau in Verlegenheit brin­gen wollen. Und doch beginnt Martha eilig mit einer lärmenden Geschäftigkeit, die einem auf die Nerven gehen kann. Man meint richtig das Klappern mit den Töpfen und Küchengeräten zu hören, man sieht das eilige Hantieren und Hasten. Vielleicht übertreibt Martha auch noch ein wenig, um ihre Kritik am Verhalten Marias noch deutlicher zu machen.

Martha will Jesus dazu bringen, Maria zu tadeln, die sich nicht um ihre Pflichten kümmert, jedenfalls nicht heute, wo doch so hoher Besuch da ist. Sie regt sich darüber auf, daß Jesus eine Frau als Zuhörerin duldet und mit am Tisch sitzt, anstatt mit zu bedienen. Religion ist bis heute bei den Juden eine Männersache. Jesus aber durchbricht die Sitte, weil auch die Frau die Verkündigung nötig hat.

Heute ist es ja eher umgekehrt. Bei uns scheint es Sitte zu sein, daß vorwiegend nur die Frauen in die Kirche kommen. Die Männer halten den Kontakt mit Christus für unter ihrer Würde und entwerten sich damit selbst. Angeblich hat ein Mann andere Aufgaben und Religion sei angeblich Weibersache.

Eines der Kennzeichen unsrer Zeit ist die Betriebsamkeit. Ein betriebsamer Mensch ist einer, der nicht aufhören kann, immer etwas zu tun. Unrast aber zerstört die Ordnung des Lebens, die im Wechsel von Ruhe und Arbeit besteht. Man hat dann keine Zeit mehr für andere und auch keine Zeit für Gott. Das erste Opfer der Unrast ist der Feiertag, weil der Mensch ja nicht mehr hört, daß Gott ihm sein Leben gibt und erhält. Er will deshalb sein Leben durch beständiges Schaffen selbst sichern und weiß doch nie, ob er genug getan hat.

Alle Geschäftigkeit ist ja nur äußerer Ausdruck für die Lebenshaltung, die sich dahinter verbirgt. Danach drückt sich Liebe aus in der Fürsorge für andere. Wer als Vater oder als Pate große Geschenke macht, der hat seine Kinder lieb. Auch Martha sorgt ja nicht für sich selbst, sondern für den Gast. Sie serviert, sie übt „Diakonie“ in dem ursprünglichen Sinn des Wortes. Gerade durch diese niedrige Arbeit will sie ihre Verehrung zeigen. Die Hauswirtschaft ist ihr Spezialgebiet, da kann sie am besten ihre Verehrung zeigen.

Jesus hat ja kurz vorher selber zu dem Pharisäer gesagt: „Gehe hin und tue desgleichen. Hilf dem, der unter die Räuber gefallen ist, so wie der barmherzige Samariter ihm geholfen hat!“ Wäre ein Bettler gekommen und Martha hätte ihm auch so aufwendig bewirtet, dann hätte sie Jesus sicher gelobt. Jesus erwartet die praktische Liebe. Er erkennt auch die Mühe der Martha an, sie hat schon etwas Richtiges aus der Verkündigung Jesu begriffen.

Und dennoch sagt Jesus zu Martha: „Du gehst ganz auf in der Sorge um die Erhaltung des leiblichen Lebens. Dabei braucht der Mensch so wenig zum Leben. Genaugenommen braucht er nur eins: „Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes, so wird euch das andere alles zufallen!“ Man darf über dem Hören das Tun nicht vergessen, aber über dem Tun auch nicht das Hören („Bete und arbeite!“ sagten die Mönche).

Martha meint, sie müßte Jesus bedienen. Aber dadurch gibt sie ihm keine Gelegenheit, ihm Gutes zu tun. In  Wirklichkeit will J e s u s doch den Menschen dienen. Er ist auf dem Weg nach Jerusalem, dem Kreuz entgegen. Er wird nur kurz bleiben können; da kommt es darauf an, ihm zuzuhören und sich durch nichts ablenken zu lassen.

Auch wir meinen, wir müßten so viele Dinge besorgen, die nach unsrer Meinung unverzichtbar zum Leben dazugehören Notfalls müssen auch noch der Feierabend und der Feiertag dazu herhalten, nur damit wir verdienen und beschaffen können. Aber am eigentlichen im Leben geht man dabei leicht vorbei. Das Leben ist kurz. Und wenn es nur Mühe und Arbeit gewesen ist, dann ist das doch eigentlich schade.

Wir müssen auch einmal eine Ruhepause einlegen, nicht nur körperlich, sondern auch innerlich. Sonst werden wir trotz aller Arbeit nicht fertig, sondern machen uns fertig. Das gilt für Männer genauso wie für Frauen. Gerade die verkürzte Arbeitszeit gibt uns da doch neue Möglichkeiten. Doch unsre Arbeit nimmt uns oft noch so in Anspruch, daß wir damit zwar vielleicht die ganze Welt gewinnen, aber dabei am Leben Schaden nehmen. Vor lauter Sorge, wir könnten etwas verlieren oder zu kurz kommen, werden wir dann zu Sklaven unsrer Umwelt und können uns gar nicht mehr so still hinsetzen wie Maria.

Auch in der Kirche machen wir uns sicher manche unnötige Sorge. Manche möchten in der sich wandelnden Zeit möglichst viel von den alten Traditionen retten. Andere fürchten, daß mit dem wissenschaftlichen Denken der Glaube an Gott verblassen könnte. Und wieder andere zerbrechen sich den Kopf darüber, wie die Botschaft vom Heil Gottes bei möglichst Vielen an den Mann gebracht werden kann. Aber all das sind falsche Sorgen.

Bei allen Sorgen um unsre Kirche, um unsre Familie und unsre Zukunft brauchen wir nur die eine Sorge zu haben: daß Jesus dabei ist! Wenn er im Mittelpunkt ist, wird sich das andere schon ergeben. Daran hat sich Maria gehalten. Deshalb hat sie dann beim Zulangen auch die bessere Portion erwischt, wie Jesus nicht ohne Schmunzeln sagt. Wer könnte ihr dieses Stück wohl wieder wegnehmen?

Es ist ja Jesus, der das alles gegeben hat. Nicht er ist unser Gast, sondern wir sind bei ihm zu. Gast. Das ist der Unterschied zwischen den Religionen und dem christlichen Glauben: In den Religionen geht es darum, daß die Menschen Gott einen Dienst erweisen. Aber bei uns geht es darum, daß Gott etwas für uns leistet. Das e i n e, das not tut, ist eben Gottes Werk an uns.

Wir können menschliche Konflikte z.B. in einer Ehe nicht aus uns selber überwinden. Da muß ich Gott schon an die Sache heranlassen, damit er sie ihn die Hand nimmt. Eine Frau, die nicht der Kirche angehört und von ihrem Mann geschieden war, fragte einmal: „Gibt es das

bei den Christen denn auch so oft, daß man nachher wieder auseinanderläuft?“ Wir kennen keine Statistik darüber. Aber man kann sich vorstellen, daß eine Ehe unter bewußten Christen trotz aller Spannungen doch besser zurechtkommt!

Natürlich ist auch der Glaube kein Allheilmittel. Und es ist auch nichts damit gewonnen, wenn man Jesus mißversteht und sich faul hinsetzt und zusieht, wie andere sich abmühen. Es genügt nicht, sich fromm berieseln zu lassen, ohne eine Folgerung aus dem Hören zu ziehen. Maria war keine „Kanzelschwalbe“, die nur dem Prediger zuliebe zuhört.

Maria will wirklich zuhören, nicht nur hören. Sie fragt wirklich echt: „Was willst du, das ich jetzt tun soll?“ Sie ist nicht nur irgendwo organisiert als passives Mitglied, sondern sie ist wirklich engagiert. Vor allen Dingen läßt sie sich nicht durch Äußerlichkeiten ablenken. Das geschieht ja meist, wenn man nur den Radio- oder Fernsehgottesdienst zuhört.

Er ist ein guter Notbehelf für Kranke, aber nur ein schwacher Ersatz für Gesunde. Denn in der Praxis kommt man doch nur selten zum Zuhören: Da kommt jemand zu Besuch, da fällt einem noch etwas Wichtiges ein, da muß noch Hausarbeit gemacht werden. Da gibt es so viele Nebengeräusche, die nicht zu einem gesammelten Hören kommen lassen.

Es dringt ja auch in der Tat viel zu viel auf uns ein. Vor lauter Geräuschen hören wir nur schwer die Stimme heraus, die mit uns reden will. Hier brauchen wir einfach eine Art von Askese, indem wir uns von dem Allzuvielerlei befreien und die Stunden des Offenseins erkämpfen.

Der Gottesdienst in der Kirche ist sicher eine Hilfe dazu. Hier ist wirklich einmal alles abgeschaltet, hier gibt es nur noch das eine, das wirklich not tut. Gerade für Menschen, die sich nicht ablenken lassen, wird der äußere Rahmen sehr gut tun.

Wenn am Anfang der Woche das Wort Gottes steht, dann werden wir mit all unserer Mühe und Arbeit getragen und werden davor bewahrt, der Sorge zu verfallen. Es gibt viele Frauen, die haben wirklich die Woche über von morgens bis abends zu tun: Beruf, Haushalt, Kinder.  Manchmal werden sie nicht wissen, wo ihnen der Kopf steht. Aber sonntags geht es zum Gottesdienst. Diese eine Stunde will man sich nicht nehmen lassen. Nachher ist dann auch wieder Zeit zum Arbeiten, zum Kochen und Servieren.

Jesus wäre sicherlich auch enttäuscht, wenn wir untätig blieben und uns nur auf die faule Haut legten. Wir sollen nicht passiv sein wie in einer Narkose, sondern aufnahmebereit und mit der ganzen Person offen für das, was auf uns zukommt. Aber wenn Jesus mit uns reden möchte, dann hat alles andere zu schweigen und in den Hintergrund zu treten.

Arbeit gibt es immer. Es wird auch immer genug Menschen geben, denen wir Gutes tun können. Wenn wir ihnen Gutes tun, haben wir es Jesus getan. Aber nicht immer haben wir Gelegenheit, Gottes Wort zu hören. Deshalb sollten wir die wenigen Gelegenheiten nutzen. Wir sind alle so wie Martha zum Zuhören eingeladen. Wenn Jesus uns anspricht, will er uns auch in ein Gespräch verwickeln. Deshalb gilt es, die Ohren offen zu halten und bereit zu sein für seine Stunde.

 

 

Lk 11, 5 - 13 (Rogate):           

Die Gegenwart ist immer die beste aller Zeiten. Früher war alles schlechter: Es gab regelrechte Notstandsgebiete, viele Kinder starben, die Arbeit war hart und gesundheitsschädigend, es gab keine Kranken- und Rentenversicherung, das Schulwesen war unterentwickelt und die Menschen lebten in einem Obrigkeits- und Polizeistaat ohne Entfaltungsmöglich­keiten.

Heute dagegen ist alles besser, es geht immer noch bergauf und wir gehen herrlichen Zeiten entgegen. Das ist das Lebensgefühl, das uns immer wieder vermittelt werden soll, vor allem von den Politikern. Wir sollen uns in der Gegenwart wohlfühlen und die bestehenden Verhältnisse bejahen und unterstützen. Die Menschen haben ja in der Tat auch viel geleistet und leisten es noch. Die Menschen können heute Vieles und sind mit Recht stolz darauf. Und sie arbeiten alle daran, das Leben immer weiter zu verbessern.

Da hat es die Kirche schwer mit ihrer Aufforderung zum Beten. Der heutige Sonntag heißt „Rogate“, zu deutsch: „Betet“! Aber mancher wird denken: Durch Beten werden die Probleme in der Welt nicht gelöst. Wir müssen arbeiten, um etwas essen zu können; nur wenn wir etwas leisten, können wir uns etwas leisten. Doch Arbeit ist nur das halbe Leben. Und es wäre gut, wenn wir die andere Hälfte nicht aus dem Blick verlören: der Glaube-, die Kirche, das Gebet.

Der Mensch als das Ebenbild Gottes ist zum Gespräch mit Gott bestimmt. Arbeiten kann auch die Maschine; die elektronischen Geräte können das sogar schneller und genauer als die Menschen. Aber niemals kann eine Maschine zum persönlichen Gegenüber werden, so wie das bei Menschen möglich ist und bei Gott der Fall ist. Das Besondere des Menschen liegt darin, daß er zur Gemeinschaft fähig ist, zu einer Gemeinschaft, die mehr ist als ein elektrischer Schaltvorgang. Hier kann der Mensch seine Würde finden, hier zeigt sich, daß er Gottes Ebenbild ist.

Wenn das Gebetsleben abstirbt, dann ist das nicht ein Schaden am Rande unseres Lebens, sondern ein Schaden in der Mitte. Wenn aber dort etwas faul wird, dann ist bald alles hinüber. Deshalb ist es so wichtig, daß unser Inneres in Ordnung ist. Gott will uns durch das Gebet zu innerer Gesundheit helfen.

Wenn zwei Menschen nicht mehr miteinander reden, dann ist das eine schlimme Sache. Gott aber ist unser Freund, der ständig mit uns im Gespräch sein will. Er ist nicht ein weltanschauliches Museumsstück, das man nur zu besonderen Anlässen wieder einmal hervorholt. Er ist vielmehr ein lebendiger Gott, der uns jeden Tag unseres Lebens nahe sein will.

Manchem fällt er allerdings erst in einer äußersten Notsituation ein. Nur wenn keine andere Hilfe möglich ist, dann erinnert man sich an Gott. Er möchte uns aber gerade in der Mitte unseres Lebens begegnen, wo wir uns stark fühlen und glücklich sind. In jeder Lage finden wir Gehör bei Gott. Deshalb sollen wir es auch immer wieder wagen, ihn zu bitten.

Die Geschichte vom bittenden Freund will uns ja gerade deutlich machen, daß wir zu jeder Zeit und mit jeder Sache zu Gott kommen dürfen. Schon unter den Menschen gilt es als selbstverständlich, daß man sich untereinander aushilft. Man muß dem Nachbarn helfen, der unerwartet noch Besuch bekommen hat, auch wenn es Nacht ist und die ganze Familie aufwachen könnte. Schon unter den Menschen ist es unvorstellbar, daß man in einem solchen Fall nicht hilft. Da will Gott erst recht und in einem viel höheren Sinn helfen.

Aber er will ausdrücklich gebeten sein. Wenn ein Kind heimkommt und brüllt: „Hunger“, dann werden die Eltern nicht gleich reagieren und etwas zum Essen herbeischaffen. Sie volle erst höflich und ausführlich angeredet sein, ehe sie etwas tun. Manchmal halten sie sich auch absichtlich zurück, damit das Kind bitten muß. Sie könnten ja auch alles wortlos auf den Tisch stellen. Aber sie wollen gebeten werden und auch die Dankbarkeit der Kinder spüren können.

So ist das auch bei Gott: Wer etwas erbittet, erweist sich damit als Kind Gottes.  Und Gott gibt uns dann Brot und nicht Steine, er gibt uns Fisch und nicht eine Giftschlange. Von Gott ist das doch noch eher zu erwarten als vor einem Menschen, der vielleicht seine Kinder liebhat, aber doch in seinem Wesen böse und schlecht ist.

Unser Gebet kann auch ein absichtsloses Gespräch mit Gott sein. Wir können ihm die uns bewegenden Fragen und Entscheidungen vorlegen, können unsre Vorhaben und Aufgaben mit ihm besprechen oder uns unter seinen Augen über den einzuschlagenden Weg besinnen. Aber Jesus ermutigt uns auch ausdrücklich zum Bittgebet. Bei Gott ist das Bitten ganz besonders angebracht, weil er ja auf unsre Bitten wartet! Er hat immer Sprechstunde. Man wird bei ihm nicht schon im Vorzimmer abgefertigt. Deshalb die Aufforderung: Wagt es doch, ihn zu bitten!

Und dazu gehört als Zweites die Zusage: Gott gibt euch, was ihr bittet! Oft meinen wir, hier seien nur „innere“ Gaben gemeint: Klarheit und Mut, Bereitschaft zur Verständigung mit einem schwierigen Kollegen, Freiheit von Angst und Sorge, Überwindung von Zweifel und Niedergeschlagenheit. Aber wie wird es sein, wenn er erst allerlei Hebel in Bewegung setzen muß, vielleicht sogar Naturgesetze außer Kraft setzen soll? Können wir auch bitten: Mache mein Kind gesund, erhalte uns den Frieden in der Welt, bewahre uns vor Katastrophen? Darf man so etwas auch erbitten?

Das ist gerade das Erstaunliche, daß Gott alle unsere Bitten erhören will. Wir beten ja nicht, weil das unser gutes Recht wäre, das uns von vornherein und selbstverständlich zusteht. Wir sind nicht Gottes gleichberechtigte Partner. Schon gar nicht können wir ihn unter Druck setzen. Wir haben keine Macht über ihn und er ist uns in keiner Weise verpflichtet. Aber Jesus ermächtigt uns zum Gebet, obwohl wir doch so oft ohne Gott haben leben wollen. Und er sagt: „Gott erwartet das sogar von euch. Und wenn ihr euch da zurückhaltet, dann habt ihr ihn noch nicht begriffen und er ist mit euch noch nicht zum Ziel gekommen!“

Allerdings gibt Gott nur das Notwendige, also das, was die Not wendet, was wieder Lebensmut und Kraft schenkt. In dem Beispiel aus dem Evangelium taten es ein paar Scheiben Brot, ein reiches Mahl mit vielen Gängen war ja gar nicht nötig. Aber niemand sollte deshalb meinen, er dürfte Gott nicht mit seinem täglichen Kleinkram auf den Wecker fallen. Freunde können sich alles sagen, auch wenn manchmal dummes Zeug dabei ist. Oder Kinder kommen mit allen möglichen Wünschen zu den Eltern. Sie dürfen das, aber die Eltern entscheiden dann, was not tut und was nützlich ist oder Freude macht.

Auch Gott dürfen wir zunächst einmal alle Bitten vortragen. Doch dann sollten wir schon dazusagen: „Nicht mein Wille, sondern dein Wille geschehe!" Doch dies nicht gleich am Anfang, sondern erst am Ende. Gott ist nicht der Lieferant all dessen, was wir nötig haben, als Person aber uninteressant und unwichtig. In jeder Gabe steckt der Geber mit drin. Und wenn er einmal nicht sofort auf unsre Bitten eingeht, dann könnte das ein Anreiz sein, noch beharrlicher auf ihn zuzugehen und dabei nicht nur die Gabe, sondern auf den Geber selbst im Blick zu haben.

Gott gibt uns sogar mehr, als wir bitten. Angeblich hat der eine oder andere die Erfahrung gemacht: Gott erhört meine Bitten nicht! Aber hängt das nicht auch mit unsrer Angewohnheit zusammen, nur die Fälle im Gedächtnis zu behalten, in denen Gott anders entschieden hat, als wir es wollten? Und wie ist es mit all den Dingen, die er uns wortlos gewährt hat, ohne daß es uns auch nur eingefallen wäre, ihn darum zu bitten? Wir müssen in der Tat damit rechnen, daß Gott uns etwas anderes gibt, als wir erbeten haben. Aber liegt das nicht meist daran, daß wir ihn um etwas Dummes oder gar Schädliches gebeten haben? So wie die Menschen ihren Kindern nichts Gefährliches oder Schädliches geben, so dürfen wir erst recht Gott zutrauen, daß er uns nur das Gute oder sogar das Beste geben will.

Mit dem Gebet ist es halt nicht so wie mit einem Automaten. Dort können wir über das Warenangebot frei verfügen. Wenn wir Geld einwerfen, kommt auch prompt die gewünschte Ware heraus. Aber beim Gebet geht es nicht so: Das Gebet aufsagen wie einen Zauberspruch

und dann „Sesam öffne dich“ und das Erbetene ist da. So einfach ist das nicht. Gott erwartet vielmehr von uns, daß wir ihm auch dann vertrauen, wenn er etwas anderes gibt als das Erbetene.

Nicht vergessen darf man dabei auch, daß Beten nicht das eigene Tun ersetzt. Niemand soll sagen dürfen: „Die Christen haben immer nur die Hände gefaltet und das Kämpfen den anderen überlassen!“ In dem Schauspiel „Mutter Courage“ von Bertolt Brecht wird das etwa gesagt: Im Dreißigjährigen Krieg haben die kaiserlichen Truppen die Stadt Magdeburg eingeschlossen. Die Bewohner liegen in tiefem Schlaf, und wenn sie nicht jemand warnt, sind sie verloren. Einige Bauern draußen vor der Stadt jammern nur und beten für die Stadt. Die stumme Kattrin aber, die Tochter der Mutter Courage, nimmt eine Trommel und macht damit solchen Krach, daß die Leute in der Stadt geweckt werden. Brecht will damit doch wohl sagen: Beten hilft nichts, es kommt allein auf die Tat an.

Auch Erich Kästner macht in einem Gedicht den Vorwurf:

„Die Menschen wurden nicht gescheit.

Am wenigsten die Christenheit, trotz allem Händefalten.

Du hattest sie vergeblich lieb. Du starbst umsonst.

Und alles blieb beim Alten!“

Ganz anders klingt dagegen das Lied aus unsren Tagen von Kaus Biehl:

„Um Frieden haben wir schon oft gebetet, viele schöne Worte schon gemacht.

Es wär auch schlimm, wenn man nicht davon redet, doch wer hat schon an die Tat gedacht?

Es wär gut, wenn wir nicht nur die Hände falten, sondern sie auch rührten für die Welt,

denn den Menschen helfen, Leben zu erhalten, fordert unser aller Zeit und Geld!“

Die Christen wissen heute sehr wohl, daß es mit Beten allein nicht getan ist, sondern auch auf die Tat ankommt. Das wiederum heißt aber nicht, daß wir nur arbeiten sollen. Wir verstehen uns sowieso viel zu sehr vor der Arbeit her und bemessen nach ihr den Wert des einzelnen Menschen. Von der Arbeit erwarten wir die Besserung unseres Lebens und vielleicht sogar die Erlösung der Welt.

Das ist das, was unseren Weg bestimmen soll: Wir haben einen Gott, der uns hört. Wir dürfen es wagen, ihn zu bitten. Er will sogar gebeten sein und uns das geben, was wir erbitten und manchmal sogar noch darüber hinaus. Wer durch das Gebet mit Gott in Verbindung bleibt, der hat einen starken Halt im Leben.

Zum Schluß dieses Abschnitts heißt es dann: „Gott wird den heiligen Geist geben denen, die ihn bitten.  Für manchen mag das enttäuschend sein: Ihm geht es um Urlaubsplatz, Eheglück, Gesundheit, Lottogewinn. Aber Gott spricht „nur“ vom Heiligen Geist. Da will er uns wohl mit etwas trösten, das nichts kostet?

Aber ob es ihn nichts kostet, wäre noch zu prüfen. Immerhin hat er seinen Sohn hingeben müssen, damit die Verbindung mit den Menschen bestehen bleiben konnte. Und der Heilige Geist setzt nach Jesus den Kontakt fort. Wenn wir die Kraft des Heiligen Geistes in uns verspüren, dann wird sich das auszahlen bis zu unserer letzten Stunde. Vielleicht werden wir dann auch zunächst den Eindruck haben: Jetzt schlägt er mir auch noch meine letzte Bitte ab! Aber in Wirklichkeit gibt er doch das Beste, das er zu vergeben hat: die unzerstörbare Gemeinschaft mit ihm! Der Heilige Geist - wie er uns zum Beispiel in der Konfirmation zugesprochen wird - ist eine Anzahlung darauf. Er wird sich wirksam erweisen, heute und alle Tage unseres Lebens.

 

 

Lk 11, 14-23 (Drittletzter Sonntag Variante 1):

Wenn einer nach seinem Ergehen gefragt wird, dann sagt er gelegentlich: „Danke, es geht mir ganz gut, unberufen, toi, toi, toi!“ Man will das Glück nicht zu sehr loben, damit es .sich nicht wendet. Deshalb sagt man. „unberufen“. Man will das Unglück nicht herbeirufen. Und zur Hilfe ruft man dreimal den Teufel an, denn nichts anderes ist gemeint mit dem Wort, das man nicht mit „ob“ schreiben sollte, sondern mit „ei“, weil es eine Abkürzung für „Teufel“ ist. Besonders soll noch helfen, wenn man dabei dreimal auf Holz klopft; aber das ist auch nur so ein Aberglaube.

Das alles geschieht aber in einer Zeit, in der man einen Predigttext wie den heutigen als eine Zumutung für den modernen und aufgeklärten Menschen ansieht. Werden wir hier nicht in eine finstere, vielleicht vorchristliehe Zeit versetzt? Es befremdet uns, daß Jesus selber von einer Teufelsaustreibung spricht und sie als Zeichen des Anbruchs der Gottesherrschaft wertet. Und doch kommen wir hier gerade in das Zentrum der Botschaft Jesu.

Allerdings wendet Jesus hier nicht einen Zauber an, sondern er sagt: Mit dem Finger Gottes treibe ich die Teufel aus. Diese Vorstellung taucht zum ersten Mal im Alten Testament auf, als die ägyptischen Zauberer ihrem König sagen: „Was da durch Mose geschieht, all die schlimmen Plagen, das ist der Finger Gottes. Damals hat Gott seine Macht den Mächtigen in der Welt deutlich gezeigt.

Wenn Gott doch auch heute eingreifen würde in einer Welt, in der wir täglich von neuen Schrecken hören, denken wir. Trotz des materiellen Fortschritts kommen Menschen in immer mehr in Abhängigkeiten, äußerer und innerer Art. Ist Gott ohnmächtig in der Welt, in der die Gewalttaten sich mehren? Ist der Teufel los? Oder gibt es eine Hoffnung, daß wir menschlicheren Zeiten entgegengehen?

Doch woran soll man erkennen, daß mit Jesus schon das Reich Gottes gegenwärtig ist, daß schon hier bei uns etwas angefangen hat von der neuen Welt Gottes? Wir werden erst entdecken müssen, wer Jesus ist, denn mit dem Verstand des natürlichen Menschen werden wir

es nicht erkennen können.

Offenbar war das Heilungswunder doch nicht eindeutig. Man deutet Jesu Heilstat als Zauberei, meint einfach, daß sein Erfolg ein teuflisches Blendwerk sein könnte. Man will erst noch ein neues Zeichen vom Himmel, etwa.eine Sonnenfinsternis oder das Fallen eines Sterns, schön auf Kommando.

Aber was Jesus da in dem Streitgespräch sagt, ist nicht gerade überzeugend: Mit einer Un­einigkeit im Lager des Teufels kann man noch nicht seine eigene Sendung durch Gott beweisen. Ebenso wenig kann das die Tatsache, daß auch die Gegner böse Geister austreiben wollen und deshalb auch an der Zweideutigkeit solche n Tuns einen Anteil haben.

Jesus sollte lieber aus der Verborgenheit heraustreten, schon heute zeigen, wer er ist. Aber noch will er, daß die Menschen im Glauben zu ihm finden und nicht durch Schauen. Sicher hätte man es einfacher, wenn man alles klar und deutlich vor Augen sehen könnte. Ganz gewiß wirkt sich die Herrschaft Gottes auch in Krafttaten aus. Aber es geht nicht um vorder­gründige Erfolge auf der Ebene des Sichtbaren, um billige Augenblickserfolge.

Gott möchte sich in unseren Herzen durchsetzen. Er will die Welt nicht durch Machteinsatz erobern, sondern durch den persönlichen Einsatz seiner rettenden Liebe. Natürlich könnte sich Gott mit jeder Macht messen und würde dabei sicherlich nicht unterliegen. Aber es gibt schon genug Gewalt in der Welt. Wenn auch Gott noch dreinschlagen wollte, dann bliebe nur eine verwüstete Welt zurück oder vielleicht auch gar keine Welt mehr.

Es leiden schon genug Menschen, ganze Völker und Staaten darunter, daß sie beherrscht werden. Sie sind.nicht nur in ihrer Handlungsfreiheit beschränkt, sondern auch in ihren Gedanken gefesselt. Gedankensysteme sollen ihnen übergestülpt werden, Rollen werden ihnen aufgezwungen und Gefühle aufgenötigt. Es wird ihnen vorgeschrieben, wer ihre Freunde zu sein haben und wo der Feind steht. So wird das eigene Leben erstickt und gehemmt und die mensch­liche Eigenentwicklung hat nur noch wenig Raum.

Man will Macht über den anderen haben, ein Mensch über andere Menschen und ein Volk über andere Völker. Das ist das Wesen des Imperialismus, daß er sich nicht mit dem eigenen Besitzstand zufriedengibt, sondern auch von anderen Besitz ergreifen will, von Dingen und vor Menschen. So erleben wir es alle Tage wieder.

Gott aber ist kein Imperialist. Er möchte, daß wir ihr auf seine Weise erkennen: Er will uns nicht mit Gewalt zwingen, sondern wir sollen selber erkennen, daß er die wahre Kraft von oben ist. Wenn man ihn, erkannt hat, dann wird man schon zwischen ihm und bösen Mächten unterscheiden können. Dann wird man merken, daß er nicht unterdrücken will, sondern freie Menschen wünscht, die so leben können, wie er es bei der Schöpfung gewollt hat.

Wo Gott ist, wo Jesus ist, da ist Freiheit. Jesus hat einen gebundenen Menschen frei gemacht, indem er klarstellte, wem dieser Mensch gehört. Jesus kam nicht in ein Niemandsland. Er mußte die Welt erst einer unsichtbaren Gegenmacht entreißen. Der kranke Mensch war für ihn wie ein Haus, in dem ein böser Wächter dafür sorgt, daß niemand eindringen kann. Solange er das Haus belagert, ist dort Ruhe, wenn auch eine mit Gewalt erzwungene .Ruhe. Aber dann kommt ein Stärkerer und nimmt dem Wächter die Rüstung ab. Jetzt ist er machtlos und das Haus kann ausgeraubt werden.

Das ist die frohe Botschaft Jesu: Der Starke ist nicht so stark, als daß er nicht überwältigt werden könnte. Der Teufel ist der Schwächere, der vom Finger Gottes gefesselt wird. Damit aber ist der Mensch befreit. Der Teufel hatte nur so lange Macht, als er den Menschen erpressen konnte mit seiner Angst vor der Aufdeckeng der Schuld. Vorher konnte er immer sagen: Bei dem, was ihr auf dem Kerbholz habt, habt ihr sowieso verspielt? Doch so etwas verfängt nur solange die belastende Strafakte nicht vernichtet ist bzw. ein anderer die Strafe auf sich nimmt. Das aber hatte Jesus getan. Nun können wir wieder als entlastete Menschen unbefangen vor Gott treten.

Somit leben wir in einer neuen Freiheit. Womit der Böse uns gefangen hat, das braucht uns nicht mehr zu beeindrucken: Die Schuld, die wir einander vorgerechnet und nachgetragen haben, die Argumente, mit denen wir den anderen herabgesetzt und unmöglich gemacht haben; das Mißtrauen, mit dem wir menschliche Gemeinschaft zerstören.

Wo Jesus ist, fahren die bösen Mächte aus. Aber auch als Christen haben wir natürlich diese Teufelsaustreibung nicht ein für alle Mal hinter uns. Wir haben unsre Freiheit nur, indem wir sie Stunde für Stunde von Gott erbitten.

Praktisch heißt das aber auch, daß wir uns immer wieder für Gott entscheiden müssen. Ein Stummsein aus Furcht vor der Verantwortung oder aus Gleichgültigkeit ist keine Lösung. Wir können der Stellungnahme nicht ausweichen; ein Abseitsstehen ist auch eine Entscheidung, wenn auch eine schlechte. Wenn ich stumm bleibe, wenn andere über einen Kollegen herziehen, dann werde ich mitschuldig; Angst, sich unbeliebt zu machen, ist da keine Ausrede. Wer in der Nachfolge Jesu leben will, darf das Böse nicht achselzuckend oder furchtsam beobachten, sondern muß aktiv werden und es besiegen helfen. Dann geschieht etwas Ähnliches wie bei der Dämonenaustreibung. Dann muß das Böse weichen und ein Stück heile Welt wird sichtbar.

Luther vergleicht den menschlichen Willen mit einem Reittier, um das sich Gott und der Satan streiten. Hat Gott sich darauf gesetzt, so geht es dorthin, wo Gott es will. Hat aber der Satan sich darauf gesetzt, so geht es dorthin, wo der Satan will. Das sieht so aus, als sei der Mensch nur Spielball der Mächte und könne sich gar nicht entscheiden. Aber in Wirklichkeit werden wir aufgerufen, Partei zu ergreifen. Weil Jesus da ist, ist eine wahre Entscheidung erst möglich geworden: Wir brauchen nicht sofort dem Bösen zu verfallen, sondern haben endlich auch die Möglichkeit, auf die Seite Gottes zu treten. Weil wir diese Möglichkeit haben, sind wir aber auch dazu verpflichtet, alles andere wäre Sünde.

Bei diesem Gedanken könnte uns bange werden: Ganz im Dienst Jesu, kein Rückfall und keine Schwäche mehr! Haben wir nicht oft selber dem Teufel in die Hände gearbeitet? In den Dracula-Filmen ist das der schlimmste Augenblick, wenn der Freund, dem man vertraut hat und der als Retter in der Not erschien, sich plötzlich auch als Vampir entpuppt. Solche Doppelagenten aber sind wir alle, wenn wir einerseits Gott dienen wollen, andererseits aber auch dem Satan und seinem Reich.

Aber wir haben den Nichtchristen etwas voraus. Das ist der Friede mit Gott, der es uns ermöglicht, mitten aus unserem Versagen heraus neu anzufangen. Wenn wir uns Christus überlassen, dann kann uns kein Teufel von heute etwas anhaben.

 

 

Lk 11, 14 - 23 (Drittletzter Sonntag, Variante 2)

Im Krieg und auch noch danach hatten in vielen Orten die Kartenlegerinnen einen ganz schönen Hochbetrieb. Viele Frauen und Mütter gingen hin, um etwas über das Schicksal ihrer Männer und Söhne zu erfahren. Aber natürlich war das ein Versuch am untauglichen Objekt. Die Karten lügen nicht, das stimmt schon. Aber sehr wohl lügen die Leute, die aus ihnen die Zukunft lesen wollen oder sonst etwas.

In einem Dorf bei Arnstadt lebte eine Frau, die fest an ihre übernatürlichen Kräfte glaubte. Das Pikante daran ist, daß sie alles als ein Geschenk Gottes ansah. Sie verteilte Amulette mit christlichen Zeichen und erweckte so der Eindruck, eine gläubige Frau zu sein. Sie hatte auch großen Zulauf, während der Gottesdienstbesuch in dem Ort mager ist.

Offenbar besteht hier eine Wechselwirkung. Emanuel Geibel hat gedichtet: „Glaube, dem die Tür versagt, kommt als Aberglaub' durchs Fenster. Wenn die Gottheit ihr verjagt, kommen die Gespenster!“ Wo kein wahrer Glaube ist, da wird der Aberglaube groß. Irgendetwas muß der Mensch ja haben, woran er sich halten soll.

Auch bei uns gibt es noch Restbestände des Aberglaubens. Aber schwerwiegender sind wahrscheinlich die Erscheinungen des modernen Aberglaubens. Da kommt etwa einer und klopft dreimal an den Kinderwagen und sagt: „Ihr Kind sieht aber gut aus! Unberufen toi, toi, toi!“

Hier wird eine Beschwörungsformel gesagt, um den Teufel fernzuhalten.

Dabei wäre es viel sinnvoller, Gott herbeizurufen. Denn wo Gott ist, da hat die widergöttliche Macht nichts zu bestellen, da löst sich das Problem von selber. Das machen uns ja die Geschichten des Neuen Testaments von den Dämonenaustreibungen Jesu deutlich. Sie mögen uns heute fremd vorkommen. Aber das eine ist doch klar: Wo Jesus ist, da hat der Teufel nichts zu bestellen! Man kann auch nicht einen Aberglauben durch den anderen austreiben. Jesus wird ja hier verdächtigt, er sei ein Teufelskerl, er sei also mit dem Teufel im Bunde und habe nur einen kleinen Teufel durch den Oberteufel vertrieben. Doch in Wirklichkeit steht ja Jesus mit Gott im Bunde und will die Werke des Teufels zerstören. Nur Gott kann hier etwas ausrichten und nicht irgendeine Zauberei oder ein Aberglaube.

Jesus sagt: „Wenn ich mit dem Finger Gottes die bösen Geister austreibe, so ist ja das Reich Gottes zu euch gekommen!“ Nur der Finger Gottes kann hier helfen. Deshalb sollten wir doch nicht meinen, wir könnten durch ein Klopfen unsrer Finger den Teufel vertreiben. Hier müssen wir nüchtern die Grenzen unsrer Macht erkennen.

Hier kann uns auch nicht eine falsch verstandene Wissenschaftsgläubigkeit helfen. Wenn einer krank ist, dann geht er zum Arzt und läßt sich eine Medizin verschreiben. Die Wissenschaft soll ihm helfen gegen die Störung seines Wohlbefindens. Aber kaum einer kommt darauf, daß das auch etwas mit Gott zu tun haben könnte.

Früher glaubte man an die abergläubischen Praktiken des Medizinmannes. Heute aber erhofft man sich allein Hilfe von den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen des Arztes. Natürlich wäre es falsch, bei einer Krankheit nicht zum Arzt zu gehen. Aber die Ärzte wissen selber nur zu genau, wie machtlos sie oft sind. Es wäre nicht falsch, auch Gott um Hilfe zu bitten.

Für viele zählt heute nur noch die Wissenschaft. Sie soll alle Mängel beseitigen und man erwartet wahre Wunder von ihr. Oft kann man den Eindruck haben, sie sei in der Wertschätzung an die Stelle des früheren Aberglaubens getreten: Früher trieb man die Krankheit durch Zauberei aus, heute holt man den modernen Medizinmann für solche Dinge. Aber vielleicht ist eine Krankheit auch dazu da, uns mit Gott in Verbindung zu bringen. Der Arzt müht sich um die äußeren Erscheinungen, Gott aber greift die tieferen, Wurzeln der Krankheit in unserem Inneren an.

So hat auch Jesus seine Aufgabe verstanden: Er will dem Menschen von innen heraus zu einem neuen Leben mit Gott verhelfen. Es geht hier um einen Machtkampf, in dem Jesus unerschrocken die Herrschaft Gottes mit ins Spiel bringt.

Wir erleben hier einer ganz anderen Jesus als gewohnt. Er ist nicht der große Lehrer und vorbildliche Fromme, der zwar schöne Ideen vertritt, aber ansonsten keine Macht hat. Er ist auch nicht das leidende Lamm Gottes, das auf dem Weg zum Kreuz ist. Nein, hier erfahren wir Jesus als einen, der sich nichts gefallen läßt. Er schlägt drein und geht in Gottes Namen gegen den Satan an. An  e i n e m Beispiel wird uns hier gezeigt, was dann an Ostern offenbar wird: Die Welt ist Herrschaftsgebiet Gottes und alle Machenschaften des Bösen vergehen bald wieder. Und der stumme Mann hier darf Ostern schon erleben, als Jesus ihn von der Krankheit befreit.

So kennen wir Jesus eigentlich gar nicht. Er geht dabei ja auch gegen das Böse in  u n s  an. Er sagt ja auch zu uns: „Wer nicht für mich ist, der ist gegen mich!“ Er will damit deutlich machen: „Wer nur so mitläuft, der bringt meiner Sache nur Schaden. Ihr müßt euch jetzt entscheiden: ganz oder gar nicht! Ihr könnt nicht dazugehören wollen und das gar niemals in eurem Leben zeigen. Man muß doch auch sehen, daß etwas anders geworden ist und das Böse schon besiegt ist!“

Man kann auch nicht so im Geheimen ein Christ sein. Da sagt doch einer, der aus der Kirche ausgetreten ist: „Ich glaube aber trotzdem an die Existenz einer höheren Macht!“ Aber zur Kirche will er nicht gehören bzw. er kann es sich angeblich nicht leisten. Aber Jesus macht deutlich: „Wer nicht ganz dafür ist, der ist in Wahrheit dagegen!“

Martin Luther King hat gesagt: „Die größte Schwierigkeit der Bürgerrechtsbewegung hat stets darin bestanden, daß die guten Menschen stumm und gleichgültig blieben!“ Mancher sagt sich eben: „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold! Aber Stummsein aus Gleichgültigkeit und Scheu vor dem eigenen Einsatz schadet immer nur der eigenen Sache. So ist das auch bei der Kirche. Viele bringen ihr offenbar manche Sympathie entgegen, aber sie scheuen sich, sich offen dazu zu bekennen.

Hier ist heute eine Dämonenaustreibung nötig. Der Dämon unsrer Zeit heißt „Angst vor einem eindeutigen Bekenntnis“. Erst wenn er vertrieben ist, wird wieder Vertrauen möglich und öffnet Herzen und löst die Zungen. Nur so kann auch Gott in unserem Leben zum Zuge kommen.

Wo Gott nicht herrscht, da herrscht der Satan uneingeschränkt. Eine neutrale, entmilitarisierte Zone zwischen diesen beiden Herrschaftsbereichen gibt es nicht. Was nicht im Besitz Gottes ist, das fällt unweigerlich dem Satan zum Opfer. Und so wogt der Kampf ständig zwischen diesen beiden kriegführenden Mächten hin und her.

Wir aber stehen immer mittendrin. Wir stehen auf der Grenze und werden gefragt, zu welcher Seite wir nur überlaufen wollen.

Wir entscheiden mit darüber, wie die Front verlaufen wird und ob wir eine schwache Stelle sind oder ein Eckpfeiler in der Festung Gottes. Selbst wenn wir einmal widerstanden haben, sind wir nicht sicher vor neuen Angriffen. E i n  Sieg ist noch  k e i n  Sieg. Ein Rückfall aber würde alles nur noch ärger machen.

Wir stöhnen manchmal, daß die anderen uns den Glauben und die Beteiligung am kirchlichen Leben so schwer machen. Dabei ist es doch so leicht: Wenn wir uns klar und eindeutig auf die Seite Gottes stellen, kann uns schon niemand mehr etwas anhaben. Nur die Unentschiedenen, die Zweifler, die unsicheren Kandidaten, die stehen unter Beschuß und werden belästigt. Wer aber ganz fest auf Gott vertraut und fest im Verband der Gemeinde steht, dem kann nichts passieren. Da ist nichts zu holen und da erledigt sich vieles von selbst. Denn wo das Reich Gottes ist, da kann das Böse nicht mehr herrschen.

Es gibt aber auch die anderen: Sie bleiben stumm wie die Fische, was auch Gott zu ihnen sagen mag. Wenn sie singen sollen, sind sie heiser. Wenn sie beten sollen, sind sie vornehm und verlegen. Wenn Gottesdienstzeit ist, haben sie alles Mögliche andere vor. Sie greifen nicht zu, wo einer in Not ist. Sie kriegen den Geldbeutel nicht auf, wenn sie eine Sammelbüchse sehen. Sie sind stumm für alles Schöne und das Lob Gottes. Bei Beerdigungen kann man es manchmal erleben: Nicht mal zum Vaterunser werden die Fände gefaltet.

Wer so denkt und handelt, ist natürlich eine leichte Beute. Wer aber den Ruf des Stärkeren gehört hat, muß nicht mehr wie unter einem bösen Zwang handeln: Wer nervös und gereizt war, findet in Christus Ruhe. Wer gedrückt war von seinen Alltagssorgen, findet in Christus seinen Befreier. Wer überwältigt war von Gleichgültigkeit und Mutlosigkeit, der hat nun Anteil am Sieg Christi.

Allerdings liegt der Sieg Christi heute noch nicht für alle Menschen sichtbar zutage, weil er noch mit dem Kreuz verbunden ist. Noch werden wir zur Entscheidung aufgerufen, weil man alles auch anders deuten kann und weil mancher nur das Kreuz sieht und nicht auch die Auferstehung.

Wir sind noch längst nicht mit dem Teufel fertig. Das eine Mal haben wir ihn vertrieben. Das andere Mal machen wir ihm die Tür weit auf und laden ihr noch herzlich ein. Jesus erspart uns nicht das Wachsamsein, sondern er macht es uns gerade zur Pflicht. Er hat schon grundsätzlich den Sieg errungen. Wir aber müssen darauf achten, daß er auch bei uns den Sieg erringt.

 

 

Lk 11, 14 - 23 (Drittletzter Sonntag, Variante 3)

Im Neuen Testament wird Jesus manchmal als das Lamm Gottes bezeichnet. Für uns heute ist dieses Symbol nicht mehr gleich verständlich oder sogar mißverständlich: Wenn wir Lamm hören, denken wir gleich an Schaf! Und wer von uns möchte schon ein Schaf sein oder Jesus als ein Schaf bezeichnen. In der Bibel meint „Lamm“ jedoch die wehrlose Kreatur, die geschlachtet wird,  weil es ihre Bestimmung ist. Ein Lamm ist schwach und muß das alles erdulden, es ist das Sinnbild des stummen Leidens in der Welt.

Hier jedoch in dieser Erzählung wird uns ein anderer Christus vorgestellt: der Herr über die Dämonen und die widergöttlichen Mächte. Hier ist einer, der sich nichts gefallen läßt, sondern der dreinschlägt. Er ist nicht nur ein großer Lehrer oder ein vorbildlicher Frommer, der zwar schöne Ideen vertritt, aber ansonsten keine Macht hat, sie durchzusetzen. Nein: in Gottes Namen geht er gegen den Satan an.

So kennen wir ihn eigentlich gar nicht: Er geht ja auch gegen das Böse in  u n s  an, wir bekommen ja auch seine Macht zu spüren. Er sagt auch zu uns: „Wer nicht für mich ist, der ist wider mich!“ Wer nur so mitläuft, der bringt meiner Sache nur Schaden. Ihr müßt euch jetzt entscheiden: Entweder ganz oder gar nicht! Ihr könnt nicht dazu gehören wollen und das gar niemals in eurem Leben zeigen. Man muß es euch doch ansehen, daß etwas anders geworden ist in eurem Leben und daß das Böse in euch besiegt ist.

Die Auferstehung Jesu an Ostern war schon der Sieg. Wir wissen heute, daß Jesus damals gesiegt hat. Doch schon in der Zeit seines irdischen Lebens hat Jesus den Satan besiegt: Der stumme Mensch in dieser Geschichte hat Ostern schon erlebt, als Jesus ihn von der Krankheit befreite.

An diesem e i n e n Beispiel wird hier gezeigt, was dann an Ostern offenbar wird: Jesus hat durch den Sieg über den Satan die Welt neu gemacht. Sie ist wieder Herrschaftsgebiet Gottes, alle Machenschaften des Bösen haben nur noch den Rang einer Episode, die bald vergeht.

Voraussetzung ist jedoch, daß wir die Herrschaft Gottes bei uns Wirklichkeit werden lassen. Wo Gott nicht herrscht, da herrscht der Satan uneingeschränkt. Eine neutrale entmilitarisierte Zone gibt es nicht. Was nicht im Besitz Gottes ist, fällt unweigerlich dem Satan zum Opfer. Nicht umsonst heißt er: der  „Fürst dieser Welt“.

Das ist ein andauernder Kampf zwischen zwei kriegführenden Mächten. Wir aber stehen immer auf der Grenze und sind gefragt, zu welcher Seite wir überlaufen wollen. Wir entscheiden darüber, wie die Front verlaufen wird: ob wir auf der Seite Jesu bleiben wollen oder ob wir uns auf die Seite des Fürsten dieser Welt stellen wollen. Wir selber entscheiden darüber, ob wir eine schwache Stelle sind oder ein Eckpfeiler in der Festung Gottes.

Emanuel Geibel hat gedichtet: „Glaube, dem die Tür versagt, kommt als Aberglaub' durchs Fenster; wenn die Gottheit ihr verjagt, kommen die Gespenster!“ Wenn ihr Gott nicht durch die Tür laßt, kommen die Gespenster durchs Fenster. Wenn ihr krampfhaft die Tür zuhalten wollt, kommt das Böse durch die Hintertür herein. Wo der lebendige Glaube aufhört, sucht man sich falsche Götter; da blüht dann auch der Aberglaube.

Im Krieg und auch noch danach hatten die Kartenlegerinnen Hochbetrieb. Anstatt das Schicksal der vermißten Männer und Söhne in die Hand Gottes zu legen, begab man sich in die Hand seltsamer Frauen, die die Karten legten.

In unserem aufgeklärten Land ist es mit dem Aberglauben wohl nicht so wild. Aber das gibt es doch auch, daß einer dreimal auf den Tisch klopft und sagt: „Toi, toi, toi!“ Oder er klopft an den Kinderwagen und sagt „Ihr Sohn sieht ja gut aus, unberufen toi, toi, toi!“ Hier wird der Teufel angerufen bzw. beschworen, daß er nicht kommen möge. Man will den Teufel fernhalten anstatt Gott herbeizurufen, der den Teufel gar nicht erst rankommen läßt. Wo Gott ist, hat die widergöttliche Macht nichts zu bestellen.

Jesus sagt: „Wenn ich durch den Finger Gottes die bösen Geister austreibe, so ist ja das Reich Gottes zu euch gekommen!“ Und da bilden wir uns ein, wir könnten mit dem Klopfen unseres Fingers den Teufel vertreiben. Wir wollen so vieles mit unsrer Macht erreichen.

Was macht man, wenn man krank ist? Man geht zum Arzt und läßt sich eine Medizin verschreiben. Daß aber erst einmal Gott damit zu tun hat, daß er uns durch die Krankheit vielleicht etwas sagen will, darauf kommt keiner. Früher glaubte man an die abergläubischen Praktiken des Medizinmannes, heute erhofft man sich allein Hilfe von den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen eines Arztes. Dabei wissen die Ärzte selbst nur zu genau, wie machtlos sie oft sind.

Aber dann fragen die Kranken: „Wie steht es denn mit mir? Werde ich wieder gesund?“ Der Arzt weiß aber genau, daß der der andere gar nicht die Wahrheit hören will. Er will sie ja nur hören, wenn es gut mit ihm steht. Aber wenn der Arzt ihm das bestätigt hat, läuft er zum nächsten und will sehen, ob der dasselbe sagt. Keiner traut mehr dem anderen und keiner findet Ruhe. Eine junge Ärztin sagte einmal: „Ich würde keinem Arzt trauen. Da wird so viel gelogen!“ So weit ist das Böse schon in unsre Welt eingedrungen, daß keiner mehr dem anderen trauen will. So weit kommt es also, wenn man sich auf menschliche Hilfe verläßt.

Dabei wäre es so einfach, wenn wir nur Gott zu Hilfe riefen. Wir stöhnen manchmal, daß die anderen uns das Glauben und die Beteiligung am kirchlichen Leben so schwer machen. Dabei ist es doch so leicht: Wenn wir uns klar und eindeutig auf die Seite Gottes stellen, kann uns schon niemand mehr etwas anhaben. Nur die Unentschiedenen, die Zweifler, die unsicheren Kandidaten, wo noch etwas zu holen ist für die gegnerische Seite, die stehen auch unter Beschuß und werden belästigt. Wer aber ganz fest auf Gott vertraut und ganz fest im Verband der Gemeinde steht, dem kann nichts passieren. Dann erledigt sich das andere ganz von selbst. Denn wo Gottes Reich ist, da kann das Böse nicht mehr herrschen. „Mit unsrer Macht ist nichts getan, wir sind gar bald verloren; es streit für uns der rechte Mann, den Gott hat selbst erkoren. Fragst du, wer der ist? Er heißt Jesus Christ, der Herr Zebaoth, und ist kein andrer Gott, das Feld muß er behalten!“

Doch in vielen von uns sitzt so ein stummer Geist, ein kleiner Teufel. Dieser läßt den Menschen auf nichts reagieren. Sie können auf Gottes „Ja“ kein Amen sprechen, sondern bleiben stumm wie die Fische, was Gott auch zu ihnen sagen mag: Wenn sie singen sollen, sind sie heiser, wenn sie beten sollen, sind sie vornehm und verlegen. Wenn Gottesdienstzeit ist, haben sie alles Mögliche andere vor. Sie greifen nicht zu, wo einer in Not ist. Sie kriegen den Geldbeutel nicht auf, wenn sie eine Sammelbüchse sehen. Sie sind stumm für alles Schöne und stumm für das Lob Gottes. Bei Beerdigungen kann man es manchmal erleben: Nicht einmal zum Vaterunser werden die Hände gefaltet.

Wer aber den Ruf des Stärkeren gehört hat, muß nicht mehr wie unter einem bösen Zwang handeln. Wir sind nervös und gereizt, aber Christus gibt uns Ruhe. Wir sind gedrückt von unsren        Alltagssorgen, aber Christus ist unser Befreier. Wer wissen darf, daß Christus schon den Sieg errungen hat, der läßt sich nicht überwältigen von der Gleichgültigkeit und Mutlosigkeit.

Es braucht sich keiner zu schämen, der einmal schwach geworden ist. Schämen muß sich nur der, der sein Leben dahintreiben läßt, weil es doch keinen Wert mehr habe. Schämen muß sich nur der, der mürrisch und verzagt ist und stumm und leer bleiben will.

Allerdings liegt der Sieg Christi heute noch nicht für alle Menschen sichtbar zutage, weil er noch mit dem Kreuz verbunden ist. Noch werden wir zur Entscheidung aufgerufen, weil man alles auch anders deuten kann, weil mancher nur das Kreuz sieht und nicht auch die Auferstehung.

Wir sind noch längst nicht mit den Teufeln fertig. Das eine Mal haben wir ihn vertrieben, das andere Mal machen wir ihm die Tür weit auf und machen alles einladend für ihn, so daß es nachher noch schlimmer wird.

Jesus erspart uns nicht das Wachsamsein, sondern macht es uns gerade zur Pflicht. Er hat schon grundsätzlich den Sieg errungen. Wir aber müssen aufpassen, damit er euch bei uns den Sieg erringt.

 

 

Lk 12, 15 - 21 (Erntedankfest):

Spielszene zum Predigttext:

Käte:    Sag mal, Jochen, wieviel hast du denn in diesem Monat verdient?

Jochen: Daß ihr Frauen das immer so genau wissen müßt! Also: 1.800 Euro brutto und 1.300 Euro auf die Hand.

Käte:    Da müssen wir aber noch ganz schön lange warten, bis wir unser Wochenendgrundstück kaufen können.

Jochen: Erst müssen wir in unserer neuen Eigentumswohnung sein und den Audi haben. Das heißt: Wenn Oma stirbt, dann erben wir sicher ihr ganzes Vermögen, und dann baue wir unser Wochen­endhaus. Was Müllers können, das können wir schon lange.

Käter:  Weißt du, Jochen, eigentlich könnte ich ja Samstag und Sonntag auch noch arbeiten und nebenbei etwas verdienen.

Jochen: Vielleicht als Aushilfsschwester im Krankenhaus.

Käter:  Was? Als Schwester? Da denke ich gar nicht dran. Was verdient man denn da! Nein, das ist unter dem Strich, das kommt überhaupt nicht in Frage!

Jochen: War ja nur ein Vorschlag. Oder willst du als Kellnerin gehen? Die gehen meist mit einem guten Trinkgeld nach Hause.

Käte:    Du willst mich wohl aufziehen. Schwester, Kellnerin! Das mache ich nicht mit, das lohnt sich doch nicht!

Ein Jahr später

Käte:    Langweilig ist das hier. Seit einem halben Jahr arbeite ich nicht mehr. Dieses schreckliche Haus! Mir fällt bald die Decke auf den Kopf! Immer dieser schreckliche Krach! Aber in drei Monaten ist alles vorbei. Das Häuschen auf dem Wochenendgrundstück ist fast fertig. Das Geld von der Oma haben wir natürlich total verbuttert. Und gearbeitet haben wir fast Tag und Nacht…..                                                                                 (Es klingelt):

Bote:   Ich komme aus dem Krankenhaus. Sind Sie Frau Käte Spärlich?

Käte:    Um Himmels willen, ist etwas passiert? Mein Mann Jochen? O Gott, ist er tot?

Bote:   Nein, regen Sie sich nicht auf. Sie sollen nur gleich ins Krankenhaus kommen.

Käte:    O Gott, was ziehe ich nur an? So kann ich doch nicht losrennen! Was soll ich nur machen?

                                               Im Krankenhaus

Doktor: Ihr Mann hatte einen Verkehrsunfall, er ist schwer verletzt. Sie können leider nicht zu ihm.

Käte:    Mein Mann hat sonst niemand als mich. Wir haben keine Kinder, keine Verwandten, keine Freunde, keine Nachbarn. Sie dürfen meinen Mann nicht allein lassen.

Doktor: Er ist nicht allein, eine Schwester hält bei ihm Wache. Aber er braucht jetzt dringend Ruhe. Es wird gut für ihn sein, einmal Zeit zum Nachdenken zu haben. Und vielleicht tut Ihnen, Frau Spärlich, die Ruhe im Hause auch einmal gut.

Käte:    Wie soll ich so lange ohne meinen Mann auskommen? Das kann ich nicht! Warum geht es gerade uns so? Jetzt, wo wir am Ziel waren, da geht es uns so dreckig. Warum bloß?

Doktor: Vier bis sechs Wochen haben Sie Zeit. Versuchen Sie, etwas Vernünftiges daraus zu machen. Chancen, die man hat, sollte man nützen.

 

Predigt:

Es ist kaum zu fassen, daß dieser reiche Mann ein Narr sein soll. Er lebt nicht von der Hand in den Mund, sondern plant vernünftig für die Zukunft. Geistesgegenwärtig will er sich gleich Handwerker sichern, die seine Lagerräume vergrößern. Er wäre sicher nicht reich geworden, wenn er nicht auch früher aufgepaßt und geschäftliches Talent entwickelt hätte. Er hat seinen Reichtum nicht auf Kosten anderer Leute erworben, sondern war eben fleißig, sparsam und geschickt. Und wenn sich einer rechtzeitig zur Ruhe setzt, dann ist das doch nur eine Tugend. Wie viele übertreiben doch nach der anderen Seite und arbeiten pausenlos bis zum Umfallen. Es soll ja auch immer bergauf gehen

Der reiche Mann macht da nicht mehr mit. Er will sich endlich einmal eine Verschnaufpause gönnen. Er will nicht immer nur arbeiten, bis er eines Tages tot umfällt und die anderen von ihm sagen: „Jetzt wo er langsamer treten wollte und sein Leben genießen konnte, da mußte er sterben!“ So dumm will er nicht sein, auch in dieser Hinsicht ist er an sich ein kluger Mann.

Und schließlich kommt bei dem Mann auch nichts um. Wenn man nicht richtig plant, verderben manche Lebensmittel. Wenn man den Kindern zu viel Brot mit in die Schule gibt, wandert es in den Abfallkorb.

Bei Familienfeiern wird meist viel zu viel an Essen herbeigeschafft und verdirbt nachher. Und vom Werkessen wird auch manches wieder zurückgegeben. Das hängt allerdings auch damit zusammen, daß wir wieder anspruchsvoll geworden sind. Manche Hausfrau kann eine

Verkäuferin zur Verzweiflung bringen, und wenn der gewohnte Bäcker einmal krank ist, dann wird auf ihn geschimpft, anstatt ihm gute Besserung zu wünschen. Der reiche Kornbauer aber richtet sich nach dem Bedarf und tut das Erforderliche.

Aber einen entscheidenden Fehler hat er gemacht: Er rechnet nicht mit seinen Mitmenschen und er rechnet vor allem nicht mit Gott. In der ganzen Geschichte kommt kein anderer Mensch vor. Immer wieder spricht der Mann nur von sich selbst. Und Gott erscheint nur, weil er von sich aus in das Leben dieses Mannes eingreift. Er durchkreuzt alle Pläne und gebietet ein Halt! Jetzt stellt sich heraus: Das kostbarste Gut ist die Zeit. Und wenn sie abgelaufen ist, dann helfen kein Geld und kein Arzt, dann bekommen andere Dinge ein großes Gewicht.

Natürlich hätte es auch nicht genügt, nun noch zusätzlich etwas für die Gesundheit zu tun, um den Herzinfarkt zu vermeiden. Das ist hier nicht gemeint. Der Fehler liegt darin, daß dieser Mann nur in Sach- und Geldwerten denkt. Er hat nicht bemerkt, daß hinter dem reichen Ertrag seiner Felder einer steht, der ihm das alles hat zukommen lassen. Er wird Gott wohl nicht leugnen, er hat ihn noch nicht offiziell abgeschafft. Sicher hat er auch etwas zum Erntedankfest gespendet. Aber wenn man ihn fragt: „Worauf gründest du dein Leben“ dann antwortet er: „Auf das was ich mir erwirtschaftet habe!“

In diesem Punkt ist der Kornbauer eigentlich ein moderner Mensch. Seine Welt besteht nur aus ihm selbst und verschiedenen Dingen. Daß da noch ein Geber ist, der hinter allen Gaben steht, kommt ihm nicht in den Blick. Den Erfolg seines Lebens mißt er nur an den sichtbaren Dingen.

Man kann allen Leuten zeigen, wie gut es einem geht. Manchem genügt schon das neueste Farbfernsehgerät. Ein anderer braucht ein Auto. Ein Dritter ein Haus mit allem Drum und Dran bis hin zum Gartenzaun. Weil die Arbeit im Beruf oft so trostlos und wenig ausfüllend ist, sucht man auf diesem Feld seine Selbstverwirklichung. Ist ein Teilschritt erreicht, wird schon das nächste Ziel ins Auge gefaßt. Immer heißt es: „Nur noch das, dann bin ich fertig!“ Aber wenn es geschafft ist, geht es gleich wieder weiter.

Natürlich muß man das erhalten, was man von den Vorvätern ererbt hat. Natürlich muß man für sich und seine Familie sorgen, damit man mit dem Nötigsten ausgestattet ist. Natürlich darf man auch Pläne machen. Wenn man zum Beispiel heiratet, kann man sich doch nicht

nur vor Augen halten, was alles schief gehen könnte. Natürlich ist es auch gut, wenn man eine gewisse Vorsorge trifft; jeder von uns ist in der Krankenversicherung und in manch anderer dazu.

Aber der Wahlspruch: „Versichert - gesichert“ streut doch nur Sand in die Augen. Keine Versicherung kann uns vor Schaden bewahren, sondern höchstens die Folgen eines Unglücks abmildern. Vor allem aber sollte eine Versicherung uns nicht davon abhalten, Gott mit in den Plan unsers Lebens mit einzubeziehen. Gerade wenn man sein Leben sichern will, muß man sich auf Gott verlassen; dann kann man auch den Verlust bestimmter Güter verschmerzen, weil man sich gehalten weiß von der umfassenderen Fürsorge Gottes.

Wenn aber die Verbindung zu Gott fehlt, nutzt aller Besitz nichts. Vorrat und Besitz an sich sind nicht böse. Aber sie werden fragwürdig, wenn wir uns allein auf sie verlassen, so als ob es Gott nicht gäbe. In Wirklichkeit aber begegnet uns Gott in all den Dingen, die wir anfassen und wovon wir leben. Wir können immer nur wegnehmen was Gott zuvor hingelegt hat. Im Geschehen von Saat und Ernte kann man das besonders unmittelbar erleben.

Gott erhält unser Leben durch die Dinge. Sie haben nicht nur einen Gebrauchswert, sondern sie sind Geschenke Gottes. Anders gesagt: Wir empfangen nicht nur Kalorien, sondern wir empfangen durch sie die Liebe Gottes. Am Erntedankfest geben wir zu erkennen, daß uns dies bewußt ist. Und im täglichen Tischgebet, das ja das Erntedankfest des Alltags ist, bestätigen wir dies immer wieder neu

Der Reiche Kornbauer feiert kein Erntedankfest. Wem sollte er auch danken als sich selbst? Von Gott will er nichts wissen; deshalb redet er nicht mit ihm, sondern nur mit sich selbst. Und auch der Mitmensch ist nicht in seinem Blick; denn er fragt sich nicht: „Wozu ist mir denn dieser Reichtum gegeben, könnte ich damit nicht anderen Menschen helfen?“ Dieser Mann hat nicht erkannt, wovor er lebt und wozu er lebt.

Auf einem Bild ist der reiche Kornbauer dargestellt, wie er mit den Armen seine vielen Geldsäcke zu umfassen und festzuhalten sucht. Aber hinter ihm steigt schon der Tod auf. Er will sich einigeln in seinen Besitz, wie eine schützende Mauer hat er hat er die Säcke um sich her­um­gestellt. Aber dem Tod macht diese Mauer nichts aus, er holt ihm doch.

Wie hätte es der Bauer aber richtig machen können, wie können wir es richtig machen? Darüber wollen wir jetzt noch einmal nachdenken:

(1.) Wenn wir unsern Besitz auch frohen Herzens hergeben könnten, hätten wir die richtige Einstellung zu ihm. Auch wenn uns alles genommen wird, so haben wir doch Gott, der uns weiterhilft. Unser Leben wird nicht sinnlos, wenn wir bestimmte Dinge nicht mehr haben. Wir sollten keine Angst haben. wir könnten sie eines Tages verlieren. Wir sollten sie vielmehr mit Freude in Gebrauch nehmen und sie genießen. Und wir sollten Gott dafür danken und uns an ihn binden und nicht an die Dinge.

(2.) Der Mensch braucht mehr zum Leben als was er ißt und trinkt. Wer nur auf sein Geld achtet, merkt oft nicht, wie unterernährt er innerlich ist. Was hilft es denn, wenn die Scheunen voll sind und das Herz ist leer geblieben? Einseitige Ernährung ist gefährlich. Auch unsere Seele braucht „Vitamine“, nämlich die Liebe zu Gott und den Menschen. Werden wir verlegen, wenn wir etwas besitzen, das über das Notwendige hinausgeht? Möchten wir tatsächlich nur mit dem täglich Notwendigen leben? Wo ist die Grenze zwischen Nötigem und Überflüssigem? Verschiebt sich diese Grenze?

(3.) In der Frage des Hungers auf der Welt müßten wir andere Wege beschreiten. Die „Aktion Brot für die Welt“ ist eine gute Sache und hilft wenigstens einigen wenigen Menschen, ein kleines Stück weiter. Mit unserer Spende zum Erntedankfest haben wir schon das Sicherheits- und Besitzdenken durchbrochen und haben schon etwas abgegeben

Aber um das ganze Problem in den Griff' zu kriegen, muß an längere Hebel ansetzen. Wir gehören ja zu den reichen Ländern und haben da eine besondere Verantwortung. Vielleicht ist uns das nicht so deutlich, daß wir im Grunde zu den reichen Kornbauern gehören. Wir vergleichen uns gern mit der absoluter Weltspitze anstatt mit der großen Masse der Völker, die in bitterster Armut leben und für die eis Erntedankfest wie unsers kaum möglich ist.

Es gibt ja Länder, da wird der landwirtschaftliche Überschuß vernichtet, damit die Preise hoch bleiben; und in den gleichen Ländern haben dann die armen Leute nicht das Geld, um die teuren Produkte zu kaufen. Und auch von uns ist zu sagen: Allein von unseren Abfällen, von dem was achtlos weggeworfen wird, könnte manches andere Land leben. Wir können am heutigen Tag nicht vergessen, daß Millionen von Menschen hungern, in Südamerika, in Afrika und anderswo.

Aus Bolivien wird uns folgende Geschichte berichtet: Eine Indianerfrau hat fünf Kinder. Aber sie füttert immer nur vier vor ihnen, das jüngste kriegt nichts ab. Sie wird zur Rede gestellt, weshalb sie ausgerechnet dem jüngsten gar nichts gibt. Ihre Antwort ist: „Das ist das Schwächste, das wird sowieso zuerst sterben Ich muß sehen, daß ich wenigstens die anderen durchkriege!“

 (4.) Wir können aber auch nicht der Gottesdienst beenden mit dem Gebet: „Ich danke dir Gott, daß ich nicht bin wie dieser Kornbauer. Ich bin nicht so tüchtig wie er, gehe aber in die Kirche und gebe dort mein „Opfer“. Mit Geld kann man sich noch nicht vor der Verpflichtung gegenüber Gott und dem Mitmenschen freikaufen. So wollen wir heute unsern Mitmenschen danken, weil sie ein Stück ihres Lebens für uns gegeben haben, seien sie nun Bauer oder Arbeiter, Bäcker oder Arzt. Die in der Stadt können der Bauern dankbar sein, daß sie bei Wird und Wetter, Frost und Hitze tätig sind, damit wir etwas zum Essen auf dem Tisch haben. Und die Bauern werden den Industriearbeitern und Handwerkern dafür dankbar sein, daß sie die nötigen Maschinen und Geräte zur Verfügung stellen. Wir hängen doch alle voneinander ab und haben deshalb auch a 1 1 e Grund, das Erntedankfest zu feiern.

Vor allem aber wollen wir Gott danken, der uns diese Leben gegeben hat und auch sonst alles, was wir zum Leben brauchen. Weil er da ist, brauchen wir zum Glück keinen Vorrat auf viele Jahre anzulegen. Vielmehr empfangen wir unser Leben täglich neu aus seiner Hand. Unser Reichtum besteht darin, daß wir uns auf ihn berufen können, wenn es um die letzten Dinge geht. Dafür wollen wir ihm danken, heute und alle Tage.        

 

 

 

Lk 12, 42 – 48 (Ewigkeitssonntag):

Viele von denen, die heute zum Gottesdienst gekommen sind, haben im abgelaufenen Kirchenjahr einen lieben Menschen hergeben müssen oder denken an einen Verstorbenen aus den vergangenen Jahren. Am heutigen „Ewigkeitssonntag“, der im Volksmund mehr der „Totensonntag“ heißt, denken wir wieder besonders daran.

Manchem wird die Zeit noch gut in Erinnerung sein, in der er sich besonders bewähren mußte. Das gilt zunächst einmal für die Zeit der Krankheit. Da ist oft ein ungeheurer persönlicher Einsatz notwendig: Jeden Tag heizen, verpflegen, waschen, saubermachen, oft auch noch Nachtwache. Dazu der seelische Beistand, der geleistet werden muß, die Not des Kranken und die eigene Ohnmacht. Und schließlich dann auch noch das Stehen am Sarg und das Abschied­nehmen.

Da erweist sich dann, ob man ein treuer und kluger Haushalter ist. Wir werden von Gott nicht dafür verantwortlich gemacht, was wir nicht tun konnten. Aber er fragt nach dem, was wir tun konnten. Und da wäre es doch gut, wenn er zu uns sagen könnte: „Selig bist du, der du meinen Willen getan hast. Ich gratuliere dir - das ist mit dem „selig“ gemeint - so habe ich es mir von dir erhofft. Du hast dich um deine Mitmenschen gekümmert und nicht für dich selbst gelebt. Du hast keinen zu kurz kommen lassen, du bist treu gewesen“

Dazu gehört aber auch, daß wir etwas von der christlichen Hoffnung deutlich machen. Zur Pflege eines Kranken gehört nicht nur die medizinische und pflegerische Versorgung, sondern auch der geistliche Beistand. Wer in der Erwartung Gottes lebt, der wird anders von seinen Lieben Abschied nehmen. Er wird hoffen, trotz Tod und Verwesung. Er sieht Land vor sich, auch wenn der Boden unter den Füßen zu schwanken scheint. Diese Hoffnung wird er dann auch einen Sterbenden vermitteln können, und wenn es nur ein Vaterunser ist, das am Sterbebett gebetet wird.

Der treue und kluge Haushalter gibt zur rechten Zeit das Evangelium weiter. Diese Botschaft trifft der Menschen dann, in seinen innersten Lebensbezügen und räumt dort gewaltige Steine weg, die ihm auf den Herzen liegen. Die Erwartung des Herrn kann dann auch seinem Leben einen festen Halt geben. Diesen Dienst sind wir unseren Mitmenschen schuldig, wenn wir treue Haushalter Gottes sein wollen. Ihn, dem kommenden Herrn sind wir verantwortlich, denn ihm gehören unsre Welt, unsre Zeit und unsre Gaben.

 

(1.) Gott gehört unsre Welt, denn er hat sie geschaffen: Doch die Christenheit hat nie die ganze Welt verwalten können. Der einzelne Christ kann es erst recht nicht. Aber wir sind auch nur für das Stück Welt verantwortlich, das uns tatsächlich überantwortet ist: Familie, Beruf, Freun­de, bestimmte Gruppen, auch die Kirche. Überall sind wir nicht Eigentümer, sondern nur Verwalter. Auch mit den Dingen unsrer Welt können wir nicht umgehen, wie es uns beliebt. Aber noch schlimmer ist es, wenn Menschen wie Dinge behandelt werden.

Nicht recht ist der Haushalter, der anfängt, „Knechte und Mägde zu schlagen, zu fressen und sich vollzusaufen“. Das kann man nicht ganz wörtlich nehmen, das sind nicht die einzigen Beispiele, wie Menschen unter anderen Menschen zu leiden haben. Wer Macht hat, ist aber in der großen Gefahr, seine äußere Überlegenheit genießen, zum Leid und Schaden der anderen Menschen.

Es kann aber auch sein, daß einer nur schlampig und faul ist, interesselos und dickfellig. Dadurch verkommt das Anvertraute zum Nachteil der Mitmenschen und zuletzt auch zur Schande des Herrn. Aber es gibt auch gute Beispiele von Menschen, die sich um Alte und Kranke kümmern. Das hört man doch gern: „Der Sohn sieht jeden Tag nach der Arbeit nach seinem kranken Vater, obwohl dessen Wohnung nicht am Weg liegt!“

Die verwerflichen Einstellungen eines untreuen Verwalters haben ihren Grund darin, daß der Betreffende die Rechnung ohne den Wirt gemacht hat. Er vergißt, daß ihm gar nicht gehört, womit er so eigenmächtig umgeht. Eines Tages wird der Herr ihn zur Rechenschaft ziehen und fragen: „Was hast du aus dem Anvertrauten gemacht? Wie bist du mit den Menschen umgegangen, die alle mir gehören, die mir kostbar sind und für die ich als ihr Heiland mein Leben gegeben habe?“

Mit geliehenen Büchern gehen wir hoffentlich sorgsamer um als mit eigenen. Das Auto des Freundes fahren wir mit noch mehr Vorsicht als das eigene. Wir hätten auch zur Welt ein anderes Verhältnis, wenn wir uns klarmachten, wem sie gehört. Wir hätten eine andere Einstellung zu den Menschen,  wenn wir in ihnen immer Geschöpfe Gottes sähen.

 

(2.) Gott gehört unsre Zeit: Der untreue Knecht leugnet nicht, daß er einen Herrn hat. Aber er sagt sich: „Es dauert noch eine ganze Weile, bis er wiederkommt!“ Das ist sicher sehr unklug gedacht und gehandelt. Ein solcher Mensch will nicht die Dinge an sich herankommen lassen und läßt sich deshalb noch Zeit. Vielmehr rechnet er gar nicht damit, daß sie überhaupt noch herankommen. So denkt der Schüler, der erst am Tag vor der Klassenarbeit zu lernen beginnt. So denkt der Konfirmand, der nicht für die Prüfung lernt, weil er denkt, es werde schon nicht so schlimm kommen. So denkt der Student, der von Semester zu Semester denkt, mit dem Examen habe es ja noch Zeit.

Aber jeder von ihnen muß sich einmal doch klarmachen, daß seine Uhr tickt und unaufhörlich weiterläuft. Auch unsre Lebensuhr wird einmal abgelaufen sein. Wie schnell ist mancher Mensch abgerufen worden, der noch viel vorhatte. Wann Jesus wiederkommen wird, weiß er selber nicht, aber er kann in jedem Augenblick da sein. Dabei ist es gleich, ob er noch in dieser Nacht mein Leben von mir fordern wird oder ob die ganze Welt zu gegebener Stunde die Ankunft ihres Herrn erfahren wird. Auf alle Fälle sollen wir wachen und mit dem für uns oder die ganze Welt eintretende Ende rechnen. Vielleicht sehen wir noch ein, daß die Welt und die Zeit dem Herrn gehört. Aber daß das schon im nächsten Augenblick aktuell werden könnte, das wollen wir nicht wahrhaben.

Warum ist uns der letzte Wille eines Verstorbenen so unantastbar? Warum ist er mehr als eine andere Willenskundgebung in Laufe des Lebens? Was in Angesicht des Letzten gesagt wird, hat eben besonderes Gewicht. Jeder Augenblick kann aber diesen Ernstfall bringen. Doch

das ist kein Grund, nun gleichgültig zu werden, sondern wer mit dem Kommen des Herrn rechnet, der geht ihm entgegen. Und der hat jederzeit sein Haus geordnet. Die gespannte Erwartung des Endes ist so ein starker Antrieb zum verantwortlichen Handeln in unsrer Welt.

 

(3.) Dem Herrn gehören unsre Gaben: Jesus weiß, warum er so hart spricht. Wer weiß, was von ihm erwartet wird, sich aber wissentlich weigert, den wird seine Haltung und sein Tun schwer angerechnet. Erkennen und Wissen schärft die Verantwortlichkeit.

Aber es kann auch sein, daß man nicht weiß, was man tut. Man hat vielleicht den besten Willen und macht es doch falsch; man hat etwas übersehen oder ist nachlässig gewesen. Von einen solchen Menschen heißt es: „Er wird wenig Schläge empfangen!“ Hier geht es nicht um mildernde Umstände, sondern Gott erwartet schon, daß wir mit dem ernst machen, was uns im Glauben aufgegangen ist. Wem viel gegeben ist, von dem wird viel gefordert werden. Von Christen erwartet er mehr als von anderen. Ob wir mehr bringen können, das ist eine andere Frage.

Aber es geht doch barmherziger zu in Gottes Welt, als wir nach diesen harten Worten fürchten mußten. Gott weiß, daß vielen noch nicht der Gedanke gekommen ist, die Welt könnte Gott gehören. Und vor seiner Forderung steht das Geben. Er hat uns etwas gegeben, das wir nun einsetzen sollen. Und wenn wir es eines Tages zurückgeben sollen, dann werden wir ihm nichts zu bringen haben, als was er selbst uns gegeben hat: unseren Besitz, unsere Mitmenschen, unser eigenes Leben.

Aber die Aufgabe bleibt für uns, getreue Haushalter zu sein. Wenn Jesus fragt: „Wer ist denn der treue und kluge Haushalter?“ Da wird es nur wenig Leute geben, die hier die Hand heben und sich melden.  Die „Knechte“ sind nicht nur die Amtsträger der Kirche, die die Sakramente Gottes zu reichen haben, nämlich Taufe und Abendmahl.

Knechte Gottes sind alle Christen! Petrus möchte, daß ein besonderer Vorzug der Jünger festgehalten wird. Aber Jesus macht ihm deutlich: „Man kann nicht vorher festlegen, wer damit gemeint ist. Wenn Jesus einen persönlich anspricht, dann gehört er zu denen, die es angeht. Wenn wir Jesu Frage höre, werden wir schon herausgefordert, treue Haushalter zu werden. Jesus will uns nicht in bestimmte Gruppen einteilen, sondern zum Tun aufrufen.

Wenn wir nun vielleicht merken, daß wir da doch manches versäumt haben und noch vieles verbessern können, dann bleibt uns nur die Möglichkeit, auf die Vergebung Jesu zu hoffen, das Alte hinter uns zu lassen und mit Jesus ein Neues zu beginnen.

 

 

Lk 13, 1 – 9 (Bußtag):

Die Umkehr, die auf einem Umdenken beruht, ist nicht ein Spezialthema für den jährlichen Buß- und Bettag. Luther sagte schon in der ersten seiner 95 Thesen: „Das ganze Leben der Gläubigen soll eine Umkehr sein!“ Dennoch hat so ein außerordentlicher Bußtag schon einen Sinn. Früher wurden die Bußtage angeordnet, wenn bestimmte Ereignisse zu besonderen Fragen Anlaß gaben. Dazu gehörten ein Krieg oder Naturkatastrophen, ein großer Brand oder auch solche Ereignisse, wie in unserm Bibelabschnitt beschrieben. An den Bußtagen versuchte man, das innerlich zu bewältigen, indem man sich selbst prüfte und umkehrte. Die Bibel gibt uns dazu Anleitung. Als erstes wird uns heute gesagt:

 

(1) Es ist höchste Zeit, achtet auf die Zeichen des Gerichts: Jesus geht von aktuellen Fällen aus, die in aller Mund waren. Festpilger aus Galiläa waren im Begriff, mit ihren Opfertieren zum Tempel zu ziehen. Vielleicht waren sie auch schon im Tempel damit beschäftigt, ihre Opfer darzubringen. Da hat der Statthalter Pontius Pilatus sie überfallen und niedermetzeln lassen, so daß sich ihr Blut mit dem Blut der Tiere vermischte. Die römischen Legionäre haben sich nicht nur am Menschen, dem Ebenbild Gottes, vergriffen, sondern auch an den Opfertieren, die ja schon Gott geweiht waren.

Der Vorfall hat die Menschen verstört. Er paßt in das Bild, das wir auch sonst von Pilatus erhalten. Der König Herodes Agrippa, der selber auch nicht besser war, wirft ihm vor: Bestechlichkeit, Gewalttaten, Mißhandlungen, gehäufte Hinrichtungen ohne Gerichtsverfahren und unablässige wilde Grausamkeit. Doch er hatte einen guten Freund am Kaiserhof, der ein glühender Judenhasser war. So ist lange nichts passiert, bis im Jahre 35 ein ähnliches Gemetzel wie in der Bibel beschrieben zur Abberufung des Pilatus führte.

Wer ist schuld an solchen Untaten? Wir werden natürlich sofort sagen: „Pilatus war schuld!“ Dadurch sind wir mit der Sache schnell fertig. Zur Zeit Jesu aber suchte man die Schuld nicht bei den Tätern, sondern bei den Opfern: „Wer so schrecklich stirbt, der muß etwas Schreckliches getan haben. Jedes Unglück kommt von Gott, und der wird schon seine Gründe haben. Gott ist doch gerecht, umsonst tut er Derartiges nicht. Wer weiß, womit die Getöteten halt Gott herausgefordert haben. Die Rechnung mußte grundsätzlich immer aufgehen: Ein hartes Geschick weist zurück auf eine große Sünde!“

Wenn wir etwa an den Atombombenabwurf in Hiroshima denken, dann sagen wir natürlich: Schuld haben die, die den Befehl zum Abwurf der Bombe gaben, und dann die, die den Befehl auch ausführten. Aber es könnte ja auch jemand sagen: „Wer hat denn damit angefangen? Es war doch nur eine Vergeltungsaktion, schuld waren die Japaner!“ Doch Jesus läßt sich auf eine derartige Diskussion nicht ein, ihm geht es um etwas anderes.

Vor allem wendet er sich gegen die Zuschauerhaltung derjenigen, die ja nicht betroffen sind und meinen, sich über die Schuld der Betroffenen ein Urteil erlauben zu können. Mit den Angehörigen der Umgekommenen hätte Jesus sicher anders geredet. Aber seine Gesprächspartner wollen als neutrale Beobachter reden aus sicherer Entfernung, als Unbeteiligte. Sie kommen gar nicht auf die Idee zu fragen: „Wenn es nun mich getroffen hätte? Womit habe ich es eigentlich verdient, da ich bisher von Derartigem verschont geblieben bin?“

Auch über den Atombombenabwurf auf Hiroshima darf man sich solange nicht aufregen, wie man sich nicht gefragt hat: „Wärst du zu etwas Derartigem nie und nimmer fähig? Würde dein Volk niemals so etwas machen? Was habt ihr denn gemacht, was ist meine Schuld? Wären

wir wirklich vor den Atombomben sicher, wenn sie nicht in den Händen von Politikern und Militärs wären, sondern in den Händen von Diakonissen und Pfarrern?“ (Das Beispiel stammt von dem Theologieprofessor Helmut Thielicke).

Unseer Frage sollte also nicht lauten: „Warum hat es jene getroffen?“ Wir sollten vielmehr fragen: „Wieso hat es uns nicht getroffen?“ Das liegt doch nicht daran, daß wir unschuldig wären! Es gibt überhaupt keine Unschuldigen, sondern immer nur in gleicher Weise Gefährdete! Deshalb verbietet uns Jesus, uns als Zuschauer mit dem Geschick anderer zu befassen. Vielmehr geht er unmittelbar auf uns selbst zu, damit wir nicht verpassen, was jetzt dran ist. Wir möchten immer gern Gott zur Rechenschaft ziehen und ihn belehren, wie er es besser hätte machen können. Dabei ist es doch so: Wenn Gott wirklich so konsequent hätte sein wollen, wie wir gern wollen, dann hätte er   u n s  das Opfer sein lassen müssen.

Das Blutbad an den Galiläern, der Einsturz des Turmes, die Opfer eines Verkehrsunfalls - all das sind Zeichen Gottes. Aber was muß er eigentlich noch tun, um uns wach zu kriegen? Was haben wir gelernt aus der in einem solchen Fall ausgestandenen Angst, dem Erschrecken, den geleisteten Gelübden? Gott erwartet von uns die ganz große Umkehr. Aber dazu gehört noch die zweite Aussage:

 

(2).Es ist noch ausreichend Zeit, das Gericht wird noch aufgeschoben: An sich müßte der Baum schon Frucht getragen haben. Es geht nicht an, daß er nur den Boden aussagt, ohne daß etwas dabei herauskommt. Gott erwartet auch einen Lebensertrag, erwartet „Früchte der Buße“. Unser Leben soll etwas erbringen. Andernfalls werden wir abgehauen wie ein Baum, so wie die Stadt Jerusalem im Jahre 70 vernichtet worden ist.

Auch als Kirche haben wir vieles nicht gebracht. Es werden hohe Ansprüche gestellt und ein erheblicher Aufwand getrieben. Aber es gibt viel Leerlauf, wenig überzeugendes Gotteslob, Mangel an diakonischen Kräften, Beschäftigtsein mit dem eigenen Bestand. Würden nicht viel mehr Menschen auf Christus aufmerksam werden, wenn man uns so richtig glauben könnte? Müßte nicht mehr Menschen geholfen sein, so daß sie aufatmen und froh werden? Müßte sich an unseren Opfern nicht deutlicher darstellen, was unser Herr uns wert ist? Müßte man an uns nicht besser ablesen können, welch eine wunderbare Sache doch die Vergebung ist?

Jesus bittet wie der Weingärtner um Aufschub, damit noch einmal Zeit bleibt. Es kommt noch nicht gleich der Jüngste Tag, der allen Problemen und Anfechtungen sogleich ein Ende machen würde. Nur: Unter dem Druck der Allmacht Gottes gäbe es kein Umkehren aus freier Entscheidung mehr. Da kann man nur in Freude ausbrechen, weil man das sieht, was man geglaubt hat. Oder man muß sich zähneknirschend eingestehen, daß man verspielt hat, weil man sich falsch entschieden hatte. Umkehr kann immer nur aus freiem Herzen und Willen kommen.

Deshalb hält Jesus den Jüngsten Tag noch auf. Er will die Frist noch nutzen. Wie ein guter Weingärtner arbeitet er noch an seiner Gemeinde. Er gräbt das Erdreich rund um den Baum auf, damit die Wurzeln Luft und Nahrung erhalten und der Baum dann Früchte tragen kann.

Ohne Bild gesprochen: Jesus bricht unsere Verhärtungen und Verkrustungen auf, damit sein lebendiges Wort durch die Oberfläche eindringt und vordringt bis an die Wurzeln unserer Existenz. Dort soll es wirken und etwas reifen lassen, was den anderen zugutekommt. Er will uns aufreißen durch die schrecklichen Nachrichten aus aller Welt. Er will aber auch den Borden lockern durch die Predigt seines Wortes und durch die Sakramente, wenn er im Gebet mit uns spricht, will er mit uns arbeiten und uns weiterhelfen,

Jesus kommt nicht als Schulmeister oder Aufpasser, sondern als guter Freund. Er nimmt unser Versagen nicht zum Anlaß, sich von uns zu distanzieren, sondern: Je nötiger wir ihn haben, desto mehr tut er für uns. Er tut alles, um uns durchzubringen, damit wir nicht abgehauen werden müssen. Früchte sind immer noch möglich, weil Gott sich immer noch um uns bemüht.

So hören wir auch an diesem Buß- und Bettag die frohmachende Botschaft Gottes: „Euch bleibt noch Zeit!“ Allerdings sollten wir diese Zeit auch gut nutzen. Gott möchte auch Früchte sehen. Allerdings sollten sie nicht vor lauter Angst hervorgebracht werden, sondern Antwort auf die Liebe Gottes sein. Sie wären das Echo und würden erkennen lassen, daß Gottes Liebe bei uns angekommen ist und wir aus ihr leben wollen. Der heutige Gottesdienst will uns ermutigen, aus dieser Liebe heraus zu leben und gute Früchte zu bringen.

 

 

Lk 13, 22-27.(28-30) (Bußtag):

Auf einem Bild hat ein Maler sehr eindrücklich dargestellt, wie das mit dem schmalen Weg und der engen Pforte ist: Menschen strömen auf einem breiten Weg einen Berg hinan und gehen dann bequem durch ein breites Tor - aber dahinter ist das Nichts. Am linken Bildrand aber gehen einige Wenige auf einem schmalen Weg auf eine ganz enge Tür zu. Aber dahinter ist dann die Welt Gottes, das Reich Gottes, der Himmel, wie wir auch sagen.

Dieses Bild ist gemalt zur Illustration eines Jesuswortes in der Bergpredigt: „Gehet ein durch die enge Pforte“ (Mt 7, 13-14, kein Predigttext). Hier bei Lukas geht es nicht um zwei Wege, sondern nur um eine enge Pforte. Und es geht um die an Jesus gerichtete Frage: „Herr, sind es wenige, die gerettet werden?“ Doch Jesus tut, als wäre ganz anders gefragt worden und will sich nicht festlegen lassen.

Auch wir könnten den Buß- und Bettag falsch verstehen. Früher wurde so ein Tag von der Regierung angeordnet und in Gefahren- und Notzeiten das ganze Land aufgerufen, vor Gott zu treten und seine Schuld zu bekennen und Besserung zu geloben. So könnten wir das heute auch noch sehen und uns als diejenigen verstehen, die diesen Dienst stellvertretend wahrnehmen für diejenigen, die sich nicht zu solcher Buße bewogen fühlen.

Doch unabhängig von einem solchen öffentlichen Bußtag soll unser ganzes Leben eine Buße sein, wie Luther im Kleinen Katechismus sagt. Und da wird uns heute gesagt: Die Sache ist ernst, Gott wird nicht alle Menschen unterschiedslos selig machen. Das gilt für alle in der Vergangenheit, aber auch in der Zukunft und vor allem für uns. Aber auf die Frage. „Werden nur wenige gerettet?“ antwortet Jesus: (1) Frag nicht so falsch, (2) Sei nicht so sicher, (3) Denk nicht so eng!

 

1. Frag nicht so falsch!

Gern denken wir beim Thema „Buße“ nicht an uns selbst, sondern an die anderen, die angeblich allein eine Umkehr nötig haben. aber da wird uns hier gesagt: Es ist noch alle soffen. Keiner kann sich sicher sein, daß die angeblich reservierten Plätze in der Welt Gottes nicht noch streitig gemacht werden können. Jeder wird noch um den Zugang zum Haus Gottes kämpfen müssen.

Deshalb ist die Frage falsch gestellt. Es gibt Fragen, die kann man objektiv beantworten, weil es da um Tatsachen geht, die immer und überall gleich sind, die man nachvollziehen kann und die für jeden einsichtig sind. Das Wort Gottes aber wendet sich immer direkt an den Einzelnen und fordert seine Stellungnahme und seine Umkehr.

Jesus sagt: „Da ist eine Tür, die Frage ist nur, ob du hindurchgehen willst!“ Er sagt: „Da ist ein Haus, die Frage ist nur, ob du darin Platz nehmen willst!“ Aber das wird vielleicht manche alte Gewohnheit und manchen neuen Plan kosten. Wir werden vielleicht unser anspruchsvolles Ich aufgeben müssen, das immer recht haben will.

Da ist es verständlich, wenn wir gern ausweichen möchten. Wir tun das nicht, indem wir uns ganz von Gott lossagen. Aber wir verschanzen uns da gern hinter frommen Problemen wie der Frage, wie viele denn gerettet werden können. Aber im Grunde ist das nur eine Zuschauerfrage. Jesus hätte darauf antworten können: „Alle“ oder „Niemand“ oder „Nur 75 Prozent“. Aber so eine Antwort würde beim Fragenden keine Entscheidung hervorrufen, e r würde sie zur Kenntnis nehmen, aber nicht auf sich selber beziehen.

Es gibt Dinge, die sind objektiv: Das Rentenalter kommt problemlos auf den Menschen zu. Er kann sich darauf freuen, aber er muß nicht darum kämpfen. Das Gerettetwerden aber verwirklicht sich nicht sowieso. Das Seligwerden ist ein Geschehen, da fallen Entscheidungen. Natürlich ist das letztlich die Sorge Jesu, was mit uns geschehen wird. Aber er sagt dennoch: Ringt darum, daß ihr durch die enge Pforte geht. Und diskutiert nicht über die anderen, sondern geht hin und verkündet ihnen das Reich Gottes. Das wird auch eurem Seligwerden zugutekommen.

 

2. Seid nicht so sicher!

Jesus wird dann aber doch noch etwas konkreter. Er sagt: „Wundert euch nicht, wenn viel weniger Menschen gerettet werden. Sie werden versuchen, hinein zu kommen, aber sie werden es nicht können!“ Jesus stellt das dar in einem Zwiegespräch zwischen dem Hausherrn und den Draußenstehenden. Diese machen - unter Berufung auf Jesus – ihre Ansprüche geltend: „Warum willst du uns denn nicht kennen? Wir waren doch deine Gäste, du hast doch mit uns gegessen und getrunken. Als du auf den Straßen gelehrt hast, da waren wir doch in der großen Traube von Menschen, die sich um dich sammelte und dir zuhörte. Wir waren doch nicht ohne Interesse. Und unseren Konfirmationsschein haben wir doch auch gut in der Do­kumentenmappe aufgehoben. Wir waren doch in deine Gemeinde die Treuesten, wir waren doch langjährige Mitarbeiter oder sogar hauptamtliche Angestellte!“

Doch Jesus könnte ihnen sagen: „Ihr seid euch so sicher. Aber ich kenne euch nicht und weiß nicht, wo ihr her seid!“ Das Wort „kennen“ meint in der Bibel nicht eine Bekanntschaft, sondern die innerste Gemeinschaft, wie sie zum Beispiel Eheleute haben. Aber diese Verbundenheit haben die Draußenstehenden nicht gesucht, ihre perfekte Kirchlichkeit war nur ein äußerlicher Kontakt.

Mit dieser Warnung an die Sicheren sollen nun aber nicht die um den Trost gebracht werden, die wirklich gern hinein wollen, aber fälschlicherweise überzeugt sind, daß sie kein Recht dazu haben. Diesen würde es nicht einfallen, mit Forderungen aufzutreten oder gar den Herrn der Ungerechtigkeit zu beschuldigen. Diese machen sich auch keine Gedanken darüber, daß sie mehr hätten leisten müssen, um dann vor der Tür stärkere Trümpfe ausspielen zu können.

Sie überlassen alles dem Herrn.

Beim Kontakt mit Jesus soll nicht unser Frommsein zum Zuge kommen, sondern er soll mit seiner rettenden Liebe zum Zug kommen. Es geht nicht um das, was wir getan haben, sondern, was er für uns getan hat. Die Tür ist zwar eng, aber weit genug, um hindurchzukommen, wenn man aus Jesu Gnade lebt.

 

3. Denkt nicht so eng:

Der Himmel ist nicht nur etwas für die Superchristen, etwa für Asketen (die um Gottes willen auf alles verzichtet haben) und Märtyrer (die für ihren Glauben gestorben sind). Jesus sagt: „Wundert euch nicht, wenn mehr gerettet werden als ihr meint oder die Betreffenden selber meinen. Sie werden kommen von Osten und Westen, von Norden und Süden und mit am Tisch sitzen in Gottes Reich!“ Die aber meinen, besondere Anrechte zu haben, finden sich ausgestoßen und sich immer dazu gerechnet haben.

Schon die Juden pochten auf ein Vorrecht gegenüber den Heiden und hätten sich gewundert über diese Menschen, die von fernher kommen und an Gottes Freudenmahl teilnehmen dürfen. Aber die Evangelien schildern uns immer wieder, wie Jesus die Ausgestoßenen und Ver­achteten an seinen Tisch geholt hat. Jeder kann den entdecken, ohne den niemand zum Vater kommt, ohne Vorbedingungen und Vorleistungen. Es gibt seit Jesus keinen hoffnungsvollen Fall mehr.

Auf eine theoretisch gemeinte Frage antwortet Jesus so, daß er uns anredet und aufruft. Er gibt nicht Auskünfte, sondern bringt uns in Bewegung. Er greift nach uns, wie er nach allen Menschen greift. Buße kann bedeuten, daß wir uns rufen lassen, aber auch daß wir umlernen und erkennen, daß Jesus keinen verlorengehen lassen will.

Zusammenfassend kann man nur sagen: Wenn wir zu Gott kommen, dann werden wir uns wundern, wer alles da ist. Wir werden uns aber auch wundern, wer nicht da ist. Und wir werden uns am meisten darüber wundern, daß wir selber da sind!

 

 

Lk 13, 31 - 35 (Estomihi):

Der Fuchs ist die bildliche Bezeichnung für einen unbedeutenden Menschen, das Gegenteil eines Löwen. Außerdem ist er das Symbol der Schläue, weil er mit Verschlagenheit seine Beute und seinen Vorteil sucht. Gemeint sein könnte an dieser Stelle im Lukasevangelium Herodes Antipas, ein Enkel des Königs Herodes aus der Weihnachtsgeschichte und Landesherr Jesu. Er war verantwortlich für den Tod Johannes des Täufers und sieht in Jesus einen von den Toten auferstandenen Propheten oder vielleicht auch den Täufer.

Er schwankt zwischen Verlegenheit, Scheu, Neugier und Verachtung. Diese sich widersprechenden Einzelheiten kennzeichnen ihn plastisch. Der jüdische Geschichtsschreiber Josephus kennzeichnet ihn als einen Menschen, der Ruhe und Bequemlichkeit liebte. Die Unruhe, die von Jesus ausging, war ihm unbequem. Sein Ziel war: „Nur nicht auffallen bei den Römern!“ So ein Aufwiegler wie Jesus sollte ihm keine Unannehmlichkeiten bereiten.

Deshalb läßt er Jesus so hintenherum eine Morddrohung übermitteln, um ihn loszuwerden. Jesus soll abgeschoben werden, des Landes verwiesen, ausgebürgert. Aber es soll ohne Aufheben geschehen, er soll freiwillig seine Papiere holen und das Land verlassen und anderswo um Asyl bitten.

Es kommen Pharisäer zu Jesus und warnen ihr. Es ist nicht deutlich, ob sie von Herodes geschickt sind. Sie könnten von ihm geschickt sein. Es könnte aber auch sein, daß zumindest einige es tatsächlich gut mit Jesus meinen und ihm gegenüber noch die Haltung einer wohlwollenden Neutralität einnehmen.

Aber nehmen wir einmal an, sie kamen in böser Absicht. Dann hätte Jesus mit seiner Antwort nicht nur den Herodes kritisiert: „Er ist zwar schlau, aber er ist auch ebenso verächtlich!“ Jesus hätte damit auch gleich die Pharisäer kritisiert, die vor ihm stehen. Mit überlegener Ironie sagt er ihnen: „Ihr könntet mal eurem Herodes einen schönen Gruß sagen: Er ist ein Fuchs, auf dessen Schläue ich nicht hereinfalle. Ich mache weiter, darauf kann er sich verlassen - solange mir Zeit gegeben ist!“

Jesus weiß genau: Wenn er das Land verläßt, dann gerät er in den unmittelbaren Machtbereich des Hohen Rates in Jerusalem. Diese Absicht scheint Herodes zu haben: ihn seinen Gegnern in die Hände zu spielen. Jesus aber macht deutlich: Er bezieht seine Direktiven von anderswoher, die Anordnungen des Herodes machen auf ihn keinen Eindruck!

Wir müssen dabei bedenken: Dieses Wort Jesu hat die Gemeinde damals im Gedächtnis aufbewahrt, weil es für sie aktuell war. Die Gemeinde des Lukas trug ihrem Herrn das Kreuz nach, denn auch ihr wurde von Machthabern wie Herodes nachgestellt. Nun waren es der römische Kaiser und seine Statthalter, die die Christen verfolgten. Und „Jerusalem“ war auch für sie der Inbegriff einer den Christen feindlich gesinnten Größe. Die Enkel derer, die einst Jesu Tod gefordert hatten, begegneten den Christen mit dem gleichen Haß

Auch heute gibt es Länder, in denen Christen verfolgt werden, vor allem in islamischen Ländern. Jesu Geschichte ist auch die Geschichte seiner Gemeinde. In irgendeiner Form kommt das Kreuz Jesu auch im Leben jedes einzelnen Christen vor, ja es will und soll da vorkommen. Für Jesus beginnt ein schwerer Weg. Seinen Anhängern wird es nicht besser ergehen. Aber gerade sie will Lukas ermutigen, ihren Glauben nicht aufzugeben, sondern ihrem Herrn die Treue zu halten

Jesus läßt sich nicht einschüchtern, sondern er bleibt bei seinen Leuten. Er bleibt zunächst in Galiläa, weil dort Menschen sind, die verzweifelt sind und Hilfe brauchen. Er geht zu den Kranken, die damals weitgehend vom Leben und der Gemeinschaft der anderen Menschen ausgeschlossen waren, und gibt ihnen wieder eine Hoffnung.

Er tut das nicht, weil sie ihm leid tun. Er wird nicht getrieben von der Not der Zeit, sondern er wird von Gott getrieben in die Not dieser Zeit hinein. Ein göttliches Muß treibt ihn in das Leid und die Schuld dieser Welt.

Wer mit Jesus den Weg geht, der geht nicht nach eigenem Gutdünken. Er wird vielmehr geleitet von Gottes Willen zur Rettung. Er muß einfach die Hoffnung bringen zu den Verzweifelten, die Heilung zu den Kranken und die Gemeinschaft zu den Ausgestoßenen. Nicht weil es so schön ist zu helfen, sondern weil Gott diesen Weg festgelegt hat. Er hängt nicht von Menschen und Mächten ab, sondern von Gottes „Muß“.

Das wird auch deutlich an Jesu letztlicher Entscheidung, doch nach Jerusalem zu gehen. Er macht sich nicht abhängig vom Wohlgefallen oder Mißfallen einer so windigen Gestalt wie Herodes, ob die Menschen ihn gern wirken sehen oder nicht, ob sie es ihm erlauben oder ihn hindern wollen. Er geht auch nicht aus Angst vor dem Mörder des Johannes seinen Feinden in Jerusalem in die Falle.

Jesus hält sich in allem an Gottes Befehl. Und der will, daß jetzt in Galiläa die Dämonen weichen müssen und Kranke gesund werden. Jesus wirkt trotz der Drohung weiter, als wäre nichts geschehen. Mit diesen Worten hat auch 1933 der Theologieprofessor Karl Barth die evangelischen Christen in Deutschland aufgefordert, sich nicht an die neue Bewegung anzupassen. Und ein Gleiches war 1945 angebracht. Die Kirche ist unabhängig von politischen Systemen, sie hat allein auf ihren himmlischen Herrn zu hören.

Jesus übte weiter sein Amt aus nicht von des Herodes Gnaden, sondern nach Gottes Befehl. Bald aber wird er Galiläa verlassen. Aber nicht, weil Herodes das will, sondern wiederum nach Gottes Befehl.

Jesus geht nach Jerusalem, weil es ihm bestimmt ist, dort zu sterben. „Jerusalem tötet die Propheten“ - das steht fest, nicht nur einmal war das so, sondern immer wieder. Fast sieht es so aus, als zöge Jesus nach Jerusalem, um einer geheimen Gesetzmäßigkeit zu entsprechen und um das Maß der Schuld Jerusalems voll zu machen.

Jerusalem ist ja nicht irgendeine Stadt. Jerusalem ist geradezu ein Symbol. Es ist die Hauptstadt mit dem Tempel. Es ist der Ort, den Gott erwählt hat, die Stadt des großen Königs und die Stadt des Messias. Jerusalem wird auch einmal der Schauplatz der Vollendung aller Dinge sein. Aber genau da, wo man sich doch mit Gott in festem Bunde weiß, tötet man Gottes Propheten.

An sich war das Volk von einer lebendigen Religiosität geprägt. Zu der großen Religionsfesten in Jerusalem strömte die Menge der Gläubigen zusammen. In den Bethäusern der Städte und Dörfer waren die Gottesdienste gut besucht. Ernste Bibelarbeit wurde getrieben. Und das Alltagsleben war bis in kleinste Verrichtungen durch religiöse Vorschriften geregelt.

Aber man kann fromm sein und doch eine Art Herodes. Man kann überzeugt von Gott reden und doch nur seinen Vorteil bei Gott und den Menschen suchen. Jesus stößt auf den härtesten Widerstand gerade an den Stellen, an denen wir fromm sind. Gerade hier geht es dem Menschen doch sehr um die eigene Gerechtigkeit, um sein Ansehen und seine Leistung und den Wert seiner Persönlichkeit. Damit aber erliegt er einer religiösen Selbsttäuschung.

Herzbewegend ist die Klage Jesu über Jerusalem. Während er Herodes als Fuchs bezeichnet, sieht er sich selbst unter dem Bild der Henne. Eine Henne schart die Küken um sich, sie führt sie, sie deckt sie zu und wärmt sie. So wollte auch Jesus die Menschen zurückgewinnen und um sich scharen. Dafür hat er viel Mühe und Geduld aufgewendet und hat sich vieles einfallen lassen.

Aber am Ende muß er feststellen: „Ihr habt nicht gewollt!“ Nun wird für alle Zeiten klar: Am Ort des Tempels wird der Messias sterben. Am „Ort Gottes“ geschieht der „Mord Gottes“. Zur Strafe dafür wird Gott den Tempel verlassen. Lukas hatte die Zerstörung Jerusalems schon handgreiflich vor Augen!

Jesus zwingt niemanden. Er braucht Jünger, die ihm freiwillig folgen und anhängen. Deshalb lädt er so dringlich ein und wirbt unermüdlich. Aber wenn wir nicht wollen, dann kann es eines Tages dahin kommen, daß wir nicht mehr können. Je mehr Liebe Jesus investiert hat,

desto größer wird unsere Schuld, wenn wir dieses Bemühen nicht beachten.

So wie die Küken unter den bergenden Flügeln der Henne heranwachsen, so können auch wir nur in Jesu Nähe und mit seiner Hilfe zu wahren Menschen heranreifen. Ohre Liebe und Geborgenheit verkümmern wir innerlich. Wahres Menschsein gedeiht nur unter der Liebe.

Und wahres Menschsein besteht in solcher Liebe - im Dasein für den anderen.

Wenn einer in unserer Umgebung von Gott oder der Kirche spricht, dann denkt er doch an einen bestimmten Christen, an dich und mich. Er möchte doch an meinem Verhalten etwas erkennen, was so ist wie Gott: einen Menschen annehmen, ihn heilen, ihm Hoffnung geben. Er will doch bei mir erfahren, wer nun eigentlich Gott ist. Wenn wir hier versagen, steht mehr auf dem Spiel als nur unser eigenes Heil.

Auf dem richtigen Weg aber sind wir, wenn wir mit anderen bekennen: „Gelobt sei der da kommt im Namen des Herrn!“ Sie werden Jesus in Jerusalem ans Kreuz bringen. Aber Kar­freitag ist nicht das Ende, sondern er wird bald wieder da sein. Der sich jetzt auf seinen schweren Tod vorbereitet, wird noch seinen Triumphzug halten. Das wird noch dauern bis zum Ende der Zeit, aber es ist gewiß.

 

 

Lk 14, 1 – 24 (2.Sonntag nach Trinitatis):

Ein Mann wäscht am Sonntagmorgen sein Auto. Er tut es liebevoll und gründlich. Es fließt viel Wasser und es fließt viel Schweiß. Im Hintergrund sieht man eine Kirche, deren Glocken läuten. Sicher ist ihr Klang unüberhörbar. Aber der Mann sagt: „Die sind doch selber schuld daran, wenn sie immer ausgerechnet dann Gottesdienst machen, wenn ich mein Auto waschen muß!“

So kann man natürlich auch mit der Einladung der Glocken fertigzuwerden versuchen. Dabei laden sie doch ein zu einem festlichen Ereignis, das Gott für uns veranstaltet und wo etwas vom Reich Gottes deutlich werden soll. Wir könnten uns allerdings vorstellen, daß Gott seinen Willen in der Welt anders durchsetzt als durch die Ausrichtung eines Gastmahls. Dabei ist er ja nur der Gebende, der nur schenkt und nichts fordert.

Nun kennt allerdings die Bibel auch den mächtigen und strafenden Gott, vor dem einem angst und bange werden kann. Das gehört auch zu seinem Wesen. Er ist nicht nur der ewig lächelnde Gott, der nur die Aufgabe hat, allerlei Schaden zu verhüten. Er ist auch gerecht und eifersüchtig und erwartet unsern Gehorsam.

Aber im innersten Herzen ist Gott anders. Da ist er der Gastgeber, der seinen geliebten Menschen das große Fest bereitet. Wie Gott ist, können wir an Jesus Christus ablesen. Er geht zu den Menschen und lädt zu dem Festmahl Gottes ein. Er ist selber mit der Gastgeber und er macht sich auch selber auf den Weg, um die Menschen einzuladen, was an sich die Aufgabe des Dieners war.

Sein Rufen ist etwas anders als ein „Einberufen“, und seine Einladung ist keine Vorladung. Gott zeigt sein Herrsein darin, daß er freigiebig austeilt und fröhlich macht. Er hat keinen Spaß daran, uns kurz zu halten; er sieht uns gerne glücklich. Aber solches Glück gibt es eben auch nicht ohne Gott.

Wir brauchen nicht mit zusammengebissenen Zähnen und unter Erfolgszwang stehend aus uns selbst etwas zu machen. Gott macht aus uns etwas, indem er uns in dem Kreis der Menschen hineinruft, die an seinem eigenen Leben teilhaben und mit ihm an einem Tisch sitzen. Weil wir das „Haupt zum Freunde“ haben und „geliebt bei Gott“ sind, haben wir einen Sinn für unser Leben und ein lohnendes Ziel.

Gottes Fest findet statt, auch wenn wir seine Einladung nicht wahrnehmen. Viele werden allerdings denken: „Aber wir sind doch da. Wir hören die Predigt, und wir stehen der Sache Jesu Christi nicht grundsätzlich ablehnend gegenüber!“ Das stimmt schon, wir haben die Einladung gehört und bemühen uns auch, ihr gerne nachzukommen.

Aber unsere Bereitschaft für Gott und unsere Weigerung ihm gegenüber liegen doch eng beieinander. Auch diejenigen täuschen sich leicht, die felsenfest überzeugt sind, bei ihnen werde sich Gott keine Absage holen. Sie meinen, ihre Entscheidung für Gott sei so klar und unwider­ruflich gefallen, daß es so etwas gar nicht geben könne. Manchmal geben sie sogar Tag und Stunde ihrer Entscheidung an.

Aber dann kommen sie etwa in ein kirchliches Krankenhaus, um die Berufsausbildung zur Krankenschwester aufzunehmen. Sie stellen sich vor, so ein Haus sei eine heile Welt und alles sei nur eitel Freude und Sonnenschein. Aber dann stellt sich heraus, daß dort auch nur mit Wasser gekocht wird, daß dort Menschen am Werk sind, die eben Schwächen und Fehler haben wie andere Menschen auch. Da kann dann leicht eine Welt zusammenstürzen, und man wird an Gott irre. Das gibt es also, daß fromme („religiöse“) Menschen sich Gott verweigern, obwohl sie es selber nicht bemerken.

Es sind keineswegs verwerfliche oder entbehrliche Dinge, die jene Menschen davon abhaltender Einladung zu folgen. Es sind durchaus ehrenwerte und notwendigen Aufgaben, die sie erledigen wollen. Sicher hätte man den Acker auch noch einen Tag später besichtigen können. Und den Hochzeitstermin mußte man nicht unbedingt auf den Tag legen, an dem schon ein Fest angesetzt war.

Aber andererseits nimmt auch heute der Beruf jeden voll in Anspruch. Ehe und Familie stellen eine starke Bindung dar. Das kann und soll auch nicht anders sein. Beide Bereiche - Beruf und Familie - stehen ja auch unter dem Schutz und dem Segen Gottes. Jesus will uns ja auch nicht der Schöpfung Gottes entfremden. Wir sollen unser Alltagspflichten ja auch nicht mit schlechtem Gewissen tun.

Jene Eingeladenen aber sagen: „Ein andermal gerne, aber heute paßt es mir gerade nicht!“ Im Grunde hätten sie Zeit gehabt. Zeit haben wir alle in reichem Maße. Aber in Wirklichkeit hatten sie „keine Lust“, wie man so sagt, im Grunde wollten sie einfach nicht, wollten nicht in Gemeinschaft mit anderen kommen, sondern hatten an sich selber genug.

Was einem wichtig ist, dafür hat man immer Zeit. Für Sport oder Fernsehen hat man viel Zeit. Sie sind sicher keine Sünde. Aber sie können unsere Gemeinschaft mit Gott zerschlagen, wenn wir nur noch sie im Kopf haben. Aber wer sich jetzt nicht einfindet, für den wird es einmal zu spät sein. Wer sich zum Vortisch nicht einladen läßt, bekommt auch die Hauptmahlzeit nicht zu schmecken. Soll man es darauf ankommen lassen?

Viele sagen auch: „Ich bin nicht dagegen!“ Aber Gott kommt bei ihnen einfach nicht zum Zug. Die Geschäfte des täglichen Lebens werden in der Praxis so wichtig, daß Gott zurückstehen muß. Und dies geschieht nicht nur einmal, sondern immer wieder. Wenn man Gott erst einmal vernachlässigt hat, kommt das immer wieder vor. Der erste Schritt ist hier der entscheidende.

Was uns hindert, der Einladung Gottes zu folgen, ist im Grunde ein Götze. An sich ist es eine gute Gabe des Schöpfers. Aber wenn es mit Gott in Konkurrenz tritt, wird es gefährlich. Es kommt immer darauf an, welchen Rang alles in unserm Denken und Wollen, in unserm Tun und Lassen hat.

Man könnte ja auch sagen: „Das ist doch die ureigenste Sache eines jeder einzelnen, wie er es mit Gott zu halten gedenkt! Es ist doch niemand ein Vorwurf zu machen, der sich der Einladung Gottes entzieht!“ Aber Jesus denkt da anders. Er weiß, daß der Gastgeber eine Ablehnung als Beleidigung und Mißachtung versteht und zornig wird. Schließich wollte er ja allen ein schönes Fest bereiten und hat es an nichts fehlen lassen.

Sein Vorhaben gibt er jedenfalls nicht auf. Wenn die zuerst Eingeladenen nicht kommen, dann hat er noch andere, mit denen er sein Fest feiern kann. Nun werden die Zaungäste hereingeholt, an die bisher noch keiner gedacht hat. Die anderen nahmen an, daß diese Leute nur mit Einschränkungen am Reich Gottes würden teilnehmen können. Es waren die hoffnungslosen Fälle, wo doch alles keinen Zweck mehr hat, weil sie sich nicht mehr ändern würden.

Aber gerade diese werden nun eingeladen. Das ist nicht ein Akt der Verlegenheit, der in den ursprünglichen Plänen Gottes nicht vorgesehen war. Es ist auch nicht eine List Gottes, der die Plätze schnell mit zwielichtigen Gestalten gefüllt hätte, damit die Zuerstgeladenen wieder ge­hen müssen, falls sie doch noch kommen. Nein, hier geht es ja gerade um die beglückende Botschaft, daß gerade diese verachteten Menschen die Freude eines Festes mit Gott erleben dürfen.

Aber bemühen wir uns in der Kirche nicht auch meist um die bequemen Leute, mit denen man gut auskommt und die sich kirchlich gut einordnen lassen. Wir wollen die haben, auf die wir uns von vornherein verlassen können. Die Versuchung ist groß einfach unter sich zu bleiben.

Dabei hält man sich die vom Leibe, die Mühe machen, wenig sympathisch sind und schwere Schicksale erlebt haben. Jesus lenkt unsern Blick aber auch auf die, die draußen stehen. Ihnen dürfen wir den Zugang zu Gottes Fest nicht versperren oder die Sache Jesu verekeln. Es ist viel Raum im Reich Gottes.

Vor allem ist auch Raum für uns dort. Wir können uns ja wiederfinden in den zuerst Eingeladenen. Aber wir sind auch die Armen, Krüppel, Blinden und Lahmen. Der Tischgast, dem Jesus das Gleichnis erzählt hat, der hat sich sicher zu den Zuerstgeladenen gezählt. In Wirklichkeit aber ist er draußen geblieben. Das lag nicht an Gott, sondern an dem Mann selber.

Gott lädt ein. Er möchte sein Haus voll haben: Er kriegt es auch bestimmt voll. Wenn nicht so, dann so. Es könnte sein, daß wir auch zu den Heiden von ganz draußen gehören. Darüber könnten wir nur erschrecken. Aber wenn wir uns einladen lassen und hineingehen zum Fest, dann sollten wir uns nicht wundern, wenn wir dort Menschen treffen, die wir uns nicht ausgesucht hätten.

 

 

Lk 14, 25 - 33 (5. Sonntag nach Trinitatis, Variante 1):

Es gibt auch noch heute katholische Mönchs- und Nonnenorden, die von ihren Gliedern die völlige Trennung von der Familie verlangen. Sie erhalten einen neuen Namen und dürfen Besuch der Familie nur in äußersten Notfällen empfangen. Und selbst wenn einmal ein Treffen stattfindet, dann sind die Gesprächspartner durch ein Gitter voneinander getrennt. Wer Mönch wird, hat sein bisheriges Leben hinter sich gelassen und auch die Bindungen an die Familie aufgegeben, weil allein Christus im Vordergrund stehen soll.

Es gibt auch evangelische Klöster mit ähnlich strengen Regeln. Und in den Diakonissenmutterhäusern darf man während der Ausbildung auch kaum heimfahren. Manchmal stehen dann Eltern und Geschwister der Entscheidung für so eine Sache verständnislos gegenüber. Man kann ja selbst Martin Luther als Kronzeugen anrufen gegen das Mönchtum. Er hat ja eine entlaufene Nonne geheiratet und damit vor aller Welt mit dieser Ordnung der alten Kirche gebrochen.

Die heutigen klosterähnlichen Gemeinschaften tun ihren Dienst meist in der Welt. Die Mitglieder sind Lehrer oder Landwirte oder Kinderdiakoninnen. Aber die alten Ideale von Armut, Ehelosigkeit und Gehorsam halten sie aufrecht. Und auch die radikale Trennung von der Familie gehört dazu.

 

1. Wer Jesus nachfolgen will, riskiert die Seinen: Schreckt Jesus nicht diejenigen unnötig ab, die doch bereit sind, ihm zu folgen? Müßte man die Menschen nicht allmählich und behutsam an das Verständnis des Evangeliums und an die Folgen des Christseins heranführen? Müßte man die Härte der Forderung nicht in kleine Dosen verpacken, um nur ja niemanden zu verprellen?

Jesus hat es jedenfalls anders gemacht. Natürlich hat er weitherzig gedacht und gerade die Gescheiterten und Verachteten mit Güte aufgenommen. Nur macht er eben auch deutlich: Schleuderware ist das Evangelium nicht. Er konnte nicht nur das sagen, was sie alle gern hörten. Und er wollte nicht nur das verlangen, was sowieso keinen stört und auf der bisher eingehaltenen Linie liegt.

Damals bedeutete der Anschluß an Jesus unter allen Umständen einen harten Bruch mit dem bisherigen Leben. Wer mit Jesus ging, der mußte Haus und Familie, Beruf und Freunde sein lassen und sich auf eine ungewisse Zukunft einlassen. Sie mußten wählen zwischen Jesus und seiner Sache und den Menschen, zu denen sie bisher gehörten. Jesus wollte den Konflikt mit den Mitmenschen nicht. Aber er wußte, daß er nicht ausbleiben würde.

Er hat sich auch bei keinem angebiedert. Es gab ja damals Gruppen, die die Römerherrschaft beenden wollten. Andere wollten die Ausbeutung der Armen überwinden. Jesus hätte sich nur den Wortschatz dieser Leute aneignen brauchen, dann hätte er eine große Schar von Mitläufern gewonnen. Aber das entsprach nicht dem Auftrag seines himmlischen Vaters. Er wollte nicht Mitläufer, sondern Menschen, die ihm auf Grund einer freien und wohlüberlegten Entscheidung folgen wollten.

Wenn junge Leute einen kirchlichen Beruf ergreifen wollen, dann trifft das oftmals bei den Eltern auf keine Gegenliebe. Sie gehen vielleicht zu Weihnachten oder zu besonderen Anlässen in die Kirche, sie sorgen auch dafür, daß die Kinder getauft und konfirmiert werden, aber das soll dann auch genügen. Wenn einer die Sache so ernst nimmt, daß er sogar selber ein Zeuge Jesu Christi sein will, dann ist das doch überspannt.

Und dann muß man sich eben entscheiden. Dann zeigt sich, was stärker ist: die Liebe zu Jesus oder ein konfliktloses Verhältnis zu den Eltern! Je lieber man die Eltern hat, desto schwerer wird die Entscheidung. Aber sie dürfen uns nicht hindern, an Jesus zu glauben oder mit ihm zu gehen. Manche Eltern haben es schon bereut, daß sie so großzügig waren und ihr Kind beim Krippenspiel oder beim Kindergottesdienst haben mitmachen lassen. Da ist dann oft eine feste Bindung an Jesus draus geworden, die den Eltern dann gar nicht mehr recht war und zu Konflikten führte.

Das Wort „hassen“ ist in diesem Zusammenhang beschwerlich. Jesus hat doch selber gefordert, wir sollten Vater und Mutter ehren! Aber es geht natürlich nicht um Vergeltung oder geringschätzige Abwertung. Gemeint ist das Zurücktreten der persönlichen Beziehungen, weil man eine neue Bindung eingegangen ist. Jesus möchte, daß wir wissen, was wir tun, wenn wir Christen werden. Für solche, die nichts einzusetzen bereit sind, ist das Christsein nichts. Dazu kommt noch ein Zweites:

 

2. Wer Jesus nachfolgen will, riskiert das Seine: Wenn man Jesus nachfolgt, dann kommt man in Konflikte, die man nicht absichtlich gesucht hat. Aber man wird auch etwas zurücklassen müssen, das einfach um des neuen Auftrags willen nötig ist. Weil Gott den einen oder anderen anderswo braucht, muß er das Seine verlassen. Und dabei kann es sein, daß nicht nur um der Aufgabe willen, sondern auch um unsrer selbst willen, manches über Bord gehen muß. Nachfolge ist kein Zuckerlecken, sondern eine harte Sache.

Es wird nicht erwartet, daß wir alles Gute und Schöne von uns weisen. Es ist uns ja von Gott gegeben und niemand braucht ein schlechtes Gewissen zu haben, wenn er es gebraucht. Der ewigreiche Gott hat kein Interesse daran, uns zu armen Leuten zu machen. Aber es darf nicht sein, daß die Dinge uns besitzen, die wir eigentlich besitzen sollten. Das wäre aber der Fall, wenn wir von ihnen abhängig würden.

Täuschen wir uns nicht: Wir sind in hohem Maße schon abhängig! Wo haben wir noch die Freiheit zum einfachen Leben. Vielleicht bringen wir es noch einmal während des Urlaubs zustande. Aber hinterher sind wir wieder froh, elektrisches Licht und Kühlschrank und Fernsehapparat zu haben. Das wirtschaftliche Ziel heißt „Wachstum“: Wenn immer mehr produziert wird, werden die Arbeitsplätze gesichert und die Bedürfnisse der Bevölkerung immer besser befriedigt.

Doch je besser es uns geht, desto größer wird die Sorge, es könnte uns etwas entgehen, was wir auch noch haben könnten. Je mehr wir aber haben, desto mehr Energie verbrauchen wir und desto mehr Abfall produzieren wir. Damit tragen wir selbst zu den Weltproblemen der Zukunft bei. Wo sind denn die Menschen, die an sich selbst trainieren und es anderen vorleben: Es geht auch „ohne“.

Verzichten heißt nicht nur, etwas verlieren, sondern es bedeutet auch ein gewinnen. Am Ende einer Sparperiode steht eben das Auto in der Garage oder der Farbfernseher in der Stube. Und der Leistungssportler, der lange und hart trainiert hat, wird am Ende Sieger in einem Länderkampf oder gar bei den Olympischen Spielen. Wenn wir uns für Christus einsetzen, werden wir vielleicht auf einiges verzichten müssen. Aber wir gewinnen auch einiges, und das wiegt meist schwerer als das, worauf wir verzichtet haben.

Unser Opfer an Geld sollte mehr sein als ein Trinkgeld. Es könnte uns aber Freude machen, wenn wir hören, welche Not mit unserem Geld gelindert werden konnte oder welche wichtige Arbeit die notwendige Unterstützung erhielt.

Mit dem Opfer an Zeit ist es schon schwieriger. Jeder ist heute stark ausgelastet. Und doch kann es froh stimmen, wenn wir bei Krankenbesuchen in der Gemeinde helfen und dabei erleben, wie Leid im Glauben getragen wird. Da könnten wir aus der Haltung des Hörers und Verbrauchers herauskommen, der nichts aus seinem Glauben heraus tut.

Das Opfer des Berufs will besonders genau überlegt sein. Und doch haben Menschen schon gutbezahlten Stellungen aufgegeben und einen Dienst in der Gemeinde übernommen. Aber wer vorher nur an der Maschine stand oder auf dem Büro Zahlenkolonnen schrieb, empfindet nun große Befriedigung bei der Arbeit mit Menschen. Auch wenn man vielleicht eine kleine finanzielle Einbuße erleidet oder Aufstiegsmöglichkeiten ausgeschlagen hat, viel wichtiger ist doch, was man selbst dabei gewonnen hat.

Natürlich genügt ein einmaliges geistliches Strohfeuer nicht. Das muß man denen sagen, die vielleicht bei einer Evangelisation „entflammt“ wurden und nun meinen, jetzt sei alles gelaufen. Man darf die eigene geistliche Kraft nicht überschätzen und auch die äußeren Schwierigkeiten nicht unterschätzen. Jesu Vergleiche mit dem Bauherrn und dem König, der Krieg führt, machen das deutlich. Enttäuschungen bleiben nicht erspart.

Die einmalige Entscheidung ist noch nicht eine Entscheidung ein für allemal, bestenfalls eine erstmalige Entscheidung. Gott kann seiner Gemeinde auch Ruhe und Frieden geben. Aber wenn er uns braucht, dürfen wir nicht hinter dem Ofen hocken. Vielleicht müssen wir nicht nur andere Menschen oder bestimmte Sachen aufgeben, sondern auch uns selbst.

Wir brauchen keine Angst zu haben, die ganze Wahrheit werde von den Menschen nicht angenommen und man täte gut daran, nur die halbe Wahrheit zu sagen und leiser zu treten. Eher sollten wir Angst haben, wir könnten ihnen verschweigen, wie lohnend der Start nach vorn ist. Jesus will uns nichts nehmen, sondern in Wirklichkeit will er geben. Es besteht kein Grund zur Sorge, wir könnten bei ihm zu kurz kommen.

 

 

Lk 14, 25 - 33 (5. Sonntag nach Trinitatis, Variante 2):

Auch in der Kirche von heute gibt es das, daß die Leute zusammenlaufen, aus Neugier oder um sich begeistern zu lassen. So eine Fahrt ins Ausland oder ein Jugendsonntag oder ein Spiel in der Kirche, das ist schon etwas, an dem man sich begeistern kann. So etwas erlebt man

nicht alle Tage, da lernt man einmal Menschen von außerhalb kennen, man spürt den Duft der großen weiten Welt, da ist es sogar einmal in der Kirche interessant und man denkt: „Wenn das doch immer so wäre, da würde ich viel lieber mitmachen!“ Aber dann kommt wieder der gewohnte Alltag, wo uns der ganze kirchliche Betrieb wieder zum Halse raus hängt: „Warum geht es denn bei den anderen?“ denkt man, „und nicht auch so bei uns?“

Jesus hat das vielleicht auch gespürt, wie schnell sich die Menschen begeistern lassen. „Brot und Spiele,“ sagten damals die Römer, „die stellen die Menschen schon zufrieden!“ Auch Jesus hatte oft eine große Zuhörerschar, über Kilometer weit sind sie ihm nachgelaufen, um den berühmten Mann zu hören. Doch dadurch sind sie noch nicht zu Jüngern geworden. Jesus schlägt ihnen einen nassen Lappen ins Gesicht mit dem knallharten Satz: „Wer nicht Vater und Mutter, Frau und Kind, Bruder und Schwester und sein Leben haßt, der kann nicht mein Jünger sein!“

Das ist doch eindeutig gegen das vierte Gebot der Elternliebe und gegen das Liebesgebot. Sogar die Feinde sollen wir lieben, und nun heißt es: Frau und Kind sollen wir hassen! Das sage man einmal einem Jungverheirateten, der eben erfahren hat, daß seine Frau ihm einen Sohn geboren hat. Es steht auch eindeutig „hassen“ hier und nicht etwa nur „links liegenlassen“ oder „verachten“. Wir müssen also bereit sein, auch die Menschen zu hassen, die uns am liebsten sind.

So ganz aus der Luft gegriffen ist diese Aufforderung aber nicht, wenn wir uns einmal überlegen, wie es manchen Kindern in ihren Familien geht: Sie möchten gern zur Kirche gehen, weil sie nun einmal getauft sind, doch die Eltern sind der Kirche inzwischen entfremdet,

vielleicht sogar aus der Kirche ausgetreten. Und nun kämpft dieses Kind ständig zwischen der Achtung vor den Eltern und dem Wunsch, mehr über das zu hören, was da in der Taufe an ihm geschehen ist. Die Eltern kaufen ihm keine Bibel, die muß es sich selber verdienen durch Gelegenheitsarbeiten. Es möchte sich nicht verkrachen mit den Eltern, von denen es doch noch abhängig ist, aber es möchte sich auch nicht abbringen lassen von der Nachfolge Jesu. Soll es da nicht beginnen, die Eltern nicht mehr zu lieben?

Oder denken wir umgekehrt an die Frau, deren Mann gegen die Kirche ist. Er mag sich sonst noch so gut mit seiner Frau verstehen, aber wegen des Religionsunterrichts der Kinder gibt es Krach, weil Mann und Frau eine verschiedene „Weltanschauung“ haben, wie das dann so heißt, weil die Frau noch nicht auf dem richtigen „ideologischen Bewußtsein“ ist. Kommt da nicht - ohne daß sie es wollen - ein Bruch in das Verhältnis zwischen beiden?

Jesus sagt: „Wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und folgt mir nach, der kann nicht mein Jünger sein!“ Begeistern lassen kann man sich schnell. Als vor vielen Jahren der amerikanische Evangelist Billy Graham in Berlin sprach, da kamen die Leute sogar bis aus Dresden, um ihn zu hören. Er forderte dann alle auf, die in diesem Augenblick in Jesus ihren Heiland gefunden haben, die sollten nach vorne zum Rednerpult kommen. Und dann kam auch immer eine ganze Reihe. Aber eine einmalige Entscheidung ist noch keine Entscheidung ein für allemal. Es konnte sich da - meist von der ganzen Stimmung angesteckt - nur um eine erstmalige Entscheidung handeln.

Aber zu Hause in Dresden, wo der Regen durchs Kirchendach tropft, wo die Leute so kirchenmüde und resigniert sind, wo man auf keine Gleichgesinnten trifft, da muß man sich immer wieder neu entscheiden, ob man dabeibleiben will. Und dann kann es auch sein, daß man dafür leiden muß.

Manche Leute fordern ja, man müsse Tag und Stunde seiner Bekehrung wissen. Sie denken dann, damit sei alles erledigt. Bekehrung und Nachfolge sind schwerer. Dazu gehört eben auch, daß man notfalls seine nächsten Angehörigen haßt und dafür dann auch die Folgen trägt.

Damit ist aber nicht blinder und boshafter Haß gemeint. Wir sagen nicht: „Tragt den Haß in jedes Herz!“, sondern: „Liebet eure Feinde, tut wohl denen, die euch hassen!“ Wir säen nicht Haß in die Welt, weil uns das Spaß macht, aber um der Wahrheit des Evangeliums willen müssen wir auch einmal hart sein und uns abwenden von denen, die uns von Gott abhalten wollen.

Wie weit die Nachfolge gehen muß, zeigt etwa Rolf Hochhuths Schauspiel „Der Stellvertreter“, das in der Zeit der Naziherrschaft spielt. Dort gibt der Pater Ricardo seine mögliche Karriere als Diplomat des Vatikans auf, heftet sich den Davidsstern an und wird nach Ausschwitz verschleppt, wo er einen scheinbar sinnlosen Tod stirbt. Es ging ihm nicht um ein eilfertiges Heldentum oder eine gedankenlose Begeisterung. Aber er wußte, daß sein Platz bei den Verfolgten war, auf der Seite der Erniedrigten und Beleidigten. Gegen den Willen seiner kirchlichen Obrigkeit und seines Vaters stellt er sich zu den zu schimpflichem Tod Verurteilten. Damit wird er zum wahren Stellvertreter, der der Papst nicht hatte sein wollen.

Doch Jesus fordert uns immer wieder auf: „Überleg es dir genau! Ein halber Anfang ist schlimmer als überhaupt kein Anfang!“ Wer nur das Fundament legt und hat dann kein Geld mehr für den Turm, den lachen die Leute aus. Und wer Krieg anfängt, der überlegt sich,

ob er sich dann nicht selber dem Gegner auf Gnade und Ungnade unterwerfen muß. Wir müssen uns das schon genau überlegen, ob wir durchhalten werden, wenn wir uns zur Kirche halten, im Chor mitsingen, konfirmiert werden oder im Alltag ein echter Christ sein wollen. Wer „A“ sagt, der muß auch „B“ sagen, wer einmal dazu gehört, muß auch dabei bleiben. Die Nachfolge bringt nicht eitel Wonne und Freude, sondern auch Blut und Tränen und Schmerz: Mitläufer sind noch keine Nachfolger! Wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und folgt mir, der kann nicht mein Jünger sein!

Wer einmal dazu gehört, der muß auch konkrete Verpflichtungen übernehmen. Wir müssen uns nüchtern einstellen auf den nicht leichten Weg mit Jesus und müssen auch schon vorausdenken. Und wir müssen bedenken, wie die Nachfolge im Einzelnen in unserem Leben aussehen könnte. Wer einmal dazu gehört, muß sich auch in seinem ganzen Leben danach verhalten.

Allerdings sollten wir uns auch nicht so viel Sorgen machen, ob wir denn wirklich werden durchhalten können. Luther hat sicher nicht geahnt, was er mit dem Thesenanschlag in Wittenberg anzettelte. Aber er hat es um der Wahrheit des Evangeliums willen gewagt und

ist auch dabei geblieben, obwohl ihm die Todesstrafe drohte. Wer einmal angefangen hat und dabei bleibt, der steht unter dem besonderen Schutz Gottes, der uns alle als seine Nachfolger beschützt und erhält.          

 

 

Lk 15, 1 – 10 (3. Sonntag nach Trinitatis):

Wir kennen das alle, wenn wir etwa die Brille verlegt haben oder ein Kind im Kaufhaus verlorengegangen ist: Dann ruhen und rasten wir nicht eher, bis es wieder da ist, und dann ist die Freude groß. Diesen' alltäglichen Vorgang nimmt Jesus zum Anlaß für die beider Gleichnisse vom verlorenen Schaf und vom verlorenen Groschen. Er will uns damit etwas deutlich machen über unser Verhältnis zu Gott.

Wir reißen uns doch auch leicht von der Hand Gottes los und rennen davon, weil uns etwas in die Augen gesprungen ist und uns anlockt. Es gibt soviel interessantes im Leben, daß man bei all dem Trubel Gott plötzlich aus den Augen verloren hat. Dann merken wir unter Umständen doch, daß uns etwas fehlt und möchten gern wieder zurück. Oft sind wir tatsächlich wie die dummen Kinder, die nicht wissen, was sie wollen: Nach Gottes Gebot und Verheißung wollen wir nicht leben, aber ohne Gott können wir auch nicht sein. Wenn wir bei Gott sind, wollen wir von ihm fort; wenn wir aber fort sind, wollen wir wieder zu ihm zurückkehren.

Ein Glück nur, wenn Gott da aufmerksam ist. Er spürt bald, wenn eins seiner Schutzbefohlenen fehlt. Da muß er sich nun diesem Menschen mit ganz besonderer Fürsorge zuwenden. Er möchte doch keins seiner Kinder verlieren. Seit der Taufe gehören wir doch zu ihm. Und er hat damals versprochen, mit all seiner Liebe und Fürsorge über unserm Leben zu wachen.

Welch ein Risiko ist das: Er läßt 99 allein und geht dem einen nach, das ihn jetzt besonders braucht. Wird er nun nicht vielleicht die anderen auch noch verlieren? Haben nicht auch diese ein Anrecht darauf, daß er sich um sie kümmert?

Das ist eine Frage, die sich auch immer wieder in unserm Gemeindeleben stellt: Um wen muß man sich mehr kümmern: um die treuen Gemeindeglieder, bei deren alles normal läuft, oder um die Randsiedler, die viel Mühe und Aufwand erfordern und nachher war doch alles vergeblich.

Aber Gott ist halt so, daß er dieses Risiko eingeht. Er geht uns schon nach, wenn wir uns sicher fühlen und noch nichts von der Gefahr merken. Er führt uns sozusagen alle an einer unsichtbaren Leine. Diese Leine kann schon sehr lang werden, so daß wir meinen, sie sei gar nicht mehr da; so können wir uns frei und ungezwungen bewegen. Aber Gott läßt uns nie aus den Augen. Plötzlich kann die Leine wieder sehr kurz sein und dann sind wir sicher froh darüber.

Gott ist auch froh darüber, denn er hat ein Kind wiedergefunden, das sich verirrt hatte. Eltern sind manchmal auch unglücklich über ein mißratenes Kind. Man kann fünf brave Kinder haben und das sechste ist ein Tunichtgut. Aber wenn dann so ein kleiner Strolch zum Muttertag einer Strauß Blumen bringt und verspricht, er wolle sich bessern, dann freuen sich die Eltern und alles ist vergessen. Auch wenn die anderen Kinder alle einen Strauß bringen: über diesen

einen freut sich die Mutter am meisten.

Natürlich freut sich Gott auch über die 99 Anständigen, mit denen er weniger Mühe hat. Er will nicht, daß wir mutwillig in die Irre gehen, um aus Fehlern zu lernen und an Gefahren zu reifen. Es kann ja auch sein, daß Gott uns nicht wiederfindet. Dieses Risiko sollten wir auch bedenken, obwohl natürlich das Gleichnis uns deutlich machen will: Gott sucht solange, bis er Erfolg hat.

Besser ist es natürlich, wenn wir den von Gott vorgezeichneten Weg gehen und uns nicht aus seiner Nähe entfernen. Dennoch kann es passieren, daß einer verlorengeht. Es ist dabei gleichgültig, ob man aus eigener Schuld davongelaufen ist oder nur so verlorengegangen ist, wie man etwa eine Münze verliert. Gott sucht uns in jedem Fall und möchte, daß wir umkehren.

Das eigentliche Gleichnis spricht übrigens vom Suchen Gottes. Die angehängte Deutung („Es wird Freude sein über einen Sünder, der Buße tut“) spricht von der eigenen Umkehr. Aber beides hängt ja miteinander zusammen: Nur weil Gott uns nachgeht, können wir auch wieder zu ihm zurückkehren.

Zur Zeit Jesu wurde das deutlich an den Zöllnern und Sünder, die zu anderen Menschen wurden, als Jesus sich um sie kümmerte. Weil er sie als Menschen achtete, faßten sie auch wieder Mut zum Leben und fanden die Kraft zur Umkehr. Die frommen Pharisäer regten sich natürlich darüber auf. Sie wollten erst sehen, daß der Sünder sich besserte, sie wollten ihm eine Zeit der Bewährung auferlegen. Sie sollten den Beweis erbringen, daß sie sich gebessert haben und der Gemeinschaft mit Gott würdig wären. Sie sortierten die Menschen erst und gaben die Entfernten verloren. Jesu aber ist an den Entferntesten am meisten interessiert. Und er freut sich jedesmal, wenn einer gefunden wurde.

Das Gleichnis will einmal Jesu Verhalten rechtfertigen: Er stellt keine Vorbedingungen, sondern nimmt den Menschen erst einmal so, wie er ist. Jesus selbst ist der Ausleger seiner Gleichnisse. Zum anderen will das Gleichnis aber auch die frommen Pharisäer einladen, sich doch mit Gott mitzufreuen, weil seine Gemeinde nun wieder vollzählig ist. Gewiß sind die frommen Leute tatsächlich etwas anderes als die Abgeirrten. Sie sind Gott viel lieber als ein Sorgenkind. Aber wenn er sich auch einmal besonders darüber freut, daß einer zurückgekommen ist, dann können sie sich doch auch mitfreuen.

Mancher ist doch nur fortgelaufen, weil er Angst hatte, er könnte etwas versäumen. In seinen ungeheuren Leistungsdrang möchte er etwas erleben, um nur ja nicht der Anschluß zu verpassen. Mancher sagt dann: „Wenn ich alt bin und ausgelebt, kann ich ja immer noch zurückkommen und fromm werden. Aber vorerst bin ich noch weit entfernt vom Schlaganfall und von frommen Anwandlungen!“

In der Fremde aber sieht dann doch manches anders aus. Und wenn sich einer dann die Hörner abgestoßen hat und wieder zurückkehrt oder von Gott zurückgeholt wird, dann freut sich Gott doch darüber und kümmert sich nicht um die Vorurteile, die wir Menschen doch in einem solchen Fall haben.

Gott macht nicht mit, wenn wir fordern: „Werft den aus der Kirche raus, denn er hat sich selber alles verscherzt!“ Wir sind doch meist der Meinung: Der sich vor der Öffentlichkeit oder nach unserm eigenen Urteil unmöglich gemacht hat, der hat sich auch vor Gott oder zumindest vor der Gemeinde unmöglich gemacht.

Was würden wir wohl sagen, wenn ein junger Mann hier in den Gottesdienst käme, der gerade eine Gefängnisstrafe wegen Diebstahls abgesessen hat? Oder wenn eine Frau zum Abendmahl ginge, die gerade erst geschieden wurde? Oder ein Mann, der jahrelang die Kirche gemieden oder sogar öffentlich bekämpft hat? Wir würden doch sicherlich erst Beweise für eine Sinnesänderung haben wollen.

Aber sind wir denn besser als die, mit denen wir normalerweise nicht viel zu tun haben wollen? War es unser Verdienst, wenn wir äußerlich gesehen nicht unter die Räder gekommen sind? Wir haben doch selber unsere Vorteile davon, wenn Gott so zu anderen Menschen und zu uns selber ist. Es ist doch gut, wenn Gott uns nicht nur danach fragt, ob wir anständige Menschen sind. Sicherlich käme dabei doch nur heraus, daß wir in dieser Hinsicht Sünder sind.

Viel wichtiger ist doch die Frage, ob wir Menschen sind, die zu Gott gehören wollen. Wenn einer kommt und Gottes Wort hören will, dann hat kein Mensch das Recht, ihm die Gemeinschaft zu verweigern. Heute stehen wir leicht in der Gefahr, so zu sein wie die Pharisäer von damals. Sie regen sich darüber auf, daß Jesus keine Tuchfühlung mit ihnen aufgenommen hat und nicht mit den Theologen und Pfarrern zusammengearbeitet hat.

Ausgerechnet mit diesen Gleichgültigen setzt er sich an einen Tisch. Aber auch wiederum nicht, um ihnen eine Andacht oder eine Standpauke zu halten, sondern um ihnen zu sagen „Ihr gehört auch zu Gott! Gott sucht euch und will euch auch ganz bei sich haben. Ihr seid auch sein Eigentum, und darauf will er nicht verzichten!“

Wir geben uns selber oft zu schnell verloren oder geben andere auf. Vielleicht haben wir uns auch viel zu schnell darauf eingerichtet, verloren zu sein. Gott aber sucht und findet uns. Nicht wir können uns zu ihm aufmachen, sondern e r sucht uns. Wir brauchen nur die Augen aufzumachen und sehen, daß Gott am Werk ist, dann wissen wir uns gerettet.

Diese Einstellung Gottes kommt auch uns allen hier zugute. Wir sind Gottes Eigentum durch die Taufe. Gott wurde sogar ein Mensch, um sich persönlich um alle kümmern zu können, die zu ihm gehören. Und Jesus ist auch denen nachgegangen, die ihre eigenen Wege gingen. Er hat keinen verloren gegeben, auch wenn er manchmal nach ihm suchen mußte wie nach einer Stecknadel im Heuhaufen.

Der Hirte hängt an jedem Schaf mit ganzem Herzen, er hat eine persönliche Beziehung zu jedem Einzelnen. Und wenn der verlorene Groschen ein Teil des Brautschatzes war, dann verstehen wir, weshalb die Frau so intensiv suchte.

Im Grunde gehören wir alle zu denen, die von Gott weggegangen sind. Auch nach uns muß er suchen. Aber wir mögen in unserm Leben verwirtschaftet haben, was wir wollen: unsern guten Ruf, unsere Ehe, unsern Kinderglauben - Gott gibt uns dennoch nicht auf. Vielleicht haben wir unsern Körper ruiniert und vielleicht sind unser Gedanken zerfressen - aber wir gehören durch die Taufe doch immer zu Gott. Auch wenn wir meinen, unser Leben sei verpfuscht und alle würden nur auf uns herabsehen - Gott ist es nicht einerlei, ob wir in Ungehorsam und Lüge verlorengehen.

Es gibt keine Situation, die ausweglos verfahren wäre und wo ein Zurück unmöglich wäre: Gottes Liebe trägt uns aus allem wieder heraus und die Gabe der Taufe kann immer noch Frucht bringen.

Weil aber der Gott Jesu ein Freund der Ausgestoßenen ist, sind auch wir Christen den Ausgestoßenen in besonderer Weise verpflichtet. Es darf keinen Menschen geben, der benachteiligt, behindert, gedemütigt und deklassiert wird. Es darf keinen geben, mit dem wir quitt und fertig sind. Gott liebt sie alle, er liebt auch uns. Deshalb sollten wir jedem Verlorenen die Heimkehr leicht und schön machen. Und wenn wir uns vielleicht selber zu der Verlorener rechnen, dann dürfen wir wissen: Gott wartet immer auf uns!

 

Lk 15, 11 – 32 (3. Sonntag nach Trinitatis):

Ein Vater ging einmal mit seinem Sohn in die Kirche, nicht zum Gottesdienst, sondern um sich das Gebäude einmal anzusehen. Vorne am Altar bleiben sie stehen. Der Junge betrachtet eingehend das Kruzifix und fragt dann „Vater, was macht denn der Mann da?“ Der Vater weiß im ersten Augenblick nicht, was er sagen soll. Wie will er auch einem kleinen Jungen klarmachen, was die Kreuzigung bedeutet. Aber der Junge hat inzwischen schon selber die Antwort gefunden. Er sagt: „Jetzt weiß ich es: der macht: ‚Komm in meine Arme‘!“

Das ist doch eine schöne Antwort. Besser hätte man es einem Kind nicht erklären können. Das Kind hat den eigenen Vater vor Augen, wie der die Arme ausbreitet und sein Kind in die Arme nimmt. Auch wenn es einmal böse war, sagt der Vater dann doch: „Komm in meine Arme!“

So ist es auch in der Geschichte von dem gütigen Vater und den verlorenen Söhnen, die Jesus erzählt. Sie handelt von einem Vater, der seinen Sohn wieder in die Arme nimmt und den anderen auffordert, auch in seine Arme zu kommen.

Betrachten wir zunächst den jüngeren Sohn.

An sich ist nichts Unrechtes an dem Verhalten des jüngeren Sohnes. Eine vorzeitige Teilung des Erbes war möglich. Bei dem älteren Sohn behielt der Vater noch das Verfügungsrecht. Der Jüngere allerdings läßt sich seinen Anteil in Geld auszahlen, weil er nur so sich vom Vater unabhängig machen kann.

Ähnliches wird es auch heute noch in vielen Familien geben: Der Vater hat die Firma und das Haus und der Sohn arbeitet mit und wohnt mit im Haus. Der Vater sagt zwar: „Wenn du etwas brauchst, kannst du es immer kriegen!“ Aber der Sohn muß deswegen immer fragen, und zu bestimmen hat immer nur der Alte. Der Sohn aber hat neue Ideen, möchte vorankommen und sein eigener Herr sein. Aber immer bekommt er nur zu hören: „Du hast doch alles. Es geht dir doch gut. Warum beschwerst du dich nur?“

Die Söhne von heute gehen in die Lehre oder zum Studium. Zunächst denken sie: „Endlich bist du den Verboten und Vorschriften der Eltern entronnen, jetzt erst kannst du erwachsen werden. Aber dieser Wahn währt nicht langer, dann hat man gemerkt: Hier muß man sich ja noch mehr einordnen, da gibt es noch mehr Vorschriften, da ist man erst recht nicht sein eigener Herr. Am meisten galt das, wenn sie früher noch zur Bundeswehr mußten.

So erging es auch dem Sohn im Gleichnis bei der Hungersnot: Er muß bei einem Heiden die geringste Arbeit tun und die als unrein geltenden Schweine hüten, aber er darf nicht einmal von ihrem Futter essen. Erst wollte er zeigen, was in ihm steckt, nun sind gleich beim ersten  Versuch alle Illusionen zerbrochen. Aber diese Erfahrung muß wohl jeder erst einmal machen, sonst sieht er nicht ein, wie gut er es eigentlich zu Hause gehabt hat.

Mit Gott geht es uns manchmal doch auch so. Da kommt uns der Gedanke: Du könntest es doch bequemer haben. Immer diese Verbote: Das darf ein Christ nicht und jenes auch nicht. Dazu sonntags immer in die Kirche gehen und immer hilfsbereit und freundlich sein und dazu auch noch Kirchensteuern zahlen. Warum kann man es nicht auch einmal so einfach haben wie die, die nicht an Gott glauben?

Mancher möchte einfach einmal eine Zeitlang tun und lassen, was er will. Wenn man alt und ausgelebt ist, dann kann man ja immer noch zurückkommen und fromm werden. Aber vorerst ist man ja zum Glück noch weit entfernt vom ersten Schlaganfall und allen frommen Anwandlungen. Der Sohn im Gleichnis wird einen anderen Weg geführt. Zum Glück erinnert er sich am tiefsten Punkt seines Lebens an den Vater. Daß er das tut, ist schon der erste Schritt zur Änderung seines Lebens.

Dabei geht es nicht so sehr um eine Abkehr von etwas, sondern um die Heimkehr zum Vater. Nicht der Ekel vor sich selber bewegt den Sohn zur Umkehr, sondern das Heimweh nach dem Vater. Plötzlich tritt ihm das Bild des Vaters vor Augen, der auf ihn wartet und jeden Tag Ausschau nach ihm hält. Er will auch zu seiner Schuld stehen. Er kann sich nicht einfach zur Arbeit melden und so tun, als sei nichts gewesen. Er kann nicht auf die Gnade seines Vaters rechnen, denn sein Erbteil und damit das Sohnesrecht sind nun einmal vertan. Hier wird streng rechtlich gedacht: Strafe muß sein! Aber wenigstens Tagelöhner könnte er noch sein.

Doch nun kommt die große Wende: Der Vater hat den heimkehrenden Sohn schon in der Ferne gesehen. Da geht es ihm durch und durch. Er vergißt all seine Würde und läuft dem Sohn entgegen und nimmt ihn in die Arme. So ist auch Gott: Er hat den Sünder zu keiner Stunde aufgegeben, sondern er schaut nach ihm aus, ob er denn endlich heimkehrt. Kein Wort des Vorwurfs ist zu hören. Keine Frage: Wo bist du gewesen? Was hast du mir angetan? Es wird nicht einmal die Forderung erhoben: Ich will erst prüfen, ob du dich besserst, dann hast du noch einmal eine Chance.

Der Sohn gesteht seine Schuld gegenüber dem Vater ein. Das muß schon sein. Aber seine schöne Rede, die er sich sicher auf dem Weg immer wieder vorgesagt hat, kann er nicht beenden: Schon erteilt der Vater die Befehle, damit der Sohn mit allen Zeichen eines freien Mannes geschmückt und das Fest gefeiert werden kann. Nicht weil der Sohn reifer geworden ist und seine Fehler eingesehen hat wird er wieder angenommen, sondern weil der Vater ihn immer noch liebt. Nicht die Zerknirschung des Sohnes hat den Vater umgestimmt, sondern er holt ihn aus freien Stücken ins Haus.

Die Reue ist zwar Voraussetzung, aber es kommt nicht auf sie an. Wenn Jesus diese Geschichte erzählt, dann will er Mut machen zur Heimkehr. Er lädt ins Vaterhaus ein und sagt: Ihr braucht keine Vorleistungen zu bringen, das Haus steht offen, ihr braucht euch nur liebhaben zu lassen.

Doch wir sollten hier nicht eine rührende Geschichte sehen von einem jungen Mann, der wieder heimfindet. Sie widerspricht ja allem, was wir normalerweise für recht und billig halten. Wenn wir so einem heruntergekommenen Nichtsnutz im Leben begegneten, dann würden wir ihn sicher auch verachten. Der ältere Sohn steht uns innerlich doch viel näher.

Wir sind doch alle brave Bürger, die ruhig und fleißig ihrer Arbeit nachgehen wie der ältere Sohn. Es ist kein Zufall, daß er gerade vom Feld kommt, denn sein Leben war Arbeit. Er hat wenigstens Verantwortungsgefühl und der Vater konnte sich immer auf ihn verlassen. Wo kämen wir denn hin, wenn alle so wären wie der jüngere Sohn, dieser Schandfleck für die Familie! Wir verstehen den Unmut des Daheimgebliebenen und hätten sicherlich auch gedacht: Daß der sich überhaupt noch hierher wagt!

Jetzt wird sich vielleicht der Ältere sagen: Hättest du es nur auch so gemacht. Dann hättest du vielleicht auch einmal in solcher Weise die Liebe des Vaters spüren können. Aber du warst ja dumm und wolltest immer der Anständige bleiben, der Musterknabe. Wer weiß, was dir alles entgangen ist, während der andere sein Leben genossen hat.

Er sagt zum Vater: „So muß man es wohl machen wie dieser  d e i n  Sohn!“ und denkt im Stillen: Dieser Hieb hat aber gesessen! Daß sein Bruder aber eine große Not durchgemacht hat und seine Strafe eigentlich schon weg hat, sieht er nicht. Der Vater aber weiß, was hinter seinem Sohn liegt. Seinem Ältesten hätte er das Gleiche nicht gewünscht. Bei dem ist alles seinen geregelten Gang gelaufen, ihm ist Gerechtigkeit widerfahren. Jetzt aber steht er in der Gefahr, nicht nur den Bruder, sondern auch den Vater zu verlieren.

Sie sind doch beide seine Söhne, die er gleich liebhat. Zärtlich spricht er den älteren Sohn an: „Mein Junge! Du bist doch alle Zeit bei mir gewesen. Dir hat doch nie etwas gefehlt. Merkst du nicht, wie dein Vater dich liebt?“

In dem älteren Sohn können wir den guten Christen von heute wiedererkennen. Sie regen sich darüber auf, weil der oder jener es wagt, zum Gottesdienst zu kommen. Ein besonders deutliches Beispiel waren diejenigen, die in der Nazizeit die Kirche verlassen haben und nachher plötzlich wieder auftauchten, um ihre demokratische Gesinnung zu beweisen.

Der Vater aber sieht nicht die verpraßten Güter, sondern den wiedergewonnenen Menschen. So mögen auch wir in unserem Leben verwirtschaftet haben, was wir wollen: unsren guten Ruf, unsre Ehe, unsren Körper oder unsre Phantasie. Vielleicht haben wir unsren Kinderglauben in die Gosse gezogen und sind zum Menschenverächter geworden. Aber Gott gibt uns deshalb nicht auf, er kann uns nicht vergessen.

So geht es hier nicht so sehr um die Untreue der Menschen, sondern um die Treue Gottes, es geht nicht um die Söhne, sondern um den Vater, es geht um das Handeln Gottes an den Menschen. Wo aber bleibt Jesus in dieser Geschichte? Er ist der Einzige, der diese Geschichte erzählen kann. Er steckt im Grunde in dem Herauskommen und Entgegenlaufen des Vaters, denn in ihm ist ja Gott den Menschen nahegekommen und hat sie ins Vaterhaus zurückholen wollen.

Während Jesus die Geschichte erzählt, geschieht das ja alles in seiner Umgebung: Er hat die Verlorenen wieder in die Gemeinschaft Gottes gerufen. Dabei hat er es riskiert, die Tüchtigen vor den Kopf zu stoßen, weil er den Nichtsnutz an sein Herz zieht. Aber er wollte auch die Frommen einladen und ruft sie zur Mitfreude auf. Sie sollen endlich das annehmen, was im Vaterhaus gilt: auch die Sünder sind gerufen und dürfen kommen.

Die Geschichte hat ja eigentlich keinen Schluß. Wir erfahren nicht, ob der ältere Sohn nun ins Haus gegangen ist oder nicht. Aber die Erzählung mündet in die Wirklichkeit ein: Jetzt werden die Angeredeten gefragt, ob sie hineingehen wollen, ob sie Gottes Liebe anerkennen. Auch wir werden eingeladen, ins Vaterhaus zu kommen. Ob wir uns nun in dem jüngeren oder dem älteren Sohn wiedererkennen: Gott lädt uns alle ein, in sein Haus zu kommen und uns mit ihm zu freuen.

 

 

Lk 16, 1 - 9 (Vorletzter Sonntag):

Einen Banküberfall zu machen, lohnt sich heute nicht mehr. Heute haben sie nur noch das Kleingeld am Schalter. Wenn man eine Bank berauben will, dann muß man hineingehen und sich anstellen lassen. Die heutigen Computer machen es da leicht. Da haben schon manche Millionenbeträge auf ein privates Konto in der Schweiz abgezweigt, um einen ruhigen und gesicherten Lebensabend zu haben.

Wir sind empört, wenn wir so etwas hören. Zum Glück kommt ja auch hin und wieder etwas heraus. Wahrscheinlich sind wir aber auch schockiert, wenn wir das Gleichnis Jesu so lesen. Wie kann Jesus so einen Betrüger loben? Gar noch sagen, daß er klüger war als die frommen und anständigen Christen!

Doch bei so einem Gleichnis gibt es immer nur  e i n e n  Vergleichspunkt. Jesus lobt nur die

Klugheit dieses Mannes, nicht sein gesamtes Verhalten. Solche Klugheit wünscht er auch den Christen, wenn es um das ewige Leben geht.

 

(1.) Von weltlicher Klugheit kann man etwas für das Ewige lernen: Die Situation der Schlußabrechnung deutet schon an, daß Jesus um mehr geht als um einen Kriminalfall. Er will uns anleitet zu einem verantwortlichen Leben. Wir dürfen den Gedanken an das Gericht Gottes nicht wegschieben. Dem Haushalter war die Abrechnung ja angekündigt worden; daß er sich darauf einstellt, ist noch nicht seine Klugheit.

Aber er erkennt seine Lage und weiß sich zu helfen. Es bleibt allerdings nur wenig Zeit. Aber in Sekundenschnelle weiß er, was er zu tun hat. Geistesgegenwart gehört mit zu seiner Klugheit, eine nüchterne Beurteilung der Lage, ein rettender Einfall und ein unverzügliches Handeln.

Dennoch ist er in unseren Augen ein unangenehmer Zeitgenosse. Besser wäre doch, er ränge sich zu einer sauberen Lösung durch. Wenn er schon nicht betteln will, dann könnte er sich doch eine andere Arbeit suchen, selbst wenn es eine dreckige Handarbeit sein sollte. Irgendetwas findet sich schon. Denen, die heute aus dem Gefängnis kommen, wird ja auch geholfen.

Aber dieser Haushalter ist auf einen unbeschwerten Ruhestand aus. Deshalb richtet er es so ein, daß verschiedene Leute ihm verpflichtet sind. I Grunde erpreßt er sie sogar, denn wenn sie sich an dem Betrug beteiligen, werden sie nicht zum Gericht gehen können, wenn er bei ihnen anklopft und aufgenommen werden will. Dieser Mann war ein Schmarotzer und wird es bleiben.

Vielleicht handelt der Mann zum Schaden für seinen Herrn, wenn er sich die alten Schuldscheine geben läßt und sie durch erheblich niedrigere Beträge ersetzt. Bei dem Ölhändler und dem Getreidehändler erläßt er jeweils 500 Silberstücke, das ist soviel wie der Verdienst eines Tagelöhners in zwei Jahren. Er könnte aber auch sein, daß er damit nur seinen eigenen Gewinn schmälert, denn oft mußte der Verwalter die ganze Pacht dem Grundherrn vorstrecken und versuchte dann, aus den Pächtern möglichst viel herauszuholen. Wenn er nun den Pachtpreis wieder etwas herabsetzt, hätte er nur den Schaden wieder gutgemacht.

Auf jeden Fall hat er sein Leben noch rechtzeitig geändert und die Zeit genutzt, die ihm noch bleibt. Der biblische Ausdruck dafür: Er hat Buße getan! Davon handeln die beiden Kapitel Lukas 15 -16. Sie beginnen mit den Gleichnissen vom verlorenen Schaf und verlorenen Sohn und enden mit der Erzählung vom reichen Mann und dem armen Lazarus, wo ja noch einmal eingeschärft wird: „Mit dem Tode hört die Möglichkeit zur Umkehr auf!“

Jesus denkt: „Wenn meine Leute doch nur auch etwas von diesem Mann hätten. Wenn sie doch von weltlicher Klugheit etwas für das Ewige lernten!“ Es gibt unter Christen viel Verschlafenheit und Entschlußlosigkeit. Doch man sollte wissen, was die Stunde geschlagen hat. Niemand kann so leben, als hätte er unbeschränkte Zeit und könnte notwendige Beschlüsse immer wieder verschieben.

Als Lukas die Geschichte aufschrieb, war das Ende der Welt ja noch nicht gekommen. Die ersten Christen rechneten ja mit dem baldigen Abbruch der Herrschaft Gottes. Aber die Welt bestand noch immer und das Leben ging weiter in der alten Weise. Kaiser und Könige und ihre Stellvertreter hatten immer noch die Macht nutzen sie kräftig aus. Das Recht des Stärkeren galt noch immer. Wenn man nicht untergehen wollte, mußte man den anderen übervorteilen und durfte keine moralischen Bedenken haben.

Doch der Evangelist macht mit der Aufnahme dieser Erzählung Jesu in sein Evangelium deutlich: Die Gottesherrschaft steht noch immer vor der Tür, und ihr müßt euch darauf einstellen. Jener Mann hatte schon alles verspielt und konnte nur noch gewinnen. Aber wir als Christen haben alles zu verlieren: war können wir uns das ewige Leben nicht verdienen, aber wir können es uns täglich und stündlich verscherzen. Doch mit dem Haushalter haben wir gemeinsam: Die Zeit ist auszukaufen! Es gilt, sich schnell für Jesus zu entscheiden, um noch gerettet zu werden.

Zur Wachheit gehören auch eine gewisse Kaltblütigkeit und Zielsicherheit. Man wird sich nicht treiben lassen, sondern faßt selber Entschlüsse. Man wird manches sein lassen, um für Gottes Zukunft frei zu sein. Und man wird manches in die Hand nehmen, was mit der Zukunft zu tun hat. Jesus meint, bei alledem könne man bei den „Kindern der Welt“ in die Schule gehen. Doch die Klugheit gilt nur in ihrem Lebenszusammenhang, den Unterschied der Ebenen muß man schon beachten.

Doch dann gilt eben: Wie bei den Kindern der Welt in ihren dunklen Geschäften, so müßte auch bei den Jüngern in ihrer göttlichen Aufgabe alle Trägheit und Unschlüssigkeit verschwinden und an ihre Stelle Nüchternheit und rasches Handeln treten. Nur so ist diese anstößige Geschichte zu verstehen.

 

(2.) Mit irdischem Besitz kann man etwas fürs Ewige tun: Den letzten Vers hat Lukas wahrscheinlich selber hinzugefügt und damit das Gleichnis weitergedacht: „Macht euch Freunde mit dem ungerechten Mammon, auf daß sie euch aufnehmen in die ewigen Hütten!“ Der Gewinn von Geld ist oftmals mit Unrecht verbunden. Aber das läßt sich nie ganz vermeiden. Geld wird leicht zum Götzen, der als etwas Faszinierendes verehrt wird, dem man dient und von dem man etwas erhofft, auf den man sein Ansehen gründet. Ein freundlicher Götze ist es nicht, denn es hält den Menschen in Unruhe und nimmt all seine Gedanken gefangen.  Aber schon die Kinder werden so erzogen, daß Geld alles ist: Nur wer etwas anschaffen kann, wird geachtet. Man braucht einen gewissen Lebensstil und schließt deshalb Kompromisse.

Jesus sagt aber nun nicht: „Wirf alles weg und flieg davon, stürze den Götzen!“ Vielmehr sagt er: „Macht euch Freunde damit, benutzt das Geld für etwas Sinnvolles. Da wird aus der schrecklichen Macht, die die Welt regiert, einfach ein Zahlungsmittel, das dem Menschen dienen muß und über das man in Freiheit verfügen kann. Wenn man Geld hat, so setzt man es für Heilsames und Hilfreiches ein. Und hat man keins, so wird man deshalb noch lange nicht nervös.

Die Umkehr („Buße“) kann sich also auch zeigen im rechten Umgang mit dem Geld. Die Dämonie des Geldes kann gebändigt werden, wenn wir uns bereithalten, es wieder wegzugeben. Geld ist nicht einfach böse, sondern Jesus zeigt ja gerade, daß es zu etwas gut ist. Allerdings ist es nicht dazu da, den Himmel zu öffnen. Gott läßt sich nicht bestechen, auch nicht durch den gewitztesten Haushalter. Freunde wird man sich nur schaffen, wenn es absichtslos geschieht, weil es schön ist, den Menschen etwas zuliebe zu tun und sie zu Freunden zu haben.

An der Frage des Besitzes kann deutlich werden, ob wir schon zu der Freiheit der Kinder Gottes gefunden haben. Wenn wir weggeben können, kann uns das Geld nicht zum Götzen werden. Dann wird damit nicht nur einem armen Menschen geholfen, sondern es wird deutlich, daß wir über dem Besitz stehen und ungezwungen darüber verfügen können.

Der ungerechte Haushalter war schon zu einem Knecht des Geldes geworden. Aber als er es weggeben konnte, war er wieder Herr über das Geld. Er war nicht mehr geplagt von der Gier, das Leben genießen zu wollen und diesen Genuß durch Geld sichern zu müssen. Richtig schön wurde das Leben erst für ihn, als er frei war von der Sucht des Habenwollens.

Auch für uns lohnt es sich, daß wir unser Leben ändern. Umkehr ist nicht leicht, weil wir in der Regel etwas aufgeben müssen, an dem wir sehr hängen. Umkehr zu Gott muß nicht immer mit Geld zusammenhängen. Aber am Geld wird manches deutlich, wenn auch die eigentlichen Ursachen manchmal tiefer liegen.

Früher gab man den Zehnten für Gott und zur Unterstützung der Mitmenschen. Heute bleibt meist sehr viel weniger übrig. Aber wir sollten bedenken: Unsre Gaben werden nicht gemessen an dem, was wir zu in einer Sache beitragen, sondern nach dem, was wir zurückbehalten. Unser Reichtum wird nicht gemessen an dem, was wir in den Klingelbeutel tun, sondern nach dem, was wir auf dem Bankkonto haben.

Bedenken wir auch: Unser Geld gilt nur in dieser Welt. Bei Gott gibt es eine andere Währung. Aber diese Währung kann man sich unter Umständen schon jetzt beschaffen, indem man mit seinem jetzigen Geld richtig umgeht. Davon handelt auch eine Erzählung von Leo Tolstoi „Ist Geld alles?“:

Ein Mann, der viele Reichtümer erworben hatte, pflegte zu sagen: „Im Leben ist Geld alles!“.Als er auf dem Sterbebette lag, dachte er: „Sicher ist auch in der anderen Welt Geld alles!“ Deshalb befahl er seinen Kindern, ihm in seinen Sarg einen Beutel mit Geld zu geben. In der anderen Welt erblickte er ein Büfett voll Speisen und Getränken. Na, denkt er, ich habe gut daran getan, Geld mitzunehmen. „Geben Sie mir rasch zu essen, ich bin schrecklich hungrig!“ und er hält dem Verkäufer eine Handvoll Kopeken hin. Der sieht sich das Geld an und lächelt: „Wie ich sehe haben Sie da unten auf der Erde wenig gelernt. Wir nehmen nicht das Geld an, das Sie besitzen, sondern das Sie verschenkt haben. Denken Sie nach, vielleicht haben Sie jemals einem Bettler eine Gabe gegeben?“ Der Reiche senkt die Augen und dachte nach. Nie hatte er eine Kopeke verschenkt, niemals in seinem Leben einem Armen geholfen. Da führten ihn zwei handfeste Kerle wieder hinaus.

 

 

Lk 16, 19 – 31 (1. Sonntag nach Trinitatis):

„Vor unserer Türe liegen keine Bettler mehr. Der Rettungswagen hat Lazarus abgeholt. In einem sauberen Krankenzimmer wird ihm Hilfe und eine sachgemäße Pflege zuteil. Durch unsere Steuer- und Sozialbeiträge ist das Lazarusproblem bei uns gelöst!“ Es wäre grund­falsch, wenn wir so dächten. Lazarus kommt auch in der modernen Welt vor, nur eben anders. Er ist in dem Konzentrationslager, in den Hungergebieten, er ist politisch Verfolgter. Wir dagegen sind die Reichen und die Satten, die im Grunde alles haben.

Deshalb gilt auch uns die Mahnung Jesu: „Übersieh nicht den Lazarus!“ Die Liebe fängt mit dem Wahrnehmen an. Der reiche Mann lebte alle Tage herrlich und in Freuden. Jeder Tag war für ihn ein Fest. Hart daneben der Gelähmte, den man vor seine Tür gelegt hat, voller Geschwüre, an denen die Hunde lecken und er kann sich nicht wehren. Aber vielleicht kann hier etwas abfallen: Die Esser wischen sich die Hände mit Brotstücken ab und werfen diese dann dem armen Lazarus vor wie einem Hund. Dadurch wird ihn er sogar noch Gelegenheit gegeben, ein gutes Werk zu tun.

Sicher haben sie den Bettler mit ihren Augen gesehen. Aber sie haben nicht den g a n z e n Menschen wahrgenommen, sondern haben ihr Gewissen schnell beschwichtigt. Sie blieben gedankenlos und unachtsam und waren im Grunde nur mit sich selbst beschäftigt. Oder sie

hätten die Hilfe mildtätigen Organisationen überlassen, wenn es sie damals gegeben hätte. Aber Liebe kann nicht vergesellschaftet werden. Spontane Hilfe und persönliche Hingabe sind weiterhin notwendig.

Zunächst einmal können wir an den fernen Nächsten denken. In den Jahren nach dem Krieg waren wir dankbar für jede Unterstützung von außen und für die Pakete, die uns erreichten. Heute stehen wir wirtschaftlich gesehen mit an der Spitze der Welt und wir gehören zu den reichen Völkern. Unsere Aufgabe ist es nun, denen zu helfen, denen es heute schlecht geht. Doch wir geben tausendmal mehr für Alkohol und Zigaretten aus als für die Hungernden in der Welt.

Über dem fernen Nächsten dürfen wir aber den armen Lazarus vor unserer Haustür nicht vergessen. Gewiß gibt es bei uns kaum noch materielle Not. Aber es gibt viel innere Not, gerade auch bei steigendem Wohlstand. Hier kann gerade der christliche Glaube eine Hilfe sein. Hier sind wir jedem Mitmenschen Gottes Wort schuldig.

Wie mancher Selbstmörder hätte gerettet werden können, wenn der letzte Mensch, mit dem er sprach, nicht versagt hätte. Er hatte vielleicht die Fähigkeit, einem Menschen gut zuzureden und ihn von einer unbedachten Handlung abzubringen. Gott wird auch danach fragen, ob er sie nur für sich gebraucht hat oder auch zum Wohle anderer.

Es gibt niemand, der nicht seinen Lazarus vor der Tür hätte: Die Kranken, die niemand besucht. Die alten Eltern, die nur noch als Belastung empfunden werden. Die Frau, für die der Mann kein gutes Wort hat. Die Kinder, für die keine Zeit ist. Ein Kollege, der unsern Rat braucht.

Der Name „Lazarus“ bedeutet so viel wie „Gott hilft“. Aber wie soll Gott helfen, wenn wir nicht bereit sind, in seinem Auftrag zu handeln? Gott hat doch nur uns, wenn er anderen Menschen Hilfe zuteilwerden lassen will. Wir können unsere Verantwortung nicht immer vor uns herschieben oder auf andere abschieben. Heute und hier sind wir gerufen.

Der Hauptfehler des reichen Mannes lag in seiner falschen Einstellung zu Gott. Er hatte an seinem Geld und seinem guten Leben genug und brauchte Gott nicht. Wer sich aber um Gott nicht kümmert, der verliert auch den Bilek für die Not des Mitmenschen. Wer aber an Gott glauben möchte, der muß diesen Glauben auch in die Tat umsetzen.

Luther hat es so ausgedrückt: „Es ist unmöglich zu lieben, wo nicht Glaube ist, und unmöglich zu glauben, wo nicht Liebe ist!“ Der reiche Mann ist sicher auch zum Gottesdienst gegangen. Aber Gottes Wort hat ihn nicht getroffen. Der Glaube blieb in der Theorie stecken und wurde nicht praktisch. Doch nur Glaube und Liebe zusammen sind wahrer Glaube.

Wenn man diesen Zusammenhang erkannt hat, dann wird man auch wissen, daß man die Frist nicht versäumen darf. Der reiche Mann ist ganz auf irdische Dinge eingestellt, ohne über die Todesgrenze hinaus zu fragen. Der Sinn seines Daseins erschöpft sich in der Erhaltung und im Genuß seines Wohlstandes.

Er hat natürlich wie selbstverständlich erwartet, daß er den Ehrenplatz neben Abraham erhalten wird. Aber eben diesen Platz bekommt Lazarus, weil Gott immer Partei ergreift für die Geplagten. Das sollen alle wissen, die es schwer haben. Das sollen aber vor allem auch die wissen, denen die Hilfsbedürftigen vor der Tür liegen. Wer auf Gottes Seite stehen will - was ja auch der Reiche wollte - der kann nur für sie Partei ergreifen.

Bei dem reichen Mann beginnt das Umdenken erst, als es zu spät ist. Immerhin denkt er jetzt zum ersten Mal an andere, nämlich an seine Brüder, die er vor dem gleichen Schicksal bewahren will. Aber auch für sie gibt es keine Sonderoffenbarungen durch Gott. Sie haben auch so Zeit und Gelegenheit auf Gott zu hören. Wer erst zu spät zur Einsicht kommt, für den ist dann die Türe zu.

Bei Kindern kann man öfters beobachten, daß sie nicht hören können. Da schärft ihnen die

Mutter ein: „Paß schön auf, wenn du über die Straße gehst!“ Das Kind nimmt sich das alles auch vor und hat den festen Willen, auf die Ermahnungen der Mutter zu achten. Aber dann sieht es auf der anderen Straßenseite eine Freundin und rennt einfach los, ohne nach rechts und links zu sehen.

Doch Erwachsene sind oftmals auch nicht besser, sowohl was ihr Alltagsleben angeht als auch die Fragen des Glaubens. Hinterher ist man natürlich klüger. Aber dazu sind die Warnungen Gottes ja da, daß das Kind nicht erst in den Brunnen fällt. Viele meinen, die Warnungen seien nur für die anderen da, ihnen selber könne schon nichts passieren. Die werden erst klug, wenn der Schaden dann da ist. Dann geht halt die Klage los: „Ach hätte ich doch gehört!“

Die Geschichte vom reichen Mann und dem armen Lazarus macht uns unmißverständlich deutlich: Nur während der Zeit unsers Lebens haben wir Gelegenheit, auf Gott zu hören. Gottes Wort wird uns doch reichlich angeboten. Seit Jahrhunderten wird es gepredigt. Es kommt zu uns durch Literatur und Kunst, durch Musik und Architektur, durch Sitte und Brauchtum. Jeder hat Gelegenheit, mit Gott in Berührung zu kommen, selbst wenn er aus einem atheistischen Hause stammt. Gott läßt keinen ungewarnt.

Allerdings gibt es für uns nichts anderes als die Bibel, wenn Gott uns eine Nachricht zukommen lassen will. Wir können nicht etwas Außerordentliches verlangen, ehe wir Gott glauben. In der Bibel steht doch eindeutig: „Brich dem Hungrigen dein Brot, und führe umherirrende Blinde in dein Haus!“(Jes 58,7-8) .Was will man darüber hinaus noch haben?

Ein Wunder könnte vielleicht bei manchem den inneren Widerstand brechen. Aber zu einer Umkehr im ganzen Wesen und Tun würde es nicht führen. Die Erzählung hat sicher auch recht, wenn sie behauptet: „Wenn jemand nicht auf die Bibel hört, dann wird er auch nicht höre, wenn jemand von den 'Toten auferstünde!“

Die Bibel gibt uns genauso verläßliche Kunde von Gott wie einer, der direkt von Gott zu uns käme. Er könnte uns auch nichts anderes berichten, als wir aus der Bibel schon wissen. Mehr kann und braucht man nicht zu wissen.

Natürlich leiden wir manchmal darunter, daß unser Glaube nichts Handgreifliches in den Händen hält. Das Wesen aller anderen Religionen ist doch, daß sie Gott sichtbar und damit anschaulich und begreifbar machen wollen. Wir aber müssen uns auf ein Buch stützen. Unser Glaube ist da unanschaulicher.

Oder haben wir nicht doch einen, der von Gott und von den Toten zu uns gekommen ist? Jesus von Nazareth war der, der Gottes Wort noch einmal bestätigt und vertieft hat. Er hat uns die letzte Sicherheit über Gott gegeben. Mehr ist nicht nötig. Doch - eins ist natürlich nötig, und das steht auch in der Bibel, nämlich: „Den sollt ihr hören!“

 

 

Lk 17, 5 - 6      (15. Sonntag nach Trinitatis):

Wenn ich einen Menschen fotografiere, ist er zunächst nur Objekt meines Sehens, mit dem Objektiv der Kamera eingefangen. Ich könnte auch noch eine Wärmebildkamera oder ein Infrarotkamera oder eine Nachtsichtkamera oder gar eine Filmkamera mit Ton - es blieb immer bei einem technischen Vorgang. Wenn ich einem anderen von Mensch zu Mensch begegnen will, dann muß ich ihm viel näher kommen als mit der Kamera. Ich muß wenigstens mit ihm sprechen. Und der Höhepunkt der Begegnung ist dann das Verhältnis von Mann und Frau oder von Eltern zu Kindern.

Auch beim Glauben kann man nichts abzubilden wie bei einer Kamera, sondern hier findet Begegnung statt zwischen Gott und Mensch. Es geht nicht um Gegenstände und Sachverhalte, sondern um die „Person“ Gottes. Zwar höre ich das Wort Gottes, ich schmecke Brot und Wein im Abendmahl. Aber dabei muß der Funke persönlicher Zuwendung überspringen. Gottes Wort ist nie nur eine Aussage, sondern Anrede an mich. Die Menschwerdung seines Sohnes, sein Tod und seine Auferstehung muß mitgeteilt werden. Aber die Mitteilung bleibt wirkungslos, wenn sie sich nicht unter der Hand auch in Anrede, Zuspruch, Ermutigung eingefaßt wird.

Keiner der Götter der religiösen Umwelt der Bibel erwartete von seinen Verehrern Glauben. Gott ist zum Beispiel für die Griechen dem Erkennen und Denken zugänglich, denn er ist die religiöse Tiefe der Welt. Es bedarf nicht des Glaubens, sondern der Einsicht und des Begreifens.

Ganz anders ist es in der Welt der Bibel. Glaube ist hier das wagende und vertrauende „Sich-Fest machen“ an Gott und seinen Zusagen. Aber vorher hat Gott sich dem Menschen zugewendet und ihn zu solchem Zutrauen ermutigt.

Der Mensch mit seinem naturwissenschaftlich-technischen Denken hat es nicht immer leicht, das Wesen des Glaubens zu begreifen. Naturgesetze werden nicht geglaubt, sondern erforscht, experimentell nachgewiesen und mathematisch formuliert. Die Tragfähigkeit eines Treppenaufgangs ist nicht Gegenstand des Glaubens, sondern statischer Berechnungen. Wer so zu denken gelernt hat, der hat leicht den Verdacht, er werde beim Glauben aufs Unzuverlässige verwiesen: aufs bloße Meinen, aufs Vermuten, wenn nicht gar aufs Phantastische und Gesponnene.

Der Glaube ist aber nicht ein Nicht-genau-Wissen, er ist überhaupt kein Wissen. Er bewegt sich in einer ganz anderen Welt. Er gehört ins Personale und beschreibt das Verhältnis zwischen zwei Personen. Das Vertrauen zwischen zwei Menschen beruht ja auch nicht auf Experimenten oder Messungen, sondern ist Wagnis, Zutrauen ohne Beweis, Entschluß.

Glaube kommt aus der Begegnung mit Gott. Er ist das verwegene Zutrauen zu diesem Gott, der verspricht, uns festzuhalten. Glaube heißt nicht: „etwas über Gott denken“, sondern: „etwas von Gott erwarten“. Der Glaubende glaubt nicht an das Vorhandensein Gottes, sondern an das Kommen Gottes. Er ist Gewißheit - gegen Furcht und Zweifel. Wenn einer sagt „Mit dir wag ich es!“ der nimmt den anderen als Person ernst und ehrt ihn mit seinem Vertrauen. Der Versuch eines Beweises könnte dieses spezifisch Menschliche nur kaputt machen, so wie das Heranziehen eines Detektivs schon ein Zeichen dafür ist, daß die Ehe kaputt ist.

Denken wir noch etwas über den Glauben nach unter den Stichworten: Großer Glaube, kleiner Glaube und wachsender Glaube.

 

1. Großer Glaube: Niemand wird es wagen, den eigenen Glauben einzuschätzen. Aber vom Glauben überhaupt können und müssen wir reden, denn Christ sein heißt: Glauben haben. Die Jünger bitten: „Stärke uns den Glauben!“ Sie brauchen mehr Glauben. Er ist zwar schon vorhanden, wird aber nicht als ausreichend angesehen. Und hinter der Bitte steht die Überzeugung, daß man sich den Glauben nicht selber geben kann, sondern man empfängt ihn von Jesus.

Es gibt also auch einen kleinen Glauben. Man weiß, daß Gott zur Stelle sein will, aber man traut sich nicht, es mit ihm zu wagen. Man könnte Großes vollbringen, aber das Herz ist zaghaft und fürchtet, Gott könnte sein Wort nicht halten. Auf Gottes Seite fehlt es an nichts, aber wir trauen ihm nicht genug zu.

Die „Apostel“ stehen hier stellvertretend für die ganze Kirche. Sie bitten um Mehrung des Glaubens nicht nur, weil ihr persönliches Christsein davon abhängt. Sie brauchen den großen Glauben für ihr Wirken in Kirche und Welt. Die Kirche auf ihrem Weg durch die Zeiten muß Jesus immer um Vermehrung ihres Glaubens bitten. In verschiedenen Heilungsgeschichten wird gesagt, daß die Jünger auch Menschen heilen wollten, aber sie konnten es nicht.

Immer wieder entdecken auch wir uns als die Kirche, die ihrem Gott und Herrn nichts zutraut. Als Kleingläubige können wir uns nur an den Herrn wenden mit der Bitte um Vermehrung des Glaubens. Es ist in Ordnung, daß die Jünger so bitten.

 

2. Kleiner Glaube: Daß Jesus in seiner Antwort auf das Begehren der Jünger dem Glauben eine so unwahrscheinliche Macht zuschreibt, könnte alles andere als ein Trost sein. Nur ein ganz klein wenig Glaube, und es müssen die größten Wunder geschehen. Was ist aber, wenn sie bei mir nicht geschehen?

Hier wird uns aber nicht etwas abverlangt, sondern etwas zugesprochen. Unser Glaube wird nicht mit Auflagen belastet, als müßte er bestimmte Wirkungen und Erfolge hervorbringen. „Was, du hast noch keinen Berg versetzt? Dann bist du kein Christ!“ Man könnte nicht falscher mit Jesu Wort umgehen. Das Gegenteil ist richtig.

Hier ist nicht eine auf eigenen Füßen stehende Gläubigkeit gemeint, die den Bezug auf Gott gar nicht nötig hat. Der Glaube ist nicht die auf Gott einwirkende Kraft meines eigenen Herzens, die nur genug Energie entwickeln muß, um das Gewünschte hervorzubringen. Der Glaube glaubt nicht an sich selbst, er glaubt an Gott. Der Glaube sagt nicht: „Ich traue mir das und das zu“, er sagt: „Ich traue es Gott zu!“

Deshalb kann man nicht das eigene Bekehrtsein und die am eigenen inneren Zustand abgelesene Hinwendung zu Christus zum Maßstab für den Glauben machen. Das ist ja kritisch gegenüber denen zu sagen, die allein die Erwachsenentaufe wollen. Wann bin ich denn wirklich reif, daß ich mich taufen lassen kann? Da muß ich doch selber eine Leistung erbringen. Wieviel schöner ist es doch, wenn man schon als Kind getauft wurde. Da weiß man: Man gehört dazu, man erfährt die Hinwendung Gottes, man braucht nicht selber etwas zu leisten. Der Glaube ist dann so mit dem beschäftigt, an den er glaubt, daß er sich selbst ganz darüber vergißt.

„Wenn ihr Glauben hättet so groß wie ein Senfkorn“, sagt Jesus. Das Senfkorn gilt als geradezu sprichwörtlich klein: Beim „schwarzen Senf“ gehen auf ein Gramm mehr als 700 Stück. Es war im Altertum der kleinste dem menschlichen Auge wahrnehmbare Gegenstand. Aber so ein kleiner Glaube langt. Er ist gewiß, daß er nicht enttäuscht wird, weil er sich auf Christus verlassen kann.

Es ist wie beim Beten: Wer im Namen Jesu betet, der empfängt alles, was er bittet. Aber er ist mit seinem Beten von vornherein in Jesu Willen eingebunden und empfängt von daher die Gewißheit, daß er erhört wird. In Afrika wollte einmal eine Gemeinde einen Bittgottesdienst um Regen abhalten. Der Pfarrer aber schickte die Leute wieder heim und sagte: „Keiner von euch hat einen Regenschirm mitgebracht. Was wollt ihr denn machen, wenn Gott unsre Bitte sofort erhört? Geht erst heim und holt Regenschirme. Denn nur wenn man ganz fest daran glaubt, kann etwas daraus werden!“

 

3. Wachsender Glaube: Es könnte sein, der Glaube erscheint uns jetzt als etwas geradezu Unwirkliches. Aber es besteht zwischen dem „großen“ und dem „kleinen“ Glauben ein Zusam­menhang. Es geht nicht darum, daß der Glaube sich durch eine vielfältige Erfahrung allmählich in eine andere Form von Gewißheit verwandelte. Glaube bleibt immer „ein Sichere-Schritte-Tun, obwohl kein Weg zu sehen ist, ein Hoffen, obwohl es aussichtslos ist, ein Nichtverzweifeln, obwohl es verzweifelt steht, ein Grundhaben, obwohl man ins Bodenlose tritt“.

Bei zwischenmenschlichen Beziehungen ist es nicht anders: Das Vertrauen, das zwei Menschen sich schenken, bleibt wagendes Vertrauen. Es würde auch seinen Glanz verlieren, wenn es zur langweiligen Gewohnheit entartete. Dann tritt das ein, was man mit den Worten umschreibt: „Ich liebe dich nicht mehr!“ Das ist immer die Ausrede, wenn man sich bereits einem anderen Partner zugewandt hat. Doch die Liebe kann nicht aufhören, sonst war sie von Anfang an keine Liebe gewesen. Man muß manchmal um sie kämpfen, aber sie kann nicht einfach verschwinden.

So ist es auch mit dem Glauben. Er ist ein Loslassen der menschlichen Sicherungen und ein wagendes Mitgehen mit Christus. Deshalb kann man den Glauben auch nicht demonstrieren wie in einem Zauberkunststück. In der evangelischen Akademie Arnoldshain lehrte einmal ein Dr. Ruppel, ein pensionierter Jurist, der aber auch auf dem Gebiet der Theologie etwas drauf hatte. Junge Leute haben ihn sehr verehrt, auch wenn sie später beim Theologiestudium feststellen mußten, daß er doch tief in eine nichtchristlichen Weltanschauung abgetaucht war. Zu diesem Dr. Ruppel sagte einmal einer: „Gehen Sie doch einmal morgen früh um zehn Uhr mit vor den Frankfurter Hauptbahnhof und versetzen sie diesen woandershin. Wenn man glaubt, kann man das doch“ Herr Ruppel bekräftigte: „Wenn man glaubt, kann man das. Aber wenn man es demonstrieren wollte, geht es nicht!“

Nach einer Predigt über diesen Bibeltextversuchte ein Gemeindeglied, einen Baum in seinem Garten auf diese Art zu versetzen. Am nächsten Sonntag berichtete er dem Pfarrer, daß der Baum sich nicht fortbewegt habe. Da sagte der Pfarrer natürlich: „Da haben Sie nicht genug Glauben gehabt!“ Da lachten beide, weil es ihnen natürlich klar war, daß man mit so etwas keine Späße machen kann. Jesus ist er nicht in die Welt gekommen, damit bei seinen zahlreichen Nachfolgern ein allgemeines Bäume-Ausreißen beginne. Das Wort ist wahr, auch wenn kein Baum je einen Standort verändert hat.

Bei jedem Schritt aber macht der Glaube Erfahrungen: Zwar immer neue Anfechtungen - aber auch immer neue Durchhilfen. Man macht die Erfahrung: „Es geht! Gott enttäuscht uns nicht. Von einer Gotteserfahrung zur andern kann man neuen Mut gewinnen!“ Aber mein Glaube wächst nicht, indem ich mir ein Pensum auferlege, sondern indem ich mich an Jesus halte. Er weckt den Glauben, fordert ihn heraus. Im Umgang mit ihm bekommt man Mut, sich ihm anzuvertrauen. Jesus ist der Anfänger und Vollender des Glaubens.

 

 

Lk 17, 7 - 10 (Septuagesimä):

Wer von uns käme wohl auf die Idee, einem Busfahrer oder Lokführer für seine Tätigkeit zu danken? Welcher Konfirmand würde sich wohl beim Pfarrer für den Konfirmandenunterricht bedanken? Welcher Lehrer käme wohl auf die Idee, sich bei den Schülern dafür zu bedanken, daß sie den Unterricht besuchen und die Hausaufgaben machen? Es wird als selbstverständlich angesehen, daß jeder seine Pflicht tut.

Dennoch ist jeder empfindlich, wenn seine Leistung nicht gewürdigt wird. Zu einem Dienstjubiläum erwartet man eine Aufmerksamkeit. Wenn einer in Rente geht und aus dem Betrieb ausscheidet, dann soll eine Feier gemacht werden. Eine Gemeindeschwester hat sich einmal bitter darüber beklagt, daß sie nach 30-jährigem Dienst in der Gemeinde nicht einmal zum Mitarbeiterausflug eingeladen wurde.

In unsrem Alltagsleben haben wir es gelernt, sehr genau nach unsrem Lohn und der Anerkennung zu fragen. Wir überschlagen erst einmal, ob es sich lohnt, ehe wir eine Sache anpacken. Und wenn für uns nichts dabei herausspringt, lassen wir es von vornherein sein. Aber bei Gott haben wir diese Möglichkeit nicht. Da wird uns ganz hart gesagt: Unsre Pflicht ist unendlich unser Anspruch ist gleich null und aller Lohn ist nur Gottes Geschenk.

 

Unsre Pflicht ist unendlich:

Da kommt ein Kirchenältester von einem Wochenende mit Konfirmanden heim. Es war schön, aber anstrengend. Doch der Pfarrer sagt nicht: „Sie sind müde, wir wollen erst einmal eine Tasse Kaffee trinken!“ Nein, er verlangt: „Machen Sie erst einmal die Abrechnung fier die Rüstzeit. Dann räumen Sie noch die Spiele weg und dann können Sie mir noch beim Terminplan für die nächste Woche helfen!“

Wir sagen: So etwas ist doch unmöglich, das läßt sich keiner gefallen! Aber wie mancher Mutter geht es so, wenn sie nach der Arbeit nach Hause kommt und noch einmal eine zweite Schicht für sie beginnt. Auch Gott verlangt von uns, daß wir unsre Arbeit nicht begrenzen. Jesus verwendet dafür den Vergleich mit einem Sklaven, der tagsüber auf dem Feld bis aufs äußerste gearbeitet hat und abends dann noch seinen Herrn bedienen muß, ehe er sich selbst zur Ruhe setzen kann. Ein Sklave war ein totales Eigentum seines Herrn, nur ein Stück seines Besitzes. Er hatte nichts zu melden und mußte seinem Herrn die Wünsche noch von den Augen ablesen. Darüber gab es keine Diskussion: Das war eben sein Los, da hatte er sich zu fügen.

Uns paßt es nicht so besonders, daß wir Gott gegenüber Sklaven sein sollen. Wir meinen, er mußte schon froh sein, wenn wir ein bestimmtes Soll erfüllt haben: Gottesdienstbesuch, Sonntagsheiligung, Kinder im Religionsunterricht und Kirchensteuer. Das können wir alles am Sonntag erledigen, da gehört es auch hin. Aber dann ist auch Feierabend, dann will man Privatmann sein und in Ruhe gelassen werden. Die Kirche kann doch froh sein, wenn ich gewissenhaft meinen Mindestpflichten nachkomme. Doch wir können nicht am Sonntagabend unser christliches Mäntelchen an den Haken hängen und sagen „:Liebe Seele, nun hast du wieder für sechs Tage Ruhe!“ Montagmorgen geht der Dienst erst wieder richtig los. Erst im Alltag zeigt sich, was der Glaube wert ist und ob wir mit ihm leben können.

Jetzt erscheint es uns maßlos schwer, zu Jesus zu gehören. Wir haben vielleicht sogar den Eindruck, wir kämen in eine solche Lage erst dadurch, daß wir Christen werden. Doch wir sind von vornherein in der Lage, Gott alles schuldig zu sein, auch wenn wir keine Christen wären. Es gibt zwischen Gott und den Menschen kein Vertragsverhältnis, in dem die Rechte und Pflichten nach beiden Seiten hin genau abgegrenzt sind. Es ist kein Handel möglich nach dem Prinzip: Gibst du mir, geb ich dir! Dann könnten wir sagen: Soweit darfst du mit deinen- Ansprächen an mich gehen, weiter aber nicht.

So dachten die Vertreter der jüdischen Gesetzlichkeit zur Zeit Jesu. Sie haben die Verpflichtungen sehr hoch angesetzt. Aber sie meinten: Wenn man sein Soll erfüllt hat, dann kann man vor Gott hintreten und ihm melden, daß man seine Pflicht getan hat. Doch Jesus sagt: Wir schulden Gott nicht nur dies und das, sondern wir schulden ihm uns selbst. In der Liebe bleibt

man immer Schuldner. Gott gegenüber sind wir nie fertig. Doch wir fragen vielleicht: Sind wir wirklich nicht mehr als Sklaven? Wenn Gott der Vater sein will, dann sollte er doch mit gutem Beispiel vorangehen! Warum hat Jesus nicht für die Befreiung der Sklaven gekämpft? Doch Jesus ging es hier nicht um die soziale Frage, das ist die Aufgabe anderer. Er nahm die Rechtsstellung des Sklaven nur als Veranschaulichungsmittel. In erster Linie geht es ihm um den Frieden zwischen Gott und den Menschen. Da muß erst alles in Ordnung sein, dann kommt auch das andere ganz von selbst in Ordnung. Und was Jesus gesagt und getan hat, das hat ja dann auch viel zur Sklavenbefreiung beigetragen.

Aber im Vordergrund steht die Aussage: Wir kommen niemals an den Punkt, wo wir sagen könnten: Jetzt hat Gott nichts mehr von mir zu fordern!  Es wird auch nicht gesagt: Nehmt es mit Gott nicht so wichtig, er verlangt ja gar nicht so viel, wie ihr denkt! Gott verlangt alles von uns - und er darf das auch! Wir sind am meisten auf ihn angewiesen, deshalb sind wir ihm auch am meisten verpflichtet.

Ihm gehört deshalb unser Denken und Reden, Wollen und Tun. Ihm gehört unsre Zeit und unsre Kraft, unsre Gaben und Fähigkeiten, auch unser Eigentum und Geld. Selbst unser Leiden gehört ihm. Der Alltag gehört Gott genauso wie der Sonntag, unser Arbeiten nicht weniger als unser Beten.

Unser Anspruch ist gleich null: Im Alltag dürfen wir unsren Lohnanspruch geltend machen. Der ungerecht Entlohnte wird sogar um sein Recht kämpfen. Und wer sich bemüht hat, sollte auch Dank erfahren. Aber vor Gott ist alles Lohn- und Verdienstdenken unangebracht. Gott könne wir nicht wie ein Taxi herbeirufen und dann mit einem „Dankeschön“ verabschieden und wieder unsre eigenen Wege gehen.

Wir gehören Gott völlig und können keine Ansprüche stellen. Anspräche wirken vielmehr zerstörend. Wenn eine Mutter Anspruch auf den Dank ihrer Kinder erhebt, zerstört sie ihr Verhältnis zu ihnen. Wer Gott gegenüber Ansprüche erhebt, fällt aus dem Verhältnis „Vater-Kind“ oder „Herr-Knecht“ heraus. Gott ist kein Arbeitgeber, und wir sind keine Tagelöhner, die mit der Auszahlung des Lohns das Dienstverhältnis beenden. Schon ein Lohnanspruch wäre absurd.

Selbst wenn wir alles getan hätten, was wir tun konnten, sind wir immer noch in der Lage des Schuldners. Gott hat immer schon die Vorleistungen erbracht und wir sind ihm gegen über immer im Rückstand. Und wer hätte schon wirklich alles getan, was er zu tun schuldig war? Auch eine außerordentliche Leistung ist nur das, was sowieso erwartet werden mußte.

Wenn ein Kind viele Einsen aus der Schule mit nach Hause bringt, so wird man es zwar loben und sich mitfreuen. Aber es kann keine Ansprüche anmelden und nun etwa eine Belohnung haben wollen und sagen: „Für jede Eins will ich fünf Mark!“ Wer Einsen erzielt hat, der hat bewiesen, daß er es konnte. Und wer es konnte, der ist auch dazu verpflichtet. Wenn die Eltern trotzdem ein Geschenk machen, dann tun sie es aus freien Stücken. Martin Luther hat am Ende eines erfüllten und segensreichen Lebens gesagt: „Wir sind Bettler, das ist wahr!“ Das war der letzte Satz, den er geschrieben hat.

 

Unser Lohn ist Gottes Geschenk:

Ein Theologe wurde bei einer schweren Krankheit einmal von einer Krankenschwester vorbildlich betreut. Seit zwanzig Jahren hatte sie nur Nachtschichten übernommen. Der Mann fragte sie, ob das nicht sehr anstrengend wäre. Da meinte sie strahlend „Jede durchwachte Nacht ergibt einen Edelstein an meiner himmlischen Krone, ich habe jetzt schon 7.175 beieinander!“ Seit der Zeit konnte er an ihre Liebe nicht glauben, denn sie meinte nicht den Patienten, sondern sie schielte heimlich nach der angeblichen himmlischen Krone.

Auch Konfirmanden könnten die Teilnahme am Unterricht und Gottesdienst als Leistung verstehen, die den Anspruch auf die Konfirmation sichert. Aber nachdem die Leistung erbracht ist, setzt man sich zur Ruhe. Und dahinter steht dann die Meinung: „Gibst du mir, geb ich dir!“ Doch so geht es sicher nicht.

Wir können Gott keine Rechnung schreiben, sondern er bezahlt unsre Schulden. Hier liegt das Evangelium in dieser Geschichte. Das Gleichnis schildert nur die Voraussetzung, seine Pointe liegt außerhalb seiner vordergründigen Aussage. Die Lohngesinnung des natürlichen Menschen muß erst abgebaut werden, damit man erkennt: Gott will nur schenken.

Wir können nur aufatmen, wenn wir von dem Denken in „Pflicht“ und „Anspruch“ erlöst sind. Wir zerreiben uns oft und werden unfrei, weil wir ja nicht gelten lassen wollen, daß wir nicht alles getan haben. Aller Krampf könnte sich lösen, wenn wir begreifen, was uns hier doch angeboten wird. Der Satz: „Ein Christ ist immer im Dienst“ ist eine fromme Übertreibung. Wir sollen uns nicht ständig selbst aufopfern, aber wir bleiben immer im Dienst unseres Herrn.

Doch das Aufgetragene ist nicht mehr als das Menschenmögliche. Wir haben auch nur eine begrenzte Verantwortung: Wir können nicht alle Weltprobleme lösen. Aber wir dürfen das Problem nicht abwälzen, das uns zu lösen aufgetragen ist. Uns wird nicht zugemutet, die Welt in Ordnung zu bringen. Aber wir sollen doch dort Ordnung schaffen, wo wir hingestellt wurden.

Gerade wenn wir nicht mehr auf Lohn spekulieren, werden wir belohnt. Da kann es dann sein, daß der Herr u n s bedient, wie es Jesus einmal bei seinen Jüngern getan hat. Gott braucht uns

nicht. Aber er bindet sich freiwillig an uns. Aus Sklaven werden wir zu Kindern, die nun ganz für Gott leben. Dieses zunächst abstoßende Gleichnis zeigt doch die verborgene Absicht Gottes. Es ist alles nur Gnade! Hier wird den Sklaven die Freiheit verkündet. Da ist es doch ganz gut, so ein Sklave zu sein, denn bei Gott haben es sogar die Sklaven gut.

 

 

Lk 17, 11 - 19 (Variante 1) (14. Sonntag mach Trinitatis):

Kleinen Kindern bringt man frühzeitig bei, daß sie immer „Dankeschön“ zu sagen haben. Sie müssen vielleicht sogar noch Händchen geben und einen Knicks machen und dann freuen sich alle und sagen: „Welch ein wohlerzogenes Kind!“ Aber wie steht es denn bei den Erwachsenen mit der Dankbarkeit? Vergessen die nicht auch manchmal den Dank, wenn sie eine Freude erfahren haben?

Viele Dinge sind uns doch so selbstverständlich geworden, daß uns gar nicht mehr der Gedanke kommt, wir könnten uns ja auch einmal dafür bedanken. Wieviel tut etwa die Mutter für die Familie?! Sie hat ihren Beruf, aber sie versorgt auch fast den ganzen Haushalt, kocht

Essen, hält die Wohnung sauber, wäscht die Kleider.

Der Vater geht auch Geldverdienen, hilft im Haushalt, repariert alles, läuft viele Wege. Und außerdem haben die Eltern noch Zeit für die Kinder, sehen nach den Hausaufgaben, spielen mit ihnen, beantworten ihre Fragen. Wenn die Eltern sich so um die Kinder kümmern, dann haben wir doch allen Grund zur Dankbarkeit.

Oder denken wir daran, daß wir alle ausreichend und gut zu essen haben. Viele Menschen aber bleiben Zeit ihres Lebens hungrig, darunter auch besonders viele Kinder. Wir aber schimpfen gleich, wenn das Brot einmal nicht so schmeckt oder wenn es abends ausverkauft ist. Sollten wir nicht schon dankbar dafür sein, daß es überhaupt Brot gibt?

Es gibt viele Dinge, bei denen man sich fragt: „Hat das denn auch etwas mit Dank zu tun? Hat das denn überhaupt etwas mit Gott zu tun?“ Viele haben einen schönen Urlaub verlebt, die Kinder haben mit Begeisterung bei einem Fest mitgemacht, wir leben mit so vielen Menschen zusammen, die uns helfen und denen wir helfen können. Daß sie zur die Schule gehen müssen, wird den Kindern vielleicht nicht so schmecken; aber daß sie dabei viel lernen können und in der Regel klüger werden als ihre Eltern, ist doch auch etwas Schönes.

Menschen haben eine große Freude erlebt und erzählten voller Dankbarkeit anderen davon: Die Mutter des Kindes, das Blinddarm hatte; das Ehepaar, das ein Kind adoptiert hat; die Frau, für die ein Mädchen einkaufte. Kinder kommen zum Kindergottesdienst, da können wir doch Gott danken, denn er hat ihnen so das Herz geöffnet hat, daß sie gerne kommen. Das sind alles Dinge, die jeder von uns jeder Tag erleben kann und die uns dankbar stimmen können.

Das wollte uns ja auch die Geschichte von den zehn aussätzigen Männern deutlich machen: Wenn wir eine Freude erlebt haben, dann sollten wir dafür danken. Aber unser Dank gilt in erster Linie Gott, der uns das alles gegeben hat. Nicht nur wenn wir gerade noch einmal am Tod vorbeigekommen sind, ist Grund zum Danken, sondern auch schon bei den ganz alltäglichen Dingen: Für die Arbeit und den Urlaub, für die Feste und die Mitmenschen.

Doch schon Jesus mußte die schmerzliche Erfahrung machen: Da kommen Menschen und suchen Hilfe in ihrer Not. Aber sie bleiben Gott den Dank schuldig. Ihm persönlich sollen sie ja gar nicht danken. Aber es ist ihm nicht gleichgültig, ob sie seinem Vater danken oder nicht. Er will ihnen ja einen Weg bahnen zu Gott. Aber die meisten bleiben auf halbem Wege stehen, nämlich bei der Hilfe aus äußerer Not.

Dabei hatten sie anfangs durchaus das getan, was Gott will: Sie haben Jesus in der Not angerufen! Aber dann gehen sie zurück in ihr altes Leben, zu ihrer Arbeit, ihrer Familie und zu den üblichen Gottesdiensten. Sie begreifen gar nicht, daß Gott nicht nur einmal im Leben mit ihnen in Berührung kommen will, sondern sie an jedem Tag begleiten will. Gott wollte durch die Heilung ihren Glauben wecken und in alle Zukunft mit ihnen in Verbindung bleiben.

Aber das geschieht nur bei dem einen, der erst noch einmal zu Jesus zurückkehrt. Nur für ihn wird die Heilung zum persönlichen Weg zu Gott, er allein ist wirklich gerettet und geheilt, weil nur e r den persönlichen Heilszuspruch Jesu hören kann.

Er sieht jetzt alles mit anderen Augen. Er weiß: Gesundheit, Erfolg und Besitz sind umsonst, wen man dadurch nicht zum Lob Gottes geführt wird. Jetzt aber lebt er als ein neuer Mensch, der ganz zu Christus gehört, auch wenn er noch in seiner alten Umgebung ist. Aber er ist reicher und glücklicher, weil er dankbar bleibt.

Im Psalm 50 heißt es: „Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten, so sollst du mich preisen!“ Neun Männer wollten nur gesund werden, aber mit Gott wollten sie nichts zu tun haben (oder zumindest doch mit Jesus, der ihnen Gott bringt). Sie sahen nur das Geschenk, aber nicht den, der es ihnen gegeben hatte. Nach der Heilung ging es nicht neu los, sondern es war wieder alles beim Alten. Dadurch war letztlich alles vergeblich.

Dabei hätten sie als fromme Glieder des Gottesvolkes am ehesten verstehen müssen, was Gott hier an ihnen tat. Aber ausgerechnet der verachtete Samariter tut das Richtige. Bei dem Wort „Samariter“ sollten wir nicht gleich an den „barmherzigen Samariter“ denken, von dem Jesus uns auch erzählt. Ein Samariter war wie einer, der aus der Kirche ausgetreten ist. Aber vielleicht hat er gerade deshalb begriffen, wieviel ihm geholfen wurde, während die anderen alles als selbstverständlich hinnahmen.

Im Grunde ist aber nichts selbstverständlich und danken kann man nie genug. Die Religionslehrerin war einmal krank. Als sie wieder zum Unterricht kam, sagte ein Mädchen aus der ersten Klasse zu ihr: „Ich habe für dich gebetet, daß du wieder gesund wirst. Aber jetzt mußt du dich auch bedanken“. Kinder und Narren sagen die „Wahrheit. Und sie sind oft auch die Dankbarsten, weil sie so sehr auf die Hilfe der anderen angewiesen sind. Sie wissen oft besser als die Erwachsenen, was zu tun ist. So sind sie manchmal ein Vorbild, so wie jener Samariter den anderen ein Vorbild war.

Wie macht man das aber nun mit dem Danken? Nun, abends vor dem Einschlafen hat jeder sicher noch einige Sekunden Zeit, um der Tag noch einmal zu überdenken. Da gibt es bestimmt sehr Vieles, wofür man dankbar sein kann. Wenn man das Gott im Gebet sagt und ihn dafür lobt und preist, dann war es sicher kein verlorener Tag gewesen. Und dann kann man auch guten Gewissens für den nächsten Tag bitten, damit der auch gelingen möge.

Wer das nicht tut, wer sich von Jesus helfen läßt, aber dann ohne ihn weiterlebt, der enttäuscht ihn bitter. Er hilft mit dazu, daß das Leiden Jesu auch heute noch weitergeht. Die gute Nachricht der Bibel aber lautet für uns: „Jesus wartet auch heute 'noch auf uns, daß wir uns bei ihm bedanken und Gott damit loben!“

 

 

Lk 17, 11 – 19 (14. Sonntag nach. Trinitatis, Variante 2):

Kleinen Kindern bringt man frühzeitig bei, daß sie „Dankeschön“ zu sagen haben. Sie mußten früher sogar noch Händchen geben und einen Knicks machen und alle freuten sich über das wohlerzogene Kind. Aber vergessen wir selber nicht viel zu oft das Danken? Viele Dinge sind uns so selbstverständlich geworden, daß uns gar nicht mehr der Gedanke kommt, uns dafür zu bedanken.

Wir haben doch zum Beispiel regelmäßig unser Essen. Aber ist das wirklich so selbstverständlich? Wie schnell wird über das Essen in der Kantine, in der Mensa oder im Krankhaus geschimpft. Es kann nicht jeden Tag die Lieblingsspeise geben. Und zu Hause ist das Essen auch nicht besser. Man hat eher den Eindruck, die zu Hause nicht so gutes Essen bekommen, die maulen bei der Gemeinschaftsverpflegung am meisten. Aber allein die Tatsache, daß es überhaupt Brot gibt, ist doch schon Grund zur Dankbarkeit.

Die Geschichte vom dankbaren Samariter macht uns deutlich: Nach der Bitte folgt der Dank, hinter der Gabe steht ein Geber und es geht nicht um Glück, sondern um Heil.

 

(1.) Nach der Bitte folgt der Dank: Schon Jesus mußte die schmerzliche Erfahrung machen: Die meisten, die in der Not seine Hilfe suchten, bleiben seinem Vater den Dank schuldig. Jesus will nicht, daß sie ihm persönlich danken, denn er ist nur gekommen, um die Ehre Gottes groß zu machen. Und so lobt der Geheilte auch Gott, als er Jesus seinen Dank ausspricht. Aber auch für Jesus ist es nicht gleichgültig, ob die Menschen seinen Vater loben oder nicht.

Doch wir sind halt alle so: Die Wohltaten Gottes lassen wir uns gern gefallen und nehmen sie im Grunde vielleicht als unser gutes Recht hin. Erst wenn uns wieder etwas fehlt, dann denken wir wieder an ihn.

Besonders in Kriegs- und Notzeiten betete mancher wieder zu Gott und machte Versprechungen. Da gelobt einer in der Kriegsgefangenschaft: „Wenn ich wieder heimkomme, dann will ich mich auch treu zur Kirche halten“. Aber dann ist er ein vielbeschäftigter Handwerker, der nicht einmal Zeit hat für ein Gespräch. Zum Gottesdienst kommt er nie und es kann keine Rede davon sein, daß er sonst einmal etwas für die Gemeinde tun würde.

Viele Menschen sehen Gott wie einen Automaten an: Wenn das Gewünschte da ist, geht man weg und kümmert sich nicht weiter um den Automaten. Und wenn der Automat einmal versagt, dann geht man zum nächsten. Bei Gott gegenüber können wir nicht dummdreist denken: Er ist ja zur Wohltat verpflichtet, pünktlich und pausenlos, dazu ist er ja der „liebe Gott“. Es ist gut, wenn wir vergangene Gefahren und Ängste vergessen können. Aber es ist nicht gut, wenn wir das wiedererlangte Glück hinnehmen, als müßte das so sein.

Die Religionslehrerin war einmal krank. Als sie wieder zum Unterricht kam, sagte ein Mädchen aus der ersten Klasse nach der Stunde zu ihr: „Ich habe für dich gebetet, daß du wieder gesund wirst. Aber jetzt mußt du dich auch bedanken!“ Kinder und Narren sagen die Wahrheit. Aber sie sind oft auch die Dankbarsten, weil sie sehr stark auf die Hilfe der anderen angewiesen sind. Kinder wissen oft besser als wir, was zu tun ist. Sie sind uns manchmal ein Vorbild, so wie dieser samaritanische Fremdling den anderen ein Vorbild ist.

Die Neun haben anfangs durchaus getan, was Gott will: Sie haben ihn und seinen Christus in der Not angerufen. In dem Augenblick, als sie sich zu den Priestern aufmachten, waren sie Musterbilder des Glaubens. Gott will, daß man ihn gerade anruft, wenn man ganz unten ist, und der Hilfeschrei der Kranken ist durchaus keine niedere Stufe des Gebets.

Aber in Psalm 50 heißt es: „Opfere Gott Dank und bezahle dem Höchsten deine Gelübde und rufe • mich an in der Not, so will ich dich erretten, so sollst du mich preisen!“ Bitten und Danken gehören zusammen. Dankbarkeit ist nicht nur eine menschliche Tugend, sondern sie gibt zu erkennen: „Ich habe dich verstanden, im Dank weiß ich mich dir verbunden. Mir ist deine Liebe nicht selbstverständlich. Du hättest nicht gemußt, aber du wolltest!“

 

(2.) Hinter Gabe steht der Geber: Der Samariter bezeugt durch seine Dankbarkeit seine Verbundenheit mit Jesus. Die neun Undankbaren aber haben Gott nur als Mittel für ihre eigenen Zwecke mißbraucht. Sie wollten nur gesund werden, aber mit Gott haben sie nichts zu tun haben wollen, sie sahen nur die Gaben und nicht den Geber. Daß man aber Gott, den Geber aller Gaben, erkennt, das war doch die Absicht bei der ganzen Heilung!

Die jüdischen Gelehrten sagten, daß Aussatz nicht nur eine übliche Krankheit sei, sondern auch ein Zeichen dafür, daß man von Gott verworfen ist. Insofern hat das gleiche Schicksal die Juden und Samariter verbunden. Jetzt aber sieht Jesus nur die Menschen und ihren Jammer, er fragt nicht nach Nationalität, sondern er nimmt sie unterschiedslos an und wird ihnen zum Helfer. Aber die Jesus am nächsten sein müßten, weisen ihn ab. Sie wollen zwar gesund sein, aber mit Jesus wollen sie nichts zu tun haben. Die aber an sich weit weg sind, nehmen ihn an. Auch die Fernstehenden haben also eine Chance.

Auch die anderen haben sicher gedankt. Zur Reinigungsprozedur gehörte der Dank im Rahmen eines Gottesdienstes. Solche festen Formen des frommen Lebens sind sicher hilfreich. Aber dadurch haben sie nicht erkannt, daß Gott sich in Jesus offenbart. Jesus ist nicht nur ein Wunderheiler, sondern er redet und handelt zugleich als Gott. Der Samariter geht nicht nur in den Tempel, sondern er kehrt zurück zu Jesus, in dem er seinen Gott und Herrn entdeckt hat.

Gottlos waren die anderen deshalb nicht, er wird in ihrem Leben schon eine Rolle gespielt haben, die einer gewissen Normal-Frömmigkeit entspricht. Aber Jesus war für sie nur interessant um seiner Gaben willen, aber als Geber interessiert er nicht.

Man wird den Geheilten das neu gewonnene Leben gönnen. Aber sie dürfen nicht vergessen, wem sie es verdanken. Bei ihnen ist die Erhörung des Hilferufs letztlich vergeblich gewesen. Nur der Samariter vergißt nicht hinter der Gabe den Geber. Gerettet ist nur der eine, weil er glaubt. Und Glaube ist ein persönliches Verhältnis zu Christus.

 

(3.) Es geht nicht um das Glück, sondern um das Heil: Es war den Kranken sicher nicht leicht, allein auf das Wort Jesu hin zu den Priestern zu gehen, die ihre Heilung feststellen mußten. Damit waren sie an sich auf dem richtigen Weg. Aber neun von ihnen haben wohl kaum dauernden Segen aus dieser Heilung empfangen. Sie haben nicht gemerkt, daß Gott ihnen immer und auf alle Art helfen will und daß diese Heilung nur ein Anfang sein sollte. Sie haben nur die Heilung empfangen, und dann war wieder alles beim Alten.

Die Neun sind nur gesund und nur glücklich und sind wieder zurück bei ihren Familien. Jesus freut sich mit ihnen darüber, die Geheilten werden nicht für ihre Undankbarkeit bestraft. Aber er fragt doch, wo sie geblieben sind, nicht vorwurfsvoll, sondern aus Sorge. Warum haben sie das viel größere Angebot Jesu nicht erkannt, warum lassen sie ihn so gleichgültig außen vor?

Gesund geworden sind alle zehn, aber gerettet ist nur einer. Nur einer kann hören: „Dein Glaube hat dich gerettet!“ Mit der leiblichen Hilfe hat er zugleich geistlichen Segen erhalten und dadurch etwas gelernt über Gott und über sich selbst.

Dieser ist ausgerechnet ein Samariter. Dazu muß man wissen: Dieses Volk hatte an sich den gleichen Ursprung wie die Juden, aber sie hatten sich angeblich mit Heiden vermischt und sind dann nicht mehr zum Tempel in Jerusalem zugelassen worden, so daß sie sich ein eigenes Heiligtum schufen. Deshalb wurden sie von den Juden als Ungläubige angesehen. „Samariter“ war ein Schmähwort. Aber in dieser Geschichte wird deutlich gemacht: Auch die Samariter haben das Wort Gottes angenommen, auch die ehemaligen Juden müssen sie jetzt als Gläubige anerkennen, ja, sie können sogar ein Vorbild sein.

Es ist auch heute gut, wenn der Glaube über die Kirchenmauern hinaus dringt, mit denen wir uns oft umgeben. So ein Gottesdienst im Kirchweihzelt lockt doch einmal Leute an, die man sonst in der Kirche nicht sieht. Dafür muß man dann wohl auch in Kauf nehmen, daß am Rande mit Geschirr geklappert wird, daß Leute sich unterhalten oder sogar rauchen. Jesus Christus will wirklich allen helfen und alle mit sich verbinden. Aber dabei ist immer deutlich zu machen: Es geht nicht um das Vergnügen und auch nicht allein um das Glück, sondern um das Heil Gottes.

Für die Neun scheint auch alles heil zu sein. Aber die Frage aller Fragen haben sie übersehen. Auch der größte Wohlstand und die beste Gesundheit macht die Normalisierung unsers Verhältnisses zu Gott nicht überflüssig.

Gott kann in unserm Leben nicht bloß eine entbehrliche Zutat sein. Er ist der, an dem sich zuletzt alles entscheidet. Wenn ich als Mensch meiner Bestimmung entsprechend leben will, dann muß ich im rechten Verhältnis zu Gott stehen.

Wenn wir das richtige Bitten lernen wollen, dann müssen wir vier Dinge beachten: Zum Gebet gehören Dank, Bitte, Fürbitte und Lobpreis. Wenn wir einmal einen Tag so überdenken, dann fällt uns bestimmt vieles ein, wofür wir dankbar sein dürfen. Aber wir haben auch sicher Bitten; daß wir einmal wunschlos glücklich wären, das gibt es doch gar nicht. Doch wir sollten dabei nicht vergessen, auch für a n d e r e zu bitten. Und schließlich sollten wir Gott loben und preisen, der uns das alles geben kann und uns so vieles gibt.

Das Danken ist eine feine Kunst. Aber sie sollte beständig geübt werden. Es gibt so vieles, was uns erfreut und dankbar macht, auch und gerade die Kleinigkeiten: das schöne Wetter, ein lieber Brief, eine kleine Aufmerksamkeit, Hilfe in Gefahr.

Ein alter Mann holte, wenn es auf Danken zu sprechen kam, eine vernickelte Taschenuhr aus der Schublade. Die Zeiger waren abgebrochen, die Uhr war schon viele Jahre kaputt. Aber er hatte sie aufbewahrt, weil sie ihm als Soldat im Ersten Weltkrieg das Leben gerettet hatte. Ganz deutlich war auf der Rückseite der Eindruck einer abgeprallten Gewehrkugel zu sehen. Der Mann sagte: „Es gibt immer beide Möglichkeiten: Glück gehabt oder Gott sei Dank! Ich habe mein Leben lang nicht vergessen, wieviel Dank ich Gott schulde!“

 

 

Lukas 17, 20 -30 (Drittletzter Sonntag des Kirchenjahres):

Das neue Jahrtausend hatte kaum begonnen, da ereignete sich ein großes Unheil. Am 11. September 2001 wurden zwei Verkehrsflugzeuge in die Türme des Welthandelszentrums in New York gelenkt. Nach der ersten Meldung im Radio schaltete man den Fernsehapparat an. Zunächst dachten viele an einen Unglücksfall. Dann flog das zweite Flugzeug heran. Immer noch konnte man denken: Es wird an dem zweiten Turm vorbeifliegen! Aber es kam auf der anderen Seite nicht wieder hervor, es war auch in den Turm gekracht. Über 3.000 Menschen kamen damals um. Für sie war dieser Herbsttag der letzte in ihrem Leben.

Dieses Ereignis hat das ganze Jahrzehnt bestimmt, es wird vielleicht das ganze Jahrhundert bestimmen. Es war damals eine Zeit des Aufschwungs und des Optimismus. Der große Ost- West-Gegensatz war überwunden, die Technik brachte immer neu Wundertaten hervor, vielen

Menschen ging es gut. Und auch wenn schon die ersten Schwierigkeiten der Wirtschaft zu

sehen waren, so dachte man doch: „Das ist eine Krise wie viele andere, sie wird schon wieder zurückgehen!“ Aber von einer Stunde zur anderen war dieser Optimismus dahin, so wie nach dem Erdbeben von Lissabon im Jahre 1795 oder nach dem Abwurf der Atombomben im Jahre 1945.

Solche Wendepunkte warfen auch immer wieder die Frage auf: „Kommt jetzt das Ende der Welt?“ Jesus läßt sich aber nicht auf eine Datumsangabe ein, denn er will die Menschen weder beruhigen noch ängstigen. Hätte er gesagt: „In hundert Jahren!“, dann hieße das: „Gar nicht, denn dann lebe ich nicht mehr!“ Hätte er gesagt: „Nächstes Jahr!“ dann hätte ich ja noch ein bißchen Zeit. Hätte er gesagt: „Morgen schon!“ dann wäre die Reaktion: „Nun ist sowieso alles zu spät!“

Jesus bezieht sich in seiner Antwort auf die Frage nach dem Ende der Welt auf die biblischen

Geschichten von der großen Wasserflut zur Zeit des Noah und von dem Feuerregen auf die Stadt Sodom. Die Menschen dieser Zeit haben nicht mit dem Kommen Gottes gerechnet. Ihr Leben verlief ganz normal mit Essen und Trinken, Lieben und Arbeiten, Kaufen und Verkaufen. Aber ihr Verhängnis war, daß sie meinten, ihr Leben könne und werde immer ungestört so weiter gehen.

Auch unser Leben geht seinen Gang. Wir leben mit dem Wissen um eine mögliche Katastrophe. An beängstigenden Meldungen fehlt es nicht, auch nicht an Warnungen, Beschwichtigungen und Prognosen. Aber wie sollen wir mit all dem umgehen? Die Optimisten sagen: „Es wird schon nicht so schlimm kommen. Wir brauchen nichts zu ändern!“ Die Pessimisten sagen: „Das Unglück kommt unaufhaltsam. Wir können nichts ändern!“ Und das heißt in beiden Fällen: „Wir müssen uns nicht ändern!“

Die christliche Hoffnung hat so den Beigeschmack des Utopischen. Leicht könnte man auch durch die Beschäftigung mit der Zukunft die Pflichten von heute verpassen. Sollten wir nicht endlich lernen, daß das Reich Gottes sich jetzt und hier verwirklichen will? Jesus sagt hier da schwergewichtigen Satz: „Das Reich Gottes ist mitten unter euch!“. Damit will er nicht sagen, daß das Reich in der Innerlichkeit des Menschen ist, nur in seinem Herzen und in seinen Vorstellungen.

Er will sagen: „Es ist in eurer Mitte. Ihr wollt wissen, wann das Reich Gottes kommt, dabei steht der doch mitten unter ihnen, der es euch bringt!“ Man könnte die Fragenden mit einem Mann vergleichen, der am Fenster steht und mit dem Fernglas die Straße entlang blickt, weil er Besuch erwartet und ihn schon in der Ferne entdecken will. Aber der Gast ist auf einem anderen Weg gekommen, leise ins Zimmer getreten und legt ihm gerade die Hand auf die

Schulter.

Sind wir nicht auch oft wie der Mensch mit dem Fernglas? Wie oft diskutieren wir über Gott und sein Reich, als sei es fern. Dabei hat es mitten unter uns längst begonnen, so wie Jesus es versprochen hat. Jesus selbst ist das Reich Gottes, er als Person, in seinem Wort und in seinem Sakrament, in Taufe und Abendmahl.

Dennoch fragen auch wir: „Wo sieht man denn etwas von diesem Reich in unserer Welt?“ Gottes Regieren bleibt uns oft im Dunkeln. Wir empfinden eine Gerechtigkeitslücke in der Welt, an der die weltlichen Herrscher nichts ändern können oder wollen. Manche Politiker versuchen ja, die irdischen Verhältnisse neu zu ordnen. Aber das wird nicht zum Reich Gottes führen. Und auch als Kirche sind wir zerspalten und kraftlos und allzumenschlich in unserm Verhalten. Christi Wirken vollzieht sich in tiefer Niedrigkeit und Schwachheit, Glaube glaubt

gegen allen Augenschein.

Die Unsicherheit, mit der wir persönlich leben müssen, liegt auch über der Zukunft der Menschheit. Vor einigen Jahren war es noch die beispiellose Rüstung, die Angst machte. Heute ist es eher die ungeheure Belastung der Umwelt und der Kampf um die Rohstoffe, die ungerechte Verteilung der Güter dieser Erde, weltweit gesehen, aber auch innerhalb des jeweiligen Staates. Dazu kommen noch weltanschauliche und religiöse Gegensätze, die das Leben vergiften.

Auch in früheren Zeiten gab es ähnliche Ängste, Gerüchte, Warnungen, Befürchtungen. Seit jeher war es auch die Sehnsucht der Menschen, in die Zukunft schauen zu können. Wenn das möglich wäre, könnten wir doch ganz anders planen und könnten die Unsicherheitsfaktoren aus unserm Leben streichen.

Zur Zeit Jesu bewegte viele Menschen die Angst vor einer Katastrophe, die das Ende der Welt bedeuten würde. Viele Juden hoffen aber auch, daß der Messias kommen und ein Gottesreich errichten werde, wie es die Propheten angekündigt hatten. Viel diskutiert wurde die Frage, ob Menschen diese Ereignisse beeinflussen können oder ob ein seit Urzeiten feststehender Plan ablaufe. Und es fehlte nicht an Spekulationen, wann und wo und wie sich die letzten Ereignisse abspielen werden.

Auch heute gibt es Gruppen, die ganz genau wissen wollen, wann der Herr zum letzten Mal und für immer kommen wird. Sie wollen dann eine ideale Gemeinschaft gründen und sagen: „Wir haben es. Kommt zu uns. Wir sind die einzig Geretteten am Tag des Gerichts!“. Jesus aber sagt: „Geht nicht hin! Folgt ihnen nicht! Glaubt denen nicht, die mit Zeiten und Ortsangaben aufwarten! Wenn das Reich Gottes kommt, wenn der Menschensohn aus seiner Verborgenheit heraustreten wird, werden alle überrascht sein und nicht vorbereitet. Die Bibel ist kein göttlicher Terminkalender, denn Gottes Pläne mit unserer Welt entziehen sich menschlicher Einsicht!“

Doch wir müssen auch ganz nüchtern sehen: Unser Welt mit ihren Schönheiten und Freuden, mit ihren Sorgen und Leiden, wird nicht ewig bestehen. Sie wird einmal den Kältetod oder den Wärmetod erleiden, wenn sie nicht schon vorher zerstört wird. Es kann auch sein, daß die Menschen schon vorher aussterben, so wie viele Tier- und Pflanzenarten schon ausgestorben sind.

Noch näher rückt uns diese Grenze, wenn wir auf nasser Straße gerade noch einmal um einen Unfall herumgekommen sind, wenn eine Krankheit die Ärzte zu höchstem Einsatz ihres Wissens und Könnens veranlaßt, wenn wir uns Gedanken darüber machen, vor welchen Problemen die Generation unserer Enkel einmal stehen wird.

Doch näher liegt uns eine Haltung wie bei den Zeitgenossen Noahs, näher als wir uns eingestehen. Unser Alltag verläuft routinemäßig, Unser Denken bewegt sich im Bereich des Weltlichen, wir haben Wünsche, treiben Vorsorge. Aber in unserer praktischen Lebenshaltung kalkulieren wir den großen unbekannten Tag Jesu nicht ein. Daß er aber eintritt, das ist gewiß. Das bedeutet dann aber auch, daß es einmal ein „Wann“ geben wird. Das heißt aber: „Daß wir immer von dieser Grenze her zu leben haben!“

Und vor allem wissen wir, daß unser persönliches Leben einmal auf alle Fälle enden wird. Doch dieses Wissen um die Grenze macht uns nicht traurig oder mutlos und dadurch auch tatenlos. Wir wissen ja: Da kommt einer auf uns zu, es ist nicht aus, sondern wir werden es auf neue Weise mit Gott zu tun bekommen.

Unsere Welt muß der neuen Welt Platz machen. Aber dieser Blick in die Zukunft braucht uns nicht zu ängstigen. Jesus reiht sich weder unter die Optimisten noch unter die Pessimisten ein. Er hat eine andere, eigene Botschaft: „Tut Buße. denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!“ Ihr müßt euch ändern - nicht aus Angst vor der Katastrophe, sondern in Erwartung des Gottesreiches.

Es ist ja Jesus, der uns unmittelbar nahekommt, so nahe, wie er es noch nie war. Wir können uns auf ihn freuen, wie man sich auf einen lange vermißten Menschen freut. Diese Vorfreude der Begegnung gibt Schwung und bewirkt Wachheit. Der Blick auf das Ende lähmt nicht, sondern macht uns aktiv in der Zeit, die uns bleibt.

Martin Luther soll gesagt haben: „Und wenn ich wüßte, daß morgen die Welt unterginge, dann würde ich doch heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen!“ Wir müssen auf das Reich

Gottes warten. Aber wir sollten nicht darüber versäumen, was wir zwischen Ostern und dem

Jüngsten Tag machen können.

Im Vaterunser beten wir: „Dein Reich komme!“ Wir erbitten damit beides: „Gott, dein Reich möge doch aus seiner Verborgenheit heraustreten und im Weltgeschehen beherrschend werden, sichtbar für jeden und jeden einbeziehend!“ Und wir erbitten damit auch: „Himmlischer Vater, mach uns bereit, dein Reich in seiner verborgenen Gestalt zu erkennen und anzunehmen, uns ihm zu unterstellen und uns zu ändern, wie es deine nahe Gottesherrschaft von uns verlangt!“

Ob wir den Tag Jesu einkalkulieren oder nicht, wir werden ihn erleben. Damals stand Jesus noch sichtbar mitten unter den Menschen. Dann kam die Zeit des Wartens ohne seine leibliche Gegenwart. An seinem großen Tag wird er aber wieder sichtbar werden. Vor allem wir er

plötzlich in unserer Mitte sein. Er wird nicht mehr unerkannt zwischen den Menschen stehen,

die durch die Hülle seiner Niedrigkeit nicht hindurchzusehen vermochten.

Den Tag des Herrn verschläft keiner. Anders als damals in Bethlehem kommt Christus wie ein Blitz aus heiterem Himmel, verbunden mit Donner und Krachen. Auf einmal wird alles erhellt, ist alles klar. Aber wir brauchen keine Angst zu haben vor dem Morgen, sondern wir können vertrauen auf eine Zukunft mit Christus. Dies kann uns Halt geben in der Stunde des Todes, mit der für jeden der jüngste Tag beginnt.

 

 

Lk 18, 1 - 8 (Drittletzter Sonntag im Kirchenjahr):

Beten das ist doch nur etwas für Leute, die nicht fertigwerden mit ihrem Schicksal. Selbst wenn Gott alle Bitten der Menschen hören sollte, so tut er ja doch das, was er will. Das haben wir ja im Krieg gesehen, als viele Frauen darum gebetet haben, daß ihr Mann wieder kommt. Aber andere sind wiedergekommen, die nur gelacht hätten, wenn jemand für sie gebetet hätte.

Wer so denkt, hat Gott noch nicht begriffen.

Es klingt unter Umständen ja ganz fromm, wenn man so redet: Es kommt ja doch, wie es kommen muß. Wir selber haben darauf doch gar keiner Einfluß. Alles ruht doch in Gottes Hand. Er allein überwindet das Böse und setzt seine Herrschaft in der Welt durch. Aber das kommt alles von alleine. Wir können den allmächtigen Gott nicht beeinflussen. Wir können uns nur im Gebet seinem Willen beugen.

So denken und sagen wir doch oft. Aber in Wirklichkeit lassen wir uns nur von solchen Gedanken lähmen. Da steckt der Teufel dahinter, der nur vom Gebet zu Gott abhalten will. Jesus hat es uns anders gelehrt. Das zeigt dieses Gleichnis.

Da ist eine Witwe, von jeher der Inbegriff der Schutzlosigkeit. Wer macht sich schon für sie stark? Und an welchen Richter gerät sie?! Er will nichts vor Gott wissen und es fehlt ihm die Gewissensbindung. Er weiß nicht, daß auch er einmal vor dem himmlischen Richter stehen wird und dann einmal für seine Rechtsprechung auf Erden wird Rechenschaft ablegen müssen. Er läßt den lieben Gott einen frommen Mann sein. Und was die Menschen von ihm reden, das läßt ihn völlig kalt.

Und doch weiß die Witwe: Es kann mir niemand helfen als dieser eine alte Mann. Deshalb setzt sie alles auf eine Karte. Sie hat nur eine einzige Waffe, das ist ihre Zähigkeit. Es ist sinnlos, an das Rechtsgefühl dieses Mannes zu appellieren. Aber man kann ihm auf die Nerven fallen. So wird sie ihm lästig. Er will sie wieder loswerden. Er hat Angst, daß sie ihm am Ende noch gar ein blaues Auge schlägt. Da hilft er ihr zu ihrem Recht.

Die Moral von der Geschicht' wäre dann also: Auch im ungünstigsten Fall kann man noch sein Recht finden, wenn man nur entsprechend beharrlich ist. Selbst Gott gegenrüber kommt man mit Unverschämtheit ans Ziel. Jesus aber will uns durch dieses Gleichnis noch mehr deutlich machen. Gott ist anders, als wir zunächst denken.

Gott ist ja ganz anders als dieser Richter. Gott müssen wir ja nicht mit Gewalt willig machen. Ihm liegt ja vielmehr daran, von uns angesprochen zu werden. Wir sind bei Gott jederzeit willkommen. Aber er will eben drum gebeten sein.

Wenn Kinder etwas von ihren Eltern wollen, dann müssen sie auch darum bitten. Wenn ein Kind abends heimkommt und brüllt: „Hab Hunger!“ dann werden die Eltern noch lange nicht reagieren. Sie wissen zwar genau, was das Kind will. Aber es soll höflich und freundlich darum bitten, sonst kriegt es eben nichts. Denn eine solche Hilfe ist nicht selbstverständlich. Nur wenn man vorher „bitte“ sagen muß, wird man hinterher das „danke“ nicht so leicht vergessen.

Das Gebet ist kein Automat, wo nur oben das Geld hineinwerfen muß und unten kommt prompt die gewünschte Ware heraus. Es ist euch nicht wie bei einem Feuermelder, wo man nur aufs Knöpfchen drückt und dann kommt die Feuerwehr auf dem schnellsten Weg. Zum Beten gehört Demut und Ausdauer. Die Mutter des Kirchenvaters Augustin hat 16 Jahre lang jeden Tag um die Bekehrung ihres Sohnes gebetet. Aber er wollte von der Kirche und dem Glauben seiner Mutter nichts wissen. Bis es ihn dann eines Tages packte. An Ostern des Jahres 387 wurde er als einer der berühmtesten Männer seiner Zeit getauft. Nun stellte er seine Fähigkeiten in den Dienst der Kirche und wurde ein bedeutender Lehrer der Kirche.

Wir können also nicht sagen: „Beten hat ja doch keinen Zweck!“ Das Gebet ist kein psychologischer Trick, um mit unseren inneren Schwierigkeiten fertig zu werden. Es soll nicht dazu führen, daß wir uns schließlich doch in unser Schicksal ergeben. Es will vielmehr Gott ganz entschieden bewegen, etwas zu tun, was er sonst nicht tun würde.

Dazu müssen wir unsre Wünsche aber erst einmal mitteilen. Gott weiß dann schon, was wir wirklich nötig haben und was gut für uns ist. Sagen dürfen wir ihm erst einmal alles, auch wenn uns der Wunsch zu klein oder zu groß vorkommt. Erst danach ziehen wir den Schlußstrich und sagen: „Dein Wille geschehe!“

Bei Gott brauchen wir nur offene Türen einzurennen. Der Richter im Gleichnis hilft nur ungern, aber er hilft. Wie viel mehr wird da Gott helfen, der doch helfen w i 1 1 ! Wenn wir Gott in den Ohren liegen, dann nehmen wir ihn ernst und vertrauen seinen Versprechungen. Gott hört genauer und liebevoller zu, als ein Mensch das könnte. Wir brauchen ihn nicht umzustimmen oder müde zu beten. Er wird schon beistehen, weil er uns liebt.

Wir sind ja in einer ganz anderen Lage als die Witwe. Sie ist ohne Recht und muß gegen einen ekelhaften Richter ankämpfen. Wir aber gehören zu den „Auserwählten Gottes“. Und Gott ist von vornherein geneigt, sich seiner Erwählten, anzunehmen. Gewiß sollte uns das nicht stolz und eingebildet machen.

Auf das Gleichnis folgt gleich die Geschichte vom Pharisäer zu Zöllner. Wir haben kein Recht, uns auf unsre Erwählung etwas einzubilden wie der Pharisäer. Wir sind eher wie die Witwe und der Zöllner: Wir haben nichts als das Gebet. Aber beten dürfen wir, das ist unsere Erwählung.

Durch das Gebet haben wir eine Leitung, durch die all unsere Fragen und Zweifel, unsere Mutlosigkeiten und Kraftmängel zu Gott gelangen können. Andererseits kommt uns auf diesem Weg die ganze Kraft Gottes entgegen. Wir müssen diese Leitung offenhalten durch unser Gebet. Sonst wird der Kraftstrom unterbrochen und die Fragen und Zweifel häufen sich zu einem Berg, über den wir nicht mehr hinwegkommen.

Deshalb Lukas recht, wenn er gleich im ersten Vers mahnt: „Laßt nicht nach! Betet ohne Unterlaß!“ Das Gleichnis selber spricht ja davon, daß Gott auf Gebete hört und daß wir Chancen bei Gott haben. Daß Gott sich auch Zeit lassen könnte mit der Erfüllung unserer Bitten, das ist im Gleichnis nicht im Blick. Lukas spricht offenbar in eine andere

Situation hinein. Er hat eine Gemeinde vor sich, die immer wieder bittet: „Dein Reich komme!“ Das sprechen wir zwar auch immer wieder mit dem Vaterunser. Aber so ernst wie die Christen der ersten und zweiten Generation der Christen nehmen wir das ja wohl nicht mehr. Die rechneten fest damit, daß das Reich Gottes noch zu ihren Lebzeiten kommen werde. Diese Gemeinde ist offenbar in einer Bedrängnis und Anfechtung.

Das zeigen auch die letzten Verse, in denen es heißt: „Gott wird seinen Auserwählten ihr Recht schaffen in Kürze!“ Hier geht es nicht mehr darum, daß Gott in dieser oder jener Einzelheit hilft. Hier geht es vielmehr um eine Gemeinde, die nicht mehr ein noch aus weiß. Sie hat nahezu alle gegen sich: die verschiedenen jüdischen Gruppen, die Führer des Volkes, die ausländische Besetzungsmacht, die von den Christen fordert, sie sollten den Kaiser wie einen Gott verehren. Hier kann nur noch die große endzeitliche Wende der Dinge helfen. Gott muß sein Reich herbeiführen, sonst sind seine Auserwählten verloren. Sie sind verzweifelt und fragen sich, weshalb Gott nicht endlich eingreift und sie immer noch leiden läßt.

Natürlich gibt es auch Zeiten, wo die Gemeinde durchaus ein ruhiges Leben führen konnte. Aber ihre Glieder mußten immer auch durch Krankheit, Nöte und Anfeindungen hindurch. Es wird gehöhnt: Wo ist euer Gott? Ihr seid doch nur ein aussterbender Rest, die letzten Dummen!

Erkennen wir uns in dieser Gemeinde wieder? Wir stehen ja am Schluß des Kirchenjahres und richten unseren Blick auf die Endzeit. Wir sehen nicht nur die persönlichen Nöte, sondern auch die vielen vielfältigen Bedürfnisse der Welt: Frieden, die Stillung des Hungers, Gerechtigkeit für alle Menschen. Wann wird Gott dem allen ein Ende bereiten? Deuten nicht alle Anzeichen darauf hin, daß es bald so weit sein muß?

Wir sehen auch, wie man die Kirche an den Rand drücken will. Man will ihr das von Gott verliehene Recht streitig machen. Sie ist ohnmächtig und schutzlos. Die Mächte der Welt wollen sie vor ihren Karren spannen. Ihre Verkündigung ist wirkungslos, ihre Botschaft unbeweisbar. Ja, wir sind eine Gemeinde, die verachtet und getreten wird von der Welt.

Aber wir haben eine Waffe, die uns helfen kann, nämlich das Gebet zu Gott. Wir sind eine leidende Kirche, aber auch eine siegende Kirche.

Das können wir von der frühen christlichen Kirche lernen. Sie hat das Gleichnis Jesu ergänzt durch das Bekenntnis: Gott erhört auch die Gebete unserer Zeit. Er ist nicht untätig, sondern er wird schon seine Herrlichkeit offenbaren.

Beten ist also nicht nur eine Privatsache. Wenn wir beten, dann gehören die Probleme der Welt und der Kirche mit in das Gebet hinein. Das tägliche Gebetsläuten will uns ja daran erinnern, daß andere mit uns beten. Die ganze Kirche betet zu Gott. Und unser persönliches Gebet ist damit hineingenommen. Unser privates Gebet wird denn überdeckt von der Bitte: „Dein Reich komme!“ Für Gott ist der Zeitraum bis dahin nur unbedeutend kurz. Wir aber dürfen die Gewißheit haben: Die Herren der Welt gehen, aber unser Herr kommt! Glauben wir das auch wirklich?

Ein späterer Leser hat an das Gleichnis noch die Frage angefügt: Wird der Menschensohn, wenn er kommt, Glauben finden auf Erden? Wir fragen immer: „Wo ist denn ein Gott, der mich hört?“ Aber Gott fragt seinerseits: „Wo ist denn ein Mensch, der mich bittet?“ Gott wartet seinerseits besorgt auf uns! Würde er Glauben bei uns finden, wenn er heute käme? Bei Gott stehen die Türen offen. Die Frage ist, ob er Zugang bei u n s findet. An Gott scheitert unser Heil nicht. Aber es könnte an uns scheitern. Wenn Gott also noch zögert, dann ist das die Möglichkeit für uns, noch alles recht vorzubereiten. Wenn es noch an Glauben fehlt, dann hilft nur Beten. Das Gebet ist die Leitung, die zu Gott und zum Glauben führt. Wenn wir es üben, werden wir das erfahren, wie es in einem Lied heißt: „Gott weiß, daß du kommst. Er ist gerade ein Gebet weit entfernt!“

 

 

Lk 18, 9 – 14 (11. Sonntag nach Trinitatis):

Ein Junge kommt von der Schule nach Hause. Er ist stiller als sonst. Artig stellt er die Schultasche in die Ecke. Ungewöhnlich lange wäscht er sich die Hände. Dann rührt er nervös in der Suppe herum: „Mutter, ich habe in dem Diktat eine Drei gekriegt. Aber ich bin nicht der Schlechteste. Klaus hat auch eine Drei und sechs andere bekamen sogar Vieren!“

Diese Haltung gibt es auch in der Kirche: Man vergleicht sich mit denen, die angeblich schlech­ter dastehen und will damit sein eigenes Gewissen beruhigen. Was der Pfarrer sagt, das gilt nur für die, die nicht da sind, ein Glück nur, daß ich das alles schon weiß und beachte. Jesus aber sagt: „Du sollst nicht der Pharisäer sein, du kannst nicht der Zöllner sein, Gott aber will für dich sein.

 

(1.) Ich soll nicht der Pharisäer sein:

Zunächst einmal möchte ich den Pharisäer in Schutz nehmen und verteidigen. Er meint es von seinem Standpunkt aus ehrlich und ganz ernst. Er gehört zu der Gruppe von Menschen, von denen man mit Respekt spricht. Er ist korrekt und zuverlässig. Er hat eine klare Linie für sein Leben. Er läßt sich nicht einfach treiben. Er nimmt den Willen Gottes ernst im täglichen Leben.

Moralisch ist bei ihm alles in Ordnung: Wenn er Unrecht leidet, greift er nicht zur Gewalt. Er hält zu seiner Frau. Die Kinder sagen: „Streng ist der Vater schon, aber gerecht! Er betrügt niemand um des eigenen Vorteils willen. Und er hält seine Versprechen den anderen gegenüber.

Auch religiös ist bei ihm alles in Ordnung: Seine Frömmigkeit hört nicht auf, wo der Geldbeutel anfängt. Wenn er etwas kauft, gibt er noch einmal ein Zehntel des Kaufpreises für die Erhaltung des Tempels oder für die Armenfürsorge. An sich mußte der Verkäufer diese Steuer schon entrichten. Aber weil man nie sicher sein konnte, ob das tatsächlich geschehen war, machte es der Pharisäer noch einmal. Er wollte also sogar noch das ausgleichen, was andere versäumt hatten.

Auch der eigene Bauch ging ihm nicht über alles: er fastete zweimal in der Woche, das heißt er verzichtete jeweils einen ganzen Tag auf Essen und Trinken. Das wollte schon etwas heißen in einem heißen Land. Und er vergißt auch das Beten nicht. Er vergißt nicht, Gott dafür zu danken, daß er anständig leben kann und kein Dieb und Ehebrecher ist.

Alle Maßstäbe, die wir hier anlegen, sind menschliche Maßstäbe. Es mag sein und wird auch so sein, daß Gott den treuen Kirchgänger irgendwie belohnt, aber wehe wenn dieser sich vor Gott darauf beruft, er sei immer oder fast immer im Gottesdienst gewesen. Gott erkennt unsere Leistungen sicher an und freut sich darüber. Aber wir können nicht sagen: „Hier sieh mal, Gott, was ich dir alles zu bieten habe: einmal im Monat zum Gottesdienst, die Kinder alle im kirchlichen Unterricht und im Kindergottesdienst, sechzehnmal Pate, 50 Mark für die Erneuerung der Kirche gespendet und die Kirchensteuer doch immer pünktlich gezahlt!“ Wir können Gott nichts bieten, weil e r uns alles zu bieten hat, weil er uns v i e 1 mehr zu bieten hat, als wir je schaffen könnten.

Die Pharisäer haben versucht, streng nach den Geboten Gottes zu leben. Sie haben sich zu einem Bund zusammengeschlossen, um der allgemeinen Not ihres Volkes entgegenzuwirken. Spenden, Fasten und Beten - das war das Programm, das sie sich freiwillig auferlegten. Sie gingen dazu nicht ins Kloster, sondern wollten in ihrem Alltagsleben zeigen, wie man auch in schweren Zeiten als anständiger und frommer Mensch leben kann.

Wenn wir es so recht betrachten, dann kann Gott nur den frommen Pharisäer liebhaben und nicht den lumpigen Zöllner, dann kann er auch nur die treuen Kirchgänger lieben und nicht auch den, der sagt: „Alle Jahre wieder, aber alle Jahre nur einmal!“ Werden wir denn überhaupt nicht belohnt, wenn wir immer so treu zur Stange gehalten haben? Entweder die Gebote Gottes gelten, und dann ist es nicht egal, ob man sie peinlich genau hält oder ob man sie öffentlich verachtet. Oder die Gebote Gottes sind nicht ernstgemeint, und dann ist der Lump fein heraus und alle Opfer und aller sittlicher Kampf sind entwertet.

Wenn der Pharisäer mit seinem Lebensstil in unserm Volk Schule machen würde, dann hätten wir viel weniger Probleme: Wir könnten auf viele Polizisten verzichten, durch das Fasten lebten wir viel gesünder und würden auch Krankenkosten sparen, es gäbe keine Kinder aus geschie­denen Ehen und die Mittel für Notstände und die Dritte Welt würden sprunghaft steigen.

Aber leider sind wir nicht solche Pharisäer. Viele sagen: „Ich kann es nun einmal mit den Geboten nicht so genau nehmen. Die Verhältnisse sind nicht so, und meine Natur auch nicht!“ Und dann wird eben mitgenommen, was man so gerade braucht. Das Finanzamt wird betrogen, damit man zu etwas kommt. Und wenn man der Polizei ein Schnippchen schlagen kann, dann hebt das das Selbstwertgefühl. So machen es doch alle. Und es geht ein richtiger Sog aus von dieser Haltung, daß auch die in Gefahr geraten, die anständig leben wollen. Der Pharisäer aber ist in den Anfechtungen seiner Zeit standhaft geblieben. Er ist durchaus nicht der Heuchler, wie wir ihn oft sehen: er ist ein ehrenwerter Zeitgenosse, ein tüchtiger Mensch, der sich hohen Ansehens erfreut und an den man sich vertrauensvoll wenden kann, weil man bei ihm nicht übers Ohr gehauen wird.

Falsch wäre es aber auch gewesen, hätte sich der Pharisäer im Tempel zum Zöllner herumgedreht und ihm gesagt: „Laß nur, Zöllner, es ist ja alles halb so schlimm. Denke doch mal scharf nach; es gibt doch sicher auch gute Seiten an dir und in deinem Leben. Davon mußt du Gott etwas sagen; du mußt Gott deutlich machen, wie sehr du dich bemühst. Nur Kopf hoch, du wirst es schon schaffen!“

Der Fehler des Pharisäers ist nur, daß er meint, dadurch schon mit Gott im Reinen zu sein. Er hat sein Vertrauen auf sieh selbst gegründet, verläßt sich nur auf sich und ist von sich völlig überzeugt. Im Grunde braucht er Gott gar nicht mehr, weil er aus sich selber gerecht ist. Vor Gott gilt aber nicht, was einer ist und leistet. Sondern: „Gott nötig haben, ist des Menschen höchste Vollkommenheit", sagte der dänische Theologe Kierkegaard.

 

(2.) Ich kann nicht der Zöllner sein:

Der Zöllner ist der Typ des verdorbenen Zeitgenossen. Er hat die Möglichkeiten erkannt und ausgenutzt, die man in rechtlosen Zeiten hat. Er hat sich auf die Seite der Mächtigen gestellt und mitgeholfen, sein Volk auszupressen und auszusaugen wie eine Traube in der Kelter. Um Geld verrät er sein Vaterland, und sein Unrecht den Armen gegenüber schreit zum Himmel. Der Zöllner ist ein trauriger Nutznießer, der sich am Elend seines Volkes bereichert.

Aber auch wir stehen nicht nur in der Gefahr, zum hochmütigen Pharisäer zu werden, sondern es gibt auch einen hochmütigen Zöllner. Für diesen sind Schuldbekenntnis und Schwarz­malerei ein Trick, und im Grund schnalzt er dann heimlich mit der Zunge vor Wonne, wenn er daran denkt, welche Freude doch Gott an so einem zerschlagenen Gewissen und an solcher Selbsterniedrigung haben muß. Dieser Zöllner sagt: „Ich danke dir, Gott, daß ich nicht so hochmütig bin wie dieser Pharisäer. Ich bin ein Verbrecher, Lump und Ehebrecher. So ist nun einmal der Mensch und ich bin auch so, aber ich bin mir wenigstens darüber klar und deshalb doch ein wenig besser als die anderen. Ich bin ein anständiger Mensch, weil ich mir nichts vormache; ich bin wenigstens ein ehrlicher Sünder und führe meinen inneren Schweinehund offen spazieren und verstecke ihn nicht wie dieser verlogene Spießbürger in den Falten meines Gewandes!“ Unser Dankgebet lautet weder: „Ich danke dir, Gott, daß ich solch ein prächtiger Mensch bin!“ noch: „Ich danke dir, Gott, daß ich solch ein reuiger Sünder bin!“sondern: „Ich danke Dir, Gott, daß d u so barmherzig bist!“

Und der Zöllner könnte denken: „Ich habe zwar ein kleines Ich, aber der hat auch eins: er wird schon auch seinen Dreck am Stecken haben!“ So war es nach dem Zusammenbruch von 1945, als der Augenblick des ersten Schocks überwunden war und man sagte: „Die anderen sind auch nicht besser, was d i e erst alles gemacht haben!“

Der Zöllner weiß auch genau, wer er ist und wie er den von Leuten angesehen wird. Deshalb bleibt er beschämt am Tempeleingang stehen. Wollte er heraus aus seinem anrüchigen Leben, dann müßte er seinen Beruf aufgeben und alles unrecht Erworbene zurückgeben. Aber wie soll er das jetzt noch schaffen? Deshalb schlägt sich an die Brust, dorthin, wo das Herz ist, aus dem alle bösen Gedanken und Entschlüsse kommen; dadurch möchte er sich für alles strafen, was ihm auf dem Gewissen liegt. Doch er weist nicht auf das, was er hat - und wäre es sein zerschlagenes Herz. Vielmehr ruft er nach dem, was er nicht hat, nämlich nach der Versöhnung Gottes. Er ist einer, der Gott wirklich braucht.

Deshalb sagt Jesus so überraschend: „Der Zöllner ging gerechtfertigt vom Tempel weg!“ Sind damit nicht alle Prinzipien der menschlichen Moral umgestoßen? Wir würden doch alle urteilen: Der Pharisäer ist der gottgefällige Mann! So würden wir sagen, wenn wir ehrlich sind, denn das entspricht dem natürlichen Empfinden des Menschen. Anders urteilen wir nur, wenn wir die Geschichte und das Urteil Jesu schon kennen.

Eugen Roth hat ein Gedicht verfaßt: „Ein Mensch betrachtete einst näher die Fabel von dem Pharisäer, der Gott gedankt voll Heuchelei dafür, daß er kein Zöllner sei. Gottlob, rief er in eitlem Sinn, daß ich kein Pharisäer bin!“ Aber man könnte auch sagen: „Ich danke dir Gott, daß ich so ein edler Sünder bin wie der Zöllner!“ Wir können uns nicht stolz in langer Reihe hinter dem Zöller aufstellen und ihn als unsern Schutzheiligen betrachten. Es gibt auch eine Zöllner-Demut, die in Wirklichkeit ein Hochmut ist und zu einem Überpharisäer führt.

Wer aber so betet wie der Zöllner in Jesu Beispielgeschichte, der bittet nur um Gnade und nicht um eine vorausberechenbare Pflichtreaktion Gottes. Man kann auch aus der Art des Zöllners nicht eine Methode des Frommseins ableiten. Man kann weder auf die eine noch die andere Frömmigkeitshaltung setzen: Ich darf nicht der Pharisäer sein, aber ich kann auch nicht der Zöllner sein wollen.

 

(3 ) Gott will für mich sein:

Jetzt beginnen wir den Merksatz nicht mehr mit „Ich“, sondern mit „Gott“. Dieser Satz hebelt die beiden anderen Schlagzeilen aus und macht deutlich, daß alles auf Gott an kommt. Der Pharisäer kreist um sich selbst, beobachtet sich selbst und analysiert den Stand seiner Heiligung. Seine Erfolgsbilanz mag durchaus stimmen. Aber Gott macht sich dieses Urteil nicht zu eigen, es ist für ihn uninteressant.

Sicherlich gibt es Unterschiede zwischen den Menschen. Aber Gott richtet nach seinen Maßstäben. Wen ein Angeklagter vor Gericht steht, dann bezeichnet er sich oft zwar als unschuldig, aber der Richter bildet sich doch sein eigenes Urteil. Manchmal spricht er auch einen Angeklagten frei, von dem die öffentliche Meinung behauptet, er sei schuldig.

Gott ist auch unbestechlich und gerecht. Deshalb nutzt es auch gar nichts, sich mit einem anderen zu vergleichen. Daß der Pharisäer noch Zeit hat, über die Schulter nach dem Zöllner zu sehen, zeigt doch, daß er gar nicht wirklich mit Gott geredet hat. Die einzige Vergleichsperson für uns ist Jesus. Er zeigt am Zöllner, daß nicht die eigene Leistung entscheidet, sondern nur Gottes Erbarmen. Wenn wir auf            sehen, vergehen uns die törichten Vergleiche.

Der Pharisäer will, daß Gott sein Freund und der Feind der anderen ist. Gott soll selber handeln wir ein Pharisäer: die Guten belohnen und die Schlechten bestrafen, höchstens zur Rechtschaffenheit des Menschen das bißchen hinzufügen, was da noch fehlt.

Dem Zöllner aber fehlen die guten Werke. Er wirft deshalb all sein Vertrauen auf Gott. Doch zu dieser Einsicht muß man erst einmal kommen. Zunächst einmal sind wir doch alle Pharisäer, die sich etwas einbildet auf ihre Frömmigkeit: Wenn wir zum Gottesdienst gehen - und sei es nur einmal im Jahr - dann sind wir immer noch besser als die anderen, und Gott wird uns schon nicht so schlecht ansehen. Aber nicht einmal der Pfarrer kann sicher sein, von Gott angenommen zu werden, es sei denn, er verläßt sich ganz auf Gottes Gnade.

Der Zöllner hier im Gleichnis mißt sein Ich an Gott, der allein sein Maßstab ist. Und da merkt er: Ich bin ja ganz weit weg von Gott. Er sagt nicht: „Lieber Gott“, sondern: „Herr, sei mir Sünder gnädig!“ Aber gerade deshalb ist Gott ihm nun nahe und er darf wieder nahe zu Gott kommen: auch als Unwürdiger darf er ins Gotteshaus kommen. Wir können uns den Zöllner richtig vorstellen, wie er wieder in den Tempel kommt und Gott dankt, nicht als ein hochmütiger Zöllner, sondern als ein froher Mensch: Der innere Schweinehund, Herr, ist zwar immer noch da, aber ich hätte es nicht übers Herz gebracht, dir noch einmal wehe zu tun, weil du mir damals eine neue Chance und neuen Mut gegeben hast.

Franz Werfel erzählt in seinem Roman „Der veruntreute Himmel“ von einer Köchin, die sich den Himmel erkaufen möchte, indem sie einen armen Teufel zum Priester ausbilden läßt. Aber nach Jahren muß sie erkennen, daß sie einem Betrüger zum Opfer gefallen ist. Tieferschüttert begibt sie sich auf eine Wallfahrt nach Rom. Sie wird vom Papst empfangen und hört dort, daß man für sie beten wird, auch ohne daß sie dafür etwas geleistet hat.

Das müssen wir wohl alle erst einsehen: Vor Gott stehen wir mit leeren Händen da. Aber er nimmt Pharisäer und Zöllner und auch uns an, wenn wir uns allein ihm anvertrauen.

 

 

Lk 18, 28 – 30 (15. Sonntag nach Trinitatis):

Vor 20 Jahren dachte ich noch anders über die hier angeschnittene Frage: „Wir sind dir nachgefolgt, welcher Lohn wird uns dafür?“ Ich dachte mir: „Wenn du Theologie studierst und Pfarrer wirst, dann hast du Gott doch einen großen Gefallen getan. Da wird er gar nicht umhinkönnen, dich in seine Reihen aufzunehmen. So ein Beruf ist die beste Versicherung, um in dem Himmel zu kommen, der ist dir dann wenigstens sicher!“

Wenn wir ehrlich sind, dann werden wir zugeben, daß wir vielfach alle so denken. So ganz im Geheimen ist bei jedem die Meinung da: Wenn du nur fleißig zum Gottesdienst gehst, dann wird nach deinem Tod schon alles in Ordnung gehen! Mancher spricht es auch offen aus:

„Ich habe mir nichts im Leben zuschulden kommen lassen. Da denke ich doch, daß Gott mich einmal in sein Reich aufnehmen wird!“ Das sind durchaus fromme Menschen, die so reden, aber sie denken doch in einem wichtigen Punkt falsch.

Allerdings: Schon der Jünger Petrus hat so gedacht. Jesus hatte dem reichen Jüngling gesagt: „Verkaufe alles, was du hast, und folge mir nach!“  dazu war er nicht bereit. Daß so etwas geschieht, dazu muß Gott im Grunde jedesmal erst ein Wunder tun. Leichter geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als daß ein Reicher sich von seinem Besitz löst. Aber im Fall der Jünger hatte Gott dieses Wunder getan. Sie hatten alles verlassen: Beruf, Besitz, Familie. Sie sind Jesus ja nachgefolgt.

Aber nun taucht die allzumenschliche Frage auf: „Was bringt das Christsein ein? Was nützt es mir? Bei Lukas ist diese Frage nicht direkt ausgesprochen. Sie findet sich aber in der Parallelstelle bei Matthäus und steht sicher auch bei Lukas im Hintergrund. Dann wäre also das Christsein ein Geschäft mit dem Himmel. Zumindest ginge es dann nach dem Prinzip: Wie du mir, so ich dir. Gibst du mir etwas, dann gebe ich dir auch etwas! Es muß sich doch auszahlen, es muß doch Vorteile bringen, wenn ich mich zu Gott halte.

Aber körte nicht auch Gott  u n s fragen: „Was wird mir dafür?“ Er hat doch wohl noch ein größeres Recht dazu. Doch Jesus weist die Frage des Petrus nicht als ungehörig zurück. Er ist so gütig, daß er auch auf eine solche Frage eingeht. Gott will ja durchaus lohnen; aber niemand sollte auf Lohn aus sein, da würde er doch seine Lage vor Gott in fataler Weise mißdeuten.

Es ist gut, wenn man wirklich zu einer Freiheit des Loslassens gelangen kann. Die Jünger Jesu haben ja das auf sich genommen, was der reiche Jüngling nicht übers Herz brachte. Wir dagegen haben uns daran gewöhnt, in bürgerlicher Ruhe und Bequemlichkeit zu leben. Wir möchten uns in unserem weltlichen Leben nicht stören lassen. Und wenn von uns nur ein kleines Opfer in Form der Kirchensteuer verlangt wird, dann klagen wir schon über die unzumutbare Höhe. Man schämt sich ja fast, diesen Satz aus dem Munde des Petrus zu verlesen: „Wir haben alles verlassen!“

Jesus hat allerdings nicht den Besitz verboten. Aber sein Dienst verlangt eine gewisse Beweglichkeit und auch eine innere Freiheit. Wer aber immerzu für seinen Besitz zu sorgen hat, ihn mindestens erhalten und möglichst noch vermehren will, der ist nicht frei zu einem solchen Dienst. Bei der kleinen Schar der Jünger von damals war es freilich leichter, nirgendwo zu Hause zu sein und im Land herumzuziehen. Heute sind wir eine Kirche mit festen Gemeinden, mit einer Verantwortung für die Menschen und Gebäude, für die üblichen Lebens- und Arbeitsformen.

Wir wollen auch nicht unbarmherzig sein und uns bei unseren Vorsätzen übernehmen. Nicht jedem ist in gleicher Weise deutlich, daß er zum Bekenntnis des Glaubens verpflichtet ist. Nicht jeder hat auch die nötigen Kräfte zum Durchhalten. Aber es ist doch beschämend, daß

wir uns daran gewöhnt haben, das Christsein so zu verbilligen und unverbindlich zu machen. Doch wem es nicht gegeben ist, hier strengere Maßstäbe an sich selber anzulegen, den wird man auch licht dazu zwingen können. Niemand kann zum Loslassen gezwungen werden. Jesus erwartet eine Freiheit des Loslassens.

Doch dazu kann man die Menschen auch nicht bringen, indem mag sich von der Kirche abwendet und eine eigene Kirche gründet. Das haben immer wieder einmal Pfarrer versucht. Sie warfen der Kirche vor, sie gäbe sich mit der kleinen Zahl zufrieden und wolle nicht mehr ins Volk hinein wirken. Vor allem sei man in Glaubenddingen nicht entschieden genug. So haben sie dann eine eigene „freie“ Gemeinde gegründet.

Aber auch in einem solchen Kreis der Erlesenen wird es bald wieder die gleichen Probleme geben, mit denen sich die Kirche überall herumschlägt. Wir haben alle nicht die Freiheit des Loslassens und den Glaubensmut, wie wir ihn eigentlich haben müßten.

Im Frühjahr 1945 fand man in Dresden in einer Hausruine eine Kranz mit einem Pappschild mit der Nummer des Gesangbuchliedes: „Warum sollt ich mich den grämen, hab ich doch Christum noch, wer will mir den nehmen!“ So etwas ist ein Bekenntnis der Freiheit von irdischen Dingen. Wir müssen nicht alles verlieren, um Christus zu gewinnen. Wirklich frei von den Dingen dieser Welt kann man nur sein, wenn man auch frei ist loszulassen.

Solches Loslassen müssen wir vielleicht auch üben. Das gilt schon im natürlichen Leben, wenn es etwa um die Energie-Einsparung geht. Aber für das Glaubensleben gilt das erst recht. Doch gerade da sollte es keine finstere Angelegenheit sein. fröhlich und festlich kann man auf die Güter dieser Welt verzichten.

Die Diakonissen leben es uns vor. Missionare haben ein Leben ohne die Bequemlichkeiten der europäischen Zivilisation gewagt. Albert Schweitzer hat eine glänzende Laufbahn fahren lassen und viele Unbekannte haben auf ihre Weise ähnliches auf sich genommen. Und dabei konnten sie die Erfahrung machen: Man wird nicht ärmer dabei, wenn bereit ist zum Verzicht und Weggeben.

Jesus stellt dem Verlust den Gewinn gegenüber. Die Spitze seiner Antwort liegt nicht in der

Forderung auf Verzicht, sondern in der Zusage: Ihr werdet es vielfältig wiedererlangen, und zwar nicht erst jenseits der Lebensgrenze, sondern schon hier in dieser Zeit. Doch für diesen Gewinn sind wir oft blind. Wir erschrecken nur vor der Forderung und sehen nicht, was uns geschenkt wird.

Gemeint ist allerdings nicht, daß das Gleiche in vielfacher Anzahl erstattet wird: Wer ein Haus geopfert hat, kriegt nicht viele Häuser. Und wer auf die Ehe verzichtet hat, braucht nicht auf einmal viele Frauen. Jesus gibt nicht dasselbe, sondern anderes, das aber einen vielfältigen Wert darstellt.

In Indien schickte eine vornehme und reiche Hindufamilie den Sohn auf eine englische Missionsschule, weil diese Schule die beste war. Dort kam er natürlich auch in Berührung mit dem Neuen Testament und äußerte mit 14 Jahren den Wunsch, Christ zu werden. Seine Familie fiel aus allen Wolken. Sein Onkel zeigte ihm die Schatzkammer der Familie und sagte: „Das alles wird dir auch gehören, wenn du beim Glauben deiner Vorfahren bleibst. Wenn aber nicht, dann stoßen wir doch aus der Familie aus!“ Schließlich hat man sogar versucht, den Jungen zu vergiften. Aber Sundar Singh blieb dabei und ließ sich taufen. Er hat seinen Weg dann in der Kirche gemacht. Er wurde der bedeutendste Theologe der frühen indischen Kirche. Seine Bücher wurden auch in Europa gedruckt und gelesen. So hat er zwar seine leibliche Familie verloren, aber eine viel größere geistliche Familie gewonnen.

Wer Christ ist, dem werden neue Lebensmöglichkeiten erschlossen. Wer fremd an einen Ort kommt, zum Beispiel in ein Neubaugebiet, der findet sofort in der christlichen Gemeinde Freunde und Verbündete. Türen öffnen sich, die zuvor versperrt waren. Es entsteht Lust zum Gespräch, wo man sich hat abkapseln wollen. Man wird auch selber bereit, zugunsten anderer zu verzichten. Man wird zwar nicht nur auf Gleichgesinnte treffen, aber doch auf Menschen, die Jesus liebt und angenommen hat, so wie er uns selbst geliebt und angenommen hat.

Bei Jesus gewinnen wir sogar den freien Zugang zu Gott und eine ungetrübte Gemeinschaft mit ihm, trotz allem, was gegen uns spricht. Gott hält an uns fest, obwohl wir ihn immer wieder loslassen. Er bleibt uns zugewandt, obwohl wir uns immer wieder von  ihm wegwenden.

Er übersieht sogar die Frage nach dem Lohn und antwortet mit dem großen Angebot: Ich gebe euch viel mehr, als ihr eingesetzt habt!

Vielleicht gelangen wir auch durch Jesus zu den Menschen einen ganz neuen Zugang, die wir schon lange gelernt haben. Mancher öffnet sich erst in der Stunde des Sterbens für Gott und damit auch für die ihm nahestehenden Menschen. Oder wieviel ist für eine Familie gewonnen, wenn einer auf einmal sagt: „Wir wollen gemeinsam ein Tischgebet sprechen!“ Dadurch kann eine ganz neue Gemeinschaft geschenkt werden.

Erzwingen kann man hier nichts. Aber es hilft doch sehr, wenn ich mir klar mache: Ich habe zwar unter dem anderen zu leiden und manches auszustehen; aber Jesus nimmt ihn an. Er hat ja auch mich angenommen, was im Grunde noch erstaunlicher ist. So sind wir jetzt zwei Menschen, die an sich verspielt hatten, aber jetzt durch Jesus gewonnen haben.

Gewonnen haben wir vor allem das ewige Leben. Und dieses ist nicht ein ewiges Halleluja, zu dem Keiner echt Lust hat. Es wird uns nicht über werden, den Herrn zu sehen, wie er ist. Dann werden wir immer mehr in sein Bild verwandelt werden, werden wir endlich das, was wir sein sollten. Jesus steht dafür ein, daß eine solche Hoffnung nicht trügt.

 

 

Lk 18, 31 – 43 (Estomihi):

Auf dem Höhepunkt der Fastnacht hören wir diese furchtbare Ankündigung. „Wir gehen jetzt hinauf nach Jerusalem und es wird jetzt alles geschehen, wie es die Propheten vom Menschensohn vorausgesagt haben. Er wird gegeißelt und getötet werden!“ Jesus zieht mit den Seinen nicht nach Jerusalem, um dort mit den anderen Leuten ein großes Fest zu feiern, sondern hier beginnt sein Todesweg.

Das paßt doch gar nicht zu einer fröhlichen Zeit. Es ist doch viel schöner, wenn man lustig und ausgelassen sein kann und nicht an das Sterben denken muß, nicht an das Sterben anderer und vor allem nicht an das eigene Sterben.

Deshalb hat man auch im Ablauf des Kirchenjahres vor die ernste Passionszeit die fröhliche Fastnachtszeit gesetzt. Doch Fastnacht ist kein kirchliches Fest. Eher hat es heidnischen Ursprung, denn der Name kommt von „Faselnacht“, weil da auch noch heute manche Leute dummes Zeug „daherfaseln“. Hintergrund sind die Frühlingsfeiern, bei denen man die bösen Geister des Winters vertreiben will. An den Fratzen der süddeutschen Fastnacht wird das besonders deutlich.

In manchen Gegenden spricht man auch von Karneval. Die Bedeutung dieses Wortes kennt man nicht so genau. Vielleicht ist noch am besten die Ableitung vom lateinischen „carne vale“, was so viel heißt wie „Fleisch lebe wohl“: Vor der fleischlosen Fastenzeit würde man sich dann lautstark vom Fleisch verabschieden und des dem eigenen Fleisch noch einmal wohl gehen lassen.

In der Kirche aber werden wir aber mehr auf die ernsten Seiten des Lebens hingewiesen. Bei aller Feierei können wir die Schattenseiten nicht ausblenden. Aber umgedreht gilt auch: So schlimm es im Augenblick vielleicht auch sein mag: Die Güte Gottes hört nicht auf, es gibt nicht nur Dunkel, sondern auch immer wieder Licht.

Das kann uns an den zwei Themen deutlich werden, die in dem heutigen Predigttext zusam­mengeschlossen sind, aber auf den ersten Blick gar nichts miteinander zu tun haben. Deshalb wollen wir auch der spannenden Frage nachgehen, wie der Zug nach Jerusalem mit der Heilung eines Blinden zusammenhängt.

 

1. Der Zug nach Jerusalem:

Es ist in der Forschung umstritten, ob Jesus tatsächlich von seinem Leiden im Voraus gewußt hat. Es könnte ja sein, daß man das tatsächliche Schicksal auch für Jesus überraschend kam und erst seine Gemeinde nachträglich die verschiedenen Leidensankündigungen in die Erdentage Jesu zurückverlegt hat. Dann hätte man den tragischen Ausgang nicht als ein Mißgeschick angesehen, sondern erbaulich gedeutet als eine von Jesus vorausgesehene und bejahte Tat.

Aber es war ja gar kein übernatürliches Wissen notwendig, um den Gang der Ereignisse vorauszusehen. Man wußte doch, wie der Hohe Rat mit Ketzern und Gotteslästerern verfuhr. Und es ist auch klar, daß Jesus durch sein Auftreten und Wirken den Tatbestand der Ketzerei in den Augen dieser Leute voll erfüllt hat. Und daß er nicht der von ihnen erwartete Messias war, konnte man schon daran sehen, daß er bereit war zum Leiden.

Jesus müßte nicht „hinaufziehen“, aber er tut es. Schon am Anfang seiner Tätigkeit wurde er vom Teufel versucht, einen leichteren Weg zu gehen. Aber so wie er sich damals für den Weg Gottes entschied, so tut er es auch jetzt wieder. Er wußte: Für seine Botschaft mußte er mit seiner Person einstehen, weil Gott nur so seine Macht zeigen konnte.

Die Jünger haben das (zunächst) nicht verstanden, was Jesus ihnen sagte. Auch für sie paßte das alles nicht in die Erwartungen, die sie mit Jesus verbanden. Sie hofften doch, Jesus werde jetzt sein Reich aufrichten und Gott werde die Herrschaft ergreifen und Israel erlösen. Und nun müssen sie hören: Nicht der Sieg steht bevor, sondern die Katastrophe.

Auch wir könnten denken: Es geht doch nicht so sehr um das Heil Gottes, sondern um ein Ordnungmachen in den Strukturen dieser vergänglichen Welt. Es kann doch nicht so bleiben, wie es ist! Und menschliches Recht muß man dann mit menschlichen Mitteln durchsetzen! Jesus aber hat die Sorge um weltliches Recht nicht als seine erste Aufgabe angesehen, eine grundsätzliche Umgestaltung der Welt hat er nicht ins Auge gefaßt. Es geht ihm nicht um das Jerusalem auf dem Berg, sondern um die Gottesstadt auf dem Berg.

Doch er hat die sündige Welt nicht preisgegeben. Wäre das Leiden an ihm vorübergangen, dann wären sie Sünder auf der Strecke geblieben, mit denen er sich doch solidarisiert hat. Aber Jesus hält bei den Sündern aus. Er offenbart das Unrecht der Menschen, indem er ihre Sünde sich an ihm austoben läßt. Indem die jüdischen Behörden ihn an die heidnischen Römer ausliefern, wird speziell die fromme Sünde entlarvt, daß man im Namen Gottes den Retter verdammt. Indem Israel aber seinen Messias preisgibt, gibt es auch sich selber auf. Aber Jesus bleibt dennoch der Messias, weil er Gott gehorsam bleibt.

 

2. Die Heilung des Blinden:

Auch in zweiten Teil des Predigttextes geht es um die Messianität Jesu. Aber auch hier erweist sie sich anders, als die Menschen denken: Jesus regiert, indem er hilft. Er ist der Heiland derer, die Hilfe brauchen. Jesus geht zum Leiden, aber ein Einzelner darf schon einmal erfahren, wie sein Leiden überwunden wird: Der Blinde darf schon einmal den Anfang des Kom­menden erleben, darf schon ein Stück weit an der vollendeten Welt teilhaben. Die Messianität Jesu besteht nicht in einer Machtausübung, sondern in der hilfreichen Zuwendung zu seiner Gemeinde und zu jedem Einzelnen.

Der Blinde hat ja vom Messias die Wende seines persönlichen Schicksals erwartet. Deshalb läßt er sich nicht abweisen. Deshalb macht er so dringend auf sich aufmerksam, weil das seine einzige Chance ist. Das ist sein Glaube. Und Jesus wendet sich ihm ja auch persönlich zu, indem er fragt: „Was willst du, daß ich dir tun soll?“ Jesus ist hier der Sehende, denn zum richtigen Sehen gehört das genaue Hingucken. Man kann ja für etwas blind sein, obwohl man mit beiden Augen sehen kann. Natürlich steht vor aller Augen, was der Mann sich wünscht. Aber Jesus sieht das nicht nur, sondern er will, daß der Blinde diese Bitte auch ausspricht und daß er seinen Glauben auch in Worte faßt.

Jesus ist auf dem Weg zum Kreuz. Aber er überhört den Hilfeschrei des Blinden nicht. Er geht nicht an der Not anderer vorüber, weil er mit sich selber genug zu tun hat. Er beeilt sich nicht, nach Jerusalem zu kommen, weil dort „Wichtigeres“ auf ihn wartet. Wenn ein Mensch in Not ist, dann ist dieser wichtig.

Doch das bedeutet nun nicht, daß jeder Glaubende von all seinen leiblichen Gebrechen geheilt wird. Die Machttaten Jesu sind nur Zeichen, eine Vorausschau auf die Auferstehungs­wirklichkeit. Wenn einer am grauen Star leidet, dann wird er sich vom Augenarzt operieren lassen, dafür hat uns Gott ja die Ärzte gegeben.

Nur: Jesus will mehr! Er will ein neues Leben eröffnen. Er will Gefolgsleute, die in seiner Nachfolge denselben Weg gehen lernen, die mit ihm ihr Leben ganz unter den Gehorsam des Vaters stellen.

Wer glaubt, wird Christus bekennen, auch wenn er noch nicht sieht. Und wenn er sich dem leidenden Christus anschließt, dann wird er auch Gott preisen. Was die Jünger damals nicht verstanden, das kann uns als christliche Gemeinde durchschaubar sein.

Was die Obersten in Jerusalem nicht sehen, das hat der Sehendgewordene entdeckt, noch ehe er gesund wurde (er spricht Jesus als „Davidssohn“ an). Er ist der letzte von Jesus berufene Jünger. Er wird sehend, während in Jerusalem „Blinde“ Jesus ans Kreuz hängen. Man kann blind für Jesus sein, obwohl man ihn vor Augen hat.

Der Glaube hat ihm nicht nur dazu geholfen, daß er sein Augenlicht zurückerhielt, sondern daß er gerettet wurde in einem umfassenden Sinn. Die Heilung ist für ihn Neuanfang als gesunder Mensch, aber auch Beginn eines Lebens in der Nachfolge Jesu und damit in der Nähe Gottes.

Der Sehendgewordene schließt sich Jesus an. Vielleicht hat er nicht geahnt, worauf er sich da einläßt. Aber er erkennt: Erst wenn ich jeden Tag mit Jesus lebe, dann bin ich wirklich sehend. Er will das festhalten, was er einmal erkannt hat.

Das wäre auch die Aufgabe für uns: Mehr sehen, als die anderen an Jesus sehen. Andere verspotten ihn vielleicht und halten ihn nur für einen gewöhnlichen Menschen. Sie sind blind für Jesus. Wir aber dürfen uns an ihn wenden und alles von ihm erwarten. Unser Leben ist geprägt von Freude, aber auch von manchem Leid. Doch gerade wenn man im Leid ist, darf man die Freude nicht vergessen, die man schon erfahren hat und die auch wieder kommen wird.

Jesus kann uns dabei helfen, er kennt unsere Not und weiß auch Mittel dagegen. Wenn wir ihm nachfolgen, dann kann uns kein Leid mehr geschehen.

 

 

Lk 19, 1 – 10 (3. Sonntag nach Trinitatis):

Es gibt Kinder, die stehen bei allem hintenan: In der Pause stehen sie auf dem Schulhof allein, im Laden werden sie zur Seite gedrängelt und unter den Geschwistern sind sie auch immer die letzten. Oft bleibt das dann auch so, wenn sie erwachsen sind.

Der Zachäus hier in unserer Erzählung hatte gleich zwei Mängel, die ihn immer zu kurz kommen lassen: Er ist an Körpergröße nur ein kleiner Mann. Und er ist ein Zöllner. Das bedeutete damals aber: Er ist ein Vaterlandsverräter. Er war Chef der vielbenutzten Grenzstelle in Jericho. Er hatte den Römern eine bestimmte Summe im Voraus an Zoll gezahlt. Nun preßte er den Leuten ihr schwerverdientes Geld wieder heraus, so viel eben zu holen war.

Ein unheimlicher Mensch, dieser Zachäus. Jeder konnte nur froh sein, wenn er es nicht mit ihm zu tun bekam. Dabei durfte es aber keiner mit ihm verderben, denn sie waren ja alle auf ihn angewiesen. Er war der bestgehaßte Mann in Jericho. Aber jetzt können sie es ihm einmal zeigen: Wie eine Mauer stehen sie vor ihm. Sie tun so, als hätten sie den kleinen Mann nicht bemerkt, aber in Wirklichkeit haben sie natürlich alles mitgekriegt. Wenn sie schon mit ihm leben müssen, soll er wenigstens fühlen, daß er nicht zu ihnen gehört.

Es gibt auch bei uns solche Menschen, die wegen ihrer Stellung von allen anderen geschnitten werden. Oftmals sind es noch Zugezogene, die nicht einmal einen Rückhalt in der Verwandt­schaft haben, die keinen geselligen Kontakt mit Freunden haben, denen kein Nachbar hilft. Mancher wird denken: Das ist ihre Sache, das haben sie sich selber zuzuschreiben. Und alle werden sie meinen: Für Gott und die Kirche sind solche Leute doch von vornherein verloren!

Das war auch die Meinung über Zachäus: Er ist für das Gottesvolk verloren, er hält es mit den Unterdrückern, er ist ein Betrüger. Er ist wie ein Bergsteiger, der an einer steilen Wand vom Schneesturm überrascht und in einbrechender Nacht und Kälte dem Verderben ausgeliefert ist. So ist auch Zachäus abgeschrieben. Das Heil bleibt nur für die anderen.

Vielleicht hat er selber das gar nicht einmal so sehr empfunden. Daß er gesellschaftlich gesehen aufs Abstellgleis geschoben wurde, wird ihm wehgetan haben. Aber daß er auch von Gott getrennt ist, wird ihn nicht so sehr gekümmert haben. Zumindest war er nicht im Gewissen beunruhigt und innerlich verzweifelt. Man muß ja auch nicht immer erst am Boden liegen, ehe man Gott begegnen kann. Hier trifft Jesus auf einen, der sich stark fühlt, weil er weiß, daß auch dem geholfen werden muß.

Vielleicht war Zachäus nur neugierig in dem täglichen Einerlei der Kontrollen und Abrechnungen wollte er sich die kleine Sensation nicht entgehen lassen. Er will auch einmal sehen, wie das mit diesem Jesus ist, von dem er schon oft gehört hat. Aber gerade bei ihm macht Jesus halt und sagt: „Ich muß heute in deinem Hause einkehren!“ Dem Zachäus mag das Herz in die Hose gerutscht sein, als er sich in dem dichten Laub des Baumes ertappt fühlt. Unverse­hens ist er aus einem Statisten in die Titelrolle gerutscht.

Das mag manchem so gehen, der nur einmal mehr zufällig in den Gottesdienst geraten ist. Wenn in der Kirche Konfirmation ist oder sonst eine besondere Veranstaltung, dann sieht man dort ja auch manchen, den man sonst nicht antreffen kann. Wir sollten nicht schlecht von diesen Menschen denken und auf sie herabsehen. Auch ihm kann das passieren, was dem Zachäus passiert ist: Jesus hat es gerade auf ihn abgesehen und spricht ihn an.

Jesus ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist. Die Zachäusgeschichte ist ein Beispiel dafür, wie er das macht. Er meint nicht irgendein beliebiges Exemplar der Gattung Mensch, sondern er meint einen, den er mit Namen kennt, er meint immer m i c h! Der Jesus von damals ist der gleiche Jesus, der mich heute anspricht.

An dieser Geschichte sehen wir, wie Jesus mit uns umgeht und was geschieht, wenn wir es mit ihm zu tun bekommen. Wir sollen damit gelockt werden, an den Gott zu glauben, der das tut, was Jesus tat. Wir sollen mit dem Gott rechnen, der auch die Kirchenfremden und Unreli­giösen sucht. Wir sollen alte Maßstäbe fallenlassen und das nötige Umdenken lernen.

Jesus hat ja so gehandelt wie ein Neuer, der in eine Schulklasse, einen Betrieb oder eine Ortschaft kommt und ausgerechnet mit d e m Freundschaft schließt, der von allen anderen ver­achtet und gemieden wird. Er kommt als ein Fremder, der keine altgewohnten Vorurteile hat. Er nimmt gerade diesen Zachäus wichtig und sagt: Gerade dich brauche ich! Damit hat er aber den Panzer der Ablehnung um diesen Zachäus aufgebrochen und ihn wieder zu einem Menschen gemacht.

Was Vorurteile sind, kennen wir ja auch von unserem Ort her: Da gibt es Familien, die schon seit Jahrhunderten geehrte und geachtete Bauern und Handwerker gewesen sind. Und andere sind schon immer verachtetet und verlacht, man hat nicht viel mit ihnen zu tun und sieht auch die Kinder etwas schief an. In so einem kleinen Ort hat ja jeder seinen festen Platz. Man kennt sich von Jugend auf und meint zu wissen, wie man den anderen einzuschätzen hat. Das hat seine Vorteile, aber auch Nachteile.

Mancher war in der Schule ein Tunichtgut und Schlendrian und ist nachher doch noch ein tüchtiger Familienvater geworden. Ein anderer hat vielleicht schon einmal wegen krimineller Vergehen im Gefängnis gesessen; er ist dort ein anderer geworden und möchte wieder anerkannt werden. Da sind wir als christliche Gemeinde aufgefordert, noch viel mehr als die anderen unsere Vorurteile über Bord zu werfen.

Jesus hat ja auch versucht, den Menschen so zu sehen, wie er wirklich ist: Nicht das große Haus, das hohe Einkommen, die berufliche Tüchtigkeit, sondern den ganzen Menschen mit all seinen guten und schlechten Seiten. Jesus will die Schuld nicht verharmlosen und vertuschen.

Aber er redet auch von der Schuld derer, die dem Zachäus das Himmelreich zuschließen wollen. Wir ärgern uns, wenn viel Geld für Trinker und Strafentlassene ausgegeben wird. Oder wenn sich der Pfarrer mehr für schwierige Menschen Zeit nimmt als für treue Gemeindeglieder.

Wir sind unter Umständen mitschuldig, wenn einer nicht mehr den Weg in die menschliche Gesellschaft zurückfindet. Gerade ein Gescheiterter oder Benachteiligter braucht viel Verständnis. Wir sollen ihn ernst nehmen und in unsre Gemeinschaft annehmen. Schließlich sind wir ja auch alle solche Verlorenen, die Jesus bei sich aufgenommen hat.

Solches Denken und Handeln wird nicht ohne Folgen bleiben. Wenn wir einen Menschen ernst nehmen, wird er seine Haltung auch ändern. Jesus äußert kein einziges Wort der Zurechtweisung, er vergibt dem Zöllner bedingungslos. Aber Zachäus sieht dann ganz von selber, was bei ihm anders werden muß.

Damit aber kommt eine Umkehr in Gang, die Lukas in dem von ihm selber extra eingefügten Satz Vers 8 so eindrucksvoll beschreibt: Zachäus geht in Jericho von Haus zu Haus, Listen unter dem Arm und die Geldtasche in der Hand. Er gibt die zu viel gezahlten Beträge zurück. Sicherlich wird er nicht mehr alle Geschädigten erreichen. Aber er tut, was er kann, um alles wiedergutzumachen.

Vielleicht wird er dadurch selber arm. Zumindest wird er sehr genau in Zukunft rechnen müssen. Aber die Umkehr vollzieht sich bei ihm genau an dem Punkt, der kritisch für ihn war: bei den Finanzen. Gerade dort, wo es ihm schwerfällt, muß er sich ändern. Das hat er durch das Handeln Jesu begriffen.

Aber er hängt nicht seinen Zöllnerberuf an den Nagel. Das haben die frommen Pharisäer von einem verlangt, der zum Gottesvolk gehören wollte. Aber Jesus sagt: „Du mußt in den Verhältnissen gehorsam sein, in denen du nun einmal lebst. Du kannst nicht warten, bis die Welt anders geworden ist, sondern du mußt dich in ihr ändern!“

Wir alle leben in einem Beruf, in dem wir uns ab und zu schmutzige Finger machen, nicht nur äußerlich, sondern auch so, daß unser Herz beschmutzt wird. Wir können allerdings viel dazu tun, daß wir vor dem Verbrechen bewahrt werden. Auch wenn alle anderen auf der Baustelle Material mitnehmen, da brauchen wir noch lange nicht mitzuhalten.

Aber es wird uns nie möglich sein, völlig schuldlos und rein durch dieses Leben zu gehen.

Wir können nicht wie manche buddhistischen Mönche uns mit Benzin übergießen und anstecken, um der Welt zu entgehen. Wir müssen diese Welt so nehmen, wie sie ist. Aber wir haben uns in ihr zu bewähren. Der Beruf bleibt dem Zachäus erhalten. Auch seine Familie, für die er sorgen muß. Aber sein Leben wird anders.

Jesus sagt nicht: Erst mußt du dich vom Besitz lösen und dann will ich dir vergeben. Nein, erst vergibt er ihm und ermöglicht ihm damit einen Neuanfang. Und das gibt dem Zachäus Kraft, nun auch tatsächlich neu anzufangen. Er wird frei, sich von dem zu trennen, was ihm bisher Lebensinhalt war. Wenn Jesus sagt: „Heute ist diesem Hause Heil widerfahren!“ dann meint er damit auch: Durch die Begegnung mit mir bist du frei geworden von alten Bindungen.

Viele Menschen können heute sicher mit dem Wort „Heil“ nicht viel anfangen. Sie wollen alle Frieden, Gerechtigkeit, Freiheit und Glück. Aber nach dem Heil sehnt sich kaum jemand. Aber letztlich kann nur die Rettung durch Gott uns all das geben, was wir ersehnen. Zachäus erfährt das Heil durch die Begegnung durch Jesus. Und dadurch erfährt er das, wonach er sich so gesehnt hat: Er kann wieder froh werden und ist wieder ein richtiger Mensch.

Auch wir können froh sein, wenn wir uns zu Gott halten. Er ist uns in der Taufe begegnet und hat sich mit uns verbunden. Wir gehören nicht zu den Verlorenen, sondern sind Gottes Kinder. Das soll heute jeder wissen, der meint, er sei so weit weg von Gott wie einst Zachäus. Christus findet uns schon, auch wenn uns die anderen beiseitedrängen, auch wenn wir uns verstecken wollen, auch wenn wir keine Hoffnung mehr haben.

Wir können uns nicht von uns aus zu Gott aufmachen. Der Anstoß geht immer von ihm aus: „Ihr habt mich nicht erwählt, sondern ich habe euch erwählt“, haben wir neulich aus dem Johannesevangelium gehört. Aber um Christi willen und durch unseren Glauben an ihn gehören wir nicht zu den Verlorenen, sondern zu den Geretteten, denen das Heil Gottes widerfahren ist.

Und doch hat Jesus von Matthäus dem Zöllner verlangt: „Folge mir!“ Wenn Jesus uns ruft, dann müssen wir bereit sein, alles stehen und liegen zu lassen und ihm zu folgen. Aber Nachfolge ist nicht nur möglich, indem wir im wörtlichen Sinne hinter Jesus hergehen. Zachäus bleibt in seiner Familie, gegenüber der er auch seine Verpflichtungen hat, aber er kann hier doch zum Jünger werden, weil sich sein Leben grundsätzlich wandelt. Jesus verlangt nicht - wie die Pharisäer - daß er sich erst vom Besitz löst und dann will er ihm vergeben. Nein, erst vergibt er ihm und gibt ihm damit einen Neuanfang.

Als Jude war Zachäus ja auch zum Heil berufen; aber er hatte sich aus seiner Religion, aus seiner Zugehörigkeit zum auserwählten Volk nie viel gemacht. Doch nun sagt Jesus zu ihm: „Du warst schon immer ein Sohn Abrahams, aber heute ist diesem Hause Heil widerfahren. Und das macht diesen Zachäus, der seines Lebens nicht mehr hatte froh werden können, so froh, daß er nun sogar die anderen beschenkt.

Wir wollen in diesem Gottesdienst wieder das Herrenmahl miteinander feiern. Das ist auch so ein Geschenk an uns! Gott hat uns schon in der Taufe beschenkt: „Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein!“ Doch wir verachten dieses Geschenk so oft und entfernen uns aus der Gemeinschaft Gottes, indem wir seine Gebote übertreten und meinen, wir hätten das Herrenmahl nicht nötig. Doch heute bietet uns Gott im Herrenmahl wieder seine Gemeinschaft an, er schließt einen neuen Bund mit uns, ein neues Testament.

Zachäus war auch ein Sünder, aber Jesus sagt zu ihm: „Heute ist diesem Haus Heil widerfahren!“ Heute soll auch jedem von uns Heil widerfahren, indem Jesus Christus jedem von uns seinen Leib und sein Blut reicht, das für uns gegeben wurde zur Vergebung der Sünden. Jedem von uns ist dieses Angebot gemacht: „Du bist mein, du darfst wieder zu mir gehören“ Jesus zieht einen Schlußstrich unter all das, was bis zu diesem Augenblick war, und sagt uns: „Jetzt kannst du wieder einen neuen, besseren Anfang machen!“ Jesus stellt uns keine Bedingungen: erst mußt du ganz rein sein, dann darfst du auch kommen. Nein, er beschenkt uns aus freien Stücken und ohne uns Vorschriften zu machen. Wer aber so von ihm beschenkt ist, der wird sich auch den Gebet gegenüber freundlich verhalten und seinen Willen tun. Und er wird auch von dem, was Gott ihm geschenkt hat, etwas weitergeben.

Das Herrenmahl ist nicht nur eine Sache für den Sonntagmorgen, sondern wirkt in unseren Alltag weiter. Wer nicht zum Tisch des Herrn kommen möchte, der kann ja andächtig auf seinem Platz sitzenbleiben und beten. Aber jeder ist eingeladen, seine Sorgen und seine Schuld hier am Altar abzuladen und getröstet und gestärkt wieder davonzugehen.

Das Herrenmahl ist eine ernste Sache, wir können es nicht leichtfertig nehmen. Aber es ist keine traurige Angelegenheit, sondern soll uns getrost und fröhlich machen, weil Gott uns wieder gut ist durch die Versöhnungstat Christi. Deshalb kommt, denn es ist alles bereit. Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsre Herzen und Sinne in Christus Jesus.

 

 

Lk 19, 41 – 48 (10. Sonntag nach Trinitatis):

In Dresden dachte man lange, die im Krieg zerstörte Frauenkirche werde als Ruine erhalten bleiben. Neben den Neubaublöcken sollten die Mauerreste und der große Steinhaufen ein stummes Mahnmal sein, das doch sehr deutlich zu den Menschen spricht. Diese Steine erinnerten an eine der schrecklichsten Bombennächte des Krieges. Aber sie forderten auch: „Laßt so etwas nie wieder zu! Ihr habt doch die Möglichkeit, Frieden zu halten in der Welt!“

Heute ist die Kirche zum Glück wieder aufgebaut. Aber sie bleibt weiter ein Mahnmal der Erinnerung.

Unser Predigttext redet von den Steinen der Stadt Jerusalem, die ja ein Heiligtum für Juden, Christen und Mohammedaner ist. Diese Stadt hat im Laufe der Jahrtausende viel mitgemacht. Schon Jesus hat über die Stadt geweint. Er geriet in Zorn über die unheiligen Geschäfte im Tempel, aber durch seine Anwesenheit hat er Stadt und Tempel zu einem heiligen Ort gemacht.

 

(1.) Jesu Tränen über die Stadt:

Den Menschen in Jerusalem war ein großes Angebot gemacht worden: Jesus von Nazareth hat unter ihnen gelebt und war einer der ihren. Aber die Huldigung der Seinen konnte nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Mehrheit des jüdischen Volkes sich gegen ihn gestellt hat. Weil sie das Heilsangebot ausgeschlagen haben, wird über die Stadt das bittere Ende kommen.

Jesus hat das schon vorausgesehen und deshalb über die Stadt geweint. Noch vier Jahrzehnte hat Gott diesem Volk Zeit gelassen. Aber dann wollten sie sich durch einen Aufstand gegen die Römer selber helfen. Das Ende war die Zerstörung Jerusalems im Jahre 70 nach Christus und die Zerstreuung des Volkes über die ganze Welt. Gerade weil das Volk die höchste Gnade erfahren hat, soll es auch am härtesten bestraft werden. An Jesus entscheidet es sich, ob es Gericht oder Gnade erfahren wird.

Es ist Gottes Sache, wie lange er uns Zeit zur Umkehr gibt und ob und wie er straft. Jesus hat der Stadt den Frieden bringen wollen. Ihr Name bedeutet so viel wie „Schau des Friedens“. Aber sie hat ihrem Namen keine Ehre gemacht und hat keinen Frieden mit dem Gottessohn geschlossen. Nachdem sie aber das Angebot Gottes ausgeschlagen hatten, konnten sie es nicht mehr wahrnehmen und es war vor ihren Augen verborgen. Erst wollte man nicht erkennen und annehmen, nachher konnte man es nicht mehr. Das war eigentlich schon das Gericht, die Römer hätten gar nicht mehr die Stadt zu zerstören brauchen.

Jesus sieht den ganzen Ernst der Lage. Deshalb weint er. Männer weinen ja nicht so schnell. Aber Jesus wird auf einmal die ganze Gottlosigkeit dieser Stadt klar. Er sieht vor seinem geistigen Auge, wie die Menschen dort ihn ablehnen werden und deshalb das Gericht über sie kommen wird. Aber er ist nicht empört und lacht auch nicht aus Schadensfreude, sondern er weint über die Verlorenen. Er kann den Menschen sein Gutes nicht aufzwingen. Jesus will retten. Aber wo man ihn abweist, da kann er es nicht.

Aber auch über uns könnte Gott sagen: „Eure Kirche kann ja ruhig zerstört werden so wie die Frauenkirche in Dresden. Ihr braucht die Kirche ja nicht mehr, weder das Kirchengebäude noch die Kirche als Gemeinschaft der Heiligen! Euch kann es ruhig so gehen wie den Juden, die in alle Winde zerstreut wurden!“

Auch wir hier in Deutschland können das Evangelium nicht ungestraft ausschlagen. Vor über 1 000 Jahren kamen die ersten Boten des Christentums in unserer Gegend. Aber sind wir heute christlicher oder gläubiger als die Menschen vor einem Jahrtausend? Vor über 450 Jahren nahm bei uns die Reformation ihren Ausgang. Aber haben wir deshalb das Anliegen der Reformatoren besser bewahrt als etwa die römischen Katholiken, die uns doch heute in manchen Dingen ein Vorbild sind?

 

(2.) Jesu Zorn über die unheiligen Geschäfte:

Die Israelis sind heute wieder im Besitz der ganzen Stadt Jerusalem. Dadurch haben sie auch wieder Zugang zur Klagemauer, einem Rest des Tempels aus der Zeit Jesu, heute ihr höchstes Heiligtum. Wir denken dabei daran, daß Jesus von hier die Händler und Geldwechsler hat vertreiben müssen, damit der Tempel wieder zum Bethaus wurde.

Indem Jesus vom Tempel Besitz ergreift, wird er erst zu dem, was er sein soll: das Haus, das seinem Vater heilig ist. Die Erneuerung des Tempels war ein Zeichen der messianischen Zeit. Nicht nur die gottesdienstliche Praxis wurde verändert, sondern mit Jesus hat sich alles verändert. Jetzt nimmt er sein Hausrecht wahr. Nur wo er ist, da ist der Tempel Gottes. In ihm findet die Begegnung zwischen Gott und uns statt. Aber die meisten haben dieses Zeichen nicht verstanden und haben in Jesus nur einen Störenfried gesehen.

Deshalb blieb kein Stein auf dem anderen. Und Jahrhunderte später haben die Moslems auf den Trümmern dieses Tempels eine Moschee gebaut. Aber wären wir denn würdiger, im Besitz einer „heiligen“ Stätte zu sein? In unserm Land gibt es doch auch so etwas: die Wartburg in Eisenach, das Augustinerkloster in Erfurt, Wittenberg und Halle, Eisleben und Mansfeld. Uns ist auch ein großes Erbe anvertraut.

Natürlich geht es dabei nicht um die Lutherstätten an sich, sondern um das, was dort geschehen ist. Wenn man etwas erbt, freut man sich darüber. Man hütet und bewahrt das Erbe, man gebraucht es und versucht es zu vermehren. Man ist den Eltern oder Verwandten dankbar für das, was sie hinterlassen haben.

Sind wir denn dankbar für die Reformation, die wir als Deutsche geerbt haben? Luther hat die Bibel ins Deutsche übersetzt; aber es sind nur wenige, die regelmäßig darin lesen. Die Kirchen und Gottesdienste sind im evangelischen Sinne umgestaltet worden; aber nur wenige brauchen den Gottesdienst heute wirklich. Luther sprach vom allgemeinen Priestertum aller Gläubigen, bei dem jeder mithilft in der Gemeinde; aber in der Praxis hängt dann doch alles an dem einen, der hauptberuflich dafür angestellt ist.

 

(3.) Jesu Anwesenheit am heiligen Ort:

Am Ende ist Jesus wieder im Tempel. Dadurch wird er aufgewertet als der Ort, wo Jesus mit seinem Wort und seinen Sakramenten in der Welt einen Platz hat. Da ist Gott bei seinen Menschen, ihnen zugewandt und an ihnen interessiert. Jetzt sind sie nicht mehr unter sich, sondern Gott ist in ihrer Mitte. Diese Gelegenheit darf man nicht verpassen.

Natürlich hat der Tempel keine Heiligkeit an sich. Das gilt natürlich auch für unser Kirchen. Erst die Anwesenheit des Herrn macht den Ort heilig. Sicherlich ist Gott immer und überall da. Aber er bindet sich doch an Leibhaftes. Und seine Gemeinde braucht einfach einen Raum, in dem sie beieinander sein kann.

Doch müßte Jesus nicht auch über uns weinen und aus unserer Kirche und aus unserm Herzen viel herauswerfen? Wir haben kein Recht, auf die Juden herabzusehen. Sie haben ja zwei Jahrtausende als Gast bei anderen Völkern gelebt und haben dabei Schweres erleben müssen, nicht nur in Deutschland und in Europa.

Doch wir können und dürfen nicht vergessen, wie schrecklich unser Volk an dem Volk der Juden gesündigt hat. Vor 50 Jahren, am 9. November 1938, wurden überall in Deutschland die jüdischen Gotteshäuser und Geschäfte angezündet oder sonst wie zerstört. Zynisch hat man das dann als „Reichskristallnacht“ bezeichnet.

Es waren nicht nur „faschistische“ Elementen, sondern an den Ausschreitungen beteiligten sich auch viele brave Bürger, denen man das gar nicht zugetraut hätte. Viele Leute wollen bis heute nicht darüber reden, wollen diese alten Geschichten ruhen lassen. Wenn man auf diesem Gebiet forschen will, kann man etwas von der Angst spüren, die manche der Betreffenden heute noch haben.

Es ist erfreulich, wenn an den ehemaligen jüdischen Stätten Gedenktafeln angebracht oder Stolpersteine vor den Häusern verlegt werden. Es gab auch Orte, wo die Bevölkerung sich

den Nazi-Trupps entgegenstellte. Doch wir müssen immer noch befürchten, daß Menschen in ihrem Herzen denken: „Nur gut, daß die Nazis mit den Juden aufgeräumt haben, da sind wir das Problem los!“

An dem Judenhaß sind auch die Christen nicht schuldlos. Sie sagten: „Die Juden sind schuld am Tode Jesu, deshalb war ihre Verfolgung die gerechte Strafe Gottes!“ Es beruhigt halt so schön, wenn man weiß, wer die Schuldigen sind. Doch wie sollen die Juden zum Frieden mit Gott finden und wie sollen sie an Christus glauben, wenn die Christen so unchristlich an ihnen handeln?

Wir stehen in einer Schuld-Gemeinschaft mit den Juden und können nur gemeinsam mit ihnen hoffen. Sie bleiben das Volk der Verheißung Gottes, auch durch das Gericht hindurch. Wir sind nur als neues Volk der Verheißung hinzugekommen. Jesus bricht nicht den Stab über uns, sondern neben seinem Zorn steht sein Erbarmen. Gerade in Jerusalem hat Jesus ja die Schuld aller Menschen stellvertretend auf sich genommen.

Jesus erbarmt sich auch über uns. Noch ist es nicht zu spät. Wir können es besser machen als die Juden damals. Uns ist die Kirche gegeben, damit wir sie benutzen, um von Gott zu hören und ihm zu danken. Nur so hat sie einen Sinn für uns. Nur so haben wir weiterhin ein Anrecht darauf, unsere Kirche zu behalten. Dann wird sich auch Gott über uns erbarmen, wenn vielleicht schon manches schief gelaufen ist. Gott möchte keinen strafen, sondern bietet uns seine

Hilfe an durch den Gottesdienst. Warum sollten wir uns diesem Gott nicht anvertrauen?

 

 

Lk 21, 25 - 33 (2. Advent):

Es gibt ein bekanntes Bild der zerstörten Stadt Dresden. Es ist aufgenommen vom Turm des Rathauses, der wie durch ein Wunder noch stehengeblieben war. Am rechten Bildrand sieht man die steinerne Figur eines Engels, der die Arme ausgebreitet hat, als wollte er sagen: „Seht, das ist aus der Stadt geworden!“ Unten sieht man dann kilometerweit nur die Gerippe der zerstörten Häuser. Das Bild macht die schreckliche Möglichkeit deutlich, daß der Mensch die ihm anvertraute Welt zugrunde richten könnte.

Uns wird heute immer mehr deutlich, daß das Ende der Welt nicht nur durch einen Befehl Gottes kommen könnte. Wir sehen, daß das Ende auch langsam durch die Zerstörung unsrer Welt durch die Folgen des Fortschritts kommen könnte, aber genauso auch plötzlich durch die schrecklichen Waffen von heute. Uns scheint das nicht so sehr zu beunruhigen‚ wir haben uns schon zu sehr daran gewöhnt und Überhören die warnenden Signale.

Da ist es gut, wenn uns in der Adventszeit so ein Bibelabschnitt vorgelegt wird, der vom Ende der Welt spricht. An sieh hat das Wort „Advent“ für uns einen freudigen Klang. Es kündet uns an: Weihnachten ist nahe, wir können uns auf das Fest der Geburt des Herrn vorbereiten. Aber Advent ist auch eine Bußzeit, eine Zeit der ernsten Besinnung auf das, was uns mit dem Kommen des Herrn erwartet.

„Advent“ heißt „Ankunft“. Aber es geht dabei nicht nur um die erste Ankunft Christi in der Welt, sondern auch um seine Wiederkunft am Ende der Tage. Dieser Sonntag mahnt uns deshalb an das Gericht, das Jesus halten wird, wenn er wieder in diese Welt kommt. Beim ersten Hören klingen diese Worte niederdrückend. Aber es geht nicht darum, eine Weltuntergangsstimmung zu erzeugen. Jesus will uns nicht in Angst und Schrecken jagen.

Das tun die Sekten, die den Menschen tüchtig einheizen, um sie dann in ihre Fänge zu treiben. Die Neuapostolischen erwarteten das Ende der Welt, wenn ihr Stammapostel stirbt. Aber ehe er 1960 starb, hat er angeblich noch eine Offenbarung gehabt, nach der Gott doch noch etwas Geduld habe und noch warten wolle. Die Bibelforscher berechneten das Ende der Welt für das Jahr 1914. Aber es kam der erste Weltkrieg, der ja schon der Anfang vom Ende hätte sein können, aber von einem noch schlimmeren gefolgt wurde; und hoffentlich kommt nicht noch ein neuer, der dann wohl wirklich das Ende bringen würde.

Deshalb ist es gut, wenn wir hier aufgefordert werden: „Augen auf!“ Wir fragen uns vielleicht: Ist das noch die gute Welt, die Schöpfung aus der Hand Gottes? Die Flüsse sind verseucht, die Wälder sterben ab, manche Tiere werden nur noch in Büchern beschrieben. Durch menschliche Schuld ist vieles zerstört. Und über allem steht die tödliche Bedrohung durch Waffen, die das Ende alles Lebens bedeuten können, Die Neutronenbombe wurde schon als „Bombe des Jüngsten Gerichts“ bezeichnet (dooms-day-bomb). So ist uns der Gedanke nicht fremd, daß alles Leben in der Tiefe bedroht ist.

Aber es wäre falsch, aus den Aussagen der Bibel einen Termin des Endes berechnen zu wollen. Man hat immer wieder versucht, die erwähnten Endzeitereignisse mit bestimmten Vorgänge- in unsrer Zeit gleichzusetzen. Dann könnte man dann feststellen, an welchem Punkt wir gerade angelangt sind, und daraus berechnen, wie viele Stationen noch bis zum Ende ausstehen.

Doch man kann hier keinen Fahrplan aufstellen. Es handelt sich sowieso vorwiegend um Vorstellungen aus jüdischer Religion, die Jesus und die Gemeinde nur übernommen haben. Sie hören sich so an, als sei alles nur Schicksal und der Mensch könne nichts daran ändern. Gottes Reich kommt zwar ohne unser Zutun ganz von selbst. Aber wir werden dadurch auch zur Entscheidung herausgefordert. Wir sollen die Dinge so ernst nehmen, wie sie sind. Aber wir sollen in der Zuspitzung der Ereignisse nicht hilflos liegenbleiben.

Die tröstliche Antwort gerade der Adventssonntage lautet: Es wäre falsch, einen Termin berechnen zu wollen oder auch einfach das Kommende nicht zu beachten. Jesus sagt: „Wenn ihr draußen die Bäume ausschlagen seht, dann wißt ihr, daß bald Sommer wird. Da könnt ihr doch auch begreifen: Wenn Christus kommt, beginnt das Reich Gottes!“

 

Wir dürfen wissen, daß das.Ende der Welt mit der Wiederkunft Christi gekoppelt ist, mit der

auch das Reich Gottes beginnt. Es wird also nicht erwartet, daß wir das Reich Gottes schaffen, aber daß wir uns darauf einstellen. Der Blick ist nicht auf die Schrecken der Endzeit zu richten, sondern auf das kommende Heil. Hinter den düsteren Worten steht die frohe Botschaft: „Der Herr ist auf dem Wege zu uns!“ Angst wird also nicht durch Sicherungen überwunden, sondern durch den Glauben an den kommenden Herrn.

Was wir jetzt nur glauben und hoffen, das werden wir dann sehen. Die Anfechtung wird ein Ende haben, aller Zweifel und aller Unglaube, Mißerfolg und Versagen, Traurigkeit und Leiden. Uns ist nicht versprochen, daß die Welt immer christlicher wird. Aber wir leben in einer Jetzterwartung, leben immer an einer Grenze. Und da macht es nicht viel aus, ob die Grenze für den Einzelnen im Tod überschritten wird oder die ganze Welt den letzten Advent des Herrn erlebt.

Wer wach ist, erkennt die Zeichen. Manches hat für uns den endgeschichtlichen Charakter verloren: Sonnen- und Mondfinsternisse sind für uns vorausberechenbar, selbst Naturkatas­trophen werden vorausgesagt, so daß man sich darauf einstellen kann. Wir bauen Talsperren und Dämme gegen das Hochwasser und ergreifen Maßnahmen gegen Hunger und Seuchen. Aber die täglichen Zeitungsnachrichten zeigen uns doch, daß Christi Herrsein bis zur Stunde tief verborgen ist und der Kampf mit den Mächten der Zerstörung noch zu Ende gekämpft werden muß. So werden wir aufgefordert zum verantwortlichen Umgang mit Gottes Schöpfung, aber auch dazu, die Augen aufzuhalten für Jesu letzten Advent!

Daneben steht als zweite Aufforderung: „Kopf hoch!“ Alle Anzeichen werden erst eindeutig, wenn der Herr wirklich erscheinen wird. Dann gilt es, den Kopf zu erhaben und dem Herrn entgegenzugehen. Es muß dabei keiner verschreckt und eingeschüchtert sein. Alle Bedrängnisse und Begrenztheiten erhalten auf einmal einen anderen Stellenwert. Es wird sich niemand danach drängeln, aber er wird alles als Begleiterscheinung des Kommens Christi sehen und verstehen.

Luther hat einmal die Lage eines Christen verglichen mit einem Ritter, den der Feind gefangengenommen hat und ins tiefste Burgverlies geworfen hat. Aber eines Tages hört der Gefangenen Lärm. Die Burg dröhnt von den Rammbänken des Belagerers. Ihm wird auch angst und bange, als die Mauern bersten. Aber er weiß: Das ist ja ein Freund, der gekommen ist, mich aus der Gefangenschaft zu befreien.Jeder Schlag bringt ihn der Erlösung näher. So haben es auch die Verfolgten des Naziregimes empfunden: der Vormarsch der Gegner war ihnen erträglich, er wurde sogar mit Freude erwartet, obwohl er die Niederlage des eigenen Volkes und die Zerstörung von Dörfern und Städten bedeutete.

Jesus kommt allerdings nicht mit Waffen. Und unsre Welt ist kein Burgverlies oder Konzentrationslager. Aber die Ermutigung, die in einem solchen Vergleich liegt‚ wird uns schon deutlich sein. Doch es geht nicht darum, allem Hinderlichen doch noch eine positive Seite abzugewinnen. Was uns den Blick erheben läßt, ist Christus. Gemeint ist die ausschließliche Konzentration auf das Kommen des Menschensohnes.

Wir sind schon jetzt mit ihm verbunden. Aber es ist wie bei zwei Liebenden‚ die vorwiegend nur brieflich oder mit den anderen modernen technischen Mitteln in Verbindung sein können. Der Briefwechsel bezeugt vollgültig, daß sie einander gehören. Aber die Liebe sucht doch auch nach völligem Vereintsein. So suchen wir eben auch nach der völligen Vereinigung mit Christus.

Überall auf der Welt sehnen sich die Menschen nach Erlösung. Da sind Hungernde und Kranke, die so gern Hoffnung hätten auf Heilung und neues Leben. Da sind die Alten und Einsamen, die ohne Freude in die Zukunft blicken und sich überzählig vorkommen. Damit sie wieder ihre Häupter erheben können, sind offene Herzen und helfende Hände notwendig. Als Christen sind wir nicht unbeteiligte Zuschauer, die zum untätigen Warten verurteilt sind. Gott erwartet von uns, daß wir die Zeit bis zur Wiederkunft Christi dazu nutzen, die Armen und Gebeugten aufzurichten. Sie sollen Hoffnung und Zuversicht wieder möglich machen, damit Menschen ihre Augen wieder aufheben können, die sie vor Furcht und Verzagtheit niedergeschlagen hatten.

In unserem Lebenskreis, in Haus und Beruf, können wir dazu helfen, daß ein Stück Friede für alle verwirklicht wird. Durch ein Opfer von Geld und Zeit und auch einem Stück unserer Ruhe können wir helfen, daß ein Einsamer oder Kranker wenigstens für einige Zeit menschliche Nähe und Liebe spüren kann.

Der Film „Der Untergang der Titanic“ schildert folgende Szene: Ein alter Mann findet einen kleinen Jungen, der seine Mutter in dem Menschengewühl verloren hat. Er drückt das Kind an sich, beruhigt es und redet ihm gut zu. Die Menschen um sie herum schreien in panischer Angst. Aber der alte Mann hat die Zeichen verstanden und im letzten Augenblick seines Lebens noch Gutes getan.

Wenn wir auch so handeln könnten, wären wir nicht Nachhut des Gestrigen, sondern Vorboten einer heilen Welt, nämlich des Reiches Gottes. Ein Stück des Reiches Gottes ist schon Wirklichkeit in der Kirche. Dort wird Gottes Wort verkündet, das ewig bleiben wird. Himmel und Erde werden vergehen, aber Jesu Worte werden nicht vergehen. Deshalb haben wir dieses Wort, gesprochen oder gesungen, in dieser Zeit weiterzusagen und uns nicht nur auf Adventsschale und Einkauf zu beschränken. Mit dem Wort Gottes ist uns schon ein Stück Ewigkeit in Herzen und Hände gelegt. Vorher ist es vielfach verborgen unter einer harten Schale. Aber diese wird aufbrechen und wir werden inmitten alles Zerbrechens dann den Schritt tun dürfen vom Glauben zum handgreiflichen Schauen.

 

 

Lk 22, 31 - 34 (Invokavit):

„Du kannst dich felsenfest auf mich verlassen!“ Das ist ein Satz, den man gern hört. Man muß sich verlassen können auf seinen Ehepartner, auf seine Freunde und Mitarbeiter. Aber leider wird man da auch enttäuscht. Und so entstand das Sprichwort: „Wer sich auf andere verläßt, der ist verlassen!“

Besonders erschüttert hat die Menschen schon immer die Geschichte von der Verleugnung des Petrus. So etwas hätte nicht passieren dürfen! Erst wollte Petrus besonders stark sein, hat sogar zum Schwert gegriffen, als Jesus verhaftet werden sollte. Aber dann im Hof des Ho­hen­priesters, da wurde er schwach. Als man ihn fragte, ob er denn nicht auch zu diesem Jesus gehöre, da sagte er dreimal: „Ich kenne den nicht!“

Petrus ist dabei nur das Modell dafür, was mit jedem vor uns passieren kann bzw. was der Herr an jedem von uns tut. Er nimmt aus dem größeren Kreis eine Figur heraus und zeigt in Großaufnahme, was allen widerfährt. Petrus wird versucht werden wie jeder von uns. Aber die Geschichte seines Glaubens wird weitergehen. Den Versagenden trägt die Fürbitte Jesu, so daß der Glaube auch dem Schwachgewordenen bleibt . er Herr steht für den Jünger ein.

Dieser ist zwar versucht, aber dennoch gehalten, er ist eingebrochen, wird aber dennoch bleibend beauftragt.

 

1.Versucht, aber gehalten: Jesus weiß was Versuchungen sind, wenn Menschen in der Gefahr stehen, sich von Gott loszusagen und dem Bösen zu dienen. Jesus selbst war solcher Versuchungen ausgesetzt, schon ganz zu Beginn seines Wirkens, als ihn der Teufel zum Wundertäter machen will; aber im Grunde war sein ganzes Leben und besonders sein Leiden und Tod eine einzige Gehorsamsprobe.

Jesus möchte so etwas seinen Brüdern ersparen. Er weiß, wie zerbrechlich ihr Glaube ist. Es muß nicht einmal zu solchen Belastungen kommen wie in der Nacht der Verhaftung Jesu: der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach. Zuerst sieht es so aus, als würde Petrus nicht zu den Treulosen gehören, weil Jesus für ihn gebetet hat, daß sein Glaube nicht aufhört. Aber dann heißt es doch: „Der Hahn wird heute nicht krähen, ehe du dreimal geleugnet hast, daß du mich kennst!“

Wie steht es denn damit bei uns? Könnten wir behaupten: „Mir wäre so etwas nicht passiert, ich hätte mich zu Jesus bekannt!?! Könnten wir uns auf uns selbst verlassen? Unser Glaube hat vielleicht schon bei geringeren Belastungen versagt. Eigener Wille oder fremde Einflüsterung haben uns zum Unrechten verleitet. Wir fühlten uns um unser Glück betrogen, weil Gott uns Schweres auferlegt hat. Wir hatten Angst und meinten, da sei keiner, der uns auffängt. Wasser hat keine Balken, der Glaube aber ebensowenig.

Da war einer entrüstet, als sein Freund Frau und Kinder verließ. Aber jetzt hat er selbst ein heimliches Verhältnis, schämt sich vor seiner Frau und vor sich selbst und findet doch nicht die Kraft, es zu beenden oder mit seiner Frau offen darüber zu reden. Da war ein Jugendlicher aktiv in der Jungen Gemeinde. Die anderen nahmen ihn zum Vorbild, sein Wort galt etwas. Aber jetzt ist er im Beruf und hat noch nicht den Mut, seinen Kollegen zu sagen, daß er zur Kirche gehört. Da hat sich ein Pfarrer aufgeopfert im Dienst, hat oft Trost zugesprochen an Krankenbetten und gegenüber Leidtragenden. Aber jetzt liegt er gelähmt im Pflegeheim und fragt: „Womit habe ich das verdient?! Er kann nicht mehr an die Liebe Gottes glauben.

Durch solche Dinge werden wir gesiebt wie der Weizen. Hinter allem ist der Böse am Werk. Er hat viele Macht. Wenn er uns einreden will, daß eine solche Prüfung sich nicht lohnt, heißt er „der Versucher“. Wenn er uns einflüstert, daß wir selbst entscheiden könnten, was gut und böse ist, dann heißt er wie in der Erzählung vom Sündenfall „die Schlange“. Wenn er unsre guten Vorsätze zur Versöhnung durcheinanderwirft, heißt er „Teufel“, denn dieser ist der „Durcheinanderwerfer“.

Zwischen Jesus und seinen Jüngern ist nicht einfach ein zwischenmenschliches Verhältnis zu Bruch gegangen. Gottes Herrschaft muß vielmehr immer wieder gegen die Mächte des Bösen durchgesetzt werden. Gott hat den Engeln und den Menschen die Freiheit gewährt, die auch die Möglichkeit des Abfalls einschließt. Diese Möglichkeit ist der teure Preis, den Gott bezahlt, damit Liebe möglich wird.

Doch Jesus steht für seinen Jünger ein. Er ruft Petrus nicht auf zur eigenen Leistung. Der Glaube ist nicht ein Werk, das der Jünger vollbringt. Wir hätten gern einen starken Glaubensmut und eine unerschütterliche Zuversicht. Aber wenn es uns daran fehlt, brauchen wir nicht nervös zu werden.

Christus ist nicht nur für die Leute mit starkem Glauben da, sondern erst recht für solche, wie ich es bin. Der Satan will mich an Jesus irremachen und mich in Sünde und Verzweiflung stürzen. Aber da ist Jesus, der an mir keinesfalls weniger interessiert ist als der Widersacher: Er betet für mich, daß die Linie des Glaubens nicht abreißt, sondern durchläuft.

Da liegt einer krank, ist sehr schwach und verzweifelt am Leben, er kann nicht mehr glauben und beten. Da soll er sich daran erinnern, daß sein Herr sowohl unsichtbar an seinem Bett und vor Gottes Thron steht und bittet: „Laß ihm der Glauben nicht ausgehen!“ An sich wäre es um unseren Glauben längst geschehen. Aber so sind wir gehalten wie an einem Seil. Wer nur noch auf den schaut, der ihn hält, das ist eben der, der glaubt.

 

2. Eingebrochen, und doch bleibend beauftragt: Es ist bewegend, wie Petrus im Überschwang der Liebe zu seinem Herrn sich übernimmt. Er tut es in ehrlicher Absicht und im besten Glauben an sein Durchstehvermögen. Aber er sieht die Glaubenstreue als etwas an, was er selbst aufzubringen hat. Er scheut nicht Gefangenschaft und Tod, sondern will so tapfer sein, wie mancher andere auch, der das einmal Versprochene gehalten hat.

Aber in dem Konfliktfeld zwischen Gott und dem Satan kann der gute Wille allein nicht bestehen. Bei den listigen Anläufen des Teufels kann man sich nicht so viel Durchhaltevermögen und Leidensbereitschaft zutrauen. Glaube ist nicht zu bestreiten mit den Aufschwüngen und Anstrengungen des eigenen Herzens. Glaube ist nicht die Haltung des innerlich starken Menschen, der sich alles zutraut.

Wer glaubt, wird sich leichtfertiger Zusagen und Gelübde enthalten. Er wird wissen, daß er heute stehen und morgen schon fallen kann. Er wird seinen Glauben ganz in der Aktivität seines Herrn begründet wissen. Jesus sieht voraus, daß auch der einbrechen wird, für den er einsteht. Auch die Wiedergeborenen sind in der Gefahr abzufallen und sündigen mehr oder weniger massiv. Manche meinen, in der Kirche müsse es anders zugehen als beim Staat. Oder sie hoffen, daß es in einer anderen Kirche besser ist und wechseln zu dieser. Aber da ist es auch nicht anders.

Da hat Jesus eben das Abendmahl eingesetzt, und im nächsten Augenblick muß Jesus zu Petrus sagen: „Du wirst mich verleugnen!“ Da wurde eben in der Kirche das Abendmahl gefeiert und schon streiten sich die Christen schon wieder wie die Jünger.

Aber auch Petrus wird wieder umkehren dürfen, nicht nur dieses eine Mal, sondern immer wieder. Der Auftrag bleibt ihm ohne Wenn und Aber: „Stärke deine Brüder!“ Gerade der sich als schwach erwiesen hat, wird die anderen stärken. Jesus will gerade den, der eingebrochen ist, zuerst für seine Zwecke benutzen.

Hier wird tatsächlich dem Petrus ein besonderer Auftrag zuteil. Er war nun einmal der Erste, der der Auferstandenen gesehen hat. So konnte er auch als erster seine Brüder stärken und das Wort von Christus in die Öffentlichkeit bringen. Man muß nichts gegen einen „Ersten“ in der Gemeinde haben.

Sicherlich kamen man sich auch gegenseitig zum Glauben Mut machen. Aber das geht nicht so, daß jeder dem anderen etwas von dem Seinen gibt. Es ist immer der Herr, der durch seine Diener wirkt. Auch der Amtsträger gibt nichts aus dem Eigenen, sondern er ist ein Armer, der viele reich macht.

Gott hat seine Kirche gebaut mit fehlerhaften und schwachen Menschen. Er hat sie gebaut mit Menschen, denen er wieder auf die Beine geholfen hat. Seither ist keiner zu schlecht und un­begabt, daß er nicht in Gottes Bau seinen Platz finden könnte. Und wer gerade fest im Glauben und mit beiden Beinen im Leben steht, der soll seine Brüder stärken, deren Glauben zu schwinden droht und die mit ihrem Leben nicht zurechtkommen. Aber ehe man andere stärken kann, muß man sich erst selbst gestärkt haben. Das aber geschieht für uns im Abendmahl.

 

 

Lk 23, 33 - 49 (Karfreitag):

Wenn sich irgendwo ein Unfall ereignet hat, dann strömen die Leute zusammen. Man ist in­teressiert, man diskutiert, man weiß alles besser. Oftmals wird dabei noch der Krankenwagen behindert. Aber bald hat sich wieder alles beruhigt und man geht wieder an sein Tagewerk. Man bleibt nicht ungerührt von dem furchtbaren Geschehen. Aber man geht eben doch zurück in den Alltag und schirmt sich ab von allem Zeichen des Unglücks.

So taten es auch die Leute, die zur Kreuzigung Jesu gekommen waren. Sie schlugen sich zwar an die Brust, als sie sahen, was da geschah. Aber dann gingen sie wieder heim, und alles war für sie so wie vorher. So werden auch wir wieder heimkehren, wenn dieser Karfreitagsgottes­dienst zu Ende ist. Wir haben uns wieder einmal daran erinnern lassen, wie unmenschlich es damals in Jerusalem zuging.  Aber bestimmt dieses Ereignis auch noch unser Leben lassen wir uns davon auch heute noch bestimmen? Wird dadurch etwas anders bei uns?

Diese Chance aber will uns der Gekreuzigte geben. Er schenkt die Vergebung, er gibt Hoffnung, er erringt den Sieg. Das kann uns besonders deutlich werden, an den drei Worten Jesu am Kreuz, die Lukas uns überliefert. Lukas hat ja die Schilderung etwas abgemildert. Zum Beispiel hat er den Satz aus dem 22. Psalm weggelassen: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“

Stattdessen bringt Lukas ein Gebet: „Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände!“ Aber dadurch wird der Heilscharakter des Kreuzes umso deutlicher. Hier können wir sehen, was am Kreuz für uns geschehen ist. Aber es entsteht der Eindruck, als wäre Jesus zu sehr Gott und zu wenig Mensch.          

 

(1.) Die Größe des Verbrechens:

Auch bei Lukas wird erschütternd deutlich, was Jesus angetan worden ist. Das sind zunächst die Soldaten. Sie wissen offenbar wirklich nicht, was sie tun und an wem sie sich vergreifen. Sie können sich auch nicht mit der Ausrede entschuldigen: „Befehl ist Befehl! Wir haben unsre Anweisungen und können uns nicht auf unser Gewissen berufen!“

Was sie tun, enthüllt nur die unmenschliche Art aller Menschen. Jeder will doch immer recht behalten, auch wenn er notfalls dazu den anderen ausschalten muß. Auch wir ärgern uns schnell darüber, wenn ein Mensch anders ist als wir; und wir würden uns wohl auch über die Andersartigkeit Jesu ärgern. Wenn man die Kinder fragt, dann sagen sie voller Überzeugung: „Wir hätten Jesus doch nicht gekreuzigt!“ Aber es hätte sicher anders ausgesehen, wenn wir damals an der Stelle der Soldaten gewesen wären.          

Wir hätten vielleicht auch gesagt: „Wir konnten doch nichts ändern, das hätten höchstens die Oberen gekonnt!“ Aber damit hat sich selbst ein Adolf Eichmann verteidigen wollen. Aber hätten wir denn den Mut gehabt, selbständig zu entscheiden und auch einmal auszuscheren?

Unwissenheit schützt vor Strafe nicht.

Wußten die Verantwortlichen des jüdischen Volkes wirklich nicht, was sie taten? Gewiß war ihnen nicht deutlich, wen sie da wirklich vor sich hatten. Er hatte sich zwar zu seiner göttlichen Herkunft bekannt, aber gerade das erschien ihnen ja als Zeichen seiner Lüg und Hochstapelei. Mit ihrem Spott treffen sie gerade die schwache Stelle bei Jesus: er  i s t  ja der Sohn Gottes, er  k ö n n t e sich ja tatsächlich dem Zugriff seiner Feinde entziehen. Aber er muß stillhalten, weil er Gottes Willen tun will.

Die Kreuzigung war auf jeden Fall ein Verbrechen. Auch wenn sie damals nicht erkannten, wer Jesus wirklich war: Gott will nicht, daß ein Mensch so geschändet wird wie durch eine Kreuzigung. Auch bei den anderen, die ja tatsächlich Verbrecher waren, war die Kreuzigung eine Urmenschlichkeit. Seit Gott in Jesus Mensch geworden ist, trifft ihn ja alles mit, was Menschen zugefügt wird.

Das gilt auch für den Spott der Vorübergehenden. Sie taten es ja aus freien Stücken, sie wurden nicht gezwungen; sie hätten ja gar nicht zu kommen brauchen. Manche waren wohl enttäuscht, weil Jesus nicht seinem Volk wieder zu Macht und Ansehen verholfen hatte. Andere hatten sich wohl in die Irre führen lassen, gerade auch durch solche Leute, die um ihr Amt bangen mußten, wenn die Jesus-Bewegung sich durchsetzen sollte. Manche waren wohl auch

nur Mitläufer, die sich bei den Herrschenden lieb Kind machen wollten. Manche werden auch gemeint haben, im Leben zu kurz gekommen zu sein und Gott deshalb verklagen zu dürfen.

Vielleicht haben einige mit dem Nachbarn getuschelt und auch hinter vorgehaltener Hand geschimpft. Vielleicht waren sie auch nicht genügend informiert. Ganz gefühllos waren sie wohl nicht, aber sie haben zugeschaut und nichts unternommen. Jesus weiß: Sie haben alle die Vergebung nötig. Sie haben alle zum Leiden Jesu beigetragen und haben deshalb den Kreuzestod Jesu erforderlich gemacht.

Auch heute geht dieses Leiden Jesu noch weiter, wenn wir nicht auf ihn hören und ungerührt das Leiden in der Welt betrachten oder selber zu diesem Leiden beitragen. Aber haben wir nicht auch schon untätig dabeigestanden, wo wir reden oder eingreifen hätten sollen? Wir sehen zu, wie Jesus aus der Welt unsrer Kinder verschwindet, wir schütteln mit dem Kopf, aber tun den Mund nicht auf.

Jesus steigt nicht vom Kreuz, wie es ihm die Spötter raten Er hilft nicht sich selber, sondern er hilft uns. Er steigt nicht vom Kreuz, um sein Amt als Weltenrichter anzutreten, sondern er macht sich zum Fürsprecher seiner Peiniger. Gerade in dem Augenblick, in dem die Welt untergehen müßte, bittet Jesus um Vergebung. Wenn wir das doch auch könnten! Die Kreuzigung wäre schon dann nicht vergeblich gewesen, wenn wir dem Vorbild Jesu nachfolgen könnten: nicht die Welt verurteilen, sondern ihr die Vergebung Jesu anbieten und selber zur Vergebung bereit zu sein.

 

(2.) Es ist nicht zu spät für eine Umkehr zu Gott:

Das wird uns leichter sein, wenn wir die Hoffnung bedenken, die Jesus uns gibt. Sie wird deutlich in dem Gespräch mit den beiden Verbrechern. Der eine spricht so wie die Führer des Volkes. Er fühlte sich wohl als Freiheitskämpfer gegen die Römer und forderte Jesus heraus: Sei doch das, worum du verurteilt worden bist!

Darin sieht er noch eine kleine Hoffnung für sich selbst. Daß Jesus nicht auf dieses Ansinnen eingeht, wird ihm eine große Enttäuschung geworden sein. Dabei hätte Jesus eine Hoffnung für ihn, wenn auch in ganz anderer Art. Das wird an dem zweiten Verbrecher deutlich. Er hat erkannt: Schuldig sind wir beide! Wir sollten uns vor Gott fürchten! Nur Jesus könnte noch helfen. Denn er ist wirklich der Messias, nicht ein politischer Herrscher, sondern der leidende Retter aller Menschen. Dieser Mann hat genau erkannt: Es gibt keinen Weg an Gottes Gericht vorbei. Es gibt höchstens einen Weg durch dieses Gericht hindurch, wenn man sich an Jesus wendet.

Das Beispiel dieses Mannes zeigt: Es ist nie zu spät für eine Umkehr zu Gott. Noch über den Tod hinaus dürfen wir auf die Gemeinschaft mit Gott rechnen. Wer im Herrn stirbt, der darf gewiß sein: Im Augenblick nach seinem letzten Seufzer wird er bei Gott erwachen: „Heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein!“ Das ist die Hoffnung, die wir auch heute alle haben dürfen,

Im Jahre 1566 haben Bilderstürmer in Flandern aus einer Kreuzigungsgruppe das Bild des ge­kreuzigten Christus herausgeschlagen. Sie haben damit ein schreckliches Symbol hinterlassen: Den beiden Verbrechern ist der Herr genommen, der sie vor der Sinnlosigkeit bewahrt. Das Bild hatte seine Mitte verloren. Wenn Jesus nicht mehr den Leidtragenden und Ausgestoßenen nahe ist, dann bleibt nur das Nichts. Das aber dürfen wir ja genau wissen: Jesus bleibt in der Mitte und wird so zu unserem Retter.

 

(3.) Jesus bleibt der Sieger:

So bleibt Jesus doch am Kreuz der Sieger. Bei Lukas stirbt er nicht mit einem lauten  Schrei, sondern mit dem Gebet, das man in ganz Israel um diese Stunde betete „Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist!“ Entweder hat er die Not schon hinter sich gelassen und atmet erleichtert auf. Oder er flüchtet sich mit diesem Gebet zu seinem Vater, um die Anfechtung zu überwinden.

In jedem Fall aber erscheint er als der Sieger: als Sieger über sich selbst und als Sieger über seine Feinde. Noch im Sterben beeindruckt er einige unter denen, die das alles miterleben. Man wollte ihn umbringen, um seine Sache ein für allemal zu erledigen. Aber nun werden erst recht Menschen für Gottes Sache gewonnen.

Der eine ist der zweite Verbrecher, der die Stunde nutzt zu einem Schuldbekenntnis und der daraufhin die Vergebung Jesu erfahren darf. Ein anderer ist der römische Hauptmann. Es wird zwar nicht ausdrücklich gesagt, daß er ein Christ geworden ist. Er spricht nicht einmal wie bei Markus und Matthäus davon, daß Jesus Gottes Sohn gewesen sei. Aber im Grunde will er das Gleiche ausdrücken, wenn er sagt: „Dieser ist ein frommer Mensch gewesen!“

Der Hauptmann erkennt: Hier ist einer unschuldig gestorben! Er ist auch für den Hauptmann gestorben. Er ist auch gestorben für alle, die sich unter sein Kreuz stellen oder unter sein Kreuz gestellt werden. Für die Spötter wird es natürlich schwer sein, in Gemeinschaft mit Jesus zu kommen. Er aber ist dazu bereit, er will jeden gewinnen.

Wer den gekreuzigten Jesus ansieht, kann im Grunde nicht ungerührt wieder weggehen. Hier ist einer, der uns die Hand geben will. Er sagt: „Deine Schuld wird dir vergeben. Geh nur mit mir, dann hast du eine Hoffnung und hast Anteil an meinem Sieg. Du wirst nicht für alle Ewigkeit sterben müssen, sondern du wirst mit mir im Reiche Gottes leben können!“

 

 

Lk 24, 13 - 35 (Ostern II):

Wer auf dem Friedhof einen lieben Menschen hat begraben müssen, der geht mit traurigen Gedanken heim. Stellen wir uns vor, es war noch ein junger Mann, der Ernährer der Familie, es sind noch kleine Kinder da. Was wird nun werden? Wie wird sich die neue Situation bewältigen lassen? Die ersten Tage begegnet den Angehörigen noch eine Welle der Hilfsbereitschaft. Aber nachher geht jeder wieder zur Tagesordnung über und hat seine eigenen Probleme, die Hinterbliebenen sind auf sich allein gestellt.

Sie haben zwar bei der Trauerfeier das Wort von der Auferstehung gehört. Aber das löst ja nicht ihre gegenwärtigen Probleme. Sie wissen nicht aus noch ein. Sie tun etwas ohne Sinn und Verstand, nur um überhaupt etwas zu tun. Schnell macht sich auch innere Leere breit,

weil man enttäuscht ist: vom Leben allgemein, von anderen Menschen, auch von sich selbst. Was man erhofft hatte, das läßt sich nicht mehr verwirklichen. Man kann nur noch tief enttäuscht sein.

In dieser Stimmung sind auch die beiden Jünger, die uns in der Emmaus-Erzählung vor Augen gestellt werden. Sie verlassen Jerusalem mit hängenden Köpfen und traurigen Herzen. Sie sind erschrocken und eingeschüchtert durch die Ereignisse in Jerusalem. Ire großen Pläne von der Befreiung von der römischen Fremdherrschaft und von wichtigen Posten für die Jünger Jesu sind zerronnen. Sie können nur nach rückwärts schauen und dabei nur enttäuscht und traurig sein. Sie sehen keine Zukunft vor sich.

Sie gehen fort von Jerusalem, denn dort haben sie nichts mehr zu suchen. Damit gehen sie auch von Jesus fort, denn Jesus ist tot und nichts mehr von ihm zu erhoffen. Im Grunde war er ihnen auch vorher ein Fremder geblieben, denn sie hatten sich etwas anderes von ihm erhofft. Nun wollen sie erst einmal nach Hause und dann irgendetwas anfangen, um alles vergessen zu können.

In diesen beiden Männern können wir uns selber erkennen. Haben wir ihn denn jemals verstanden? Vor allem: Haben wir ihn richtig verstanden? Wir reden von Gottes „Liebe“ und meinen, Gott müsse uns alles erfüllen, was wir wollen und was uns gerade einfällt. Wir reden von der „Vergebung der Sünden“ und decken damit nur unseer Bequemlichkeit zu und nehmen die Sünde nicht ernst. Wir reden von der „Erlösung“ und meinen, Gott müsse all unser kleinen und großen Beschwerden aus dem Weg räumen.

Wir haben unsere Ansprüche und Erwartungen an Gott, sehen aber nicht, was er mit uns vorhat. Oft suchen wir unser sogenanntes „Glück“ auf eigene Faust und begnügen uns mit dem, was die Welt zu bieten hat. Erst wollten wir den Berggipfel bezwingen. Aber dann bleiben wir bei einigen schönen Blumen im Tal hängen. Die Berufsausbildung geht vor, für die Familie muß man etwas tun, das Haus muß in Ordnung gehalten werden…..Wenn dann noch Zeit ist, kann man immer noch auf den Gipfel steigen, kann man sich immer noch mit Gott befassen. So denken wir doch oft.

Wir meinen dann, es läge an uns, ob wir uns zu Gott aufmachen oder nicht. Dabei hat er sich selbst zu uns aufgemacht und ist uns auch heute nah. Der auferstandene Jesus geht den ent­täuschten Jüngern nach. Er müht sich um sie, hat Zeit für sie und führt sie Schritt für Schritt zu neuer Erkenntnis. So geht er auch uns nach, gerade wenn wir einmal eine Enttäuschung erlebt haben.

Wir sind allerdings doch auch in einer anderen Lage als die beiden Jünger. Diese haben Jesus bis Karfreitag persönlich gekannt, sie hätten ihn auch nach Ostern gleich erkennen müssen. Aber sie haben noch nicht gewußt, was wir heute wissen. Mit einer Auferstehung konnten sie ja nicht rechnen, das lag völlig außerhalb ihres Gesichtskreises. Wir aber kennen die Geschichte schon und wissen, daß der auferstandene Jesus hier mit den Jüngern redet.

Doch noch wichtiger ist ja, daß auch wir in Kontakt mit ihm kommen. Es geht ja nicht um einen allgemeinen Sachverhalt, der „Auferstehung“ heißt, sondern auf die persönliche Ge­mein­schaft mit Jesus kommt es an. Doch dieser Jesus ist uns näher, als wir oft denken. Jesus ist mit uns auf dem Wege, auch wenn wir ihn nicht erkennen. Auch wem wir uns ganz einsam und verlassen fühlen, ist er uns zur Seite. Gerade dann, wenn wir uns mit großen Zweifeln herumquälen, will er uns helfen. Er ist sogar bei denen, die ihn noch gar nicht kennen und die sich mit Händen und Füßen sträuben, ihn anzuerkennen. Wir meinen oft, mit unsersgleichen allein zu sein oder auch uns mit irgendeinem Fremden zu unterhalten. Aber in Wirklichkeit ist Jesus mit dabei und begegnet uns auch in unsern Mitmenschen.

Vielleicht ist er schon lange hinter uns her. Vielleicht will er sich gerade heute zu erkennen geben. Vielleicht waren unsere Augen bisher „gehalten“, so daß wir ihn nur noch nicht erkannt haben. Oftmals wollen wir verzagen und sehen keinen Ausweg mehr. In Wirklichkeit aber ist die Hilfe schon unterwegs zu uns, und eine Lösung ist schon gefunden.

Den Jüngern damals hat zunächst das Verständnis der Heiligen Schrift geholfen. Sie hatten es aber wirklich schwer damit. Sie kannten ja noch nicht das Neue Testament wie wir, sondern sie hatten nur die Schriften des Alten Testaments. Sie kannten sicher eine Menge Prophetensprüche, die von dem Retter Gottes handelten, von seinem Leiden und andeutungsweise auch schon' von seinem Auferstehen. Aber bisher waren das nur tote Buchstaben geblieben, sie hatten diese Worte noch nicht mit Jesus in Verbindung gebracht.

Erst der Herr selber muß ihnen die Auslegung geben: Wenn sie die Schrift verstanden haben, werden ihnen auch die Augen geöffnet werden. Und schließlich werden sie erkennen: Es genügt, die Heilige Schrift zu haben und richtig zu verstehen. Dann braucht man Jesus gar nicht mehr leibhaftig vor Augen zu haben, dann ist ja schon alles klar und kein Zweifel mehr möglich.

Aber für die Jünger damals war das ein gewaltiger Schritt. Mit Jesus war ja nicht nur irgendeiner gestorben, den man liebgehabt hatte, sondern hier waren die Hoffnungen eines ganzen Volkes zusammengebrochen. Hier war der Glaube an Gott ins Wanken geraten. Es war wohl nur schwer zu begreifen, daß der Tod Jesu doch Gottes eigene Tat war. Vielleicht mußte Jesus erst sterben, ehe man ihn verstehen konnte. Nun wurde klar, daß sein Reich nicht von dieser Welt ist. Der erwartete König der Heilszeit mußte durch Leiden und Tod gehen, um den Willen Gottes zu erfüllen.

Unsere Erwartungen an ihn sind meist anders. Wir meinen, Gott hätte sich in der Welt durchsetzen müssen, notfalls auch mit Gewalt. Er hätte doch längst mit den Nöten der Welt fertigwerden müssen. Wir hatten Hilfe von ihm erhofft, aber sie blieb aus. Wir sind zum Gottesdienst gegangen, aber nichts ist passiert.

An den Emmausjüngern jedoch sehen wir, wie man Ostern erleben kann: Erst große Traurigkeit und Enttäuschung. Dann wird ihr Herz von den Worten des Unbekannten angeregt, wie er da mit ihnen die Schrift durchgeht und ihren den Schlüssel zum rechten Verständnis Gottes gibt. Schließlich geht ihren ein Licht auf und sie werden von einer großen Freude erfüllt. Nun beginnen sie ihr Leben neu zu sehen und finden sich wieder in der Welt zurecht.

Doch das Wort Gottes allein macht es auch nicht. Es geht nicht allein um die Botschaft, sondern auch um den, der sie sagt. Der Bote kann nicht einfach wieder abtreten und durch einen anderen ersetzt werden. Glaube ist nicht das Kennen christlicher Lehrsätze, sondern eine Lebenshaltung: Er ist die Lebensgemeinschaft mit Christus, er gehört zu jeder Wende im Leben der Jünger mit dazu.

In ihrem Heimatort angekommen bitten die Jünger den Unbekannten: „Herr, bleibe bei uns, denn es will Abend werden und der Tag hat sich geneiget!“ Das ist nicht nur eine Sache der Höflichkeit, sondern sie wollen ihm Gastfreundschaft gewähren, so wie sie es von Jesus gelernt hatten. Vor allem aber soll er ihnen helfen, die neu aufgekeimte Hoffnung wachsen zu lassen. Ihr Glaube wird nur Bestand haben, wenn jener Helfer bei ihnen bleibt.

Als er das Brot bricht, erkennen sie, wer er wirklich ist: So hat Jesus immer das Brot am Beginn der Mahlzeit gebrochen, als er noch bei ihnen war. Jetzt sitzen sie wieder zum Abendbrot zusammen, und er ist mitten unter ihnen. Wir denken hierbei natürlich gleich an das Abendmahl, in dem Jesus ja auch unsichtbar gegenwärtig ist.

Wir denken vielleicht auch an den Ablauf des Gottesdienstes (es ist ja ein Sonntag!), bei dem es auch um die Auslegung der Schrift und das gemeinsame Mahl geht. Jesus kann uns zwar auch außerhalb des Gottesdienstes begegnen und Glauben wecken; aber der Gottesdienst ist doch eine besondere Gelegenheit dazu. Hier können wir auch nach Ostern noch Gemeinschaft mit Jesus haben.

Den Jüngern werden die Augen erst bei dem Mahl geöffnet. Wir würden es eher umgekehrt sagen: Nur die Predigt erklärt uns alles, das Abendmahl ist nur ein stimmungsvolles Anhängsel, das man vielleicht nicht einmal so recht versteht. Viele beurteilen den Gottesdienst nur nach der Predigt und sehen in dem anderen nur eine feierliche Umrahmung. Doch hier wird uns deutlich: Nur in Wort u n d Sakrament haben wir die volle Gemeinschaft mit dem auferstandenen und lebendigen Herrn!

Doch als die Jünger das erkennen, ist Jesus wieder verschwunden. Es kommt ja auch gar nicht darauf an, w i e die Auferstehung geschehen ist, sondern d a ß sie geschehen ist. Wir werden heute beim Abendmahl auch nur für einen flüchtigen Augenblick erkennen können, daß Jesus dahinter steht; nachher sehen wir wieder nur Brot und Wein; aber das heißt ja nicht, daß Jesus nicht da bliebe. Jesus muß ja nicht unbedingt sichtbar sein. Aber er ist da, wo zwei oder drei versammelt sind in seinem Namen.

Deshalb gehen auch die Jünger wieder zurück nach Jerusalem. Das Kreuz, das dort steht, bedeutet keine Anfechtung mehr für ihren Glauben. Sie suchen die Gemeinschaft der anderen Christen und möchten sie teilnehmen lassen an ihrer Freude. In der Gemeinde stützt man sich gegenseitig im Glauben und wird von Jesus gehalten. In der Gemeinde kann es auch zur rechten Osterfreude kommen, weil dort einer dem anderen weitersagt: „Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden!“

 

 

Lk 24, 36 - 49 (Ostermontag):

Wenn Jesus uns heute erschiene, so wie er den Jüngern erschienen ist, würden wir ihn da nicht auch für ein Gespenst halten? Nicht nur für einen „Geist", wie es in unserer heutigen Bibelübersetzung heißt, sondern nach einer alten Lesart richtiggehend ein Gespenst. Wir wissen zwar, daß es keine Gespenster gibt. Aber wenn wir plötzlich einem Totgeglaubten begegnen, dann werden wir doch zunächst einmal nicht wissen, was wir sagen sollen.

Ein Pfarrer wurde einmal in ein Haus gerufen wegen eines Trauerfalls. Eine junge Frau war im Pfarrhaus gewesen. Der Pfarrer war nicht da. Die Frau hat nur hinterlassen, der Vater sei gestorben und der Pfarrer möchte doch zuhause vorbeikommen. Er klingelt, und der Gestorbene macht die Tür auf. Da hatte sich die Frau nur unklar ausgedrückt: Der Großvater war gestorben, der aber nicht einmal dort im Haus wohnte. Man kann sich vorstellen, daß der Pfarrer erst einmal Luft holte, gewiß aus Erleichterung, aber auch um mit der neuen Situation fertig zu werden.

Genauso aber mag es auch den Jüngern ergangen sein, als Jesus plötzlich vor ihnen stand. Mit keiner Silbe hatten sie doch an so etwas gedacht. Sie wußten: Die Mitte unseres Kreises ist leer, Jesus ist nicht mehr da. Sie hatten gerade begonnen, sich bei ihrem Herrn geborgen zu fühlen. Ohne Jesus aber ist ihnen die Welt wieder furchtbar. Das geht so weit, daß sie Jesus im ersten Augenblick nicht einmal erkennen.

Jesus aber hat Geduld mit ihnen. Das Tor zum Glauben war eben noch verriegelt durch die harten Tatsachen des Karfreitags. So muß er den Zweifel der Jünger schon ernst nehmen. Wir dürfen ihm bis heute dankbar sein, daß er auf diesen Zweifel eingegangen ist, denn das ist ja auch unser Zweifel. Wir denken doch auch oft: Ich glaube nur, was ich sehe! Heute singen wir ,,des wollen wir alle froh sein, Christ will unser Trost sein! Oder „Jesus lebt, mit ihm auch ich“. Aber schon wenig später treiben uns die Notfälle des Lebens in die Enge und nehmen uns die Freude und den Trost. Doch Jesus überzeugt von der Wirklichkeit seiner Gegenwart, von der Notwendigkeit seines Weges und von der Verbindlichkeit seines Auftrags.

 

(1.) Die Wirklichkeit seiner Gegenwart: Der Glaube an die Auferstehung wird niemals ein fester Besitz sein können. Wir werden immer wieder den Durchbruch schaffen müssen zur Glaubensgewißheit. Es kommt nur darauf an, nicht in der Anfechtung steckenzubleiben wie ein Wagen, der sich im ungünstigen Gelände festgefahren hat. Einen Wagen würde niemand dort steckenlassen, man wird alles versuchen, um ihn wieder flott zu kriegen. Allein wird man das selten können. Man braucht und sucht Hilfe.

Das gilt auch und erst recht von einem festgefahrenen Glauben. Da muß die Hilfe von außen kommen, von Jesus selbst. Deshalb zeigt Jesus nach dieser Geschichte seine Hände und Füße vor, er fordert die Jünger auf, ihn zu betasten und er ißt vor ihren Augen den Fisch.

Man könnte sagen: Drastischer geht es nicht mehr. Hier werden dem Zweifel einfach massive Tatsachen entgegengesetzt, an denen niemand mehr vorbei kann. Da braucht er sich im Grunde auch nicht mehr zu entscheiden, entweder du läßt dich überzeugen oder du läßt es eben sein. Wer es nicht glaubt, wird eben nicht selig.

Doch so einfach ist die Sache nun auch wieder nicht. Der Auferstandene ist doch nicht so da wie die Erde unter unsren Füßen oder die Wolken am Himmel. Die Jünger können nicht hingehen und ihn irgendwo suchen, sondern er zeigt sich, wo und wann er es will. Seine Erscheinung ruft oft Erschrecken hervor und sie ist auch nicht sicher zu deuten.

Jesu Gegenwart kann nur bezeugt, nicht bewiesen werden. Was Jesus zu den Jüngern sagt, überzeugt sie noch nicht. Und selbst wenn er etwas ißt, dann ist das noch kein Beweis. Lukas spricht ja gerade vom Zweifel der Jünger, um deutlich zu machen: Das waren keine Spinner, die haben sich nicht etwas vormachen lassen, sondern die haben gezweifelt wie ihr auch, sich aber dann doch überzeugen lassen. Und das ist nicht nur die Auffassung eines Einzelnen, der vielleicht einer Sinnestäuschung erlegen sein könnte, sondern hier gibt es viele Zeugen, die das auch erfahren haben.

Außerdem geht es hier gegen eine Irrlehre, nach der Gottes Sohn niemals Mensch geworden ist, sondern nur einen Scheinleib hatte. Der Auferstandene wäre dann nur ein leibloses Himmelswesen gewesen. Diese Irrlehre will Lukas abwehren. Er will zeigen, daß Jesus ein wahrhaftiger Mensch war und auch nach seinem Tode noch weiterexistierte. Deshalb legt er so Wert auf die Nägelmale, die ja besagen: Der Gekreuzigte und der Auferstandene sind die gleiche Person. Er gebraucht absichtlich die Ausdrücke „Fleisch“ und „Knochen“, um jene Irrlehrer zu ärgern und sie total zu widerlegen.

Daß Jesus nicht so wie vorher unter den Jüngern war, das weiß er auch. Das wird etwa daran

deutlich, daß Jesus plötzlich erscheint und wieder verschwindet. Wir werden heute sahen: In dieser Geschichte hat Lukas nach der anderen Seite übertrieben. Wir wissen ja, daß Fleisch und Blut das Himmelreich nicht erben können. In unserem Glaubensbekenntnis sagen wir ja heute nicht mehr „Auferstehung des Fleisches“, sondern etwas neutraler „Auferstehung der Toten“.

Dennoch dürfen wir Lukas dankbar sein, daß er uns deutlich macht: Jesus war kein Gespenst, kein Schein-Mensch, keine Einbildung. Man kann ihn zwar nicht sehen. Aber er ist doch die lebendige Mitte der Gemeinde. Obwohl er verborgen ist für unsere Augen, ist er doch auch heute am Werk. Allerdings ist das eine Sache der Erfahrung und nicht des Wissens. Doch in jedem Gottesdienst tritt Jesus unsichtbar mitten unter uns, geändert hat sich nur die Art der Gegenwart, nicht die Wirklichkeit dieser Gegenwart.

 

(2.) Die Notwendigkeit seines Weges: Jesus gibt aber noch eine Hilfe zum Osterglauben: Er öffnet das Verständnis für die Bibel wie wir es im Evangelium des Tages gehört haben. Er erzählt nicht, wie es in der Welt der Toten aussieht. Das hätte zwar die Jünger sehr interessiert und uns würde es auch interessieren. Aber Jesus lenkt den Blick auf die Wege Gottes mit den Menschen, erläutert ihnen die Heilige Schrift.

Mehr haben wir heute auch nicht, aber das genügt. So wie Jesus seinen Jüngern damals gepredigt hat, so wird uns heute gepredigt und das Verständnis für alles geweckt. In jedem Gottesdienst kommt Jesus im gepredigten Wort zu uns, oft sehr ungöttlich und mit allen Schwächen des Menschlichen behaftet. Noch ist Jesu Reich nicht direkt anschaulich, aber es ist schon mitten unter uns da.

Im Alten Testament wurde schon aus der Ferne auf den kommenden Christus hingewiesen. Es wurde auch angedeutet, daß Christus viel leiden und sterben muß. Wenn man die Heilige

Schrift recht liest, wird man das auch verstehen. Dann wird man auch erkennen, daß Jesus

hier seine Lebensaufgabe hatte und sie auch erfüllte.

Allerdings handelt es sich hierbei nicht um einen Kniff. Man könnte ja auch sagen: „Weil das mit Jesus so geschehen war, hat man das nachträglich aus der Bibel herauslesen wollen. Wenn es anders gekommen wäre, hätte man die entsprechenden Stellen nicht auf Jesus gedeutet!“ Aber so ist es nicht: Das Leiden Jesu lag ganz im Plan Gottes.

Noch mehr aber war die Auferstehung geplant, das Überraschende an dem ganzen Geschehen, womit kein Mensch gerechnet hatte. Weil Jesus von den Toten auferweckt wurde, unterscheidet sich sein Tod von dem gewaltsamen Ende eines Martin Luther King zum Beispiel. Deshalb spricht man auch heute noch von diesem Jesus, weil er auch heute noch eine Realität ist. Damit sind wir beim dritten Punkt: beim Missionsbefehl.

 

(3.) Die Verbindlichkeit des Auftrags: Unter allen Völkern soll von Jesus erzählt werden, soll seine Auferstehung gepredigt und zur Hinwendung zu ihm aufgefordert werden. Besser kann man nicht zum Ausdruck bringen, daß Ostern nicht ein Ereignis der Vergangenheit ist, sondern in die Zukunft weist.

Eben noch waren die Jünger die Empfangenden. Doch plötzlich springt die Redeweise um. Und nun heißt es, daß das Wort Gottes gepredigt werden muß. Wenn der Auferstandene nicht mehr selber da ist, so braucht er doch seine Boten. Sie sollen den Menschen sagen: „Kehrt heim zu Gott, er wird euch wieder annehmen!“ Mission ist nicht eine Liebhaberei einiger Weniger, Werbung für den Glauben und die Kirche ist nicht nur die Aufgabe der hauptamtlichen Angestellten in der Kirche, sondern die Aufgabe aller, die dazu gehören. Sie ist so wichtig wie der Gottesdienst oder die Diakonie.

Das Heil Gottes kommt nicht so über die Menschen, wie um Ostern herum der Frühling kommt, sondern es fordert eine Entscheidung und eine Stellungnahme. Nur in einem bewußten Entschluß können wir anders werden und immer wieder zu Gott zurückkehren. Dazu aufzufordern ist auch an diesem Osterfest unsre Aufgabe.

Wir dürfen aus dieser Erzählung am Schluß des Lukasevangeliums heraushören, daß wir weder als Geist auferstehen noch mit einem Körper, wie wir ihn jetzt haben. Aber wir dürfen doch wissen, daß mit der Auferstehung ein wirkliches Geschehen verbunden ist, daß mehr von uns übrigbleibt als nur ein Gedanke. Aber das bringt auch die Verpflichtung mit sich, auch anderen Menschen diese frohe Botschaft weiter zu sagen.

Wenn die Jünger damals stumm geblieben wären, wüßten wir heute nichts von Jesus. Und wenn wir heute nicht reden, erfahren die Menschen von heute nichts von ihm. Wir sollen es ja nicht aus eigenen Kräften tun: Die Kraft des Heiligen Geistes und der Beistand Gottes sind uns ja sicher. Aber wenn wir Zeugen sind für den lebendigen Christus, dann war auch dieses Osterfest nicht vergebens für uns.

 

 

Lk 24, 44 – 53 (Himmelfahrt):

Über der Stadt Rio de Janeiro steht auf einem über 700 Meter hohen Berg eine weiße Christusstatue. Mit ihren 38 Meter Höhe leuchtet das Standbild weithin. Christus streckt die Arme segnend über die darunterliegende Millionenstadt. Die diese Figur errichten ließen, wollten damit deutlich machen: „Unsere Stadt und das ganze Land sollen unter den segnenden Hände Christi leben!“

Christus wird oft als der Segnende dargestellt. So blieb er auch seinen Jüngern im Gedächtnis: Mit zum Segen erhobenen Händen hatten sie ihn zum letzten Mal gesehen. Segnend war er von ihnen geschieden und zurückgekehrt in die verborgene Herrlichkeit des Vaters. Auch wenn sie nachher seine Hände nicht mehr sehen konnten, so wußten sie dennoch: „Wir gehen unsern Weg alle Tage unter dem Segen des Herrn!“

Der Abschiedssegen Jesu besiegelt alles, was er gesagt und getan hat. Unter seinen erhobenen Händen steht der weitere Weg seiner Jüngerschar und seiner Gemeinde für alle Zeiten. Darauf kommt es Lukas an. Von Himmelfahrt ist bei ihm am Schluß seines Evangeliums nicht die Rede. Er spricht nur davon, daß Jesus auf einmal nicht mehr sichtbar ist und Gemeinschaft mit ihm nicht mehr über die leibliche Gegenwart möglich ist. Es bleibt offen, wo sich Jesus jetzt befindet.

Das ganze Gewicht liegt auf der Aussage, daß die neue Gemeinschaft des Auferstandenen mit den Jüngern unkündbar und unwiderrufbar ist. Auch wenn er leiblich abwesend ist, so bleibt er doch als der Herr gegenwärtig. Der Segen ist dabei die Brücke von damals zum Heute, ein Zeichen, dafür, daß wir zwar zurückgelassen, aber nicht allein gelassen sind.

Vielleicht kommen wir dann- auch einmal von der Vorstellung weg, als sei Himmelfahrt so etwas wie eine Fahrt im Freiballon oder gar mit einer Rakete. Dieses ursprünglich heidnische Bild stellt die Auferstehung in den Schatten und macht die Hinwendung Gottes zur Welt zweifelhaft. Der Eindruck wird erweckt, Jesus sei nicht mehr in der Nähe und wir könnten unter Umständen tun, was wir wollten.

Das Bild vom segnenden Christus aber macht und deutlich: Wir haben keinen abwesenden Herrn, der nichts ausrichten kann, weil er außer Landes ist. Uns soll es nicht gehen wie „Hans-guck-in-die-Luft“, der nachher als begossener Pudel dasteht. Nicht wir müssen zum Himmel wachsen, sondern der Himmel kommt auf uns zu.

Wenn Jesus der geplagten Menschheit hätte helfen wollen, dann hätte man ihm bessere Erfolge gewünscht. Die Kirche stand sicher immer wieder in der Gefahr, noch nachträglich das verwirklichen zu wollen, was Jesus nicht geschafft hat. Also her mit einer „Theologie der Revolution“ und dann auch Revolution gemacht. Es gibt doch Länder, in denen menschliches Elend so zum Himmel schreit, daß das „Wort vom Kreuz“ nichts helfen kann und man das Herrsein Christi mit weltlichen Mitteln geltend machen müßte.

Sicher ist es wichtig und notwendig, die weltlichen Dinge neu zu ordnen. Das Geschrei der Unterdrückten und Entwürdigten kann nicht überhört werden. Da genügt es auch nicht, mit ein paar freundlichen Worten an den guten Willen der Menschen zu appellieren. Aber für Jesus gibt es keinen Fortschritt in der Welt ohne das gepredigte Wort und den Hinweis auf das, was durch Jesus schon geschehen ist. Das Werk Christi wird auch dann nicht überflüssig sein wenn im weltlichen Bereich alles Menschenmögliche erreicht ist. Keine Ordnung der Welt wird das Reich Christi sein.

Die Sache Jesu Christi muß allerdings einen mühsamen Weg in die Welt hinein gehen. Von Mensch zu Mensch muß das Evangelium au gebreitet werden. Buße zur Vergebung der Sünden soll allen Völkern gepredigt werden. Das ist kein leichtes Geschäft. Aber nur wo Menschen sich frei dem Evangelium öffnen, da tritt auch eine tatsächliche Sinnesänderung ein.

Man hat bezweifelt, daß Jesus selber den Missionsbefehl gegeben habe. Die judenchristlichen Gemeinden haben ja mit der Heidenmission gezögert. Aber Lukas bezeichnet den Ausgangspunkt treffend: „Fangt an in Jerusalem!“ Die Jünger werden zu Zeugen, zu Gewährsleuten der Überlieferung und Überbringern der Botschaft, die mit ihrer Person für das einstehen, was sie bekunden.

Lukas will damit klarstellen: Der erhöhte Christus ist kein nebelhaftes Geistwesen, in Geheimerfahrungen dem einen so und dem anderen so erscheinend. Er hat ein Gesicht, denn es gab eine Zeit, wo er noch da war. Seine Worte fanden Deckung in seinem Tun. Die Botschaft ist nicht ablösbar von dem, was da wirklich geschehen ist. Es geht um das, was sich „im Fleisch“ ereignet hat. Und dazu braucht man die Zeugen.

Heute allerdings sehen wir auch, daß Mission nicht nur etwas ist für „Neger“ im fernen Afrika ist. Sie fängt vielmehr vor unserer eigenen Haustür an. Doch vielleicht haben wir gerade dazu keinen Mut. Für die Mission in Übersee würden wir schon Geld geben. Aber selber mittun - ist das nicht etwas zu viel verlangt und auch unter Umständen gefährlich?

Jesus aber verheißt seinen Beistand allen, die seine Sache in der Welt vertreten. Es braucht keiner hinter verschlossenen Türen zu sitzen, sondern er kann mutig zur Tat schreiten. Jesus steht hinter seinen Zeugen und beweist seine Macht durch Zeichen und Wunder. Diese geschehen auch heute noch, wenn wir sie nur als solche erkennen.

Der Schlußakkord des Lukasevangeliums spricht von der „großen Freude“ und dem Lobpreis Gottes. Jesus hat die Jünger verlassen. Er hat ihnen eine weltweite Aufgabe hinterlassen. Aber sie sind nur eine winzige Kirche. Aber diese Kirche steht unter der Zusage und dem Segen des erhöhten Christus. Sie braucht nicht ihre Erfolgschancen zu überschlagen, ehe sie tätig wird, sondern sie ist ausgestattet mit der „Kraft aus der Höhe“, die seit Pfingsten wirksam ist.

Es liegt also kein Grund vor, in eine Untergangsstimmung zu verfallen. Natürlich ist die Rüstung gefährlich. Und ganz gewiß ist unsere Umwelt stark bedroht. Aber das darf uns nicht lähmen, sondern wir werden ermutigt zum Verändern. Allerdings geht das nicht einzeln, sondern wir werden hineingestellt in den Leib Christi, in die Kirche, die gestärkt wird durch die Kraft aus der Höhe.

Diese Kraft dient zunächst dem Eigenbedarf der Kirche. Sie wäre ja gar nicht in der Lage, die Sache Christi aus eigener Kraft zu treiben. Dafür gibt es viel zu viel Schwächliches und Müdes, Entmutigendes und Skandalöses in ihr. Menschliche Einsicht und menschliches Bemühen können in der Sache Gottes gar nichts ausrichten. Die Kirche kann nur das Instrument sein, dessen sich Gott bedient. Die Menschen sind bestenfalls nur Gottes Mitarbeiter. Die Kirche kann nur in der Kraft ihres Herrn wirksam sein.

Das Gleiche muß man auch sagen für die Seite der Empfänger des Evangeliums: Ihnen kann man das Wort vom Kreuz nicht annehmbar machen mit Erfahrungen und Beweisen und mit ausgeklügelten Techniken und Methoden. Entscheidend ist der Heilige Geist, der das bewirkt, was aus eigener Vernunft und Kraft nicht zustande kommen kann.

Dazu gehört aber auch, daß die Kirche aufs Warten angewiesen ist. Die Jünger sollen in der Stadt bleiben und warten! In der Kirche wird oft emsig und hingebungsvoll gearbeitet, oft nur mit geringem äußerem Erfolg. Es wird auch viel überlegt und geplant, erfunden und experimentiert. Die Liebe ist eben erfinderisch und sucht neue Wege.

Aber es könnte auch soweit kommen, daß wir eifrig und nervös Pläne entwickeln, weil wir der Kraft aus der Höhe nicht genug zutrauen. Die großen Stunden der Kirche waren die, in denen sie sich ihrer Armut und ihrer Bedürftigkeit bewußt wurde, als sie ihre Hoffnung nur auf Christus setzen konnte.

Der nächste Schritt heißt also nicht: „Loslaufen, aktiv werden, sich tummeln“, auch nicht „Lagebesprechung, Einsatzplan, Ausbildung!“ Der nächste Schritt heißt nur: „Warten!“ Die ersten Christen taten das, indem sie sich immerzu im Tempel aufhielten. Die wartende Gemeinde findet sich dort zusammen, wo Gott mit uns Kontakt aufnehmen will. Das tun wir auch in dem Gottesdienst am Himmelfahrtstag.

Gottes Geist wird uns nur durch die Gnadenmittel gegeben-, also durch sein Wort und die Sakramente. Deshalb ist der Gottesdienst die Stelle, von der die Kraft des Erhöhten ausgeht. Deshalb kann die Gemeinde nicht träumend oder gar schlafend auf den Geist warten, sondern nur aktiv und der Zusage des Herrn trauend.

 

 

 

 

 

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