Petrusbriefe

 

1. Petr. 1, 3 - 9 (Quasimodogeniti):

Heute dürfen wir einmal einen Blick nach „drüben“ tun. Wenn man einen Berg besteigen will, dann kann man ihr nur von e i n e r Seite her angehen. Erst wenn man auf dem Gipfel oder auf dem Grat ist, tut sich der Blick nach „drüben“ auf. Dann tut sich der neue Horizont auf, dann sieht man in eine neue Welt.

So ähnlich hat Martin Luther King empfunden. In seiner letzten Rede sagte er: „Ich habe den Berg erstiegen, ich habe das gelobte Land gesehen!“ Er meinte damit aber nicht nur eine jenseitige Welt, sondern er hat sich ja auch tatkräftig für eine Erneuerung dieser Welt eingesetzt, für Rassengleichheit und Menschenrechte.

Ein neuer Horizont tat sich auch für die Jünger Jesu auf, als sie Ostern erlebten. Auf einmal war alles wieder in Kraft, was sie mit Jesus verbunden hatte. Nachdem sie zunächst in ein finsteres Tal geraten waren, tat sich nun vor ihnen der weite Blick vom Gipfel auf. Aber sie hofften nicht nur auf eine bessere Zukunft, sie sahen nicht nur das „drüben“, sondern diese neue Welt bestimmte auch schon ihre Gegenwart: auch das „hüben“ stand nun in einem ganz anderen Licht.

Der 1. Petrusbrief hat dafür den Spezialausdruck „Wiedergeburt“. Geboren werden im biologischen Sinne kann man natürlich nur einmal. Aber hier ist das ja übertragen gemeint, daß man sich nämlich wie neugeboren fühlt (dies bedeutet ja der Name des heutigen Sonntags). So etwas könnte uns an sich mehrfach in unserem Leben widerfahren. Aber hier ist speziell gemeint: „in ein Verhältnis zu Gott treten“.

Wenn man geboren wird, beginnt das Menschsein. Aber damit allein ist es ja noch nicht getan. Gewiß kann man als Mensch existieren auch ohne daß man sich um Gott kümmert. Aber das ist nicht das, was die Bibel mit „Leben“ bezeichnet. Wirklich „leben“ kann man nur, wenn man mit Gott und Christus lebt. Dann erst ist man von neuem geboren, ist man wiedergeboren.

Doch wann beginnt dieses neue Leben? Viele werden sagen: „In dem Augenblick, in dem man sich bewußt zu Gott und zu Christus bekehrt!“ Der eine oder der andere meint sogar, genau Tag und Stunde dieser Bekehrung angeben zu können. Erst von da an beginnt für ihn das Christsein, oder doch wenigstens das wahre Christsein. So ganz unrecht hat man damit ja auch nicht.

Aber für den 1.Petrusbrief war der Zeitpunkt der Wiedergeburt die Taufe. Nun muß man allerdings dabei bedenken, daß damals meist nur Erwachsene getauft wurden. Für sie fielen Bekehrung und Taufe praktisch zusammen. Umso eher konnten sie aber auch die Tragweite

ihrer Entscheidung ermessen. Sie mußten damit ja ihren alten Göttern absagen, mußten sich allein dem einer Gott anvertrauen, der in Jesus Christus Mensch geworden war. Vielleicht bedeutete das die Trennung von der Familie, Verlust des Arbeitsplatzes oder Verfolgung und Spott.

Damals mußte man wirklich von einem Tag auf den anderen ein ganz neues Leben anfangen. Aber all das nahmen die Christen auf sich um der neuen Gemeinschaft willen, in die sie durch die Taufe gelangten. Sie empfanden wirklich die Taufe als eine Wiedergeburt. Jetzt erst wurden sie richtig geboren, waren nicht nur ein Mensch, sondern auch ein Christ. Die Geburt macht uns ja nur zu Menschen, aber die Taufe macht uns zu Christen.

Mancher wird nun denken: „Schön wäre es ja, wenn man einfach durch die Taufe schon ein Christ wäre!“ Aber bedenken wir doch einmal, wie die heutige Taufpraxis aussieht. Da soll also ein kleines Kind getauft werden. Für die Eltern und die Familie ist das der Anlaß zu einer Familienfeierlichkeit. Aber der Anlaß könnte genauso gut ausgetauscht werden. Ob es wohl allen Eltern wirklich darum geht, ihr Kind möglichst bald in die Gemeinschaft der Kirche mit hineinzunehmen? Da sich die Eltern immer länger Zeit lassen, ehe sie eine Taufe ins Auge fassen, kann man an sich nicht diesen Eindruck haben. Manche lassen ihr Kind auch gar nicht taufen.

Es gibt Eltern, die Kirchensteuer bezahlen - aber das Kind lassen sie nicht taufen. Ist das nur Nachlässigkeit oder Bequemlichkeit? Oder hat man Scheu, das Kind durch die Taufe festzulegen? Will man erst einmal abwarten, wie sich alles noch entwickelt? Eine Taufe ist eben nicht nur eine Formalität, sondern ein schwerwiegender Schritt im Leben. Sie ist ein Sakrament, viel wichtiger also als Konfirmation, Trauung und Beerdigung.

Durch die Taufe wird uns das Leben noch einmal neu geschenkt. Nicht das alte Leben mit einigen Verbesserungen, nicht so wie wenn einem Todeskandidaten das alte Leben noch einmal geschenkt wird, sondern hier geht es um ein neues Leben mit einer ungeahnten Perspektive. Das Wort „Perspektive“ ist ja so etwas wie ein Modewort geworden. Noch moderner ist das Wort „Vision“. In der Bibel und auch in unserem Predigtabschnitt hat man dafür das Wort „lebendige Hoffnung“.

Als der italienische Dichter Dante die Hölle schilderte, da gab er als Inschrift über dem Höllentor an: „Laßt alle Hoffnung fahren!“ Es gibt auch eine tote Hoffnung, die nur falsche Erwartungen weckt, aber letztlich doch den Menschen zum Narren hält.

Ein Kranker, der nach menschlichem Ermessen sterben muß, klammert sich an die letzte Hoffnung, wieder gesund zu werden. Niemand wagt, ihm die Wahrheit zu sagen, weil das so wäre, als wenn man ihn im Voraus schon tötete. Aber der Kranke merkt im Grunde selber, daß

er an einer toten Hoffnung festhält. Christliche Hoffnung aber umfaßt diese und die zukünftige Welt. Wenn der Kranke aber auf die Auferstehung der Toten hofft und auf eine Begegnung mit dem auferstandenen Jesus in einem neuen Leben, dann kann er eine lebendige Hoffnung haben. Diese Hoffnung kann sogar noch die Angehörigen aufrichten und einen starken Halt geben.

Nur der Mensch, der noch nicht wiedergeboren ist, fürchtet sich vor Krankenhaus und Friedhof und will sein Altern noch vertuschen. Er stürzt sich in Jubel, Trubel, Heiterkeit, um nicht nachdenken zu müssen. Man sagt: „Der frühere Mensch konnte nicht recht leben, und der

heutige Mensch kann nicht recht sterben!“ Durch die Wiedergeburt aber wird man zum Realisten, hält man sich an den, der allein wahr und wirklich ist, an Gott den Schöpfer und Erhalter.

Doch mancher wird sagen: „Ich bin zwar einmal als Kind getauft worden, aber heute sagt mir das nichts, ich fühle mich nicht wiedergeboren!“ Vielleicht hat er auch Christen getroffen, die sind noch mehr Menschen alten Stils als andere: festgefahren, unfroh, menschenfeindlich, eigensinnig, ichbetont, geizig, feige, unaufrichtig, rechthaberisch, nur mit sich selbst beschäftigt. So etwas gibt es ja leider unter uns. Da ist dann nichts neu geworden, sondern der alte Mensch wurde nur mit einigen frommen Redensarten geschmückt.

Da hilft nur eine rechte Besinnung auf die Taufe. Wir haben uns nicht selber das Leben. geben können, wir haben uns auch nicht selber getauft. Gott ist es, dem wir das alles verdanken. Er hat mit der Taufe die Grundlage gelegt, daß wir neue Menschen werden können. Darauf dürfen wir uns verlassen, diese Zusage dürfen wir in Anspruch nehmen. Versuchen wir doch einmal, als neue Menschen zu leben, dann werden wir merken, daß es geht. Aus eigener Kraft allerdings werden wir nichts vermögen, sondern nur durch die Hoffnung, die aus der Auferstehung Jesu kommt.

Diese Auferstehung Jesu kommt uns allen zugute. Da haben wir eine Erbschaft gemacht, über die wir schon jetzt verfügen können. Manchmal kann ein Erbe natürlich auch eine Last sein, dann schlägt man es auch aus. Aber Gottes Erbe können wir nötig brauchen für unser Leben. Er gibt uns nicht nur alles, was er selbst besitzt, er will sich auch selber geben. Die ewige Se­ligkeit besteht nicht darin, daß wir alle Tage herrlich und in Freuden leben und im Übrigen den lieben Gott einen frommen Mann sein lassen: Er soll zwar liefern, aber sonst will man nichts mit ihm zu tun haben! Aber eine Erbschaft ohne Gott, wäre die Hölle.

An sich wissen wir ja alle, wie es sein müßte und was wir an Gott haben. Wir sind wie ein Baum, der zunächst nur Holzäpfel trug, aber dann veredelt wurde und gute Früchte hervorbringen kann. Doch die alten Triebe wachsen auch noch mit, die muß man immer wieder abschneiden. Nicht der ganze Baum muß abgehackt werden, das wäre schade um ihn. Aber Düngen und Schädlingsbekämpfung allein genügt auch nicht, er muß schon auch noch veredelt werden.

Gott gibt uns die Möglichkeit zu solcher Veredlung. Er will Christus in uns einpflanzen, damit wir neu werden können. Dieser Vorgang ist oft schmerzhaft. Der Predigttext spricht von Bewährung und Anfechtung. Diese kommt nicht immerzu, aber wenn es notwendig ist, dann

muß man diese Zeit der Prüfung schon durchstehen. Gerade in Krisenzeiten zeigt sich ja erst, was einer wert ist. Man muß durch Schwierigkeiten hindurch, um nachher bewährt und gereinigt zu sein wie das Gold, das durchs Feuer geläutert wurde.

Damals war die Kirche in keiner guten Lage, sie mußte mit Verfolgungen rechnen. Dennoch meldeten sich neue Taufbewerber. Sie hätten sich ja auch fragen können: „Lohnt es sich denn, daß ich mich taufen lasse?“ So wie wir heute vielleicht auch fragen: „Lohnen sich die Opfer an Zeit und Geld für die Kirche? Lohnt es sich, auf manche Dinge im Leben zu verzichten, weil sie mit unserer Hoffnung nicht vereinbar sind?“

Damals war das offenbar keine Frage. Man freute sich ja auf ein lohnendes Ziel, so wie sich die Kinder auf Weihnachten freuen oder Brautleute auf die Hochzeit. Die Vorfreude auf die Heimat bei Gott hat alles andere beiseitegeschoben. Gewiß, die alte Welt bestand noch weiter. Aber seit der Auferstehung Jesu ist in ihr schon eine neue Wirklichkeit verborgen da. Die alte Welt läuft nur noch aus Eines Tages wird das Miteinander und Ineinander von Altem und Neuen zu Ende sein. Dann bleibt nur noch das Unvergängliche und Makellose übrig. Dann werden wir ganz „drüben“ sein und uns freuen mit unaussprechlicher und herrlicher Freude.

 

 

1. Petr. 1, 13 - 23 (Okuli):

Früher gab es die „Konfirmandenprüfung“, bei der in vielen Orten von den Konfirmanden vorwiegend Auswendiggelerntes aufgesagt wurde. Eine Mutter aber fragte ihr Kind: „Nun habt ihr das alles schön auswendig gelernt und wißt es. Aber handelt ihr auch danach? Seid ihr zum Beispiel bereit, wirklich praktische „Nächstenliebe zu üben?" Das ist eine Frage nicht nur an Konfirmanden. Das müssen wir uns alle immer wieder fragen: Leben wir nach dem, was wir gelernt haben? Unterscheiden wir uns in unserem Lebenswandel in guter Weise von anderen?

Dieser Text aus dem ersten Petrusbrief fordert mit vielen Tätigkeitsworten dazu auf, einen Lebenswandel im Sinne Gottes zu führen. Er wendet sich ursprünglich wohl an Neugetaufte. Ihnen soll deutlich werden, der nunmehr vollzogene Herrschaftswechsel muß auch eine ganz neue Weise des Lebens mit sich bringen. Aus dem Christsein sind Folgerungen ganz praktischer Art zu ziehen.

Damals haben die Menschen ja als Erwachsene ganz bewußt den Schritt zur Taufe vollzogen. Sie mußten sich überlegen, was sie da tun und auf sich nehmen. Wir sind schon als kleine Kinder getauft worden und mußten in das Christsein erst hineinwachsen. Aber die Aufgabe bleibt für jeden, so oder so, das zu werden, was wir nach Gottes Willen schon sind.

Der Frühling kommt von selber. Dazu brauchen wir keine Entschlüsse zu fassen, das ist ein naturhafter Vorgang. Um Christ zu sein müssen wir immer wieder neu werden und immer wieder Schritte nach vorn tun. Es ist schon wichtig, wie die Menschen sich zu uns stellen: ob sie mich mögen oder verabscheuen, ob sie mir helfen oder Knüppel zwischen die Beine werfen, ob sie mit mir Geduld haben oder unbarmherzig sind. Aber noch wichtiger ist, wie Gott sich zu mir stellt.

Er hat schon soviel für uns eingesetzt und geopfert. Er hat noch soviel mit uns vor. Ist es da nicht unverständlich, wie viele Menschen so wenig nach Gott fragen? Gerade wenn man Schweres durchgemacht hat, müßte man sich doch fragen: War das nicht ein Fingerzeig Gottes? Ob eine Sache nun gut oder schlecht für uns ausgegangen ist, wir können uns immer fragen: „Was hat Gott mir damit sagen wollen?“ Als Christen wollen wir uns bemühen, diese Frage nie aus dem Sinn zu verlieren.

Wir dürfen nie vergessen, daß Gott ja unser Vater ist. In Jesus ist er uns nahegekommen. Er hat den Graben zugeschüttet, der zwischen ihm und uns bestand. Nun möchte er, daß wir diesen Graben nicht wieder mutwillig aufreißen. Er ist heilig, da sollen wir es auch sein. Wir sind nicht selber Gott, aber wir sind sein Abbild. Wir haben Grund, ihm wie Kinder zu vertrauen und ihm dankbar zu sein.

Das zeigt sich zum Beispiel daran, wie wir die Aufgaben unseres Lebens anpacken. Wir werden aufgefordert, unsre Lenden umgürtet sein zu lassen. Damals hatte man ja lange und weite Gewänder. Die waren schön beim Spazierengehen oder bei geselligen Dingen. Zur Arbeit aber raffte man das Gewand und band es mit einem Gürtel fest.

Auch für einen Christen ist es gut, wenn er alles abtut, was hindernd an ihm hängt oder her­um­schlottert. Zur Arbeit und zum Vorankommen braucht man knappe Kleidung. Ein Christ aber ist beweglich. Er läßt hemmende Gewohnheiten sein, ist nicht weich gegen sich selbst und bemitleidet sich nicht immerzu, sondern ist bereit für die Aufgaben, die Gott ihm gibt.

Ein Christ ist nüchtern und stellt sich der Wirklichkeit. Er hat sich selbst in der Gewalt und das Steuer fest in der Hand. Er lebt nicht hemmungslos, flüchtet sich nicht in den Rausch, hütet sich vor Taktlosigkeit, braucht sich aber auch nicht vor den Problemen des Lebens zu drücken. Ein Christ hat das böse Leben hinter sich.

„Schön wär's, wenn es so wäre!“ wird jetzt mancher denken. Ja, er hat recht. Wir können nicht so tun, als stünde bei uns alles zum Besten. Im Text werden wir aufgefordert, erst so zu werden und dieses Bild zu verwirklichen. Gott möchte, daß wir heilig sind, so wie er heilig ist.

Ein „Heiliger“ ist nicht ein Einsiedler, der zwar ein grundanständiger Mensch ist, aber doch irgendwie nicht in unsre Welt paßt. Wer zu Gott gehört, darf sich gerade nicht aus der

Welt zurückziehen. Die Welt braucht uns, nicht nur unsre Menschlichkeit und Freundlichkeit, sondern gerade den Glauben an Gott, das eigentliche Christliche. Oft möchten wir aber gerne sein wie alle und nicht wie die Heiligen. Wir möchten in dieser Welt zu Hause sein und nicht als Fremdlinge gelten. Aber wir sind nun einmal die Gesellschaft Jesu. So wie auf den Tempelgeräten eingraviert war „heilig dem Herrn“ , so ist seit unsrer Taufe unsichtbar auf unsre Stirn geschrieben „heilig dem Herrn“.

Darum dürfen wir nicht einfach alles mit uns geschehen lassen. Viele haben Angst und lassen sich alles gefallen und vergessen dabei, daß sie zu Gott gehören. Wir können aber auch nicht so leben wie die Anderen leben. Schließlich hat Christus uns ja losgekauft von aller Sklaverei und Unfreiheit. Wenn einer im Altertum ein gutes Werk tun wollte, dann kaufte er einen Sklaven und gab ihm die Freiheit: Das Geld wurde im Tempel eines Gottes hinterlegt und davon der Sklave freigekauft. Der ehemalige Sklave galt dann als Freigelassener dieses Gottes. Wir können uns unseren Gott nicht aussuchen, so wie wir auf der Speisekarte das aussuchen, was uns schmeckt. Es gibt vieles, was dem lebendigen Gott zuwider ist, was aber andererseits den Menschen knechtet, der sich ihm verschreibt.

Wir sprechen ja heute noch von einer „Heiden-Angst“ oder einem „Heiden-Respekt“ . Wer Angst hat und unfrei ist gegenüber irgendwelchen bösen Mächten, der wird sich auch immer mehr in alle möglichen Begierden verstricken. Und umgedreht: Wer davon freikommen will, muß bei der Wurzel ansetzen. Ein Alkoholiker ist mit dem Leben nicht fertiggeworden. Früher gab es einen Armutsalkoholismus, dann den Wohlstandsalkoholismus, heute eher einen Problemalkoholismus. Der Alkoholiker flüchtet sich in den Rausch, weil er bestimmte Probleme nicht bewältigt hat, immer wieder Niederlagen erlitten und schließlich in der Hoffnungslosigkeit endete.

Und das gilt von vielen ähnlichen Fällen: Wer nicht lieben kann, wird zum Menschenhasser.? Wer mit dem Tieferen nicht zurechtkommt, wird oberflächlich. Wer das Glück der Liebe nicht kennt, verfällt der sexuellen Zügellosigkeit. Solange zwischen dem Menschen und Gott noch etwas steht, werden auch diese Dinge nicht in Ordnung kommen. Solange wir uns aber bei Gott noch nicht blicken lassen körnen und das Großreinemachen noch nicht stattgefunden hat, sind wir noch unter die Sünde verkauft. Es muß erst etwas passieren, damit wir wieder zu Gott kommen dürfen. Aber dieses ist ja schon passiert durch den Tod Jesu Christi.

Unsre Schuld wird damit nicht verniedlicht, aber Gott räumt das Belastende weg. Er hat es sich viel kosten lasten. Das Kreuz Jesu zeigt uns, wie schrecklich ernst die Sache war. Aber damit hat Gott auch reinen Tisch gemacht. Durch die Taufe hat er uns seine Barmherzigkeit zugewandt. Jetzt sind wir neue Menschen. Da ist es uns doch auch möglich, Gottes Liebe an die Menschen weiterzugeben. Gott wird uns schon die Kraft geben, das Gehörte und Gelernte beharrlich und eifrig in die Tat umzusetzen.

 

 

1. Petr. 2, 4 - 10 (6. Sonntag nach Trinitatis, Variante 1):

In der Kreuzkirche in Frankfurt-Preungesheim hat man im Turm und auf dem Kirchhof die Fundamente einer alten Kirche gefunden. In dem kleinen Dorf Preungesheim gab es eine Kirche, die so bedeutend war wie der Frankfurter Dom. Der Ausgrabungsleiter erläuterte die verschiedenen Entwicklungsstufen des Baus. Besonders beeindruckt war er von einem Stein, der so breit war wie das ganze Fundament. Auf solche Steine hat man also die große Kirche gebaut, gewissermaßen für die Ewigkeit.

Ein Kirchengebäude besteht aus Steinen. Erst muß man die Grundmauern legen, dann werden die Ecksteine aufgerichtet, dann die Mauern und schließlich werden in die Bögen und in das Gewölbe die Schlußsteine eingefügt. Alle Steine sind nötig, alle sind wichtig. Und dann gibt es in der Kirche noch einen Stein, der einem besonderen Zweck dient: der Taufstein.

Die Taufe ist das Thema des heutigen 6. Sonntags nach Trinitatis. Er will uns daran erinnern, daß wir getauft sind und dadurch eingefügt wurden in den Bau der Kirche. Der erste Petrusbrief aber, der eine Art Predigt zur Taufe ist, weist darauf hin: Die Kirche ist nicht nur ein Gebäude aus Stein, sondern sie ist vor allem die Gemeinde, die sich in diesem Gebäude versammelt. Jesus Christus ist der lebendige Eckstein in dieser Kirche. Und auch wir werden durch die Taufe in diesen Bau der Kirche eingefügt und sollen als lebendige Steine ein geistliches Haus bilden.

Für viele unter uns wird die Taufe mehr ein Familienfest sein. Sie hoffen: Gott wird den Täufling durch sein Leben begleiten, ihm beistehen und ihn schützen. Sie denken: Taufe ist nur etwas zwischen dem himmlischen Vater und dem Kind. Sünden werden nur dem Einzelnen vergeben. Er wird zur neuen Kreatur, wenn in der Taufe das in das Ewige hineinragende Leben beginnt.

Taufe ist jedoch Eingliederung in den Leib Christi und das Eingehen in die Gemeinschaft der Kirche. Die Gemeinde ist das „geistliche Haus“. Deshalb gehört die Taufe an sich in den Gottesdienst der Gemeinde hinein. Die Gemeinde soll erfahren, wer jetzt neu zu ihr gehört. Und die Familie soll wissen, daß ihr Kind jetzt ein Teil in dem Bau der Kirche wird. Deshalb legt die Kirche ja auch Wert darauf, daß die Taufe im Kirchengebäude stattfindet, nicht unter einem Apfelbaum oder an einem sprudelnden Bach. So wollte es schon in den zwanziger Jahren eine jugendbewegte Familie, aber wegen Regen mußte man doch in die Kirche. Taufe im Freien ist nicht verboten, aber sie sollte nicht die Regel sein.

Die Gemeinde ist ein geistliches Haus,

-           erbaut auf Christus den Grundstein und Eckstein,

-           gebaut aus lebendigen Steinen und

-           gebaut für den Dienst des Volkes von Priestern.

 

1. Die Kirche ist erbaut auf den Grundstein und Eckstein Christus:

Haus ist mehr als ein Dach über dem Kopf. Haus bedeutet, eine Heimat zu haben, eine Verbindung zum Land und zu einem bestimmten Ort zu entwickeln, Wurzeln zu haben. Haus bedeutet aber auch Familie und Nachbarschaft, Lebensgemeinschaft und In-Verbindung-treten mit anderen.

Jesus hat das Haus seines Vaters - den Tempel in Jerusalem - durchaus hoch geschätzt und ihn täglich besucht. Auch die urchristliche Gemeinde hat sich zunächst dort versammelt. Aber Christus und seine Gemeinde ist mehr als der Tempel. Mit Christus beginnt ein ganz neuer Gottesdienst. Wo er ist, da ist auch Gott, und die Gemeinde, die er aufbaut, ist der neue Tempel.

Diese neue Gemeinschaft trägt sich aber nicht selbst, sie lebt nicht von ihrer eigenen Anziehungskraft und den gemeinsamen Interessen ihrer Mitglieder. Dieses Haus beruht vielmehr auf einem starken Fundament und auf einem starken Eckstein. Andere mögen ihn für unwichtig gehalten und weggeworfen haben. Aber für Christen wird er ein Stein an hervorragender Stelle.

Und auch die einzelnen Steine in dem Bau werden aufgewertet: Fühlten wir uns vorher vielleicht klein und unbedeutend, durch die Taufe werden wir ein wichtiger Stein in dem Bau der Kirche. Selbst die ganz kleinen Steine, die man früher in die Fugen geklemmt hat, sind wichtig für die Standfestigkeit des Hauses.

 

2. Die Kirche ist gebaut aus lebendigen Steinen:

Steine sind Inbegriff der unbelebten Materie, des Standhaften und Beständigen. Was versteinert ist, überdauert Jahrtausende. In Stein gemeißelte Schrift bleibt über Jahrhunderte erhalten. Ein Baustein für sich genommen ist nahezu nichts, wie sorgfältig und perfekt er auch behauen sein mag. Nur im Verband mit den anderen Steinen gewinnt er Sinn. Nur der Aufbau des Ganzen gibt dem einzelnen Stein seine Aufgabe, seine Bestimmung, seinen Wert. Wir können uns das an unserem Gotteshaus verdeutlichen: Ein Stein gehört zur Umfassungsmauer und schützt vor den Einwirkungen des Wetters oder des Lärms. Ein anderer Stein gehört zum Pfeiler und trägt die Last des Gewölbes. Ein anderer Stein ist Bodenplatte oder Stufe. Jeder Stein wird von anderen getragen und gehalten.

Das gilt auch für die Gemeinde: Vielleicht fühlen wir uns in der Kirche auch nur als so ein Platte, auf der alle herumtrampeln. Aber im Ganzen des Baues sind wir unentbehrlich. Wo wäre ich mit meinem Glauben, gäbe es die anderen nicht, die ihn mir vermittelt haben, ihn verständlich und ins Leben umgesetzt haben und die ihn auch in Anfechtungen mit durchgetragen haben? Aber ich selber trage auch andere mit, sie brauchen mich, sie sollen an mir Halt haben. Wenn die Konfirmanden einen Freund mitbringen, wenn Nachbarn ein Trauerhaus besuchen, wenn Kranke nicht allein bleiben, wenn man Probleme miteinander berät, wenn man Feste miteinander feiert, dann wird dieses Gebäude mit Leben erfüllt.

Das Gotteshaus ist nicht an sich selbst heilig. Es ist nur ein heiliger Ort, weil hier der Gottesdienst stattfindet, weil Menschen getauft werden, Paare getraut werden und Gestorbene in die Ewigkeit verabschiedet werden. Das Gotteshaus ist nur die Hülle für all das. Das neue Israel ist nicht angewiesen auf den Tempel oder eine Kirche als sichtbares Zentrum, sondern die Gemeindeglieder selbst sind die lebendigen Steine, die zu einem geistlichen Haus zusammengefügt sind, weil Christus selbst das Fundament und der Eckstein ist.

Aber wir brauchen auch den ganz bestimmten Ort, an dem wir Gott nahe sein können. Sicher kann das auch ein Wohnzimmer oder ein Bürgerhaus sein. Wo es nichts anderes gibt, muß man halt darauf zurückgreifen. Aber wir dürfen auch dankbar sein, wenn wir eine schöne Kirche haben, in der wir uns versammeln können und unsere Gedanken sammeln können für Gott. Und wenn uns das gelungen ist, dann können wir auch den Glauben hinausgetragen in die Welt. Nur so ist eine Kirche wirklich lebendig.

Alle Wasser dieser Welt können Taufwasser werden. Aber sie sind es nur dort, wo sie wirklich für die Taufe benutzt werden. Und selbst wenn wir Wasser aus dem Jordan für die Taufe verwenden, so ist das doch nichts anderes als unser Leitungswasser. Die äußeren Zeichen gehören schon dazu. Aber erst wenn wir sie sinngemäß gebrauchen, haben sie eine höhere Bedeutung.

Wo Menschen zu dem Grundstein Christus kommen, entsteht Kirche. Wenn man durch die Taufe zu Christus kommt, wird ganz von selbst ein Haus daraus. Das persönliche Verhältnis zwischen Christus und dem Einzelnen wird damit nicht geleugnet.

Aber zu diesem Verhältnis kommt es nur innerhalb der Kirche. Indem Christus uns mit sich verbindet, verbindet er uns zugleich mit denen, die ebenfalls zu ihm gehören, auch wenn diese uns vielleicht gar nicht gefallen und uns Mühe machen.

Wir selber wurden ja auch aus der unübersehbaren Vielzahl der Menschen ausgewählt, ohne unser Verdienst. Durch die Taufe wird man ein unverwechselbarer Mensch mit einem bestimmten Namen und kann von Gott und den Menschen gerufen werden.

Aber Christus hat uns an sich gezogen, ohne dadurch die anderen abzustoßen. Er will nicht nur fromme Einzelne, sondern er will Kirche, in die wir durch die Taufe hineinkommen. So ist die Gemeinde wie ein Mosaik: Der Einzelne ist nur auf eine kleine Fläche begrenzt. Aber in der Gemeinschaft mit anderen entsteht ein schönes Bild.

Durch die Taufe wird auch ein unscheinbarer grauer Stein zu einem wertvollen Glied der Gemeinschaft. Das gibt dann auch untereinander neue Energie und die Gewißheit des Gehaltenseins.

Die schöne Architektur einer Kirche, ihr Ausstattung und ihre Lage, rühmt Gott. Aber auch wir als die „lebendigen Steine“ sollen Gott mit unserem Leben rühmen. Es geht nicht nur um eine formale Mitgliedschaft, sondern die Zugehörigkeit zur Kirche hat Folgerungen für den Alltag der Christen. Wenn wir einen Gottesdienst versäumen, versagen wir Gott den Lobpreis und verschließen uns der Zuwendung Gottes, die er seinem Volk und auch jedem Einzelnen von uns zuwendet.

 

3. Die Kirche ist gebaut für den Dienst des Volkes von Priestern:

In dieser Kirche sind wir alle Priester. Das bedeutet nicht, daß das spezielle Amt in der Kirche damit abgewertet wird. Wir brauchen auch Menschen, die für diesen Dienst freigestellt sind. Aber all die anderen nehmen das der ganzen Gemeinde gegebene Amt schon dadurch wahr, daß sie am Gottesdienst teilnehmen. Sie eröffnen den Zugang zu Gott, indem sie vor Gott erscheinen. Sie tun etwas für andere und schalten sich damit in die priesterliche Fürsprache und Fürbitte Christi mit ein. Sie sind immer Priester für andere. Sie bitten für die, die nicht mehr beten können. Sie opfern sich und vergegenwärtigen damit das Opfer Christi. Sie verkündigen aber auch, indem sie die großen Taten Gottes weit hinaus in die Welt preisen.

 

 

1. Petr. 2, 1 – 10 (6. Sonntag nach Trinitatis, Variante 2)(Schwerpunkt auf Vers 1 und 2):

Es wird in unserer Zeit immer mehr zum Problem, was mit dem vielen anfallenden Müll werden soll. Kein Mensch ist begeistert, wenn sich hinter seinem gepflegten Garten oder in der Nähe seiner Wohnung eine Müllhalde auftürmt. Noch schlimmer ist es mit den wilden Müllkippen, wo Dosen und Scherben, Asche und alte Kinderwagen stillschweigend vor sich hin verwittern. Vielfach liegt das Zeug genau unter dem Schild „Schutt abladen verboten“.

Was würden wir aber sagen, wenn wir eines Tages an unserer Kirchentür das Schild lesen könnten: „Schuttabladen erwünscht!“? Einige würden das sicher als bösen Scherz auffassen und das Schild sofort entfernen (- und hoffentlich in die Mülltonne tun und nicht irgendwo hinwerfen).

Gewiß wollen wir keinen Unrat vor der Kirche. Aber eine andere Art von Müll können wir hier abladen. Der erste Petrusbrief spricht davon: „Leget ab alle Bosheit und allen Betrug und Heuchelei und Neid und üble Nachrede!“ Dieser irrere Unrat kann unsere Umwelt genauso verschmutzen wie der richtige Müll. Deshalb kommt es darauf an, ihn nur an der dafür vorgesehenen Stelle abzuladen. Die Kirche aber ist diese Stelle.

Wer in eine Kirche kommt, darf alles mitbringen, was ihn beschwert und bedrückt, was ihm die gute Laune nimmt und mitunter auch die Sicht versperrt. Er darf der Ehekrach und die Erziehungsschwierigkeiten mitbringen, alles Unbeherrschte und Verfehlte, Unehrlichkeit und Verstellung, giftige Gedanken gegenüber dem Mitmenschen und das feige Lästern hinter seinem Rücken. All das darf man in der Kirche ablegen und muß es nicht wieder mit nach Hause nehmen und bis in alle Zukunft mit sich herumschleppen.

Jeder weiß, daß das aber trotz allem nicht so leicht ist. Manche Fehlleistung bei uns hat sich tief festgesetzt. Einen Mantel, der dreckig und speckig ist, kann man leicht ablegen. Aber eine üble Nachrede hängt dem anderen an wie eine Klette. Oder das Leid, das ich einem anderen zugefügt habe, sitzt tief bei ihm. Dennoch duldet der 1. Petrusbrief keinen Aufschub. Er sagt uns: Legt j e t z t alles ab, was euer Leben erschwert, damit Platz wird für Neues und Besseres. Hier ist die Gelegenheit dazu, von dem allem frei zu werden.

Dennoch wird mancher sagen: Wie macht man das? Wie kriegt man das wieder aus seinem Leben heraus, was sich festgeklemmt hat? Eine immer wieder bewährte Möglichkeit ist das Aussprechen. Dazu gehört zwar auch Mut, aber es hilft. Einen Menschen dafür dürfte eigentlich jeder finden. Und schließlich stehen ja auch die Pfarrer unserer Kirche für diesen Dienst bereit, auch an einem fremden Ort, den jemand jetzt vielleicht in seinem Urlaub aufsucht.

Wir können es auch Jesus selber sagen im Gebet, indem wir etwa sprechen: Ich bringe dir da wieder allerhand, was mein Leben entstellt. Ich war feige, ich war falsch, ich war eigennützig. Ich wollte es nicht, aber es ist doch geschehen. Viele halten mich für besser als ich bin. Aber vor dir möchte ich nichts vertuschen. Laß nicht zu, daß ich so weiterlebe. Laß mich nicht

auf meiner Schuld sitzen!

Auf diese Art und Weise kann man ein neuer Mensch werden, ein „Wiedergeborener“, wie es in der Bibel heißt. Ein Christ ist wie ein großes Kind: Nichts von Verstellung und Verschlagenheit, keine Sucht nach Selbsterhöhung, indem man. den anderen hinter seinem Rücken vernichtet. Ein Christ ist arglos und ohne Berechnung und sucht nur das Gute zu erkennen und zu verwirklichen.

Ein kleines Kind hat immer Hunger. Es ist triebhaft gierig nach seiner Milch. So aber sollten wir auch verlangen nach dem, was Christus für uns getan hat. Er bringt uns seine Liebe und Freundlichkeit entgegen, also etwas, das jeder Mensch zum guten Wachsen und Gedeihen braucht. Und zunehmen sollen wir ja auch noch, so wie das bei einem Säugling ja auch sein soll.

Bei solchen Menschen spürt man dann schon in Beruf und Familie, daß dort ein guter Ton vorherrscht. Man sieht es schon einem Gesicht an, ob dieser Mensch mit der Rute erzogen wurde oder mit Verständnis und Zuwendung. Wie einer von seiner Arbeit heimkehrt und wie er von seiner Arbeit erzählt, das zeigt schon, ob ein freundliches Arbeitsklima vorherrscht.

Alle könnten und sollten solche Menschen sein, denen man abspürt: Die haben einen freundlichen Herrn und sind deshalb selber auch freundlich. Dieser Jesus ist nicht nur eine Verzierung in ihrem Leben, nicht nur ein untauglicher Stein, der mit dem Bauschutt wieder abgefahren wird, sondern der Eckstein, auf dem sich ihr Leben aufbaut. Diese Christen haben einen neuen Standort, der sie so freundlich zu den Menschen sein läßt.

Zu Jesus gehören, das bedeutet aber auch eine neue Aufgabe. Alle Christen sind Priester, die sich bei Gott für andere einsetzen. Wenn wir hier am Gottesdienst teilnehmen, dann ist das nicht eine Angelegenheit unseres frommen Bedürfnisses. Vielmehr erscheinen wir hier vor Gott und bitten gewissermaßen um eine Audienz, damit wir unsere Anliegen vorbringen.

Aber unsre Anlieger sind nicht nur unsere höchst privaten Dinge, sondern auch die Anliegen anderer Menschen. Wir können anderen auch Gutes tun und damit nach dem Willen Gottes handeln, indem wir ganz praktisch ihnen helfen. Aber hier wird uns gesagt, daß wir auch durch unser Erscheinen vor Gott für andere da sein können.

Auch in der Liturgie des Gottesdienstes „tun“ wir etwas. Das Gebet ist die Arbeit der Herzen. Das Fürbittengebet am Schluß des Gottesdienstes ist deshalb nicht zu lang. Hier versuchen wir ja etwas in Bewegung zu setzen und anderes abzuwenden. Wir könnten uns ja einmal überlegen, wer es alles nötig hat, daß wir uns an höchster Stelle zu seinem Anwalt machen.

Es gibt nämlich auch ein stellvertretendes Einstehen für solche, die aus irgendwelchen Gründen nicht selbst zu Gott kommen können. So wie Eltern für ihre Kinder und Paten für die Täuflinge beten, so betet auch die Gemeinde für einzelne Menschen, für bestimmte Gruppen und für die ganze Welt.

Christen sind sogar Priester, die opfern. Wir haben etwas Hemmungen so zu sprechen, weil wir ja wissen, daß durch den Opfertod Jesu alle menschlichen Opfer überflüssig geworden sind. Aber hier ist ja die Rede von „geistlichen“ Opfern, wo der Mensch nicht irgendetwas gibt, sondern sich selbst.

Ein Pfarrer hatte einmal in einem Gottesdienst von dieser Art Opfer gesprochen. Ein junger Mann ging nachdenklich auf den Ausgang der Kirche zu. Er überlegte sich: Was soll ich opfern? Eine Mark oder zehn oder mein ganzes Geld? Der Kirchendiener hielt ihm die Kollektenschale hin. Der junge Mann sagte: „Halt sie tiefer!“ Der Mann tat es. „Noch tiefer!“ befahl der junge Mann. Der Kirchendiener schüttelte den Kopf. „Immer noch tiefer!“ hörte er den jungen Mann sagen. Da stellte er sie auf den Boden. Und der Mann trat mit beiden Füßen in die Schale und sagte „Ich muß mich ganz hingeben und nicht nur etwas von mir!“ So wird alles, was wir sind und tun, wenn es „in Christus“ geschieht, zur Hingabe an Gott: Unser Gehorsam und Dienst für Gott, unser Loben und Bekennen, unsere Kollekte und das Zufassen und auch unser Leiden.

Wenn heutzutage einer kommunistischen Partei angehört, dann hat er sich ihr ganz und gar verschrieben. Sein ganzes Handeln und sogar sein Denken erhält von daher seine Richtung. Und jedes Mitglied ist zugleich verpflichtet, ein Propagandist zu sein und immer und überall den Standpunkt der Partei zu vertreten.

Gleiches aber erwartet auch Christus von uns. Alle Christen sind Priester, die Gottes Wort verkündigen. Das ist die „Frucht der Lippen“, die von uns erwartet wird. Kein Christ darf für sich behalten, was Gott an ihn gewendet hat. In manchen katholischen Wallfahrtsorten findet man in den Kirchen kleine Tafeln angebracht, auf denen Menschen ihren Dank für die Errettung aus einer Not zum Ausdruck bringen.

Das aber ist nur eine Form, es gibt roch viele andere Möglichkeiten der Verkündigung. Die Gemeinde wird nicht mundtot gemacht, sondern ihre Aufgabe ist es, Gottes Ruhm weiterzusagen. Hier innerhalb der eigenen Mauern wird das Weitersagen eingeübt. Aber die Anwendung kann nur draußen geschehen.

 

 

 

1. Petr 2, 21 b - 25 (Miserikordias Domini):

„Wie du mir, so ich dir!“ lautet ein Sprichwort. Das ist eine altbekannte Lebensregel, nach der wir üblicherweise handeln: Wenn der Nachbar das Paket nicht angenommen hat, dann werde ich es auch nicht tun, wenn er einmal nicht da ist. Oder wenn einer etwas Nachteiliges über mich erzählt, dann packe ich auch die alten Sachen wieder aus, die ich ihm anhängen kann.

Auch im Zusammenleben der Völker ist das so. Sie kämpfen oftmals um Grenzen und Provinzen mit dem Kampfruf: „Recht muß doch Recht bleiben!“

Sie geben Unsummen für die Rüstung aus in der wahnsinnigen Vorstellung: „Wir wollen doch einmal sehen, wer hier der Stärkere ist!“ Hat der eine große Raketen, dann muß sich der andere nicht nur auch solche Raketen besorgen, sondern gleich auch noch ein paar kleinere zusätzlich. Dann meint aber auch der andere, nun nachziehen zu müssen: Er legt sich auch solche kleineren Raketen zu, die aber gleich wieder „verbessert“ und wirkungsvoller sind. Alle aber schreien: „Das Gleichgewicht muß doch gewahrt werden, sonst haben wir keine Sicherheit!“

„Undank ist der Welt Lohn!“ sagt ein anderes Sprichwort. Da hat sich zum Beispiel einer sehr um das Wohl seiner Mitmenschen verdient gemacht und nur für diese Aufgabe gelebt. Aber dann ändert sich auf einmal der Kurs und er wird mehr oder weniger sanft davongejagt. Andere kommen ans Ruder, die nichts mehr von jenen Verdiensten wissen, und bald ist alles vergessen.

Oder da haben Eltern alles Mögliche für ihre Kinder getan, haben ihnen alles geboten und alles erlaubt. Aber solche Kinder sind oft die Ersten, die auf die Eltern schimpfen und ihnen mehr oder weniger ins Gesicht schlagen. So sieht dann ihr Dank aus!

Jesus Christus hat eine andere Spur getreten. Das hat ihm freilich den Karfreitag eingebracht. Er hat die Sünde der Welt spüren müssen, als man ihn schmähte und beschimpfte, als man ihn auspeitschte und umbrachte. Aber er ließ sich nicht in dieses Schema der Vergeltung und Wie­dervergeltung hineinzwängen. Er hat nicht wiedergescholten, als er gescholten wurde. Er hat nicht gedroht, als er litt. Jüdische Märtyrer riefen laut zweitem Makkabäerbuch sterbend nach der Strafe für ihre Mörder. Jesus aber hat das Gericht seinem himmlischen Vater überlassen. Dem Bösen hat er die Vergebung entgegengesetzt und damit ein neues Gesetz in der Welt aufgestellt.

Wenn Jesus gelitten hat an den Zuständen der Welt von damals, an dem Versagen der Menschen und dem Undank der Welt, dann braucht es uns nicht zu wundern, wenn es uns ähnlich ergeht. Wir werden ja aufgefordert, ihm nachzufolgen und zu gleichem Leiden bereit zu sein.

Jesus hat uns ein Vorbild hinterlassen. Ursprünglich ist damit die Schreibvorlage gemeint. Wir können an einen Lehrer denken, der in gestochener Schrift einen Buchstaben an den Anfang einer Zeile schreibt, den dann der Schüler nachmalen soll. Oder wir können an ein Muster denken, auf das durchscheinendes Papier aufgelegt wird, so daß man die Linien nachziehen kann. Als Christen ziehen wir immer die Linien nach, die der Herr uns vorgeschrieben hat. Sein Vorbild hat mitreißende Kraft für uns.

Wir können uns auch das Bild von den Fußstapfen gut vorstellen. Im Winter stapft ein Vater durch den hohen Schnee, sein Sohn folgt ihm. Der Vater macht mit Absicht kleine Schritte, damit der Sohn auch in die Fußstapfen treten kann und ihm nachfolgen kann. Der Sohn wird klugerweise hinter dem Vater hergehen und sich nicht damit abmühen, eine neue Spur zu treten. Und wenn der Schnee dann zu hoch wird und die kleinen Beine ermüden, dann nimmt der Vater auch das Kind auf die Schultern und trägt es.

Der Petrusbrief drückt das in einem anderen Bild aus: Er spricht vom guten Hirten! Der gute Hirte stellt sich schützend vor seine Schafe und geht selbst einem einzelnen verirrten Schaf nach und nimmt das ermattete Tier auf die Schultern und trägt es heim zur Herde.

So hat auch Jesus für uns gearbeitet und gelitten. Er trägt uns auf seinen Schultern, wenn wir nicht mehr können. Und er lädt auch all das auf seine Schultern, was uns das Leben so schwer macht: unsre Ungeduld, unser Rechthabenwollen, unseren Selbstbetrug. Auch diese Last hat Jesus fortgetragen. Er hat sein Leben gegeben, damit wir leben können. Erst waren wir wie die irrenden Schafe. Aber jetzt haben wir einen, der für uns sorgt.

Leider aber zeigen wir nicht die nötige Dankbarkeit ihm gegenüber. In unserem menschlichen Zusammenleben gibt es manchmal ziemliche Spannungen und Zerrungen. Und wenn wir bessere Christen wären, dann würden wir sicherlich noch öfter anecken. Denken wir an die Sekretärin, die es ihrem Chef gegenüber ablehnt, am Telefon zu lügen. Hier lassen sich Widersprüche nicht vermeiden.

Wie werden solche Meinungsverschiedenheiten und Spannungen in der Regel ausgeglichen? Nach dem Grundsatz der Vergeltung! Das ist wie bei einer altmodischen Waage: Wenn mir einer etwas Gutes getan hat, dann wird meine Seite der Waage belastet und ich muß es wieder ausgleichen, indem ich ihm auch etwas Gutes tue. Wenn er mir aber Böses angetan hat, dann wird seine Seite belastet und ich muß es ihm wiedervergelten, damit wir quitt sind.

Jesus war da anders. Den Heuchlern hat er zwar auch ohne Scheu die Meinung gesagt; wenn es um Gott ging, war er unerbittlich und hat nicht mit sich rechten lassen. Aber als die Stunde des Leidens gekommen war, da blieb er still und duldete alles ohne Widerrede. Sein letztes Gebet war eine Bitte für seine Feinde. Mit solch geduldigem Leiden hat er die Welt überwunden. Er hat aufgehört mit dem Gesetz: „Auge um Auge, Zahn um Zahn!“ Wenn aber erst einmal e i n e r bewiesen hat, daß es geht, dann ist es auch für andere möglich.

Jesus hat die Gasse geöffnet, durch die wir zu solcher Freiheit finden. Keiner darf vorschnell aufgeben, indem er sagt: „Die Welt ist nun einmal so!“ Vielmehr soll er sich an das halten, was Christus „vor-geschrieben“ hat, wie der Lehrer, der den ersten Buchstaben als Muster hinschreibt. Je mehr wir Jesus vor Augen haben, desto öfter werden wir die Freiheit erfahren, die er uns vorgelebt hat und die er uns auch schenken will.

Das heißt aber: Jesus entlastet uns. Allerdings denkt der Petrusbrief da zuerst an die Entlastung von Sünden. Er ist ja an Sklaven gerichtet, und die werden wohl zunächst an eine andere Befreiung gedacht haben. Aber sie haben dann doch ihr Christsein gezeigt, indem sie Gutes taten an ihrer nichtchristlichen Umwelt. Und dabei blieben sie auch unbeirrt, auch wenn ihnen Unrecht geschah. Als Sklaven waren sie dennoch frei.

Nichts in der Welt ist so schlimm wie dies, daß wir Sünder sind. Ein belastetes Gewissen, ein verfehltes Leben, ein zerrüttetes Gottesverhältnis, ein böses Schuldkonto - das ist schlimmer als eine bescheidene soziale Stellung und ein bescheidenes Einkommen, schlimmer auch als eine angeschlagene Gesundheit und sogar schlimmer als unser körperlicher Tod.

Der letzte Grund für unsere Unfreiheit ist unsere Schuld. Damit können andere uns erpressen und sagen: „Ich habe es in der Hand, dein Konto aufzudecken!“ Mancher kann nur seine Herrschaft aufrechterhalten, weil er mit der Schuld der Beherrschten operiert. Jesus aber hat unsere Sünde an seinem Leib auf das Holz getragen. Er legt nicht Lasten auf, sondern er befreit. So begründet er sein Hirtenamt, das uns allein zugutekommt.

Er zieht das auf sich, was uns das Leben und die Seligkeit kosten würde. Was uns belastet, können und sollen wir ihm lassen, damit er es wegträgt. Danach kann es uns leichter werden, denn nun spricht nichts mehr gegen uns. Der Hieb, der uns galt, hat ihn getroffen. Darin hat er sich als unser guter Hirte erwiesen.

Nun dürfen wir uns zu ihm hinwenden und werden uns bei ihm geborgen fühlen dürfen. Es hat manche Stunde des Abirrens gegeben, die noch lange wie eine Zentnerlast auf uns liegt. So etwas gibt es auch, wo es oberflächlich gesehen an nichts fehlt, wo man sogar fromm und freundlich zu sein scheint. Aber das ist nun alles vergangen, nun dürfen wir uns ganz dem guten Hirten zuwenden und uns von ihm beschützen und helfen lassen. Das letzte Wort ist immer die Zusage der Barmherzigkeit des Herrn. Das dürfen wir glauben. Aber wir werden es nur glauben, wenn wir immer wieder auf sein Wort hören und uns im Gebet an ihn wenden. So werden wir erfahren, daß er lebendig ist und auch heute unser guter Hirte ist. Und wer Jesus Christus als dem guten Hirten erfahren hat, der wird auch für andere Menschen zu einem guten Hirten.

 

 

1. Petrus 3, 8 - 15 a (4. Sonntag nach Trinitatis):

Nach einer Kurve war ein Motorradfahrer verschwunden. Ein junger Mann, der das mitgekriegt hatte, suchte ihn im hohen Gras. Er hob die Maschine von ihm herunter und verständigte einen Arzt. Als sich der Motorradfahrer aber berappelt hatte und aufgestanden war, fing er an zu schimpfen, als er aber die Polizei sah, die der Arzt noch verständigt hatte. Es stellte sich nämlich heraus, daß er betrunken war und deshalb das Motorrad nicht mehr in der Gewalt hatte.

So kann eine gut gemeinte Hilfe falsch verstanden werden und zu heftiger Kritik führen. Aber das darf dennoch nicht dazu verführen, in einem solchen Fall gleichgültig weiter zu fahren. Vernünftige Menschen sehen das auch anders. Und auch Gott wird so eine Sache anders beurteilen. Wir fragen ja nicht nach dem, was die Leute zu unserem Handeln sagen, sondern nach dem, was Gott dazu sagt. Gott kennt unsre Gedanken, ob wir es nun gut oder böse gemeint haben.

Im 1. Petrusbrief heißt es dazu: „Laßt den Herrn Christus in euren Herzen heilig sein!“ Es geht dabei aber nicht um eine innere Herzensfrömmigkeit, so daß wir nur im stillen Herzenskämmerlein fromm sind, sondern der Glaube will und soll nach außen. Deutlich wird das, wenn das Wort „Herz“ durch „Leben“ ersetzt wird: „Heiligt den Herrn Christus in eurem Leben!“

Doch die hier aneinandergereihten Ermahnungen könnten auch im Sinne einer allgemein-menschlichen Anstandslehre verstanden werden. Man hat dem 1. Petrusbrief eine gewisse kleinbürgerliche Enge nachgesagt, eine nicht weiter aufregende Allerweltsethik. Was hier steht, könnte man sich für jede menschliche Gemeinschaft wünschen, das ist alles nicht besonders christlich, aber es wird leider gerade unter Christen oft vermißt.

Auch als Christen müssen wir uns diese Mahnungen durchaus sagen lassen, denn wir müssen immer erst w e r d e n, was wir nach Gottes Willen eigentlich schon sind. Gehen wir die Stichworte vom Anfang einmal einzeln durch.

Gleichgesinnt: Wir sind zwar verschieden, denn wir haben unterschiedliche Gaben, aber unser Blick ist doch gerichtet auf das Eine, das uns als Menschen und Christen zusammenbindet.

Mitfühlend: Wir sind nicht nur mit uns selbst beschäftigt, sondern nehmen das mit ins eigene Herz hinein, was den anderen bewegt.

Brüderlich: Wir kommen alle von dem gleichen Vater und sind gewissermaßen eine Familie, die sich gegenseitig beisteht.

Barmherzig: Wir haben eine Liebe, die sich den anderen nahegehen läßt, die innerlich Anteil an ihm nimmt und alles zu seinem Besten wendet.

Demütig: Jeder denkt maßvoll von sich und achtet den anderen höher als sich selbst und kommt ihm mit Ehrerbietung zuvor.

Was uns dabei zusammenbindet, ist nicht das Liebenswerte und Faszinierende am anderen Menschen, sondern die Tatsache, daß wir miteinander zu Christus gehören und deshalb das Liebenswerte in ihn hineinsehen und hineinbringen. Das wird besonders wichtig im Kon­flikts­fall, wenn unsre Liebe nicht angenommen, sondern geschmäht wird, wenn nicht nur Böses mit Bösen vergolten wird, sondern auch Gutes mit Bösem.

Unsre Aufgabe ist es dann, das uns allen selbstverständliche „Reaktionsgesetz“ zu durchbrechen, das sich in solchen Redensarten ausdrückt wie „Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus“ oder „Wie du mir, so ich dir“ oder „Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil“ oder gar „Wer Wird sät, wird Sturm ernten“. Diese Überzeugungen brauchen wir nicht zu lernen, die liegen in uns allen drin.

Manche Menschen meinen auch, solche Regeln seien unerläßlich für die Selbsterhaltung und Selbstbehauptung. Und manche Eltern sagen das schon ihren Kindern so, ehe sie in den Kindergarten kommen. Muß man nicht sein Recht erstreiten, wenn man im Recht ist? Verlangt Druck nicht Gegendruck, damit nicht alles ins Wanken kommt?

Doch dieses Reaktionsgesetz ist Zeichen der unvollkommenen Welt, der „sündigen Welt“, wie die Bibel sagt. Feindschaft wird mit Feindschaft bekämpft, Rüstung mit Gegenrüstung, ein diplomatischer Zwischenfall mit Krieg. Die entsprechenden Beispiele (aus ….. und …..) werden uns täglich ins Haus geliefert.

Aber auch in unserem persönlichen Leben ist es nicht anders. Die Geschichte mancher Ehe oder Hausgemeinschaft zeigt diesen Teufelskreis, den Schiller so formuliert: „Das ist der Fluch der bösen Tat, daß sie fortzeugend Böses muß gebären!“ Natürlich juckt es auch uns in den Fingern, wir möchten auch so reagieren wie die anderen. Wir verspielen viele Möglichkeiten christlichen Lebens: Einmal trennen wir uns zu stark von der Welt, das andere Mal passen wir uns ihr zu sehr an. Wir haben einen Mangel an Liebe zu den Menschen, unter denen wir leben. Und wir haben einen Mangel an Vertrauen zu dem Gott, der uns sein Gutes schon mitten in dieser Welt zuwenden möchte.

Doch wenn ich mir nichts gefallen lasse und dafür mit gleicher Waffe zurückschlage, mache ich mich von dem anderen abhängig. Wenn ich sage: „Dem habe ich es aber gegeben!“ dann genieße ich zwar meine Schlagfertigkeit, aber in Wirklichkeit war ich nur Echo oder Spiegelbild. Scharfwerden und Poltern verrät meist die Angst. Ein Tier wird gefährlich, wenn es Angst hat, es kratzt und schlägt aus.

Mit Jesu Gebot, auch die Feinde zu lieben, wird dieser Teufelskreis aufgebrochen. Dann schaltet sich in das Spiel der Kräfte die schöpferische Liebe ein, die nicht mehr auf Schmähungen reagiert, sondern auf den segnenden Gott. Weil Gott mir Gutes zuspricht, macht mich dies heute schon fähig, anderen Gutes zuzusprechen und sie zu segnen.

Es könnte ja auch sein, daß denen, die uns angreifen und herausfordern, doch etwas aufgeht davon, weshalb wir anders sind als sie und andere. Dann werden sie vielleicht doch aufmerksam und fragen: „Warum verhältst du dich so anders?“ Und wenn wir dann sagen: „Ich tue das im Gehorsam gegen Gott!“ dann haben wir so ganz nebenbei die frohe Botschaft Gottes weitergesagt

Wer sich aber auf den Weg des Gewaltverzichts einläßt, muß auch bereit sein, Leiden auf sich zu nehmen. Das muß nicht heißen, daß man gleich eingesperrt und gefoltert oder gar getötet wird. Aber leiden muß man auch, wenn man nicht ernst genommen wird, wenn man als Träu­mer bezeichnet wird, dem der Blick für die Wirklichkeit fehlt, wenn man abgewertet und ins Abseits gestellt wird.

Aber das Leiden ist oft die einzige Möglichkeit, das Dschungelgesetz dieser Welt zu durchbrechen. Der Petrusbrief meint zwar zunächst: „Wer könnte euch schon schaden, wenn ihr dem Guten nacheifert?“ Aber dann räumt er doch ein: „Und wenn ihr auch leidet um der Gerechtigkeit willen, so seid ihr doch selig!“ Aber wer das alles auf sich nimmt, der hat einen Schritt nach vorne gemacht.

Kann man wirklich so leben? Der gesunde Menschenverstand sagt „Nein““. Wo kämen wir denn hin, wenn es nur noch nach den Lehren Jesu oder den Vorschlägen des Petrusbriefes ging? Die Ordnungen der geschaffenen Welt werden nicht weggefegt.

Aber mit einem Fuß steht das Neue bereits im Alten, das Zukünftige ist bereits in der Gegenwart wirksam. Gott ist noch lange nicht am Ende seiner Wege und Gedanken. Christen sind dabei Eiferer für das Gute. Sie zucken nicht mit den Achseln und sagen: Das ist nun einmal der Lauf der Welt und damit muß man sich abfinden. Man kann die Welt nicht mit der Bergpredigt regieren!“ Vielmehr setzen sie die ganze Kraft ihres Herzens und Willens ein. Sie geben nicht klein bei.

Aber sie hüten ihre Zunge und wenden sich vom Bösen zum Guten. Sie suchen Frieden und jagen ihm nach. Wir wissen natürlich, daß die Kirche in Kriegszeiten um den Sieg der eigenen Waffen gebetet hat, sie vorher (zum Teil) auch gesegnet hat. Selbst vor dem Abwurf der ersten Atombombe hat ein Pfarrer um das Gelingen des Unternehmens gebetet. Heute sehen wir das anders. Da wissen wir: Wir können nicht darauf warten, daß der Frieden vom Himmel fällt. Man muß ihm hinterherlaufen, ihn entdecken und sich anstrengen.

Das Problem dabei hat der russische Kinderbuchautor Marschak beschrieben. Er beobachtete sechs- bis siebenjährige Kinder, wie sie Krieg spielten. Er spricht sie an: „Wie kann man nur Krieg spielen? Ihr wißt doch sicher, wie schlimm Krieg ist. Ihr solltet lieber Frieden spielen!“ Die Kinder halten das für eine gute Idee, beraten, tuscheln miteinander. Dann tritt eines der Kinder vor und fragt: „Väterchen, wie spielt man Frieden?“

Das ist wirklich das Problem, daß wir oft nicht wissen, wie man Frieden hält oder schafft. Wo aber Menschen nichts Böses sagen oder tun, sondern dem Frieden nachjagen, lieber Unrecht leiden als Unrecht tun, da wird es besser in unsrer Welt. Hauptsache ist, daß wir Gottes Willen tun, alles andere können wir getrost ihm überlassen.

Der hier fordert und zugleich erfüllen hilft, ist Jesus Christus. Er hat auf sein Recht verzichtet und ist am Kreuz gestorben. Wer ihm im Glauben und in der Liebe nachfolgen will, der wird den gleichen Weg gehen müssen. Wer aber weiß, daß Gottes Auge die Gerechten sieht, der wird auch durch die Kränkungen nicht aus der Bahn geworfen, die Menschen ihm zufügen. Unser Heil oder Unheil hängt nicht von den Menschen ab, sondern unser Glück hängt allein von Gottes Schutz ab. Wir lassen uns nie von der Angst, sondern von dem Willen unseres Herrn bestimmen.

 

Zusatz:

Eins gilt aber doch wohl für alle Menschen: Sie wollen glücklich werden! Doch wie macht man das? Wer glücklich werden will, der soll erst einmal andere glücklich m a c h e n. Darauf kommt es an: Nicht etwas für sich haben wollen, sondern für andere da sein; dann kommt das Glück ganz von selbst, ohne daß man viel dazu tun muß.

Denken wir vielleicht an einen Krankenpfleger oder eine Krankenschwester. Wie müssen die sich für andere einsetzen, oft unter Zurückstellung ihrer persönlichen Wünsche. Aber wieviel Freude und Befriedigung in ihrem Beruf finden sie doch, wenn sie die Dankbarkeit der Menschen sehen, die sie pflegen. Natürlich gibt es auch Unzufriedene, denen es keiner recht machen kann. Aber in der Regel wird es doch so sein, daß glücklich ist, wer andere glücklich macht.

Selbst Schwachsinnige kann man noch glücklich machen. Und es ist wirklich die Frage, ob chronisch Kranke unglücklich sein müssen. Mancher hat vorher nur geschafft und keinen Gedanken für etwas anderes gehabt. Aber durch seine Krankheit ist er zur Besinnung gekommen und sie wurde ihm und seiner Umgebung zum Segen. Hat solch ein Leben nicht doch auch einen Sinn, wenn er auch anders ist als erhofft.

Die Frage nach dem Glück des Menschen wird in unserem Predigttext nicht einfach beiseitegeschoben. Man vertröstet nicht auf ein besseres Jenseits, sondern das alttestamentliche Erbe wirkt auch im Neuen Testament weiter. Im 34. Psalm wird eben die Meinung vertreten: Ein Leben in der Furcht Gottes und in der Liebe Christi führt normalerweise zu dem, was man so Glück nennt, es führt dazu, daß man gute Tage sieht.

Es wird sehr weltlich und diesseitig vom Glück gesprochen. Aber es wird auch gesagt: Der echte Weg zum Leben und zum Glück ist der Weg Christi. Wer das Glück finden will, der muß zu Jesus gehen und zu ihm gehören und in seinem Namen Gutes tun. Dieser christ­liche Bezug führt über den Grundsatz: „Tue recht und scheue niemand!“ weit hinaus.

 

 

1. Petr 4, 7 – 11 (9. Sonntag nach Trinitatis):

Die allgemeine Auffassung von der Zeit verändert sich mit den Jahren. Es gibt Zeiten, das man konnte man die Zeit noch wie ein lange Gerade sehen. Man hat schon viele Jahre hinter sich und meint, auch noch viele Jahre vor sich zu haben. Die Zeit scheint ins Unendliche zu gehen und die Zukunft unerschöpflich zu sein. Das Weltgefühl ist optimistisch, man meint, jetzt gehe es nur noch bergauf.

Aber dann schlägt die Grundstimmung um. Das Symbol der Zeit ist die große Weltuhr, auf der die Zeiger auf fünf vor zwölf stehen oder sogar schon auf eine Minute vor zwölf. Das hängt sicher wesentlich auch zusammen mit den Atomwaffen und den Trägerraketen, die es heute gibt, aber auch mit dem Klimawandel und der Begrenztheit der Bodenschätze.

In diesen Tagen hat sich wieder der Tag von Hiroshima genährt. Damals sind auf einen Schlag Hunderttausende von Menschen umgekommen. Und auch Jahrzehnte später starben noch Menschen an den Spätfolgen der Strahlung. Und das war damals die kleinste mögliche Bombe, solche werden heute mit Kanonen verschossen. Die Vernichtungskraft der heutigen Waffen ist tausendmal größer. Und dazu kommt für uns, daß auch die friedliche Nutzung der Atomenergie ihre Opfer fordert. Für uns könnte dieser Satz aus dem 1.Petrusbrief beklemmende Wirklichkeit werden: „Es ist aber nahe gekommen das Ende aller Dinge!“

Das Furchtbare daran ist, daß dieses Ende heute zum Teil auch in die Hände der Menschen gegeben ist. Damals konnte man sich nur vorstellen, daß Gott das Ende herbeiführen wird. Und der Christ konnte wissen: Es geht nicht um das Ende schlechthin, sondern mit der Zukunft kommt Gott immer mehr seinem Ziel näher. Es ging um s e i n Ziel und nicht um das, was Menschen vielleicht anstellen.

Wir warten auch nicht nur auf das „Ende der Welt“, sondern dieses fällt ja für uns zusammen mit der Vollendung des Reiches Gottes. Vielleicht können wir uns nicht so recht vorstellen, was das sein soll. Und doch wissen wir etwas davon, weil wir Christus kennen. Von ihm können wir lernen, was Reich Gottes bedeutet. Ein Bräutigam weiß nicht, wie die Ehe sein wird; aber er vertraut seiner Braut und freut sich auf die Ehe. Eine werdende Mutter weiß nicht, wie ihr Kind aussehen wird; aber sie stellt sich auf das Kind ein. Ein Christ weiß nicht, wie das Ende sein wird; aber er stellt sich auf Christus ein, der das Ende bringen wird.

Wie können wir uns nur recht auf das Ende und auf den, der dann kommen wird, einstellen? Zunächst einmal darf das Wissen um das Ende uns nicht zur Panikmache verführen. Das hat man uns Christen ja immer wieder einmal vorgeworfen, wir verbreiteten nur eine gruselige Weltuntergangsstimmung.

In der Tat ist eine vernünftige und nüchterne Einstellung zu dieser Frage zu gewinnen. In manchen christlichen Kreisen herrscht da eine phantastische und aufgeregte Enderwartung, daß man schon Bedenken haben kann. Denn die Gefahr ist doch, daß man dann die Gegenwart vergißt oder verachtet und alle Bemühungen um die Erhaltung und Erneuerung des Irdischen für sinnlos hält.

Doch andererseits sollte man auch nicht sagen: „Schon in der Urchristenheit hielt man das Ende der Welt für nahe, und es ist nicht gekommen. Die Geschichte ist weiter gegangen, und sie wird auch immer weitergehen. Es gibt kein Ende!“ Das wäre auch gefährlicher Leichtsinn. Irgendwann wird einmal das Ende der Welt gekommen sein. Aber bis es soweit ist, haben wir uns dieser Welt zu bewähren. Der 1.Petrusbrief nennt drei Kennzeichen des auf Gott wartenden Menschen: Gebet, Liebe und Dienst.

 

1. „Seid mäßig und nüchtern zum Gebet!

Es gibt dieses fälschlicherweise Luther zugeschriebene Wort, das durchaus von ihm stammen könnte, aber ausnahmsweise nicht von ihm ist: „Wenn ich wüßte, daß morgen die Welt unterginge, so würde ich doch heute noch einen Apfelbaum pflanzen!“ Das ist die nüchterne Haltung, die uns erst zu einem sinnvollen Gebet befähigt: Wir tun dann zwar alles, was für das Leben in dieser Welt nötig ist. Aber wir beziehen auch das Ende in unser Denken und Planen, Hoffen und Fürchten ein. Nur wenn man die Gegenwart und die Zukunft im richtigen Verhältnis zueinander sieht, kann man recht beten.

Oft sehen wir nur, was wir sehen w o 1 1 e n. Das kann unbewußt geschehen, weil wir das verdrängen, was wir nicht bewältigen können. Es kann aber auch bewußt geschehen, weil wir nicht genügend Mut haben. Aber wir dürfen die Zukunft nicht nur negativ sehen. Leider sind wir einfach blind für das Erfreuliche. Für einen Christen ist die Rede vom Ende der Welt aber kein Klagelied, sondern mit dem Ende aller Dinge wird ja auch der große neue Anfang gesetzt. In der Zukunft sollten wir nicht nur das sehen, was wir gern übergehen möchten, sondern auch voller Vorfreude das beachten, was auf uns als Gabe Gottes wartet und was unser Herz oft noch nicht erfassen will.

Die nüchterne Einstellung der Christen gegenüber der Zukunft wird deutlich am Gebet. Da können die Dinge mit Gott durchgesprochen werden, die uns bedrängen oder erfreuen. Solches Beten macht nicht untätig, sondern hilft zur richtigen Tat. Wir müssen mit Gott über unser richtiges Verhalten reden. Wo wir richtig beten, da ist Gottes Reich bereits unter uns.

 

2. „Vor allen Dingen habt untereinander eine brennende Liebe!

Wenn draußen ein scharfer Wird weht, dann und ist man drinnen erst recht aufeinander angewiesen und muß zusammenhalten. Ausdauer gerade auch in der brüderlichen Liebe zueinander ist nötig. An sich sollte man meinen, je stärker man sich bedrängt sieht, desto mehr rückt man zusammen. Aber offenbar war das nicht immer so. Deshalb muß zu brüderlicher Liebe ermahnt werden, denn Liebe kann auch farblos und verblichen sein.

„Liebe deckt der Sünden Menge!“ heißt es in der Bibel. Liebe deckt auch die Sünde des anderen zu. Sünde gibt es auch innerhalb der Gemeinde, sogar „in Menge“. Da wird getadelt und gerichtet, aufgerechnet und angeprangert, da macht man sich groß und interessant. Da wird dann auch aufgedeckt, was bei dem anderen faul ist. Die Liebe aber „bedeckt“ der Sünden Menge. Da wird Gutes vom anderen Menschen geredet und alles zum Besten gekehrt. Der andere wird nicht fertig gemacht, sondern es wird ihm aufgeholfen, auch wenn er nicht liebenswert ist oder sich nicht lieben lassen will.

Zur Liebe gehört auch die Gastfreundschaft. Ein Gast galt als unantastbar und genoß den Schutz aller seiner Gastgeber. Und wer selber einmal in der Fremde war, durfte auf die Gastfreundschaft anderer Menschen hoffen. Christen brauchen solche Kontakte hinüber und herüber. Über den Gottesdienst hinaus brauchen wir den Zusammenhalt christlicher Lebensgemeinschaft. Deshalb ist es gar nicht so gut, wenn wir bei übergemeindlichen Veranstaltungen unsere Gäste in die Gaststätte zum Essen schicken. Das ist zwar bequem, aber es fehlt der Kontakt zwischen Gästen und Einheimischen. Es ist gut, wenn ein Chor zu Besuch kommt und in den Häusern und Familien zu Gast ist. Da hört man einmal, wie es anderswo ist. Dann gehen die Gastgeber auch mit zum Konzert, es nehmen alle mehr Anteil an dem Besuch.

Zur Gastfreundschaft gehört dabei auch, daß man den anderen erst einmal hereinläßt und dann sieht, wie man ihn unterbringt, und nicht erst überlegt, ob es heute paßt. Gerade auch die Frem­den sollen sich wohl fühlen in unserem Gottesdienst und in unserer Gemeinde. Wo wir bereit sind, jeden freundlich aufzunehmen, da kann auch Christus kommen.      

 

3. „Dienet einander, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat!

Liebe wird im Dienen konkret. Sie ist Auftrag für die ganze Gemeinde, nicht nur für die Spezialisten, die dafür angestellt worden sind. Gott gibt uns viele Gaben, damit wir dem anderen behilflich sein können. Der andere braucht uns, da können wir doch nicht anders, als für ihn da zu sein. Jeder hat Gaben dafür, sie müssen nur aufgespürt werden. Und Gott gibt uns auch immer wieder Kraft, daß wir es schaffen.

Gott handelt da wie ein Chorleiter, der schon alles vorbereitet und sich ganz für das Gelingen einsetzt. Aber Singen müssen wir dann selbst. Wir wissen auch, daß es ein Unterschied ist, ob einer nur allein singt oder eine Gruppe, ob einstimmig gesungen wird oder mit verschiedenen Stimmen, mit oder ohne Instrumente. Und wichtig ist dann auch die Stimme, die kritische Hinweise gibt             und Vorschläge macht, wie Fehler und Mängel in der Gemeinde gebessert werden können.

Allerdings ist Gott immer der Meister und wir nur die Lehrlinge. Wir können uns nicht aussuchen, was uns gerade paßt. Sicherlich werden wir auch noch manches falsch machen. Aber das ist kein Grund, es ganz sein zu lassen oder gleich aufzuhören. Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Aber wir dürfen alle in der großen Lehrlingswerkstatt Gottes sein, in der Christus unser Meister ist.

Er verteilt die Aufgaben. Bei ihm gibt es keine Mitarbeiter ohne Geschäftsbereich und keine Ehrenämter. Es gibt immer etwas zu tun.  Jeder Christ ist ordiniert und hat sein Amt, in der Gemeinde, in der Familie, am Arbeitsplatz, im Bekanntenkreis. Dort können wir uns recht darauf vorbereiten, daß Christus wiederkommt. Wir tun es mit unserem nüchternem und verantwortungsbewußtem Gebet. Wir üben Liebe und nehmen Fremde gastfrei auf, so wie wir Christus aufnehmen wurden. Und wir setzen unsere Gaben ein in dem vielstimmigen Chor Christi und loben dadurch schon heute den, der einmal wiederkommen wird.

 

 

1. Petr. 5, 1 - 5 (Miserikordias Domini):

„Ihr Jüngeren seid untertan den Älteren!“ man kann sich vorstellen, daß ein solcher Satz junge Leute ganz schön auf die Palme bringt. Wer ordnet sich schon gerne unter? Ob es zu Hause oder in der Schule oder im Betrieb ist: Von einem bestimmten Alter an fühlt man sich erwachsen und läßt sich nicht mehr einfach alles sagen.

Viele der jungen Leute werden denken: „Das ist wieder einmal typisch Kirche! Immer wird man zum Gehorsam ermahnt und soll sich alles gefallen lassen. Das Wort ‚untertan sein' gibt es eigentlich nur noch in der Kirche. Dort wird noch von oben nach unten regiert, während man anderswo längst zu demokratischen Lebemsformen gefunden hat!“

Das heißt aber nun nicht, daß es in der Kirche kein besonderes Amt geben dürfte. Keine Gemeinschaft kann bestehen, ohne daß nicht ein Einzelner oder ein Kollektiv irgendwie die Leitung übernimmt. Auch in der Kirche gibt es Menschen, die mehr Verantwortung tragen als andere und die deshalb auch das Einfügen der anderen in den großen Verband fordern dürfen. Die Frage ist nur, wie man ein solches Amt ausüben und gestalten soll.

Zunächst einmal ist zu sagen: Das Bild von „Hirt und Herde“ für das Verhältnis von Amt und Gemeinde ist heute sehr mißverständlich. Das fängt damit an, daß die wenigsten heute noch eine Schafherde kennen, die mit dem Hirten über die Felder und Wiesen zieht. Lange Zeit hat mag zum Schäfer denjenigen genommen, der zu nichts anderem zu gebrauchen war. Wer möchte sich schon einem solchen Hirten unterordnen und auf ihn hören?

Auf der anderen Seite möchte auch keiner ein „Schaf“ sein. Das ist ja fast ein Schimpfwort und wird gleichgesetzt mit Wörtern wie „dumm, einfältig, unselbständig, folgsam. So möchte doch auch treue Kirchengänger nicht sein.

Vor allem aber hat man heute erkannt: Auch in der Kirche kann ein Amt nur noch auf demokratischer Grundlage wahrgenommen werden. Die Verantwortung muß auf möglichst viele Schultern verlagert werden. Jeder ist dann für einen Teilbereich verantwortlich und der Mann an der Spitze kann von Zeit zu Zeit ausgewechselt werden. Der Kirchenvorstand ist nicht nur zur Beratung des Pfarrers da, sondern fällt die alleinige Entscheidung in geistlichen und weltlichen Sachen. Es kann sogar ein anderer als der Pfarrer den Vorsitz übernehmen.

Der Sinn des Amtes in der Kirche besteht ja nicht darin, die Gemeinde möglichst unmündig zu halten. Wir sind selbständige, denkende und verantwortliche Menschen. Es wäre auch höchst gefährlich, wenn wir nur andere für uns denken ließen. Ein rechter Hirte ist traurig über die Unmündigkeit der Gemeinde und tut alles, um dem abzuhelfen. Die Schreiber der neutestamentlichen Briefe haben ihren Gemeinden ganz schön etwas zugemutet an Mitdenken und Verantwortung. Aber eine solche Gemeinde freut sich dann auch darüber, daß es in ihr ein Amt gibt, das dem Wohl der ganzen Gemeinde dient.

Es ist eigentlich falsch, wenn ein Pfarrer sagt: „Meine Gemeinde!“ Es ist ja in Wahrheit die Gemeinde Gottes, in der er Dienst tun darf. Wenn er eng mit der Gemeinde verbunden ist, dann ist das etwas Erfreuliches. Aber die „Herde“ gehört nicht ihm. Der eigentliche Hirte ist Jesus Christus allein. Menschen sind nur seine Werkzeuge. Sie dürfen nur das sagen, was die Botschaft ihres Herrn ist, nicht menschliche Meinungen, nicht den Zeitgeist oder nur ihre

eigenen Lieblingsgedanken vertreten. Sie dürfen auch nicht ihre geistige Überlegenheit und Bildung einsetzen, ihre Beredsamkeit und Erfahrungen. Ein Amtsträger in der Kirche ist auch nur ein armer Mensch, ein Sünder wie alle.

Je besser ein Mitarbeiter in der Kirche seine Sache macht, desto größer ist die Gefahr, daß die Gemeinde sich um i h n sammelt. Das gilt für Kantor und Chorsänger, für Religionslehrer und Sozialarbeiter und natürlich auch für den Pfarrer und die einzelnen Gemeindeglieder. Ein Mitarbeiter soll so wirken, daß seine Person ganz durchscheinend wird für dem Herrn der Gemeinde: Er soll durch seinen Dienst allein Christus interessant machen, so daß nur er noch gefragt ist.

Dennoch wird zu bestimmten Menschen gesagt: „Weidet die Herde Gottes!“ Der Herr tut sein Werk durch seine Leute. Deshalb wird bestimmten Gliedern in der Gemeinde ein bestimmter Dienst anvertraut. Das fängt an beim Kirchendiener und endet noch nicht beim Pfarrer. Einer ist eben der Hirte im Auftrag des Oberhirten Jesus Christus, den jeder Hirte auch wieder unbedingt für seine Aufgabe nötig hat.

Wie könnte denn ein rechter Hirtendienst aussehen? Ein guter Hirte tut allen für seine Herde, ohne sich selber zu schonen. Zur Zeit der Bibel mußten die Hirten ganze Kerle sein und ihre Herde oft unter Einsatz des Lebens gegen wilde Tiere und Räuber verteidigen.

Ein Hirte geht den Verirrten nach und bringt sie zur Herde zurück. Er hat Geduld, wo andere ungeduldig werden. Er versteht, wo andere nicht verstehen können oder wollen. Er liebt, wo andere hassen. Wir verstehen, daß an sich nur Jesus dieses Bild eines Hirten voll ausfüllen kann. Aber sicherlich gibt es auch Menschen, die sich diesem Bild ziemlich nähern.

Der 1. Petrusbrief zählt noch andere Eigenschaften des rechten Hirten auf. Im Grunde ist es nichts Besonderes, was da den Ältesten und den Jüngeren gesagt wird. Wir dürfen ja nicht vergessen, daß diese Gemeinde eine Notzeit durchzumachen hat, nämlich eine zentral gelenkte Christenverfolgung.

Die Not wertet vieles um und verlangt eine neue Rangliste der wichtigsten Dinge. Neue Verhältnisse verlangen, daß auch Neues gewagt und wichtig gemacht wird. „Not kennt kein Gebot“, sagt man. Außergewöhnliche Zeiten erfordern außergewöhnliches Regeln und Maßnahmen.

Aber im 1. Petrusbrief ist stattdessen die Rede von lauter Selbstverständlichkeiten und alltäglichen Dingen. Die Gemeindeglieder werden ermahnt, ein ordentliches Leben zu führen. Vor allen Dingen sollen sie am Glauben festhalten, der sich nun erst recht im Alltag bewähren muß.

Durch Notmaßnahmen könnte man nämlich leicht verlieren, was man retten wollte. Vor allem könnte auch der Glaube leiden an den Gott, der seine Leute auch durch das Leiden hindurch erhält. In Notzeiten helfen nicht alle möglichen Tricks, sondern nur ein unbeirrbarer Glaube an Gott. Der 1.Petrusbrief warnt noch vor drei Versuchungen:

1. Keiner sehe sein Amt als eine Last an, er übe es nicht gezwungen, sondern willig aus. Die Gemeinde sieht meist nur die Sonnenseiten des Amtes. Aber es gibt auch viel Mühseliges und Belastendes: Man kämpft um Menschen, aber letztlich geht die Ehe doch kaputt oder ein Mensch nimmt sich das Leben. Man geht Menschen nach, aber sie wollen sich nicht rufen lassen oder helfen lassen. Und dennoch kann es in der Kirche keinen „Dienst nach Vorschrift“ oder nur nach dem Arbeitsvertrag geben. Wer mithelfen will, der soll es gern und willig tun.

2. Als nächstes wird verlangt: „Nicht um schändlichen Gewinns willen!“ Nun wird in Notzeiten wohl kaum einer ein Amt in der Kirche annehmen, um dadurch große Gelder einzuheimsen. Aber es könnte doch einer sagen: „Jetzt können wir es mit Gelddingen nicht mehr so genau nehmen!“ Demgegenüber wird aber gesagt: Auch das ist eine Glaubenssache. Gerade in der Not kommt es darauf an, auch im Geringsten treu zu sein. Hab und Gut der anderen müssen zuverlässig und exakt verwaltet werden, in der Verwaltung gemeindlicher Gelder muß absolute Sauberkeit herrschen.

3. Eine dritte Versuchung ist die Aufrichtung neuer Leitbilder. In Notzeiten verläßt man sich gern auf einen Führer und Herrscher. Doch Geltungssucht und Machthunger haben in der Gemeinde schon schrecklichen Schaden angerichtet. Hirtendienst besteht aber vor allen Dingen in der Fürsorge. Das lehrt das Vorbild Jesu, der nicht herrschen, sondern dienen wollte.

Er will uns alle in seinen Dienst rufen. In der heutigen Zeit kann er nicht allen selber nachgehen, er braucht viele Helfer. Gerade die Besuche bei Gemeindegliedern werde n in Zukunft eine immer größere Bedeutung erlangen.

Hoffentlich finden sich auch in unserer Gemeinde immer wieder Menschen, die Fernstehende und Zurückhaltende, Kranke und Einsame immer wieder besuchen. Es sage nur keiner: „Das kann ich nicht!“ Sicher kann nicht jeder gleich ohne Ausbildung Religionslehrer oder Kantor oder Pfarrer werden; gar nichts wäre da besser als Falsches. Aber wenn einer zu zaghaft ist, obwohl er etwas kann, dann muß man ihm sagen: „Der Herr steht hinter dir und übernimmt die Verantwortung!“ Selbst wenn etwas schief geht, dann biegt der Herr es schon wieder zurecht.

Das können wir uns deutlich machen an Petrus, dem dieser Brief zugeschrieben wird, obwohl er nicht von ihm stammen kann. Petrus war ein Versager, der zur zurückgeholt werden mußte in den Dienst Jesu. Aber dann ist er Hirte gewesen bis zur Drangabe seines Lebens.

Er ist zu denen gegangen, die den lockenden Ruf des Hirten Jesus Christus noch nicht gehört hatten. Er hat viel für die Kirche geleistet und war doch nur ein „Mitältester“. So wie Jesus und so wie Petrus wollen wir uns auch zu den verlorenen Schafen aufmachen und dabei unsren Oberhirten um Kraft bitten.

 

 

1. Petrus 5, 5 -11 (15. Sonntag nach Trinitatis).

Konfirmanden in der damaligen DDR wußten gleich, wer ihr Widersacher war, der umherging wie ein brüllender Löwe. Wenn sie nämlich auf eine weiterführende Schule gehen wollten, dann sagte man ihnen bei der Stellung des Antrags: „Aber dann darfst du dich nicht konfirmieren lassen!“ Oder wenn sie dann zum Militär eingezogen wurden und gern mit einem Freund in eine nahegelegene Garnison kommen wollten, dann hieß es: „Dann mußt du aber erst aus der Kirche austreten, sonst schicken wir dich ganz weit weg. Und wenn einer Betriebsleiter werden sollte, dann mußte er in der Partei sein, die aber schloß eine Kirchenzugehörigkeit aus.

Diese Zeiten sind zum Glück vorbei. Aber nüchtern und wachsam muß man auch heute sein, jedenfalls wenn man ernst macht mit dem Wort Jesu. Da gibt es zum Beispiel die „Ordensleuten für den Frieden“, seit Jahren vor der Deutschen Bank gegen die heutige Geldwirtschaft zu protestieren, die die Armen immer noch ärmer macht. Eine Frau hatte zusammen mit ihren Freunden einen Sitzstreik gemacht. Die Bank hatte die Polizei geholt und die Demonstranten angezeigt. Und weil aber die Frau zu Recht die auferlegte Geldstraße nicht zahlte, mußte sie für eine Woche ins Gefängnis. So ernst kann es auch bei uns werden. Wo Christen ihren Glauben ernst nahmen, haben sie in den seltensten Fällen im Windschatten gelebt.

 

(1.) Demütigt euch unter die gewaltige Hand Gottes: Damit man solche Widerstandskraft erlangt, sind zwei Voraussetzungen nötig. Die erste lautet: „Demütigt euch unter die gewaltige Hand Gottes!“ Das ist nicht so einfach zu verwirklichen. Schon im menschlichen Miteinander zum Beispiel zwischen Eltern und Kindern sind wir kaum bereit, uns wie ein Sklave die Schür­ze umzubinden und die Dreckarbeit zu machen. Das ist für die Meisten ein Kennzeichen einer vergangenen Zeit, in der die Männer und die Väter das Sagen hatten. Bei uns soll nämlich Gleich­berechtigung gelten, die Solidarität untereinander.

Das ist auch gut so. Aber im Verhältnis zu Gott sieht das noch einmal anders aus. Da muß man sich klar machen, daß selbst die Schwierigkeiten wegen des Glaubens letztlich aus der mächtigen Hand Gottes kommen. Die Bibel verwendet für diese Tatsache den Begriff „Anfechtung“. Sie kann so schwer sein, daß man nicht mehr die Hand vor Augen sieht und die gewaltige Hand Gottes zentnerschwer auf einem Menschen liegt. Dietrich Bonhoeffer hat das gespürt, als er zur Hinrichtung geführt wurde. Aber so ein schwerer Gang ist ja nicht die Regel.

Dieser Bibelabschnitt sieht den Schaden vor allem darin, daß wir nicht ernsthaft bereit sind, uns unter Gott zu beugen, auch nicht in den kleinen Schwierigkeiten unseres Lebens. Unsere Halbherzigkeit und das Bestreben, uns selbst zu schonen sind eine Form von Hochmut und Stolz. Oben sein wollen - das ist es! Unser alter Mensch will eben immer oben sein. Daß ich mich nicht für Gott und seine Menschen einsetze, daß ich für Gott nichts auf mich nehmen will, das bedeutet, daß ich mich seiner mächtigen Hand entziehen will. Viele Nichtchristen haben für ihre Sache größere Opfer gebracht als wir. Durch Feigheit und Leidensscheu haben wir sicher unsrem Herrn manchmal Schande gemacht.

Sich beugen - das heißt aber auch nicht unbedingt, sich entscheidungslos treiben zu lassen. Es heißt auch nicht, sich unkritisch in den Lauf der Welt einzufügen. So ein wenig „Fremdling“ wird man aber immer in der Welt bleiben, wenn man es mit dem Glauben ernst nimmt. Doch Christen geben vor der Welt zu erkennen, zu welchem Herrn sie gehören. Sie sind bereit, über ihren Glauben und ihre Hoffnung Auskunft zu geben. Sie werden auch Hartes und Beschwerliches auf sich nehmen, wenn es einmal nötig ist.

Doch vergessen wir nicht die andere Seite: Der Gott, der mir bestimmt hat, eine kleine Zeit zu leiden, der will mich auch fähig machen („fit machen“). Er will stärken und kräftigen, so daß man wieder Grund unter den Füßen bekommt. Und das nicht nur d u r c h das Leiden, sondern auch i m Leiden, so daß man Gottes Zuhilfekommen spürt. Gottes Hand kann drücken, aber auch halten. Gottes Hand belastet nicht nur, sie faßt auch fest zu und stärkt. Gottes Hand ist auch eine wunderbar rettende Hand.

 

(2.) Alle eure Sorge werft auf ihn: Die zweite Voraussetzung für die Widerstandskraft gegen den Widersacher lautet: „Alle eure Sorge werft auf ihn!“ Sorge ist die Haltung, in der man meint, auf Gott sei kein Verlaß (oder nicht genug Verlaß) und man müsse nun die Rolle Gottes selbst übernehmen. Doch das ist vergeblich und auch unnötig.

Da fragen wir vielleicht: „Was wird, wenn wegen meines Christseins vor mir eine Tür zufällt, weil ich die Schlechtigkeiten meines Chefs nicht mitgemacht habe? Wird sich vielleicht eine andere Tür öffnen? Werde ich wegen meines Glaubens einen Menschen verlieren, der mir lieb ist?“ Doch mit solchen Fragen bleiben wir immer nur bei uns selbst, haben nur unser Wohl und Fortkommen im Blick.

Der Preußenkönig Friedrich II. wollte es auch aus eigener Kraft schaffen. Er baute sich ein Schloß und nannte es „Sanssouci - Ohne Sorgen“. Dort wollte er dem geschäftigen Treiben der Hauptstadt entfliehen und draußen vor der Stadt in Potsdam inmitten der Natur alle Sorgen vergessen. Sicher ist ihm das nicht gelungen. Auch uns gelingt das nicht, wenn wir in den Garten gehen oder ins Wirtshaus oder in unser Wochenendhaus im Vogelsberg. Spätestens am Montagmorgen sind alle Sorgen wieder da.

Die Bibel aber will uns anleiten, von uns selber abzusehen. Sie sagt: „Nehmt eure Sorgen und werft sie auf Gott!“ Wirklich frei wird man nur, wenn man die Sorgen Gott anvertraut, wenn man sie wirklich auf ihn wirft, damit er sie davonträgt. Und das gilt für alle Arten von Sorgen, nicht nur die leichten.

Es gibt den Brauch, seine Sorgen und Hoffnungen auf einen Zettel zu schreiben und an ein Kreuz zu heften oder in eine Mauerritze zu schieben. So machen es die Juden an der Klagemauer in Jerusalem oder die Touristen auf dem jüdischen Friedhof in Prag am Grab des Rabbi Löw. So ganz abwegig ist das nicht, es erleichtert zumindest.

Mit so einem Wunschzettel ist natürlich nicht alles erledigt und die Angst beseitigt und das weitere Sorgen verboten. Unsre Anstrengungen, das Leben zu meistern, werden nicht als Zeichen des Unglaubens angesehen. Aber etwas von der Gnade Gottes hat uns schon gestreift. Im Griechischen hängt das Wort „Gnade“ mit „Freude“ zusammen. Wenn Gott uns ansieht, ist ein Strahl der Hoffnung zwischen uns und unsere Sorgen gekommen. Das ist, wie wenn einer uns zugelächelt: „Ich weiß, du schaffst es, sei tapfer!“ Das kann die Kraft verdoppeln und unseren Einsatz vergrößern. Weil Gott uns aufmunternd zulächelt, tragen wir die Gewißheit weiter, daß er allen Menschen zulächelt.

Aber es gilt nicht nur, das Auferlegte durchzustehen, sondern auch dem Widersacher im Glau­ben zu widerstehen. Das ist das Überraschende an diesem Bibelabschnitt, daß er nicht nur vom Beugen unter Gott spricht, sondern zum Widerstand auffordert. Unser Widerstand soll nicht Gott gelten, nicht gegen seine Schickungen haben wir uns zu sträuben, sondern dem unsichtbaren Widersacher Gottes gilt es zu widerstehen. Unsere Sorge kann es also nicht nur sein, was wir essen und trinken werden, sondern auch wie es mit uns gehen soll in Leiden und Kampf.

Wir kämpfen dabei aber nicht allein, sondern wir werden von Gott zum Kampf fähig gemacht und wir stehen in der Gemeinschaft mit anderen Christen. Ein Vater rief vor seinem Sterben seine sieben Söhne zu sich. In der Hand hatte er sieben Stäbe. Die gab er dem ältesten Sohn und forderte ihn auf, das ganze Bündel auf einmal zu zerbrechen. Doch das war unmöglich. Doch als der Vater jedem Sohn einen Stab einzeln reichte, ließ der sich spielend zerbrechen.

Damit wollte der Vater den Söhnen klar machen: Wenn ihr euch einig seid, wird euch

niemand zerbrechen können! So sind wir als einzelner Christ auch nur ein einzelner Stab. Wenn wir für uns bleiben, kann unser Glaube leicht zerbrochen werden. Aber wenn wir uns zur Gemeinde Gottes halten und mit anderen zusammen ein Bündel bilden, dann kann uns keiner überwinden.

Der Abschnitt schließt mit dem Segen und der Antwort der Gemeinde. Leitwort ist nicht die „Sorge“, wie sie im Evangelium des Sonntags im Vordergrund steht, sondern die Gnade. Diese Schlußverse sind nicht nur eine Formalität, sondern sie enthalten die stärksten evangelischen Aussagen des Textes. Vielleicht sind sie der Schluß eines Taufgottesdienstes für Erwachsene, so daß eine Verwendung bei der Konfirmation gar nicht so abwegig war.

Diese Schlußverse sind das Fundament der vorausgehenden ernsten Aufforderungen. Sie sagen, was man sich unter dem Demütigen unter die gewaltige Hand Gottes vorstellen soll. Hinter allen Aufforderungen steht immer der Segenszuspruch: Gott wird euch stärken, kräftigen, gründen!

 

 

 

2. Petr 1, 16 - 21 (Letzter Sonntag nach Epiphanias):

Einmal kommt der Tag, wo ein junger Mensch das Elternhaus verläßt, um selbständig zu sein und auf eigenen Füßen zu stehen. Das ist nicht so einfach für Eltern, wenn sie erkennen müssen, daß ihre Kinder nun ein eigenes Leben führen möchten. Meist geben sie ihnen noch ein paar wichtige Worte mit auf den Lebensweg. Sie legen ihnen ans Herz, die gute Kinderstube nicht zu vergessen und sich anständig zu benehmen. Sie sagen: „Laß immer mal was von dir hören, sei fleißig und mach uns keine Schande!“

Hinter solchen Worten stehen die Wünsche der Eltern, ihr Kind möge ein glücklicher und, geachteter Erwachsener werden. Dahinter stecken natürlich auch die Sorgen, weil der Weg ins Leben so seine Gefahren hat. Leicht kann man auf Abwege geraten oder man sucht sich falsche Freunde und Ratgeber. Da wird sich nun erweisen, was die Eltern dem Kind an Werten haben mitgeben können.

Ganz ähnlich verhält es sich mit dem Predigttext für den heutigen Sonntag. Der 2. Petrusbrief ist ja die späteste Schrift des Neuen Testaments. Die Gemeinde ist aus den Kinderschuhen und der stürmischen Jugendzeit herausgewachsen und erwachsen geworden. Drei Generationen von Christen haben sich schon einander abgelöst und haben die Botschaft von Jesus Christus weitergegeben.

Nun haben sie begonnen, sich feste Ordnungen und Organisationen zu geben. Sie haben die Welt genauer in Augenschein genommen, während sie vorher meinten, alles Bestehende werde bald vergehen. Doch das Ende ließ auf sich warten und man mußte mit der Zukunft rechnen und sich in der Gesellschaft irgendwie einrichten. Die Christen des 2. Jahrhunderts wurden in den Alltag entlassen und hatten sich dort zu bewähren. Der guten Erziehung eingedenk sollen sich die Gemeinden auf die Verhältnisse einlassen, ohne die Ausrichtung auf die endliche Wiederkunft Christi aufzugeben.

Keiner vor denen, die Jesus und die Apostel noch persönlich gekannt hatten, ist mehr am Leben. Andererseits läßt der Tag Christi noch auf sich warten. In dieser Lage sind wir heute noch. Deshalb sind uns die Christen jener Zeit noch wichtig. Damals wurden den mündig gewordenen Gemeinden noch ein paar beschwörende Worte mit auf den Weg gegeben.

Weil der Verfasser des 2. Petrusbriefs etwas Lebenswichtiges zu sagen hat und er sich ernste Sorgen macht, leiht er sich die Autorität des Petrus aus. Er tritt bescheiden hinter dem zurück, dessen Stimme entscheidend sein soll. Er will nicht ein Einzelgänger sein, sondern nur das sagen, was die ganze Kirche verantwortet. Er will das Zeugnis der Apostel nicht verdrängen, sondern gerade an ihm Maß nehmen.

Das ist auch unsere Aufgabe. Wie schnell basteln wir uns einen Gott zurecht, der das machen soll, was uns paßt. Und wenn er es nicht tut, dann hat er versagt oder wir behaupten, es gäbe, diesen Gott gar nicht. In der Tat gibt es diesen selbstgemachten Gott nicht. Aber es gibt den lebendigen Gott, der der Vater Jesu Christi ist. An ihn müssen wir uns halten, wenn wir Christen sein wollen.

Doch die Frage ist: Wollen wir das wirklich? Unterliegen wir nicht so vielen anderen Einflüssen, daß das Christsein nur unter „ferner liefen“ kommt? Es gibt heute viele kluge Fabeln, denen wir folgen sollen.

Da sind einmal die Versprechungen im politischen Bereich. Wem soll man nun glauben? Sind es nicht alles „kluge Fabeln“, denen man nach dem 2. Petrusbrief nicht folgen soll? Als Christen werden wir zunächst einmal sagen, daß unser Glaube nicht von dem Gesellschaftssystem abhängt, in dem wir leben. Bewähren als Christen können wir uns an jedem Ort, an den Gott uns hinstellt. Der Sinn unseres Lebens hängt nicht daran, daß wir unsre Träume und Vorstellungen verwirklichen können.

Es gibt ein Jagen nach Lebensstandard, das alles andere in den Hintergrund treten läßt. Da nimmt einer gern den kirchlichen Kindergarten in Anspruch; aber wenn er in einen bescheidenen Dienst in der Kirche gerufen werden soll, dann hat er keine Zeit. Die Ausreden sind dann: Ich habe eine Bauerei vor, wir wandern viel mit der Familie, ich habe schon eine andere Aufgabe in der Kirche.

Die Gefährdungen der Kirche kommen heute mehr vor der „Welt“ her. Das weltliche Denken stellt den Bestand der Kirche in Frage. Ähnlich wie zur Zeit des 2. Petrusbriefs haben reichhaltiges Essen und Trinken und Konsumverhalten den Vorrang. Dazu kommt eine Gleichgültigkeit gegenüber ethischen Regeln: Diebstahl wird nur noch in Einzelfällen als Diebstahl empfunden, böse und unwahre Reden werden als normal empfunden, und wenn alle sich nicht mehr an die Gesetze halten, dann werden diese einfach geändert, wie es bei der Frage der Abtreibung geschehen ist. Ausgangspunkt dafür war aber, daß man nicht mehr auf Gott gehört hat und nicht hören will.

Damit sind wir bei dem anderen, das den Bestand der Gemeinde gefährdet, damals wie zum Teil auch heute: der innere Zustand der Kirche. In neuerer Zeit sind in ihr wieder einmal prophetische Gruppen aufgetreten, die jederzeit zur Himmelswelt einen Zugang finden wollen, auch ohne Christus. Doch inzwischen sind diese „charismatischen Gemeinden“ aus der Kirche ausgetreten und haben eine eigene Gemeinschaft gegründet.

Mit solchen Erscheinungen mußte man sich schon zur Zeit des 2. Petrusbriefes auseinander­setzen. Damals gab es ja noch kein festes Lehramt, das den Einfluß von Irrlehrern hätte zurückdrängen können. Jede Gemeinde machte es so, wie sie es für richtig hielt, und oft machte in ihr dann noch ein Einzelner das, was er als Evangelium glaubte erkannt zu haben.

Das ist überhaupt eine Versuchung in der Kirche: Weil man sich im staatlichen und gesellschaftlichen Bereich ducken muß und auch ducken w i 1 1, weil man sonst Nachteile fürchtet, will man sich wenigstens in der Kirche verwirklichen. Was man sich im Betrieb oder gegenüber Vorgesetzten dort nie erlauben würde, versucht man in der Kirche. Dort soll es nicht so genau zugehen, dort wenigstens will man Freiheit haben, die aber nur eine Freiheit auf Kosten der anderen ist.

Zum Glück haben wir unter prophetischen Gruppierungen in der Gemeinde nicht zu leiden. Im Gegenteil: Wir könnten eher froh sein, wenn von daher etwas frischer Wind käme und man im theologischen Decken zu Neuansätzen vorstieße. Eine Belebung wird all das sein, was an den Worten und dem Verhalten Jesu gemessen wurde. Das gilt in Glaubensfragen wie in den mehr praktischen Dingen des Lebens.

Der 2. Petrusbrief erinnert an die Verklärung Jesu vor den Jüngern Petrus, Jakobus und Johannes. Damals hörten sie die Stimme: „Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe!“ Sie durften ihn sehen in all seiner Herrlichkeit, so daß ihnen die Augenübergingen. Er gab ihnen einen Vorgeschmack der künftigen Vollendung, so daß sie am liebsten oben auf dem Berg Hütten gebaut hätten, um diesen Augenblick festzuhalten. Die Erinnerung an diesen Augenblick ist aber immer noch wie der helle Morgenstern, der in der Dunkelheit dieser Welt leuchtet, bis der Tag Gottes anbricht und der Morgenstern aufgeht in den Herzen der Glaubenden.

Jesus und sein Wort ist auch heute noch die Hauptsache in der Kirche. Wir sollten nicht nur einen Bibeltext verlesen und dann über das reden, was uns wichtig ist. Ein Pfarrer meinte ja einmal, er könne von jedem Predigttext zu dem Thema kommen, das er gern anbringen möchte, er könne die gleiche Predigt halten und zwei unterschiedliche Bibeltexte vorher verlesen. Die Christuserfahrung erschließt sich uns aber nur durch das Zeugnis der Augenzeugen und die Predigt, die darauf zurückgreift. Stichhaltig ist für uns nicht, was wir an uns selbst feststellen, sondern was das Wort Gottes zu uns sagt.

Das will der Verfasser des 2. Petrusbriefes seinen Nachkommen einschärfen. Er will die Erinnerungen nicht dem Vergessen überlassen, damit die Hoffnung festgehalten wird. Denn wer seine wichtigen Erfahrungen vergißt, verspielt seine Zukunft, denn er gerät in die Hände derer, die festlegen wollen, was gewesen ist und was nicht. Erfahrungen muß man aufschreiben, Fakten muß man prüfen, dann widersteht man denen, die sagen: „Es ist alles egal, wir können doch nichts ändern!“

Natürlich geht es nicht um eine verdrängende und beschönigende Erinnerung, sondern sie muß schon wahrhaftig sein, auch wenn sie vielleicht schmerzhaft ist und nicht immer das beste Licht auf uns selber wirft. Jesus sagt uns: „Erinnert euch an mich! Bewahrt diese Erinnerung in eurem Alltag, der oft staubig und mühselig ist. Der tägliche ermüdende Kleinkram wird euch nicht erspart bleiben. Aber ich bin ja bei euch. Ich stehe ein für den Weg und das Ziel. Da ihr nun mündig und erwachsen seid, brecht ruhig auf! An Wein und Brot und guten Worten wird es euch unterwegs nicht mangeln. Denn ich bin ja bei euch, bin Ursprung, Mitte und Ziel für euer Leben.

 

 

2. Petr 3, 3-13 (Ewigkeitssonntag):

Ein Mann in mittleren Jahren hat sich das Leben genommen. In einem Abschiedsbrief bringt er zum Ausdruck, daß er Angst vor der Zukunft hat. Es geht ihm gut, aber er hält den Gedanken nicht aus, es könnte schlechter werden. Deshalb setzt er seinem Leben ein Ende, um nicht noch traurige Zeiten erleben zu müssen. Und die Polizei ruft dann beim Notfallseelsorger an, er solle die elfjährige Tochter aus der Schule abholen und ihr schonend beibringen, daß sie nun keinen Vater mehr hat.

Auch die Gotteskämpfer aus dem Bereich des Islam geben wenig auf ihr Leben. Wenn sie als „Märtyrer“ sterben, dann kommen sie sofort ins Paradies, wo 72 Jungfrauen auf sie warten (Weshalb eigentlich Jungfrauen?). Wer diese Behauptung bloß erfunden hat? Im Christentum hat

man früher eher mit Hölle und Teufel gedroht, wenn sich einer das Leben  nehmen wollte. Geholfen hat es wohl wenig, denn wer entschlossen ist, der tut es. Aber wir haben uns das Leben nicht gegeben, da dürfen wir es uns auch nicht wieder nehmen.

Das gilt auch für die Diskussion um die Sterbehilfe. Der Wunsch nach „Erlösung“ von Krankheit und Schmerzen ist vielleicht verständlich. In Talkshows kann man trefflich darüber diskutieren; aber alles sieht anders aus, wenn man selber in so einer Situation ist. Aber was ist das anders als das Nichtaushaltenkönnen der Frage, wieviel man noch aushalten muß und wie lange es noch dauert?

In Deutschland ist aktive Sterbehilfe nach dem Mißbrauch in der Nazizeit zu Recht verboten. Das gilt auch für die Hilfe zum Selbstmord, wenn ein Arzt ein tödliches Medikament bereitstellt, das der Kranke aber selber nimmt. Manche weichen dann aus in die Schweiz, wo das erlaubt ist. Aber geht es hier nicht auch darum, daß man sich zum Herrn über Leben und Tod machen will? Doch wir haben uns das Leben nicht gegeben, da dürfen wir es uns auch nicht nehmen, das gilt auch hier.

Man muß da rechtzeitig einen Damm aufrichten, sonst wird es uferlos. Da bittet ein Gefängnisinsasse in den Niederlanden um eine Giftspritze, weil er schon 30 Jahre gesessen hat und keine Perspektive mehr für sich sieht. Als er einem anderen das Leben genommen hat, da hat es ihm auch nichts ausgemacht. Nun macht es ihm auch nichts aus, wenn er selber von Menschenhand sterben soll. Doch noch einmal: Wir haben uns das Leben nicht gegeben, da dürfen wir es uns auch nicht nehmen!

I. Im heutigen Predigttext hören wir von Christen, die auch nicht mehr warten können, bis das Ende der Welt und damit ihres Lebens kommt. Die Ungewißheit nagt an ihnen. Sie haben sich ja dem Christentum zugewandt, weil das ihnen gesagt hatte:  Das Ende kommt bald, und wenn ihr zu uns gehört, dann seid ihr auch bei den Erlösten!

Doch dann dauerte es und dauerte es. Einige waren schon gestorben und hatten das Ende nicht erlebt. Da galt es, eine Antwort zu finden auf die Frage: Wie lange müssen wir noch warten? Und es wurde herausgestellt: Es geht nicht in erster Linie um das Ende der Welt, sondern um die Begegnung mit dem auferstandenen Jesus Christus.

II. Zunächst einmal wird aufgefordert, nach Gottes Zeitmaß zu denken. Es gab schon damals Spötter, die sagten: „Es bleibt doch alles, wie es von Anfang der Schöpfung gewesen ist, nichts hat sich geändert und nichts wird sich ändern!“ Sie konnten mit der Endzeiterwartung der Christen nichts anfangen, weil sie meinten, das Heil schon in ihrer Gegenwart gefunden zu haben durch eigene Erleuchtung. Sie meinten der Vergänglichkeit entnommen zu sein, weil ja der göttliche Lichtfunke in ihnen ist und sie damit schon zur göttlichen Welt gehören. Einen Jesus Christus brauchten sie dafür nicht.

Von diesen Irrlehrern stammt die Anschauung von der Unsterblichkeit der Seele, des Lichtfunkens im Menschen, der nur aus der bösen Welt befreit werden muß. Der Christ dagegen sieht sich auch als Geschöpf im Ganzen der Schöpfung. Sie ist Gottes Werk, von Gott geliebt und keinesfalls aufgegeben.

Aber unsterblich ist nicht unsere Seele, wohl aber die „neue Kreatur“, die in der Taufe entstanden  ist. Es geht nicht um einen Teil von uns, den man „Seele“ nennen könnte, sondern entscheidend ist die Beziehung zu Christus, die auch über den Tod hinausreicht.

Naherwartung und Fernerwartung gehören aber zusammen. Selbst Jesus wußte den Termin nicht: Er wollte ihn nicht wissen und wir sollten ihn auch nicht wissen wollen. Jederzeit kann der Herr unserem persönlichen Leben und der ganzen Welt ein Ende machen; er kann uns aber auch noch lange Zeit geben.

Der Petrusbrief bietet eine Lösung an mit der Überlegung: „Ein Tag vor dem Herrn ist wie tausend Jahre und tausend Jahre sind wie ein Tag“. Gottes Uhren gehen anders als unsere. Es ist seine Sache, wann und auf welche Weise er uns die Grenze in die neue Welt überschreiten läßt. Auch wenn wir vorher sterben, werden wir den „Tag des Herrn“ nicht verpassen, denn wir werden auf jeden Fall dem Christus begegnen, ohne Widerstände und Zweifel. Wir werden ihn verstehen können und ganz fest mit ihm verbunden sein.

Das bedeutet dann aber auch, daß wir untereinander verbunden sind, auch mit denen, die uns im Tod schon vorausgegangen sind. Deshalb brauchen wir nicht mutlos zurückzuschauen, sondern wir können den Blick nach vorn richten: Wir haben nicht einen Totensonntag, sondern einen Ewigkeitssonntag!

 

Man könnte natürlich fragen: „Warum ist der Tag der Auferstehung Christi nicht zugleich der Tags einer Wiederkunft gewesen?“ Aber durch den Aufschub ist entschieden, daß Gottes Reich vorerst unter dem Kreuz Christi verborgen sein würde: Wir sollen glauben und noch nicht schauen, wir haben Anfechtungen durchzustehen und können nicht ein falsche Sicherheit haben. Wir haben noch in einer Welt zu leben, in der es so aussieht, als sei Christus nicht ihr Herr. Wir haben immer noch mit der Sünde zu kämpfen, haben Verfolgung auf uns zu

nehmen, da gibt es keinen Triumph.

Aber in dieser Welt wird uns gesagt: Gott hat noch Geduld mit euch. Er will nicht, daß einer verlorengeht. Deshalb freut euch doch, daß er noch Geduld mit euch hat. Gott gibt niemanden auf.  Er hat es ja auf Glauben abgesehen, er will, daß Menschen sich ihm aus freier Ent­scheidung zuwenden. Entscheidungen sind aber nur in unserer Lebenszeit möglich. Die Zeit bis zur Wiederkunft gibt uns die Möglichkeit der Umkehr und Hinkehr zu ihm. Es hat einen guten Sinn, daß uns noch Zeit gegeben ist. Jeder Tag, der uns noch gegeben ist, enthält Gottes gnädiges Angebot.

III. Doch das soll nun wiederum nicht bedeuten, der Tag des Herrn solle möglichst lange ausbleiben. Natürlich haben wir Angst vor dem Sterben, der äußerliche Mensch verfällt und wir können uns auf das Kommende gar nicht so richtig freuen. Aber das Neue Testament ist voll von Auferstehungsvorfreude. Auch wir dürfen uns auf Gottes neue Welt freuen.

Es geht dabei nicht darum, die Welt besser zu organisieren und aufgeräumter zu machen, nicht um eine moralisch bessere und sozial gerechtere Welt. Das ist a u c h unsere Aufgabe als Christen. Aber die Welt Gottes ist noch einmal etwas ganz anderes. Da muß es erst zu einem Abbruch und einem Neuanfang kommen.

Ob die Welt nun den Kältetod oder den Hitzetod stirbt, ob Erdbeben ihr ein Ende bereiten  oder sie mit einem anderen Stern zusammenrauscht - das sind äußere Vorstellungen, die von Menschen immer wieder einmal durchgedacht worden sind. Mit der christlichen Zukunftshoffnung hat das alles nichts zu tun. Was mit der Welt werden wird, bestimmen nicht irgendwelche klimatischen oder atomaren Vorgänge, sondern allein Gottes Wort. Es wird einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen. „Neu“ heißt nicht: repariert und renoviert, sondern total verwandelt.

Gott will eine neue Welt, in der das Verhältnis zwischen ihm und uns heil ist, ein für allemal. Dann gibt es keine Auflehnung, keinen Ungehorsam, keine Störung, kein Mißtrauen mehr. Und wo keine Sünde ist, da ist auch kein Leid mehr. Der Totensonntag ist für uns der Sonntag, der nach der Ewigkeit blickt. Und die neue Welt wird unbestritten Gottes Welt sein. 

 

 

 

 

Johannesbriefe

 

1. Joh 1, 1- 4 (1. Sonntag nach dem Christfest):

In verschiedenen Filmen hat man versucht, das Leben Jesu darzustellen. Vielleicht ist der Film des ermordeten italienischen Regisseurs Pasolini bekannt: „Das Evangelium nach Matthäus“. Hier hat er praktisch wortgetreu das Matthäusevangelium in Bilder umgesetzt und vor allem das soziale Wirken Jesu hervorgehoben: Jesus ist für den Regisseur der Sozialreformer, der sich vor allem um die Entrechteten gekümmert hat.

Richtig daran ist, daß man das Leben Jesu verfilmen kann. Jesus ist eine Persönlichkeit der Weltgeschichte, die man hören und sehen konnte. Allerdings wäre es geschickter gewesen, nur einige typische Ereignisse aus dem Leben Jesu herauszugreifen und daran sein Wesen und seine Bedeutung zu erläutern.

Es könnte nämlich sein, daß wir durch eine zu wortgetreue Darstellung gerade an dem wesentlichen vorbeigehen und nur an den Äußerlichkeiten hängenbleiben. Darauf hat schon im vorigen Jahrhundert der dänische Philosoph und Theologe Kierkegaard hingewiesen. Er meinte: Die Zeitgenossen Jesu hatten es schwerer, an ihn zu glauben. Sie sahen ja seine ärmliche menschliche Gestalt. Sie mußten erst durch die äußere Hülle hindurchsehen, ehe sie den Sohn Gottes erkennen konnten. Wir aber wissen schon, wie alles ausgegangen ist. Wir wissen vor Ostern und Pfingsten, von der Bestätigung Gottes für seinen Sohn - wir haben es leichter, an ihn zu glauben.

Das Hören und Sehen allein macht es also nicht. Einem Elektrokabel kann man von außen her nicht ansehen, wenn es unter Spannung steht. So konnte man auch Jesus nicht ansehen, wer er wirklich ist. Hannas und Kaiphas und Pilatus haben Jesus auch gesehen und erlebt und sind doch nicht zum Glauben an ihn gekommen. Und der König Herodes aus der Weihnachtsgeschichte hat das neugeborene Kind sogar mit dem Tod bedroht. Nur gut, daß wir nicht damals lebten, sonst hätten wir es vielleicht genauso gemacht.

Selbst die Jünger ahnten ja nur, daß Jesus von Gott gesandt war. Bei seiner Hinrichtung aber wurden all ihre Hoffnungen zunichte. Erst als er als der Auferstandene wieder unter ihnen erschien, da wußten sie: „In diesem Menschen war Gott unter uns!“Jetzt war Jesus nicht mehr nur ein vorbildlicher Mensch, sondern es stand fest: „So wie Jesus zu uns war, so ist auch Gott zu uns!“

Weil also Jesus Gemeinschaft mit den Zöllnern und Sündern hatte, wird auch Gott Gemeinschaft mit uns wollen. Weil Jesus Kranke geheilt hat, wird sich auch Gott unserer Krankheiten und Nöte annehmen. Durch das Gleichnis vom verlorenen Sohn wird uns Mut gemacht, zu Gott umzukehren. Und wenn Jesus seinen Freunden ewiges Leben verheißt, dann gilt auch uns die Zusage Gottes für ein Leben über den Tod hinaus.

Wir hatten jetzt immer den erwachsenen Jesus im Blick. Das entspricht aber ganz dem 1. Johannesbrief. Das Entscheidende an Weihnachten ist nicht, daß Gott ein Kind wurde, sondern daß er Mensch wurde. Nach Johannes war das ja vom Anfang der Schöpfung an geplant. Man hat nicht nachträglich irgendeinen Menschen zum Gottessohn erklärt, sondern in Jesus wurde der anschaulich, der von Anfang an war. So            beginnt die Weihnachtsgeschichte nicht beim Kaiser Augustus und           bei Maria und Joseph, sondern sie hat ihren Anfang vor aller Zeit in Gott dem Schöpfer.

Dieser ist in Jesus der Gott für uns geworden. Davon sprechen die kräftigen Tätigkeitswörter am Anfang unseres Textes: „Wir haben gehört gesehen, betastet!“ Unsere Gemeinschaft mit Gott beruht nicht auf inneren Erfahrungen, auf Versenkungen und Spekulationen, sondern ganz schlicht auf dem, was Menschen an Jesus wahrgenommen haben.

Gewiß weiß auch Johannes: „Niemand hat Gott jemals gesehen!“ Das ist ja das Argument der Atheisten. Und doch war Jesus zu sehen. Da gab es Augenzeugen, die ihn mit ihren Augen leibhaftig gesehen haben. Ja, sie konnten sogar zufassen mit ihren Händen. Einen höheren Grad von Wirklichkeit kann es ja gar nicht mehr geben. Wir glauben nur, was man sehen und anfassen kann. Aber nun hat Gott ein Gesicht für uns, auch wenn wir kein Bild von ihm haben.

Allerdings glauben wir nicht an „etwas“. Der 1. Johannesbrief beginnt zwar ganz allgemein mit ganz neutralen Ausdrücken. Der Schreiber hat offenbar Mühe, das in Worte zu fassen, was er ausdrücken möchte. Aber er sagt dann doch deutlich, daß er eine Person meint, er nennt ausdrücklich den Namen „Jesus Christus“. Alles, was wir von Gott wissen können, ist in dem Menschen Jesus zusammengefaßt, so wie es im Johannesevangelium heißt: „Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns!“

Wir suchen unseren Gott also nicht in jenseitigen Räumen oder in unanschaulichen Tiefen. Er hat sich vielmehr in Raum und Zeit begeben, ist in unsre Natur und Geschichte eingegangen. Und wir suchen nicht nur, wir finden ihn auch, nachdem er gekommen ist und Gemeinschaft

mit uns aufgenommen hat.

Gemeinschaft entsteht aus leibhafter Begegnung: Man muß dazu einander sehen, miteinander reden, die Hand des anderen fassen können, helfend zupacken und manches andere mehr. So aber ist Gott zu uns gekommen. Er hat uns vorgemacht, wie er mit den Menschen umgeht,

mit Sündern, Fröhlichen, Traurigen, Verhärteten, Eifernden. Wir wissen deshalb auch, wie er mit uns umgeht. Und wir können auch heute noch, wenn auch unter veränderten Bedingungen, sehr genau zuhören, hinsehen und sogar zufassen.

Deshalb haben wir auch das Recht, das Leben Jesu in einem Film nachzuspielen. Gott könnten wir nicht filmen. Aber Jesus ist uns so anschaulich vor Augen, wie das eben nur ein Mensch kann. Das war ja gerade die große Tat der Evangelisten, daß sie die Erzählungen über Jesus gesammelt und in eine Ordnung gebracht haben. Zunächst gab es nur so kurze Bekenntnisse wie hier am Anfang des Johannesbriefes. Erst in der dritten Generation hat man dann auch die doch sehr anschaulichen Jesusgeschichten aufgeschrieben.

Wir müssen allerdings damit rechnen, daß in dieser Zeit manches dazugekommen ist, was nicht auf tatsächliche Begebenheiten zurückgeht, aber doch Typisches für Jesus aussagt. Dazu gehören auch alle die schönen Weihnachtsgeschichten, an denen wir so hängen. Erst der erwachsene Jesus ist ja an das Licht der Öffentlichkeit getreten.

Wie das mit seiner Geburt und Kindheit gewesen ist, hat man später nicht mehr gewußt. Wir würden sicher in Verlegenheit kommen, wenn wir eine Geburtsurkunde Jesu schreiben sollten, die hieb- und stichfest ist. Seinen Namen könnten wir angeben, zumindest seinen Vornamen. Aber schon bei der Bezeichnung „Christus“ würde der Leiter des Standesamtes stocken: Das ist doch eine Behauptung, daß er der Gesalbte Gottes, der Messias und Christus sein soll. Vollends schwierig wird es mit dem Geburtsdatum. Der 24. Dezember ist ja nur eine spätere Festlegung für den Tag, an dem wir die Geburt feiern, der aber nicht der tatsächliche Geburtstag sein muß. Und der Geburtsort steht auch nicht so fest, wie wir das wohl annehmen. Schließlich heißt er „Jesus von Nazareth“! Möglich ist natürlich die Reise nach Bethlehem und die Geburt in diesem Ort.

Aber kommt es denn so sehr darauf an, wann und wo Jesus geboren ist? Entscheidend ist doch nur, daß Gott in diesem Jesus von Nazareth Mensch wurde. Auf der Geburtsurkunde werden die Eltern angegeben. Beim Standesamt würde man vielleicht nur Joseph und Maria oder vielleicht auch nur Maria allein eintragen. Aber das muß ja nicht ausschließen, daß auch Gott der Vater ist.

Wir können hier also auf Tatsachen zugreifen. Das Geschehene ist zwar vergangen, auch für die Augenzeugen ist es Erinnerung geworden. Aber es ist doch unverlierbarer Besitz geblieben, den man nun weitergeben kann. Auch in diesem Jahr wird wieder davon erzählt. Die später Geborenen sollen nicht weniger haben als die Zeitgenossen. Dafür können wir den Evangelisten heute noch nicht genug danken. Sie haben uns ein lebendiges Bild Jesu übermittelt, so daß wir alles wie in einem Film vor uns sehen könnten.

Durch diesen Jesus ist die Gemeinschaft zwischen Gott und den Menschen hergestellt. Aber diese Gemeinschaft weitet sich nun aus auf die Empfänger der Botschaft von Jesus. Durch die Predigt wird die Kirche gegründet. Es werden zwar immer nur Einzelne von dieser Botschaft getroffen. Aber diese Einzelnen werden sofort wieder zusammengeführt zur Gemeinde.

Aber fragen wir uns gleich einmal: Hat uns die Botschaft von Jesus, was man von ihm sehen, hören und anfassen kann, zur Gemeinde zusammengeführt? Geht es uns an Weihnachten um diesen Jesus oder nur um etwas Gefühl und Feierlichkeit? Begreifen wir, daß uns da Menschen eine Freude machen wollen, indem sie uns von Jesus erzählen und uns ganz gewiß im Glauben machen wollen?

Seit der Heiligen Nacht haben wir einen Gott, der nicht nur ein blasser Begriff oder etwas Gedachtes ist, sondern einen nahen Gott, den wir liebhaben können, so wie ein Kind seine Eltern liebhat. Dieser Gott macht uns seiner Gegenwart gewiß, indem er uns an die christliche Gemeinde weist, wo von ihm erzählt wird und wo man bei der Feier der Sakramente etwas sehen und fühlen kann. Er fordert uns aber auch gleichzeitig auf, die frohe Botschaft anderen weiterzusagen, denn so kann sie uns gewisser werden. Wer andere darauf aufmerksam macht, wird ihre Freude erleben und dadurch selber zur Freude gelangen.

 

 

1. Joh 1,5 - 2,6 (3. Sonntag nach Trinitatis):

Der Pfarrer war mit 70 Sachen ins Dorf gefahren, obwohl nur 30 Kilometer erlaubt waren. Er wurde geblitzt und erhielt einen Monat Fahrverbot. Die Sache wurde natürlich bekannt, und eine Frau sagte zu ihm: „Herr Pfarrer, jetzt sind Sie auch ein Sünder!“ Ist das aber die einzige Sünde? Wir sprechen von Verkehrssünden oder Parksünden oder Steuersünden oder wir „sündigen“ beim süßen Essen, aber die eigentliche Sünde übersehen wir. „Sünde ist eine Bagatelle, nichts Schlimmes, nichts Ernstes“ - dieser Eindruck entsteht doch. „Wir sind alle kleine Sünderlein“, wird in der Fastnacht gesungen.

 

1. Versöhnte wissen um ihre Sünde:

Bei Gott aber gibt es diesen Unterschied nicht. Da steht die Sünde über dem Verbrechen, weil sie nicht mehr die einzelne Tat ist, sondern die Grundhaltung des Menschen, die sich gegen Gott richtet. In den vielen Sünden“ geschieht „die Sünde“. Sie ist eine Störung der Beziehung zwischen Gott und Mensch. Und wenn wir meinen, wir hätten keine Sünde, dann machen wir Gott zum Lügner, denn er hat ja seinen Sohn für unsere Sünde und für unsere Sünden in den Tod gegeben.

Auch eine Steuersünde ist nicht nur eine „läßliche Sünde“ oder ein „Kavaliersdelikt“. Wer so redet, verharmlost die Kriminalität. Vielen fehlt aber einfach ein Unrechtsbewußtsein. Man denkt doch: Der Staat ist doch selber daran schuld, wenn er so hohe Steuern einfordert. Weshalb soll der Rennfahrer jährlich 200 Millionen abgeben, all das schöne viele Geld, das er sich doch hart verdient hat? Aber er verliert dabei aus den Augen, daß er ja immer noch 200 Millionen behält. Und er sieht auch nicht, daß viele kleine Leute die Steuer einfach vom Lohn abgezogen kriegen und damit Kindergärten und Sozialhilfe finanzieren.

Ein Uli Hoeneß hat Steuern in großem Maß hinterzogen. Das Kapital selber hat er versteuert. Aber die Steuer für die Zinsen des Kapitals wollte er „sparen“ und mit einem Teil des Geldes als Gutmensch und Wohltäter dastehen: Er hat anderen Vereinen geholfen, auch seinem Mitspieler Gerd Müller und vielen sozialen Einrichtungen. Dafür hat er sogar die bayerische Staatsmedaille erhalten. Er hat also die Gesellschaft nicht total betrogen. Aber er hat gedacht: „Die beim Staat verschwenden doch nur das Geld, ich aber kann es sinnvoller einsetzen und mir dabei sogar noch ganz nebenbei einen Namen machen!“ Aber man kann ehrenamtliches Engagement nicht aufrechnen gegen Straftaten

 

Ein Sebastian Vettel würde sich unsterblich machen, wenn er die neun Millionen Schulden seiner Heimatstadt Heppenheim übernehmen würde. Er müßte ja nur einen Teil abzweigen von den Steuern, die er gespart hat durch die Verlegung seines Wohnsitzes in die Schweiz.

Daß manche Leute ihren Wohnsitz in die Schweiz verlegen, ist gesetzlich erlaubt, aber es ist nicht anständig. Der Staat - und das sind wir alle - braucht das Geld. Aber warum haben gerade die Überreichen so Angst um ihr Geld?

Aber wir brauchen gar nicht überheblich zu werden. Auch die kleinen Leute werden leicht zu Steuersündern: Wenn einer 40.000 Euro Mehrwertsteuer für den Bau seines Hauses gezahlt hat, warum soll er da nicht auch einmal einen Schwarzarbeiter für eine Restarbeit beschäftigen? Wir meinen immer, wir könnten selber beurteilen, wie schwer eine Sünde ist. Ein katho­lischer Mann beschwerte sich einmal, daß der Priester seine Frau bei der Beichte beschimpft hatte, sie sie unehrlich. Dabei hatte er sie nur mit einer anderen Frau verwechselt. Ihr Mann aber sagte: „Dabei hatte sie doch gar nicht viel zu beichten!“ Da kann man doch nur fragen: Woher weiß der Mann überhaupt, was seine Frau zu beichten hat? Und wie will er einschätzen, wie schwerwiegend die Sünde ist?

Sünde ist Sünde, ohne jede Abstufung. Wir sind nicht „kleine Sünderlein“, sondern richtige Sünder. Jeder menschliche Richter urteilt ein wenig subjektiv, ob er will oder nicht, dafür sind wir alle nur Menschen. Nur Gott urteilt gerecht. Er fragt nicht nach großer oder kleiner Sünde, sondern wir sind alle auf die Vergebung Gottes angewiesen, da spielt es keine Rolle, ob wir viel oder wenig auf dem Kerbholz haben.

 

2. Versöhnte leben nach Gottes Geboten:

Wenn der Johannesbrief darauf beharrt, daß wir Sünder sind und dies nicht bestreiten dürfen, dann aber mit dem Ziel, daß seine Leser nicht mehr sündigen. Versöhnte leben im Lichte Gottes - und darum in Gottes Geboten. Zunächst wird nur negativ gesagt: Unvereinbar sind Gemeinschaft mit Gott und Wandel in der Finsternis, unvereinbar sind Gotteserkenntnis und Nicht-Einhaltung seiner Gebote und noch viel mehr.

Die Gegner des Johannesbriefs sahen diese Unvereinbarkeit nicht. Sie fühlten sich hineinver­bannt in das Elend der Welt. Und zwar nicht als Folge ihrer Sünde, sondern als blindes Schicksal. Aus diesem Zustand heraus kommt dann auch kein Antrieb zu einer Änderung. Die Befolgung irgendwelcher Gebote würde ja wieder bedeuten, daß man sich mit Weltlichem beschäftigt. Diese Leute wollten möglichst schnell diese sündige Welt hinter sich lassen und in eine göttliche Lichtwelt zurückkehren.

Der Johannesbrief dagegen sagt: Wenn einer Gott kennen und bei ihm bleiben will, dann muß sich sich das hier in diesem Leben und in dieser Welt auswirken - auch im Halten der Gebote. Jesus hat es uns mitten in dieser Welt vorgelebt, was es heißt, im Lichte Gottes zu leben.

Jesus sagt aber nicht theoretisch, wie es aussehen würde, wenn einst gottentfremdete Menschen nun im Lichte Gottes lebten, sondern er stellt sie vielmehr einfach in dieses Gotteslicht hinein: Er stellt ein Kind in die Mitte und sagt: „Werdet wie die Kinder!“ Er holt den Zöllner Zachäus aus seinem Versteck im Baum heraus und geht mit ihm in dessen Haus. Er ist natürlich auch für die Ausländer da.

Wenn wir dem Bösen in unserem Leben Raum geben, dann mißachten wir dieses Wirken Jesu. Wenn ich Gott nicht glaube, daß er mich ins Licht gestellt hat, dann begegne ich meinem Mitmenschen immer noch mit Gleichgültigkeit oder gar mit Haß. Dann lebe ich immer noch in einer tiefen Hoffnungslosigkeit, in der mir alles egal ist.

Bei Menschen, die etwas zu hoffen haben und sich immer auf etwas freuen können, ist es anders. Versöhnte leben im Licht Gottes – und darum auch in Gottes Geboten. Wer behauptet, er kenne Gott und dann seine Gebote nicht hält, der ist ein Lügner. Lüge ist dabei aber nicht die falsche Aussage, sondern der aktive Widerspruch gegen die Wahrheit, und zwar wider besseres Wissen.

Stellen wir uns vor: Der Himmel ist verhangen. Aber dann reißt die Wolkendecke auf. Man sieht die Sonnenstrahlen durchbrechen und ein Stück Landschaft beleuchten. Und auf diesem beleuchteten Stück Welt, da stehen die von Gott geliebten Menschen. So sollten wir unser Leben sehen. Dann tun wir Gottes Gebote von ganz allein.

 

3. Versöhnte vertrauen auf ihren Fürsprecher:

Zunächst sagt der Johannesbrief: „Wer aus Gott geboren ist, der tut keine Sünde!“ Das klingt wie eine ganz hohe Forderung, die eigentlich nur entmutigen kann. Aber man darf aufatmen, denn etwas später steht: „Wenn jemand sündigt!“ Es wird realistisch gesehen, daß es auch unter Christen die Sünde gibt. Aber der Christ weiß von seiner Sünde und bekennt sie.

Sofern Gott in uns ist, sündigen wir tatsächlich nicht. Aber wir sind ja noch der alte Mensch. Daß wir Gott gleich sein werden, das ist noch Zukunft. Aber der alte und der neue Mensch stehen nicht unverbunden nebeneinander: Der Christ weiß, wie er Sein und Sollen verbindet und er weiß auch Gegenwart und Zukunft aufeinander bezogen. Dieses Bewußtsein hilft ganz sehr, die Anforderungen dieser Welt auszuhalten.

Christus bittet für uns und für alle Welt. Er tut es, ob wir wachen oder schlafen, ob wir gerade an ihn denken oder nicht. Im Gottesdienst ist er unter uns gegenwärtig. So wie wir sind, bringt uns Christus zum Vater, und damit leben wir in seinem Licht.

Aber auch ein Uli Hoeneß darf – so wie wir alle - mit der Vergebung rechnen. Die Selbstanzeige war ja noch keine Entschuldung. Wenn er seine Strafe gezahlt hat, ist die Sache bei Gott aber noch nicht erledigt. Aber Gott urteilt nicht nach dem Strafgesetzbuch, sondern sein Sohn ist für uns gestorben, damit wir wirklich frei werden.

 

 

1. Joh 2, (7 - 11) 12 - 17 (22. Sonntag nach Trinitatis):

Ein Übel unsrer Zeit ist das Mobbing. Der Ausdruck kommt aus dem Englischen und meint laut Duden „Arbeitskollegen ständig schikanieren mit der Absicht, sie von ihrem Arbeitsplatz zu vertreiben“. Da stellt eine Ärztin eine Auszubildende ein, versäumt es aber, ihren bisherigen Mitarbeitern gegenüber zu betonen, daß es nur um die Ausbildung geht und der Arbeitsplatz der bisherigen Mitarbeiter nicht gefährdet ist. Diese denken das aber und torpedieren die Arbeit der neuen Kollegin: Da werden Karteikarten versteckt und wenn die Auszubildende sie dann nicht findet, dann zieht man sie triumphierend heraus. Ganz schlimm wird es, wenn von solchen Dingen dann auch noch die Patienten betroffen sind, weil man die von ihnen genommenen Blutproben unbrauchbar gemacht hat.

Ein anders Bespiel, auch aus dem Gesundheitswesen: Eine Krankenschwester kann wegen ihrer kaputten Wirbelsäule ihren Beruf nicht mehr ausüben. Sie macht in einer weit entfernten Stadt eine dreivierteljährliche Ausbildung mit. Sie hat ein gutes Zeugnis und wird sofort festangestellt und erhält einen Dienstwagen. Die Vorgesetzten sind mit der neuen Mitarbeiterin zunächst sehr zufrieden.

 Doch die unmittelbare Mitarbeiterin beginnt zu stänkern und zieht schließlich auch einen Vorgesetzten auf ihre Seite. Der beginnt auch, um seine Karriere zu fürchten, zumal die Firma bald an einen anderen Eigentümer übergehen soll. Auf einmal schickt er der neuen Mitarbeiterin drei Abmahnungen auf einmal mit lächerlichen Begründungen wie: Sie hat aus der Selterswasserflasche getrunken, anstatt dafür ein Glas zu nehmen.

Das Schlimme daran ist: Solche Fälle gehen immer gleich aus. Man kann sich zwar an das Arbeitsgericht wenden. Aber dieses dringt dann auf einen außergerichtlichen Vergleich. Man erhält dann vielleicht noch eine Abfindung, aber der Arbeitsplatz ist weg, die Mobber haben ihr Ziel erreicht.

Man hört heute viele Klagen über Mobbing im Beruf. Das fängt bei der Putzfrau an und geht über die Altenpflegerin bis in die Spitzen der Wirtschaft. Auch für Schüler ist das ein Problem. Früher gab es das auch schon, daß einer oder auch mehrere in der Klasse von den anderen mißhandelt oder ausgenutzt wurden. Aber heute hat man dafür die sozialen Medien wie Facebook oder Twitter. Und was da einmal drin stand, das kriegt man nie wieder heraus. Und vor allem ist es sofort über einen großen Bereich verbreitet. Und selbst wenn man dann die Schule wechselt, dann wissen sie es da auch schon.

Auch in der Kirche gibt es Mobbing. Es genügt ein Kirchenvorsteher, einen Pfarrer zu vertreiben, indem man absurde Behauptungen und Verdächtigungen erhebt. Die anderen Kirchenvorsteher trauen sich nichts zu sagen, weil sie ja mit dem Betreffenden weiter zusammenleben müssen. Da halten dann die Einheimischen zusammen gegenüber dem Pfarrer, der ja von außerhalb gekommen ist. Und die Kirchenleitung unternimmt auch nichts. Dort greift man zu dem üblichen Mittel und sagt: „Wir wollen gar nicht wissen, was da alles gewesen ist. Für uns ist es einfacher, den Pfarrer einfach zu versetzen, denn die Gemeinde können wir ja nicht versetzen!“ Anstatt einmal auf den Tisch zu hauen und die Mobbenden in ihre Schranken zu verweisen und sich hinter den eigenen Angestellten zu stellen, gehen sie den Weg des geringsten Widerstandes, aber auf Kosten des Gemobbten.  

Es kann auch von unten nach oben gemobbt werden: Ein Filialleiter kann kein Bein auf den Boden kriegen, wenn seine Mitarbeiter ihm bewußt schaden wollen. Ein Bürgermeister wird keines seiner Projekte verwirklichen können, wenn seine Fachabteilungen ihn torpedieren, oder wenn die führenden Köpfe in der Stadtverordnetenversammlung, die selber gern Bürgermeister geworden wären, alle Vorschläge ablehnen.

Beim Mobbing gibt es immer drei Gruppen. Die mobben, die gemobbt werden und die Zu­schauer. Die wichtigsten sind dabei die dritte Gruppe. Und hier wird auch die Aufgabe der Christen deutlich: Daß sie nicht selber mobben, ist selbstverständlich. Aber wenn sie Mobbing bemerken, dann haben sie sich entschieden auf die Seite der Gemobbten zu stellen und dürfen keine Angst haben, nun selber auch noch gemobbt zu werden.

Der 1. Johannesbrief denkt nach über das Verhältnis des Christen zu Gott und der Welt. Dabei wird die Welt einseitig negativ gesehen, es gibt für ihn nur ein Entweder- Oder: Entweder man liebt Gott oder man liebt die Welt. Der 1. Johannesbrief drückt es so aus: „Habt nicht lieb die Welt noch was in der Welt ist. Wenn jemand die Welt lieb hat, in dem ist nicht die Liebe des Vaters!“

Aber daneben muß man auch immer den Satz aus dem Johannesevangelium hören: „Also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eigeborenen Sohn gab!“ Ein Christ kann sich nicht einfach aus der Welt abkapseln und sagen: Die Welt ist nur böse, man muß sich von ihr fernhalten und braucht gar nicht zu versuchen, sie zu verändern. Dann gibt es keine Freude mehr an Gottes Welt.

Doch der Christ wird aufgefordert, eine andere Einstellung zu finden. Man kann sie beschreiben mit dem Schlagwort „tätige Weltverantwortung“. Unsere Aufgabe ist es, die Welt nicht einfach hinzunehmen, wie sie ist, sondern sie nach Möglichkeit zu verbessern.

Das Mobbing ist da ein Beispiel: Jeder Vorgesetzte sollte auf solche Erscheinungen achten und ein offenes Ohr für alle seine Mitarbeiter haben. Und das Gleiche gilt für die Kollegen, daß sie aufmerksam sind und dem beistehen, der gemobbt wird. Ob wir Gottes Willen ausführen entscheidet darüber, ob wir in der Welt die gute Schöpfung Gottes sehen oder eine gefährliche Konkur­rentin Gottes.

Der 1. Johannesbrief sagt es unverblümt: „Wer aber seinen Bruder haßt, der ist in der Fin­sternis und wandelt in der Finsternis und weiß nicht, wo er hingeht; denn die Finsternis hat seine Augen verblendet!“ Wie wir unseren Mitmenschen behandeln zeigt, ob wir Gott lieben oder nicht.

Aber auch unser Verhältnis zur Welt spielt da eine Rolle. Der 1. Johannesbrief wendet sich gegen eine damals weitverbreitete Weltanschauung, die nur Weltverneinung und Weltflucht kannte. Sie sagte: Unsere Heimat ist im Himmel, wir sind nur auf die Erde verbannt, und es kommt darauf an, möglichst schnell in die himmlische Welt zurückzukehren.

Christen aber sagen: Die Welt ist Gottes Welt, wie sie auch aussieht und wie es in ihr auch zugehen mag. Die Welt ist kein Unglück, sondern aus Gottes Willen entstanden. Gott hat sie nicht aufgegeben, sondern seinen Sohn in diese Welt gesandt, um sie zu erretten. Er ist weiter an ihr interessiert. Und deshalb sind wir auch aufgefordert, zum Retter der Welt zu werden- natürlich nicht der ganzen Welt, aber doch in im je eigenen Bereich.

Der Glaube nimmt in der Welt die Herrlichkeit Gottes wahr. Christen sind fähig zu unbefangener Freude an allen guten Gaben Gottes. Unter fröhlichen Leuten dürfen sie fröhlich sein, sie dürfen sich zum Beispiel modisch kleiden oder ins Theater oder auch auf ein Rock-Festival gehen. Das gilt übrigens auch und erst recht für die Frau und die Kinder des Pfarrers, die sind davon natürlich nicht ausgenommen.

Kritik an der Welt und Abstand von ihr sind deshalb dennoch nötig. Doch nicht, weil sie Welt ist, sondern weil sie eine böse Welt ist. Aber das ist nicht eine unheimliche anonyme Macht, sondern das Böse begegnet uns immer in Menschen. In diesem bringt es Lügen, Eigensucht, Prahlsucht, Mißtrauen und Habenwollen hervor. Wir können das nicht alles achselzuckend hinnehmen. Wir haben einen anderen Lebensentwurf dagegenzustellen.

Doch für die Meisten wird es nicht die richtige Lösung sein, sich aus der Welt zurückzuziehen und ins Kloster zu gehen. Doch sie können zeigen, daß das Leben mehr ist als Speise und Trank, Kleidung und Wohnung. Das alles können wir fröhlich und dankbar genießen, es darf uns aber nicht gefangen nehmen.

Als Christen sind wir zur Gottesliebe befreit. Die Welt ist noch so wie sie ist. Aber durch Christus ist sie verändert, wir können in ihr durchaus Gottes Willen tun. Dabei spricht der Brief alle Generationen an. Und gerade den jungen Leuten sagt er: „Ihr seid stark, ihr habt den Bösen ja schon besiegt!“ Doch das Christsein hängt nicht davon ab, was wir für Gott tun, sondern was er für uns tut. Er hat in Christus alles bereinigt. Das ist die Plattform, auf der wir als Christen stehen und von der aus wir unser Leben und die Welt sehen und gestalten können.

 

 

1. Joh 2, 21 – 25 (1. Sonntag nach dem Christfest):

Zwei Frauen unterhalten sich auf der Straße: „Jetzt sind bald wieder die Weihnachtsfeiertage. Aber mir sagt das alles gar nichts mehr. Erst die Ruhe und die Feststimmung, und danach wieder das graue Einerlei des Alltags. Das Leben ändert sich ja doch nicht!“ Vielleicht fürchten viele von uns heute auch schon wieder den Alltag mit seinen, Mühen und Lasten. Und da man diesen Aufgaben nicht ausweichen kann, war Weihnachten halt nur so ein Täuschungsmanöver.

Es gibt Menschen, die an einer regelrechten Feiertags-Depression leiden. Alleinlebende haben Angst vor dem Fest, weil sie auch in diesem Jahr von niemanden eingeladen werden; oder sie haben niemanden, den sie einladen könnten. Aber es gibt auch die anderen, für die diese Tage einerseits eine Zeit des Ausschlafens, andererseits aber auch der Hektik sind. Da sind Besuche zu machen und Briefe zu erledigen, im Fernsehen darf man nichts verpassen und am dritten Feiertag wird vielleicht schon eine kleine handwerkliche Sache erledigt.

Wir fragen uns vielleicht: „Wo ereignete sich an diesem Fest des Friedens für mich etwas Friedevolles? Gab es weniger Streit und mehr Ruhe? Fühlte ich mich weniger einsam als sonst, wurde ich positiv überrascht? Habe ich mehr Musik gehört und gesungen als sonst, habe ich mehr geschlafen und gegessen, hatte ich eine bessere Laune?“

In diesem Gottesdienst sollen wir noch einmal auf den hingewiesen werden, um den es ja an Weihnachten geht. Wir feiern den Geburtstag Jesu, aber in ihm haben wir Gott. Gott ist in Jesus, Jesus aber haben wir im Wort, und im Wort haben wir das Leben. So stellt es uns dieser Abschnitt aus dem 1. Johannesbrief vor Augen.

 

(1.) Gott ist in Jesus: Die meisten Menschen haben heute eher einen Zugang zu Jesus als zu Gott. Sie sehen in ihm einen Freund der Menschen, aber eben nur einen Menschen, der sich allerdings durch die Kräftigkeit seines Gottesbewußtseins und die Echtheit seiner Gemeinschaft mit Gott auszeichnet. Dann hätte Gott in Jesus nur einen ersten Glaubenden geschaffen, an dessen Glauben sich der Glaube der anderen entzündet.

Der 1 Johannesbrief sagt aber viel mehr: „Gott rettet seine verlorene Welt, in dem er seinen Sohn Mensch werden läßt!“ Gott verbindet sich mit Fleisch und Blut. „Fleisch“ ist in der biblischen Sprache der stärkste Ausdruck für das Niedrige, für das von der Wirklichkeit Gottes Entfernte und ihr Entgegengesetzte. Aber verloren ist die Welt nicht, weil sie Welt ist, sondern weil die Menschen die Finsternis mehr geliebt haben als das Licht. Gott hat die Welt nicht abgeschrieben, sondern sie so geliebt, daß er ihr seinen Sohn geschickt hat.

Seitdem sollen wir Gott nicht mehr über oder jenseits dieser Welt finden, sondern Gott hat sich auf einmalige Weise mit dem Stück der Welt vereinigt, das den Namen „Jesus“ trägt. Wir stehen heute genauso wie die Menschen damals in der Versuchung, von Gott nur abstrakt

zu reden: Er soll der „Grund unseres Seins“, das „Absolute“, das „höchste Wesen“ oder „die Vorsehung“ sein. Mit solchem Reden will man beweisen, daß man kein einfältiger Mensch ist, sondern kritisch und denkend.

Aber damit ist man nicht unbedingt auf dem Weg zum wahren Gott. Wir sollen Gott nicht irgendwo suchen, weder in der Höhe noch in der Tiefe, nicht in der Ferne noch in der unmittelbaren Nähe. In Jesus, wo Gott Mensch geworden ist, da sollen wir ihn suchen. Und wer wollte denn aus einer trüben Pfütze Wasser schöpfen, wenn ihm klares Quellwasser zur Verfügung steht?

Nun sehen wir allerdings Jesus nicht mehr leibhaft vor uns. Wir haben kein Bild und nicht einmal eine Beschreibung von ihm. Aber wir können ihn kennen. Die Evangelien liefern uns weder ein blasses Bild von Jesus noch ein Bild, das durch die Überlieferung bis zur Unkenntlichkeit entstellt ist. Einen „schlichten“ Jesus, der frei ist von allen dogmatischen Verkleidungen, hat es nie gegeben. Jesus war immer das, was er war, auch wenn es zunächst noch unerkannt war und erst nach und nach die Christuserkenntnis gewachsen ist. Wenn die Christenheit dem Jesus von Nazareth nach und nach solche Titel wie „der Herr, der Christus, der Sohn“ und schließlich die Bezeichnung „Gott“ beigelegt hat, dann tat sie schon völlig recht daran.

Man kann auch nicht sagen: „Es ist ganz gleich, wer Jesu Worte gesprochen und seine Taten getan hat, auf das Geschehen allein komme es an!“ Das wäre grundfalsch! Zu solchem Tun war nur dieser eine Jesus bevollmächtigt. Was Jesus getan hat, kann man gar nicht anders beschreiben, als daß man von seiner Person spricht: Jesus ist der Christus!

Indem Gott so für uns konkret wird, wird es ernst mit Gott. Wir können nicht mehr in Ruhe über Gott philosophieren, denn jetzt heißt es: „Folge mir nach!“ Jetzt ist das Reich Gottes in der Person Jesu mitten unter uns. Der unnahbare Gott hat auf einmal unser Schicksal auf sich genommen und sich in naturhafte und geschichtliche Notwendigkeiten verstrickt und Freude und Leid mit uns geteilt.

Aber dadurch begegnet er uns auch unausweichlich. Wir begegnen ihm in einem Hohlweg, in dem es keinen Ausweg mehr gibt. Da geht es nicht mehr um den Weihnachtsmann, sondern in der Begegnung mit Jesus geht es um die Frage der Vergebung der Sünde und die Neubegründung unseres Lebens vor Gott.

Wenn wir Gott außerhalb Jesu suchen, dann werden wir früher oder später dem Gott des Gesetzes in die Arme laufen. Solange wir nicht bei Christus vor Anker gegangen sind, versuchen wir selbst es auch immer wieder mit dem Gesetz. Dann sind wir immerzu darauf aus, was wir selbst sind und leisten, um uns so Gott vom Leib zu halten. Aber das geht nicht, es ist auch nicht nötig. Adam hat sich noch vor Gott versteckt, als er ertappt worden war. Aber wir brauchen uns nicht mehr verstecken, seit Gott in Christus bedingungslos zu uns steht.

 

(2.) Jesus haben wir im Wort: Es ist nicht so einfach, Gott im Menschen finden zu können. Wir müssen uns dazu mit einem fernliegenden Stück Geschichte vertraut machen. Wir müssen uns in eine ganz andere Weise des Denkens und des Lebensverständnisses, in andere Gewohnheiten und Sitten und in eine andere soziale Ordnung hineindenken. Aber danach müssen wir dieser Weg auch wieder zurückgehen in unsre gegenwärtige Lage hinein.

Immer wieder hat man versucht, sich diesen Weg zu ersparen und eine irgendwie geartete Gottunmittelbarkeit zu gewinnen. Man wollte Gott aus der Natur erkennen, aus ihrem Reichtum, ihrer Schönheit und ihrer Ordnung. Oder man wollte Gott mit den Mitteln des menschlichen Denkens innewerden, durch Versenkung oder auch durch die Kunst. Oder man dachte, man brauche nur auf eine innere Stimme zu hören und den inneren Funken anblasen zu lassen und auf das Wehen des Geistes zu warten. Angeblich wäre so alles viel einfacher und müheloser, auch viel echter und überzeugender. Was hilft in Glaubensdingen schon Angelerntes und Übernommenes?

Doch der 1. Johannesbrief sagt: „Was euch in der Taufe mitgegeben wurde, das bleibt. Da ist es nicht nötig, daß euch noch jemand anders lehrt!“ Damit soll aber nicht gesagt sein, daß man die Predigt des Wortes und die anderen Gnadenmittel nicht mehr braucht, wenn man nur erst glaubt. Vielmehr geht es hier gegen Irrlehrer, die die schlichten Gläubigen auf eine höhere Stufe der Erkenntnis führen wollten. Sie sagten: „Der himmlischer Erlöser hat sich nur vorübergehend - zwischen Taufe und Kreuzigung Jesu -in ein irdisches Gewand verkleidet. Er hat die Menschen an ihre himmlische Heimat erinnert, damit sie sich frei machen von ihrem Körper und in die überirdische Welt zurückkehren!“ Doch das ist nicht nur ein Irrtum, so als sähe man das nur falsch, sondern das ist eine Lüge, bei der sich Menschen gegen eine erkannte Wahrheit auflehnen. Hier wird Gottes rettendes Tun nicht nur geleugnet, sondern es soll durchkreuzt werden.

Der 1. Johannesbrief dagegen sagt: „Was ihr von Anfang an gehört habt, das bleibe in euch. Der Glaube braucht die Überlieferung, denn in diesem Wort spricht Gott selbst. Hier hat er sich gewissermaßen noch ein zweites Mal erniedrigt, in das Wort hineinbegeben, aber

er will es so. Deshalb brauchen wir keine neuen Offenbarungen, sondern nur das Wort der Bibel. Und es ist auch nicht getan mit stimmungsvollen Augenblickserfolgen, sondern auf das Bleiben kommt es an.

 

(3.) Im Wort haben wir das Leben: Wenn Gott in der Verkündigung die Gemeinschaft mit uns herstellt, dann haben wir das neue Leben schon jetzt. Es geht dabei nicht um das biologische Leben, das jeder Mensch mit allem organischen Leben gemeinsam hat. Der Mensch kann sich entscheiden und wird zur Verantwortung gezogenen. Er kann seine Bestimmung auch verfehlen. Wahres Leben aber hat er nur, wenn er auch Gott hat. Da wir Gott aber jetzt schon haben können, weil Jesus einer von uns geworden ist, haben wir dieses göttliche Leben jetzt auch schon.

Aber das ewige Leben ist auch wiederum mehr. Wir haben noch nicht alles, aber Vater und Sohn werden uns zu sich ziehen. Die Gott so geliebt hat, daß er seinen Sohn für sie gab, die läßt er nie wieder fallen. Es gibt etwas zu hoffen, dann Gott kam und hat froh gemacht, die traurig waren. Deshalb gibt nicht die äußere Form der Weihnacht den Ausschlag über dem Wert der Festtage, sondern das Ernstnehmen der Botschaft: „Euch ist heute der Heiland geboren!“

 

 

1. Joh 3, 1 - 6 (Christtag I):

Weihnachten ist ein Fest für Kinder, sagen wir. Weihnachtsfreuden sind Kinderfreuden. Die Erwachsenen entschuldigen sich etwas verlegen für den ganzen Betrieb um Weihnachten. Aber wahrscheinlich wird gerade an Weihnachten in ihnen der Wunsch lebendig, noch einmal ein Kind sein zu dürfen, noch einmal alles so nehmen zu können wie ein Kind.

Dabei ist dieser Wunsch gar nicht so abwegig. Der 1. Johannesbrief ist eine Art Weihnachtsbrief, denn er sagt uns: „Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater gezeigt, daß wir Gottes Kinder sollen heißen!“ Weihnachten ist auch für Erwachsene. Auch sie brauchen den, der an diesem Tage geboren wurde.

Aber wir werden hier nicht zurückgeführt in ein Kinderparadies. Hier werden Erwachsene angeredet, die von der Zukunft mehr erwarten, als die Vergangenheit ihnen bisher bieten konnte. Sie sollen wissen: „Ihr seid nicht verdammt, weitermachen zu müssen wie bisher. Eure eigene Schwäche dürft ihr geringer empfinden als die bergende Hilfe Gottes. Ihr dürft euch wie Kinder in die Arme des Vaters Jesu Christi flüchten!“ Das Wort „Kind“ soll dabei nicht so sehr die Abhängigkeit und Unmündigkeit bezeichnen, sondern die Nähe und Zugehörigkeit zu Gott.

Wir werden nicht nur Kinder Gottes genannt, sondern wir sind es auch tatsächlich. So wie wir etwas vom Wesen unsrer leiblichen Eltern mitbekommen haben, so haben wir auch seit der Taufe etwas vom Wesen Gottes. Doch unsre „Göttlichkeit“ liegt nicht darin, daß wir Spitzenleistungen im Denken vollbringen oder besonders anständige Menschen wären.

In jeder Familie kommt es auch einmal zum Krach. Das kommt in den besten Familien vor. Auch gegenüber Gott ist unser Verhältnis nicht immer ungetrübt. Als wir noch Kinder waren, da bedeutete uns der Christbaum noch etwas; da sangen wir noch die Lieder voller Begeisterung mit und waren in einem guten Sinne gläubig. Aber je älter wir wurden, desto aufgeklärter und abgeklärter wurden wir; da ließen uns die Weihnachtsgeschichte und die Lieder doch vielleicht ziemlich kalt.

Manchmal kommt das erst in den späteren Jahren wieder. Dann begreift man erst dem Sinn dieses Festes so einigermaßen und erkennt, daß der Glaube der Kindheit doch der richtige war. Oft handeln wir so wieder verlorene Sohn, der den Faden zu seinem Vater beleidigend durchgeschnitten hatte. Erst Gott kann uns dann von sich aus wieder zu seinen Kindern machen.

Gott mußte sich dafür opfern, damit das wieder möglich wurde. Er hat sich dazu nicht nur einmal flüchtig den Menschen zugewandt, sondern hat sich ganz in die Welt der Menschen hineinbegeben. Wenn man einem helfen will, dann muß man sich zunächst auf die gleiche Stufe stellen wie er.

Man kann sich das einmal deutlich machen am Beispiel eines katholischen Priesters aus Neapel, der von seinen Freunden „Don Vesuvio“ genannt wird. Dieser Mann hat sich besonders um die Straßenjungen in Neapel gekümmert. Zu diesem Zweck hat er sich selber alte Lumpen angezogen und hat sich nachts unter die Kinder gemischt, die irgendwo in einem Schuppen übernachteten. So hat er ihr Vertrauen gewonnen und sie allmählich auf eine andere Bahn gebracht. Seit 1967 hat er ein Lehrlingswohnheim, wo jeweils 120 dieser Kinder eine Bleibe

und eine Ausbildung finden. Nun mußten die Kinder nicht mehr ihr tägliches Brot durch Diebstahl und Raub besorgen, sondern sie gingen einer geordneten Zukunft entgegen. Sie konnten wieder wirklich Kinder sein.

Aber dazu mußte erst einer kommen, der so wurde wie sie. Erst als er ihre Not verstand, konnte er sie auch zu einem neuen Leben führen. So ist auch Gott erst einmal Mensch geworden, damit wir mit unserem geistlichen Vagabundieren aufhören und bei ihm eine wirkliche Heimat finden. Gott hat das Tor weit aufgemacht, damit wir wieder auf ihn zugehen können und wieder richtige Kinder Gottes werden.

Bis dahin wird es vielleicht ein langer und oft beschwerlicher Weg sein. Es werden Stunden kommen, in denen wir am liebsten umkehren möchten. Man weiß ja auch nie so recht, wie weit man auf diesem Weg schon gekommen ist. Man sieht einem Menschen das Christsein nicht äußerlich an. Jeder muß essen und trinken, ist unzufrieden und hat Probleme. Christen sind auch nicht immer besonders fromm, aber auch nicht besonders verworfen. Es ist ihnen kein Kreuz auf der Stirne gezeichnet und es schwebt kein Heiligenschein über ihrem Kopf

Äußerlich gesehen sind sie Menschen unter Menschen - und doch sind sie Kinder Gottes ! Woran kann man das merken?

Die erste Antwort des Johannesbriefes lautet: „Es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden!“ Schon Jesus hat man nicht angesehen, wer er ist. Da wird es mit seinen Leuten wohl kaum anders sein. Man muß damit rechnen, daß man uns falsch versteht oder gar bekämpft. Aber das ist an sich ein Zeichen, daß wir auf dem richtigen Weg sind. Früher bestand eine Kluft zwischen Gott und den Menschen. Seit Jesus verläuft die Grenze zwischen dem Christen und der Welt. Wer aber an Gott glaubt, der steht bedenkenlos an der Seite Gottes, so wie ein Kind, das immer wieder zu seinem Vater hält. Deshalb brauchen wir uns nicht beeindrucken zu lassen von Verdächtigungen und Vorwürfen. Wenn das seinen Grund hat in unsrer Zugehörigkeit zu Gott, dann liegen wir richtig.

Ein Mann, der jeden Sonntag im Gottesdienst war, betete gegen die übliche Sitte das Glaubensbekenntnis und das Vaterunser laut mit. Auf der Straße sprach er Jugendliche an und lud sie zur Evangelisation im Nachbardorf ein. Die Leute sahen ihn immer von der Seite an und lachten über ihn. Er war so ein seltsamer Heiliger, der nicht mehr in unsre Welt zu passen schien. Aber sicherlich lag er ganz richtig, denn er war das, was Jesus auch gewesen ist: ein Gotteskind in einer fremden Welt.

Die zweite Antwort des Johannesbriefes auf die Frage nach den Erkennungszeichen des Christen lautet: „Wer in ihm bleibt, der sündigt nicht!“ Aber stimmt das denn? Geht es nicht eher so zu wie meist zwischen Eltern und Kinder? Da tun die Eltern ihren Kindern viel Liebes und Gutes. Sie erwarten dafür Gehorsam und kleine Hilfeleistungen. Aber die Kinder versuchen sich zu drücken und haben ihre Ausreden.

Sollen wir auch oft von Gott weglaufen, weil wir fürchten, sonst bevormundet zu werden? Der Johannesbrief aber ist eine Werberede, in der sich Gott uns selbst anbietet. Er ruft uns auf einen Weg, auf dem wir uns entfernen von der Sünde und unser Leben in Jesus verankern. Glauben heißt: Überlaufen vom Feind zum Freund, von der Sünde zur Gerechtigkeit, aus der Finsternis ins Licht, aus der Gefangenschaft in die Freiheit, aus einem erstarrten Erwachsensein in eine entwicklungsfähige Kindschaft.

Wir können also nicht sagen, wir seien bessere Menschen als andere und wir seien schon im neuen Leben. Wir sollen uns aber auch nicht durch die Schäden und Mängel unseres äußeren Lebens daran irre machen lassen, daß wir Gottes Kinder sind. Wir wissen noch nicht, wie das neue Leben im Einzelnen aussehen wird. Aber wir werden Christus sehen, wie er ist, und werden ihm gleich sein.

Wir wollen aber damit nicht in eine ferne Zukunft ausweichen. Der Johannesbrief sagt: „Wer eine solche Hoffnung hat der reinigt sich, gleichwie Gott auch rein ist!“ Ein Christ muß da schon dem Vorbild seines Herrn folgen. Aber er darf sich auch nicht bei dem Gedanken zermartern, daß er es doch nie ganz schaffen wird. Kinder wachsen eben erst heran, sie lernen noch und reifen und verstehen erst am Ende die Eltern richtig.

So werden wir auch erst von Christus richtig erzogen. Er kann die Sünde in uns ausmerzen Aber dazu kommt es darauf an, daß wir in ihm bleiben. Davon können wir nicht mehr leben wie einer, der ihn nicht gesehen noch erkannt hat. Wenn wir Kind Gottes sind, dann können

wir nicht mehr so bleiben, wie wir sind. Dann können wir auch nicht mehr bockig und aufsässig sein gegen Gott. Dann können wir nicht mehr unsren eigenen Willen durchsetzen, sondern stehen auf der Seite Jesu gegen alles, was uns von Gott wegziehen will.

Das haben jene Kinder begriffen, die jener Priester Don Vesuvio bei sich aufgenommen hat: Sie wollten sich äußerlich und innerlich der Liebe würdig erweisen, die ihnen geschenkt wurde. Auch für uns war Weihnachten nicht umsonst, wenn wir in ihm die Liebe Gottes erkennen. Gott hat alle Voraussetzungen geschaffen, daß wir wirklich als seine Kinder heranwachsen können. Er will zu jedem von uns kommen. Es gilt, noch heute diese Gelegenheit zu ergreifen.

 

 

 

1. Joh 4, 7- 16 (13. Sonntag nach Trinitatis):

Eine ältere Frau lag bereits seit mehreren Wochen mit Schmerzen im Krankenhaus. Der Pfarrer schrieb ihr einen Kartengruß. Auf der Karte stand mit großen Buchstaben der biblische Satz: „Gott ist Liebe!“ Wenige Tage später steckte die Karte wieder im Kasten des Pfarrhauses. Der Satz „Gott ist Liebe“ war durchgestrichen. Darunter stand: „Das ist Lüge, sonst wäre ich nicht so viele Wochen hier!“

Wir erleben das oft, daß ein Mensch schlimm leiden muß, Qualen und Schmerzen hat bis zum bitteren Ende. Dort kommt ein Mensch auf die schiefe Bahn und hat keinen, der ihm in seiner Haltlosigkeit beisteht. Da müssen Menschen in großen Teilen der Welt erbärmlich hungern und andere leben in Hülle und Fülle gedankenlos dahin. Unfälle in Atomkraftwerken bedrohen uns alle.

Wo bleibt da Gott? Warum zeigt er seine Macht so wenig? So fragen viele Menschen. Gott soll seine Liebe vor allem dort zeigen, wo wir sie besonders brauchen: bei einer Prüfung zum Beispiel oder in einer unverwüstlichen Gesundheit oder bei der Beseitigung unserer Probleme. Und vor allen Dingen soll er sie seinen Freunden zeigen, das ist doch ganz natürlich. Dennoch dürfen wir als erstes sagen:

 

(1.) Gott ist die Liebe: Liebe ist nicht deshalb da, weil wir lieben, sondern weil Gott liebt. Es wäre undankbar, wenn wir sagen wollten: „Es gibt keine Liebe Gottes und keine Liebe unter den Menschen!“ Wir alle haben Liebe empfangen von unserer Kindheit an, viel mehr, als unser Gedächtnis behalten hat. Viele Menschen haben, sich für uns eingesetzt und geopfert. Auch Gott hat das getan.

Er hat sogar seinen Sohn Jesus dem Haß und der Verfolgung ausgesetzt. Die Frommen hielten ihn für einen, der von Gott verflucht war. Nach ihrer Meinung konnte er nicht die Liebe Gottes zu den Menschen bringen. Und doch hatte Jesus recht, als er sich auf Gott verließ. Gottes Liebe hat sein Leben getragen und ihn bewahrt mitten im Haß seiner Feinde.

Gott stößt halt immer wieder auf eine Front der Feindschaft und der Abwehr. Aber er durchbricht sie mit seiner Liebe. So bereitet ja auch uns gerade der Mensch Schwierigkeiten, dem unsere Liebe gelten soll. Der liebe Nächste macht es einem wirklich oft schwer. Er will sich oft einfach nicht lieben lassen. Gott aber reagiert nicht auf das Verhalten des anderen, sondern setzt (immer wieder) neue Anfänge. Gottes Liebe scheut vor nichts zurück.

Vielleicht müssen wir aber erst begreifen, daß Gott es mit uns nicht weniger schwer hatte. Auch wir beklagen uns oft über ihn und wollen seine Liebe nicht wahrhaben. Wir meinen immer, vor das helle Licht seiner Liebe schieben sich Leid und Unglück wie eine dunkle Wolke. Das Dunkle gehört mit dazu. Es widerlegt die Liebe Gottes nicht.

Vielmehr fragt Gott uns: „Weißt du dich trotz aller Widerwärtigkeiten in deinem Leben geborgen? Glaubst du, daß dein Leben niemals sinnlos ist? Hängst du dein Leben an Gott, auch wenn sich Krankheit und Enttäuschung, Einsamkeit und Tod zeigen? Unser Gott ist nicht bequem, nicht nur ein „lieber Gott“ ‚wie wir ihn gern verstehen möchten. Unser Gott ist auch problematisch, vieles an ihm bleibt uns zunächst verborgen und undurchsichtig.

Wir müssen es eingestehen: „Niemand hat Gott je gesehen!“ Der erste Johannesbrief wendet sich damit gegen Irrlehrer, die behaupten, Gott sei ihnen erschienen und nun hätten sie alle seine Geheimnisse durchschaut. Wir sagen manchmal von einem Menschen: „Den kenne ich!“ Wir meinen damit: „Ich habe ihn einmal gesehen und kann mich nun an sein Äußeres erinnern!“ Aber damit kennt man ihn noch nicht wirklich. Wer nicht dauernde Gemeinschaft mit einem anderen hat, wird nie viel von ihm erfahren. So ist es mit Gott auch: Wir müssen uns erst einmal mit ihm einlassen, uns von ihm leiten lassen und alles von ihm erhoffen, dann werden wir ihn auch erkennen und begreifen. Vor allem wird uns dann auch deutlich werden: „Nicht wir können Gott lieben, sondern er hat uns zuerst geliebt!“

Nur dadurch hat unser Leben einen festen Boden, auch wenn es manchmal so scheint, als käme alles ins Wanken. Ein Vogelnest hoch oben in der Krone eines Baumes kann ruhig vom Wind hin und her geschüttelt werden. Aber das macht nichts. Hauptsache, der Baum steht fest und die Wurzeln sind gut. So wurzelt auch unser Leben in der Liebe Gottes. Auf ihn können wir uns verlassen, auch wenn wir schuldig geworden sind. Wenn alles wankt und fällt, so bleibt Gott unwandelbar der Gleiche. Daraus ergibt sich aber die Folgerung:

 

(2.) Laßt uns einander lieben: Wenn uns Gottes Liebe begegnet ist, dann sehen wir auch unseren Mitmenschen mit anderen Augen. Wir erkennen seine Not und suchen ihm zu helfen. Man wird nur an den Gott der Liebe glauben können, wenn man diese Liebe von denen erfährt, die an ihn glauben. Das sagt schon der erste Satz des Predigttextes, der das ganze Programm ist: „Ihr Lieben“ - ihr, die ihr geliebt werdet, liebt nun eurerseits den anderen.

Wenn Kinder in den Evangelischen Kindergärten aufgenommen werden, dann soll ihnen dort etwas von der Liebe Gottes deutlich werden. Das geht nicht nur, indem man davon erzählt, sondern sie müssen diese Liebe auch aus den Betreuern herausspüren. Wir haben ja sogar auch kirchliche Krankenhäuser, wo auch Leute aufgenommen werden, die gar nichts von Gott wissen wollen. Es genügt nicht, sie nur medizinisch zu versorgen. Ein solches Krankenhaus hat nur dann Sinn, wenn hier die Menschen wirklich anders behandelt werden als anderswo. Ein heruntergeleiertes Abendgebet ist Gotteslästerung, wenn sonst immer ein Kommandoton herrscht. Wenn das Kirchliche nur darin besteht, daß die Kirche Geld dazu gibt, dann sollte man das doch lieber dem Staat überlassen.

Es nutzt gar nichts, wenn wir „Ja“ sagen zu Gott, aber nicht danach handeln Wenn Eheleute sich das Jawort geben, ist es damit nicht getan. Erst im Zusammenleben zeigt sich, was es wert war. Wer A sagt, muß auch B sagen. Wie soll ein Kind in Gott dem liebenden Vater sehen können, wenn es von seinem Vater dauernd geschlagen wird? Wie soll es an die Fürsorge Gottes glauben können, wenn es nicht die Fürsorge der Eltern erfährt?

Wir brauchen diese Liebe ja nicht aus uns selber zu schaffen. Sie entsteht gar nicht an dem Ort, an dem sie geschehen soll. Sie wird vielmehr bei Gott erzeugt und fließt dann in einen Stromkreis, an dem wir uns nur anschließen müssen. Dann kreist der Strom seiner Liebe, von Gott zu uns und weiter zum anderen Menschen und dann wieder zurück zu Gott. Der Stromkreis muß geschlossen bleiben, er darf nicht gerade dort unterbrochen werden, wo i c h gerade stehe. Dort soll Licht und Kraft und Wärme entstehen, soll die Liebe sich verströmen. Der unsichtbare Strom wird nur sichtbar, wenn er angewendet wird. der unsichtbare Gott wird nur erkennbar in der Liebe, die tätig ist.

Nur durch tätige Nächstenliebe kann man zur Erkenntnis des unsichtbaren Gottes gelangen. Natürlich gibt es auch harte Gesetzmäßigkeiten, die für die Bruderliebe wenig Raum zu lassen scheinen. Es gibt eben Machtstrukturen und Zwänge, wir müssen eben arbeiten und Geld verdienen, der Alltag überfordert uns oft und erschöpft unsere natürlichen Kräfte. Oft setzt der Andere auch unserem Liebenwollen seinen Widerstand entgegen.

Doch der Fehlbetrag an Liebe in uns geht in den meisten Fällen auf unser eigenes Konto. Wir sind zu stark mit uns selbst beschäftigt. Wir haben unsere Wünsche und Schwierigkeiten, wir suchen unser Recht und behaupten unseren Standpunkt, wir klagen über den Mangel an Anerkennung und Erfolg. Das muß doch jeder verstehen, daß man damit voll ausgefüllt ist. Erst wenn all diese Berge abgetragen sind, dann wollen wir anfangen mit dem Leben.

Doch es gibt auch die umgedrehte Meinung, daß nämlich das „Christentum“ allein auf „Liebe“ zurückgeführt werden könnte. Man sieht den Jammer der gequälten und entrechteten Menschen oder auch der Natur und fühlt sich dadurch aufgerufen, etwas dagegen zu tun. So stoßen manche Menschen zur Kirche, die an sich Umweltschützer sind oder Friedensfreunde oder sogar Gegner der Gesellschaftsverhältnisse. Sie sehen in der Kirche nur eine Gemeinschaft von Idealisten, die sie für ihre Zwecke einspannen wollen. Und in der Kirche selber gibt es immer noch genug Leute, die den Glauben vorwiegend als Mitmenschlichkeit verstehen. Sie einen sehen nur Gott und lassen die Probleme der Welt außer acht, die anderen haben nur die Welt im Kopf.

Dabei ist das doch ein falscher Gegensatz. Man darf keine der beiden Seiten überbetonen, weil sie innerlich zusammenhängen. Denen, die sich nur auf Gott konzentrieren, muß man sagen: „Es ist doch Gottes Welt!“ Aber wenn sich Manche auf die Mitmenschlichkeit verlegen, dann ist doch zu fragen: „Wird man auf die Dauer an der Liebe festhalten können, wenn man die Sache mit Gott in den Hintergrund treten läßt?“

Gerade in unserer Zeit schadet es nichts, wenn wir das eigentlich Christliche mit ins Gespräch bringen. Warum sollte man Scheu haben, von Gott zu reden? Blanche gefallen sich ja direkt darin, nur von Mitmenschlichkeit zu reden und bezeichnen den als altmodisch, für den die Liebe zu den Menschen mit der Liebe zu Gott zusammenhängt. Gott aber schärft uns erst den Blick für die Aufgaben an unseren Mitmenschen. Und wir dürfen uns selber umfangen wissen von der Liebe Gottes.

Nur wer sich lieben läßt und selber in der Liebe aktiv wird, kann den unsichtbaren Gott erkennen! Im Glauben gibt es überhaupt nur eine Erkenntnis, wenn man sich auf die geglaubte Sache einläßt. Wir verlangen oft, daß Gott sich uns erst einmal unverbindlich vorstellt, damit wir aus sicherem Abstand uns eine Meinung bilden und vielleicht zufassen, wenn uns das Angebot paßt. Aber so geht es nicht. Nur wenn man die Gottesliebe im praktischen Leben umsetzt, wird man etwas davon merken, was es mit diesem Gott ist.

Suchen wir Gott nicht zu weit. Solange wir noch nicht am Ziel sind, wird er uns zwar Ge­heim­nis bleiben. Aber je ernster wir ihn nehmen und ihn in unser Tun umsetzen, desto mehr werden wir ihn im Glauben erfahren und verstehen.

 

 

1. Joh 4, 16 b – 21 (1. Sonntag nach Trinitatis):

Bei einer Trauung läßt es sich leichter von der Liebe Gottes reden als bei einer Trauerfeier. Da ist etwa ein Kind zu beerdigen, das gerade drei Tage alt geworden ist. Monatelang hatten sich die Eltern auf alles vorbereitet, Windeln und Hemdchen gekauft, Kinderbett und Kinderwagen . Aber statt Freude nu n Tränen, statt Kindergeschrei nur Totenstille. Der Großvater hatte schon in Gedanken den Wagen durchs Dorf geschoben. Stattdessen muß er nun hinter einem Sarg hergehen. So etwas prägt sich ein, einen solchen Tag vergißt keiner so schnell.

Gott ist die Liebe? Da setzen wir doch in einem solchen Fall doch ein Fragezeichen dahinter. Und trotzdem! Wo uns Dunkelheit umfängt, da beginnt Gottes Sonne aufzugehen. Wo unsre Möglichkeiten enden, da fangen die Möglichkeiten Gottes erst an. Da wird uns erst deutlich, daß nur der Glaube an Gottes Liebe über solche schweren Schicksalsschläge hinweghelfen kann.

Mancher wird auch an die Ungerechtigkeiten in der weiten Welt denken. Er wird die Bilder verhungernder und kranker Kinder vor Augen haben und sagen: Wenn es einen lieben Gott gäbe, dann würde er so etwas nicht zulassen! Aber liegt die Sache nicht andersherum: Weil Gott ein Gott der Liebe ist, werden die Ungerechtigkeiten in der Welt uns als Sünde deutlich werden.     

„Gott ist Liebe“ - das ist nicht dasselbe wie die Rede vom „lieben Gott“ Wer vom „lieben Gott“ redet, der macht sich oft nur eine billige Religion zurecht, die noch eine schöne Randverzierung des Lebens ist, ein gelegentlicher netter Gedanke. Aber alles darf nicht störend in den Ablauf des Alltags eingreifen, denn dort geht es ja manchmal gar nicht „lieb“ zu. Ein „lieber Gott“ wird nicht unbequem, man kann ihn vergessen oder ihm den Laufpaß geben, wenn er anscheinend nicht lieb gewesen ist. Ein solcher Gott ist nichts anderes als die Götzen der Heiden, denen man Schläge gibt, wenn sie den Wünschen der Verehrer nicht nachgekommen sind.

Daß Gott Liebe ist verstehen wir am besten, wenn wir auf seinen Sohn schauen. An ihm hat Gott gar nicht „lieb“ gehandelt. Der Sohn mußte sterben, um uns das Heil zu bringen. Aber er blieb dennoch in der Liebe Gottes. Gott tat alles nur aus Liebe.

Gott hat ja nicht mit sich allein sein wollen. Deshalb hat er den Menschen geschaffen, weil er jemanden zum Liebhaben braucht. Aber er thront nicht als ewig liebender Gott „im Himmel“ und strahlt nicht ständig seine Liebesenergie ab. Seine Liebe wird vielmehr ständig zum Ereignis durch Jesus Christus. Hier offenbart er das Tiefste seiner Gottheit.

Aber Gott ist nicht einer, der nur noch lächeln kann. Die Erfahrung des zornigen Gottes war kein Irrtum, der durch die frohe Botschaft aufgeklärt worden ist. Man darf über der Güte Gottes nicht den Ernst Gottes übersehen. Wir müssen auch zugeben, daß wir sündige Menschen sind. Nur Gott kann uns dazu bringen, daß wir nicht mehr sündigen, sondern lieben.

Nur deshalb dürfen wir auch Zuversicht haben für den Tag des Gerichts Gottes. Gemeint ist damit die demokratische Freiheit, seine Meinung und seine Beschwernisse in der Öffentlichkeit ohne Scheu auszusprechen. Ein Christ darf Gott alles sagen. Deshalb braucht er keine Angst zu haben, denn die Liebe Gottes wirft die Furcht hinaus.

Ein Angeklagter kann alles gelassen hinnehmen, wenn er sicher weiß: In letzter Instanz werde ich ja doch freigesprochen! Alles, was er vorher durchzumachen und auch zu erleiden hat, nimmt ihn dann nicht zu sehr mit. Er braucht keine Angst zu haben, er könnte das große Spiel des Lebens am Ende doch noch verlieren. Er kann ohne Scheu und, Sorge leben und braucht sich nicht mißtrauisch zu verschließen. Und er wird auch anderen gegenüber nicht mit Angstmachen operieren, sondern wird ihnen Freiheit gewähren, weil er selber aus der Freiheit lebt.

Hier wird nun deutlich, daß ein Leben in Gottes Liebe immer auch den Mitmenschen einbezieht. Von der Liebe zu reden ist nicht schwer, aber das Tun ist schwerer. Je selbstverständlicher man die Liebe bejaht und zur Pflicht macht, umso peinlicher ist das Fehlen des entsprechenden Tuns. Wir brauchen gar nicht lange nachzuspüren, wo der Schaden sitzt. Wir sollten vielmehr sehen, wo die Liebe ihren Ursprung hat: Sie kommt aus Gott, und der verweist uns immer wieder an den Mitmenschen.

Es gibt auch keine Mittellage zwischen Liebe und Haß. Wer den Mitmenschen nicht liebt, der haßt ihn. Und wo der Bruder gehaßt wird, da bleibt kein Raum für die Gottesliebe. Das Wachsein für den leisen Anruf des Bruders, das ist das eigentliche Ziel unseres Lebens, sein Sinn nach dem Willen Gottes.

Die junge Gemeinde, an die der erste Johannesbrief gerichtet ist, war in dieser Hinsicht einer starken Versuchung ausgesetzt. Eine neue Glaubensbewegung machte von sich reden. Ihre werbenden Worte klagen ganz ähnlich wie die christliche Botschaft. Aber man wollte in unmittelbarer Schau zu Gott gelangen und sich dabei über die Welt und alle Verpflichtungen erheben. Der neue Glaube, diese neue Weltanschauung war völlig liebeleer. Es ging nur um das Heil des Einzelnen, nicht um das Recht der Ausgebeuteten und Unterdrückten nicht um die Hilfe von Mensch zu Mensch, für Kranke und Verletzte, für Leidende und Behinderte, für Schwache und Verzweifelte.

Der Johannesbrief aber macht deutlich, daß die Liebe zu Gott und die Liebe zu den Menschen zusammengehören. Wir leben alle aus empfangener Liebe. An sich müßten wir das ja alle wissen. Aber unser Liebenkönnen leidet an einer chronischen Mangelkrankheit, wir sind oftmals bestürzend vergeßlich

Wir leben völlig in der Liebe Gottes. Aber es geht uns oft wie den Fischen, die nicht wußten, was Wasser ist. Sie sagten: „Man behauptet, unser Leben hinge vom Wasser ab. Aber wir haben noch niemals Wasser gesehen. Wir wissen nicht, was Nasser ist. Da sagten einige: Wir haben gehört, daß im Meer ein gelehrter Fisch lebt, der alle Dinge kennt. Wir wollen zu ihm gehen und ihn bitten, uns das Wasser zu zeigen! Einige machten sich auf und fragten den Fisch. Der aber sagte: „O ihr törichten Fische! Im Wasser lebt und bewegt ihr euch. Aus dem Wasser seid ihr gekommen, zum Wasser kehrt ihr wieder zurück. Ihr lebt im Wasser, aber ihr wißt es nicht. Alles, was euch umgibt, ist Wasser!“

Genauso möchte man sagen: „O ihr törichten Christen! Aus der Liebe Gottes seid ihr gekom­men und zur Liebe Gottes kehrt ihr wieder zurück. Ihr lebt in der Liebe Gottes, aber ihr wißt es noch immer nicht!“ Den unsichtbaren Gott könnte man noch wegschieben, wenn er unbequem wird. Den sichtbaren Nächsten aber kann man nicht wegschieben, der will und muß einbezogen werden in den Kreislauf der Liebe Gottes.

Wenn einer Kreislaufstörungen hat, dann kommt es zu Verkrampfungen im Adersystem. Es treten Stauungen auf, die lebensgefährlich werden können. Die Arbeitsfreude sinkt, man zweifelt an seinen Fähigkeiten, es kommt zu Schwierigkeiten in Beruf und Familie. Pillen helfen da nicht allein. Häufig liegt die Ursache ja auch im seelischen Bereich und kann also nur von innen heraus wirklich behoben werden.

Kreislaufstörrungen gibt es auch im Leben einer christlichen Gemeinde. Die Zahl der praktizierenden Christen ist ziemlich klein, nur ein Teil füllt die Bänke und Stühle in Kirche und Gemeindehaus. Viel größer ist die Zahl der Nur-Kirchensteuer-Zahler, die sich nicht einmal die Zinsen ihres Kapitals abholen. Dazu kommen noch die Unentschiedenen, die zwischen Glaube und Nichtglauben hin und her pendeln. Sie alle verstopfen den Kreislauf. Aber auch die Kirchlichen können hemmend wirken, wenn sie nicht bereit sind, einen größeren oder kleineren Dienst in der Gemeinde oder in der Welt zu übernehmen.

Gott hat uns lieb! Wenn wir das recht begriffen haben, kommt der Kreislauf der Liebe wieder in Ordnung. Wir brauchen uns ja nicht um alle Menschen auf einmal zu kümmern. Unsre Zeit, unsre Kraft und unsre Mittel sind ja begrenzt. Aber sie reichen aus, um den einen oder anderen in den Kreislauf der Liebe Gottes hineinzuziehen. Dadurch funktioniert der ganze Kreislauf besser, und das kommt ja dann auch uns selber zugute.

 

 

1. Joh 5, 1 - 4 (Jubilate):

Von dem griechischen Philosophen Diogenes wird erzählt, er sei bei hellem Tag mit der Lampe durch Korinth gegangen, um einen Menschen zu finden. Ob er ihr wohl gefunden hat, einen Menschen, wie er ihn sich vorstellte? Man wird ihn wirklich mit der Lampe haben suchen müssen. Und vielleicht war nur Diogenes selber ein solcher Mensch, wie er ihn sich wünschte.

Aber müßte man nicht genauso nach einem Menschen suchen, der „aus Gott geboren“ ist? Im 1. Johannesbrief wird so einfach behauptet: „Wer an Jesus glaubt, der ist aus Gott geboren!“ Und dann geht es gleich weiter: „Weil die Christen aus Gott geboren sind, deshalb lieben sie Gott und die Menschen, sie halten seine Gebote, und die zu halten ist nicht schwer, und schließlich werden sie auch noch die Welt überwinden!“

Das sind kühne Aussagen. Sie sind aber nicht als ein Wunsch oder als eine Möglichkeit formuliert, sondern als eine Tatsache. Doch „der Titel ist zu hoch“, beginnt Luther seine Predigt über diesen Abschritt, „es ist zu hoffärtig geredet“. Wo ist denn jemand, der sich so verhält, daß wir ihm seinen Anspruch auf seinen „himmlischen Adel“ glauben können?

Wir könnten ja auch einmal wie Diogenes mit der Lampe herumlaufen und einen solchen Menschen suchen. Wir würden dann leicht bestätigt finden, was wir schon vorher zu wissen meinen: daß es nämlich einen solchen Gottesmenschen nicht gibt. Aber ein solcher Mißerfolg würde noch nichts beweisen.

Auch mit den Mitteln der Meinungsforschung ist hier wenig auszurichten. Man hat ja etwa Konfirmanden befragt, weshalb sie zur Konfirmation gehen. Da waren dann überwiegend Antworten zu hören wie „wegen der Geschenke“ oder „weil das in unserer Familie so üblich ist“ oder „weil meine Eltern es wollen“. Aber das muß nicht unbedingt die wahre Meinung dieser Konfirmanden widerspiegeln. Ein Jugendlicher in diesem Alter hat eine besondere Scheu, sein Innerstes zu offenbaren. Deshalb schiebt er gern unverfänglichere Gründe vor, um sich nicht zu sehr aus seinem Schneckenhaus hervorwagen zu müssen und anderen einen Einblick zu gewähren.

Wenn man fragte, was einen Christen ausmacht, dann erhielte man als Antwort wohl: „Christen haben eine bestimmte Vorstellung von Gott, sie haben sich auf eine bestimmte Frömmigkeitsübung geeinigt und einen bestimmten Lebensstil und eine bestimmte Moral entwickelt!“ Der Johannesbrief aber sagt: „Ein Mensch wird zum Christen durch Gott zur neuen Kreatur!“ Von außen her werden wir gerettet. Wir müssen es nicht in uns haben, sondern der Schwerpunkt unseres Menschseins wird von mir heraus auf Christus verlagert: Er schafft uns zu neuen Menschen.

Pfarrer Sommerauer hat ein Hörspiel geschrieben, in dem ein Reporter einer Heiligen bzw. eine Heilige suchen soll. Aber überall bekommt er nur die Antwort: „Ich bin kein Heiliger. Ich kann mir das in meinem Beruf gar nicht erlauben. Was soll denn überhaupt diese

Frage?“

Schließlich gerät er dann an eine Verkäuferin, die nach einigem Zögern sagt: „Ja, ich bin eine Heilige!“ Der Reporter ist sehr verwirrt, das hatte er nicht erwartet, und er fragt sie deshalb genauer aus. Sie sagt: „Ich glaube, daß mein Leben Gott gehört. Und alles, was ihm gehört, ist heilig!“ Aber es ist eben schwer, das was man fühlt und denkt in Worte zu fassen. Aber schließlich sagt die Verkäuferin doch: „Wenn ich ‚Nein‘ gesagt hätte, wäre das weniger richtig gewesen. Deshalb habe ich ‚Ja‘ gesagt!“ Sie zögert also, ob sie sich als Heilige bezeichnen darf, die aus Gott geboren ist. Aber sie tut es dann doch, weil es falsch gewesen wäre, sich nicht zu Gott zu bekennen.

An diesem Beispiel wird uns deutlich, wie sehr der Glaube doch in unser Leben gehört. Viele sagen ja: „Man braucht im Leben gesunde Nerven und ein dickes Fell. Aber braucht man nicht auch den Glauben zum Leben? Braucht man ihn nicht für das, was man „Lebens­­be­wäl­tigung“ nennt? Wir haben zwar meist das Gefühl, unser Leben sei doch eigentlich lebenswert und es lohne sich. Aber wir wissen auch von den äußeren und inneren Widerständen, die uns den Alltag schwer machen. Und wenn wir dann morgens mit einem Seufzen erwachen und selbst nicht wissen, warum uns das Herz schwer ist, könnte uns da nicht der Glaube an den auferstandenen Christus eine Hilfe sein?

Manche meinen ja, der Glaube sei nur etwas für die Alten und Kranken, die der Tod schon vor Augen sehen und sich darauf rüsten müssen. Er ist aber auch da für die Jüngeren, die mitten in einem lebhaften, angefüllten Alltag stehen. Dietrich Bonhoeffer hat das ja gesagt: „Gott will nicht erst mit uns zu tun haben, wenn wir schwach sind, sondern uns gerade an unserer stärksten Stelle packen und uns dort begegnen. Denn im Grunde gibt es ja auch dort Anforderungen, denen gegenüber wir unsicher werden.

Der Glaube ist auch nicht wie eine ersparte Geldsumme, die wir in eine Zigarrenkiste legen mit der Aufschrift „Erspartes für meine Beerdigung“. Glaube ist ein Geschenk, das uns anvertraut ist, damit wir damit arbeiten sollen. Er ist wie die Hefe im Teig: Er bewirkt Veränderung und bringt Bewegung mit sich. Glaube bedeutet nicht, daß später nach unserem Tode einmal alles mit uns in Ordnung gehen wird. Wir sind ja jetzt schon durch Christus mit Gott verbunden. Wir gehen unsere Schritte unter seinen Augen. Seine Gebote stehen vor uns als Wegweisung. Sie weisen uns an die anderen Menschen, mit denen wir in einem guten Verhältnis stehen sollen.

Kühn ist natürlich die Behauptung: „Gottes Gebote sind nicht schwer!“ Ja, wenn es nur um die Lebensregel ginge: „Tue recht und scheue niemand!“ dann würden wir vielleicht einen solchen Satz noch bejahen. Aber wenn wir es mit den Geboten genau nehmen, dann ist es doch schon schwer.

Alkohol und Nikotin gehören in den Umkreis des fünften Gebots, wie es Luther verstanden hat: „…am Leibe kein Schaden noch Leid tun“, auch nicht am eigenen, das ist schon die Aufgabe eines Christen. Aber wie schwer wird es auch für uns, den unbequemen und den nicht liebenswürdigen Mitmenschen zu lieben. Wir wollen ja gerne, aber der andere macht es uns schwer. Wie oft versagen wir bei dieser entscheidenden Probe der Menschlichkeit. Wieviel haben wir doch vor unseren Mitmenschen und erst recht vor Gott zu verbergen?! Gottes Gebote sind schon schwer.

Aber wir sind nun einmal in unserem Leben auf Gott und die Menschen bezogen. Das ist wie beim Dreieck: Dort ist jeder Punkt mit den beiden anderen Punkten verbunden. So sind wir auch immer mit anderen Menschen verbunden, aber jeder Mensch steht auch wieder in Beziehung zu Gott.

Weil wir den Vater lieben, werden alle Menschen zu unseren Geschwistern, die wir dann auch liebhaben. Das verbindet uns mehr als die Arbeit in der gleichen Firma oder das Wohnen am gleichen Ort. Wenn wir die Verbindung mit anderen aus dem Auge verlieren, wird unser Glaube kraftlos und leer. Glauben erkennt man an der Liebe zu den Mitmenschen. Und umgedreht: Die Menschen kann man nur richtig lieben, wenn man an Gott glaubt. Beides steht

im 1. Johannesbrief nebeneinander und ergänzt sich gegenseitig. Und die Klammer zwischen der Gottesliebe und der Menschenliebe ist Jesus Christus, der unser Menschenbruder wurde und uns die Beziehung zu Gott eröffnet hat.

Aber wie viele Hindernisse tun sich auch auf, wenn wir die Gebote ernst nehmen wollen! Man braucht Ausdauer, wenn man auf Freundlichkeit nur kühle Ablehnung als Antwort erhält. Wie schnell sind wir ungeschickt oder haben einen ungünstigen Augenblick gewählt. Wie bald ist ein unbedachtes, wenn auch gutgemeintes Wort gesagt. Ehrlich gemeinte Liebe kann mit Mißverstehen oder sogar Haß beantwortet werden. Da fällt es schwer, nicht die Geduld zu verlieren.

Der 1. Johannesbrief aber will uns Mut machen, mit aller Enttäuschungen fertig zu werden. Seit es Ostern geworden ist, können wir uns an dem Beispiel der Liebe Gottes aufrichten. Wir brauchen uns nicht mehr in den Teufelskreis hineinlocken zu lassen, in dem jeder nur sich selbst liebt und eine Hand gegen die andere ist. Wenn wir uns aber nicht sauber halten von fremdem Schmutz und Leid, dann verwirklichen wir ein Stück der Freude, die von Ostern herkommt.

Dann wird uns auch der andere kühne Satz nicht mehr so verwunderlich vorkommen: „Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat!“ Wie viele Enttäuschungen haben wir doch erlebt: mit Menschen, denen wir vertrauten, und mit uns selbst. Die Gerechtigkeit der Weltordnung ist uns fraglich geworden und wir erleben immer wieder die Ohnmacht des Christenglaubens gegenüber der Unmenschlichkeit der Welt.

Was können wir schon machen, wenn anderswo Menschen gefoltert werden, wenn sie an Hun­ger sterben, wenn sie zu Tode geschlagen werden, wenn sie im Krieg umkommen, wenn sie verunglücken? Was könnten wir schon tun, wenn so etwas in unserem Land passierte? Die meisten werden doch sagen: Da sind wir doch viel zu klein, um etwas zu erreichen. Was in der Bibel steht, ist doch bloße Theorie: „Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat!“

Wir haben nur zu viel Respekt vor dem Bösen. Er steckt ja in uns selber drin. Die Welt müssen wir mit Gottes Hilfe auch in uns selber überwinden. Vielleicht hat das Böse nur Macht über uns, weil wir meinen, es werde uns am Ende doch besiegen. Aber seit Christus dürfen wir die „neue Kreatur“ ernster nehmen als den „alten Adam“.

Dennoch wird uns hier Mut gemacht, dem Wort unseres Herrn etwas zuzutrauen. Er ist es ja schließlich, der die Welt überwunden hat, nicht unsere eigene Kraft. Sein Wort verdient Vertrauen. Man muß es versuchen mit diesem Wort.

Im Gottesdienst kommen wir zusammen, um auf dieses Wort zu hören. Vieles wird an uns vorüberrauschen. Aber es läßt uns nicht unberührt. Eine Oma sagte einmal zu ihrer Enkelin: „Manchmal denke ich, mir geht es wie einem dreckigen Rebenkorb: wenn man das Wasser durch in laufen läßt, wird er sauber, auch wenn man das Wasser nicht hat auffangen können!“ Man wird wieder neu und kann sich freuen an seinem Leben.

Wir brauchen uns auch gar nicht erst den Kopf zu zerbrechen, ob unser Glaube groß oder klein ist. Nehmen wir doch einfach an, er sei groß, und leben wir danach. Dann wird dieser Glaube schon seine Kraft erweisen. Wer den Mut hat, sich Jesus anzuvertrauen, der wird auch mit ihm sein eigenes Ich und die Welt überwinden.

 

 

1. Joh 5, 11 – 13 (2. Sonntag nach dem Christfest):

Es war wahrscheinlich noch keiner von uns in Amerika. Aber es zweifelt doch keiner daran, daß es dieses Amerika gibt. Wir haben Bilder davon gesehen und wir können die Berichte von Menschen hören, die dort gewesen sind. Wir verlassen uns einfach auf das Zeugnis dieser Menschen, aber nachprüfen können wir das in den meisten Fällen nicht. Doch ein Problem ist das für uns nicht.

In Glaubensdingen sind wir auch auf das Zeugnis anderer Menschen angewiesen. Niemand hat Gott je gesehen, auch ist noch keiner bei ihm gewesen. Und Jesus ist zwar Mensch gewesen, aber in einer fernen Zeit in einem fernen Land. Wir heutigen können da nichts mehr nachprüfen. Wir müssen uns entscheiden, ob wir den Zeugen glauben oder nicht.

Als eine Lehrerin sagte: „Glaubt ihr denn immer noch an diesen Jesus? Habt ihr ihn schon einmal gesehen?“ Die Kinder waren aber schon auf eine solche Frage geeicht und sagten: „Haben Sie den Wind schon einmal gesehen?“ Die Lehrerin sagte: „Nein, aber ich kann ihn spüren!“ Und da antwortete ein Kind: „Und Gott kann man eben auch spüren!“

Das ist eigentlich die entscheidende Frage, die wir uns auch stellen müssen: „Können wir Gott spüren? Merken wir ihn in unserem Leben? Lassen wir ihn eine Macht sein? Hat er etwas über uns zu sagen?“ Auch die Christen in der zweiten oder dritten Generation, an die der 1. Johannesbrief gerichtet ist, glaubten bereits. Aber sie bedurften der ständigen Vergewisserung, ihr Glaube mußte immer wieder gestärkt werden, sie mußten von außen immer wieder das Zeugnis empfangen.

Und das ist bis heute nicht anders geworden. Wir können. nicht Gottes Stimme hören oder seine Gestalt sehen. Aber wir hören von ihm und können ihn spüren, indem wir dem glauben, den er gesandt hat. Von Gott wissen wir nur in der rechten Weise durch das Zeugnis Jesu Christi, das uns die ersten Christen überliefert haben.

Aber können wir uns denn in Glaubensdingen auf ein fremdes Zeugnis verlassen? Der Glaube kann doch nicht von den Erfahrungen anderer zehren! Sollen wir einfach glauben, was die Kirche glaubt? Müssen wir nicht selber gewiß werden? Die bloße Information nützt ja noch nichts, bis zum Glauben ist da noch ein weiter Weg. Und dieser Glaube muß uns im Grunde von Gott geschenkt werden.

Der 1. Johannesbrief sagt uns da: „Gott hat uns das Leben gegeben, sogar das ewige Leben. Und dieses Leben kann man erlangen, indem man sich zu Jesus hält!“ Das ist eine der Antworten des 1. Johannesbriefs auf die Frage, wie man Gott erfahren kann. Ein Ungläubiger wird da allerdings sagen: „Das ist ja gerade das Eingeständnis der Schwäche, wenn man sagt, Gott kamen sich nur selbst beweisen da begibt man sich doch auf ein Gebiet, wo alles unsicher und undurchsichtig ist!“

Aber nach Beweisen fragt man nur, solange man noch draußen steht. Wer aber an diesen Gott glauben will, zu dem spricht er auch. Der, wird mit Staunen entdecken, wie Gott ihn liebt. Er spürt auch in seinem Inneren genau, daß Gott da ist. Man kann jedem nur raten: „Bleibe diesem Gott nur auf der Spur und sammle Erfahrungen mit ihm. Dann wird dir eines Tages schon aufgehen, wer Gott denn nun ist!“

Der 1. Johannesbrief macht sich keine Sorge, diese innere Beglaubigung könnte ausbleiben. Aus ihm spricht eher die Sorge, man könnte dieser Beglaubigung Widerstand entgegensetzen. Es ist ja nichts Ungewöhnliches, wenn einer nicht an Gott glaubt. Wenn sonst ein Mensch versagt, dann wird ihm das schwer angekreidet. Aber wenn er nicht an Gott glaubt, wird ihm deswegen kein Vorwurf gemacht.

Doch die Bibel beurteilt das anders. Es mag zwar sein, daß einer wirklich nicht glauben kann, weil es ihm nicht gegeben ist. Aber das dürfte die Ausnahme sein. Meist ist es doch so, daß der Mensch nicht w i 1 1. Er hat das Zeugnis zwar vorliegen, aber er glaubt ihm nicht. Umgedreht aber kann man sagen: „Wer an diesen Gott glaubt, der hat das Leben!“ Mit großer Selbstsicherheit wird hier das Wort „haben“ verwendet. Es macht deutlich: Man kann Christus haben, so wie man sonst ein Ding in Besitz nehmen kann. und wenn man ihn hat, dann hat man das Leben, weil es sich wie ein Kraftfeld um Christus herum legt: Im Sohn Gottes haben wir das Leben!

Der Wille zum Leben ist uns von Gott mitgegeben. Er ist uns so selbstverständlich, daß wir gar nicht fragen: „Weshalb lebe ich?“ Mit sicherem Instinkt tun wir alles, um unser Leben zu erhalten. Wir schützen uns nach Möglichkeit vor Gefahren. Bei Krankheit gehen wir zum Arzt. Wenn ein anderer unser Leben beeinträchtigt, dann gehen wir zum Gericht.

Es liegt ums nämlich nicht nur daran, d a ß wir leben, sondern es kommt auch auf das W i e an: Gesundheit und Wohlbefinden, Vielgestaltigkeit und Erfahrungen gehören mit dazu. Es geht nicht nur um Auto und Fernsehapparat, sondern auch um eine gesicherte berufliche Laufbahn, ein harmonisches Familienklima, eine komfortable Wohnung und die Anerkennung durch andere. Es soll ein Leben sein, das es wert ist gelebt zu werden. Was nutzt es einem zum Tode Verurteilten, wenn er zwar begnadigt wurde auf „lebenslänglich“, aber nun wirklich sein ganzes Leben über in der Zelle sitzen soll? Ist das noch Leben?

Aber „Leben“ ist auch nicht das Gegenteil. Der Wunsch, an der Fülle des Lebens teilzuhaben, kann sich übersteigern bis zur Gier und Unersättlichkeit. Da will man sich dann alle Genüsse des Lebens erlauben und sich an Silvester oder in der Fastnacht einmal so richtig austoben. Wem es Spaß macht, der soll sich ruhig an Knallkörpern und Luftschlangen belustigen. Aber wirkliche Freiheit und Zufriedenheit hat man nur, wo man im natürlichen Leben nicht aufgeht.

Wenn man nur aufs Genießen aus ist, auf Essen und Trinken, Reisen und Sex, Limbi und Rausch, da verengt sich das Leben und der Mensch verarmt. Das geschieht auch, wenn man nur schuftet und den freudlosen Alltag als eine harte Last empfindet. Dazu kommt die Angst, man könnte etwas verpassen. Gerade zum Jahreswechsel hat man oft den Eindruck, daß man sich nichts entgehen lassen will. Man merkt, daß die Jahre dahinschwinden, und man entwickelt einen Lebenshunger, der oftmals beängstigend ist. Man möchte mehr haben, möchte Lustgewinn erlangen, einmal ohne alle Einengungen des normalen Lebens sich selbst verwirkliche können.

Aber das wirkliche Leben ist mehr. Es besteht nicht nur aus Bewegung und Stoffwechsel, Fortpflanzung und Altern. Man kann ja äußerlich am Leben sein und in Wirklichkeit doch tot sein. Andererseits kann man tot sein und doch das Leben haben; allerdings ist das dann nicht ein über den Tod hinaus verlängertes Leben, sondern dieses Leben hat etwas mit Gott zu tun. Leben im Vollsinn haben wir erst, wenn wir unserer Bestimmung entsprechen, nämlich Ebenbild Gottes zu sein, ein Kind Gottes, und in einem gewissen Sinne auch Gegenüber und Partner.

Im Sohn Gottes haben wir das Leben. Jesus hat gesagt: „Wonach überall gesucht wird, das habt ihr in mir, denn ich bin das Leben!“ Wir haben das Leben nicht aus uns selbst. Wir haben es von unserem Schöpfer, der es allein in sich hat und an uns weitergegeben hat. Wenn wir nur aus uns selber das Leben haben wollen, dann wären wir nur wie ein stehendes Gewässer, das bald faul wird und zu stinken anfängt. Von Gott aber fließt lebendiges Wasser in uns hinein und durch uns hindurch zu den anderen, bis es zurückkehrt ins ewige Leben, aus dem es stammt.

Doch dieses Leben ist nicht ein Ding oder ein System, eine Regel oder ein Verhaltensstil. Vielmehr ist es an die Person Jesu Christi gebunden. Es ist nur zu haben als das Geschehen, das sich zwischen Christus und uns ereignet und in dem wir mit ihm zusammengeschlossen sind.

Die Irrlehrer, gegen die sich der Johannesbrief wendet, haben es offenbar anders gesehen. Sie leugneten, daß Christus ins Fleisch gekommen und Mensch geworden ist. Während für Johannes das Kommen Jesu das entscheidende Heilsereignis gewesen ist, brauchen sie angeblich nur den Geist. Sie meinen, jetzt schon das Leben und das Heil zu haben und warten nicht auf das Kommende. Bei all dem aber vernachlässigen sie die Bruderliebe.

Diese aber ist für den 1. Johannesbrief das Kennzeichen dafür, daß man das wahre Leben hat. Wer ein neues Verhältnis zu Gott hat, wer das Kindesrecht bei ihm gewonnen hat, der lebt auch danach. Der Sünder hat immer nur das Gefühl, bei Gott sowieso verspielt zu haben, und das lähmt ihn und macht ihn dickfällig und gleichgültig.

Ein Kind kann nur ein frohes Leben führen, wenn es mit seinem Vater redet. Wenn aber „dicke Luft“ herrscht, traut es sich gar nicht mehr hin und hat das ungute Gefühl, nicht mehr willkommen zu sein. So geht es aber auch vielen Menschen mit Gott, zu dem sie sich erst gar

nicht mehr hintrauen.

Dabei ist es doch ganz anders: Nicht wir haben Gott geliebt, sondern er hat uns geliebt und seinen Sohn gesandt zu unserer Versöhnung. Damit ist jeder Konflikt behoben und das Kind darf wieder zum Vater gehen. Es wird aber auch erkennen, daß es diese Erfahrung an andere weitergeben soll.

Der natürliche Mensch versteht etwas anderes unter Glück. Er dreht sich immer nur um das eigene Glück, um sein Recht, um die eigene Geltung, aber auch um sein eigenes Wehwehchen. Er singt: „Freut euch des Lebens, weil noch das Lämpchen glüht, pflücket die Rose, ehe sie verblüht!“

Wer aber die Erwartungen Gottes zum Maßstab nimmt, der führt sein Leben im Zeichen des Sohnes, also in der Hingabe an andere und im Dienst an anderen. In solchem Leben wirkt die Zukunft schon in die Gegenwart hinein, wird etwas vom ewigen Leben schon Wirklichkeit. Da muß man dann nicht mehr dämmernd dahinvegetieren und niedergeschlagen auf der Stelle treten, sondern man hat eine lohnende Aufgabe.

Vorbild dafür ist Jesus. Sein Leben, war offen für das Leben anderer. Wir fragen zuerst: „Was habe ich davon, wo kann mir der andere nützlich sein? Wir sagen: „Beziehungen schaden nur dem, der keine hat!“ Eine kranke Frau in der Nachbarschaft hat es da schon schwerer. Wenn einmal einer bei ihr reinschaut, heißt es gleich: „Ich muß gleich wieder weg!“ Wenn das Pfarrhaus abgebrannt ist, dann helfen gleich alle und sammeln und wollen sich überbieten. Aber an die Nachbarin, der es ebenso ergangen ist, denken sie nicht. Jesus lehrt es uns da anders: Wenn wir ihm nachfolgen, haben wir das Leben, das wahre Leben aus Gott, das ewige Leben.

 

 

Hebräer

 

Hebr 1, 1 – 4 (2. Christtag):

Unser ganzes Leben über begleitet uns die Personalakte: Die Firma hat eine, die Polizei hat eine, und vielleicht stellen wir uns auch vor, daß Gott so eine Akte über uns habe. Wir bekommen diese Akten praktisch nie zu sehen. Aber wir wissen genau: So ein Papier veraltet nie, was da einmal drinsteht, kommt nur schwer wieder heraus. Deshalb fühlen wir uns dadurch belastet und eingeengt.

Es begleitet uns aber auch noch eine andere Akte. Diese bekommen wir zu lesen, ja wir sollen sie sogar lesen. Sie sagt nicht nur etwas aus über den Menschen allgemein, sondern sie sagt auch etwas über die Herkunft und das Ziel der Menschen. Ich meine das Wort Gottes, das so etwas wie die Personalakte der Menschheit ist. Doch diese Akte will uns nicht belasten, sondern entlasten. Sie sagt als Erstes:

 

1.) Gott hat geredet: Manchmal werden wir diesen Satz anzweifeln. Wir machen gelegentlich die bittere Erfahrung: Der Gott, zu dem wir gehören, schweigt. Wir haben so viele Probleme, um deren Lösung wir uns bemühen. Wir machen uns Sorgen und quälen uns mit Entscheidungen. Wenn Gott da doch einmal mit uns redete und uns einen Hinweis gäbe!

Wir brauchten ein Wort Gottes und seine Hilfe.

Da aber oft nichts zu geschehen scheint, schleichen sich Zweifel ein: Gibt es Gott überhaupt? Lohnt sich die Mühe, auf ihn zu warten? Sollten wir nicht besser unseren eigenen Weg gehen und uns vom christlichen Glauben lossagen? Doch wer hier zum Gottesdienst gekommen ist, hat diese Fragen an sich schon beantwortet. Er hat ja die Zuversicht, daß Gott reden und helfen wird.

Der Hebräerbrief wendet sich an eine Gemeinde, die auch verzweifelt nach Gott fragte. Andere Mächte machten sich überlaut bemerkbar. Aber Gott schien zu schweigen. Würde es sich da lohnen, den Weg mit dieser Gemeinde zu gehen? Da wird dieser Gemeinde gesagt: „Gott hat geredet! Darauf könnt ihr euch fest verlassen!“

Gott hat schon immer zu den Menschen Verbindung gesucht. Zunächst hat er durch die Propheten geredet. Sie haben schon auf einen hingewiesen, der kommen wird, um die Welt zu erlösen. Ihre Stimmen waren sehr vielgestaltig. So etwas könnte man zwar als Reichtum ansehen, aber hier hofft man eher darauf, daß diese Vielfalt übertoten und überholt wird. Auf jeden Fall deuten alle Weissagungen der Propheten auf den einen hin, der alle Vorankündigungen überbieten wird.

 

(2.) Gott hat geredet durch Christus:

Die Ankündigungen der Propheten waren zwar so etwas wie eine Garantie. Aber jede Garan­tie-Urkunde ist befristet, sie veraltet und verliert ihren Wert. Es sei denn, sie wird verlängert und erneuert. Jesus Christus ist die Erneuerung der alten Garantien Gottes. In Jesus kommt Gottes Reden zu einem letzten Höhepunkt, der alles überbietet.

Der kleine Raum des Notquartiers in Bethlehem scheint allerdings wenig geeignet zu sein, die Größe Jesu zu demonstrieren Holz und Stroh eignen sich wenig, die Überlegenheit der Person Jesu zu erweisen. Aber wirkliche Größe zeigt sich nicht darin, daß man viel Geld ausgeben oder Macht ausüben kann. Gottes Sohn ist erschienen in Einfachheit und Natürlichkeit. Aber was die Engel in der Heiligen Nacht gesungen haben, gilt der ganzen Welt. Und das Krippenkind ist der menschgewordene Gott.

Jesus ist damit mehr als die Propheten, er ist mehr als der höchste Gipfel in einem Gebirgszug, er ist das Gebirge selbst. Die Zeitgenossen haben in Jesu vielfach nur einen Propheten gesehen, ein Mensch, der von Gott in Dienst genommen wurde wie ein Werkzeug. Er redet

nicht aus eigenem Wissen und Nachdenken oder eigener Erfahrung, sondern nur das, was er von Gott gehört hat. Daß Gott tatsächlich durch Propheten redet‚ war damals unumstritten.

Aber nun galt ja die Prophetie seit dem Propheten Maleachi als erloschen. Man erwartete sie erst wieder für die letzte Zeit. Wenn Jesus nun als „der Prophet“ bezeichnet wird, dann ist damit schon etwas Unerhörtes gesagt. Aber Jesus wäre dann nur ein Geistträger unter anderen, ein Mensch wie andere auch. Er würde sich nur vor den Anderen auszeichnen, weil er den Geist Gottes hat und einen besonderen Auftrag vor ihm hat.

Jesus aber ist der „Sohn“, sozusagen die der Welt zugekehrte Seite Gottes selbst. Es ist nicht so, daß der unsichtbare und unzugängliche Gott uns durch Jesus eine Nachricht hat zugehen lassen, sondern er selbst ist mitten unter uns da. Gott teilt uns nicht etwas mit, sondern er gibt sich selbst.

Zu einer Brieffreundschaft gehört, daß man sich auch persönlich sieht, möglichst gleich zu Anfang, aber auch zwischendrin immer wieder einmal. Zum Wort gehört auch der, der es spricht oder schreibt. Die Propheten waren der Brief Gottes. Aber durch sie hat er ankündigen lassen, daß er selber einmal in Erscheinung treten wird. Ohne ihn selbst würde das Wort in der Luft hängen.

Auch heute haben wir nur das Wort Gottes. Aber wir wissen doch, daß der unter uns w a r, der dieses Wort gesprochen hat. Weil der Sohn gekommen ist, hat das Wort Gottes eine ganz neue Qualität bekommen. In Jesus ist der Unterschied zwischen Schöpfer und Schöpfung aufgehoben. „Den aller Welt Kreis nie beschloß, der liegt in Marien Schoß!“

Dieser Sohn hat sich einer Menschheit eingegliedert, die mit einem ungeheuren Schuldkonto belastet ist. Sie muß von ihren Sünden gereinigt werden und erst wieder erworben und gewon­nen werden, wie es Luther in seiner Erklärung zum zweiten Artikel sagt. Er will nicht über eine „verbrannte“ Erde herrschen, sondern mit Menschen zu tun haben, für die er der Herr sein kann.

So trägt er alle Dinge mit seinem kräftigen Wort. Er trägt sie so, wie nach antiker Auffassung der Riese Atlas das Himmelsgewölbe trägt. Er trägt sie in priesterlicher Sorge und Hingabe. Er opfert sich sogar auf, um die Welt reinigen zu können. Die Weltgeschichte ist durch den Eintritt Jesu in die Welt rein äußerlich noch nicht viel verändert worden. Aber das Verhältnis Gottes zur Welt hat sich doch verändert. Die Geschichte steht nicht still. Aber Christus wird durch keinen anderen mehr überboten werden.

Jesus Christus ist Gott selber! Die Tragweite dieses Satzes wird man wohl nie ganz begreifen. Jesus ist der Abglanz der Herrlichkeit Gottes, so wie ein Stempelabdruck ein Spiegelbild des Originals ist. Im Menschenantlitz Jesu kann man den Glanz und die Charakterzüge des Vaters erkennen.

Und Sohn ist er nicht erst geworden, seitdem er zur Rechten Gottes sitzt, wie es auf den ersten Blick aussehen könnte. So wurde es noch in den ältesten Schriften des Neuen Testaments verstanden. Aber es hat auch eine Geschichte des Christusbekenntnisses gegeben, die Entwicklung ist weitergegangen. Doch es war nicht so, daß fromme Menschen diesem Jesus immer neue Würdenamen beigelegt haben. Vielmehr haben sie erst nach und nach erkannt und entdeckt, wer Jesus immer schon war. Und vor allem wurde ihnen immer mehr deutlich, daß dieser Jesus einer für uns ist.

 

(3.) Gott hat geredet durch Christus für uns: Im Sohn ist der ganze Gott zugänglich und verstehbar geworden. Gott will uns nicht mehr fremd sein, und wir sollen ihm nicht entfremdet bleiben. Durch sein Reden will er Gemeinschaft mit uns herstellen. Und er redet nicht nur davon, sondern er handelt auch danach.

Jesus hat unter den Menschen gewohnt, ist auf ihren Straßen gegangen, und in ihre Häuser eingekehrt. Er saß nachts beim Sturm mit im Boot, er zitterte und weinte und feierte bei der Hochzeit mit. Wäre er nicht in dieser Weide Mensch geworden, könnten wir nicht so mit ihm verbunden sein. Er wollte nicht nur in Hör- und Sichtweite sein, sondern wirklich in Reichweite. Unmittelbarer als im Sohn kann Gott uns nicht anreden.

Und dabei ist Jesus nur der Abglanz einer viel größeren Herrlichkeit. Aber er bringt uns tatsächlich auch etwas Herrliches, das einzige wahre Weihnachtsgeschenk. Denn meine Schuld und mein Versagen kann ich nicht mit irgendwelchen Geschenken zudecken. Wenn ich ein Geschwür mit einer Binde und goldenen Schleife zubinde, ist noch nichts heil geworden. Im Laufe eines Jahres ist vieles, was gut begonnen hat, zur Plage geworden. Viele Pläne sind steckengeblieben, und Kraft und Zuversicht sind geschwunden. Aber durch den Glauben lassen wir uns hinweisen auf die Vollkommenheit Gottes. Er wird uns herausführen aus unserer Not und uns eine neue Zukunft geben.

Es ist schön, wenn man einen großen Bruder hat, bei dem man sich geborgen wissen kann. Man muß auch eine Hoffnung haben, daß alles wieder einmal in Ordnung kommt. Manchmal hat man nicht mehr die Kraft, dieses oder jenes zu ordnen; manches vergißt man auch einfach. Da ist es gut, wenn man weiß: Jesus ist gekommen, er ist da! Er sitzt zwar jetzt „zur Rechten Gottes“. Aber das heißt doch nur, daß er die Macht hat, unser Leben neu zu ordnen. Er schenkt uns Geborgenheit und gibt unserem Leben festen Halt.

 

 

Hebr 2, 10 – 18 (Gründonnerstag):

Am Gründonnerstag kommen wir abends noch einmal zum Gottesdienst zusammen. Vielleicht sind wir doch etwas müde und abgespannt. Unser Alltag mit all seinen Belastungen kommt mit hinein in unser Hören und Beten, denn so schnell kann niemand abschalten. Aber

wir versammeln uns hier so wie Jesus sich am Vorabend des Karfreitags ein letztes Mal mit seinen Jüngern zusammensetzte. Wir denken an das Abendmahl und die Gefangennahme Jesu. Da wird erzählt von der engen Gemeinschaft, die er mit den Jüngern hatte. Vielleicht möchten wir ihm auch einmal so nahe sein, wie es die Jünger waren. Aber ist das nicht gerade durch das Abendmahl möglich? Kommt er uns da nicht so nahe, wie er es damals den Menschen war, auch wenn wir ihn nicht sehen können? Der Hebräerbrief sagt uns:

 

1. Einer, der auf Gottes Seite gehört, stellt sich an unsere Seite

Gewöhnlich erleben wir es anders: Wenn wir versagt haben oder sonst irgendwie arm dran sind, da tritt keiner an unsere Seite. Gerade wenn wir einen dringend brauchten, sind wir allein. Im Gegenteil: Gerade die zu uns gehören schämen sich unser und ziehen sich zurück. Vielleicht möchte uns einer beistehen, aber er fürchtet die Mehrheit und wagt es deshalb nicht. Wenn einer in der Schule oder in der Firma sich zur Wehr setzt, dann kann er sehr schnell allein sein. Die anderen stimmen ihm zwar innerlich zu und sagen ihm das auch hinterher, aber öffentlich will keiner für ihn eintreten.

Es ist ganz unwahrscheinlich, daß sich einer auf unsere Seite stellt, der es gar nicht nötig hat. Aber Jesus tut es! Er hätte es nicht nötig. Aber er weiß, daß wir es nötig haben. Er fragt nicht nach seinem Ansehen und auch nicht danach, ob wir denn ansehnlich sind. Vielmehr sieht er uns mit den Augen Gottes. Und in der Sicht der Liebe sind wir die geliebten Kinder.

Sicher sind wir keine besonders guten Menschen und nicht einmal besonders gute Christen, Jeder von uns kennt sich doch sehr genau und weiß in der Tiefe um seine Schuld und sein Versagen. Deshalb wollen wir ja auch heute das Abendmahl empfangen, damit uns die Schuld wieder genommen wird und wir in ungetrübter Gemeinschaft mit Gott sein können.

Wir haben es natürlich gelernt, unsere Schattenseiten zu verbergen, weil wir fürchten, deswegen verachtet zu werden. Jesus aber verachtet uns nicht und schämt sich nicht, uns Brüder und Schwestern zu nennen. Er läßt uns auch nicht allein, wo wir uns schwach und ausgeliefert fühlen an eine starke Mehrheit. Seine Liebe überwindet auch die Sachzwänge, denen wir oft ausgesetzt sind.

Wir fragen vielleicht: Warum mußte Jesus so tief ins Leiden? Die Bibel gibt uns die Antwort: Er wollte unser Bruder sein! Gemeint ist natürlich ein echter Bruder, der sich so verhält, wie man es von einem Bruder erwarten kann. Ein Bruder wird zwar unter vier Augen Kritik üben, wo es nötig ist: aber nach außen wird er sich mit allen Mitteln für den Bruder einsetzen, ihn verteidigen und die Gemeinsamkeit herausstellen.

Jesus aber besinnt sich nicht darauf, daß doch eigentlich alle Menschen Brüder sind, so daß er zu brüderlichem Verhalten verpflichtet ist. Das Bemerkenswerte ist doch, daß der Sohn Gottes sich zum Bruder der Menschen macht. Er schämt sich nicht, uns Brüder zu nennen. Dabei hätte er allen Grund. Er könnte es für unterseiner Würde halten, den Unterschied zwischen Schöpfer und Geschöpf zu überspringen. Er könnte seine Majestät wahren und es vermeiden, sich unter uns zu mischen.

Überlegen wir uns nur einmal: In was für ein peinliches Licht gerät der Sohn Gottes, wenn er sich uns gleichmacht und uns nachläuft! Der Gottes Ebenbild ist, stellt sich auf eine Stufe mit Gottes Zerrbild. Er nimmt teil an Fleisch und Blut, am Menschlichen in all seiner Fragwürdigkeit. Er kannte Hunger und Durst und Müdigkeit. Dennoch wurde er von den Menschen in Anspruch genommen, bis er nicht mehr konnte. Von seinen Gegnern wurde er umlauert und bis auf den Tod gehaßt.

Dazu kommt die Versuchung im eigenen Inneren. Auch er wurde vom Teufel versucht, so wie wir. Auch ihn hat die Stimme angeredet, die sich der Gedanken und Strebungen des eigenen Herzens bedient, die manchmal auch aus der wohlmeinenden Rede des besten Freundes redet.

Wie weit kann er da gehen in der Solidarität mit den Menschen? Gibt es da nicht einen Punkt, wo er sagen muß: „Nun ist es genug!“

Er könnte doch sagen: Gemeinschaft, Seelsorge, Diakonie - alles gut. Aber kein Leiden! Dann hätte er in allem mit uns ausgehalten, uns am Ende dann aber doch im Tode allein gelassen. Das aber will er gerade nicht tun.

Gerade die Angst vor dem Tode macht uns ja zeitlebens zu Sklaven. Immer wieder wollen wir den Gedanken an den Tod wegschieben: nur nicht daran denken, nicht davon sprechen, nur hoffen, daß es noch Zeit damit hat.  Dabei verdecken wir die eigentliche Problematik des Todes. Sie liegt nicht in der natürlichen Erschöpfung aller Kräfte und dem biologischen Verfall. Entscheidend ist die Frage nach unserem Wert und dem Ertrag unseres Lebens, ist die Frage

nach unserem Verhältnis zu Gott.

Es würde doch alles fadenscheinig und unglaubwürdig, was er bisher als Bruder den Brüdern getan und auf sich genommen hat. Alle Kinder zur Herrlichkeit zu führen, das ist doch sein Auftrag. Keiner soll sagen können, Jesus wisse ja nichts von dem, was e r auszustehen habe. Kein Kampf, kein Leiden ist schwerer als seines. Will er unser Bruder bleiben, muß er unsere Verlorenheit auf sich nehmen.

Diese Bruderschaft zwischen Christus und uns wird nicht aufhören. Jesus ist auch heute noch mitten in seiner Gemeinde. In seinem Wort und im Abendmahl ist er gegenwärtig. Er hat uns, seine Gemeinde, immer mit dabei. Jesus und seine Brüder lassen sich in Ewigkeit nicht mehr auseinanderteilen.

Aber dadurch werden auch uns die Augen geöffnet. Weil Jesus uns mit den Augen der Liebe Gottes ansieht, können wir auch unseren Mitmenschen so ansehen. Dann schämen wir uns nicht mehr, dem Versager an die Seite zu treten oder dem Schwachen beizuspringen. Wir brauchen uns ja nicht mehr zu fürchten, weil wir Gott auf unsrer Seite haben. Das bedeutet aber auch:

 

2. Einer geht in den Tod, damit wir unsre Todesfurcht verlieren

Todesfurcht ist ja nicht nur die Furcht vor dem Sterben, sondern auch die Furcht um das Leben. Wir kennen diese Furcht, zu kurz zu kommen und das Entscheidende zu versäumen. Wenn der Berufswunsch nicht in Erfüllung geht, wenn menschliche Beziehungen nicht gelingen, dann überfällt uns die Furcht und nimmt uns gefangen.

Da können wir kaum noch etwas anderes denken und alles dreht sich nur noch um diesen einen Punkt. Wir sind besessen, auf alle Fälle unser Leben zu sichern.

Dabei übersehen wir die Menschen neben uns und lassen ihnen keinen Raum zum Leben. Aber so sehr wir uns auch bemühen und vielleicht mit großer Anstrengung unser Ziel erreichen, es ist nicht das ersehnte Leben. Manchmal sagen wir dann selbst: „Das ist ein Teufelskreis, aus dem ich nicht mehr herauskomme!“

Einer aber gibt sein Leben daran, um durch seinen Tod den zu vernichten, der die Macht über den Tod hat. Jesus hat sich von Gott hereinziehen lassen in unsre Teufelskreise, um sie aufzubrechen. So ist die Todesdrohung nur noch eine leere Drohung, wenn wir uns an den gekreuzigten Christus halten, der das Leben verbürgt. Nun brauchen wir nicht mehr um unser Leben zu fürchten und sind frei von dem Zwang, auf Kosten anderer uns selbst durchzubringen. Wir sind frei für ein aufgeschlossenes und fröhliches Leben, in dem wir Menschen und Situationen annehmen können.

Jesus ging nicht wie ein Himmelswesen wie auf Wolken, sondern er mußte sein Menschsein bewähren und ganz menschlich Gehorsam lernen. Dazu mußte er auch den Weg durchs Leiden gehen, um so Bahn für uns machen zu können. Unser Leben ist oft wie ein unwegsamer Dschungel.  Aber uns voran geht einer, der mit der Axt die Bahn macht, so daß die anderen im Gänsemarsch folgen können. Alles, was uns vor Gott belastet, wird aus dem Weg geräumt. So wurde der Weg zu Gott frei gemacht.

Jesus hat hier ein priesterliches Amt auf sich genommen. Wenn er nur Wegbereiter gewesen wäre, dann hätte man den Weg vielleicht auch noch allein finden können, im Notfall. So aber geht es um Stellvertretung. Hier mußte erst einer am Kreuz sterben, ehe der Weg frei war. Aber Jesus hat sich durch nichts zurückhalten lassen, auch nicht durch die eigene Angst, damit wir keine Furcht vor dem Tod haben müssen.

Wir müssen nicht in den Fesseln umkommen, die wir uns und anderen anlegen. Unsere selbst­gewählten Lasten müssen uns nicht erdrücken. Jesus hält an uns fest, wenn wir ihm untreu werden wollen. In Jesus hat er seine ganze Liebe uns zugewendet. Das dürfen wir

glauben und davon leben, heute und jeden Tag neu.

 

 

Heb 4, 9 - 13 (Sexagesimä):

In Bad Wildungen in Nordhessen steht eine Kirche in einem Neubaugebiet, die die Form eines Zeltes hat. Das heißt. Das Dach ist fast bis auf den Boden herabgezogen, und unter diesem Dach sind der gottesdienstliche Raum sowie Unterrichts- und Gemeinderäume vereinigt. Neben der Kirche stehen noch Pfarrhaus und Kindergarten. Die Kirche hat aber keinen hochaufragenden Turm, sondern sie fügt sich in das Bild der umliegenden Häuser ein.

Das kann uns zum Gleichnis werden für die Stellung der Kirche heute in der Welt: Sie ist nicht mehr eine Einrichtung, die ü b e r allen steht, sondern nur eine neben vielen anderen. Neben dem gottesdienstlichen Versammlungsraum braucht sie auch Gemeinderäume, Kindergarten und anderes, um ihren Auftrag in der Welt von heute auszuführen.

Vor allem aber baut man keine Kirchenburg mehr, die zum Symbol für das Feststehende und Beharrende geworden ist, sondern ein Zelt, das ein Zeichen ist für das wandernde Gottesvolk. An manchen Notkirchen der Nachkriegszeit wird das noch deutlicher: Die sahen fast alle aus wie ein Zelt, konnten auch schnell abgebaut werden wie ein Zelt und an anderer Stelle wieder aufgebaut werden. Die Kirche kann sich eben nicht mehr behaglich in dieser Welt einrichten, sondern sie muß bereit sein zum Aufbruch.

Natürlich sehen auch heute noch viele in der Kirche ein Element des Ruhenden inmitten einer in Bewegung geratenen Welt. Wenn alles unsicher und fließend wird, dann soll doch wenigstens die Kirche am Althergebrachten festhalten. Aber das         widerspricht dem Wesen der Kirche.

In der Bibel wird sie uns als das wandernde Gottesvolk beschrieben, das heute hier und morgen da sein Lager aufschlägt, das hinter sich läßt, was gestern war, und das noch nicht weiß, was morgen sein wird. Nirgends gibt es Ruhe, immer nur Kampf und Mühen, Hoffnungen und Enttäuschungen, Erfolg und Versagen. Ehe das Ziel nicht erreicht ist, zeichnet sich kein Ende des Wartens ab.

Denken wir einmal an das Volk Israel, wie es da durch die Wüste zog. Wie groß war doch die Versuchung, sich in einer der Oasen häuslich niederzulassen. Da ging es ihren doch gut, sie konnten doch zufrieden sein. Aber es war eben noch nicht das Land der Verheißung. Gott wollte ihnen eben noch mehr geben als nur eine Oase. Deshalb mußten sie immer wieder aufbrechen hinaus in die Ungesichertheit. Sie konnten sich mit dem Erreichten noch nicht zufriedengeben, weil die ganz große Erfüllung noch ausstand.

Und als sie sich dann in ihrem Land niedergelassen hatten, da traten die Propheten auf und machten ihnen die Sicherheit wieder fraglich. Sie verkündigten Gottes Zorn über sein Volk. Und die beiden israelitischen Staaten wurden ja dann auch von den Feinden erobert und

das Volk mußte in die Gefangenschaft nach Babylon. Aber auch daraus hat Gott sie wieder befreit, sie zogen wieder zurück nach Israel. Aber erst durch viele Leiden wurde deutlich, daß Gott diesem Volk nicht nationalistische Ansprüche garantiert, daß er nicht ein sehr weltliches Heil verschaffen will, sondern allen Menschen eine neue Welt verheißt.

Im Neuen Testament kehren die alten Erwartungen Israels wieder. Aber nun ist die Rede vom ewigen Leben, vom Reich Gottes, vom unverwelklichen Erbe. Wenn Jesus zu seinen Jüngern sagt, wie wir es im Evangelium dieses Sonntags gehört haben: „Wir gehen hinauf nach Jerusalem, und es wird alles vollendet werden, was geschrieben ist!“ dann dachten die Jünger: „Jetzt wird das Reich Davids wieder von Jesus errichtet!“

Jesus aber hat solche falschen, weltlichen Hoffnungen zurückgewiesen. Der Hebräerbrief tut im Grunde das Gleiche. Er spricht zu hoffnungslosen, schon wieder zerbröckelnden Gemeinden, denen das Warten zu schwer wird. Sie hatten sich das Christsein anders gedacht und waren nun der Meinung: „Ohne Christus lebt es sich's leichter!“ Einige haben die Gemeinde schon wieder verlassen.

Der Brief preist ihnen nun nicht das Christsein als eine mühelose, bequeme, gefahrlose Sache an. Er versucht nicht, ihnen die Müdigkeit und Lustlosigkeit auszureden. Er beschönigt nichts und sagt ganz offen und ehrlich: „Wir sind immer noch in der Lage des wandernden Gottesvolkes, wir haben die große Ruhe Gottes immer noch vor uns, wir können noch alles gewinnen oder alles verlieren!“

Aber in dieser Welt gibt es kein menschliches Ansehen oder eine Sicherheit. Ein Christ muß sich im Gegenteil oft dahin begeben, wo er aus den anderen herausragt und allen preisgegeben ist, wo ihn wirklich nichts anderes mehr retten kann als ein Wunder Gottes.

Dennoch sollen wir ein gehorsames „Ja“ finden zu dieser Situation des Unterwegsseins. Natürlich kann man in der Wüste nur mühsam leben: Da gibt es keine bleibende Stadt, da ist es oft weit bis zur nächsten Oase, und wenn man hinkommt, kann die Quelle bitter sein. Da gibt es keine festen Burgen und Wälle und der Feind hat es leicht. Man läuft sich die Füße wund

und meint, man müsse umfallen vor Erschöpfung.

Aber wer aufregend lebt, schläft wenigstens nicht ein. Jesus braucht solche Leute, die bereit sind, etwas dranzugeben, und die mit ihm durch dick und dünn gehen. Natürlich gibt es Durst­strecken und Gefahren. Aber wenn man das nicht mitmacht, erfährt man auch nicht, wie Gott hilft. Wenn es für uns nicht weiterzugehen scheint, dann ist Gott noch lange nicht am Ende. Wenn wir auf ihn vertrauen, kommen wir schon wieder heraus.

Natürlich trifft man eine gewisse Vorsorge, wenn man in die Wüste geht. Und so planen wir als Gemeinde auch für die Zukunft. Wir setzen unsere Gebäude instand, wir stellen gewisse Ordnungen auf, wir schließen Verträge. Aber all das kann uns nicht in dieser Welt sichern.

Wir müssen damit rechnen, daß wir all diese Stützen unserer wirtschaftlichen Existenz verlieren und dennoch weiterleben müssen.

Den Gemeinden sagt man immer wieder, sie brauchten den Schutz einer großen Landeskirche. Aber wenn wir es recht betrachten, dann kann uns auch im Ernstfall kein Bischof beschützen und kein Landeskirchenrat, hinter dem angeblich eine Million Christen stehen. Im Notfall kann uns nur unser Herr Jesus Christus schützen und sonst niemand.

Aber weil er uns schützt, können wir auch zuversichtlich in die Zukunft sehen. Der Hebräerbrief mahnt uns immer wieder, alles dranzusetzen, um in die Ruhe Gottes hineinzukommen.

Aber was sehen wir stattdessen oft? Auch bei uns gibt es Leute, die im Begriff sind, das unbequeme und kostspielige Christsein über Bord zu werfen. Auch bei uns gibt es verstockte

Herzen, wenn Gott redet, Verbitterung und den Versuch, Gott auf die Probe zu stellen. Viele sagen dann auch noch: „Was kann ich denn dagegen machen, wenn ich ein ungläubiges Herz habe?“

Aber Gott billigt Faulheit, Leidensschau, Weichheit und Unbeherrschtheit durchaus nicht. Es ist nicht gesagt, daß wir alle automatisch in das Land der Verheißung gelangen. Gott gönnt zwar allen das Heil. Aber gar mancher verscherzt es sich. Wer auf der Wanderung ist, bekommt nichts geschenkt.

Das „Zur- Ruhe-kommen“ meint ja nicht ein Untätigsein, sondern die ungefährdete und ungestörte Gemeinschaft mit Gott. Er hat uns zwar die Ruhe in seiner Wohnung versprochen. Aber er darf doch wohl erwarten, daß wir uns dafür interessieren und stark machen und uns so dafür einsetzen wie wir vieles andere, das wir ungeheuer ernst nehmen und wofür wir viel aufwenden, obwohl es weniger lohnt.

 Wer bei der Predigt schläft, wird vielleicht eines Tages einmal unsanft aufwachen. Gottes 7Wort will nämlich nicht beruhigen und einschläfern. Uns wird nicht eingeredet, man brauche sich nicht gar zu viel Gedanken und Mühe zu machen, das Happy-End komme sowieso. In der Redewendung heißt es: „Abwarten und Tee trinken“ oder man sagt: „Es muß doch Frühling werden!“ Nun, der Frühling ist eine Naturtatsache, er kommt, ohne daß wir etwas dazu tun. Wo es aber um Gott geht, da werden wir zu einer persönlichen Entscheidung aufgefordert, da liegt es allein an uns.

Gottes Wort wird hier mit einem zweischneidigen Schwert verglichen. Wenn einer damit zuschlägt, dann kann es nicht vorkommen, daß er dabei versehentlich die falsche Seite erwischt. Das Wort Gottes tut auf alle Fälle, was es soll: es schafft und vernichtet, es .ist kraftgeladen, es „hat es in sich“; es kann uns festhalten, wo wir gehen wollten; und es kann uns in Marsch setzen, wo wir zu bleiben gedachten.

Gott möchte natürlich lieber heilen als Wunden schlagen. Er muß aber mit dem Schwert dreinschlagen, weil wir uns zu oft nach außen verschließen, uns tarnen und verbarrikadieren. Das ist nämlich unser Ideal von Ruhe, daß wir nämlich in Ruhe gelassen werden.

Gott aber geht uns zu Leibe, er dringt durch das dicke Fell und durch alle tarnende Verkleidung hindurch, er dringt auch in die mit peinlicher Vorsicht abgeschirmten Bereiche unseres Lebens, selbst in die unaufgeräumten Winkel.

Gott macht sich diese Mühe, weil er um uns bangt. Er macht es sich selbst nicht leicht. Sonst müßte sein Sohn nicht hinauf nach Jerusalem ziehen. Im Wochenlied haben wir vorhin gesungen: „Lasset uns mit Jesu ziehen!“ Aber wir wollen den Mund nicht zu voll nehmen. Wir müssen ja nicht einen Weg gehen, der nur annähernd so schwer ist wie der Weg Jesu.

Aber wir werden eben auch viel Unruhe und Mühen auf unserem Weg als Christen erleben. Doch am Ende der Wanderung winkt uns auch das Ziel, die Ruhe bei Gott. Was wollen wir uns mit Trostpreisen zufriedengeben, wenn wir den Hauptgewinn haben können? Wir müssen nur lange genug aushalten. Dann ist auch noch eine Ruhe vorhanden dem Volk Gottes.

 

 

Hebr 4, 14 -16 (Invokavit):

Zwei Jungen haben Fußball gespielt. Natürlich landet der Fall im Fenster des Nachbarn. Der kommt wütend herausgestürzt, um die Übeltäter zu verhauen. Doch der Schuldige rennt schnell nach Hause, um Schutz bei den Eltern zu suchen. Hastig erklärt er dem Vater, was vorgefallen ist. Der Vater tritt dem wütenden Nachbarn auch ruhig entgegen und sagt: „Ich lasse es wieder in Ordnung bringen!“ Damit ist diesem der Wind aus den Segeln genommen: Er schimpft zwar noch, aber er zieht doch wieder ab.

Der Vater hat sich schützend vor seinen Sohn gestellt. Dadurch ist zwar das Fester nicht wieder ganz geworden, die Schuld bleibt bestehen und der Vater ist sicher böse auf seinen Spröß­ling. Aber der Sohn muß nicht die Folgen seiner Tat tragen, weil der Vater für ihn eintritt. Er könnte ja auch den Schaden gar nicht wieder gut machen. Da muß schon ein Größerer kommen, der ihm hilft. Deshalb ist es so schön, wenn man einen Vater hat, der einem die Kastanien aus dem Feuer holt.

Der Hebräerbrief spricht von einem, der sich schützend vor die Menschen stellt: der Hohepriester. Er hatte in der israelitischen Religion die Aufgabe, das Tieropfer darzubringen, durch das Gott mit den Menschen versöhnt wurde. Schon bei heidnischen Völkern setzte man für die Ver­mittlung zwischen Gott und den Menschen Priester ein. Sie waren nach der Meinung ihrer Mitmenschen besonders dafür begabt und hatten auch die richtige Technik für diesen Dienst gelernt. Vor allem sollten sie durch Darbringung von Opfern die Götter günstig stimmen.

Im alten Israel hatte man auch solche Priester. Aber man wußte in diesem Volk schon daß

durch die Schuld der Menschen der Graben zwischen Gott und den Menschen ein Graben zwischen ihnen und Gott aufgerissen war. Gott selber hatte deshalb den Opferdienst eingesetzt, um seinem Volk die Möglichkeit zu geben, wieder mit Gott ins Reine zu kommen.

Doch oftmals führte diese Hilfe Gottes zu einer falschen Sicherheit im Volk. Man lebte, wie man wollte, ohne nach Gott zu fragen. Das Opfer des Priesters sollte ja automatisch die Vergebung bewirken. Aber auch wenn man sein Leben änderte und die Hand hilfesuchend nach Gott ausstreckte, dann blieb es doch immer noch seine Sache, ob er die Hand ergriff oder nicht.

Erst durch Christus hat die Unvollkommenheit des priesterlichen Dienstes ein Ende gefunden. Er ist der Hohepriester, der ein für allemal die Brücke zwischen Gott und den Menschen geschlagen hat. „Priester“ heißt auf lateinisch „pontifex“. Wenn man das Wort genau übersetzt, so bedeutet es „Brückenbauer“. Stellen wir und eine tiefe Schlucht vor. Wir möchten gern auf die andere Seite kommen, aber es ist unmöglich, ohne fremde Hilfe wird es nicht gelingen. Da muß schon ein Brückenbauer kommen, der den Bogen über den Abgrund schlägt, damit wir gut und sicher hinüberkommen.

Jesus war ja selbst das Opfer, das alle anderen Opfer überflüssig machte. Er heißt bewußt der „große“ Hohepriester, weil er das tat, was der israelitische Hohepriester nicht vollbringen konnte: Er steht für andere vor Gott ein, indem er sich selbst zum Opfer hingibt.

Einen besseren Fürsprecher könnten wir uns nicht denken. Er hat nämlich die Himmel durchschritten, jene kosmischen Räume über der Erde, wo nach der Anschauung der Alten die bösen Mächte wohnten, die sich gegen Gott empört haben. Als Jesus aber starb und erhöht wurde, da hat er diese Sperrzone durchbrochen, die die Welt von ihrem Gott trennt. Die bösen Mächte konnten ihn dort nicht festhalten. Jetzt sitzt er zur Rechten Gottes und übt seine Aufgabe als Fürbitter für die Menschen aus.

Durch ihn dürfen wir Gott alles sagen. Das ist anders als bei den Israeliten: Dort war das Allerheiligste im Tempel durch einen Vorhang verdeckt. Nur der Hohepriester hatte dort Zutritt, und das auch nur einmal im Jahr. Aber für uns ist der Vorhang des Tempels zerrissen. Der Weg zu Gott ist frei, und wir dürfen ganz unbefangen kommen.

Wenn inan zum Staatspräsidenten will, dann wird man nicht so ohne weiteres vorgelassen. Da sin d sehr viele Vorzimmer, und in ihnen Leute, die einen nicht durchlassen. Die Frau oder die Kinder des Präsidenten werden aber jederzeit vorgelassen, sie haben ein Recht, bei ihm zu sein. So sind wir auch alle Kinder Gottes, denen niemand den Zugang zum Vater verwehren darf.

Er ist ja nicht jenseits unseres Sonnensystems und auch nicht hinter einem der unzähligen Milchstraßensysteme. Er ist vielmehr mitten unter uns, in Taufe und Abendmahl greifbar und im Glauben erfahrbar. Wenn wir an den Altar herantreten, dann ist Gott bei uns und wir sind in seinem Heiligtum versammelt und einbezogen in dem himmlischen Gottesdienst. Das kann uns helfen gegen alle Müdigkeit und Hoffnungslosigkeit. So sollte schon durch den Hebräerbrief die Gemeinde dazu gebracht werden, bei Christus bleiben und nicht preiszugeben, was man bei ihm gewonnen hat.

Deshalb werden sie aufgefordert: „Laßt uns festhalten am Bekenntnis!“ Wir sprechen jeden Sonntag ein Glaubensbekenntnis. Aber haben wir uns schon einmal wirklich überlegt, was das bedeutet? Zum Beispiel: „Ich glaube an die Vergebung der Sünden!“

Der amerikanische Schriftsteller Mark Twain erzählt in einem Kinderbuch folgende Geschichte: Ein Mädchen hat in der Schule versehentlich ein Buch zerrissen, das dem Lehrer gehört. Der Lehrer fragt jedes Kind der Klasse: „Bist du es gewesen?“ Wir können uns sicher das Beklemmende dieser Situation vorstellen. Das Mädchen vergeht fast vor Angst. Als der Lehrer sie fragen will, das steht ihr Freund Tom auf und sagt: „Ich bin es gewesen!“

Wenn wir zu Gott kommen, dann ist Jesus Christus als unser Hohepriester schon da. Wenn wir am meisten Angst haben, wird er sich vor uns stellen und die Strafe auf sich nehmen. Die Menschen haben ihn ausgestoßen und dadurch ist er zu seinem himmlischen Vater zurückgekehrt. Doch er freut sich nicht, daß er es nun gut hat und die Menschen in ihrem alten Leben bleiben. Vielmehr hat er all unsere Schwachheiten mit sich genommen und trägt sie bis in alle Ewigkeit, damit wir sie nicht zu tragen haben.

„Schwachheit“ ist nur ein freundlicher Deckname für unser verkehrtes Leben. Wir sind doch manchen Versuchungen ausgesetzt. Auch bei unserem Glauben geht manches daneben. Jeder von uns weiß ja selber, was bei ihm nicht stimmt. Und Jesus hat uns ja gelehrt, daß auch schon böse Gedanken und Wünsche eine Sünde sind. Mit der Versuchung geht es also schon früh los, es muß erst gar nicht zur Tat kommen.

Kann Jesus für so etwas Verständnis haben? Wir haben ja gesagt, daß er weit über uns Men­schen steht und jetzt zur Rechten Gottes sitzt. Aber er hat ja selber alle menschlichen Versuchungen mitgemacht. Schon gleich nach der Taufe ging es los (wir haben es im Evangelium vorhin gehört). Immer wieder haben Menschen ihn auf Abwege locken wollen. Und schließlich kurz vor seinem Tode im Garten Gethsemane hat er vielleicht die schwerste Stunde mit­gemacht, als er zitterte vor Angst und sich vielleicht noch ganz gern aus dem Staub gemacht hätte.

Er war nicht besser gewappnet gegen die Versuchung als wir auch. Zum Wesen des Menschen gehören Schwachheit und Versuchlichkeit mit dazu. Auch Jesus ist davon betroffen worden. Auch er mußte harte Versuchungen durchstehen, weil er nur auf diese Weise uns wirklich nahe sein konnte, weil er nur so uns verstehen und verteidigen konnte. Nichts Menschliches ist ihm fremd.

Jesus ist eben nicht als unwirkliches Gottwesen über die Erde gegangen, wie mit einem unverletzlichen Panzer ausgestattet und erhaben über alles Böse und Gottwidrige. Dann wäre er ja nicht unser Bruder gewesen. Und wenn uns gut zureden wollte, dann könnten wir ihn ja zurückweisen: „Du bist ja nicht in unserer Lage! Du weißt nicht, was uns täglich gefährlich wird und auf uns einstürmt, von außen und von innen, vom Leib her und aus den Tiefen der Seele! Du kennst ja nicht den unsichtbaren Feind, mit dem wir uns tattäglich herumschlagen müssen!“

Aber keine Sorge! So ist es ja nicht. Jesus kennt den Feind und kennt unsere Lage. Er hat sich ja gerade in Herrschaftsbereich des Bösen begeben, um dort das Recht Gottes geltend zu machen. Um unseretwillen hat er sich nichts erspart. Nur: Er ist stark geblieben. An ihm ist der Versucher abgeprallt. Er hat zwar wie wir die Anfechtung erfahren. Aber die Strafe hat er allein getragen für uns.

Er hat aber nicht wie ein Anwalt zu seinen Vater gesprochen: „Wenn du wüßtest, wie schwer die es haben, würdest du ihnen nichts übelnehmen!“ Er hat uns nicht entschuldigt, sondern er hat sich für uns geopfert. Ein Anwalt tut vor Gericht sein Bestes, um den Angeklagten herauszupauken. Wenn aber das Urteil gefällt ist und die Strafe verhängt ist, dann geht der Anwalt unbehelligt nach Hause. Der Verurteilte aber wird in seine Zelle abgeführt. Aber bei Jesus ist das anders: Da verbüßt der Anwalt die Strafe und der Angeklagte ist frei. Jesus geht nicht von unserer Seite, auch wenn der Böse zum letzten und vernichtenden Schlag ausholt.

Weil Jesus den Durchbruch geschafft hat, unterliegen wir nicht mehr dem Zwang gottwidriger Mächte. Jetzt dürfen wir respektlos allem gegenübertreten, was uns zugrunde richtet und von Gott abbringen will. Wir müssen nicht mehr sündigen. Es gibt ja Stunden, die wir gern aus unserem Leben ausradieren möchten: Da haben wir uns einer Situation nicht gewachsen gezeigt, waren zu sehr auf uns selbst bedacht oder jähzornig oder feige.

Das sind dann Zeiten, wo wir besonders nötig Hilfe brauchen. Es ist natürlich nicht besonders schön, wenn man nur nach Gott schreit, wenn Not am Mann ist. Aber bei Gott werden wir auch dann noch Gnade finden. Er ist immer da, wenn wir ihn brauchen. Daß er für uns unsichtbar ist, braucht uns nicht zu beirren. Er ist uns näher als einer, der mit uns in dieser Welt lebt. Man kann sich auf ihn verlassen. Er sieht uns als die Seinem an. Er weiß, was wir hinter uns haben. Aber deswegen wird er erst recht für uns sein.

Wir aber sollten immer wieder zu ihm hingehen, „herantreten an den Gnadenthron“, wie es der Hebräerbrief sagt. Mit dem Christwerden muß man jeden Tag wieder neu anfangen. Es werden immer wieder neue Aufgaben gestellt und Pläne gemacht. Unser Glaube wird verfallen, wenn er nicht immer wieder erneuert wird. Aber wir dürfen ja gerne täglich wieder zu Gott kommen, der uns allein helfen kann.

 

 

Hebr. 5, 7 - 9 (Judika):

In einer Familie ist eine Mutter in relativ jungen Jahren gestorben. Ein Sohn ist im Lehrlingswohnheim untergebracht. Aber es sind auch noch zwei kleine Kinder da, die noch in die Schule gehen. Der Vater kann sich nicht um sie kümmern. Auch den Haushalt würde er nicht bewältigen. Verwandte sind nicht da, die die Kinder nehmen könnten. Es bleibt nur eine Möglichkeit: die schon erwachsene Tochter, die in einer Großstadt studiert.

Der Vater bittet sie, zu Hause zu bleiben, den Haushalt zu führen und die kleineren Geschwister zu versorgen. Was soll sie tun? Soll sie ihr Studium aufgeben? Es hat viel Mühe gekostet, soweit zu kommen. Sie hat noch zwei Jahre. Soll sie alle ihre Chancen begraben, auf den gewünschten Beruf verzichten? Hinterher wird sie nicht wieder reinkommen.

An einem solchen Beispiel können wir sehen, wie schwer der Gehorsam manchmal sein kann. Die eigenen Möglichkeiten fahren lassen und nur für andere da zu sein, das ist nicht leicht. Der Vater hatte es der Tochter ja nicht befohlen, er hätte sie ja auch gar nicht zwingen können. Aber eine Bitte wiegt vielleicht noch schwerer und läßt sich nicht so einfach vom Tisch fegen.

So war es wohl auch im Verhältnis zwischen Gott und Jesus. An sich hätte Gott mit Gewalt den Gehorsam seines Sohnes erzwingen können. Es hätte ja auch sein können, daß der Sohn zwar grundsätzlich den Gehorsam versprochen hätte, im letzten Augenblick aber doch noch schwach geworden wäre. Dann hätte Gott sagen können: „Du hast es ja freiwillig versprochen, jetzt halte es auch ein!“ Und wenn Jesus dann immer noch nicht gewollt hätte, dann wäre er eben gezwungen worden.

Dieser Abschnitt aus dem Hebräerbrief bezieht sich auf die Stunde im Garten Gethsemane kurz vor der Verhaftung Jesu. In dieser Stunde mußte Jesus das innerlich bewältigen, was auf ihn zukommt. Jetzt stand alles noch einmal - zum letzten Mal - auf des Messers Schneide. Jetzt mußte eine Entscheidung gefällt werden, die keine andere Möglichkeit mehr offen läßt. Und das alles, wo das Gefühl der Gottverlassenheit übermächtig wurde, wo der Bosheit der Menschen freier Lauf gelassen wurde, wo der Gehorsam noch einmal besonders schwer gemacht wurde.

Das Wort „Gehorsam“ steht bei uns nicht in hohem Ansehen. Wir haben böse Erfahrungen gemacht mit einem Staat, der unbedingten Gehorsam von seinen Bürgern forderte: „Du bist nichts, dein Volk ist alles!“ hieß es damals. Aber das Volk hatte ja auch nichts zu sagen, sondern nur der Führer, der sich an seine Spitze gesetzt hatte. Und wer da nicht mitmachte, der kam ins Konzentrationslager.

Aber auch sonst liegt das in jedem Staat drin, daß die Leute an den Schalthebeln der Macht sich als Befehlsgeber verstehen und in den anderen nur Befehlsempfänger sehen. Da sitzen dann die Bürokraten hinter ihren Schreibtischen und entscheiden die Dinge nach der Theorie oder ihrem Gutdünken, anstatt erst einmal auf die Praktiker vor Ort zu hören oder ihnen die Sache überhaupt zu überlassen. Es ist schwer, die Anordnungen dann doch auszuführen, auch wenn man genau weiß, daß sie falsch sind.

Manchmal wäre Ungehorsam die größere Tugend als der Gehorsam. Aber auf der anderen Seite wird auch wieder auf Gehorsam verzichtet, wo er besser erzwungen würde. Eltern lassen ihren Kindern oftmals viel zu früh freien Lauf und nehmen nicht einmal ihre gesetzlichen Pflichten wahr. Dann braucht es niemand zu wundern, wenn die Kinder nachher auf niemanden hören wollen; sie haben es ja niemals gelernt oder einen Zwang verspürt.

Weil die Forderung nach Gehorsam mißbraucht worden ist und auch heute sicher noch mißbraucht wird, wollen wir es gern anders machen. Auch Gott soll nicht mehr gebieten dürfen. Mancher will nicht einsehen, daß Gott ihn an seinen Platz gestellt hat, auf dem er nun

auch unter schwierigsten Bedingungen gehorsam ausharren soll.

Jesus aber hat gesagt: „Nicht wie ich will, sondern wie du willst!“ Er hat gern gepredigt und Kranke geheilt, da war der Gehorsam nicht schwer! Aber jetzt wird es ganz hart für ihn. Wir sollten nicht meinen, es sei leichter für ihn, weil er ja Gottes Sohn war. Sein Leiden und Tod war seine persönliche Leistung, bei der er sich solange unter den göttlichen Willen beugte, bis sein Wille ganz mit dem des Vaters eins wurde. Dabei hat er sein Schicksal nicht passiv hingenommen und sich auch nicht fluchend ins Unvermeidliche geschickt, sondern er hat sich durchgerungen zu einem freien „Ja“.

Jesus hat diesen Gehorsam auch erst lernen müssen. Das zeigt eben, daß er kein Himmelswesen war, sondern ein wirklicher Mensch. Der letzte Gehorsam lernt sich erst im Kampf mit dem, wovor wir gern ausweichen möchten. Aber das können die großen Stunden im Leben eines Menschen werden, wenn an diesem Punkt weiterkommt. Wir sind dabei nicht in schlech­ter Gesellschaft, nur ist bei Jesus alles noch dramatischer als bei irgendeinem von uns.

Jesus hat hier seine Hölle erlebt. Er hat die Auswirkungen der Sünde der ganzen Welt am eigenen Leibe zu spüren bekommen und in der Seele ausstehen müssen. Gott hat seine helfende Hand dabei zurückgezogen und der Sohn an den Auswirkungen des Bösen zugrunde gehen lassen. So wurde er zum Blitzableiter des Zornes Gottes: Er hat auf sich genommen, was uns zugedacht war!

Gott hat auf seine Forderung nach Gehorsam nicht verzichtet. Er hat nicht gesagt, wenn er auf eine Sünde stieß: „Macht nichts, kleine Fische - darüber sehen wir gnädig hinweg!“ Er hat nicht gute Miene zum bösen Spiel und die Sünde sich weiter austoben lassen an seiner Schöpfung. Gottes Gesetz bleibt bestehen. Er will den Sünder nicht annehmen, ohne die Sünde zu richten. Deshalb wurde Jesus preisgegeben und mußte alles allein aushalten. Deshalb war es so schwer für ihn.

Aber dadurch sind unsere Beziehungen zu Gott wieder normalisiert worden. Jesus hat wieder die Brücke über dem Abgrund gebaut, der uns von Gott trennt. Ohne fremde Hilfe hätten wir es nicht geschafft: Wir haben weder das Baumaterial noch die Fähigkeit, eine solche Brücke zu konstruieren und auszuführen. Gott mußte von seiner Seite aus die Brücke schlagen. Er tat es durch Jesus Christus. Er war der Brückenbauer und auch das Material, er hat sich selber über den Abgrund gelegt und wieder die Verbindung hergestellt. Jetzt können wir wieder hinüber gehen: die Brücke ist tragfähig und hält bis in alle Ewigkeit.

Unsere Aufgabe wäre es dann, nun unsererseits immer wieder Brücken zu anderen Menschen zu schlagen. Oftmals sind nur Zeit und etwas Erfindungsreichtum nötig, um zerstrittene Menschen wieder zusammenzubringen. Da kümmert sich ein Meister im Betrieb auch um die persönlichen Angelegenheiten seiner Mitarbeiter. Ein Kollege hat Streit mit seiner Frau, seit zwei Wochen haben sie nicht mehr miteinander geredet. Dem Mann tat es leid, der Frau auch, aber keiner wollte als erster nachgeben. Da erzählte der Mann dem Meister von der Sache und bat ihn um Hilfe.

Der Meister sagt: „Laß mich nur machen!“ Am Abend lädt er sich selber bei dem Ehepaar ein und tut so, als wüßte er von nichts und als sei bei ihnen alles in Ordnung. Bald unterhält er sich mit dem Mann, bald mit der Frau. Und auf einmal springt der Funke über: Die Frau zieht den Mann wieder mit ins Gespräch. Ohre daß es groß aufgefallen wäre, ist der Brückenschlag wieder gelungen. Als der Meister sich endlich wieder verabschiedet, sind die Eheleute wieder ganz miteinander versöhnt.

Wir brauchen solche Menschen, die zur Vermittlertätigkeit bereit sind. Dazu muß man selber immer und überall zur Versöhnung bereit sein. Man muß auch das Risiko eingehen, sich dabei zwischen alle Stühle zu setzen; es kann nämlich sehr leicht sein, daß sich die Gegner versöhnen und sich dann gemeinsam gegen den Vermittler wenden. Wir könnten uns auch vornehmen, uns jeweils für den Schwächeren einzusetzen, oder für den, der abwesend ist und sich nicht selber verteidigen kann.

Es gibt viele Möglichkeiten, im Sinne Gottes tätig zu werden. Es ist nicht immer leicht und man kann selber dabei Prügel beziehen. Aber dann ginge es uns nicht anders als unserem Herrn Jesus Christus auch, der uns vorgelebt hat, was Gehorsam und Versöhnung sind.

 

 

Hebr. 9, 15 (24.25a) und 26b - 28 (Karfreitag, Variante 1):

Das Rote Kreuz ruft immer wieder zum Blutspenden auf. Es gibt Menschen, die haben schon mehr als das Fünffache ihres Blutes für andere hingegeben. So haben sie geholfen, gefährdetes menschliches Leben zu retten. Bei großem Blutverlust nach Verletzungen, nach einer Geburt oder Operation, bei Blutkrebs ist eine Blutübertragung oft die einzige Möglichkeit zum Weiterleben. Vielleicht hat es der eine oder andere von uns schon am eigenen Leibe erfahren, wie gut das ist.

Schon im Altertum sagte man: „Im Blut ist das Leben!“ Deshalb opferte man Leben, damit anderes Leben erhalten werden konnte. Anfangs brachte man sogar Menschenopfer dar, nachher dann Tieropfer. Die Geschichte von Isaaks Opferung kennzeichnet diesen Übergang.

In Israel wurden die Tieropfer im Tempel von Jerusalem vollzogen. Meist wurden Tiere für die Sünden der einzelnen geopfert: Wer von irgendeiner Sünde geplagt wurde, kaufte ein Tier, ließ es im Tempel schlachten und stiftete das Fleisch dem Tempel - schon war die Sache bereinigt. So meinte man jedenfalls.

Einmal im Jahr aber, am großen Versöhnungstag, ging es darum, die Sünden des ganzen Volkes zu sühnen. Man fastete und stellte alle Arbeit ein. Der Hohepriester wusch seinen ganzen

Leib und ging dann bis ins Allerheiligste des Tempels. Diesen Raum ganz im Inneren des Tempels durfte nur er und nur an diesem Tag betreten. Dort opferte er dann für sich selber, für das Volk und für das Heiligtum.

Uns ist das alles ziemlich fremd. Der Karfreitag spricht uns doch auch so unmittelbar an. Wir sehen, wie Jesus in die Hände der Menschen geraten ist und Objekt ihrer Grausamkeit geworden ist. Aber er hat auch unzählige Schicksalsgenossen. Immer wieder tun Menschen anderen Menschen Unsagbares an: wenn sie sich gestört fühlen, wenn sie dem anderen ihre Macht zeigen wollen, wenn sie Angst vor dem anderen haben (dann ist der Mensch wohl noch am gefährlichsten), wenn sadistische Triebe die Überhand gewinnen.

Wir verabscheuen das und nehmen dagegen Stellung. Aber sind wir denn selber ganz frei davon? Gehören wir nicht auch zu denen, die Jesus ans Kreuz gebracht haben? Sind wir unbeteiligt an dem, was am Kreuz geschah? Natürlich gab es unmittelbar Schuldige. Aber keiner vor

uns kann sagen: Die anderen waren es! Mit unsrer Schuld tragen wir dazu bei, daß Christus auch noch heute gekreuzigt wird.

Wir kennen das, wenn wir „bis aufs Blut gereizt“ werden. Dann ist unser innerstes Leben angegriffen und bedroht. Dann stellen wir mit tiefem Entsetzen fest, daß auch in uns der Funke glimmt, Blut zu vergießen. Dann möchten wir Rache nehmen und alles kurz und klein schlagen. Die Meisten wünschen wohl, daß es anders wäre. Sie sehnen sich danach, mit anderen auszukommen. Und sie möchten auch, daß die Völkerwelt endlich zur Vernunft käme: Friede' und gegenseitiger Austausch von lebenswichtigen Gütern, Freundlichkeit im Miteinander - das wünschen wir uns doch alle.

Wenn es nur so einfach wäre, durch eine Bluttransfusion das gesamte menschliche Leben zu heilen! Die Menschen des Altertums hatten es anscheinend leichter; Sie opferten Tiere und wollten so das Leben des Einzelnen^ und des ganzen Volkes heilen. Nach einem solchen Opfer fühlte sich die ganze Volksgemeinschaft wieder besser.

Immerhin hatten diese Menschen ein tiefes Bewußtsein von menschlicher Schuld. Schuld darf nicht verdrängt, sondern das gestörte Verhältnis zwischen Gott und Mensch bedarf der Bereinigung. Nur so können die Wunden wieder heilen, kann man noch einmal von vorn beginnen. Diese Heilung ist aber geschehen durch den Opfertod Jesu Christi.

Das war auch in Jerusalem, nur etwa 500 Meter vom Tempel entfernt, vor der Westvorstadt außerhalb der Stadtmauer, wo die Schwerverbrecher hingerichtet wurden. Jesus erleidet am Kreuz, was Menschen erleiden und was bei den Menschen üblich ist. Weil er bis zum letzten Augenblick sich für die in ihrer Sünde verlorenen Menschen einsetzt und auf ihrer Seite bleibt, erleidet er den Zorn des himmlischen Vaters. Indem er für die Verlorenen Partei ergreift, wird er selber zum Opfer.

Aber damit bringt er in Ordnung, was unsre Beziehungen zu Gott und den Menschen stört. Die Schuld wird dabei nicht wohlwollend übersehen, sondern im stellvertretenden Lebensopfer wirklich aus der Welt geschafft. Die Sünde kann nicht durch Wegsehen unschädlich gemacht werden. Gott will sie nicht verharmlosen, sondern daß sie voll und ganz ausgeräumt wird.

Am großen Versöhnungstag in Jerusalem ist nicht zu viel geschehen, sondern zu wenig. Es bedurfte eines anderen Opferganges. Weil es aber ohne Blutvergießen keine Vergebung gibt, mußte Jesus diesen Weg gehen. Er war Hoherpriester, aber zugleich auch das Opfer. Eigentlich hätten wir alle sterben müssen. Aber stattdessen nimmt Gott dieses stellvertretende Opfer an. Deshalb war dieser Opfergang so notwendig. Damit ist aller menschlicher Opferkult als Irrweg enthüllt.

Wie weit das auch heute noch führen kann, zeigt ein Vorfall, der sich im Urwald von Peru ereignet hat. Unter den Indios waren Epidemien ausgebrochen. Die Medizinmänner sagten, dieser Fluch der Gottheit könne nur durch Menschenopfer abgewendet werden .Je größer die Schuld ist, desto wertvolleres Opfermaterial muß verwendet werden. Das Wertvollste aber ist Menschenblut, die beste „Währung“ im Handel mit der Gottheit. So haben sich diese verblendeten Menschen gegenseitig umgebracht, nach amtlichen Berichten sollen etwa 5.000 Indios dabei umgekommen sein.

Uns liegt solches Denken fern. Aber wir haben vielleicht anderes, das wir Gott opfern wollen: Wir spenden Geld, wir reden ab und zu von ihm, wir denken an ihn und einmal in der Woche opfern wir ihm eine Stunde Zeit. Aber was wir auch opfern, wir erreichen nichts bei Gott.

Wir wissen in der Tiefe unseres Herzens aber sehr genau, von welcher Tragweite die Schuldfrage ist. Sonst würden wir nicht so verbissen um unser Bild des Unschuldigen und Sauberen kämpfen. Auch wenn wir vor den Menschen alles vertuschen könnten: In der Tiefe rumort es. Wenn die Gefahr besteht, daß unsre schwachen Stellen sichtbar werden, werden wir mißtrauisch und angriffslustig, vor allem aber unfähig zu ungetrübter Gemeinschaft. Und schließlich versuchen wir auch Gott los zu werden, nicht in der Theorie, aber in der Praxis. Und das ist unsre tiefste Schuld, aus der wir uns nie und nimmer erlösen können.

Zum Glück brauchen wir es auch nicht, brauchen auch gar keine Opfer zu bringen, weil Christus bereits alles für uns erreicht hat. Dadurch sind wir vor der Vergangenheit befreit und uns ist die Zukunft eröffnet. Wir empfangen ein neu geschenktes Recht auf Leben. Um des Gekreuzigten willen sind wir wieder bei Gott anerkannt. Karfreitag ist so nicht nur die Erinnerung an einen Mann, der seinen Feinden am Ende erlegen ist, sondern er ist der Keim einer lebendigen Hoffnung.

Die Fürbitte des Hohenpriesters Jesus Christus hält für uns der Raum zum Leben frei, so wie nach antiker Auffassung der Riese Atlas das Himmelsgewölbe auf seinen Schultern trug, damit es nicht über dem Lebensraum der Menschen zusammenstürzt. An sich waren wir nicht mehr wert zu leben. Aber das Eintreten des Herrn für uns verschafft uns das Anrecht auf die Zukunft im Frieden mit Gott. Das kann uns nicht wieder genommen werden.

Bei den Opfern der Israeliten war ja immer die Unsicherheit dabei, ob sie auch ausreichen werden. Kaum war der große Opfergottesdienst vollzogen, da begann schon wieder das Konto der neuen Verschuldungen anzusteigen. Und diesem ewigen Auf und Ab des Lebens machte dann der Tod ein Ende.

Auch über uns werden einmal die Akten geschlossen werden. Aber dann werden wir von dem leben, was Christus an Karfreitag für uns getan hat. Nach seinem Opfer laufen keine neuen Schulden mehr auf. In seinem Opfer war bereits enthalten und berücksichtigt, was ich ihm zu tragen gegeben habe und leider auch noch in Zukunft zu tragen geben werde.

Das liegt daran, daß Jesus sich selbst als Opfer eingebracht hat. Der Hohepriester konnte

sich selber schonen. Er hat fremdes Blut vergossen, aber sich selber herausgehalten. Christus aber ist bewußt auf der Strecke geblieben. Darauf aber werden wir uns berufen können, wenn es zu der letzten großen Begegnung mit dem Herrn kommt.

 

Hebr. 9,15 (24.25a) und 26b - 28 (Karfreitag, Variante 2):

Wenn der Sterbetag eines lieben Menschen sich wieder jährt, dann sind wir immer sehr traurig. Dann fällt uns wieder ein, wie alles gewesen ist. Wir müssen an den Verstorbenen denken, wie schön es mit ihm war und was er alles für uns getan hat. Wir bedauern, daß er nicht mehr da ist und trauern dem nach, was wir nun entbehren müssen. Ein solcher Tag ist oftmals sehr schwer für uns.

Der Karfreitag ist ja nun der Todestag Jesu. Aber er soll kein Trauertag sein. Er ist nicht einfach ein Gedenktag an ein längst vergangenes Ereignis, der sich alle Jahre wiederholt. Es geht gar nicht so sehr um die Vergangenheit, sondern um die Zukunft, die an diesem Tag begonnen hat. Dieser Todestag hat einen neuen Sinn: Die Kreuzigung Jesu ist der Anfang einer neuen Welt.

Man kann den Karfreitag auch so begehen, wie man im Theater eine Tragödie erlebt. Dann bleibt man Zuschauer, der eine furchtbare Tragödie miterlebt, aber im Grunde unbeteiligt bleibt. Er wird vielleicht gerührt oder innerlich erhoben, aber er sagt sich doch letztlich: Es ist ja alles nur ein Spiel.

Bei Jesus aber war es blutiger Ernst. Der Hebräerbrief aber will erklären, weshalb das damals nötig war und heute noch ist: Hier sollen die Menschen ihre Rettung erfahren. Hier geschieht die Versöhnung Gottes mit den Menschen, die unser Leben verwandelt und uns zu anderen Menschen macht.

Die Christen, an die dieser Brief geschrieben wurde, haben Jesus als eine große Enttäuschung empfunden. Sie hofften, er werde schon gleich die Gottesherrschaft auf Erden durchsetzen. Aber statt dessen kam er und erlitt den Tod. Nun haben Einige schon die Hoffnung auf die Wiederkunft Christi aufgegeben und haben die Gemeinde verlassen. Die Übriggebliebenen sind müde geworden und scheuen das Leiden.

In dieser Situation wird ihnen eingeschärft: Niemand kann das verheißene Erbe empfangen, wenn nicht erst einer stirbt, wenn nicht Christus sein priesterliches Werk vollbringt und die Christen zum          Mitleiden bereit sind. Sicherlich paßte es uns allen besser, wenn uns in der Kirche verheißen würde: Christus wird in absehbarer Zeit kommen und eine Welt ohne Probleme, ohne Angst, ohne Schmerzen und ohne Tod schaffen. Aber eine solche Welt setzt die Bereinigung unseres zerstörten Verhältnisses zu Gott voraus. Es gibt kein Heil ohne Versöhnung, ohne das priesterliche Werk Jesu.

Seinem Vorbild gefolgt ist Pater Maximilian Kolbe: Im Konzentrationslager Auschwitz waren einige Häftlinge ausgebrochen und nun rächte sich die Wachmannschaften an den anderen. Alle Bewohner der Baracke mußte in Reih und Glied antreten, jeweils zu zehn abzählen und jeder Zehnte dazu verurteilt, in den Hungerbunker zu gehen. Das aber bedeutete den sicheren Tod.

Aber ein Mann hatte einen Fürsprecher: Der katholische Priester Maximilian Kolbe trat vor und sagte: „Schickt mich an seiner Stelle in den Hungerbunker. Der Mann hat Familie und für kleine Kinder zu sorgen. Ich aber bin allein und hinterlasse niemanden!“ Der Lagerkommandant war erst verdutzt, doch dann willigte er ein. Der andere Mann hat tatsächlich überlebt, während Maximilian Kolbe umgekommen ist.

Jener andere Mann war schon zum Tode verurteilt. Er konnte nur am Leben bleiben, wenn ein anderer sein Leben für ihn gab. So mußte auch Jesus sein Leben lassen, damit ein neuer Bund geschlossen wurde. So war das ja im Alte Testament: Jeder Bundesschluß zwischen Menschen und entsprechend auch der Bund Gottes mit dem Volk wurde mit einem Tieropfer besiegelt.

In alten Zeiten gehörte zu einem Bundesschluß eben immer Blut dazu. Wenn die Indianer Blutsbruderschaft schlossen, dann haben sich die beiden Freunde die Hand aufgeritzt und das herauslaufende Blut miteinander vermischt. Jetzt waren e i n Blut und gehörten untrennbar

miteinander zusammen.

So gehören wir auch durch das Opfer Christi ganz fest mit Gott zusammen, so als ob wir mit ihm verwandt wären. Wenn wir beim Abendmahl den Wein trinken, dann denken wir dabei

an das Blut Jesu, das für uns vergossen wurde, damit wir wieder Gottes Freunde werden können.

Im Tempel von Jerusalem hat man bis zu seiner Zerstörung im Jahre 70 nach Christus weiter Tieropfer dargebracht. Meist waren es die Opfer für die Sünden der Einzelnen. Einmal im Jahr aber am „Großen Versöhnungstag“ sollten die Sünden des ganzen Volkes gesühnt und mit dem Blut der Tiere zugedeckt werden.

Dazu opferte der Hohepriester zunächst viermal zur Tilgung seiner eigenen Sünde, dann dreimal für das Volk und noch einmal für das Heiligtum. Es war immer ein feierlicher Augenblick, wenn er die Stufen zum Allerheiligsten hinaufschritt, durch den Vorhang hindurchging, der das ganze Jahr über nicht geöffnet wurde, um dann an dem Altar im Inneren das Tierblut auszuschütten.

Aber es hatte sicherlich auch etwas Schauriges und Gespenstisches an sich. Zum Glück sich im heutigen Israel die vernünftigen Leute durchgesetzt. Als man dort nämlich wieder in den Besitz des Tempelgeländes gekommen war, wollten einige strenge Juden

Unbedingt wieder diesen Opferdienst aufnehmen. Das wäre wohl etwas, wenn man in der heutigen Zeit in einem modernen Staat wieder einen solchen fast heidnischen Brauch eingeführt hätte.

Wir als Christen wissen, daß längst ein anderes Versöhnungsopfer dargebracht wurde, das alle anderen Opfer überflüssig macht. Nicht überflüssig ist, daß ein Mensch sich für den anderen einsetzt und vielleicht sogar opfert. Das Opfer Jesu will uns im Gegenteil ermuntern, so zu Hadeln wie Pater Kolbe. Aber um Gott mit den Menschen zu versöhnen, ist kein Opfer mehr nötig, es ist aber auch überhaupt nicht möglich.

Das Opfer des Karfreitags gilt ein für alle Mal. Die Opfer des alten Bundes mußten immer wieder wiederholt werden; sie reichten nicht aus und waren unsicher. Kaum war der Opfer­gottesdienst beendet, begann das Schuldkonto wieder zu steigen. Das ganze Jahr über lud sich Gottes Zorn auf wie die Atmosphäre vor dem Gewitter. Es war eine Arbeit wie in der alten griechischen Sage von Sisyphos. Der mußte immer wieder einen schweren Stein den Berg hinaufwälzen. Und wenn er dann fast oben war. Rollte er immer wieder hinab und die Tiefe und es ging wieder von vorne los.

Vieles im Leben kann man und muß man sogar wiederholen: Essen und Schlafen, Waschen und Aufräumen, die Handgriffe unsrer Arbeit. Meist kann an sogar auch die mißlungenen Dinge wiederholen; selbst ein mißlungenes Examen kann man ein zweites Mal versuchen. Nur eins ist einmalig: der Tod und das Gericht, das ihm folgt. Einmal werden die Akten über uns geschlossen sei. Und dann werde wir nur noch von dem Ein-für alle-Mal leben, mit dem Jesus die Sünden der Vielen getragen hat. Nach diesem Opfer laufen keine neuen Schulden mehr auf

Wie kann aber das Opfer Jesu eine solche Kraft haben? Das liegt daran, daß hier Priester und Opfer die gleiche Person sind. Im Alten Bund wurden immer nur Tiere geopfert. Der Priester aber konnte sich immer heraushalten. Christus aber ist als der wahre Priester selber auf der Strecke geblieben. Er hat nichts für sich getan, sondern alles für uns.

Wohlgemerkt: Hier handelt es sich nicht um eine hübsche Erzählung ohne geschichtlichen Hintergrund. Hier ist tatsächlich ein Mensch einen qualvollen Tod gestorben, damit hat er alles Mögliche frühere oder spätere Leiden einer Person schon vorweg erfüllt.

Alle menschlichen Opfergänge sind damit überflüssig geworden, jedenfalls wenn man damit bei Gott etwas erreichen will. Christus hat schon längst das Opfer gebracht und uns damit losgekauft von der verdienten Strafe. Deshalb haben wir auch an einem Tag wie heute doch Grund zur Freude.

Wir werden dann auch unsre menschlichen Opfer nicht überbewerten: Eltern opfern sich für ihre Kinder, in der Firma opfern sich manche auf für andere Menschen, Sportler opfern ihre Gesundheit; manche opfern auch ihre Überzeugungen oder verzichten darauf, Wahrheiten auszusprechen. Daß wir uns nicht falsch verstehen: Solche Opfer müssen schon sein. Aber Jesu Opfer ist doch noch einmal etwas ganz anderes. Und unsre menschlichen Opfer können das Opfer Jesu nicht überflüssig machen. Es ist nichts erreicht, wenn wir uns zwar für die Familie aufopfern, aber Gott darüber vergessen.

Wir sollten auch nicht meinen, durch unsre Arbeit könnten wir die Zukunft gestalten und zum Beispiel erreichen, daß es unsre Kinder und Enkel leichter haben. Mit dem Karfreitag ist zwar das erste Kommen Jesu zünde gegangen. Aber damit hat auch die letzte Zeit begonnen. Jesus wird wiederkommen, wenn auch anders als beim ersten Mal. Aber der Zugang zu Gott dem Vater ist schon frei. Wir dürfen kommen, und das heißt: Wir sollen auch kommen. Nur so kann Gott uns helfen.

 

Ergänzung:

Jesus hat ein dreifaches Amt:

(1) Er ist der Mittler des neuen Bundes. Er bringt einen besseren Bund als Mose. Er bürgt dafür, daß Gott seine Heilsverheißungen trotz der Übertretungen unter dem ersten Bund einlöst. Das Wort „Mittler“ in Vers 15 beschreibt Jesu Werk in der Vergangenheit. Es fordert uns aber heute auf, daß wir uns dieses Mittlers bedienen und zu Glauben und Gehorsam rufen lassen.

(2) Er ist der wahre Hohepriester. Er ist in das himmlische Heiligtum hineingegangen. Er brauch­te den Opfergang nur einmal anzutreten, er hat sich selbst geopfert. Das Wort „Hohepriester“ in Vers 24 bis 26 beschreibt Jesu Werk in der Gegenwart. Er erscheint jetzt vor Gott und tritt uns ein. Er erwartet aber auch von uns, daß wir die einmal vollzogene Entscheidung für Jesus durchhalten und nicht mehr von ihm fortgehen.

(3) Er ist der Messias, der am Erde der Zeiten wiederkommen wird. Im Tod werden die Taten der Menschen offengelegt. Jesus aber wird durch seinen Tod offenbar werden vor denen, die auf ihn warten. Das Wort „Messias“ bzw. „Christus“ (Vers 27 und 28) beschreibt Jesu Werk für die Zukunft. Es fordert uns auf, getrost und standhaft auf ihn zu warten und uns durch nichts darin irre machen zu lassen.

Gerade dieser Ausblick in die Zukunft soll uns dieses Jahr an Karfreitag einmal trösten. Der Hinrichtungshügel vor der Stadt Jerusalem war der Altar, auf dem Gottes Sohn geopfert wurde. Aber gleichzeitig ist auch im Himmel etwas geschehen: Hier am Kreuz beginnt nach der Meinung des Hebräerbriefs schon die Himmelfahrt. Hier bekennt sich Gott schon zu seinem Sohn und nimmt ihn zu sich auf.

Sein erstes Kommen hat mit dem Karfreitag ein Ende gefunden. Doch damit hat die letzte Zeit begonnen. Dieser Jesus wird wiederkommen, wenn auch anders als beim ersten Mal. Für und kommt es darauf an, auf ihn zu warten, egal wie lange es dauert.

Wir können nicht allein in das Heiligtum hineintreten. Auch die Israeliten in Jerusalem mußten warten, bis der Hohepriester wieder herauskam. Aber sie konnten sicher sein, daß er wieder kommt und dann alles wieder gut ist. So dürfen wir auch geduldig und zuversichtlich auf das Wiederkommen Jesu warten. Der Zugang zu Gott dem Vater ist jetzt frei geworden. Wenn wir aber kommen dürfen, dann sollen wir auch kommen Gott hilft nur denen, die an ihn glauben und auch zu ihm kommen.

 

 

Hebr 10, 19 – 25 (1. Advent):

Wenn es auf den Winter zugeht, wird es Zeit, schon die Urlaubsreise für den nächsten Sommer zu planen. Viele werden schon gebucht haben, obwohl die Kataloge noch gar nicht da sind. Doch zuerst einmal steht Weihnachten vor der Tür. Aber da machen es viele so, daß sie sich auf ein „Last-minute“- Angebot verlassen: Erst im letzten Augenblick wird ihnen dann bewußt, daß ja Weihnachten plötzlich drohend bevorsteht und noch ganz schnell etwas vorbereitet werden muß.

An die Geschenke hat man ja meist gedacht, auch für Essen und Trinken wird gesorgt. In der Kirche aber wollen wir uns fragen, wie wir uns innerlich auf dieses Fest vorbereiten können. Der Hebräerbrief aber weist uns nicht nur auf die jetzt bevorstehenden Christtage hin, sondern auf den Tag, an dem Christus endgültig wiederkommen wird, zu richten die Lebenden und

Toten.

Insofern ist Advent eine Zeit der ernsthaften Besinnung und Prüfung. Aber Kerzenschimmer und ein bißchen Romantik dürfen auch sein, denn wir erwarten nicht nur das Gericht, sondern wir freuen uns auf die Begegnung mit unserem Herrn.

Der Hebräerbrief lädt uns ein, doch zu diesem Herrn zu kommen, weil der Himmel für alle offensteht. Und er fordert uns auf, festzuhalten am Bekenntnis und auch aneinander festzuhalten. Drei Schritte sind es an sich: Erst einmal dazukommen, dann getauft werden und schließlich beisammenbleiben. Bedenken wir zunächst die Einladung, die uns auch heute wieder erreicht.

 

1. Dazukommen:

Der Hebräerbrief beschreibt die Wende, die mit Jesus gekommen ist, mit Hilfe eines Bildes aus dem Alten Testament. Er hat den Tempel in Jerusalem vor Augen. Dort gab es das Allerheiligste, das durch einen Vorhang vor neugierigen Blicken abgeschirmt wurde. Nur einmal im Jahr durfte der Hohepriester in das Dunkel des Allerheiligsten hineingehen und dort ein Opfer darbringen.

Seit Christus aber gibt es diesen Vorhang nicht mehr. Er ist der einzig wahre Hohepriester und hat sich gleichzeitig auch selbst zum Opfer dargebracht. Durch sein Fleisch und Blut hat er eine Bresche geschlagen und auch uns den Zugang eröffnet. Jetzt steht nichts mehr zwischen Gott und uns: keine Tür, kein Vorhang, nicht einmal ein Fußabtreter. Es gibt ja Hausfrauen, bei denen muß man erst einmal durch drei Abtreter hindurch und sich dann über verschiedene Putzlappen bis in die gute Stube vorarbeiten. Da kann einem schon der ganze Besuch verleidet werden.

Zu Gott aber dürfen wir auch mit unseren dreckigen Schuhen kommen. Gott weiß genau: Draußen gibt es allerhand Schmutz, der an den Schuhen hängenbleibt. Kein Mensch kann völlig sauber durchs Leben gehen. Aber er darf dennoch ohne umständliche Vorkehrungen zu Gott kommen. Gott ist immer für uns zu sprechen und sagt nicht: „Ich habe gerade saubergemacht, im Augenblick paßt es nicht, wenn du mit deinen Dreckschuhen kommst!“

Allerdings wird Gott uns schon beraten wollen, wie wir es das nächste Mal besser machen können. Man muß ja nicht unbedingt in den dicksten Dreck treten und dann die Bescherung auf dem guten Teppich verlieren. Wir dürfen zu Gott kommen, wie wir sind. Und wir dürfen dem Weihnachtsfest entgegensehen trotz all unserer Fehler und Mittelmäßigkeiten. Aber wir dürfen nicht so bleiben wie wir sind.

 

2. Getauft werden:

Der Hebräerbrief spricht davon, daß wir nun mit „wahrhaftigem Herzen“ und in „völligem Glauben“ herankommen dürfen. Das liegt daran, daß wir in der Taufe gewaschen sind mit reinem Wasser. Wir müssen nicht erst ein Großreinemachen veranstalten und erst kommen, wenn alles sauber und untadelig ist. Zu Gott dürfen wir mit aller Unbefangenheit gehen, so wie die Kinder zu ihrem Vater. Wenn der sein Arbeitszimmer mit im Haus hat, dann platzen sie einfach in jedes Gespräch hinein, weil sie etwas fragen oder haben wollen. Da kann man ihnen hundertmal sagen, daß das nicht geht, sie machen es doch immer wieder.

Bei Gott dürfen wir tatsächlich „herein ohne anzuklopfen“, wie es an manchen Amtsstuben steht. Im Gebet haben wir eine ständige Kontaktmöglichkeit zu ihm. Im Abendmahl dürfen wir sogar noch näher bei ihm sein. Da dürfen wir mit ihm am Tisch sitzen und mit ihm reden. Da dürfen wir all unsere Probleme auspacken. Er aber wird uns vor unbedachten Schritten bewahren und immer wieder einen Ausweg aus unseren Nöten zeigen.

In Taufe und Abendmahl ist uns etwas mitgegeben worden, das wir gar nicht hoch genug halten können. Da wurde eine Hoffnung in uns gelegt, die unser ganzes Leben bestimmen kann. An sich ist es unvorstellbar, daß man sich von diesem Bekenntnis der Hoffnung wieder lossagen kann. Da schreibt ein junger Mann, der später Weltmeister und Olympiasieger geworden ist, an den Pfarrer, der ihn konfirmiert hat: „Meine Weltanschauung hat sich geändert. Ich weiß jetzt, daß das alles nicht stimmt, was die Kirche sagt. Ich werde aus der Kirche austreten. Ich habe auch schon mit meinen Kollegen auf der Sportschule gesprochen, daß sie das Gleiche tun!“

Es tut einem weh, so etwas zu lesen. Da knallt einer doch die weit geöffnete Himmelstür zu

und sagt: „Da kannst mich mal…....Ich gehe lieber zum Nachbarn!“ Zum Glück ist es mit jenem Mann anders gekommen, er ist nicht aus der Kirche ausgetreten. Seiner Mutter hat er sogar gestanden, daß er gebetet hat, wenn er oben auf dem Sprungturm stand und ins Tal hinunter sollte. Vielleicht haben ihm dabei auch Menschen geholfen, die unbeirrt am Bekenntnis der Hoffnung festgehalten haben, so wie seine Mutter.

 

3. Zusammenbleiben:

Es geht allerdings auch darum, daß wir aneinander festhalten und im Gottesdienst zusammenbleiben. Doch da haben sich offenbar schon damals einige einfach davongemacht. Waren es wirklich nur einige oder nicht doch viele.  Haben sie die Versammlung nur zwischendurch einmal kurz verlassen oder haben sie sich für immer davongemacht?

Bei jeder Abgabenerhöhung bei der Steuer oder der Versicherung überlegen sich wieder

Kirchensteuerzahler, ob sie nicht doch noch schnell aus der Kirche austreten.  „Ich habe nicht genug Geld!“ klagt eine junge Frau. „Was soll ich nur machen? Ob ich nicht doch lieber aus der Kirche austrete?“ Sie tut so, als ob alles zusammenbreche, obwohl die paar Mark sie nicht ärmer machen als sie zum Beispiel vor zehn Jahren war. Umgedreht können die 500 Mark, die sie im Jahr vielleicht an Kirchensteuer sparen könnte, ihr auch nicht zu größeren Sprüngen verhelfen.

Aber man hört auch die anderen sagen: „Christ kann man auch sein ohne Kirche! Ich kann sogar zur Kirche gehen - wenigstens an Weihnachten! Aber mit der Organisation Kirche, mit der Amtskirche, will ich nichts mehr zu tun haben!“ Doch wer schon vorher nicht zum Gottesdienst kam, wird es nachher erst recht nicht tun.

Wir können nur froh sein, daß wir ein Gotteshaus haben und uns der Gottesdienst angeboten wird. Nicht jeder Ort hat eine Kirche und nicht jede Gemeinde hat einen Pfarrer. Es gab Zeiten und Gegenden, da wurde das den Menschen genommen. Und dann haben viele erst erkannt, was sie vorher allzu selbstverständlich hatten. Auch in unserem Ort sind sicher (fast) alle dafür, daß es eine Kirche und den Gottesdienst gibt. Aber dann selber hinzugehen, das ist eine andere Sache.

Es ist eine unausrottbare protestantische Fehleinstellung, daß man auch fernab von Gottesdienst und Gemeinde ein Christ sein könne. Angeblich kann man die Sache Gottes auch im Herzen haben und in seinen Gedanken bewegen und noch dazu selbstverständlich einen korrekten Lebenswandel beachten, so nach dem Motto: Die Gebote kenne ich auch so, an die kann ich mich auch halten, ohne an Gott zu glauben!

Wer so denkt, der gleicht einem Kraftfahrer auf der Autobahn, der keine Zeit zum Tanken findet. Er denkt: An dieser Tankstelle ist es so voll, das dauert alles zu lange, ich werde es schon bis zur nächsten schaffen. Aber dann bleibt er mit leerem Tank auf der Strecke liegen. Erst aus Erfahrung wird man klug.

Das gilt auch für den Besuch des Gottesdienstes.  Er ist einfach wichtig für das Christsein. Deshalb darf es das einfach nicht geben, daß die Gemeinde während des Gottesdienstes noch etwas anderes ansetzt. Sicherlich geht man manchmal weg und fragt sich: „Was habe ich nun davon gehabt. Der Pfarrer hat nur langatmig zu erklären versucht, was der Bibeltext damals meinte, aber vom Heute hat er nicht gesprochen!“ Oder wir denken: „Der Pfarrer hat mich nur geärgert mit seinen politischen Ansichten, und ich durfte nicht einmal etwas dazu sagen!“ Und manchmal schimpft man auch, weil es entweder zu warm oder zu kalt in der Kirche war. Oder man beklagt, daß alles so kalt und so unpersönlich in der Kirche zugeht.

Doch wenn man keine Vorurteile hat, nimmt man immer etwas mit. Vielleicht ist es nur ein Lied, das einen auf dem Heimweg oder sogar in die nächsten Tage hinein begleitet. Gerade jetzt kommen ja all die schönen Advents- und Weihnachtslieder dran, die allein schon den Weg in die Kirche lohnen. Oder es hat uns eine Formulierung in einem Gebet angesprochen und ist uns im Gedächtnis hängengeblieben. Vielleicht war es aber auch nur der altehrwürdige Kirchenraum mit seiner Ruhe, der uns etwas gegeben hat. Es lohnt sich immer, in die Kirche zu gehen.

Der Hebräerbrief spricht davon, daß wir „aufeinander achthaben“. Damit ist uns eine seelsorgerliche Verantwortung füreinander auferlegt. Es geht nicht darum, uns gegenseitig zu schulmeistern oder zu gängeln oder sogar geistlich zu überwachen. Das ist die Gefahr besonders in den Freikirchen, wo es angeblich soviel menschliche Wärme und Nähe gibt, wo alles aber auch zu einem unheimlichen Zwang ausufern kann. Gemeint ist hier, daß wir einander gut zureden, uns trösten und mahnen, vor allem aber Mut machen.

Die Kirchengemeinde ist keine Interessengemeinschaft und sie besteht auch nicht aus einem Predigtpublikum. Es kann uns nicht egal sein, wenn sich einer aus Gedankenlosigkeit oder in bewußter Verachtung Gottes davonmacht. Man kann dann nicht sagen: „Es muß jeder selber wissen, was er tut! Wir haben Verantwortung füreinander!“

Wir werden sogar aufgefordert, aufeinander acht zu haben und uns gegenseitig aufzureizen zur Liebe und zu guten Werken. Hier sind tatsächlich die guten Werke erwähnt, die seit Luther

doch etwas Anrüchiges haben. Wir tun sie gewiß nicht, damit wir selig werden. Aber weil wir selig sind, versuchen wir gute Werke zu tun. Der Hebräerbrief will uns immer wieder dazu mobilisieren. Gerade am Beginn eines neuen Kirchenjahres könnten wir uns hier gegenseitig einen neuen Anfang wünschen.

An diesem ersten Adventssonntag stehen wir an dem Tor, das hineinführt in den Weihnachtsfestkreis, das den Ausblick eröffnet auf Ostern und Pfingsten und schließlich auch schon wieder auf das Ende des Kirchenjahres, an dem wir an den letzten Advent denken, an die Wieder­kunft Christi. Wird die Kirche bis dann Zukunft haben? Wenn viele die Versammlung verlassen, wird das nicht der Fall sein, dann wird die Kirche auch nach 2000 Jahren noch untergehen, so wie viele Sekten der damaligen Zeit.

Aber zum Glück hängt das nicht allein von uns ab. Da ist ja auch noch der Herr, der das Tor weit aufgemacht hat. Er lädt uns und alle anderen ein, den Weg in das Allerheiligste zu gehen Ihm können wir unsre persönliche Zukunft und die der Gemeinde anzuvertrauen.

 

 

Hebr 10, 35 - 36 und 39 (16. Sonntag nach Trinitatis):

Bei einem Jubiläum pflegt man meist die eigenen Erfolge breit zu latschen.Man erwähnt nur, was mehr oder weniger gelungen ist und spielt es in übertriebener Weise hoch. Die Mißerfolge aber blendet man ab. Wenn man beim Nullpunkt angefangen hat, könnte man nach 35 Jahren ja einen Schritt weitergekommen sein; da gibt es Manches, was man vorzeigen kann.

In der Kirche aber haben wir keinen Grund zum jubilieren. Wir haben auch Manches erlebt in 35 Jahren. Aber vor allem haben wir auch erlebt, daß unsre Zahl kleiner geworden ist. Da brauchen wir uns nur umzusehen. Viele sind müde geworden. Da ist es schwer, standhaft zu bleiben und den Glauben zu bewahren.

Der Hebräerbrief zeigt uns, daß es schon am Anfang der Kirche nicht anders war. Einige haben die Versammlung verlassen und sich zurückgezogen. Der große Kampf des Leidens ist ihnen zu viel geworden. Sie können Schmähung, Gefangenschaft und Raub der Güter nicht mehr aushalten. Die Unterwegssituation der christlichen Gemeinde, von der gerade der Hebräerbrief spricht, ist schon eine Belastung. Christus verwandelt zwar einzelne Menschen. Aber die Verwandlung der ganzen Welt steht noch aus.

So ist der Glaube immer der Anfechtung ausgesetzt. Was sie von selbst versteht, ist nicht der Glaube, sondern der Unglaube. Er leuchtet unmittelbar ein. Wer sieh mit den altbekannten Argumenten gegen den Glauben ausspricht, hat schnell die Lacher auf seiner Seite. Man sollte den nicht schelten, der am Glauben irre wird; er mag Gründe haben, die ihn schwer bedrängen.

Aber man darf niemanden in seiner Niedergeschlagenheit und dem Glaubenszweifel drin lassen. Der Hebräerbrief versucht, die Leser aus ihrer Glaubensmüdigkeit herauszuholen. Sie sollen nicht vergessen, was Gott Gutes an ihnen getan hat. Deshalb werden sie aufgefordert:

1. Haltet fest am Vertrauen

2. Übt euch. in Geduld

3. Bedenkt, daß das Heil auf dem Spiel steht.

 

1. Haltet fest am Vertrauen:

Es ist kaum zu fassen, was Menschen alles verlieren oder wegwerfen. Ein Blick auf den Müllplatz spricht da Bände. Manchmal ist man ja auch gezwungen, etwas wegzuwerfen, zum Beispiel, wenn man in eine kleinere Wohnung ziehen muß. Es gibt aber auch ein leichtfertiges Wegwerfen von Dingen, die man bisher für bedeutungsvoll gehalten hat.

Das könnte so sein bei den Glaubensaussagen, die wir im Religionsunterricht und im Konfirmandenunterricht gelernt haben und die uns das Leben hindurch begleitet haben. Auf einmal soll der Glaube am Leben hindern und nicht mehr weiterhelfen können. Auf einmal soll es auch ohne Glauben gehen und sich sogar besser leben lassen. Wenn man sich zur Gemeinde halten will, dann kostet das doch nur Zeit und Geld.

Aber wer so handelt, wirft damit das Wichtigste weg, was es im Leben eines Christen gibt, nämlich das Vertrauen zu Gott. Er hat uns doch das Beste gegeben, was wir im Leben brauchen. Er macht uns doch zu seinen Kindern und schenkt uns das Bürgerrecht in seinem Reich. Nicht umsonst war der Leitspruch eines Kirchentages: „Vertrauen wagen“. Darum geht es nämlich: Vertrauen wagen und nicht wegwerfen.

Der Hebräerbrief sagt: „Werfet euer Vertrauen nicht weg!“ Jedes weggeworfene Vertrauen bricht Brücken ab zwischen Menschen und zwischen Gott und den Menschen. Da wird verleugnet, was Gott durch seinen Sohn Jesus Christus getan hat, da wird das Opfer Jesu durchgestrichen. Wo aber Vertrauen schwindet, da wird das Leben unsicher. Entweder Vertrauen oder Mißtrauen, etwas anderes gibt es nicht.

Anfangs sah es bei den Empfängern des Hebräerbriefes ja auch anders aus. Sie haben sich sogar im Leiden um des Glaubens willen bewährt. Der Verfasser erinnert sie daran, wie gut sie glaubensmäßig „in Form“ gewesen sind. Aber nun ist es eben zur Ermüdung gekommen.

Die Gründe dafür können vielfältig sein. Von außen wird man bedrängt durch das, was es als „Schicksal“ zu bewältigen gab. Man muß mit Menschen auskommen, die einem das Leben schwer machen. Aber man muß auch mit der eigenen Sünde kämpfen, Einbußen und Enttäuschungen verarbeiten, vielleicht auch körperliche Leiden ertragen. Erst war man mit Begeisterung Christ. Aber eines Tages kann es damit dann auch vorbei sein.

In einer solchen Situation werden wir zum Vertrauen ermahnt. Ja, es wird gesagt, daß wir es eigentlich ja haben und nur nicht wegwerfen sollen. Es ist so, als glaubte uns der Hebräerbrief unsere Müdigkeit nicht so richtig. Er sagt: Ihr habt doch etwas, das ihr nur festzuhalten braucht.

Die Übersetzung „Vertrauen“ gibt das Gemeinte noch am besten wieder. Wer sich nur an irdische Gegebenheiten hält, braucht kein Vertrauen. Er weiß: Die Brücke ist fest, sie ist sogar noch mit einer fünffachen Sicherheit ausgelegt. Vertrauen aber beruht nicht auf solchen Sicherungen. Es werdet sieh einer Person zu, die sehr wohl anders könnte, aber nicht anders     w i 1 1. Es traut auch Gott etwas zu, nämlich die Verläßlichkeit seiner Zusagen und die Zuwendung zu uns.

Das Wort „Vertrauen“ bedeutete in der griechischen Demokratie die Freiheit, alles sagen zu dürfen. So dürfen wir auch unsrem himmlischen Vater „Alles“ sagen, auch die Schwächen des eigenen Charakters und die dunklen Punkte der Lebensgeschichte. Unbefangen dürfen wir vor Gott hintreten und werden nicht gehindert am Zugang zu ihm. Und das hat seinen Grund in der durch Christus geschaffenen neuer Lage. Deren konkrete Auswirkungen sind uns allerdings nicht immer gleich deutlich.

 

2. Deshalb heißt es: „Übt euch in Geduld!“

Der Glaube muß auch warten können. Doch mancher sagt: „Ich bin es nur müde, immer nur glauben zu sollen, jetzt möchte ich endlich auch einmal sehen!“ Doch wir können Gott nicht in die Karten sehen. Vielleicht wäre es sogar gefährlich, wenn plötzlich der Vorhang aufginge und wir die ganze göttliche Herrlichkeit sehen könnten. Wer gegen Christus ist könnte seine Entscheidung nicht mehr überdenken. Und wer für ihn ist, würde ihn nur noch in seiner Unwiderstehlichkeit und Allmacht kennenlernen und es käme nicht mehr zu einer in bewußtem Glauben durchgehaltenen  Nachfolge.

Eine Wartezeit ist nötig, weil das Vertrauen eine Sache der persönlichen Entscheidung ist, die auch in Kampf und Leiden erst einmal durchgezogen und ständig erneuert werden muß. Es geht nicht nur darum, den Willen Gottes zu tun, sondern auch die auferlegten Leiden zu bestehen. Gott erhält seine Ehre, wenn wir uns unter das beugen, was er verfügt. Geduld bedeutet aber nicht, daß man passiv alles über sich ergehen läßt, was Gott einem zumutet; vielmehr ist sie ein aktives Tun des Willens Gottes.

Gehorsam gegen Gott verlangt in unsrer Welt doch viel Geduld. Ein Ungeduldiger wird oft aufgeben, wo Gott Bewährung erwartet. Er wird sich durch Mißerfolge entmutigen lassen. Und vielleicht wird er auch den jüngsten Tag herbeizwingen wollen und wenn er nicht kommt dann alles über Bord werfen. Geduld aber hat einen langen Atem. Sie lebt davon, daß Gott selbst geduldig ist. Sie ist wichtig, damit wir das Verheißene empfangen. Der Hebräerbrief fordert dazu auf.

 

3. Bedenkt, daß das Heil auf dem Spiel steht: Der Ernst der Glaubensentscheidung kann nicht deutlich genug hervorgehoben werden. Die Begegnung mit Christus stellt uns immer wieder in die Entscheidungssituation. Ein Zurückziehen bedeutet im Grunde die Verdammung. Aber der Hebräerbriefverfasser sagt: „Wir aber sind nicht von denen, die da weichen und verdammt werden, sondern von denen, die glauben und die Seele retten!“

„Die Seele retten“ bedeutet: das Leben gewinnen. Gott will, daß wir leben, sogar noch über dieses irdische Leben hinaus. Wer durch Christus die Offenheit für Gott hat und die Unbefangenheit vor Gott, für den ist ja die Entscheidung schon gefallen. Gott freut sich, wenn Menschen ihm gern vertrauen!

 

 

Hebr 11, 8 - 10 (Reminiszere):

Wir möchten in unserem Leben gern „auf Nummer sicher“ gehen. Beim Hausbau wird die Tragfähigkeit der Decken berechnet. In den Firmen sind dauernd Arbeitsschutzbelehrungen. Die Autos werden immer mehr auf Sicherheit gebaut. Manchmal stöhnen wir über die kleinlichen Vorschriften, aber sie haben sicher ihren Sinn und sind aus bösen Erfahrungen erwachsen.

Und was dann noch als Risiko bleibt, das versuchen wir durch Versicherungen abzudecken: wir versichern Wertstücke und Autos, wir sind in Kranken- und Rentenversicherung, wir haben eine Feuer- und Wasserversicherung und sogar eine sogenannte „Lebensversicherung“. Wir schaffen uns ein Dach über dem Kopf, wir legen uns einen Vorrat an, wir suchen uns einen sicheren Beruf und bemühen uns um Freunde und Ansehen. Niemand gibt Sicherheiten gern auf.

Gerade das aber mußte Abraham tun. Er ließ alles stehen und liegen, was ihm Sicherheit geben konnte: Haus und Hof, Heimat und Freunde, Pläne und Erträge. Und das in einem Alter, wo man sich normalerweise zur Ruhe setzt und das genießt, was man sich erarbeitet hat. Die Nachbarn werden sich an den Kopf gefaßt haben und gesagt haben: „Wie kann der nur!“ Zudem war der Gott, der ihn aus allem herausrief, ihm ja zunächst völlig fremd. Er soll in ein Land aufbrechen, das er nicht kennt. Aber auch wenn er dort ist, wird er nur Gast bleiben, nur eine Grabstelle kann er dort erwerben.

Und dennoch handelt Abraham nicht aus Übermut und Abenteurerlust. Vor sich hat er ja Gott, der ihm einen Auftrag gibt. Dafür riskierte er viel, ja er riskierte alles. Er hatte das feste Vertrauen: Gott ist glaubwürdig, es lohnt sich, gegen allen Augenschein seinem Wort zu gehorchen! So wurde Abraham zum Urbild des Glaubenden. Beim Glauben gibt es eben keine Sicherheiten. Beweise, Kontrollen und Berechnungen sind nicht möglich. Es wäre ganz unsachgemäß, dem Glauben so etwas zuzumuten. Er ist wie eine schwimmende Bohrinsel im Meer. Es gibt ja solche Inseln, die in Ufernähe noch auf dem Meeresboden verankert sind. Aber weiter draußen sind die Stützen nicht mehr möglich, da schwimmt alles wie ein großes Schiff.

So muß auch der Glaube die helfenden Stützen aufgeben und sich ins freie Meer hinauswagen. Er weiß sich dann nur von Gott getragen, der allein Gewißheit und Zuversicht geben kann. Er wirft alle irdisch-menschlichen Sicherheiten weg und läßt sich allein Gott in die Arme fallen.

Wir suchen immer wieder einmal nach Hilfen und Beweisen für den Glauben. Es gibt ein dickes Buch mit dem Titel: „Und die Bibel hat doch recht“. Da soll mit großem wissenschaftlichem Fleiß nachgewiesen werden, daß jede Aussage der Bibel eine natürliche Erklärung finden kann, also auch tatsächlich stattgefunden haben soll. Aber das ist ein Versuch der Vernunft, mit der Bibel fertig zu werden.

Der Glaube braucht solche Beweise nicht. Oft sind sie sogar hinderlich zum rechten Glauben, weil sie das eigentliche Anliegen der Bibel verstellen. Glaube ist nicht die Kenntnisnahme irgendwelcher unsichtbarer oder gehoffter Tatbestände. So hört sich der erste Vers dieses Kapitels an: „Der Glaube ist eine gewisse Zuversicht auf das, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, das man nicht sieht!“ Aber solche Glaubenssätze „über“ Gott sind Niederschlag einer persönlichen Gottesbegegnung.

Der Glaube Abrahams ist nicht eine ruhende Glaubensmeinung, sondern er wurde zum wagenden Gehorsam herausgefordert. Ein Entschluß, ein Aufbruch, ein Start nach vorn ist immer nötig. Ein Stein liegt, wo er liegt, er kann sich nicht entscheiden. So ist es auch mit Pflanze und Tier. Der Mensch aber reagiert nicht nur auf einen Schub, sondern auch auf Zug, er muß sich immer wieder entscheiden.

Glaube ist nicht bloß die Überzeugung, daß es einen Gott gibt, sondern das Vertrauen zu Gott und das Wagnis des Lebens auf diesen Gott hin. Das Wort „Vertrauen“ bringt am besten zum Ausdruck, daß es hier um etwas Persönliches geht. Wenn ein Kind seine Eltern lieb hat, dann doch nicht nur, weil sie ihm Nahrung und Kleidung geben, denn das könnte notfalls auch jemand anders geben. Die Liebe des Kindes zu den Eltern hängt nicht an solchen Äußerlichkeiten.

Wer seiner Frau Vertrauen schenkt, sichert sich nicht außerdem noch, indem er sie von einem Detektiv beschatten läßt. Das wäre der Bankrott des Vertrauens und der Liebe. Vertrauen gibt es nur ohne Sicherung und Beweise. Man verbündet sich auf Gedeih und Verderb mit dem anderen, obwohl man weiß, daß er sich auch anders entscheiden könnte.

Das Glück der Gemeinschaft liegt gerade in der Freiheit: Du müßtest nicht zu mir halten, aber du tust es trotzdem und wirst es auch in Zukunft tun. So verdient auch Gott unser Vertrauen. Der Glaube wagt es mit ihm und geht mit ihm durch dick und dünn. Und wenn er sagt: „Dir sind deine Sünden vergeben“ dann sind sie es, auch wenn ich noch so viele Gedanken und Taten, Worte und Versäumnisse weiß, deren ich mich jetzt schäme.

Das ist etwas ganz anderes als das naturwissenschaftliche Denken, das den Kindern in der Schule beigebracht werden soll. Dort muß man natürlich nach der Vernunft gehen, das ist die Aufgabe der Schule. Falsch wäre nur, diese Einstellung auch auf die religiöse Überzeugung übertragen zu wollen.

Manche Weltanschauungen geben sich ja sehr wissenschaftlich. Nehmen wir einmal den Marxismus. Das ist auch nur ein Glaube. Er beruht auf Voraussetzungen, die man auch erst einmal glauben muß. Da gibt es doch auch Glaubenssätze wie: „Am Anfang war die Materie! Es gibt keinen Gott! Alles Geschehen beruht auf einem materiellen Unterbau! Alle Geschichte ist eine Geschichte von Klassenkämpfen! Dem Sozialismus gehört die Zukunft!“ Das sind doch alles Glaubenssätze, die schwerer zu glauben sind als die der Kirche. Gerade die Aussagen über die Zukunft sind reiner Glaube, nämlich der Glaube an eine bessere Welt im Diesseits. Trotz aller Bemühungen um eine wissenschaftliche Grundlegung bleibt der Marxismus eine Weltanschauung, die vom Glauben ihrer Anhänger abhängt.

Umgedreht ist der Glaube nicht einfach eine Fahrt ins Blaue. Viele Zusammenhänge kann man erklären und einsichtig machen. Sonst brauchte es ja gar keine Lehre in Predigt und Unterricht zu geben. Aber wenn man an den Mittelpunkt kommt, wenn man das Herz der Sache erreicht, dann ist ein Sprung erforderlich. Dann muß man alle Stützen hinter sich lassen und kann nur noch auf Gott vertrauen.

Der Glaube hat es nicht in erster Linie mit sichtbaren Dingen zu tun, sondern was Gott verspricht, ist nicht von seiner Person ablösbar. Vertrauen haben kann man nicht zu den Dingen, sondern zu Gott, der sie uns geben will. Glaube entsteht ja auch meist durch die Begegnung mit einem Menschen. Anstoß kann sein die Schilderung des Lebens eines Vorbilds im Glauben, etwa Abraham oder Dietrich Bonhoeffer. Meist aber ist es die persönliche Begegnung mit einem heutigen Menschen, die uns den Glauben vermittelt.

Aber dennoch springt der Glaube immer ins Dunkel: Wenn wir über eine Brücke fahren, dann denken wir nicht darüber nach, ob sie auch halten wird. Keiner kann nachprüfen, ob die Pfeiler auch wirklich tragfähig sind; aber er traut dem Baumeister zu, daß er sich nicht verrechnet hat. Insofern ist Vertrauen dann doch wieder eine persönliche Sache, denn es gilt nicht dem Material, sondern den Personen, die für alles verantwortlich sind.

Manchmal ist es natürlich schwer, das Vertrauen festzuhalten. Es ist nicht leicht, am Krankenlager oder Grab eines lieben Menschen einen getrosten Glauben zu bewahren. Wir bleiben Außenseiter, wenn wir nicht sagen: „Da kann man nichts machen“, sondern auf mögliche Veränderungen drängen. Wir bleiben Fremdlinge, wenn wir uns Menschen zuwenden, die von anderen links liegengelassen werden.

Aber auch wenn es ein Wagnis ist, das andere belächeln: Es ist ein gutes Wagnis, wenn es aus dem Glauben kommt. Es wird begleitet von Gottes Verheißungen und wird deshalb nicht ohne gute Wirkungen bleiben. Auch Abraham mußte noch in Zelten wohnen. Das eigentliche Ziel war noch nicht erreicht, der Weg war noch nicht zu Ende. Aber Abraham lebte aus der Gewißheit: Gott wird eine feste Stadt bauen, in der ich endgültig zu Hause bin. Da wird sich erweisen, daß mein Weg der richtige war. Als Einzelner mußte er gehen, aber er wurde zum großen Volk.

Seit Jesus wissen wir, daß diese Welt zu klein ist, um alle Hoffnungen zu erfüllen. Die neue Welt Gottes werden wir nicht schaffen können, sondern sie wird uns von Gott geschenkt werden. Aber das Ziel ist durch Jesus schon sichtbar geworden. Nach Passionszeit und Karfreitag kommt Ostern. Darum können wir ausharren und werden nicht müde, unseren Glauben in dieser Welt zu leben.

Der Glaube ist auch ein Schritt ins Helle. Der Glaube ist nicht ein verzweifelter Mut, in dem der Mensch sich selbst aufs Spiel setzt oder gar aufgibt. Er ist das kindliche Vertrauen zu dem, bei dem alles am besten aufgehoben ist. Wir glauben und hoffen nicht ins Nichts hinein, sondern halten uns an den zuverlässigen Gott.

Wir haben als wanderndes Gottesvolk die Heimat noch vor uns - aber wir werden auch wirklich in die Heimat kommen, in die Stadt, die einen festen Grund hat und deren Baumeister Gott ist. Christlicher Glaube ist nicht ein Glücksspiel, sondern das zuversichtliche und dankbare Ergreifen der Hand Gottes. Zwar steht alles auf dem Vertrauen. Aber das Vertrauen steht auf Gottes Zusage.       

 

 

Hebräer 12, 1 – 3 (Palmarum):

Wenn olympische Spiele bevorstanden, dann wurde im heiligen Hain von Olympia in Griechenland das olympische Feuer entzündet. Von dort tragen es Stafettenläufer bis zum Ort der Spiele. Man muß sehr darauf achten, daß das Feuer nicht unterwegs ausfällt. Am Ende soll ja

der letzte Läufer mit dem Feuer ins Stadion laufen und dort das große Feuer entzünden.

Als Christen sind wir genauso in einen Staffellauf hineingestellt.

Wir haben den Glauben nicht erfunden. Angezündet hat Gott selber das Feuer. Seitdem wurde es durch die Jahrhunderte getragen. Es liegt nicht in unserem Ermessen, ob wir die Flamme weitertragen oder verlöschen lassen. Wir sind mit verantwortlich, daß es an sein Ziel gelangt. Es handelt sich dabei um einen Mannschaftswettbewerb: Hat der letzte Läufer den Lauf gewonnen, so haben alle gewonnen. Versagt aber ein Einzelner, dann gefährdet er den Sieg der Mannschaft.

Für einen Christen geht es auch um einen Wettkampf. Andere wollen uns gern in ihrer Mannschaft haben, stellen uns ein lohnendes Ziel vor Augen und wollen uns einen Sinn fürs Leben geben. Sie versprechen Pokale und Medaillen, während uns „nur“ das Leben in der Gemeinschaft mit Gott verheißen wird. Doch das können wir - jedenfalls im Augenblick - nicht vor Augen sehen.

Aber die Welt wurde schon immer durch diejenigen in Bewegung gehalten, die von der Zukunft her denken. Dazu könnten und sollten auch die Christen gehören. Unser Lebensinhalt und Ideal kann nicht sein, daß alles beim Alten bleibt, so wie in der „guten alten Zeit“. Gott eröffnet uns seine Zukunft. Aber das ist nicht jedem gleich einsichtig.

Die handfesten Tatsachen scheinen gegen Gott recht zu behalten. Doch da gilt es, sich nicht irre machen zu lassen. Wie beim Sport kommt es beim Kampf des Christen auch auf den ganzen Menschen an: Entschlossenheit und Willenskraft, Zielstrebigkeit und Ausdauer, Wachheit und Einsatz aller Kräfte sind gefordert. Aber unser alter Adam ist eben ein Spießbürger: Er ist bequem und leidensscheu, sucht Ruhe und Sicherheit, verlangt sich nicht viel ab. Er meidet den Kampf gegen die Sünde oder führt ihn so gemäßigt, daß er unter Garantie schmerzlos verläuft. Diesen Lebensstil des alten Adam haben wir noch lange nicht hinter uns gelassen. Er verlangt immer wieder sein vermeintliches Recht, anstatt dem Recht Gottes den Vorrang einzuräumen.

Was kann uns helfen, unseren Lebenslauf im Sinne Gottes zu führen? Im Hebräerbrief werden uns gleich zwei Hinweise gegeben. Der Brief richtet sich ja an Christen, die in ihrem Glauben matt zu werden drohen. Sie stehen in der Gefahr, das Staffelholz einfach wegzuwerfen und den Kampf aufzugeben.

Sie leiden nicht nur unter dem üblichen Schicksal der Menschen, unter Krankheit und Tod. Vor allem geht es um Anfechtungen, die sich aus der Christusnachfolge ergeben. Sie ließen sich ja ganz einfach beheben, indem man nur einen kleinen Schritt von Jesus weg tat. Dann wird man schnell kann man alle Belästigungen wegen des Glaubens los. Aber man wird dann auch „Gott-los“ und verspielt das Herrliche, das Gott den Seinen zugedacht hat.

Damit das nicht geschieht, gibt uns der Hebräerbrief einen ersten Hinweis. Er sagt: „Wir haben eine Wolke von Zeugen um uns!“ Machen wir uns dieses Bild einmal klar: Während wir uns auf der Laufbahn des Stadions anstrengen, schauen die Zuschauer von den Tribünen auf uns herab. Sie feuern uns an und möchten, daß wir gewinnen und Ehre einlegen.

Das ist wie wenn die ehemaligen Fußballer den heutigen Aktiven zuschauen. Sie rufen Ratschläge aufs Spielfeld, feuern an, haben Lärminstrumente dabei. Die erste Mannschaft ist der Stolz jedes Vereins, alle anderen Abteilungen und die passiven Mitglieder blicken auf sie. Die Ratgeber sind meist selber Experten, gehören nicht zu denen, die sich selber schonen und nur anderen Beine machen wollen. Sie rufen: Wir haben es geschafft, da werdet ihr es auch können!

Im Hebräerbrief sind mit den Zuschauern die Christen früherer Zeiten gemeint, die vor uns geglaubt haben. Sie sind meist unter viel ungünstigeren Bedingungen gelaufen. Sie wissen, was es heißt, zum Wettkampf anzutreten und ihn durchzustehen. Sie sind an unsrer Leistung interessiert. Sie wollen, daß auch wir gewinnen. Vielleicht sind uns die beobachtenden Blicke auch lästig. Sie können uns unter einen peinlichen Erfolgszwang setzen und dadurch zu Verkrampfung führen. Doch sie werden wahrscheinlich barmherziger und mit freundlichem Humor zusehen als es viele irdische Augenzeugen mit versteckter Kamera tun würden. Es wäre aber beim Laufen auch gar nicht gut, immerzu nach den Tribünen zu blicken. Das verlangsamt nur das Tempo und bringt den Läufer vielleicht zu Fall.

Aber der Hebräerbrief will uns zu Recht auch ein wenig an der Ehre packen: Unsere Vorfahren haben durchgehalten; es wäre blamabel, wenn wir schlappmachten. Deshalb wird an unsre Geduld appelliert, an das Dranbleiben, an unsere Lernbereitschaft. Aber wir müssen nicht immer wieder beim Nullpunkt beginnen, sondern wir haben Vorbilder, von denen wir lernen können, was Glaube ist. Sie zeigen uns: Es geht doch! Sie sind trotz aller Anfechtungen doch ihrer Entscheidungen und ihres Weges gewiß geworden.

Noch ein guter Rat wird gegeben: Weg mit allem Ballast! Weg mit der Sünde, mit allen Gedanken an Aufgeben und Sich-davon-machen. Alles, was uns beim Laufen behindert, muß weg, weil es die Höchstleistung verhindert. Wir machen uns das Bleiben bei Christus und das Mitgehen mit ihm nur unnötig schwer, wenn wir eine Menge unnötiger Dinge für unentbehrlich halten. Wer nichts zu verlieren hat, ist der freieste Mensch. Man kann eben einen Langstreckenlauf nicht mit Hut und Mantel und einem Koffer in der Hand gewinnen.

Wir werden im Kampf des Glaubens viel freier und beweglicher, mutiger und fröhlicher sein, wenn wir mit dieser oder jener Verkehrtheit in unserem Leben entschlossen Schluß machen. Dazu gehören falsche Hoffnungen und eingebildete Ziele, aber auch lähmende Gewohnheiten. Dazu gehören einmal die Dinge, die ablenken und zerstreuen, faul machen und die Sicht vernebeln.

Aber wir denken auch an unverschuldetes Leid wie Krankheit, Enttäuschung, Einsamkeit und Sorgen, aber ebenso auch an selbstverschuldete Last, die in der Bibel „Sünde“ genannt wird.

Unnötiger Ballast kann aber auch der Lebensstandard sein oder die Bindung an die Meinung der Mitmenschen. Auch die Angst vor dem Wagnis kann eine Rolle spielen, oder die Sorge, als praktizierender Christ im Leben zu kurz zu kommen oder hintenan zu stehen. Es gibt eben so vieles, woran wir unser Herz hängen und was uns veranlaßt, den Kampf des Glaubens aufzugeben oder ihn gar nicht erst anzufangen. Wir haben uns den Kampf ja auch nicht selber gewählt, so wie man sich einer bestimmten Sportart verschreibt, das Laufenmüssen ist uns ja verordnet.

Unsere größte Not ist wohl die Mutlosigkeit, die sich doch bei vielen Christen einfindet. Was hilft denn alles Zureden und Anfeuern, wenn einer müde ist und wirklich nicht mehr kann? Da hilft kein Blick zu den Tribünen, auf die Zuschauer. Deshalb gibt der Hebräerbrief noch einen zweiten Rat, wie wir unsre Mutlosigkeit überwinden können. Er sagt: „Laßt uns aufsehen auf Jesus, den Anfänger und Vollender des Glaubens!“

Unsere Vorfahren waren keine Heiligen, trotz aller Vorbildwirkung, die sie auf uns habenkönnen. Leider gibt es Anlaß, sich an diesem oder jenem Christen zustoßen. Die Leute sagen dann: „Wenn der in die Kirche geht, dann will ich nicht dazugehören!“ Besonders gut macht es sich auch, wenn ein Pfarrer daran schuld sein soll, wenn man nicht mehr zur Kirche gehört.

Doch diese Menschen haben es versäumt, auf Christus zu sehen. Sie sind wie Kraftfahrer, die in der Gegend herumschauen anstatt auf die Fahrbahn, und die sich dann wundern, wenn es kracht .Wenn man sich schon auf den Glauben einläßt, dann darf man nicht auf Menschen sehen, sondern nur auf Jesus.

Dieser ist so etwas wie ein Trainer, ein bewährter Sportsmann, der nun andere ausbildet. Er gibt Erfahrungen weiter, bereitet auf die Wettkämpfe vor und betreut die Wettkämpfer. Doch Jesus gibt nicht nur Ratschläge. Er ist nicht nur damals Mensch geworden und hat alle Leiden der Menschen mit gelitten, sondern er ist auch heute beim Kampf unseres Lebens mit dabei. Insofern ist er mehr als ein Vorbild, denn er hat nicht nur den Weg gebahnt, sondern er ist auch selbst der Weg.

Deshalb brauchen wir ihm nur zu folgen, dann werden wir auch ans richtige Ziel kommen. Laufen wir da, wo er läuft, dann laufen wir richtig und gefahrlos. Er bestimmt die Richtung und das Tempo. Allerdings hat er selber auch Gehorsam lernen müssen. So einfach war es sicher nicht, sich verhöhnen zu lassen und ans Kreuz zu gehen. Zu Beginn der Karwoche sollten wir schon diesen Leidensweg Jesu betrachtend verfolgen.

An Jesus kann man erkennen, was Glaube ist. Andererseits ist er es aber auch, der allein glauben zu wirken vermag: Er ist „Anfänger und Vollender des Glaubens“. Glaube ist dabei die Treue, die man Gott und seiner Verheißung erweist. Dabei läßt man sich geduldig durch das gegenwärtige Leiden in die himmlische Zukunft führen. Man bleibt dabei in der Gruppe des wandernden Gottesvolkes und Zurückbleiben wäre Sünde.

Es gibt aber keine Situation, in der Jesus nicht mit dabei wäre. Er läßt uns nicht auf halbem Weg allein. Er weiß immer noch einen Weg, wo wir keinen sehen. Er ebnet uns auch den Weg, gerade weil er unsere Not kennt. Hier wird nicht angeklagt, sondern Mut gemacht. Wir brauchen nur nach vorn zu sehen, wo Jesus ist. Wenn einer am Ziel ist, dann können auch die anderen leicht nachkommen. Wenn wir den Anfänger und Vollender des Glaubens nicht aus dem Blick verlieren, dann werden wir unser Ziel erreichen.

 

 

Hebr 12, 18 - 25 (2. Sonntag nach Epiphanias):

Sehnen wir uns nicht alle nach den Zuständen der guten alten Zeit zurück? Es gibt ja Menschen unter uns, vor allem ältere Menschen, bei denen fängt jeder zweite Satz an: „Die Alten haben das noch so gemacht!“ Bei den Alten war alles noch richtig, aber unsere heutige Zeit ist in jeder Hinsicht verrückt. Früher gab es noch keine Autos, das Geld war mehr wert, man hatte mehr Ruhe, die Politik war uninteressant. Man kann sogar hören: „Früher wurden die Leute älter, weil noch nicht so viel Kunstdünger in den Lebensmitteln steckte!“

Es war halt alles besser nach Ansicht dieser Leute. Daß es damals aber noch keine Waschmaschine und keinen Kühlschrank gab, daß man in die Kreisstadt zu Fuß gehen mußte und keine Zerstreuung durch den Fernseher hatte - das wollen diese Leute nicht wahrhaben, obwohl sie andererseits ganz selbstverständlich die Annehmlichkeiten unserer Zivilisation in Anspruch nehmen.

Mit der Rückschau auf das persönliche Leben geht es vielen von uns genauso: Die sonnige Kindheit ohne Sorgen und Probleme erscheint auf einmal als die schönste Zeit des Lebens. Man brauchte sich nicht um Essen und Trinken, Kleidung und Ausbildung zu kümmern.

Man durfte immer spielen und wurde von allen in Schutz genommen und geschont. So hat man es in Erinnerung.

Aber stimmt denn das Letzte eigentlich? Wir vergessen viel zu oft, daß Kinder oft schlimmer leiden als Erwachsene, gerade weil sie so zart und benachteiligt sind und sich gegen die Erwachsenen und ältere Spielkameraden nicht durchsetzen können. Und ein Leid, das ihnen zugefügt wurde, nimmt sie viel schwerer mit, weil sie so etwas eben noch nie erfahren haben. Die Kindheit kann also nicht das eigentliche Ideal unseres Lebens sein, wir können uns nicht in sie zurückflüchten, wenn wir vielleicht den Problemen unseres jetzigen Lebens ausweichen wollen.

Manche trauern auch den alten Zuständen in der Kirche nach: Früher ging aus jeder Familie einer zum Gottesdienst, da machten auch die Lehrer mit, keiner arbeitete sonntags auf dem Feld, die Kinder wuchsen ganz selbstverständlich in die Gemeinde hinein, es war alles viel einfacher. Daß vieles aber auch nur Gewohnheit war, ohne da man sich viel Gedanken darum machte, daß vieles nur so seinen üblichen Gang ging, ohne daß einer ganz mit dem Herzen dabei wer, das wollen viele heute nicht sehen.

Von der sogenannten „guten alten Zeit“ behält man ja immer nur die guten Seiten, die schlechten verblassen ja immer mehr. Und auf einmal erscheint alles in verklärter Gestalt, als paradiesisches Ideal, das uns verlorengegangen ist. Und wir verlieren beim Gedanken an dieses Ideal den Mut, die Aufgaben in der Gemeinde unserer Zeit anzupacken, weil wir denken, wir würden es doch nicht so schaffen wie früher.

Natürlich ist heute manches anders, natürlich müssen wir andere Wege gehen. Aber wir haben heute nicht nur einen modernen Fernseher, sondern auch eine moderne Kirche, die die Probleme unserer Zeit von dem alten Evangelium her neu beleuchtet.

Die Gemeinde, an die der Hebräerbrief gerichtet ist, stand in einer ähnlichen Gefahr: Einige waren unsicher geworden, ob sich der neue Weg durchsetzen würde. Sie wollten lieber wieder zurückkehren zu einer Art jüdischem Glauben, wenn sie auch an Jesus festhalten wollten. Aber als eine jüdische Gruppe hätten sie gewisse Vorteile gehabt: dort gab es festumrissene Anweisungen fürs Leben und vor allem hätten sie als staatlich erlaubte Religion mehr Sicherheit gehabt. Wir dürfen ja nicht vergessen, daß diese Gemeinde hart verfolgt wurde, ihre Glieder wurden in die Zirkusarena gezerrt und mußten dort gegen wilde Tiere kämpfen. Erst war die irdische Erscheinung Jesu so unbedeutend gewesen, nun blieb auch noch das Gericht Gottes über die bösen Menschen aus. Kann man da nicht mutlos werden und sich nach den alten Zuständen in Ruhe und Frieden zurücksehnen?

Aber wenn die alte Ordnung erst einmal zerstört ist, kann man das Rad der Geschichte nicht mehr zurückdrehen. Zum Beispiel können wir als Kirche nie wieder zu den Zeiten des Staats­kirchentums zurückkehren, in der der Landesfürst zugleich der Bischof war. Zumindest käme etwas ganz anderes dabei heraus. Vielleicht war es damals für die Kirche bequemer, aber andererseits stand sie auch in großer innerer Gefahr. Wenn man schon zurückschaut, darf man nicht nur die Vorteile, sondern muß auch die Nachteile sehen.

Das muß sich die Gemeinde des Hebräerbriefes auch sagen lassen: An eurem ehemaligen Judentum mag manches Gute gewesen sein. Aber vergeßt nicht, welche Angst ihr damals vor Gott hattet: Mit Feuer und Finsternis, mit Sturm und Posaunenschall und mit furchtbaren Worten hat Gott zu euch gesprochen. Damals am Sinai hat er euch das Gesetz gegeben, nach dem ihr euch jetzt vielleicht sehnt. Aber dieses Gesetz hat euch doch nur von Gott getrennt, Gottes Heiligkeit bestärkt und euren Abstand von Gott gesichert.

Eigentlich hat dieses Gesetz euch zu Gott führen sollen. Aber ihr habt es nicht gehalten und deshalb hat es euch von Gott getrennt und er mußte, um seine Heiligkeit zu wahren, Abstand von euch halten. Doch diese Sehnsucht nach dem Gesetz steckt bis heute in uns allen, gerade wenn wir es schwer haben. Wenn alles zu schwimmen beginnt, suchen wir nach einem festen Halt, etwas, das uns eine Richtung gibt.

Für uns gibt es da jedoch nur e i n e Blickrichtung: Wegwenden lassen von dem, was früher war, hin zu dem, was Gott uns heute angeboten hat: „Für euch ist schon eine Gottesstadt erbaut“, sagt unser Text. „Ihr seid schon in das Einwohnerbuch dieser Stadt eingetragen, wenn ihr auch noch nicht habt einziehen können!“

Gott erscheint uns heute erträglicher als den Israeliten damals, denn wir kennen nicht nur den drohenden Gott vom Sinai, sondern Jesus Christus, der uns schuldige Menschen versteht und uns Gott als den Vater verkündigt hat.

Deshalb dürfen wir aber nun nicht überlegen auf die Juden herabsehen. Genauso wie die heutige Zivilisation Gefahren hat, so birgt auch unser Glaube seine Gefahren in sich: Wir können hochmütig werden und uns darauf verlassen, daß Gott ja. der „liebe Gott“ ist. Vielleicht wollen wir ihn gern weit weg haben, damit er uns nichts tun kann und wir uns sicher fühlen können vor ihm. Aber dann wird es uns nicht anders ergehen als den Israeliten damals: Gott wird sich uns nicht zeigen als der Vater Jesu Christi, sondern wieder als drohender und richtender Gott. Sicher werden wir Gott noch einmal ganz anders erleben, so wie wir ihn uns nicht vorstellen können.

Zurzeit plagen uns noch Zweifel, Unsicherheit und Angst: Wird die Zukunft wirklich besser werden als die Vergangenheit? Wird Gott uns helfen, mit den veränderten Verhältnissen fertigzuwerden? Werden wir noch weiter an den Rand gedrückt werden? Können sich die verheißungsvollen Neuanfänge durchsetzen?

Wir können ruhig offen über diese Fragen sprechen und sie vor Gott im Gebet ausbreiten. Aber wir müssen dabei unsrer Sache immer so sicher sein, daß wir wissen: Gott trägt den Sieg davon. Nur die Einzelheiten, das Wie und Wo und Wann ist uns noch unklar.

Aber wir dürfen wissen, daß wir Vollmacht und Kraft haben, mit diesem Glauben in die Zukunft zu gehen. Die Flucht in die Vergangenheit kann uns dabei kaum eine Hilfe sein. Gewiß, vieles Althergebrachte ist erprobt und bewährt und paßt auch noch in unsere Zeit. Man kann nicht mit einem Mal alles über den Haufen werfen. Aber unser Blick richtet sich doch in die Zukunft hinein, dem       zu, das uns in Jesus Christus geschenkt wurde und das wir nun verwirklichen können: Unser Leben ist von der Zukunft her bestimmt. Wir können voll Zuversicht und Kraft leben, weil uns dort immer nur Jesus Christus erwartet.

 

 

Hebr 13, 8 - 9b (Altjahrsabend):

„Man sollte am Ende eines Jahres nie ein unfreundliches Gesicht machen. Entweder kann man sagen: ‚Gottlob, ich habe es genossen!‘ oder: ‚Gottlob, ich habe es überstanden!‘ Und wer beides sagen kann, hat sogar ein doppeltes 'gottlob' zu sagen!" So spricht es der Dichter

Johann Peter Hebel. Am Ende eines Jahres blicken wir zurück auf Erfreuliches.und Belastendes, auf Gelungenes und Fehlerhaftes. Und wir machen uns klar, daß das alles etwas mit Gott zu tun hat.

Wenn im Fernsehen die Uhr die letzten Sekunden des Jahres heruntertickt, dann ist das immer sehr bewegend. Der Fluß der Zeit bewegt sich unaufhaltsam davon. Es gibt kein Staubecken, in dem an die überflüssige Zeit speichern könnte, um sie für späteren Bedarf aufzuheben. An diesem Abend empfindet wohl jeder deutlicher als sonst das Mahlwerk der Ewigkeit. Mancher versucht sich über solche Gefühle hinwegzuhelfen mit mehr oder weniger Alkohol. Richtig lustig können wir oft ja nur sein mit einer gehörigen Portion St. Spiritus.

Die anderen wollen mit ihrer Feuerwerkerei etwas überspielen oder übertrumpfen und sich des Unheimlichen zu erwehren. Millionen Raketen und Knallkörper stehen dafür bei uns bereit. Man muß sich einmal klar machen, was da alles in die Luft gejagt wird. Wer ein Streichholz an die Zündschnur hält, der meldet sich damit zu Wort und macht deutlich: Ich bin noch da, ich kann noch etwas zum großen Konzert beitragen!

Man muß dabei gar nicht an den alten Aberglauben denken, daß in der Silvesternacht böse Geister herumfliegen, die man mit viel Lärm vertreiben will. Heute ist es eher die Angst vor dem unaufhaltsamen Abrollen der Zeit, das wir überspielen wollen. Was dahin ist, können wir nicht zurückholen. Und was auf uns zukommt, können wir nicht abwehren. Nur eins ist uns klar: Heute ist der erste Tag vom Rest meines Lebens. Dennoch dürfen wir gespannt sein, wohin uns die Einladung Gottes noch führt und wie uns Christus noch im Leben begegnet.

Besonders junge Menschen empfinden es so. Wer älter wird, den bedrückt das Verrinnen der Zeit. Er fragt nach dem Bleibenden im Vergehen. Das sind Wahrheiten, Erkenntnisse und Erfahrungen. Das ist aber auch Jesus Christus, der derselbe geblieben ist, gestern, heute und in Ewigkeit. Er bleibt und er gibt uns das feste Herz.

 

1. Jesus Christus ist der Bleibende:

Durch die Zeiten geht der unverwechselbare und zuverlässige Jesus Christus mit. Er ist der Christus von gestern, der als Jesus von Nazareth der mitreisende Prediger und Heiland der Sünder war. Er ist aber auch der Christus von heute, denn wir haben es nicht mit einem Vergangenen zu tun, sondern mit dem Auferstandenen. Es ist nicht so, daß er mit jedem Jahr uns ferner rückte. Nicht nur seine Sache geht weiter, sondern er ist auch selber da. Er nimmt mit seiner Gemeinde Verbindung auf durch die Predigt und durch die Sakramente. Er redet mit uns und wartet auf unsere Antwort.

Wir haben auch heute nichts anderes von ihm zu erwarten als die Menschen von einst. Noch immer ruft er Menschen in seine Nachfolge, holt er Sünder aus ihrer Verlorenheit und führt Gottentfremdete zum Vater zurück. Im Hebräerbrief wird er vornehmlich als „Hoherpriester“ bezeichnet. Er zeigt dem Vater die von den Nägelmalen stammenden Wunden. Dadurch setzt er sicher die Welt ein, die ohne ihn verloren wäre. Nicht der Riese Atlas trägt auf seinen Schultern das Weltgewölbe, sondern der Fürsprecher Jesus Christus trägt die Welt und uns alle. So wie er in seinen Erdentagen die Menschen von der Last ihrer Schuld befreite, so auch jetzt als der Erhöhte. Er regiert auch heute die Gemeinde und berät sie.

Die Gemeinden des Hebräerbriefes standen offenbar in der Gefahr, wieder Bräuche der jüdischen Religion einzuführen! Mitten in der Versammlung der Gemeinde traten Männer auf, die Heil und Seligkeit wieder von der Einhaltung bestimmter Gebote abhängig machten.

Sie wollen sich dadurch einen Namen machen, suchten Anerkennung und Ehre. So schrien die einen  „Hü“ und die anderen „Hot“. .Es drohte Grüppchenbildung und Spaltung der Gemeinde und Unglaubwürdigkeit nach innen und außen.

Demgegenüber sagt der Hebräerbrief: Nur einem Namen gebührt Ehre, Anbetung und Vertrauen. Das klingt sehr konservativ, so als sollte alles beim Alten bleiben. Es klingt sehr kleinlich und ängstlich und aus einer Verteidigungshaltung heraus gesprochen. Heute gilt es doch eher, beweglich zu sein und alles immer wieder neu zu sagen und den Forderungen der Zeit zu entsprechen, weil sich doch alles zu schnell verändert.

Demgegenüber erscheint der Ruf nach dem Beharren auf der Lehre der Gemeinde schon fast peinlich. Doch keine Angst: Gott selber ist beweglich. Er wird auch im kommenden Jahr am Werk sein und uns mit vielem überraschen. Wir können nur gespannt zuschauen und werden selber aktiv an der Erneuerung und Gestaltung der Welt mitwirken,

Aber wir brauchen auch etwas, das fest bleibt im Fluß der Zeiten und der Veränderung der Welt. Unser Gott bleibt immer derselbe, er ist der zuverlässige Herr. Man könnte an die Stelle im 2. Mosebuch denken, wo Gott seinen Namen erklärt: „Ich bin, der ich bin!“ Er ist der Gott-für-uns, der seinen davongelaufenen Geschöpfen nachgeht und sich zu ihnen bekannt und sie wieder auf den rechten Weg zurückbringen will.

Unser Gott ist nicht einmal so und einmal wieder so. Wir haben keinen wetterwendischen und wankelmütigen Herrn. Wir standen im abgelaufenen Jahr nicht unter einem blinden Schicksal, das kalt und herzlos mit uns gespielt hat. Vielmehr waren wir in Jesu Händen und dieses Jahr war ein Jahr der Gnade Gottes.

Auch in Zukunft haben wir nichts anderes zu erwarten als Jesu Eintreten für uns. Wenn auch der Lauf der Welt sich ändert, bittet doch unablässig für uns, der über allem steht und alles mit seinem Wort trägt. Dieser Beständigkeit des Herrn soll aber nun auch unsre Treue entsprechen.

 

2. Jesus Christus gibt uns das feste Herz:

Von allen Unsicherheiten ist die unsicherste das Menschenherz, also die Tiefe unseres Wesens. Sie ist uns in vielem unbekannt und unkontrollierbar und kaum zu steuern. Niemand von uns weiß, in welche Erprobungssituationen er im kommenden Jahr geraten wird, Da gibt es wechselnde Stimmungen und Launen, ein Schwanken zwischen Begeisterung und Hoffnung auf der einen Seite und Stumpfheit und Lähmung auf der anderen Seite. Oft wissen wir selbst nicht, was wir wollen.

Da brauchen wir schon ein festes Herz. Nicht ein hartes Herz, das begeistert ist von den eigenen Möglichkeiten des Menschen. Auch nicht ein schwaches Herz, das sich vereinnahmen und treiben läßt von dem, was auf den Menschen zukommt. „Fest“ ist, was gut gegründet und verwurzelt ist, bestätigt und garantiert. Ein festes Herz wird man dem wünschen, der durch fremde Lehren vom Kurs abgebracht werden soll. Auf dem Gebiet der Religion sind die Menschen da besonders anfällig, weil man da ja nichts nachprüfen kann.

Manche haben versucht, ihr Herz aus eigener Kraft fest zu machen. Zur Zeit des Hebräerbriefes wollten Einzelne die jüdischen Speisevorschriften wieder einführen und durch solche religiösen Gebote Sicherheit erlangen. Aber das geht nicht. Man kann sich zwar zu guten Werken zwingen und sich immer neue Gesetze auferlegen. Aber das alles macht das Herz nicht fest, sondern höchstens hart und kalt. Wer Beständigkeit vortäuschen oder erzwingen will, wird verkrampft und unmenschlich. Und zuletzt wird er verbittert und haßt seine Umwelt.

Gesetzlichkeit schließt uns und anderen den Himmel zu. Dann wird gesagt: „Wer ein Christ sein will, der muß so oder so sein!“ Warum muß man? Gar nichts muß man! Man wird Vieles tun, aus Liebe zum Herrn und zu den Menschen, die er liebt. Aber heilswirksam ist nicht, was der Christ tut, sondern was der Herr getan hat und noch tut. Das Herz wird nicht fest durch die Beachtung nutzloser Speisevorschriften, sondern allein durch die Gnade. Das Bleiben an der Wahrheit des Evangeliums geschieht durch Gnade. Gottes Geist will uns dabei lenken und bewahren.

Deshalb sollte unser Gebet gerade heute sein: Vergib mir die Eigenwilligkeiten und Ver­kehrt­heiten meines Herzens, seine Schläfrigkeit und Mutlosigkeit. Gib mir ein gutes und beständiges Herz, das meinem Leben wieder Ordnung und Brauchbarkeit verleiht. Das wäre dann ein „köstlich Ding“, wie es Luther so vortrefflich übersetzt hat.

Wenn Gott sich uns zuwendet und uns festhält, dann ist das das Beste, das uns widerfahren kann. Niemand sollte Angst haben, dadurch unfrei zu werden. Manche sagen: „Laßt doch jedem seinen Glauben und legt ihn nicht auf eine Linie fest!“ Sicher darf niemand mit äußerer Gewalt zu etwas gezwungen werden, wozu man die freie Zustimmung des Herzens braucht. Aber die Freiheit der Glaubensentscheidung darf nicht verwechselt werden mit einer Unentschiedenheit, die alles gelten läßt, wenn es um Gott geht.

Wir brauchen einen zuverlässigen Herrn, weil nur so unser Herz festgemacht werden kann (man beachte das Passiv! Aber wir wissen ja, wer allein es festmachen kann!). Jetzt brauchen wir nicht mehr im Wandel der Zeiten zu zittern, sondern können voller Hoffnung dem neuen Jahr entgegengehen. Dazu müssen wir allerdings Jesus ganz in das Zentrum unserer Person, in unser Herz hineinlassen, damit wir von innen heraus erneuert werden können. Er will nicht nur unsre Gefühle wecken, sondern auch unsere Gedanken beeinflussen und unseren Willen regieren.

Das Herz soll dann das Blut bis in den äußersten Winkel des Körpers pumpen. Es genügt nicht, daß wir nur ein frommes Herz haben, das für Gott schlägt und von seiner Gnade ergriffen ist. Denken und Handeln, Glaube und Leben gehören zusammen, damit wir aus der Isolierung und Selbstbespiegelung herauskommen und auf unseren Mitmenschen zugehen. Durch Gottes Gnade brauchen wir nicht mehr nervös zu sein. Gott schenkt uns die Gelassenheit, das heute Mögliche zu sehen und anzupacken. Auch das neue Jahr wird ein Jahr der Gnade sein. Gott wird schon wissen, wie er uns führt und wie er uns durchbringt.

 

 

Hebr 13, 12 - 14 (Judika):

Wenn es draußen in Strömen regnet, möchte man keinen Hund vor die Tür schicken. Drinnen aber findet man viel Geborgenheit unter dem schützenden Dach des Heimes. Wer unbedingt bei schlechtem Wetter „draußen“ sein muß, entbehrt den sicheren Schutz und wird vielleicht krank. Drinnen ist man geborgen und sicher, draußen ist man schutzlos und der Gefahr ausgesetzt.

In früheren Zeiten umgab man die Städte mit schützenden Mauern. Was innerhalb der Mauern in der geschlossenen Gemeinschaft geschah, galt als heilig und rein, hier herrschten Ordnung und Geborgenheit, es war eine „heile Welt“. Außerhalb der Mauern aber lauerten Gefahren. Wer dort lebte, gehörte zu den Unheiligen und Unreinen und wurde von der Gemeinschaft gemieden.

Auch in der Kirche kennen wir dieses Schema von draußen und drinnen. Die Gemeinde verstand sich oft nach dem Bild der Wagenburg oder sogar der Kirchenburg: In der Mitte des Dorfes war die Kirche gebaut, drumherum der Friedhof und darum dann eine Mauer mit einem Torturm. So hatte man einen Zufluchtsort, wenn Feinde herannahten, die Kirche gab einem äußeren und inneren Schutz.

Dieses äußere Bild wirkte sich auch auf die innere Haltung aus: Die Christen schlugen gern ihr Lager hinter den Kirchenmauern auf. Dort war das Leben sicherer als in den Gefahren auf dem freien Feld. Draußen sind die Außenseiter, die sich nicht in das große Ganze einfügen wollen.

Dazu gehört das Kind, das immer wieder zu hören kriegt: „Deine Geschwister waren da aber anders!" Dazu gehört das Familienmitglied, das darunter leidet, daß die Familie sich nichts zu sagen hat, obwohl es an verschiedenen Stellen brennt. Außenseiter ist auch der Mensch, der fragt und eigene Ideen hat. Draußen ist der, der unter der geforderten Leistung bleibt, der kriminell gefährdet ist, bei der Arbeit bummelt und vielleicht auch Alkoholiker ist. Dazu gehören auch die Kranken und Sterbenden, die ins Krankenhaus kommen und zwischen Apparaturen und in steriler Umgebung liegen bleiben.

Wir sprechen auch vom „Kern“ der Gemeinde und den „Randsiedlern“. Diese gehören nicht so richtig dazu, mit ihnen kann man nicht reden, sie sind sogar so etwas wie Gottlose. Wir ziehen uns lieber auf den kirchlichen Raum zurück, auf die Freizeit und religiöse Themen; doch die Probleme der Welt sollen draußen bleiben.

Doch der Hebräerbrief scheucht uns da auf. Er richtet sich an eine Gemeinde, die in der Versuchung stand, wieder in die alttestamentliche Religion zurückzufallen. Man war Christus müde und das Hoffen auf die Zukunft. Man erwartete die Verwirklichung des Erhofften in dieser Welt. Man wollte nicht glauben, sondern schauen, man drängte auf Verwirklichung.

Aber man merkte gar nicht, wie sehr man den eigentlichen Auftrag dabei verfehlte. Das Zurückziehen hinter die Kirchenmauern muß ja nicht nur bedeuten, daß man sich aus der Welt ausgrenzt und auf einer Insel der Seligen leben will. Es kann auch sein, daß man innerhalb der Mauern doch weltförmig wird, sich den allgemeinen Wertvorstellungen anpaßt und auch an der Verwahrlosung der satten Welt teilhat.

Deshalb gilt es, immer wieder hinauszugehen aus dem Lager. Eine feste Burg sind eben nicht die Mauern, sondern wo Gott ist, sind wir sicher; und Gott ist vielleicht eher draußen vor dem Tor. Es gibt ja auch heute keinen sturmfreien Raum mehr. Das Leiden macht nicht halt an der Tür der Gemeinde. Manchmal kann man den Eindruck haben, es verdichte sich geradezu in der Gemeinde. Hier finden sich gerade alte Leute und Kinder. Das sind auch solche, die das Leben nicht „packen“, die es mehr erleiden. Leiden gibt es draußen und drinnen.

In der kirchlichen Jugendarbeit in den Großstädten hat sich etwas herausgebildet, was „offene Arbeit“ genannt wird. Da kümmern sich Jugenddiakone um die langhaarigen Asozialen, stellen Räume für das Gespräch zur Verfügung, versuchen zu helfen bei Ämtern und Nachbarn. Die Arbeit wird mißtrauisch betrachtet, auch von den üblichen Gemeindegliedern. Diese wollen anerkannt und vielleicht auch als Amtsträger angeredet werden, aber sie wollen nicht mit  die Schmach tragen.

Aber wenn wir zu Jesus gehören wollen, dann werden wir mit ihm hinausgehen müssen. Wenn er draußen vor dem Tor ist, dann wird man auch uns dort finden müssen. Dieser Christus ist zwar in den Augen der Welt eine tragische Figur, einer, den man nur verachten und ablehnen kann. Aber er hat doch das Zerwürfnis zwischen Gott und uns beseitigt. Er hat sich für uns „geheiligt“, das heißt: zum Opfer gemacht. Dadurch sind auch wir geheiligt und der Konflikt ist bereinigt. Doch das bringt die Verpflichtung mit sich, in der Nachfolge des Herrn notfalls auch die eigene Haut zu Markte zu tragen.

Natürlich ist das nicht immer leicht. Jesus ruft uns zu denen, die gemieden und abgestempelt werden. Er führt uns zu denen, die hartherzig geworden sind und sich gegen ihre Umwelt verschließen. Wir werden zu denen gerufen, die das materielle Wohlergehen als ihr Heil ansehen. Wir sind Jesus nahe, wenn wir versuchen, gerade dem Schwächeren beizustehen, gleichgültig ob Freund oder Feind. Wir werden uns für den Frieden in den Häusern und Dörfern und damit auch für den Frieden in der Welt einsetzen.

Wir werden auch nicht mehr länger meinen, uns seien doch die Hände gebunden und wir könnten nichts machen. Wir werden nicht mehr länger nur fordern und kritisieren, sondern um der Liebe und des Friedens willen leiden und Opfer bringen. Christsein ist nicht nur Privatsache und Gott ist nicht nur für die Seele zuständig.

Sicherlich besteht auch die Gefahr, daß man sich an die Welt verliert. Die Kirche hat auch Grenzen. Und es ist durchaus nicht gleichgültig, ob jemand zu Christus gehört oder nicht. Aber nur Gott weiß, wer wirklich dazugehört oder nicht. Es ist immer bedenklich, wenn sogenannte „Bekehrte“ die Menschen eingeteilt haben in solche, die dazugehören, und solche, die verloren gehen. Für Jesus aber waren alle Menschen mögliche Christen, er wollte allen gehören.

Wir haben halt so unsre eigener Vorstellungen von Gott: Er soll die Ordnung der Welt garantieren oder mit kräftiger Hand wiederherstellen; er soll Glück spenden und die Menschen satt machen, Gerechtigkeit durchsetzen und für Menschlichkeit sorgen. Aber stattdessen läßt er genau das Gegenteil geschehen, nämlich den Karfreitag. Wer am Kreuz Jesu Anstoß nimmt, der wird sagen: Gerade das hätte Gott verhindern müssen.

Aber die Herrschaft Gottes in der Welt ist keine Machtfrage. Vielmehr bedarf es einer inneren Befreiung, die es den abtrünnigen Menschen erlaubt, unbefangen zu ihrem Gott zurückzukehren. Das schließt dann ein, daß man die weltlichen Sicherungen verläßt, auch die religiösen Sicherungen.

Im Tempel von Jerusalem ging alles seinen geordneten Gang, der Betrieb funktionierte: Jedes Jahr beging man das große Versöhnungsfest, dann hatte man erst wieder einmal eine Zeit Ruhe. Man fühlte sich wohl in dieser bergenden Welt der Religion. Und nun sollte man das alles verlassen und nach „draußen“ gehen? Der Spießbürger, der in uns steckt, geht lieber in Deckung und will seine Ruhe haben. Nicht aufzufallen ist nach den Spielregeln der Welt am gefahrlosesten und bequemsten.

Doch draußen vor dem Tor ist das wahre Opfer für alle Menschen geschehen. Golgatha ist der Altar, auf dem Jesus mit seinem eigenen Blut das Sühnopfer gebracht hat. Draußen vor dem Tor starben die Verbrecher, die es nicht mehr wert waren zu leben. Wie kann einer der „Sohn“ sein, der als Verbrecher hingerichtet wurde? An so einen glaubt man doch nicht!

Dennoch ist dieses das bessere Opfer. Es kommt uns zugute, wenn wir uns um unseren Altar versammeln und Brot und Wein im Abendmahl empfangen. Da dient uns der Hohepriester, der sich unablässig bei seinem Vater für uns einsetzt. Wenn er in seinem Sakrament uns nahe ist, dann ist auch das himmlische Heiligtum nicht weit. Dann werden wir mit der Hoffnung verbunden, die wir als Christen haben dürfen.

„Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir!“ sagt der Hebräerbrief. Manchmal haben wir ein Mißtrauen gegen Menschen, die keine bleibende Stadt haben: wenn ein Pfarrer es nicht lange aushält an einem Ort, wenn Menschen oft umziehen oder die Arbeitsstelle wechseln, dann sind sie uns verdächtig. Der Seßhafte, der ein Haus gebaut hat, der gilt als zuverlässig. Als Christen aber sollen wir versuchen, die Zukunft zu gewinnen. Das Leben ist v o r der Tür. Die Zukunft liegt außerhalb unserer Sicherungen, aber dort, wo der lebendige Gott ist, der aber gleichzeitig auch der leidende ist.

Wer aber hinausgeht, dorthin, wo Jesus am Kreuz hängt, der wird nicht wurzellos, sondern gewinnt seinen festen Standort in Gottes zukünftiger Welt. Was jetzt schon Wirklichkeit ist im Himmel, wird uns so zugänglich. Weil die himmlische und die irdische Gemeinde eins sind, haben wir schon Anteil am himmlischen Jerusalem. Aber wir sind auch noch unterwegs, sind noch das wandernde Gottesvolk. Im Lied heißt es: „O Ewigkeit, du schöne, mein Herz an dich gewöhne, mein Heim ist nicht in dieser Zeit!“ Die Betrachtung des Leidens Jesu kann uns helfen, daß wir uns wieder einmal etwas mehr ausstrecken nach der kommenden Stadt.

 

 

Hebr 13, 15 - 16 (Erntedankfest, Variante 1):

Irgendwie ist es doch unnormal bis abartig, daß der größte Teil der bei uns gewachsenen Lebensmittel vernichtet wird. Das fängt schon auf dem Acker an, wenn die Traktoren durch die aufwachsende Saat fahren, um Pflanzenschutzmittel aufzubringen. Natürlich geht es heute nicht mehr anders, es muß schnell gehen und die Masse macht den Gewinn. Bei der Herstellung und Verarbeitung der Lebensmittel geht es weiter: Was zu kurz ist oder krumm wird aus­sortiert. Und wenn ein Apfel einige unschöne Stellen hat, wird er verworfen und nicht einmal zu Apfelwein verarbeitet.

Aber als Verbraucher müssen wir uns da auch an die eigene Nase fassen: Wir nehmen doch auch die gleichgroßen und makellosen Äpfel aus dem Regal. Und wenn sie trotzdem nicht schmecken, werden sie weggeworfen. Was abends übrig ist, kommt ebenfalls in den Container und darf nicht von den Angestellten oder von Bedürftigen mitgenommen werden. Angeblich will der Kunde auch noch abends das volle Sortiment vorfinden. Aber das Brot ist auch am nächsten Tag noch eßbar.

Überhaupt das Haltbarkeitsdatum, das ja etwas anderes ist als das Verfallsdatum. Die Verkäufer räumen extra die älteren Sachen nach vorne, damit sie noch rechtzeitig mitgenommen werden. Aber wie viele Kunden ziehen doch die Lebensmittel von hinten wieder vor, weil alles ganz frisch sein soll. Die sogenannten „Tafeln“ beweisen jedoch, daß auch abgelaufene Lebensmittel noch nicht gleich verdorben sind.

Das aber ist die Wirklichkeit bei einem Erntedankfest von heute: Wir müssen uns nicht überlegen, wie wir das Essen für den nächsten Tag besorgen können, sondern wir überlegen höchstens, wie wir den Gaumenkitzel noch übertreffen können. Der Hebräerbrief aber weist uns in eine ganz andere Richtung: Er spricht vom Opfer als Antwort auf Gottes Wohltaten und unterscheidet dabei das Lobopfer des Mundes vom Tatopfer der Hände.

 

1. Lobopfer des Mundes:

Zunächst einmal gilt es zu erkennen, daß Gott selber das größte Opfer gegeben hat, indem er seinen Sohn für uns opferte. Wenn die christliche Gemeinde etwas opfert, dann kann sie damit das Opfer Christi nicht verdrängen oder ergänzen. Aber aus dem Opfer Christi ergibt sich unser Opfer, das nur noch ein Lobopfer sein kann. Dabei loben wir Gott, der uns wieder einmal mit allem versorgt hat, was zum Leben nötig ist. Aber gleichzeitig werden wir auch auf den verantwortlichen Umgang mit dem geernteten hingewiesen und dann verpflichtet, mit diesen Gaben anderen wohl zu tun und mit ihnen zu teilen.

Alle Gegenstände, die wir zum Leben brauchen, sind Ausdruck der Liebe Gottes zu uns. Er will uns damit erfreuen und den Bund zwischen ihm und uns festigen. Das Geschenk eines lieben Menschen schätzen wir ja auch nicht wegen seines Sachwertes und nach seiner  Ver­wendbarkeit ein, sondern es ist Zeichen der Liebe, die er uns zugewandt hat. Ein Tier verschlingt seine Beute ohne Nachdenken. Der Mensch aber ist Person, er antwortet und erwidert persönlich, er weiß sich mit dem Geber verbunden und sagt ihm Dank. Die Israeliten früher taten das mit Erntegaben oder sogar mit Tieropfern. Wir als Christen aber bringen das „Lob­opfer der Lippen“.

Man kann die ganze Landwirtschaft auch als einen Produktionsvorgang sehen. Die heutigen Agrargenossenschaften hießen früher ja einmal „Landwirtschaftliche Produktionsgenossen­schaften“: Man hat dazu natürliche Dinge wie Saatgut, Boden, Dünger, Sonne und Regen. Dazu kommen die in den Pflanzen vorhandenen Wachstumskräfte und die Fähigkeit zur Umwandlung der chemischen Stoffe. Außerdem braucht man Maschinen und Transportmittel und das System der Verteilung und Zubereitung. Wozu braucht man da noch das Lob gegenüber Gott, das sind doch alles natürliche Vorgänge. Man kann sich freuen, daß die Ernte wieder unter Dach und Fach ist, mehr aber auch nicht.

Und dennoch hat dieses Geschehen auch einen personalen Bestandteil: Der Verbraucher kann die Arbeit der in der Gewinnung der Lebensmittel Arbeitenden würdigen. Sie tun einen Dienst an den Menschen und haben in ihn viel Liebe und Hingabe hineingesteckt. Das sollten wir vielleicht beim Verbrauchen und Genießen mehr im Blick haben.

Und von aus ist es nur noch einen Schritt bis zu Gott, der in dem ganzen Geschehen von Saat und Ernte der Wirkende und Schenkende ist. Schließlich sind wir alle Geschöpfe, die als Person geschaffen sind, die begreifen und denken können. Da kann man auch erwarten, daß wir personal reagieren und als Antwort auf Gottes Wohltaten das Lobopfer des Mundes bringen, also Gott mit unserem Mund loben.

Was auf den Tisch kommt, enthält nicht nur Kalorien, sondern auch Liebe. Gott freut sich, wenn wir ihm zu erkennen geben, daß wir es gemerkt haben. Es sollte auch nicht nur ein stilles Danken im Herzen sein, sondern ein gesprochenes oder gesungenes Gotteslob. Wir reden viel den ganzen Tag n sollte da Gott schweigend übergangen werden? Erntedankfest ist nicht ein Stück Heidentum, obwohl es solche Feste auch schon im Heidentum gab. Es verbindet uns vielmehr über Christus mit Gott und macht uns so zu dankbaren Menschen.

 

2. Tatopfer der Hände:

Die Früchte des Feldes und des Gartens, die am Erntedankfest mit in die Kirche gebracht werden, sind nicht einfach ein Schmuck. Sie erinnern uns daran, daß am Altar das Abendmahl ausgeteilt wird und daß von dort alle Liebestätigkeit der Kirche ausgeht. Es genügt nicht, wenn wir unseren Erntedank nur im Gebet und Lied zum Ausdruck bringen. Erntedank könnte Gotteslästerung sein, wenn es nicht gleichzeitig zum Tatopfer der Hände kommt. Heute denken wir dabei besonders an die ungelöste Frage des Hungers.

Der Hunger in der Welt ist eine langandauernde Katastrophe. Wir aber verfeinern immer mehr die Ansprüche an das Leben, wir wollen „Lebensqualität“ wir überbieten einander an Aufwand und Luxus. Wir essen und trinken so viel, daß wir davon krank werden. Einzelaktionen können immer nur kleine Löcher stopfen. Nötig ist aber eine grundlegende Veränderung der bestehenden Strukturen.

Es geht doch nicht, daß immer mehr Regenwald abgeholzt wird, damit dort Palmen angepflanzt werden, mit deren Öl dann unsere Autos fahren. Ein großer Teil des Biosprits wird ja nicht auf brachliegenden Feldern bei uns erzeugt, sondern in den sogenannten Entwicklungsländern, wo dann die Ackerfläche für Nahrungsmittel fehlt.

Heute werden Nahrungsmittel an der Börse gehandelt und damit verteuert n und das von Leuten, die nicht selber produzieren, sondern nur Geld haben.  Den Landwirten mag es recht sein: Wenn weniger geerntet wurde, steigt der Preis und am Ende stimmt die Kasse wieder. Wir nehmen Nahrungsmittel wie zum Beispiel Weizen sogar für die Energiegewinnung. Aber die Armen bei uns und in der Welt sind die Leidtragenden.

Es geht auch nicht, daß Länder wie China oder Indien eine Hochtechnologie entwickeln und Raketen ins Weltall schießen, aber die breite Masse der Bevölkerung lebt weiter in bitterster Armut. Auch bei uns sollte man eine Regierung nicht danach beurteilen, ob der Regierungschef gut reden kann oder die Ministerin eine hübsche Frisur hat. Viel wichtiger ist die Frage, ob eine Regierung dafür sorgt, daß die Schere zwischen Arm und Reich nicht immer weiter aufgeht

Es gibt viele Beispiele für helfende Hände. Nach dem Krieg sandten die Amerikaner Care-Pakete. In der DDR freuten sie sich über jedes Westpaket. Auch die Kirchen nehmen einen gewissen Finanzausgleich vor. Und noch schlimmer ist es in Osteuropa.

Aber mit dem Teilen ist das so eine Sache. Der Kommunist, der in seinem Leben alles durch­gebracht hat, sagt zu dem fleißigen und sparsamen Nachbarn: „Du mußt mit mir teilen, sonst bis du ein Kapitalist!“ Und so argumentieren wir auch gegenüber Griechenland: „Ihr habt jahrelang über eure Verhältnisse gelebt und jetzt sollen wir euch da heraushelfen. Da ist doch besser jeder sich selbst der Nächste!“

Teilen ist nicht so unsere Sache. Wer von den festangestellten Arbeitnehmern würde denn mit den Leiharbeitern teilen? Selbst bei den Pfarrern geht das nicht. Als einmal die Drohung im Raum stand, die neu anzustellenden Pfarrer sollten schlechter gestellt werden, da schlug einer der Pfarrer vor, man könne das doch privat unter sich ausgleichen. Aber da hätte man einmal die Gesichter der anderen sehen sollen, die an ihrem Besitzstand nicht rütteln lassen wollten.

Wenn es konkret wird, dann sind all unsere Beteuerungen oft vergessen. Aber weil Gott allen Menschen helfen möchte, braucht er uns. Gott hat keine Hände, er hat nur unsere Hände.

 

 

Heb 13,16 (Erntedankfest, Variante 2) (Jahreslosung 1981): „Vergeßt nicht, Gutes zu tun und mit anderen zu teilen, denn an solchen Opfern hat Gott Gefallen!“

Wir haben oft einen Denkzettel nötig. Einmal weil wir sonst den richtigen Zeitpunkt verpassen würden. Zum anderen um unsere Gedanken auf das Wichtige zu konzentrieren. Für freundliche Erinnerungen anderer Menschen sind wir dankbar und empfinden sie als Hilfe.

In unserer schnellebigen Zeit mit ihren vielfältigen Anforderungen hat man sonst schnell etwas vergessen.

Aber dieses „vergeßt nicht“ ist mehr als nur ein Denkzettel. Es ist ein sehr persönlicher und ernsthafter Weckruf. Denn es geht um die Glaubwürdigkeit unseres Christseins. Wenn wir aufhören, Gutes zu tun, und nicht mehr bereit sind, miteinander zu teilen, können wir uns nicht mehr als Christen bezeichnen. Deshalb ist eine solche ernste Mahnung immer notwendig.

Wenn wir mit offenen Augen durchs Leben gehen, werden wir überall aufgerüttelt, Gutes zu tun. Näher liegt uns allerdings, daß wir erst einmal von den Anderen Gutes erwarten, und zwar vorwiegend für uns selber. Manchmal ist schon die falsche Erziehung daran schuld. Die Eltern versuchen doch weitgehend, ihren Kindern alle Wünsche zu erfüllen. Die Kinder sollen es einmal besser haben als sie. Aber die Kinder haben dann keine ausreichende Vorstellung davon, daß jeder Wohlstand erst hart erarbeitet werden muß. Sie schütteln den Kopf über die Feierabendarbeit der Eltern, obwohl sie doch davon profitieren. Aber wenn dann einmal an sie selber Anforderungen gestellt werden, dann haben sie keine Lust.

Da kommen Besucher und sagen: „Wir kommen unter anderem auch zu Ihnen, damit unsere Kinder einmal etwas davon mitkriegen, daß man nicht immer alles haben kann. Sie meinen immer, sie müßten alles haben. Die Erfahrung, daß das nicht überall so möglich ist, ist eine wichtige Erziehungsaufgabe!“

Allerdings ist das Denken der Jugend bei dieser Familie auch nicht anders. Sie meinen auch, es müßte immer alles da sein, nach dem letzten Schrei und nach der neuesten Mode. Nur kom­men sie nicht immer so leicht und so schnell an alles heran. Aber die Gefahr ist die gleiche, daß man seine Lebensziele in der Erfüllung materieller Wünsche sieht.

Da ist es gut, wenn auch einmal christliche Handlungsweisen vermittelt werden wie dieses Bibelwort: „Gutes tun und mit anderen teilen“. Besonders könnte uns das deutlich werden angesichts der vielen Nöte in manchen Teilen der Welt. Wir haben ja alles - oder doch wenigstens fast alles - da sollten wir nicht vergessen, wie es anderswo ist.

Aber mancher wird denken: Alle Anstrengungen nützen doch kaum etwas, denn sie sind doch nur ein Tropfen auf einen heißen Stein. Aber vielleicht kommt es gerade auf diesen einen Tropfen an. Wenn einer anfängt, dann folgen oft andere diesem Beispiel. So hat die Arbeit Albert Schweitzers in Afrika den Arzt Doktor Theodor Binder dazu gebracht, seine Lebensaufgabe darin zu finden, südamerikanischen Indianern medizinische Hilfe zu bringen. Das Tun der Mutter Teresa in Kalkutta hat eine Kettenreaktion ausgelöst, durch die viele zu „Missionarin der Liebe“ wurden. Ein einziger Tropfen kann das Gefäß zum Überlaufen bringen. Und jeder von uns könnte derjenige sein, der diesen Tropfen beisteuert, indem er Gutes tut.

Teilen ist dabei mehr als abgeben vor dem, was man gerade übrighat. Der Heilige Martin hat seinen Mantel in zwei gleiche Teile mit dem Schwert zerteilt, um den Bettler zu bekleiden. Also nicht abgeben, sondern teilen wäre notwendig. Doch nicht so, wie es die Methode der Kommunisten ist. Wenn einer es zu etwas gebracht hat, weil er fleißig und sparsam war, und ein anderer hat nichts, dann sagt der Besitzlose: „Komm, wir wollen teilen, sonst bist du ein Ausbeuter!“ Christlich gedacht geht es andersherum: Da versteht einer seinen Besitz als ein Geschenk Gottes und sagte zu dem Ärmeren: „Komm, wir wollen teilen, denn du kannst ja nichts dafür, daß es bei dir so gekommen ist!“

Wir haben heute wieder mehr erkannt, daß es nicht um Almosen geht, die gnädig einem anderen gewährt werden. Dadurch bleibt er nur von dem Spender abhängig und wird in Unselb­ständig­keit gehalten. Wichtiger ist es, Hilfe zur Selbsthilfe zu geben. Es nutzt nichts, wenn

man ein teures Auto nach Afrika schafft, das dann am Straßenrand verrostet, weil ein kleines Ersatzteil fehlt; ein Fahrrad erfüllt vielleicht den gleichen Zweck. Wenn ein Dorf eine Wasserpumpe erhält, die mit einem Windrad betrieben wird, dann kann es selber seine Nahrung produzieren und ist nicht mehr auf Spender angewiesen. So sieht heute Hilfe aus.

Bei uns besteht keine Notwendigkeit, lebensnotwendige Güter miteinander zu teilen. In unserem Land hat jeder, was er zum Leben braucht. Viel Gutes ist in unsrer Gesellschaft verwirklicht und geregelt: eine Versicherung für Krankheit und Alter, Nachbarschaftshilfe, usw. Vieles nehmen wir davon als ganz selbstverständlich hin, es wird einfach erwartet. Aber auch bei uns ist noch Vieles zu tun, das nicht vom Staat abgedeckt werden kann, sondern die Aufgabe jedes Einzelnen ist.

Teilen könnten wir unser Wissen, unsere Fertigkeiten und Erfahrungen. Wie sehr hilft es doch einem Lehrling, wenn ihm alle Kniffe gleich gezeigt werden und er nicht selber dahinter kom-men muß! Wie hilfreich ist es für die Hausfrau, wenn sie von der Nachbarin erfährt, daß es irgendwo irgendetwas gibt! Wie gut ist es doch, wenn einer seine Kraft und seine starken Nerven auch anderen zur Verfügung stellt! Ein aufmunterndes Wort oder der Beistand in Krisensituationen können so viel helfen! Auch die Fürbitte für andere wollen wir dabei

nicht vergessen.

Zu solchem Teilen verpflichtet uns die Dankbarkeit gegenüber Gott. Unsere sogenannten „Wohltaten“ sind ja nur ein Bruchteil dessen, was wir selber von Gott empfangen haben. Dankbarkeit spornt uns deshalb an zu einem Leben im Dienst Gottes. Sie ist zugleich eine unversiegbare Kraftquelle in unseren alltäglichen mitmenschlichen Beziehungen, gibt uns immer wieder Mut zu neuer Hilfe.

Im Neuen Testament finden wir ein Modell für solches Teilen, nämlich die Speisung der Fünftausend. Jesus dankt zunächst für das, was er hat. Dann setzt er seine Jünger ein, um die Gaben zu verteilen. Dabei machen sie die Erfahrung, daß das Wenige für alle reicht. Alle kriegen dasselbe Es reicht für alle. Das wird sie ihrerseits beflügelt haben, sich für andere einzusetzen. Auch das Abendmahl ist so ein Beispiel: Jeder erhält das Gleiche, alle aber erhalten Anteil an der Kraft und der Hilfe Gottes.

Wenn wir unser Leben und unseren Lebensraum mit dem anderen teilen, dann ist das auch eine Bereicherung für uns selber. Zunächst werden wir darin eine Belastung sehen .Wenn wir etwa einen Menschen begleiten, werden wir unter Umständen Umwege machen müssen und unser eigenes Ziel vielleicht sogar verfehlen. Aber was wir zunächst als Nachteil empfanden, bringt oft neue Erfahrungen und Erkenntnisse mit sich und läßt Vertrauen wachsen.

Solches Vertrauen hilft dann einmal zu vergeben und zu verzeihen. Als Christen haben wir besonders die Aufgabe des vertrauensvollen Miteinanders. Dann wissen wir: Trotz Fehler und Enttäuschungen braucht die Gemeinschaft da nicht zu zerbrechen, wo man um die Vergebung

Gottes weiß. Das kann sich auswirken in allen Bereichen unseres Lebens: in Ehe und Familie, in Nachbarschaft und Beruf, aber auch in den Beziehungen der Kirchen und Völker zueinander.

Zum Schluß heißt es dann: „An solchen Opfern hat Gott Gefallen!“ Bei Opfern können wir an das Lob Gottes im Gottesdienst denken. Aber solches Lob durchdringt dann doch alle Bereiche unseres Lebens und Alltags. Wer Gott lobt, wird das eigene Ich und übertriebene Lebensansprüche zurückstellen und Gutes tun und Nächstenliebe verwirklichen. Es geht hier also nicht nur um die Kollekte im Sonntagsgottesdienst. Diese hilft zwar auch dazu, die Gemeinschaft untereinander zu vertiefen. Aber es geht letztlich um mehr: In allen Bereichen menschlichen Miteinanders sind Verzicht und Rücksichtnahme, Geduld und Zeit nötig. Und solche Opfer sind für uns meist spürbarer und kostbarer als Geldopfer. Mit unserem „Sonntagsfünfziger“ können wir uns noch nicht ein gutes Gewissen machen und uns loskaufen vor

dem, was Gott eigentlich will.

Das wahre Opfer hat ja Jesus Christus selber gebracht. Daneben sind keine anderen Opfer mehr möglich. Der Gehorsam Jesu, sein Leiden und Sterben sind das wahre Opfer. Aber sein Opfer spornt auch an, nach draußen zu gehen zu den Menschen, um ihnen, Gutes zu tun und mit ihnen zu teilen. Das Gotteslob und die Liebe zu den Menschen sind Ausdruck dieser neuen Lebenshaltung. Sie könnte unser Programm für das kommende Jahr werden.

 

 

Hebr 13, 20 - 21 (Miserikordias Domini, Variante 1):

Wenn ein Kind krank ist, dann versucht die Mutter alles, daß es wieder gesund wird: sie flößt ihm Tee ein, macht heiße Umschläge, greift zu allerhand Hausmitteln. In schwierigen Fällen wird der Doktor geholt. Aber auch dann geht es mit der Besserung noch nicht schnell genug voran: man schluckt die Medizin, probiert aber weiterhin auch all das andere mit aus.... vielleicht hilft es ja doch.

Es liegt wohl in der Natur des Menschen, daß er selber etwas schaffen und leisten will. Er will „machen“, will eine Sache vorantreiben, will selber erfolgreich sein. Er will möglichst auf niemand angewiesen sein, will niemand belästigen, will selber den Ruhm ernten. Auch Gott soll nicht helfen dürfen, man möchte ihm nicht verpflichtet sein, ihm nicht dankbar sein müssen.

Dabei ist es doch so schön, sich helfen zu lassen. Vielleicht sind die wirklich schönen Dinge im Leben das, was uns geschenkt wurde. Wir müssen nicht meinen, wir müßten alles selber tun. Man darf sich auch etwas schenken lassen, vor allem von Gott. Er will wirken. Aber er läßt uns auch die Freiheit zum eigenen Tun.

Der Hebräerbrief stellt vor allem zwei Dinge heraus, die Gott tun will: den Frieden und das Gute! Beides ist nur möglich, weil Christus gestorben und auferstanden ist. Das Reich des Todes wird von einer Mauer umgeben, zu der auch wir täglich neue Steine hinzufügen: jedes böse Wort, jeder Mißbrauch unserer Möglichkeiten, jede Lieblosigkeit, jeder Schaden an der Natur ist solch ein Baustein. Aber Gott hat eine Bresche in die Mauer geschlagen und seinen Sohn als ersten wieder herausgeholt. Jesus mußte auch Etwas dazu tun: sein Blut wurde vergossen. Aber Gott hat den Tod überwunden und den Anfang gemacht für ein gutes Verhältnis zu den Menschen.

Das wird uns auch heute gesagt, wo wir den Sonntag des „guten Hirten“ begehen. Zur Zeit Jesu dachte man dabei an Mose, der sein Volk aus der Gefangenschaft herausführte und der den Bund zwischen Gott und seinem Volk am Sinai besiegelte. Wir aber denken an Jesus,

der durch seinen Tod und sein Auferstehen den neuen Bund geschlossen hat und uns ein neues Leben ermöglicht hat, in dem der Friede und das Gute herrschen.

Der Friede ist der Wunsch aller Menschen. Aber dennoch gibt es viele Konflikte im Zusammenleben sowohl der Völker als auch der Menschen. Deshalb sind viele auch niedergeschlagen oder entmutigt. Sie sagen: Egal wen wir wählen, es nutzt nichts, es machen doch alle das Gleiche. Trotz aller Entspannung geht die Rüstung weiter.  Obwohl wir sorgfältig den Müll getrennt sammeln, wird der Müllberg immer größer und wird vielleicht sogar vor unsrer Haustür aufgeschüttet. Die Steuern werden an der einen Stelle ermäßigt, an der anderen erhöht. Wo können wir da noch mitreden oder gar mitregieren?

Vielfach muß ja auch einfach in unsrer Welt mit dem Gesetz regiert werden. Ein Chef muß das Sagen haben, denn er muß auch den Kopf hinhalten, wenn etwas schief geht. Ohne Befehl und Gehorsam geht es nicht ab in unsrer Welt. Wenn einer am Verkehr teilnimmt, dann kann er nicht so tun, als gäbe es dafür keine Regeln. Doch wie oft setzt sich der Einzelne darüber weg und trägt damit bei zum Unfrieden in der Welt: 100 km pro Stunde sind erlaubt, da gehen auch noch 120 km. Zwei Glas Bier darf man sich genehmigen, warum nicht auch vier? Und wenn Parkflächen fehlen, dann wird auch dort geparkt, wo andere gefährdet werden. In solchen Fällen müssen Übeltäter schon die Härte des Gesetzes spüren. Etwas anderes ist es, wenn sich einer ernsthaft bemüht hat und dennoch etwas passiert ist. Dann sollte man Nachsicht üben und Gnade vor Recht ergehen lassen.

Hieran kann man sich den Unterschied zwischen den Hirten dieser Welt und Jesus, dem guten Hirten, deutlich machen. Die Könige der alten Welt nannten sich gern „Hirten“. Aber wieviel Blut haben sie vergossen, um dieses Hirtenamt auszuüben! Sie meinten, über eine gewisse Strecke hin müsse man auch einmal Gewalt üben, damit es nachher umso besser werden kann. Sie wollten die Menschen zu ihrem Glück zwingen. Aber das war das Argument aller Gewaltherrscher, daß sie schon wüßten, was für die Menschen gut ist.

Christus dagegen hat nicht das Blut der anderen vergossen, sondern hat sein eigenes Blut hingegeben. Er leitet nicht mit dem Gesetz, sondern mit seiner grundlosen Güte. Er steht bedingungslos für uns ein und fängt sogar unser Versagen auf. Regierung und Fürsorge werden bei ihm in eins gesehen.

Dieses Vorbild sollte uns anreizen, nun unsererseits Frieden zu halten. Es ist doch schrecklich, daß es in den letzten Jahrhunderten kaum ein Jahrzehnt gab, in dem nicht irgendwo auf der Erde die Völker miteinander gekämpft haben. Wie schnell gibt es Streit zwischen Nachbarn, wenn einer eigenmächtig etwas verändert oder wenn keiner bereit ist, einmal zurückzustecken. Wie schnell geraten Kollegen aneinander, wenn einer sich vor einer ungeliebten Arbeit drücken will oder wenn einmal schlecht über einen anderen geredet wird.

Gott aber will die Welt durch Christus, den guten Hirten, regieren. Er regiert durch Wort und Sakrament und setzt uns alle als Botschafter an Christi Statt ein. So will er die Welt regieren

mit Güte und herzlicher Liebe. Doch die Wirklichkeit sieht leider immer noch anders aus, selbst in der Kirche. Sie soll zwar von Christus geleitet werden, aber sie ist auch eine Organisation wie andere. Auch den kirchenleitenden Persönlichkeiten ist das Schicksal des einzelnen oft gleichgültig. Sie sagen: „Wir haben da mehr Erfahrung; wir hängen uns da nicht hinein, denn es bringt uns nichts!“ Sie wollen wissen, was richtig ist, ohne hingesehen zu haben. Und auch bei ihnen regiert vielfach das Geld.

Christus aber sieht Regierung und Fürsorge in eins. Sein Dienst geht bis zum letzten Atemzug. Es geht ihm um die Herde und um nichts anderes sonst. Deshalb will er uns alle auch tüchtig machen zum Tun des Guten, fähig und bereit, seinen Willen zu tun.

Was aber ist das Gute? Zunächst möchte man sagen: was das Leben erleichtert und was mir nützt! Doch was im Augenblick als nützlich erscheint, ist nicht unbedingt das Gute. Dazu gehört auch, daß etwas auf Dauer nützlich ist, daß das Leben gefördert und Gemeinschaft bewahrt wird.

Gut ist, wenn die Kollegen und Kolleginnen nicht über einen Fehler lachen, sondern mithelfen, ihn wieder auszubügeln. Dazu gehört das tröstende Wort: „Das ist doch nicht so schlimm, das ist uns allen auch schon passiert!“ Dazu gehört aber auch die helfende Tat, daß man nicht den Pechvogel seinem Schicksal überläßt, sondern ihm mithilft, den Fehler auszubügeln. Dann hält man Frieden, dann tut man das Gute, dann wird ein Stück des Willens Gottes in unserer Welt verwirklicht.

Doch dagegen regt sich auch Widerstand. Er kommt einmal aus dem eigenen bösen Herzen. Aber er kommt auch von Menschen, die uns sagen: Du darfst dich doch nicht von außen bestimmen lassen, auch nicht von einem Gott; du mußt doch frei sein, erlaubt ist, was gefällt!

Aber wenn ein Schiff in Seenot ist, dann muß der Kapitän kommandieren, sonst gibt es mit Sicherheit einen Schaden. In schwierigen Situationen vertraut man mehr dem Gebot Gottes als der Stimme des eigenen Herzens. Gott ist ja nicht der lästige Kontrolleur, sondern seine Gegenwart ist ein Glück. Mit ihm kann man alles besprechen, er bringt uns wieder auf die rechte Bahn und macht uns fähig zum Guten.

Gott hat sicherlich nicht eine unsichtbare Fernsehkamera hinter uns aufgestellt, mit der er jeden unsrer Schritte mißtrauisch überwacht. Aber es wäre doch schon viel gewonnen, wenn wir uns bei unsren Handlungen die Frage vorlegten: Können wir sie unter den Augen Gottes tun?

Das Gute wird uns ja nicht befohlen, sondern es wird in einem Segenswunsch für uns erbeten. Der Hebräerbrief ist so eine Art Lesepredigt, die deshalb auch mit einem Gebet und dem Lob Gottes beschlossen wird. Alle Mahnungen sind im Grunde Gebet, denn das Leben im neuen Gehorsam kann nur erbetet werden.

Der Lobpreis am Schluß des Briefes ist kein frommes Anhängsel und das „Amen“ der Gemeinde ist keine leere Form. Manche Leute fordern ja, den Gottesdienst und die Liturgie einzuschränken und desto mehr die christliche Praxis zu üben. Nun kann zwar das gottesdienstliche Handeln nicht Ersatz sein für das Handeln im Alltag. Aber aus dem Gottesdienst wird hoffentlich auch christliches Leben entstehen.

Was wir von Gott erbeten haben und was uns dann in unserem Leben widerfahren ist, dann schwingt zu Gott zurück, indem wir ihn loben. Gott freut sich, wenn die Menschen ihn rühmen, weil sie erfahren haben, was er in Christus für sie getan hat. Daraus erhalten sie dann auch die Kraft, ihre guten Vorsätze mit Gottes Hilfe in die Tat umzusetzen.

 

Hebr 13, 20 - 21 (Miserikordias Domini, Variante 2):

Jeder hat das schon einmal erlebt: Der Vater muß von zuhause fort, weil die Firma ihn zur Montage oder zu einer Schulung schickt. Oder die Mutter muß für längere Zeit ins Krankenhaus, weil die Behandlung nicht mehr aufgeschoben werden konnte. Es ist alltäglich, daß Menschen aus wichtigen Gründen fern von denen leben, die ihnen anvertraut sind. Aber auch wenn man nicht in der Nähe ist, bleibt doch die Verantwortung.

Man kann manches tun, um den Kontakt zu halten: Man kann Briefe schreiben und darin mitteilen, was wichtig ist. Man kann klare Anweisungen hinterlassen. Aber was wird man vorfinden, wenn man wieder nach Hause zurückkommt? Wird vieles nicht völlig durcheinandergehen oder gar Schaden entstehen?

Den Schreiber des Hebräerbriefes haben ähnliche Sorgen geplagt. Er saß wahrscheinlich im Gefängnis und sorgte sich um seine Gemeinde, aus der schlechte Nachrichten zu ihm gedrungen sind. Die Gemeinde ist schon durch manche schwere Prüfung gegangen. Nun stehen neue Verfolgungen bevor. Die erste Begeisterung des Glaubens ist vorüber, Angst ist eingezogen, vielleicht auch Lässigkeit und Unsicherheit.

Manche sahen einen Ausweg in der Hinwendung zu anderen Religionen und Weltanschauungen, bei denen man nicht ins Leiden geführt wurde. Oder man wollte sich wieder ins Judentum zurückziehen, das man einst verlassen hatte, um Christus zu dienen. Da ist es schwer, durch einen Brief ein Gegengewicht zu schaffen. Aber der Schreiber des Briefes legt die Gemeinde in die Hände dessen, dem sie gehört, in die Hände Jesu Christi.

Alles, was er auf dem Herzen hat, faßt er zusammen in der Fürbitte für die Gemeinde; und dabei ruft er in Erinnerung, wovon die Gemeinde lebt.

Zunächst spricht er vom „Gott des Friedens“, der von den Toten ausgeführt hat den großen Hirten der Schafe. Wir könnten uns vorstellen: Das Reich des Todes ist von einer Mauer umgeben, zu der wir täglich neue Steine hinzufügen: jedes böse Wort, jeder Mißbrauch unserer Möglichkeiten, jede Lieblosigkeit, jeder Schaden an der Natur ist solch ein Baustein. Und doch hat Gott eine Bresche in die Mauer geschlagen und seinen Sohn als ersten wieder herausgeholt. Weil Jesus am Kreuz sein Blut vergießen ließ, ist der Tod überwunden und der Anfang gemacht für das neue Verhältnis zwischen Gott und den Menschen.

Das neue Verhältnis wird als der „ewige Bund“ bezeichnet. Die Menschen damals haben vieles mitgehört in diesen Worten. Sie erinnerten sich an den Bund, den Gott mit Abraham geschlossen hatte, an den Regenbogen nach der Sintflut, an die ganze Geschichte ihres Volkes. Wenn Jesus als der „große Hirte der Schafe“ bezeichnet wird, dann dachte man an Mose, der sein Volk aus der Knechtschaft in Ägypten herausgeführt hat und den Bund am Berge Sinai schloß.

Die Könige der alten Welt nannten sich gern „Hirten“. Nur: Wieviel Blut haben sie vergossen, um ihr „Hirtenamt“ auszuführen! Jesus aber hat sein eigenes Blut vergossen. Er ist der „große Hirte“, der an der Spitze einer großen Herde seine Schafe aus dem Reich des Todes herausgeführt hat. Durch ihn regiert Gott die Welt und die Kirche mit herzlicher Liebe.

Die Konflikte in der Welt, zwischen Gott und den Menschen, aber auch zwischen den Menschen und Völkern, müssen in der Tiefe geheilt werden. Gott stößt immer wieder auf eine Welt, die von ihm abgefallen ist, ihn verachtet und haßt. Aber Gott begegnet unserem Bösen mit dem Werk seines Friedens, mit Heilung und Wohltun, mit geduldigem Werben um uns und mit einer durch nichts zu beirrenden Liebe. Er regiert nicht mit Gewalt, sondern durch sein Wort und die Sakramente, und auch durch seine „Unterhirten“.

Die sich gern als „Leiter der Gemeinde“ verstehen, sind in Wirklichkeit nur Unterhirten. Sie vermögen nichts, was nicht der große Hirte bewirkt und deckt. Der Amtsträger in der Kirche bis hin zum Bischof hat das Wort Gottes auszurichten und die Sakramente zu verwalten. Aber in allem anderen ist er ein Gemeindeglied wie jedes andere. Christus leitet die Gemeinde, niemand anders.

Aber während andere mit dem Gesetz regieren, leitet Christus mit seiner grundlosen Güte. Wenn er etwas gebietet, dann steht er auch bedingungslos für uns ein und fängt sogar unser Versagen auf. Regierung und Fürsorge werden bei ihm in eins gesehen. Sein Dienst geht bis zum letzten Atemzug. Es geht ihm um die Herde, um nichts sonst.

Dieses Vorbild sollte uns anreizen, nun unsererseits Frieden zu halten. Es ist doch schrecklich, daß es in den letzten Jahrhunderten kaum ein Jahrzehnt gab, in dem nicht irgendwo auf der Erde die Völker miteinander gekämpft haben. Und wenn ein Brandherd ausgetreten war, dann ist es anderswo wieder aufgelodert. Heute fürchten wir die Möglichkeit eines alles dahinraffenden Atomkrieges. Und die anderen Waffen rufen Bäche von Blut hervor, vor denen das Blut Christi verblaßt.

Die Regierenden opfern immer neue Menschen. Sie sollten lieber ihre Rüstung und ihre strategischen Positionen opfern. Sie sollten auf den Gott des Friedens achten und sich von ihm zurüsten lassen, damit sie seinem Willen entsprechen. Da ist es aber schon wieder, das Wort „rüsten“ im Zusammenhang mit Gott. Unser Denken ist ja schon so sehr von militärischen Ausdrücken geprägt, daß wir es gar nicht mehr merken. Die Polizei hat einmal bei einem kirchlichen „Rüstzeitenheim“ gefragt, wie denn dieses Wort zu verstehen sei; sie haben sich vielleicht wer weiß was darunter vorgestellt.

Gott rüstet uns nicht auf, er rüstet uns zu. Er will uns tüchtig machen in allem Guten. Gott ist der Gott des Guten. Daß wir fähig und bereit gemacht werden, den Willen Gottes zu tun, ist nicht ein zweites neben dem Hirtenamt Jesu, sondern hängt aufs engste damit zusammen. Er bestimmt, wie es in seiner Gemeinde zugehen soll, was ihr dienlich ist und wie sie bewahrt bleiben und gedeihen kann.

Das Gute ist nicht einfach das, was nützt und das Leben erleichtert, sozusagen die Weltmaschine in Gang hält. Was uns im Augenblick nützlich erscheint, ist oft nicht das Gute. Eher gilt das Umgekehrte: Nur das Gute wird auf die Dauer auch nützlich sein und Leben fördern und Gemeinschaft bewahren. Etwas ist gut, weil Gott es so will. Gut ist, woran Gott Gefallen hat. Und was wir auch tun, wir sollten es Gott zuliebe tun.

Aber dagegen regt sich Widerstand. Er kommt aus dem bösen Eigenwillen unseres Herzens, in dem wir wider besseres Wissen am Bösen festhalten. Er kommt aber auch von Menschen, die die Beugung unter einen fremden Willen für falsch halten, die lieber einem eigenen Muß folgen wollen. Sie lehnen den Gedanken an eine fremde Autorität völlig ab.

Aber wenn etwa ein Schiff in Seenot ist, dann muß der Kapitän kommandieren, sonst gibt es mit Sicherheit Schaden. In schwierigen Situationen ist es besser, dem Gebot Gottes mehr zu vertrauen als der Stimme des eigenen Herzens.

Es ist ja gar nicht so, daß Gottes Gebot uns von außen her bevormundet. Die Selbstbestimmung wird von denen, die aus dem Glauben in der Liebe handeln, gar nicht vermißt. Die sittliche Entscheidung fällt dann unter den Augen Gottes. Aber Gott ist nicht der lästige Kontrolleur, sondern seine Gegenwart wird als beglückend empfunden. Mit ihm können wir alles besprechen, er bringt uns wieder zurecht und setzt uns instand zum Guten. Dieses wird ja nicht befohlen, sondern im Segenswunsch erbeten.

Gott hat sicherlich nicht eine unsichtbare Fernsehkamera hinter uns aufgestellt, um jeden unsrer Schritte mißtrauisch überwachen zu können. Aber es wäre doch schon viel gewonnen, wenn wir bei manchen Handlungen uns die Frage vorlegten: Können wir sie unter den Augen Gottes tun? Oder man könnte sich auch nach der Regel des Meisters Eckart richten, der ein bedeutender Prediger des Mittelalters war und in Erfurt wirkte: „Der wichtigste Tag ist der jeweils heutige Tag. Der wichtigste Mensch ist der Mensch, der mir gerade begegnet. Und das wichtigste Werk ist die Liebe!“

Der Hebräerbrief ist eine Art Lesepredigt. Und die beschließt der Verfasser mit einem Gebet und dem Lob Gottes. Alle Mahnungen sind im Grunde Gebet und das Leben im neuen Gehorsam kann nur erbetet werden. Der Lobpreis am Schluß des Briefes ist kein Anhängsel: und das „Amen“ der Gemeinde ist keine leere Form. Manche Leute fordern ja, Gottesdienst und Liturgie einzuschränken und desto mehr christliche Praxis zu üben. Natürlich kann gottesdienstliches Handeln nicht Ersatz sein für Gehorsam im Alltag. Aber aus dem, was wir im Gottesdienst erfahren, wird hoffentlich christliches Leben entstehen.

Wo Menschen aus Gott heraus leben, da leben sie für ihn und lassen das Erbetene zurückschwingen im Lob Gottes. Und indem Gott die verlorenen Menschen zurückgewinnt, verherrlicht er zugleich sich selbst. Gott freut sich, wenn seine Menschenkinder ihn rühmen. Wer erfahren hat, was Gott in Christus für uns tut, der muß ihm die Ehre geben. Er wird dann auch die Kraft erhalten, seine guten Vorsätze mit Gottes Hilfe in die Tat umzusetzen.

 

Jakobus

 

 

Jak 1, 12 - 18 (Invokavit):

Die Schriftstellerin Christa Wolf erzählt in einem Roman aus ihrer Kindheit von einem Mädchen namens Nelly, dessen Vater ein Lebensmittelgeschäft hat, in dem sie immer einmal Schokolade stiehlt. Eine Zeitlang hatte sie der Versuchung widerstanden. Aber eines Tages holt sie plötzlich wieder den Schlüssel zum Lagerraum und versorgt sich mit großen Mengen Schokolade, die sie im Bett auf ißt. Dabei ist ihr „gräßlich wohl“, aber gleichzeitig kann sie

„körperlich spüren, wie ihre Achtung vor sich selbst weiter schwindet“.

Kennen wir das nicht auch aus unserem Leben? Jeder hat doch mindestens eine schwache Seite. Eine Zeit leistet er der Versuchung Widerstand, um ihr dann aber doch wieder zu erliegen. Einerseits hat sich die Spannung gelöst. Andererseits aber schämen wir uns, weil wir der Versuchung wieder einmal unterlegen sind. Woher kommt das, daß wir oft so gar nicht nach Gottes Willen leben, gar nicht leben können?

Im Evangelium des Sonntags hörten wir vom Teufel, der selbst vor Jesus nicht haltgemacht haben soll. Aber als aufgeklärte Menschen wissen wir, daß es so eine Gestalt wie den Teufel nicht wirklich gibt. Das wäre ja einfach, wenn wir ihn am Pferdefuß und den Bockshörnern erkennen könnten; dann wäre es einfacher, uns gegen ihr zu wappnen. Aber in Wirklichkeit ist es eine verborgene Macht, die uns unerwartet anspringt von außen oder auch aus unserem eigenen Inneren.

Der Jakobusbrief spricht nur von der Begierde und sagt: Sie kommt allein aus dem Menschen. Am Anfang geht es ihm um die Anfechtung im Glauben. Da sagt er: „Selig der Mann, der die Anfechtung erduldet; denn nachdem er bewährt ist, wird er die Krone des Lebens empfangen!“ Nun aber geht es ihm um die sogenannten „kleinen Sünden“, um die Begierden des Leibes.

Bezeichnenderweise kommt der Schreiber des Briefes gleich auf Ausdrücke aus dem sexuellen Umfeld. Er sagt: Wenn die Lust empfangen hat, dann wird sie schwanger und gebiert die Sünde; und die gebiert dann den Tod. So hat man es lange gemacht in der Kirche: Sünde

war nur das, was mit dem sechsten Gebot zusammenhängt. Darüber hat man die anderen Gebote übersehen und die Anfechtungen des Glaubens. Da konnte man auch leicht sagen wie der Jakobusbrief: Sünde ist allein Schuld der Menschen, denn gegen diese Begierde kann man noch am leichtesten etwas tun.

Aber man übersieht dabei die soziale Verflochtenheit des Menschen: Wenn bittere Not herrscht, wird man eher zum Diebstahl verführt. Wenn viele das tun, wird der Einzelne auch leichter dazu bereit sein. Mancher wird zum Mörder, weil er für die Befreiung seines Volkes kämpfen will; wären gerechte Verhältnisse, käme er nicht auf diese Idee. Das gesellschaftliche Umfeld spielt schon eine große Rolle für unser Tun oder Lassen.

Wenn man nur dem einzelnen Menschen die Schuld zuweist, dann übersieht man auch die Frage nach dem Leiden des Unschuldigen. Warum müssen Menschen leiden an einer unheilbaren Krankheit?  Warum sind in einem Krieg immer die Zivilisten die Hauptopfer? Wie kann Gott das zulassen, daß ein ganzes Volk ausgerottet werden soll? Weshalb gibt es soviel Unheil in der Welt?

Es ist ein abgedroschenes Argument „Es gibt keinen Gott, denn sonst würde er die Kriege nicht zulassen!“ Aber es muß doch immer wieder darauf eingegangen werden. An sich ist die Antwort sogar leicht, denn selbstverständlich will Gott keinen Krieg; wenn sich alle nach ihm richteten, gäbe es auch keinen Krieg.

Wir können nicht immer alles Gott in die Schuhe schieben wollen, was wir selbst verbockt haben. Wer behauptet, Gott sei der Urheber des Bösen, will nur sich selbst entschuldigen und die Verantwortung für sein Tun von sich wegschieben. Schon am Anfang der Bibel wird beispielhaft deutlich gemacht, wie die Menschen zu allen Zeiten gewesen sind. Da sagt der Mann: „Gott, du hast mir doch erst die Frau gegeben, die mich zum Übertreten deines Gebotes verführt hat!“

Oder man könnte auch sagen: „Warum hat Gott den Menschen denn so programmiert, daß er Böses tun kann?“ Er hätte es doch auch so richten können, daß der Mensch immer nur gut ist.

Aber Mancher wird sagen: „Ach, das wäre aber langweilig! Die Sünde macht das Leben doch erst interessant!“ Ernsthafter geredet: Es ist gut, daß der Mensch frei geboren ist, sich entscheiden kann, Verantwortung übernehmen soll. Wenn er durch seine Instinkte festgelegt wäre, dann könnte er nicht Mensch sein. Die Freiheit zur Entscheidung ist ein wichtiger Punkt des Menschseins. Seien wir froh, daß wir die Möglichkeit der Entscheidung haben. Aber

der Preis dafür ist, daß wir uns auch falsch entscheiden und dann die Strafe dafür zu tragen haben. Jedenfalls dürfen wir Gott nicht verklagen, er sei der Ursprung des Bösen.

Der Satz „Gott versucht niemand“ kann angefochten werden. Denn sonst hätte es ja keinen Sinn, wenn wir beten: „Führe uns nicht in Versuchung!“ Selbst Jesus ist ja „vom Geist“ in die Wüste geführt worden, um vom „Teufel“ versucht zu werden. Aber sicherlich sollte er nicht planvoll zum Bösen verführt werden mit dem Ziel, ihn scheitern und untergehen zu lassen. Vielmehr will Gott ihn erproben und ihm die Gelegenheit zur Bewährung geben. Durch die Anfechtung will Gott ihr nach dem Glauben fragen und ihm eine Gelegenheit geben, ihm Liebe und Gehorsam zu zeigen. So gesehen kann Versuchung eine Hilfe sein und zur Festigung des Vertrauens führen.

Wir sollten auch nicht immer nur nach dem Bösen in der Welt fragen, sondern nach unserem eigenen Bösen. Denn an dem Bösen in der Welt haben wir immer selbst aktiv Anteil. Dieser mag uns manchmal winzig erscheinen; aber das entlastet uns nicht. Auch in einer sogenannten „kleinen Sünde“ wirkt sich die sündige Grundentscheidung aus;

und die ist es, die alles verdorben hat. Es kann uns nicht um eine theoretische Auskunft über den Ursprung des Bösen gehen, sondern es geht um eine menschliche Verantwortung für das Böse. Wichtig ist, daß wir unsere eigene Verantwortlichkeit nicht abschütteln, indem

wir Gott verklagen, er sei es, der uns wieder einmal ein Bein gestellt hat.

Es ist aber auch oft nicht allein unsere Schuld. Eine Rolle spielen auch die Naturanlage, schwere Kindheitserlebnisse, soziale Verhältnisse, harte Schicksalsschläge, Umweltzwänge. So etwas ist immer auch in den Versuchungen wirksam. Was für Entscheidungen wir auch zu treffen haben: Wir sind immer schon vorbelastet, wir sind überhaupt kein unbeschriebenes Blatt mehr.

Den Teufel haben wir als moderne Menschen wegrationalisiert. Er ist nicht mehr da wie ihn etwa Dürer auf seinem Blatt „Ritter, Tod und Teufel“ dargestellt hat. Aber er wirkt in Modeerscheinungen, in Parolen, durch Zweifel und Angst. Die Versuchung kommt auch von außen, und es ist schon gut, wenn wir dafür einen scharfen Blick haben.

Wir haben aber noch keine spezielle Sünde getan, in die wir nicht eingewilligt hätten. Für unsere Einbrüche und Versager können wir nicht den Zustand der Welt allein verantwortlich machen, und für den Zustand der Welt dann wiederum Gott. Zwar ist die Begierde fast wie eine persönliche Macht, die bei uns zur Untermiete wohnt. Aber wir werden auch persönlich haftbar gemacht. V o  r der sündigen Tat ist immer schon das sündige Verlangen, jede Tat hat ihre Vorgeschichte.

Gott aber hat die Welt gut gemacht. Es ist nicht auf ihn zurückzuführen, was es in der Welt an Bösem und Häßlichem, Entwürdigendem und Verletzenden gibt. Das Leben empfangen wir täglich neu von ihm. Von ihm stammen die Ordnungen und Gesetzmäßigkeiten der Schöpfung. Was auf den Tisch kommt, stammt von ihm. Die Liebe zwischen Menschen ist sein Geschenk. Nur mit Dank können wir es empfangen.

Aber woher kommt dann das andere? Der Teufel ist kein Gegengott, sondern Gottes Geschöpf, das sich gegen ihn aufgelehnt hat. Aber würde dann das Böse nicht doch letztlich auf Gott zurückgehen? Aber die ganze Einstellung, aus der diese Frage kommt, ist falsch. Wir können uns nicht unserer Verantwortung entziehen und unsere Zurechnungsfähigkeit verleugnen. Wir sind nicht Stein oder Blume oder Tier, sondern Menschen, die ihre Bestimmung bejahen oder verneinen können. Der Mensch braucht die Freiheit, um zu sein, was er sein soll. Liebe gibt es nur in Freiheit. Hingabe ist nur möglich, wo auch Verweigerung sein könnte.

Wer von Gott verlangt, er müsse den Menschen unfehlbar machen oder zumindest jetzt das Böse in der Welt mit aller Macht austilgen, der würde auch das Ende der Menschheit verlangen. Meist behaupten wir allerdings, es seien nur die anderen, die die Welt kaputtmachen. Doch richtig sehen wir die Sache erst, wenn wir mit einem betroffenen Gewissen entdecken, daß uns das selber angeht, ja daß es uns zuerst angeht: Wir sind es, die mithelfen, Gottes gute Welt wieder kaputt zu machen.

Doch zum Glück brauchen wir nicht an der Vergangenheit kleben bleiben Gott wirft uns nicht nur vor: „Ihr habt euch euer Unheil ja selbst bereitet!“ Vielmehr will er uns herausführen und setzt einen neuen Anfang. Gott wendet sich uns freundlich zu. Diesen Anfang sollten wir nicht versäumen. Und wir sollten immer wieder die Gelegenheit ergreifen, Gott unser Vertrauen zu erweisen.

 

 

Jak 2, 1 - 13 (evtl. 1 - 9) (18. Sonntag nach Trinitatis):

Früher gab es Beerdigungen in drei Klassen: Wer das Geld bezahlen konnte, der wurde mit allem Aufwand vom Pfarrer beerdigt. Wer weniger hatte, der konnte sich wenigstens ein stilles Begräbnis leisten. Und die Armen mußten froh sein, wenn wenigstens der Kantor für ein paar Pfennige Entgelt mitging und am Grab ein Vaterunser sprach. Die meisten wurden ohne kirchliche Mitwirkung bestattet. Die bürgerliche Schichtung in drei Klassen spiegelte sich auch in der Kirche wider.

Der Jakobusbrief dagegen mahnt die Gemeinde: „Haltet den Glauben an Jesus Christus frei von aller Ansehung der Person!“ Doch auch bei und sind die Zeiten noch gar nicht so lange vorbei, daß man bei der Beerdigung Unterschiede machte: War jemand aus einer angesehenen und reichen Familie verstorben, dann wurde mehr geredet und mehr gelobt als bei „gewöhnlichen“ Leuten.

Dabei gibt es an sich nur einen Anlaß, weshalb man bei einer Trauerfeier beim Lebenslauf einmal etwas mehr sagen könnte. Das ist, wenn der Betreffende sich kirchlich aktiv gezeigt hat und sich vielleicht besondere Verdienste um die Kirche erworben hat. Das ist der einzige Maßstab, den man an das Leben eines Menschen anlegen sollte.

Wenn heute noch Unterschiede gemacht werden, dann von der Gemeinde her: Wenn jemand aus einer alteingesessenen Familie gestorben ist, vielleicht noch ein Geschäftsmann, dann kommen viele Leute zur Trauerfeier. Wenn jemand noch jünger war und vielleicht noch gar besondere Umstände vorliegen, dann kann es sogar Andrang geben. Dabei wird aber nicht danach gefragt, ob der Betreffende sich zur Gemeinde gehalten hat.

Wenn dagegen eine alte Frau oder eine Zugezogene stirbt, die jeden Sonntag im Gottesdienst war, dann ist die Beteiligung oftmals gering. Gerade die Gottesdienstgemeinde sollte da doch empfinden: Hier ist jemand vom uns heimgerufen worden, dem sollten wir jetzt die letzte Ehre erweisen. Aber dann wird vielleicht gerade noch den Angehörigen die Hand gedrückt und

dann macht man sich wieder heimlich still und leise davon..

Ansehen der Person gibt es leider auch heute noch in unseren Gemeinden. Es ist nicht mehr der Besitz oder der Verdienst, der da eine Rolle spielt. Aber es sind vielleicht der Einfluß und die Beziehungen, die einer hat, die uns Unterschiede machen lassen. Wir fühlen uns verpflichtet, weil wir Vorteile für uns selbst erhoffen. Das aber ist auch „Ansehen der Person“.

Jesus war vor allem am Tisch der kleinen Leute zu finden, war bei den Verachteten und Beiseitegeschobenen. Den Armen hat er das Evangelium gebracht und hat sie selig gepriesen.

Die Liebe zum Nächsten zeigte sich für ihn besonders in der Art und Weise, wie man mit den Armen umgeht.

Allerdings geht es bei Jakobus auch nur um ein innergemeindliches Problem. Die Herstellung einer gerechten Gesellschaftsordnung war nicht im Blick. Es ist wohl auch nicht die Aufgabe der Gemeinde Jesu, in das Ordnungsgefüge der Welt einzugreifen und das Reich Gotten auf weltliche Weise zu verwirklichen. Nicht die Menschen werden die Welt wandeln, sondern das Gottesreich wird vom Himmel kommen. Es geht nicht um Revolution, sondern um das Warten auf Gott.

Doch das heißt nicht, wir hätten der Welt im Namen Jesu Christi Rückständigkeit und Beharren zu predigen. Die gesellschaftlichen Ordnungen sind zwar ein „weltlich Ding“, aber nicht ein gottlos Ding. Auch in ihnen ist Gott als der Schöpfer und Erhalter wirksam. Aber sie gehören zum zeitlichen Leben und werden vergehen. Hier wird mit den Nichtchristen zusammen weltlich gehandelt. Da geht es um Vernunft und um die großen gesellschaftspolitischen Linien, um die sich in erster Linie die Politiker kümmern.

Dennoch kann die Gemeinde an ihrem Ort viel tun, damit sie selber ein gutes Beispiel abgibt und dem Gang der Dinge dadurch beeinflußt. Das Beispiel des Jakobusbriefes ist eindrucksvoll: Da betritt ein prächtig gekleideter Mann die Gemeindeversammlung. Aller Augen wenden sich ihm zu. Und noch schlimmer: Er bekommt einen bevorzugten Platz. Und am noch am Schlimm­sten: Der Arme muß jetzt stehen oder sich auf den Boden hocken. Und das wird von allen Seiten als selbstverständlich angesehen; der Reiche ist es gewohnt, daß man ihn so behandelt.

Bei uns könnte es sein, daß man die größten Kirchensteuerzahler für die wichtigsten Gemeindeglieder hält. Es geht dabei nicht nur ums Geld, sondern auch wie einer gekleidet ist, wie er wohnt, was er sich alles leisten kann. Wenn ein hoher Besuch zu uns kommt, dann verhalten wir uns doch auch gleich anders.

Dadurch aber werden die anderen herabgesetzt, die nicht so mithalten können. Der Mensch braucht aber Ehre und Ansehen, bei den Menschen und auch bei Gott. Was man in der Theologie die „Rechtfertigung“ nennt hat bei den meisten Menschen doch einen hohen Rang. Manche meinen sogar, es sei leichter, Hunger zu leiden, als ohne Ehre und Ansehen leben zu müssen. Das war halt auch mit eine der Sünde des Kapitalismus, daß er den Abhängigen ihre Ehre vorenthalten hat, nicht nur das Brot, sondern auch die Wertschätzung.

Auf der einen Seite gibt es also Personenkult, auf der anderen Seite aber Menschenverachtung. Beides aber verträgt sich nicht mit dem Glauben an Jesus Christus. Man kann nicht an Christus glauben und gleichzeitig auf die Vorzüge bestimmter Menschen sehen. Es steckt eine falsche Menschengläubigkeit in dem Respekt vor den Hochgestellten und Erfolgsmenschen. Dabei geht es nicht nur um Männer, es kann es sich auch um eine Frau handeln, die schön und geistvoll ist und gar manchen fasziniert. Auch das ist Personenkult.

Liebedienerei gegenüber den Großen ist immer auch ein Versuch, sich selbst an ihnen aufzuwerten. Nur zu gern läßt man dann in ein Gespräch einfließen, daß man sich mit diesem oder jenem Prominenten duzt. Doch das geschieht dann auf Kosten des einfachen Menschen, der in seinem Winkel steht oder auf dem Boden sitzt. Darüber geht aber vergessen, daß Christus gerade zu ihm steht und ihn nicht weniger aufgewertet hat als alle anderen.

Was an unserer Nächstenliebe ist, wird sich daran zeigen, wie wir mit den Menschen umgehen, der uns gerade nicht fasziniert, der unseren Blick nicht au sich lenkt und von dessen Beachtung wir selbst keinen Gewinn haben. Dann wird unsre Liebe sich dem zuwenden, der

Von Jesus geliebt und angenommen ist. Das aber sind die verachteten und oft übersehenen und gedemütigten „Armen“, die es in vielerlei Gestalt auch unter uns gibt. Nur sind es nicht immer die an Geld Armen, sondern die Verachteten und Zukurzgekommenen.

Insofern gibt es dann doch ein „Ansehen der Person“. Gott ergreift nämlich Partei für die Armen, er wendet sich dem besonders zu, der es am nötigsten hat. Er ist immer auf der Seite derer, die nach Hilfe schreien. Aber die Reichen sollen deshalb nicht gleich ausgeschlossen werden. Aber Reichtum gibt eben Macht und diese Macht wird oft in sündiger Weise ausgenutzt. Wohlstand läßt Gott leicht vergessen und der Reichtum wird leicht zum Götzen. Aber auch die Reichen sollen von der Möglichkeit zur Umkehr zu Gott nicht ausgeschlossen werden.

Doch Gott will ganzen Gehorsam. Wir führen normalerweise ein geordnetes Leben und zeigen ein christliches Wohlverhalten. In unserem Lebenskreis leben lauter so brave Christen wie wir, gottesfürchtig und fromm, mit guten christliche Manieren und ernsthaftem christlichem Wollen.

Aber dann passiert so ein Fall, wie ihn der Jakobusbrief schildert: Da muß eine gebrechliche Oma plötzlich hinter einem berühmten Ankömmling zurückstehen. Da wird ein Privatpatient dem Kassenpatienten vorgezogen. Da kriegt der eine die begehrten Eintrittskarten und der andere nicht.

Damit aber stimmt doch das Ganze nicht mehr. Liebe muß sich aber auch in diesem Ernstfall bewähren. Gott will uns ganz. Er will das Herz, die Mitte der Person. Er will in unseren Gedanken und in unserem Wollen und Begehren regieren.

Hat er uns in der Mitte, dann hat er uns ganz. Dann begreifen wir auch: Gottes Barmherzigkeit ist mit uns allen. Aber unsere Barmherzigkeit soll mit denen sein, die uns brauchen.

 

 

Jak 4, 13 - 15 (Neujahr):

Herzlichen Glückwunsch: heute haben wir alle etwas gewonnen, nämlich 365 Tage (in manchen Jahren auch 366 Tage). Es gibt eine Neujahrsglückwunschkarte, die als Scheck gestaltet ist. Heute wird uns allen ein Scheck über 365 Tage überreicht. Wir haben alle einen Spielraum voller Chancen gewonnen. Was im letzten Jahr schiefgelaufen ist, mag uns auch heute noch etwas belasten. Aber nun haben wir die Möglichkeit, alles anders zu machen. Wir können neue Kräfte gewinnen, neue Freunde, neue Anerkennung, größere Unabhängigkeit und materielle Sicherheit. Es soll ein Jahr des Vorankommens werden.

 

(1.) Ihr dürft nicht so tun, als ob es Gott nicht gäbe:

Als Beispiel werden die Kaufleute genannt, die sagen: „Heute oder Morgen wollen wir aufbrechen in diese oder jene Stadt; dort werden wir ein Jahr bleiben, Handel treiben und Gewinne erzielen!“ Aber das ist nur der Spezialfall einer weltlichen Gesinnung, wie man sie überall antreffen kann, auch unter Christen. Viele wollen doch eigenmächtig ihren Lebensentwurf machen und sind auf Gewinn und Erfolg aus. Und so könnte uns auch die Startsituation des Neujahrsmorgens dazu verführen, unsere Pläne ohne Gott zu machen.

Daß wir uns nicht falsch verstehen: Es ist uns keineswegs verboten, die Zukunft zu planen. Wir würden schuldig, wenn wir es nicht täten. Das war 1978 in einem niederländischen Dorf so, wo eine ganze Reihe Kinder an Kinderlähmung erkrankten. Der Grund war: In der konservativ eingestellten Kirchengemeinde hatte man die Schutzimpfung abgelehnt. Das ist wahrhaftig Gottvertrauen am falschen Ort. Hier hat man die notwendige und mögliche Planung in sträflichem Leichtsinn unterlassen.

Seine Verantwortung wird der am besten wahrnehmen, der am weitesten und kenntnisreichsten vorausdenkt. Und von seinen Erkenntnissen her wird er die heute schon fälligen Entschlüsse fassen. Wir können es uns nicht leisten, aufs Geratewohl zu leben. Der Staat muß planen, die Firmen haben einen Plan, und wir selber haben auch alle so etwas wie einen Plan für unser Leben.

Man muß sich die Ausbildung und den Berufsweg überlegen. Anschaffungen und deren Finanzierung wollen genau erwogen sein. Wir denken auch schon wieder an Urlaub. Wir nehmen uns vor, die Familie solle nicht mehr zu kurz kommen und zerbrechen uns den Kopf, wie wir Zeit einsparen können. Das alles will vorbedacht sein. Und es ist nicht christlich, einfach in den Tag hinein zu leben.

Aber es könnte sein, daß wir die Rechnung ohne den Wirt machen wollen. Der Jakobusbrief warnt uns davor, Pläne zu machen, in denen Gott gar nicht vorkommt. Für uns als Christen wird Gott schon im Grundsatz einen Platz in unserem Leben haben. Aber es könnte sein, wir haben ihn faktisch ausgeschaltet und abgeschafft. Unsere Wünsche und Vorbereitungen könnten ja quer zu dem stehen, was Gottes Wille ist. Wir wissen es genau, wollen es aber nicht wahr haben. Gott stört uns letztlich bei unseren Plänen. Deshalb tun wir gerne so, als hätten wir ihn nicht gehört

Oft sind wir aber auch nicht darauf gefaßt, daß Gott uns anders führen wird, als wir es uns gedacht und vorgenommen haben. Es könnte doch sein, daß Gott uns in den Weg tritt und unsere Pläne durchkreuzt. Er könnte uns die Sorge für einen Menschen auferlegen, so daß unser ganzes Jahresprogramm umgestoßen wird. Wenn einer krank wird, kann vielleicht der Urlaub nicht wie geplant durchgeführt werden. Oder bestimmte wirtschaftliche Ziele lassen sich nicht mehr erreichen. Wir können unsere Zukunft nicht in einen leeren Raum hinein entwerfen. Aber im Vorraum der Zukunft werden wir auf Menschen treffen und auf Dinge stoßen, die alle Pläne umwerfen. So können wir nun als Zweites sagen:

 

(2.) Ihr könnt nicht wissen, was morgen sein wird: Wir gehen ins Unbekannte. Das Leben ist immer ein Abenteuer. Wir schließen Versicherungen ab, aber damit gestehen wir ja gerade ein, daß ein Risiko vorhanden ist. Deshalb versuchen wir, die Entwicklung in den Griff zu bekommen. Alles Planen hat ja letztlich dieses Ziel. Angeblich sollen ja bestimmte Gesetzmäßigkeiten vorliegen, die man an der Vergangenheit studieren kann, um sie dann auf die Zukunft zu übertragen. Aber bestenfalls entscheiden wir heute mit darüber, was morgen sein wird. Wenn wir heute das Richtige und Notwendig tun, dann wird das der Zukunft zugutekommen.

Vielfach leben wir doch einfach von der Hand in den Mund. Um die kurzfristigen Interessen zu befriedigen, wird auf Kosten der Zukunft gelebt, auf Kosten der Kinder und Enkel. Es wird Raubbau mit dem Boden, dem Wald, der Luft, dem Wasser und den Rohstoffquellen getrieben. Unser Trieb des Besitzen- und Habenwollens kann damit vorerst noch befriedigt werden. Aber auf die Dauer wird dadurch das Leben gehemmt.

Deshalb gilt es, eine Zukunft zu planen und zu gestalten, die allen und nicht nur wenigen dient, in der auch künftige Generationen noch einen Platz haben und nicht nur wir heutigen. Wenn wir hier versagen, dann können wir in der Tat die Zukunft voraussehen, allerdings dann eine sehr düstere Zukunft.

Aber allgemein gilt, daß wir nicht wissen können, was kommt. Selbst die Journalisten, die doch das Gras wachsen hören, können ihre Zeitung nicht eine Woche im Voraus schreiben. Und die Experten, die vollmundig die Pläne für das neue Jahr verkünden, werden vielfach selber

nicht daran glauben, daß ihre Zahlen realistisch sind. Doch vielleicht muß man immer mehr fordern, um überhaupt etwas zu erreichen. Auch persönlich werden wir froh sein, wenn sich wenigstens etwas von unsren Plänen verwirklichen läßt.

In unsrem Terminkalender haben wir vielleicht schon allerhand Eintragungen für das neue Jahr. Aber im Grunde kennen wir doch auch, alle das Scherzwort: „Erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt!“

Doch die Zukunft bringt ja nicht nur Probleme und Schwierigkeiten. Wir dürfen ja auch auf beglückende Überraschungen und Geschenke hoffen. Neue Menschen und unerwartete Erlebnisse werden auf uns zukommen. Unser Leben bleibt ein Abenteuer, und wir werden noch manche Entdeckung machen können.

Nur gut, daß das Leben nicht immerzu nach bekannten Programmen verläuft. Wir können jede Einzelheit des Lebens voraussehen wie das Rücken des Zeigers und das Ausholen des Hammers zum Stundenschlag. Ehrlich gesagt: Die Gleichförmigkeit des Alltags ödet uns ja auch an. Nur das Unerwartete fasziniert und macht das Leben abwechslungsreich. Zum Glück ist Gottes Welt sehr reichhaltig und seine Gaben und Fügungen sind vielfältig.

Aber es wird auch Beschwerliches und Bedrückendes kommen. Das gehört auch mit zum Aben­teuer des Lebens hinzu. Gut, daß wir nicht alles voraussehen können. Gott meint es gut mit uns, wenn er uns die Belastungen nur von Fall zu Fall zuteilt. Wir brauchen nicht noch ein bedrückendes Wissen mit uns herumschleppen.

Das setzt allerdings voraus, daß wir uns wirklich von Tag zu Tag unser Pensum von Glück und Leid zuteilen lassen. So hat es ja Eduard Mörike in seinem Gedicht ausgedrückt:

Herr, schicke, was du willst, ein Liebes oder Leides.

Ich bin vergnügt, daß beides aus deinen Händen quillt.

Wollest mit Freuden, wollest mit Leiden

mich nicht überschütten.

Doch in der Mitten ist holdes Bescheiden.

Vor allem aber wissen wir, daß wir nicht das Ende unserer Tage wissen. Am Anfang eines Jahres können wir uns nur wundern, daß wir noch da sind, so wie etwa alte Menschen sagen: „Ich hätte nie gedacht, daß ich einmal so alt werde!“ Jeder Morgen, den wir erleben, ist ein Geschenk des Schöpfers. Aber wir wissen um die Begrenztheit unserer Zeit. Wir sind nur ein Dampf, der bald verschwindet. Eines Tages - Gott weiß ihn schon - werden wir nicht mehr dabei sein. Diese Tatsache setzt unserer Eigenmächtigkeit die schärfste Grenze.

Als glaubende Menschen werden wir aber Gottes verborgene Fügungen annehmen. Er weiß, wie es sein wird. Es sollte immer heißen: „Wie Gott will!“ In der dritten Bitte des Vaterunser beten wir das ja immer. Wir sollten aus dann daran festhalten, wenn es einmal ganz schwer werden sollte. Dann werden wir uns nicht wundreiben an dem, was auf uns zukommt, sondern auf das eingehen, was uns zugedacht ist. Aber ein Drittes ist nun auch noch zu sagen:

 

(3.) Ihr sollt ausschöpfen, was Gottes Wille euch anbietet! Gottes Wille versperrt uns nicht nur Wege und schneidet nicht nur Möglichkeiten ab. Er eröffnet uns auch Möglichkeiten und schenkt uns Leben. Der Jakobusbrief fordert uns auf: „So solltet ihr sagen: Wenn der Herr will, werden wir leben und dieses oder jenes tun!“ Wir dürfen damit rechnen, daß unser Herr tatsächlich will. Er will nur Gutes und gibt uns die Möglichkeit zum Wirken

Gott gibt uns sogar eine Fülle von Möglichkeiten. Er hat uns ja als freie Geschöpfe gewollt. Er gewährt uns viele Möglichkeiten. Innerhalb seines Freiraums dürfen wir uns entfalten

und wirksam werden.

So werden wir heute ermutigt zu einem neun Anfang unter dem guten Willen unseres Herrn. Er gewährt uns das Leben in der Zeit. Er läßt ans Pläne machen für das neue Jahr. Er fordert uns auf, eine Zukunft für alle zu gestalten, in der wir und andere überleben können. So gibt er uns die Chance, ihm und seinen Menschenbrüdern zu dienen.

 

 

Jak 5, 7 – 8 (2. Advent):

Vor Jahren haben Mitglieder einer islamischen Sekte die große Moschee in Mekka überfallen Sie wollten den Beging des Jahres 1400 nach islamischer Zeitrechnung dazu nutzen, um im höchsten Heiligtum des Islam einen neuen Propheten auszurufen. Der Anführer der Gruppe wurde aber lebend gefangen, während viele andere Menschen umkamen und beträchtlicher Sachschaden entstand. Die Leute jener Sekte konnten eben nicht warten. Vor lauter Ungeduld griffen sie zum Mittel der Gewalt.

Der Jakobusbrief dagegen mahnt: „Seid geduldig bis auf den Tag, an dem der Herr kommt!“ Das ist leichter gesagt als getan. Wenn man kurz vor Abfahrt eines Zuges auf den Bahnhof kommt und hat noch keine Fahrkarte und am Schalter oder am Automaten steht eine Schlange von Menschen - wie soll man da nicht die Nerven verlieren und von einem Bein aufs andere trippeln? Wir sind alle einmal ungeduldig, in unsrer schnellebigen Zeit noch mehr als früher. Keiner hat mehr Zeit, und doch muß jeder warten. Wenn der Handwerker nicht kommt, können wir ihn nicht herbeizwingen. Und wenn wir dringend ein Paket erwarten, dann kommt es auch nicht schneller, wenn wir jeden Tag auf die Post rennen.

Manchmal braucht man nicht nur Geduld, sondern auch Humor. Eine Kirchengemeinde wartete dringend auf einen neuen Ofen für die Kirche. Es war kalt und die Leute froren. Der Pfarrer fragte bei der Firma an. Dort hatten sie einen sachkundigen Mann für solche Dinge. Er schickte nur ein Telegramm mit folgendem kurzen Text: „Gesangbuch Nummer 9, Vers 6!“

Man schlug nach und las: „Er wird nun bald erscheinen in seiner Herrlichkeit, und all euer Klag und Weinen verwandeln ganz in Freud. Er ist's, der helfen kann; halt eure Lampen fertig und seid stets sein gewärtig, er ist schon auf der Bahn!“

Das Lied meint natürlich nicht einen Ofen oder sonst etwas Ähnliches, sondern Jesus Christus, den wiederkommenden Herrn. Aber warten wir denn eigentlich so auf ihn, wie wir auf all die notwendigen Dinge unseres täglichen Lebens warten? Haben wir nicht vielleicht schon aus unseren Erwartungen ausgeschieden, was die ersten Christen noch brennend erwartet haben? Dabei waren diese in ziemlicher Bedrängnis und hätten eine schnelle Änderung ihrer Verhältnisse dringend gebraucht.

Aber es wird ihnen gesagt: „Die Gerechten leisten keinen Widerstand! Habt Geduld, der Herr wird alles machen! Keine Revolution! Ihr werdet die Welt nicht wandeln durch die Kraft eures Hasses oder die Macht eurer Arme, sondern allein Gott wird die neue Welt heraufführen!“

Schon zur Zeit Jesu gab es ja schon allerhand Leute, die die Herrschaft Gottes herbeizwingen wollten. Da waren die Pharisäer, die es auf dem Weg über die Einhaltung des Gesetzes versuchten. Sie sagten: „Wenn das ganze Volk nur einen Tag lang einmal alle Gesetze Gottes einhält, dann kommt das Himmelreich!“. Dann gab es die Zeloten, eine Befreiungsbewegung, die mit Gewalt gegen die römische Besatzungsmacht kämpfte, um so einen allgemeinen Aufstand hervorzurufen, der das Eingreifen Gottes nötig machen würde. Und dann gab es die Mönche in dem Kloster Qumran am Toten Meer, die zum endzeitlichen Krieg gegen die Söhne der Finsternis rüsteten. Und schließlich gab es Johannes den Täufer und seine Jünger, die mit der Worfschaufel die Spreu vom Weizen trennen wollten.

Der Jakobusbrief aber hält nichts von einer solchen eifernden Naherwartung. Er hält nichts davon, daß man Gott die Tür einrennen will, damit er endlich selbst eingreift. Der Brief mahnt zur Geduld und sagt: „Laßt nicht eurer Leidenschaft den Lauf, sondern haltet sie über eine lange Zeit hin fest!“ Das Drängerische war nicht die Art Jesu, und schon gar nicht die Anwendung von Gewalt. Er war zwar radikal in seinen Forderungen und Mahnungen, er machte sich gerade zum Anwalt der Armen und Abgehängten, aber er drängte sich niemandem auf. Jesus selber hatte den „langen Atem“, vom dem auch der Jakobusbrief spricht. Er sprach zwar davon, daß jederzeit die Herrschaft Gottes anbrechen könne. Aber er sprach auch zuweilen von ihrem Ausbleiben und daß man Tag und Stunde nicht wissen könne.

So werden wir immer wachsam sein müssen, aber nicht fieberhaft und aufgeregt, sondern wach mit allen Sinnen und Gedanken. Keiner darf nur immerzu vom Künftigen träumen, sondern er ist auch der Gegenwart verpflichtet. Gerade weil man einen Ausblick auf die Zukunft Gottes hat, kann man in der Gegenwart guter Dinge sein. Als Christen schauen wir auf das Morgen und versäumen doch nicht das Heute.

Nur wissen wir im Gegensatz zu den Gottlosen: Die Zukunft liegt nicht in dieser Welt begründet, sondern bei Gott. Der Zustand der Verhülltheit wird einmal aufhören und Gott wird in all seiner Herrlichkeit da sein. Wir warten nicht auf irgendetwas, sondern auf den, den wir aus der Bibel kennen, der eine Person ist, zu der wir in Beziehung treten können. Ihn haben wir immer noch vor uns, wir haben immer noch einen, auf den wir uns freuen können und der uns noch einmal überraschen wird.

Heute gibt es Endzeiterwartungen auch in weltlicher Gestalt. Der weltweite Terrorismus hat etwas Drängerisches an sich; er kann nicht warten, sondern möchte sofort die Welt verändern. Auch der Sozialismus ist eine weltliche Form der Erwartung. Heute unterscheidet man zwar zwischen utopischem und wissenschaftlichem Sozialismus: Den ersten tut man als Schwärmerei ab, nur die zweite Form soll richtig sein. Aber wenn man manche Leute hört, dann schwär­men sie von einer neuen Welt, die der Sozialismus heraufführen soll. Man hofft, ein innerweltliches Paradies schaffen zu können, lieber heute als morgen.

Dabei wissen wir und erfahren es täglich neu, daß nicht jedes zu jeder Zeit zu verwirklichen ist. Wir müssen auf vieles warten, was wir doch so dringend wünschen. Es gibt ja alles, nur eben nicht immer und nicht überall. Hier sachlich und nüchtern zu sein, ist auch eine christliche Tugend. Man muß nicht immer alles aufs Beste haben. Als Christen sollten wir den Mut dazu haben, uns entsprechend einzurichten, weil für uns das Leben in dieser Welt nicht das Letzte ist, sondern überboten wird durch das Leben bei Gott.

Wir können unser Leben vergleichen mit einem Weg, sagen wir einmal mit einer Landstraße. Da stehen am Rand die Kilometersteine, die unsere Lebensjahre angeben. Wir wissen: Es geht immer vorvorwärts. Wer einmal 30 ist, kann nicht wieder 15 werden und sein Leben noch einmal leben. Es geht immer nur vorwä.rts in die Zukunft. Entscheidend wird aber sein, daß wir das Ziel kennen und den, der uns dort erwartet.

Eine Landstraße aber manchmal sehr lang werden. Da gilt es, nicht vorzeitig zu rasten oder gar aufzugeben. Erst am Ziel begegnen wir dem Herrn, zu dem wir wollen. Das Durchhalten kann unter Umständen eine anstrengende Sache sein, aber es lohnt sich, noch einmal alle Kräfte einzusetzen, so wie ein Marathonläufer, der in Stadion kommt und noch eine Runde zu laufen hat Es lohnt sich, für Gott wach zu bleiben und ihn in alles Wollen und Planen einzukalkulieren.

Jedes menschliche Drängen ist aber auch überflüssig, weil wir ja die gewisse Zuversicht haben, daß Christus kommt. Nicht wir müssen kommen, sondern e r kommt. Die Tage bis zum. Weihnachtsfest können wir berechnen, aber die Tage bis zur Wiederkunft Christi können wir nicht feststellen. Da gilt es, Geduld zu haben und wachsam zu bleiben.

Wenn ein Bauer gesät hat, dann muß er auch warten können. Wenn er durch irgendwelche Eingriffe den Wachstumsprozeß beschleunigen wollte, würde er ihn wahrscheinlieh nur stören. Er kann alles tun, um die Pflanze zu fördern und ihr zu helfen. Aber die Natur braucht ihre Zeit. Dem Bauern genügt ein Blick, um zu sehen: „Es ist noch nicht so weit!“ Das bedeutet aber für ihn:

Er kann noch andere Arbeit tun, die auch nötig ist. Er kann beruhigt an die andere Arbeit gehen, weil er ja weiß: Das Warten lohnt sich, die Ernte kommt bestimmt. Man holt keine unreifen Äpfel vom Baum, sondern wartet, bis sie ihre volle Pracht entfaltet haben.

So kann auch der Mensch für das Kommen der Herrschaft Gottes nichts tun. Aber er darf gewiß sein, daß Jesus kommt, und dann wird Erntezeit sein. Das soll aber nun nicht heißen, daß

man bis dahin gelähmt sein müßte. Es gibt viele Aufgaben in der Welt, und ihnen dürfen

wir ruhig und mit Überlegung nachgehen. Auch der Jakobusbrief hat sich laut für die Armen und gegen die Reihen ausgesprochen. Aber er sieht es unter dem Gesichtswinkel der letzten Ankunft Jesu Christi.

Wenn man kein Ziel vor Augen hat, dann sagt man: „Komm ich heut nicht, komm ich morgen!“ Wer aber weiß, daß er unter Umständen nicht mehr lange Zeit hat, lebt intensiver. Wer bald sein Leben zu verantworten hat, nimmt es ernster. Er wird seine Arbeit mit mehr Verantwortungsbewußtsein tun. Das Leben bekommt eine neue Qualität, wenn man es vom Advent Jesu Christi hersieht. Man wird sachlich und bescheiden und weiß: Gott läßt im Stillen eine Saat heranreifen, deren Früchte uns einmal zuteil werden sollen.

Die Schwärmer und Dränger sind nicht die geeigneten Leute, in der Welt Ordnung zu machen. Wer kämpft, als wollte er den Himmel auf die Erde holen, der dient nicht der Erde. Wer aber auf den Herrn Christus wartet, für den ist alles auf dieser Welt nur etwas Vorletztes.

Er wird auch Enttäuschungen ertragen und sich davon nicht umwerfen lassen. Er wird seine Verantwortung erkennen, aber auch eine große Hoffnung haben.

 

 

Jak 5, 13 – 16 (19. Sonntag nach Trinitatis):

Wenn einer krank ist, dann holen wir den Arzt. Wir haben ein fast unbegrenztes Vertrauen zu den Medizinern, die vielfach noch angesehen werden wie Medizinmänner: Sie haben ein Geheimwissen, das unseren Fähigkeiten weit überlegen ist. Sie können den Menschen wieder reparieren und funktionstüchtig machen; ohne sie sind wir verloren. Und wenn ein Arzt einmal an die Grenzen seines Vermögens kommt, dann kann er immer noch zu einem Spezialisten überweisen, der wird dann bestimmt helfen. Den Ärzten - diesen „Halbgöttern in Weiß“ - wird ein fast unbegrenztes Vertrauen entgegengebracht.

Aber niemand käme auf die Idee, jemand vom Kirchenvorstand zu holen, wenn einer krank ist. So aber empfiehlt es der Jakobusbrief. Allenfalls erwartet man noch, daß der Pfarrer

die Kranken besucht. Aber selbst da wird das Naheliegende unterlassen. Ganz selten wird der Pfarrer einmal von Angehörigen um einen Krankenbesuch gebeten. Sie denken immer: „Der Pfarrer wird es schon erfahren! Der Nachbar ist doch im Kirchenvorstand, der wird es schonsagen. Aber weil jeder so denkt, tut es dann keiner. Und so erfährt der Pfarrer oft erst von einer monatelangen Krankheit, wenn der Patient verstorben ist.

Auch Eltern versäumen da manchmal etwas. Da lag der Sohn vier Wochen im Krankenhaus. Als er schon wieder daheim war, erwähnen sie es in einem Brief an die Pate. Da hat dann - zu Recht - gerügt, daß sie nicht verständigt worden war. Sie wollte ihm nicht nur ins Krankenhaus schreiben, sondern auch für ihn beten.

Aber meist überlassen wir uns im Krankheitsfall einseitig der ärztlichen Wissenschaft und trennen dadurch Geist und Seele vom kranken Leib. Wir vertrauen auf Medikamente zur äußeren Heilung und lassen die Seele im Stich. Gott aber will dem g a n z e n Menschen Heilung bringen. So haben das Jesus und die Apostel und die ersten Christen gesehen. Sie haben Geist und Seele nicht von dem kranken Leib getrennt. Heute weiß auch die Medizin wieder, daß bei einer Behandlung der ganze Mensch im Auge bleiben muß: Es ist nicht nur ein Magen, sondern ein Mensch mit all seinen Sorgen und Nöten, die ihn ja erst so krank gemacht haben. Krankheit wirkt sich auf den inneren Menschen aus, und das Innere des Menschen beeinflußt wiederum die Krankheit.

Natürlich muß man sich davor hüten, den Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung an jedem konkreten Einzelfall nachweisen zu wollen. Wir können nicht einem Kranken sagen: „Du hast eine bestimmte Sünde begangen, die Krankheit ist die Strafe dafür; wenn du gesund werden willst, mußt du erst deine Sünde bekennen und Vergebung erlangen!“ Aber wie alle Dinge so haben auch Gesundheit und Krankheit mit Gott zu tun, Gott ist für Körper und Seele zuständig. Deshalb dürfen wir von Gott Gesundheit und Heilung erbitten, aber wir dürfen auch Sünden bekennen und werden so das Heil erlangen. Gott will uns beides geben: Heilung und Heil.

 

1.Wir dürfen Gesundheit und Heilung erbitten: Die Gesunden und Starken sollen für die Schwachen da sein. Zu leicht vernachlässigen wir die Leidenden. Sie kosten Zeit und machen Mühe. Sie sind auch oft nicht leicht zu behandeln. Mancher, der über die Eigenarten der alten und kranken Mutter gestöhnt hat, wird nachher im Alter selber so. Diese Menschen sind dann nicht leicht zu nehmen, weil sie ihrer Umgebung auf die Nerven gehen und bei allem ehrlichen Bemühen der anderen dennoch undankbar sind.

Es fällt uns auch schwer, miterleben zu müssen, wie wenig wir tun können. Wir möchten doch Erfolge sehen, fürchten uns aber vor der Macht des Unheils, das uns in der Krankheit entgegentritt. Auch haben wir eine gewisse Scheu, daß wir nur ja nicht unsre Vollmachten überschreiten und in den Bereich der Ärzte eingreifen.

Außerdem ist es uns natürlich leichter, uns mit den Fröhlichen zu freuen als mit den Leidenden zu leiden. Unbewußt haben wir vielleicht auch eine Abscheu vor dem Schwachen. Jedes Lebewesen hat einen Urtrieb             zum Starken, weil es einen leidenschaftlichen Willen zum Leben

hat. Durch Schwaches aber werden wir an die Hinfälligkeit des Geschöpflichen erinnert. Deshalb unterlassen wir so oft den Krankenbesuch oder tun ihn nur widerwillig und pflichtgemäß.

Ein Kranker darf aber nicht allein bleiben. Er gehört in besonderer Weise in die Gemeinschaft der Mitchristen hinein. Er soll nicht ausgesondert werden und soll sich auch nicht selbst aussondern.

Da ist seine Aufgabe, Hilfe in und durch die Gemeinde zu suchen. Kranksein ist dann nicht mehr nur die persönliche Notsituation des Einzelnen, sondern Leid der ganzen Gemeinschaft.

Das ist etwas Großes, wenn man diesen Dienst der Fürbitte erfahren darf: Da sind Menschen, die für dich beten, die dich nicht allein lassen, die dich nicht abschieben und abschreiben, sondern die dich und deine Not vor Gott bringen.

Aber oft lassen wir die Kranken, aber auch die Erschöpften und Überlasteten, allein? Viel nötiger als die Medizin brauchen sie vielleicht die Fürbitte und Geborgenheit in der Gemeinschaft. Für viele Kranke ist es das Schlimmste, wenn zu den Schmerzen der Krankheit noch Einsamkeit und Alleingelassenwerden kommen. Wie jämmerlich einsam wird heute meist gestorben, den Apparaten und Instrumenten ausgeliefert, ohne die Hilfe der Gemeinschaft. Manche Krankheit könnte schon geheilt werden, wenn der Kranke in einer Gemeinschaft geborgen würde.

Dabei muß gar nicht so viel geredet werden, sondern das Gebet könnte mehr im Mittelpunkt stehen. Da stehen die Glieder der Gemeinde füreinander ein. Da geht es auch um die Gesundung des ganzen Menschen. Wir trauen oft unsren Gebeten nicht viel zu. Aber Gott tut das Eigentliche. Legen wir einem Kranken zum Segen die Hände auf, so handelt Gott an ihm. Auch die Salbung des Kranken macht nur das Gebet konkret, macht dem Kranken deutlich, daß der Herr kraftvoll gegenwärtig ist. Wo sein Name genannt wird, da ist er selbst da. Er gibt Menschen den besonderen Auftrag, für ihn zu den Menschen zu gehen.

Manche wollen sich allerdings gar nicht helfen lassen. Angeblich wollen sie den anderen schonen und nicht belästigen. Aber vielleicht steckt dahinter auch ein gewisser Stolz, es allein schaffen zu wollen. Oder der andere soll nicht sehen, daß man schwach und verzagt ist. Oder man glaubt grundsätzlich nicht an den Gott, der helfen könnte. Aber man sollte seelsorgerliches Bemühen nicht als eine aufdringliche Einmischung in persönliche Angelegenheiten ansehen, sondern als Wahrnehmung eines Befehls Jesu.

Krankheitszeiten können Zeiten der Steigerung des Gebetslebens sein. Jetzt hat der Kranke Zeit, oft mehr, als ihm lieb ist. Jetzt kann er im Gespräch mit Gott Fragen durchdenken, zu denen ihm sein unruhiges Leben sonst nicht Zeit ließ. Jetzt kann er von Gott bewußt erbitten, was er sonst gedankenlos einkassiert hat.

Die Vertreter der Gemeinde können einen Kranken im Gebet mitnehmen und führen. Vielleicht hat er das Beten ja noch nie richtig gelernt. Oder er hat es wieder verlernt oder Anfechtungen haben das Gebet verhindert. Auf alle Fälle braucht ein Kranker die Verbindung mit Gott, ob er nun bald wieder gesund werden wird oder noch lange liegen wird oder gar heimgehen wird. Wir würden sicher mehr mit Gott erleben, wenn wir mehr wagten, wenn wir mehr an die Kraft des Gebets glaubten, wenn wir uns Mut machten zum Gebet des Glaubens.

 

2.Wir dürfen Vergebung erbitten und werden so das Heil erlangen: Krankenbesuch und Gebet sind eng mit Sündenbekenntnis und Vergebung verbunden. Heilung und Vergebung hängen aufs engste beieinander. Beides will Gott ja geben. Nur haben wir natürlich eine Scheu und ein Unbehagen, unsre Übertretungen auszusprechen. Doch es soll uns ja nichts abverlangt werden, sondern es soll uns etwas ermöglicht und zuliebe getan werden. Man braucht Sünden nicht behalten, sondern man darf sie abladen. Da bedarf es doch schon eines kräftigen und ermutigenden Anstoßes. Niemand spricht gern von seinen schwachen Stunden und von dem, was ihn vor Gott und den Menschen belastet.

Auch wenn es ein bißchen weh tut, sollte man am rechten Ort und in der rechten Situation das vielleicht längst fällige Wort sprechen. Auf alle Fälle ist mit demjenigen zu sprechen, an dem wir schuldig geworden sind. Man sollte beschwerende Zerwürfnisse nicht unbereinigt lassen. Unausgeräumtes, auch in kleinerem Ausmaß, belastet das Gemeinschaftsleben mehr, als wir oft denken. Es mag zwar Dinge geben, die die Zeit von allein heilt, aber darauf dürfen wir uns nicht verlassen.

Eine heimliche Schuld kriecht in irgendeinen Winkel unseres Wesens und bleibt nicht untätig. Schlechte Laune und Mutlosigkeit haben hier ihre Ursache. Man reagiert anderen Menschen gegenüber unfrei, hat bestimmte Träume. Es zeigt sich eine auffällige Gereiztheit, wenn es um bestimmte Dinge geht, mit denen man nicht fertig ist. Daraus entstehen dann auch körperliche Störungen, teils sehr massiver Art. Die Zeit der Krankheit kann dazu dienen, Inventur

zu machen.

Ein Sündenbekenntnis kann hier Linderung und Heilung schaffen. Es kann gegenüber einem Amtsträger der Kirche geschehen, aber auch im wechselseitigen Bekenntnis von Mensch zu Mensch, von dem Luther in den Schmalkaldischen Artikeln spricht. Wenn wir willig werden, uns hier helfen zu lassen, können uns Steine vom Herzen fallen. Die Vergebung liegt ja schon längst bereit, sie muß nur zu uns hindurehdringen und uns ergreifen. Wir brauchen nur in die Tat umzusetzen, was uns allen zugedacht ist.

 

 

 

Offenbarung

 

 

Offb. 1 ,4 - 8 (Himmelfahrt):

Das letzte Buch der Bibel, die Offenbarung des Johannes, hat es mit solchen Dingen zu tun, die man heute aus dem Fernsehen oder durch die Zeitung erfahren würde. Es geht um Kriege und Unruhen, Aufstände und deren Niederschlagung, Hungersnöte und Preislawinen, Seuchen und Naturkatastrophen. Und in dem allen lebt und wirkt die kleine Christengemeinde, die vom Staat bedroht und verfolgt wird. So sah der Alltag für die Christen am Ende des 1. Jahrhunderts aus.

Da konnte schon die Frage aufkommen: Wer regiert die Welt? Ist es der grausame Kaiser Domitian? Sind es die Generäle oder die Wirtschaftsführer oder die Geheimdienste? Oder ist es der Gott der Christen, der die Welt erschaffen hat und erhält? Unser Glaube ist, daß Gott der Herr der Weltgeschichte ist und in der Welt regiert und das Sagen hat.

Was er aber tut, das tut er durch uns Christen. Die Christenheit darf nicht Däumchen drehen und darauf warten, was ihr Herr vom Himmel her unternehmen wird. Da würden wir unseren Auftrag versäumen und hätten nicht erkannt, daß Gott aktiv wirken will.

Nur sind die Wirkungen des erhöhten Herrn nicht auf die Aktivitäten der Christen beschränkt. Und erst recht dürfen wir nicht so tun, als sei unser Tun deshalb erforderlich, weil Jesus ja nicht mehr als Person zur Stelle ist. Vielmehr hält der erhöhte Christus auch da die Dinge in der Hand, wo wir der Situation nicht gewachsen sind und nur allzu leicht alles für verloren halten.

Die Offenbarung des Johannes ist ein Trostbuch für die angefochtene Gemeinde. In ihrem Gottesdienst findet sie Kontakt mit der „oberen Wirklichkeit“, mit dem dreieinigen Gott. Dieser Gott war in Jesus Christus da, aber er ist in ihm auch der Kommende, der ihnen die Zukunft garantiert. Alles ist in den Händen Jesu.

Jesus ist als König beim Vater: Himmelfahrt läßt zunächst den Eindruck entstehen, als sei Christus den Menschen entrückt und entzogen. Er weilt ja nicht mehr sichtbar unter den Seinen, sondern er ist wieder in die Verborgenheit Gottes eingetaucht. Es sieht so aus, als sei die Welt wieder ohne Gott.

Es sieht also so aus, also ginge die Geschichte der Welt weiter ihren Gang, ohne Christus, sich selbst überlassen, mit einer unaufhaltsamen Eigengesetzlichkeit. Und was „in Kürzer“ geschehen soll, das ist auf einmal belastend und beängstigend. Die Geschichte verläuft so, als hätte Gott in der Welt verloren. Verloren hat Gott, wo in der Welt gestöhnt und geseufzt wird und wo er der Nöte nicht mehr mächtig zu sein scheint. Verloren hat er aber auch, wo der römische Kaiser triumphiert und er sich gegen seine Selbstvergötzung nicht durchsetzen kann. Die glaubende Gemeinde leidet unter der Verborgenheit Gottes.

Mitten in diese Lage hinein hat Johannes seinen Friedensgruß auszurichten: „Gnade sei mit euch und Friede!“ Dieser Gruß scheint wie ein Hohn zu sein. Aber der Glaube denkt nicht nur auf e i n e r Ebene. Er sieht über das Erfahrbare hinaus und rechnet mit dem, was nicht von dieser Welt ist.

Doch die Welt bleibt nicht sich selbst überlassen. Jesus kommt. Er bleibt nicht im Hintergrund, in seiner tiefen Verborgenheit. Er will wieder in der Welt Fuß fassen. Ja, noch mehr: Er will in ihr wieder der Herr werden und sich in ihr durchsetzen. Er ist nicht durch die Erhöhung von uns fern gerückt, sondern er hat Teil an der Weltgegenwart und an der Gewalt Gottes.

Allerdings ist seine Herrschaft noch unter dem Kreuz verborgen. Wir können es nicht sehen, daß er Macht hat über die Geschichte. Aber es geschieht nichts ohne seinen Willen. Natürlich: Wer von dem Kommenden nichts wissen will, wird an seiner Herrschaft irre werden. Aber die wartende und hoffende Gemeinde nimmt seinen Friedensgruß an als die gültige Zusage seines Kommens.

Auch die sündige Welt bezieht alles aus seiner Hand, was sie zum Leben braucht, auch wenn sie es nicht wissen will. Auch der Kaiser hätte sein Amt nicht, wenn Gott es nicht wollte. Auch der amerikanische und der russische Präsident sind Werkzeuge Gottes. Der amerikanische Präsident würde dem sicher sofort zustimmen, denn er fühlt sich so etwas wie ein Stellvertreter Gottes, zumindest für sein eigenes Land. Der russische Präsident dagegen wird nicht anerkennen wollen, daß er im Auftrag Gottes handelt. Aber vielleicht tut er mehr im Sinne Gottes als die, die sich Christen nennen.

Durch seine Erhöhung wurde Jesus nicht nur so etwas wie ein König, ein Herrscher, der an der Regierung über die Welt beteiligt ist. Er ist auch so etwas wie ein Priester, der Vermittler zwischen Gott und den hoffnungslos von Gott Entfremdeten. Er macht Frieden und verbürgt sich mit seiner Person dafür. So regiert er nicht gegen die Welt, sondern f ü r sie.

Sicher wird man fragen, warum zwischen Himmelfahrt und Wiederkunft so ein quälend langer Zeitraum bleibt, in dem die Sünde sich in der Welt immer noch austoben kann. Aber Christi Verborgenheit ist auch die Chance für die Welt: Die Welt besteht noch, weil sie diesen Für­sprecher hat. Vielleicht hätte diese verkommene Welt schon längst ein Ende haben müssen. Aber weil Jesus wie ein Priester für die Seinen bittet, wird das Gericht erst noch aufgehalten.

Jesus macht aber auch uns zu Priestern: Die sieben Gemeinden sind die Kirche mitten in der Welt, Gottes Volk, die endzeitliche Schar, der die Verheißungen der Schrift gelten. In diese Gemeinde begibt sich Christus hinein, damit dort ein Stück des himmlischen Lebens Platz greift.

Himmelfahrt begründet einmal die Königsherrschaft Jesu Christi, aber auch seine bleibende Nähe zu den Glaubenden. Er hat sie von Sünden frei gemacht. Nun werden sie ihr Leben so zu führen trachten, daß sie ihm gefallen und seiner Art ähnlich werden. Das wird für das Miteinander nicht nur in der christlichen Gemeinde, sondern auch im Zusammensein mit Nichtchristen weitreichende Folgerungen haben.

Nur muß man der immer wieder anzutreffenden Auffassung widersprechen, das Reich Gottes bestehe nur in einer neuen Verhaltensweise, in neuen Grundsätzen des menschlichen Zusammenlebenes, in einem großen Ordnungmachen in der Welt. So verstehen ja immer noch viele den kirchlichen Unterricht. Die Eltern sagen zu ihrem Kind: „Geh du nur dort hin, da lernst du nichts Schlechtes!“ Und am Anfang des Katechismus stehen ja auch die 10 Gebote, so daß sich das Mißverständnis nahelegt, als seien sie das Wichtigste am Glauben.

Doch viel wichtiger ist, daß wir erst einmal von der Macht der Sünde freigekauft werden. Solange wir noch unter der Sünde sind, sind wir unfrei. Christus kann seinen Willen in unserem Leben nicht durchsetzen, ehe nicht die Belastung weg ist. Jesus aber will es zu einem neuen Anfang kommen lassen.

So erfahren wir immer wieder Jesu priesterliches Tun an uns selbst. Dadurch beruft er uns aber alle zu Priestern. Priester sind Menschen, die dem Dienst Gottes geweiht sind und sich für andere bei Gott einsetzen. Aber Jesus hat das Entscheidende zu tun. Die Versöhnung ist allein sein Werk. Keiner von uns kann dem priesterlichen Tun Jesu etwas hinzufügen. Nur  m i t ihm können wir beim Vater für andere eintreten. So bleibt Gottes Reich nicht auf seine Gemeinde beschränkt, sondern es weitet sich aus, indem diese wächst.

Es läge nahe, daß um ihres Glaubens willen bedrängte Menschen ihren Widersachern gegenüber hart und feindselig werden, auf alle Fälle aber zurückhaltend und verschlossen. Man muß schon in der Sache scharf bleiben und widersprechen, wenn die Beteiligung am Kaiserkult verlangt oder der christliche Glaube auf andere Weise zum Bekennen herausgefordert wird. Aber das darf an der priesterlichen Existenz der Christen für die Welt nichts ändern.

Um dieses Auftrags willen werden wir die Zwischenzeit nicht ungeduldig abkürzen wollen. Einerseits sehnt man sich danach, daß die Verborgenheit des erhöhten Herrn bald aufgehoben wird. Andererseits möchte man wünschen, daß noch Zeit bleibt, um derer willen, die ihn noch nicht kennengelernt und angenommen haben.

Niemand kommt an dem zu Gott erhöhten Christus vorbei. Wer den Frieden und die Gnade Gottes ausschlägt, kann keinen anderen Retter finden. Unsre Entscheidungen haben eine große Tragweite, die Sache Gottes ist kein Kinderspiel. An Christus kommen wir nicht vorbei. Er ist das A und das O, der Anfang und das Ende. An ihm entscheidet sich Wohl und Wehe aller Menschen. Aber er ist froh über jeden, den er für immer mit sich verbinden kann.

 

 

Offb 1, 9 - 18 (Letzter Sonntag nach Epiphanias, Variante 1):

Wenn die Herrschenden in einem Staat mit einer großen Gruppe von Menschen nicht mehr fertigwerden, da greifen sie oft zum Mittel der Internierung. Wenn die Gefängnisse schon voll sind, richtet man Lager ein, in denen konzentriert die Gegner gefangen gehalten werden. Internierung ist nicht Gefängnis, sondern mehr eine Art Schutzhaft. Es wird kein Haftbefehl ausgestellt und kein Gerichtsverfahren durchgeführt. Die Leute haben ja auch nichts verbrochen, sie sollen nur in Schach gehalten werden.

Besonders wendet man dieses Verfahren an, wenn man die Anführer einer Bewegung von der Masse der Gefolgsleute trennen will. Man schränkt ihre Bewegungsfreiheit ein, damit sie nicht im Sinne ihrer Bewegung tätig sein können. Man unterbricht die Kontakte, damit man mit den einzelnen Gruppen leichter fertigwerden kann und sie sich nicht zu einer geballten Macht zusammenrotten können.

So war es jedenfalls dem Johannes aus dem letzten Buch der Bibel und seinen Gemeinden ergangen. Den Gemeindeleiter hatte man auf die Insel Patmos vor der kleinasiatischen Küste verbannt. Er hatte sich die Ausbreitung des Wortes Gottes und das offene Bekenntnis zu Jesus nicht verbieten lassen. Das aber lief den Interessen des römischen Staates zuwider. Deshalb hatte man ihn auf der Sträflingsinsel interniert.

Die Christen widersetzten sich nämlich der Weltanschauung des Staates. Von dieser wurde der Kaiser in Rom in den Himmel gehoben. Domitian ließ sich Gott und Heiland nennen. Auf Geldstücken war er dargestellt mit einem Gesicht, das wie die Sonne leuchtete. Durch die Münzen trug er seinen Anspruch auf die Weltherrschaft bis ins kleinste Dorf. Die Stadt Ephesus drüben auf dem Festland war ein Brennpunkt dieses Kaiserkultes, sienannte sich „kaiserliche Tempelhüterin“.

Aber in dieser Stadt gab es auch eine christliche Gemeinde. Doch was waren sie schon gegenüber diesem allmächtigen Staat!? Sie waren eine verschwindend geringe Zahl, die bald an die Wand gedrückt werden würden. Johannes macht sich Sorgen um sie. Sie brauchen ihn doch. Er fühlt sich für sie und ihren Glauben verantwortlich. Werden sie ohne seine Hilfe und seinen Schutz durchhalten können?

Die Verfolgungen werden ja erst jetzt so richtig losgehen! Das Schicksal des Johannes wird sogar von den Gegnern benutzt werden, um die Gemeinden unsicher zu machen. Man wird sagen: „Da sieht man es doch, daß euer Jesus tot ist. Er wurde als Aufrührer hingerichtet und hat nun keine Macht mehr. Euren Bischof Johannes hat er nicht beschützen können, Und euch wird er auch nicht beschützen. Es lohnt sich nicht, an diesem Glauben festzuhalten. Wer aber einem Aufrührer die Treue hält, ist selber ein Aufrührer!“

Johannes weiß genau: Viele werden diesem Druck erliegen und sich wieder vom Glauben lossagen. Er wird sie nicht davor bewahren können. Jetzt sind sie drüben auf dem Festland zum Gottesdienst versammelt, es ist ja Sonntag. Johannes weiß sich über das Meer hinweg mit ihnen vereint im Leiden und im Hoffen. Er hat sogar der Auftrag erhalten, ein Buch zu schreiben für die Gemeinden und für die ganze Kirche.

Johannes sieht die Gemeinden vor sich in Gestalt von sieben Leuchtern bzw. eines Leuchters mit sieben Armen. Und mittendrin ist der erhöhte Christus. So sind die Gemeinden untereinander und vor allem mit Christus verbunden. Weil er gegenwärtig ist, sind sie untereinander eines und brauchen keine Angst zu haben. Sie werden dem Druck von außen und den vielleicht noch größeren Gefahren von innen widerstehen können.

Das wollen wir uns auch vor Augen halten, wenn wir manchmal bedrückt und voll Sorgen an die Zukunft der Kirche denken. Gewiß gibt es auch viel Erfreuliches aus dem Leben der Kirche zu berichten: Kirchen werden renoviert, Nachbargemeinden arbeiten zusammen, die Opferfreudigkeit wächst; es gibt Gemeindetage, Feste, Gottesdienste in neuer Gestalt. Dennoch sehen wir in vielen Ortsgemeinden wenig Imponierendes und Verlockendes. Manches sieht nach Sterben und Ende der Kirche aus.

Aber wir haben doch einen Gott, der der allein wahre ist. Was kann uns da helfen, im Glauben fest und stark zu werden oder zu bleiben? Da wäre als Erstes der Gottesdienst zu nennen. Jeder Gottesdienst vereint uns mit dem Gottesdienst im Himmel. Im Diakonissenmutterhaus in Dresden ist das folgendermaßen dargestellt: An der Stirnwand der Kirche ist Jesus gemalt, wie er mit seinen Jüngern um den Abendmahlstisch sitzt. Über ihnen schweben die Engel. Und unten, wo die eine Seite am Tisch freigeblieben ist, da versammelt sich die Gemeinde von heute am Altar.

Der Gottesdienst verbindet die Gemeinde auf Erden, mit der Gemeinde im Himmel. Er verbindet uns auch mit unseren Vorvätern. Ihre Plätze nehmen wir hier im Gotteshaus ein ihre Lieder singen wir, ihre Bekenntnisse sprechen wir nach. Dieses Wissen: „Wir sind nicht allein!“ gibt uns Kraft in den Anfechtungen unsrer Gegenwart. Um der Selbsterhaltung willen sind wir immer wieder zu faulen Kompromissen geneigt und wollen uns unsrer Umwelt anpassen. Es fällt uns schwer, anders zu sein als die anderen und nicht überall dabei sein zu können.

Jesus Christus erspart uns nicht das Kreuz. Er hat es ja selber zuerst getragen. Aber er gibt sich uns auch als der Herr der Welt zu erkennen, damit wir keine Angst vor der Zukunft zu haben brauchen. Johannes darf durch die bedrückenden Verhältnisse seiner Zeit hindurchsehen auf Jesus, der die ganze Machtfülle Gottes in sich vereint.

Johannes erlebt Christus auf einmal ganz anders. Es mag ihm gegangen sein wie einem Jungen, der zum ersten Mal erlebt, wie sein Vater auf einem Bauplatz einen großen Kran bedient. Bisher war er ein Mensch wie andere auch. Jetzt erscheint er als einer, der an den Schalthebeln sitzt und Großes bewirkt.

So ist auch Christus nicht nur ein idealer Mensch, dessen Beispiel man nacheifern kann, sondern ein gewaltiger Herrscher. Johannes, der vor keinem Kaiserbild die Knie gebeugt hat, fällt vor diesem Herrn auf sein Angesicht. Was er gehört hat, gibt er uns wieder. Was er aber gesehen hat in diesem Augenblick, kann er nur mit vergleichenden Bildern andeuten: wie Wolle, wie Schnee, wie Feuerflammen, wie glühendes Erz im Ofen. Christus steht vor ihm mit den Kennzeichen des Kaisers und Hohenpriesters. Sein Gesicht leuchtet wie die Sonne, seine Zuge ist wie ein zweischneidiges Schwert.

Dadurch wird deutlich gemacht: Die vom Kaiser beanspruchte Allmacht gehört in Wirklichkeit dem erhöhten Christus. Er ist der Herr seiner Gemeinde und auch der ganzen Welt. Er ist der wahre Herr und Gott. Wir haben uns Jesus gegenüber manchmal einen kameradschaftlichen Ton angewöhnt. Das ist auch nicht falsch, denn er will ja unser Bruder sein. Aber er ist auch der Herr.

Johannes fühlt die rechte Hand seines Herrn auf sich. Sie sagt ihm deutlich: Du gehörst mit zu den Sieger, auch wenn man dir noch so schrecklich mitspielt. Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige! Das römische Kaiserreich ist längst vergangen. Und manch anderer, der Weltherrschaftsansprüche hatte, kommt kaum noch in den Geschichtsbüchern vor.

Unser Herr aber geht seinen Weg durch Bedrängnis und Widerspruch. Er hat sogar unsre eigene Schuld übernommen und uns auch davon befreit. Er ist der Hohepriester, der sich für seine Leute einsetzt und seine gnädige Hand über sie hält, so daß keine Gefahr von außen oder von innen sie überwinden kann.

Wir brauchen nur seiner Spur zu folgen, dann werden wir auch teilhaben an seinem Sieg. Hier im Gottesdienst wird uns das immer wieder gewiß gemacht. Er ist nicht eine mehr oder weniger gut besuchte Versammlung derer, die sich für Glaubensfrager interessieren. Hier treffen sich nicht Menschen, die ein Referat hören wollen oder gar über den lieben Gott diskutieren wollen.

Hier feiert der Herr der Welt mit seiner Gemeinde. Himmel und Erde werden zusammengeschaut, Menschen werden angesprochen und beschenkt und dürfen ihren Glauben bekennen.

Durch den Gottesdienst sind wir mit den Gemeinden rund um den Erdball verbunden. Auch wenn unsere Welt gar nicht so offen ist für den christlichen Glauben, so gibt es doch überall Christen, bei uns und in Tansania und selbst in China. Vor allem aber können auch wir ihm begegnen, so wie er dem Johannes begegnet ist und so wie er den Jüngern bei der Verklärung Jesu erschienen ist.

Doch dazu müssen wir natürlich kennen, was uns überliefert ist. Nur weil Johannes schon von Jesus Christus wußte, hat er ihn auch erkennen können. Wir müssen auch bereit sein, den Weg mit Christus zu gehen, auch wenn er uns in manche Tiefen führt. Aber vielleicht können wir ihn gerade dann besonders erfahren. Mit einer Möglichkeit der Begegnung sollten wir auch gerade da rechnen, wo sie uns am unwahrscheinlichsten zu sein scheint.

 

 Offb 1,9 - 18 (Letzter Sonntag nach Epiphanias, Variante 2)(Gottesdienst mit Schaustellern):

„Die weite Welt ist Gottes Feld!“ Das hätte auch der Johannes aus dem letzten Buch der Bibel sagen können. Er hatte es auch sehr nötig, sich das vor Augen zu halten. Seine Welt erstreckte sich nur auf die Insel Patmos vor der kleinasiatischen Küste. Die Römer hatten ihn auf diese Sträflingsinsel verbannt, weil er den christlichen Glauben verbreitet hatte.

Damit hatte er etwas getan, was den Interessen des römischen Staates entgegenlief. Die Christen widersetzten sich nämlich der Weltanschauung des Staates, der den Kaiser in den Himmel hob. Domitian ließ sich Gott und Heiland nennen. Auf Geldstücken war er dargestellt mit einem Gesicht, das wie die Sonne leuchtet. So trug er seinen Anspruch auf Weltherrschaft bis ins kleinste Dorf. Die Stadt Ephesus drüben auf dem Festland war der Brennpunkt des Kaiserkultes. Dort gab es kaiserliche Hohepriester. Die Stadt nannte sich „kaiserliche Tempelhüterin“.

Was sind demgegenüber die Christen? Eine verschwindend geringe Zahl, die bald an die Wand gedrückt werden wird. Und doch gibt es sie schon überall in der damals bekannten Welt. Auch in Ephesus und den umliegenden Städten gab es Christen. Der Apostel Paulus war wesentlich an der Gründung dieser Gemeinde beteiligt. Aber es geht dabei gar nicht so sehr um Personen, um Paulus und Johannes, sondern um Jesus Christus, der diese Gemeinden in ihrer Bedrängnis erhalten wird.

Das wollen auch wir vor Augen haben, deren Zahl doch immer kleiner wird. Gewiß gibt es auch viel Erfreuliches aus dem Leben der Kirche zu berichten: Kirchen werden renoviert, Nachbargemeinden arbeiten zusammen, die Opferfreudigkeit wächst, es gibt Gemeindetage, Feste, Gottesdienste in neuer Gestalt. Es gibt selbst eine Schaustellergemeinde, die ganz eigene Formen des Gemeindelebens entwickelt hat. Gottes Feld ist an vielen Ecken und Erden bestellt und bringt Frucht.

Dennoch sehen wir in vielen Ortsgemeinden wenig Imponierendes und Verlockendes. Manches sieht nach Sterben und Ende der Kirche aus. Die Machtverhältnisse sind klar. Schon ein Domitian hat versucht, seine göttlichen Ansprüche mit Gewalt durchzusetzen. Wir aber haben doch nun einen anderen Gott, der der allein wahre ist. Wir können uns doch dem Atheismus oder irgendeinem Weltherrschaftsanspruch nicht beugen. Was kann uns da helfen, im Glauben fest und stark zu werden oder zu bleiben?

Jeder Gottesdienst vereint uns aber auch mit dem himmlischnr Gottesdienst. Im Diakonissenmutterhaus in Dresden ist Jesus dargestellt, wie er mit seinen Jüngern um den Abend­mahls­tisch sitzt. Über ihnen schweben die Engel. Und unten, wo die eine Seite am Tisch freigeblieben ist, steht der Altar der Kirche, an dem die Gemeinde von heute zum Abendmahl zusammenkommt. Der Gottesdienst verbindet die Gemeinde im Himmel und die Gemeinde auf Erden. Er verbindet uns auch mit unseren Vorvätern. Ihre Plätze nehmen wir hier im Gotteshaus ein, ihre Lieder singen wir, ihre Bekenntnisse sprechen wir nach.

Dieses Wissen: „Wir sind nicht allein!“ gibt uns Kraft in den Anfechtungen unserer Gegenwart. Um der Selbsterhaltung willen sind wir immer wieder zu faulen Kompromissen geneigt und wollen uns unserer Umwelt anpassen. Es fällt uns schwer, anders zu sein als die anderen und nicht überall dabei sein zu können. Jesus Christus erspart uns nicht das Kreuz. Er hat es ja selber zuerst getragen.

Aber er gibt sich auch uns als den Herrn der Welt zu erkennen, damit wir keine Angst mehr vor der Zukunft zu haben brauchen. Der Seher Johannes darf durch die bedrückenden Verhältnisse seiner Zeit hindurchsehen auf Jesus, der die ganze Machtfülle Gottes in sich ver­eint. Er erlebt Christus ganz anders, so wie ein Junge über seinen Vater staunt, der auf dem Bauplatz den großen Kran lenkt. Jesus ist nicht ein idealer Mensch, dessen Beispiel wir nacheifern, sondern ein gewaltiger Herrscher.

Johannes, der vor keinem Kaiserbild die Knie gebeugt hat, fällt vor diesem Herrn auf sein Angesicht. Er ist geblendet vor dem Licht Gottes. Es fehlen ihm die Worte für einen Vergleich: Es ist wie Wolle, wie Schnee, wie Feuerflammen, wie glühendes Erz im Ofen. Doch er stampft nicht auf und sagt: „Unser Herr ist doch größer als der Kaiser in Rom!“ Er hat keinen Grund zum Triumphieren. Die Christenheit empfängt ihr Licht nur von dem Herrn und spiegelt es weiter in den Alltag hinein. Vor diesem Licht kann man sich nur zu Boden werfen wie ein Toter.

Aber Johannes fühlt auch die rechte Hand seines Herrn auf sich. Er ist nicht nur der Richter der Welt, sondern auch der Hohepriester und Fürsprecher. Er sagt: „Fürchte dich nicht! Ich. bin der Erste und der Letzte und der Lebendige!“ Das römische Kaiserreich ist längst vergangen. Und manch anderer, der Weltherrschaftsansprüche hatte, kommt kaum noch in den Geschichtsbüchern vor. Unser Herr aber geht seinen Weg durch Bedrängnis und Widerspruch. Wir brauchen nur seiner Spur zu folgen, dann werden wir auch teilhaben an seinem Sieg. Hier im Gottesdienst wird uns das immer wieder gewiß gemacht.

Johannes darf ein Bild sehen, das ihm Mut und Zuversicht gibt. Es ist Sonntag. Drüben auf dem Festland in den sieben Gemeinden sind sie jetzt zum Gottesdienst versammelt. Da erscheint Christus vor dem inneren Auge des Johannes mitten unter den Leuchtern, er ist bei seinen Gemeinden. Johannes darf ihn auch sehen und ist so mit seinen Gemeinden verbunden. Weil sie alle auf den gleichen Herrn schauen, sind sie auch alle untereinander verbunden zu einer Gemeinschaft

Das wird dem Johannes in seiner Gefangenschaft deutlich, als er ganz allein für sich den Gottesdienst feiert. Der Gottesdienst ist nicht eine mehr oder weniger gut besuchte Versammlung derer, die sich für Glaubensfragen interessieren. Hier treffen sich nicht Menschen, die ein Referat hören wollen oder gar über den lieben Gott diskutieren. Im Gottesdienst feiert der Herr der Welt mit seiner Gemeinde. Der Himmel als die Welt Gottes und die Erde als die Welt der Menschen werden zusammengeschaut, Menschen werden angesprochen und beschenkt und dürfen ihren Glauben bekennen.

Durch den Gottesdienst sind wir mit den Gemeinden rund um der Erdball verbunden. Auch wenn unsre Welt gar nicht so offen ist für den christlichen Glauben, so gibt es doch überall Christen. Heute ist uns sicher auch deutlich geworden, daß Christen auch dort sind, wo wir

es vielleicht gar nicht vermuten, nämlich unter den Schaustellern.

Dabei haben es unsere Freunde von der Schaustellergemeinde gar nicht so leicht mit ihrem Glauben. Wenn man praktisch jede Woche an einem anderen Ort ist, dann kann man in keiner Gemeinde so recht heimisch werden. Manchmal kommt so ein Paulus oder ein Johannes: Da ist ein Kidd zu taufen oder zu konfirmieren, da ist einmal ein Problem zu besprechen. Aber ist schon einmal einer von den Christen einer solchen üblichen Ortsgemeinde gekommen und hat Kontakt zu diesen Mitbrüdern aufgenommen?

Gott hat ein weites Feld. Vor manchem Christen aus der Schaustellergemeinde könnten wir vielleicht noch etwas lernen. Sie stellen ja in unserer Zeit im wörtlichen Sinne das wandernde Gottesvolk dar. Immer wieder neu haben sie sich so wir allen aufzumachen zu unserem Gott und können ihm an jedem Ort unseres Landes begegnen. Sie gehören mit zu dem weltumspannenden Leib des Christus, der seine irdische Darstellung in der Kirche findet. Wir werden uns in Zukunft auch mit diesen Christen verbunden wissen, wenn wir hier den Gottesdienst beginnen.

 

 

Offb 2, 8 - 11 (Vorletzter Sonntag):

Mancher Kirchengänger möchte gerne hören, daß seine Treue sich auszahlen wird. Dabei erhebt er sich gern über andere, die leer ausgehen sollen. Doch vielleicht wäre es besser, nicht überheblich zu sein und sich von anderen abzugrenzen. Vielmehr könnten wir uns fragen: „Haben wir schon einmal einen Punkt erlebt, wo es nicht weiterzugehen schien? Haben wir schon etwas erlebt wie einen Tod, und es ging dann doch weiter, wenn auch ganz anders? Wie haben wir unsre Jugendzeit erlebt, oder die Zeit, als die Kinder aus dem Haus gingen, oder das Rentenalter? Wer hat uns da durchgetragen? Sind wir den Krisen ausgewichen und haben das Sterben nur verdrängt und somit auch eine Beziehung zur Auferstehung nicht gewonnen?“

Erst im Leiden wird die Treue zum Herrn bewährt. Der Herr weiß um das Leiden, er hat es erwartet und er lohnt es. So besagt es das Sendschreiben an die Gemeinde in Smyrna. Sie soll lernen: Glaubensgehorsam besteht nicht nur in der Hingabe an den Mitmenschen, sondern auch in der Treue zum Herrn der Kirche selbst.

 

1. Gott weiß um das Leiden: Die kirchliche Lage in Smyrna ist trübe. Das Leben ist durch die Religionspolitik des Kaisers Domitian und seine göttlichen Ansprüche bestimmt. Dabei war das heidnische Denken durchaus populär. Das heidnische Wesen paßte sehr gut zu dem Begehren und Hoffen, zu des Ängsten und Wonnen des natürlichen Menschen. Das ist ja auch heute so: Der Atheismus liegt dem Menschen viel näher als das Christentum, man braucht ihn nicht zu lehren, er liegt im Menschen drin.

Die Gemeinde in Smyrna wurde aber nicht nur vom Staat bedrängt, sondern auch von den Juden. Diese bezeichneten die Christen als Gesetzesbrecher und sahen in ihnen Abtrünnige. Die Christen wiederum bezeichneten sich als das wahre Israel und die Juden als die „Synagoge des Satans“. Der Konflikt dürfte hart gewesen sein. Man lästerte sich gegenseitig. So erfuhr die christliche Gemeinde also Bedrängnis von zwei Seiten. Sie war eine kleine Minderheit in der Stadt, vorwiegend aus armen Leuten bestehend, in einer reichen Stadt doppelt bedrückend. Aber man mußte feststellen, daß man nicht viel tun konnte.

Doch da meldet sich der Herr der Gemeinde durch dieses Sendschreiben: „Ich weiß deine Trübsal und deine Armut!“ Ich kenne deine Situation, auch das mit den Juden weiß ich genau. Ihr sollt nicht denken, daß ihr vergessen und abgehängt seid. Er weiß alles, was über seine Gemeinde und die einzelnen Christen kommt.

Das gilt auch für uns heute, die wir vielleicht mehr unter persönlichen Problemen zu leiden haben. Christus registriert unsre Schwächen genau. Aber das soll uns nicht schrecken, er will sie uns ja nicht vorhalten. Vielmehr ist das zum Trost gesagt: „Der Herr denkt und leidet mit uns. Wir glauben nicht an einen toten Christus, der uns zwar bestimmte Impulse mitgegeben hat, aber sonst nur in der Erinnerung weiterlebte.

Was eine christliche Gemeinde auszustehen hat, kommt nicht über sie ohne Christus. Der Herr weiß um die Drangsal und das Verletztsein unter den Schmähungen. Er weiß es, also ist er auch dabei. Sein Wissen ist ein Mitgehen. Er hat auch die Pflicht, die Lage seiner Kirche zu wenden.

Keiner hat etwas zu leiden „aus Versehen“, ohne Grund und Sinn. Christus kennt auch die Grenze unsrer Belastbarkeit. Aber er vergißt niemanden und überläßt niemanden sich selbst. Und wenn Domitian die Christen herausfordert, dann fordert er ihren Herrn heraus. Und wenn die Juden die Gemeinde schmähen, dann schmähen sie Christus.

Die Leiden der Gemeinde sind „Christusleiden“. Sie werden ausgestanden in der Nachfolge des Gekreuzigten. Christus war ja auch arm und machtlos, er wurde ebenfalls geschmäht und verfolgt. Aber die Gemeinde ist auf Gedeih und Verderb mit ihm verbunden. Das ist wie bei kommunizierenden Röhren, die untereinander verbunden sind: Füllt man in die eine Röhre Wasser hinein, dann steigt es auch in den anderen hoch.

Christus war tot, aber er ist wieder lebendig geworden. Die Gemeinde hat Anteil am Leiden Christi, aber sie hat auch Anteil an seiner Auferstehung. Das gilt auch für den einzelnen Christen: Er muß leiden in der Welt und eines Tages sterben. Aber er wird auch mit Christus auferweckt zu einem neuen Leben.

Wer also leidet, sollte nicht versuchen auszubrechen. Liebe zwischen Menschen wird ja erst richtig groß und schön, wenn sie auch bereit sind, einander Opfer zu bringen. Man kann nicht nur Nutznießer gemeinsamen Glücks sein, sondern sollte auch im Leiden zusammenstehen. Eine nur triumphierende Kirche würde mehr und mehr an ihrem Herrn vorbeileben.

 

2. Gott erwartet das Leiden: Die Offenbarung rechnet damit, daß es noch zu großen Trübsalen kommen wird. Trübsale sind dabei nicht zufällige Störungen in einem normalerweise unangefochtenem Leben, sondern sie gehören zu dem, was geschehen muß, was dem Willen Gottes entspricht.

Die Gemeinde soll für das Kommende gerüstet sein. Ihr Herr sagt: „Fürchte dich nicht vor dem, was dir an Leiden bevorsteht!“ Im Leiden bewährt die Gemeinde ihre Treue zum Herrn, und dieser Herr erwartet das.

Hinter dem, was die Gemeinde auszustehen hat, steht der Teufel. Er bleibt als Regisseur im Hintergrund, vorne auf der Bühne handeln die Handlanger des Kaisers. Man sollte den Teufel nicht in das Reich der Fabel verweisen. Sicherlich ist er nicht eine Spukgestalt wie in Goethes Faust, halb zum Fürchten und halb zum Lachen. Er läßt sich viel einfallen, um Menschen und Völker gegeneinander aufzuhetzen und die Atmosphäre weltweit zu vergiften. Wenn er das Reich Gottes kommen sieht, wiegelt er die Menschen erst recht auf. Aber dabei wird er nervös und gerät unter Zeitdruck. In diesem Zusammenhang sind die Trübsale zu sehen, auf die die

Gemeinden sich gefaßt zu machen haben.

Doch ihnen wird gesagt: „Das geht vorüber! Ihr werdet nur auf die Probe gestellt, wie lange euer Glaube durchhält!“ Wir möchten von Belastungsproben möglichst verschont bleiben oder sie so schnell wie möglich hinter uns bringen. Aber durch die Art, in der wir Leiden tragen, können wir Gott die Ehre erweisen.

Ein Beispiel dafür ist der Bischof Polykarp von Smyrna, der wirklich treu bis zum Tod gewesen ist. Als er im Jahre 155 vor seinen Richter stand, bekannte er: „Schon 86 Jahre diene ich Christus. Er hat mir nichts zuleide getan. Wie kann ich meinen König lästern, der mich erlöst hat!“ Vielleicht war er sogar der Bote, der den Brief an die Gemeinde in Smyrna zu verlesen hatte; vielleicht hat er gehört, wie er vorgelesen wurde. Treue bis zum Tod - das war die Erwartung, die der Herr in ihn gesetzt hatte. Mit einem Dankgebet hat er den Scheiterhaufen bestiegen.

 

3. Gott lohnt das Leiden: Wer bis zum Tode treu ist, dem wird der „Kranz des Lebens“ gegeben. Dabei ist weniger an einen Siegerkranz für den Sieger beim Wettkampf gedacht. Vielmehr ist es eine Art Heiligenschein, ein Zeichen für die Teilhabe am göttlichen Leben. Es ist nicht eine Siegerkrone, sondern sie soll Frieden ausstrahlen und bedeutet Geborgenheit in aller Anfechtung. Die Gemeinschaft mit Christus soll nach bestandenem Kampf noch vollkommener werden.

Nichts anderes meist au.cu die „Rettung vom zweiten Tod“. Wir haben, wenn wir ans Sterben denken, meist nur den ersten Tod im Auge: das Ende des Erdendaseins, den Zusammenbruch der körperlichen Funktionen, den Zerfall des Leibes. Das ist die natürliche Seite des Sterbenmüssens.

Aber der Tod hat noch eine ernstere Dimension: Wenn der ewige Richter einen Menschen der Verdammnis überantwortet, dann erleidet er erst sein endgültiges Sterben. Christus aber verheißt den Treuen, daß sie davon verschont bleiben. Sie stehen ja auf der Seite ihres Herrn, der die Verlorenen annimmt und ihnen das Leben schenkt. Wenn die letzte Entscheidung bevorsteht, dann sagt Christus: „Fürchtet euch nicht für den, der bei mir ist und bei mir bleibt, ist alles gewonnen.

 

 

Offb 3, 1 – 6 (3. Advent):

Wenn wir hier zum Gottesdienst zusammenkommen, dann dürfen wir nicht schläfrig sein. Sonst könnte es uns so gehen wie dem jungen Mann, der sich während der Predigt des Paulus in ein Fenster gesetzt hatte und einschlief: Er fiel herunter und war wie tot, so daß Paulus ihn wiederbeleben mußte. Man muß allerdings sagen, daß Paulus bis gegen Mitternacht predigte. Das wird uns heute nicht passieren. Vor 200 Jahren mußten aber die Leute beim ersten Teil der Predigt noch stehen, damit sie nicht einschliefen. Dann durften sie sich setzen und der Pfarrer hat seine Predigt noch einmal wiederholt. Aber wenn wirklich einmal einer mit den Gedanken abschweift oder gar einschläft, dann ist das nicht so schlimm. Aber als ganze Gemeinde dürfen wir keine Schlafmützen sein.

Mit der christlichen Gemeinde in Sardes jedenfalls wurde hart ins Gericht gegangen, weil die

nicht nur schläfrig war, sondern schon tot. Sie verließen sich auf ihre Religion und meinten, es könne ihnen ja nichts passieren. Aber da wird ihnen gesagt: Der kommende Herr wird auch der Richter sein. Er sagt: „Ich weiß deine Werke: Du hast den Namen, daß du lebst, und bist tot!“

Am Jahresende müssen wir auch in der Kirche eine Statistik aufstellen. Da heißt es dann etwa: 60 Kinder getauft, 20 Paare getraut, 70 Leute beerdigt, 60 Gottesdienste gehalten, soundso viel Gemeindekreise und Abendveranstaltungen, soundso viel Kinder im Kindergottesdienst und in der Jungschar. Auch die Höhe der Kollekten und Spenden wird auch auf Heller und Pfennig genau vermerkt. Manches wird auch vielleicht geschönt. Aber jeder soll dann aus diesen Zahlen den Schluß ziehen: Es steht doch eigentlich alles gut mit dieser Gemeinde, zumindest ist es bei uns nicht schlechter als bei anderen.

Gott weiß genau, was hinter dem allen steckt und läßt sich durch bloße Zahlen nicht blenden. Er weiß, was für eine Gemeinde spricht, aber auch, was gegen sie spricht. Er sieht nicht nur das äußere Erscheinungsbild, sondern er sieht auf den Grund. Und da können sich Sein und Schein ganz schön voneinander unterscheiden.

Das ist so wie bei einem Röntgenapparat. Äußerlich sieht der Mensch vielleicht gesund und blühend aus. Aber auf dem Röntgenbild sieht man, daß schon eine schlimme Krankheit in ihm steckt, die bald zum Ausbruch kommen wird. Leider - oder zum Glück - gibt es keinen Röntgenapparat, der auch etwa die Gedanken eines Menschen röntgen könnte. Dann würde man vielleicht feststellen, daß da in Wirklichkeit noch viel mehr krank ist, als man ahnt.

Und so müßte man eben auch erst einmal eine christliche Gemeinde röntgen können, ehe man ein Urteil über sie abgibt. Wir blicken zu sehr auf den äußeren Anschein. Aber Jesus sieht wirklich hinter die Fassade, er hat so etwas wie Röntgenaugen und wir können nichts vor ihm verbergen.

Aber auf der anderen Seite wissen wir auch, wie notwendig und segensreich das Röntgen oder der Ultraschall ist. Viele Leute gehen ja nicht gern hin, weil sie fürchten, es könnte eine Krankheit an ihnen entdeckt werden. Aber natürlich wissen auch sie, wie wichtig es ist, daß die Krankheit möglichst frühzeitig entdeckt wird. Nur so kann sie ja rechtzeitig bekämpft und geheilt werden

So brauchen wir sicher auch in der christlichen Gemeinde ab und zu solch eine Röntgenaufnahme unseres inneren Zustandes, damit wir notfalls die erforderlichen Maßnahmen ergreifen können. Vielleicht ist gerade diese Adventszeit dazu angetan, solch eine Bestandsaufnahme zu machen. Es ist ja eine Bußzeit, die der Vorbereitung auf Weihnachten dienen soll. Dieser

dritte Advent ist an sich Johannes dem Täufer gewidmet, diesem Bußprediger aus der Wüste,

der seinem Volk einen Spiegel vorgehalten und der sie alle durchschaut hat.

Ob eine Gemeinde lebendig oder tot ist, das ist nicht eine Frage der Zahl. Eine kleine Zahl von Aktiven ist nicht das Problem. Es geht nicht um die Menge, sondern um die Qualität. Und wenn diese stimmt, dann macht es auch nichts aus, wenn die Umwelt der Kirche den Kampf angesagt hat. Äußerer Druck kann niemals eine Gemeinde gefährden und tot machen. Viel gefährlicher ist das geistliche Versagen in der Gemeinde selbst, wenn die Gemeinde in Wirklichkeit schon halbtot ist. Dann lohnt sich ein Druck gar nicht mehr, dann braucht man nur zu warten, bis sie ganz abstirbt. Umgedreht ist also ein Druck von außen das Zeichen dafür, daß eine Gemeinde noch gesund ist, daß man ihr noch etwas zutraut.

Von außen betrachtet wird in der Kirche an vielen Stellen etwas unternommen und es wird hingebungsvoll gearbeitet. Da gibt es eine wirksame Verwaltung, feierliche Gottesdienste und die kirchlichen Unterhaltungsveranstaltungen. Es wird viel soziale Arbeit geleistet und für

„Bort für die Welt“ wird auch gesammelt.

Aber das ist noch keine Garantie für das „Leben“ in der Gemeinde. Man kann immer dem frommen Leerlauf verfallen und in frommem Getue enden. Ob mehr dahintersteckt, sehen wir daran, was die Christengemeinde an diesem Ort für die Bürgergemeinde tut, was die Christenheit in den Problemen der weiten Welt bewirkt.

Aber der Gemeinde in Sardes wird nicht gesagt: Ihr seid zu unproduktiv, ihr strengt euch nicht genug an. Vielmehr heißt es: „Ihr habt nicht genug Kontakt mit mir. Ihr laßt euch zu wenig schenken. Ihr habt die Zuwendung Gottes zu euch übersehen. Ihr lebt so, als wäre ich nicht da!“

Worin zeigt sich nun die Lebendigkeit? In unsrem Text werden vier Punkte dafür aufgezählt:

1. Unablässige Wachsamkeit im Blick auf die Wiederkunft des Herrn. Jeder muß auf dem Posten sein, denn das Ende kommt wie ein Dieb in der Nacht, gerade wenn man es nicht erwartet hat.

2. Ein Leben in völligem Gehorsam gegenüber Gott, so daß genügend gute Werke da sind, die man von einem Christen erwartet.

3. Ein seelsorgerliches Bemühen um die, die abzusterben drohen. Wer wachsam ist und zu Gott gehören will, läßt die anderen nicht sterben, sondern reißt sie mit sich.

4. Ein offenes Bekenntnis zu Christus, so daß er sich am Ende auch zu uns bekennen kann.

 

Man muß nicht erst ein perfekter Christ geworden sein, ehe man andere zu einem neuen geistlichen Leben führen kann. Es ist ja nicht unsere eigene Energie, die wir auf andere übertragen sollen, sondern die Energie Christi. Selbst eine ganz tote Kirche, die kraftlos und in sich zerstritten ist, kann und soll im Dienst ihres Herrn aktiv werden. Wir empfangen, indem wir geben. Wir lernen nur, indem wir lehren. Wir müssen nicht erst aufladen, um dann abgeben zu können, sondern wir brauchen nur Leiter zu sein, durch die der Strom Gottes fließt.

Ja, wie kann man denn nun wieder lebendig werden? Die Antwort, die uns hier gegeben wird, ist überraschend: „Stärke das andere, das sterben will!“ Wie kann einer, der vielleicht selber schwach ist, einen anderen stärken? Aber das ist so: Wir empfangen immer nur, indem wir geben: Wir lernen nur, indem wir lehren; wir kommen nur voran, wenn wir anderen voran helfen, wir können nur getröstet werden, wenn wir andere trösten.

Wenn wir meinen, eine sterbende Kirche zu sein, denn kann uns nur eins helfen: Anderen das Leben retten! Dem wieder Kraft zuführen, das im Sterben liegt! Dabei geht es gar nicht darum, ob man das im Augenblick kann oder nicht. Der Herr bedient sich manchmal auch solcher Instrumente, die nach unsren Begriffen untauglich sind. Wir müssen nicht erst selbst etwas werden und dann etwas tun.

Bei einem Verkehrsunfall kommt es manchmal vor, daß ein Beteiligter einen Schock erleidet und ohnmächtig wird. Vielleicht setzt auch vor lauter Schreck die Atmung aus, obwohl sonst weiter nichts passiert ist. So ein Mensch kann gerettet werden, wenn er künstlich beatmet wird. Aber wenn ein anderer dazukommt, dann kann er nicht lange warten, bis vielleicht ein Sauerstoffgerät zur Verfügung steht, dann muß er selber eingreifen. Das ist auch gar nicht so schwierig.

Man sollte es gar nicht meinen: Die Luft, die wir ausatmen, enthält noch so viel Sauerstoff, daß man einem Bewußtlosen, der nicht mehr atmet, damit das Leben retten kann. Solch ein Atemspende an verbrauchter Luft kann immer noch einen anderen stärken, auch wenn der Spender vielleicht selber schwach ist oder aus der Puste gekommen ist.

So kann auch eine tote Gemeinde aufgerufen sein, noch das zu stärken, was absterben will. Sie braucht sich nur an das zu erinnern, was ihr von Gott gegeben ist, und es mit ganzem Herzen ergreifen, so daß es zur tragenden Mitte ihres Lebens wird. Eine christliche Ideologie im Kopf nützt noch nichts, wohl aber eine lebendige Glaubensverbindung mit dem Herrn, die auch ihren Wandel prägt.

Mit den „Werken“ ist nicht die Kollekte in der Kirche gemeint und auch nicht, daß wir einmal eine Oma über die Straße geführt haben. Wir müßten hier besser übersetzen: „Ich weiß um dein Christsein, was gut und was schlecht daran ist!“ Hier wird nichts beschönigt: die Gemeinde in Philadelphia i s t schwach und hat nur eine kleine Kraft. Wahrscheinlich sind sie nur eine kleine Zahl. Sie sind fromm und schlicht, aber es fehlt der äußere Glanz und vielleicht auch der innere Reichtum des Glaubens. Darüber wird offen geredet, es wird nichts beschönigt oder vertuscht. Es gibt äußere Hemmnisse und keine großen Erfolge.

Sehr schnell können wir uns hier wiederfinden. Uns werden Steine in den Weg gelegt, wo es nur geht. Ein Wirken in die Öffentlichkeit hinein ist immer weniger wirksam. Unsere Zahl wird geringer. Und selbst bei denen, die der Kirche angehören, gibt es viel Versager und Schwachheit, Angst und Anpassung an die Gegebenheiten. Doch all das ist nicht so schlimm, wenn wir nur an dem Wort Gottes festhalten und den Namen Jesu nicht verleugnen. Die Gemeinde in Philadelphia hat das getan.

Deswegen darf sie auch wissen: Der Herr läßt uns nicht allein, auch wenn wir seine Nähe eine Zeitlang nicht spüren. Unsere Arbeit für ihn ist nicht vergeblich, auch wenn wir kein Lob dafür ernten.  Christus sieht den guten Willen und erkennt ihn an. Er kennt aber auch alle Schwachheit der Gemeinde und will ihr aufhelfen.

Der Herr bietet seiner darniederliegenden Gemeinde das Leben an. Nicht nur einige wenige sollen überwinden, sondern alle sollen sie mit weißen Kleidern angetan werden und ihr Name

soll nicht aus dem Buch des Lebens getilgt werden. Christus will jeden in seiner Liebe und in seinem Herzen behalten und hat sich deshalb zum Fürsprecher eines jeden Einzelnen gemacht.

Hier ist also nicht die Rede von einem sensationellen kirchlichen Reformprogramm. Es wird uns nur immer wieder vor Augen gestellt, was wir längst zu kennen meinen und uns angeblich schon von den Schuhsohlen abgelaufen haben. Es ist das gleiche alte Evangelium, das wir uns zu Herzen nehmen sollen und in dem wir bleiben sollen.

Alle Gemeinden sind in der Hand Christi - auch die tote Gemeinde von Sardes, auch unsre Gemeinde. Es kommt gar nicht so sehr auf unsre eigene Aktivität an, sondern daß wir nicht länger dem Handeln Gottes im Weg stehen. Solange er uns noch in der Hand hat, uns umwirbt, beschwört und aufrüttelt, sind wir noch nicht tot, solange kann immer noch eine Erneuerung von ihm ausgehen.

 

 

Offbg. 3, 7 – 13 (2. Advent):

Der Satz: „Halte, was du hast, daß niemand deine Krone nehme!“ wird gern als Konfirmationsspruch genommen. Vielleicht hat ihn der Pfarrer speziell für einen Konfirmanden oder eine Konfirmandin ausgesucht, der besonders eifrig in der Konfirmandenstunde war. Aber er war ursprünglich nicht einer einzelnen Person gesagt, sondern der Gemeinde in Philadelphia. Die Krone hat also nicht ein Einzelner und schon gar nicht der Pfarrer, sondern die ganze Gemeinde und jeder Einzelne in ihr.

Bei der Taufe schon wurde uns diese Krone aufgesetzt. Jetzt gilt es nur, diese Krone aufzubehalten bei unserem Lauf durch das Leben. Anders als bei einem Sportle, der erst nach dem Sieg die Lorbeerkrone aufgesetzt bekommt, wird sie uns schon gleich am Anfang des Lebens verliehen.

Aber sie kann durchaus beschädigt werden, zum Beispiel beim Familienkrach, beim leichtfertigen Umgang mit fremdem Eigentum, beim Durchsetzen gegenüber dem Arbeitskollegen, beim Spott auf den Glauben. Der erste Augenblick ist dabei immer entscheidend: Wenn einer kommt und den Glauben verspottet, dann gilt es, ihm sofort entgegenzutreten, sonst geht es sofort weiter und am Ende helfen wir noch selber dabei mit, unseren Siegeskranz zu zerstören.

Die göttliche Krone ist natürlich unsichtbar. Aber manche Christen tragen als sichtbares Zeichen ihres Glaubens ein Kreuz um den Hals. Manche meinen, das sei gar nichts ernst gemeint, sondern das Kreuz werde nur wie ein Schmuckstück oder wie ein Parteiabzeichen oder ein Vereinsabzeichen getragen. Doch man kann durchaus auch einen tiefen Sinn dahinter sehen. Es ist heute nicht selbstverständlich, ein Kreuz zu tragen. Es gibt genug andere Motive für ein Schmuckstück. Wenn einer das Kreuz wählt, dann muß er auch dahinter stehen. Es ist ein Erkennungszeichen nach außen.

Wer es trägt, bekennt sich zu dem, der ans Kreuz gegangen ist, der aber den Tod überwunden hat und uns eine Zukunft bei Gott gibt. Der zweite Advent lenkt den Blick auf die Wiederkunft Christi, auf sein erneutes Kommen auf die Erde. Dieses Wissen aber gibt die Kraft, bis dahin tapfer durchzuhalten. Die Gemeinde ist schwach, sie ist nur ein kleines Häuflein im Konzert der großen Mächte dieser Welt. Der Lauf der Geschichte wird heute von anderen bestimmt.

Die Macht in der Welt beruht damals wie heute auf den Soldaten, auf dem Geld, auf der Wirtschaftskraft. Der Lauf der Welt scheint von realeren Dingen bestimmt zu sein als vom Kommen Christi. Aber als Christen fragen wir nicht nur danach, w a s kommen sind, sondern w e r kommen wird. Und da wissen wir: Der damals Mensch wurde und dadurch die Welt veränderte, der ist auch heute der Herr der Welt und wird sie einst neu machen.

Unser Herr weiß daß wir nur eine kleine Kraft haben. Als Gemeinde sind wir schwach und als einzelner Mensch auch oft. Mit Proben für unseren Glauben müssen wir dennoch rechnen. Es geht nicht immer so glatt in unserem Leben, wie wir uns das meist wünschen. Aber der Glaube verläßt sich ja nicht auf die eigene Kraft, sondern auf das, was der allmächtige Gott tun will. Er weiß: Ich habe die Krone ja schon auf, ich gehöre mit zu den Siegern!

Damit sind wir bei dem zweiten Bild, das dieser Brief verwendet: Gott hat uns eine Tür aufgetan, seiner Gemeinde und auch jedem einzelnen Christen. Er ist uns vorangegangen und hat die Tür offengelassen. Wir können hinter ihm hergehen und andere mitnehmen.

So wie wir am Adventskalender jeden Tag eine neue Tür aufmachen und uns überraschen lassen, was wohl dahinter ist, so tut Gott uns auch jeden Tag eine Tür auf zu anderen Menschen und zu neuen Taten. Diese anderen Menschen sind auch die Ausländer und die Menschen anderer Religionen.

Die Juden von damals wollten die Christen vom Heil ausschließen. Ihnen wird hier gesagt: „Das Reich Gottes ist wie der Palast Davids, zu dessen vielen Zimmern der Haushofmeister alle Schlüssel hat. So schließt auch Christus die Türen zu Gott auf. Wenn sie aber erst einmal offen ist, dann kann sie keine Macht der Welt wieder zuschließen!“

Christen sind deshalb keine besseren oder frömmeren Menschen als andere. Aber sie wissen: Wir werden unverdient geliebt! Dieses Wissen gibt dann die richtige Einstellung gegenüber denen, die nicht Christen sein wollen. Dann redet man nicht überheblich mit anderen, sondern man bietet ihnen auch die Liebe Gottes an.

Dann tun sich auch manchmal überraschend Türen auf und Menschen hören ganz neu auf Gottes Botschaft. Gerade in dieser Advents- und Weihnachtszeit hat Gott uns vielleicht einen besonderen Zugang zu den Menschen eröffnet. Da können wir einmal eine „Tag der offenen Tür" machen und alle einladen, die einmal etwas hinter die Kulissen sehen wollen.

Leider sind unsre Kirchentüren in der Regel verschlossen. Und das ist dann meist auch ein Sinnbild dafür, daß die christliche Gemeinde sich abschottet gegenüber anderen. Doch Gott hat die Tür aufgeschlossen, indem er seinen Sohn zu den Menschen schickte. Im Advent wird die Tür zum Christfest aufgemacht, da dürfen wir sie nicht wieder zuschließen

Eine Gemeinde, der die Zukunft gehört, kann sich nicht darauf beschränken, nur            hinter den Kirchentüren zu leben und feierliche Gottesdienste zu halten und museumswürdige Bibel aufzubewahren.

Wir lassen jeden herein durch unsre Kirchentür. Wir nehmen jeden Dienst wie den Gesang eines Volkschores gerne an. Aber wir gehen auch wieder hinaus. Was wir hier gehört haben, geht mit uns hinaus in die Arbeitswoche. Dafür brauchen wir auch immer wieder Kraft. Oft denken wir, aller Vorrat und alle Kraft seien schon aufgebraucht. Aber wenn wir versuchen, etwas auszugeben, dann werden wir überraschenderweise merken, daß da noch viel da ist. Wenn wir die Zusagen Gottes tatsächlich für uns in Anspruch nehmen, dann kann uns das wieder aufhelfen und uns Türen zu den Menschen öffnen.

Dann gelangt man auch an den Ort, wo Himmel und Erde sich berühren. Zwei Mönche hatten in einem alten Buch gelesen, daß es am Ende der Welt einen Ort gebe, an dem der Himmel und die Erde sich berühren. Sie machten sich auf und wollten nicht eher umkehren, als daß sie diesen Ort gefunden haben. Sie trafen gute Menschen, die sie beherbergten. Sie trafen Gleichgültige, die sie hungern und frieren ließen. Sie trafen böse Menschen, die ihnen nach dem Leben trachteten. Aber nichts konnte sie von ihrem Ziel abbringen. Sie suchten weiter die Tür, wo man nur anzuklopfen brauchte, um bei Gott zu sein Als sie schon am Ende ihrer Kräfte waren, fanden sie endlich die Tür. Aber als sie eintraten, standen sie zu Hause in ihrer Klosterzelle. Da begriffen sie: Der Ort, an dem Himmel und Erde sich berühren, befindet sich auf der Erde, und zwar an der Stelle, die Gott uns als Lebensraum zugewiesen hat.

So haben auch wir einen Ort, wo wir als Christen unsre Aufgabe zu erfüllen haben: unsre Familie, unsre Firma, unsren Verein, unsre Kirche. Wir brauchen nicht in uns verschlossen zu bleiben, sondern wir haben noch eine Aufgabe, auch wenn wir meinen, nur eine kleine Kraft zu haben. Vor allem aber ist auch eine offene Tür da, wenn unser Leben einmal ein Ende hat und Christus wiederkommt und wir in die Welt Gottes eingehen dürfen.

Gott erwartet sogar, daß wir zu einem starken Pfeiler in seinem Bau werden. Damit sind wir bei dem dritten Bild, das dieser Bibeltext verwendet. In einer häufig von Erdbeben geplagten Stadt wie Philadelphia ist dieser Vergleich mit einem stabilen Pfeiler besonders anschaulich und stark. Vielleicht hatte man auch eine Säule vor Augen, auf der sich die Priester des Kaiserkultes mit einer Inschrift verewigen ließen. Oder man dachte an den Tempel in Jerusalem, der längst zerstört war.

Aber die christliche Gemeinde weiß: Auf den Pfeiler in dem neuen Tempel ist der Name Gottes geschrieben und der Name des neuen Jerusalem. Das garantiert das Bürgerrecht bei Gott und die bleibende Zusammengehörigkeit Gottes mit seiner Gemeinde. Er garantiert ihre Zukunft.

Wir fragen uns vielleicht: Wie kann ich dann zu so einem tragenden Pfeiler werden, wo ich doch nur eine kleine Kraft oder vielleicht sogar gar keine habe? Doch die Bibel sagt uns: Das ist kein Unglück, sondern der normale Zustand. Der Himmel wird uns zwar nicht vorzeitig auf die Erde geholt und wir müssen uns schon auf allerhand gefaßt machen. Es wird schon Kratzer und Schrammen im Leben geben.

Aber als Ziel unsres Lebens steht die Tür zum Vaterhaus schon offen. Er sagt: „Siehe ich komme bald!“ Noch leben wir getrennt von Gott. Aber wir dürfen uns auf die neue gemeinsame Wohnung schon freuen. Sie ist uns schon zugeteilt, nur der Umzug steht noch aus. Deshalb wird uns gesagt: Halte sorgfältig fest, was du schon hast, den unverwelklichen Siegeskranz, die Krone deines Lebens. Dann wirst du auch eine starke Stütze sein im Bau Gottes und zum Segen für andere Menschen werden.

 

 

Offb 3, 14 - 22 (Buß- und Bettag):

Einen „goldenen Mittelweg“ gibt es beim Christsein nicht. Angeblich fährt man am besten, wenn man möglichst unauffällig bleibt, nie den ausgefallenen Meinungen anhängt und immer den Weg des geringsten Widerstandes geht. Das mag eine Zeitlang gut gehen. Aber einmal

muß man sich doch entscheiden und Farbe bekennen, rechts oder links?

Der Gemeinde in Laodizea aber wird der Vorwurf gemacht: „Du hast dich noch gar nicht entschieden und denkst auch gar nicht daran!“ Man hatte sich zwar von Paulus taufen lassen, aber nach der ersten Begeisterung war alles beim Alten geblieben. Die Stadt war reich, der Handel blühte, man konnte sich im Wohlstand sonnen. Wozu denn da noch Gedanken machen über die „Religion“? Sogar ein schweres Erdbeben hatte man überstanden und die Stadt ohne fremde Hilfe schöner und neuer wieder aufgebaut.

Kennen wir diese Töne nicht irgendwie? Unser „Erdbeben“ war der Zweite Weltkrieg. Mancher ist dadurch wieder in die Nähe Gottes gekommen. Aber heute hat sich vieles beruhigt. Wir leben im Wohlstand, den wir uns geschaffen haben. Uns geht es gut, wir haben keine Sorgen! Unser Verhältnis zu Gott ist in Ordnung, weil unser Verhältnis zur Kirche geregelt ist - denken wir.

 

1. Ernst machen: Doch so einfach läßt sich das sicher nicht sagen. Natürlich gehören wir zur Kirche. Aber vielleicht müßte Gott auch über unsre Gemeinde sagen: „Ihr seid nur lauwarm!“ Ein lauwarmes Getränk schmeckt uns nicht: wir wollen entweder einen heißen Kaffee oder ein kaltes Bier. Aber so ein Mischmasch - das würden wir ausspucken.

Und so könnte Gott auch uns ausspucken, weil wir nur lauwarm sind. Wo sind denn heute die, die nach dem Krieg wieder in die Kirche eingetreten sind? Was ist mit denen, die zum Gottesdienst kommen, wenn sie wieder draußen sind vor der Kirchentür? Wenn man schon mitmacht, dann muß man auch ganz dabei sein. Vielleicht ist uns auch der Wohlstand nicht gut bekommen. Wir haben uns den Verhältnissen unsrer Umwelt angepaßt und sind in nichts mehr von den anderen Einwohnern unseres Ortes zu unterscheiden. Die Arbeit nimmt uns stark in Anspruch, während das geistliche Leben auf einen Zustand der Mittelmäßigkeit abgesunken ist: ein Durchschnittschristentum! Man ist nicht dagegen, aber auch nicht richtig dafür. Christus hat es aber wohl leichter mit denen, die entschieden „Nein“ sagen, als mit den stumpfsinnigen und unentschiedenen „Christen“.

Das durchschnittliche Bild einer Kirchengemeinde sieht doch so aus: Ein großer Kreis - die Gemeinde! Am Rande leben die Ausgetretenen und die, die noch offiziell dazugehören, aber keinerlei Verbindung mehr haben, nicht einmal durchs Geld. Dann kommen nach der Mitte zu die „Vierradchristen“ und die „Einjährigen“. Die Vierradchristen kommen viermal in ihrem Leben auf Rädern zur Kirche: Zur Taufe im Kinderwagen, zur Konfirmation im Auto, zur Trauung in der Kutsche und zur Beerdigung im Leichenwagen. Und die Einjährigen kommen nur einmal im Jahr, meist an Heiligabend.

Im Kern dieses großen Kreises leben dann die „bewußten“ Christen, die etwas von Gott und der Kirche erwarten und die auch bereit sind, wirklich mitzumachen. Gott will nun, daß die lauwarme Gruppe der Vierradchristen und der Einjährigen sich hineinziehen läßt in diesen inneren Kreis, zu denen also, die sich ganz zur Gemeinde halten. Ein Zwischending gibt es nicht: entweder ganz fort oder ganz dazu, heiß oder kalt.

 

2. Wertvolles kaufen:

Nur meint halt mancher, er habe das doch nicht nötig, bei ihm sei doch alles in Ordnung, selbst wenn er nicht zu dem inneren Kreis der „ganz Frommen“ gehört, wie man sich dann ausdrückt. Die Leute in Laodizea haben genauso gedacht. Deshalb sagt ihnen Gott in diesem Sendschreiben nicht ohne eine scharfe Ironie: „Ihr seid zwar reich und macht große Bankgeschäfte, so daß sogar der berühmte Cicero empfiehlt, nur bei euch das Geld wechseln zu lassen. Aber ihr müßt wissen: Wertbeständiges und reines Gold müßt ihr erst von mir kaufen! Und ihr Leute aus der Textilindustrie, ihr gebt an mit euren modischen schwarzen Stoffen, die in der ganzen Welt bei den wohlhabenden Leuten begehrt sind. Aber selber lauft ihr nackt herum, denn ihr könnt eure Schandtaten nicht verbergen. Kauft euch lieber weiße Kleider von mir! Und ihr Augenärzte mit eurer berühmten Salbe, ihr könnt ja selbst nicht sehen. Laßt euch erst einmal von mir die Augen öffnen!“

Damit soll auch uns gesagt sein: Man hat vielleicht ein ansehnliches Einkommen und ein dickes Sparbuch und kann doch vor Gott bettelarm sein. Man kann andere einkleiden und selbst in Blöße und Schande herumlaufen. Man kann augenkranken Menschen für teures Geld Salbe verkaufen und doch für dringliche und unaufschiebbare Dinge, für Gott und die Menschen blind sein.

Sicher gibt es auch bei uns manche Dinge, auf die wir uns verlassen, die aber bei Gott gar nichts gelten. Wir streben auch nach äußerem Lebensstandard und haben keine Zeit und kein Geld für den Mitmenschen. Bei allem Reichtum geht die Menschlichkeit verloren. Wie mancher repariert an seinem Haus herum und versäumt darüber den Gottesdienst.-Wie wenig berührt uns doch der Krieg in …… weil wir selber Ruhe haben. Wie wenig kümmert uns eine Naturkatastrophe, wenn es nur uns nicht getroffen hat.

Es kann uns aber als Christen nicht gleichgültig sein, ob die Gemeinde jeden Sonntag Gottesdienst hat oder nicht - ob in der Gemeinde das Abendmahl hochgeschätzt oder geringgeachtet wird - ob die Kinder zum kirchlichen Unterricht und zum Kindergottesdienst gehen oder nicht - ob in den Familien am Tisch gebetet wird oder nicht, ob den Hungernden in der Welt geholfen wird oder nicht.

Nicht der Atheismus ist die größte Gefahr für die Kirche, sondern Selbstgerechtigkeit und Gleichgültigkeit. Der Atheismus gibt sich als Gegner wenigstens gleich zu erkennen und man kann sich dagegen wappnen. Die Gleichgültigkeit aber ist wie eine schleichende Krankheit, ohne Schmerzen, aber am Ende doch tödlich.

Unsre Gefahr ist, daß wir bei aller „Christlichkeit“ Gott gar nicht an uns heranlassen. Warum sollte man nicht zur Kirche gehören, das ist ja Tradition. Aber man braucht sich ja dabei nicht in Unkosten zu stürzen. Den lieben Gott lassen wir einen frommen Mann bleiben und behalten uns selbst alles Weitere vor. Die kirchlichen Fassaden können ruhig stehen bleiben, denn es lebt sich ganz gut hinter ihnen; vor allen Dingen fühlt man sich hier vor Gott sicher.

Manche meinen: „Wenn einer aus der Kirche ausgetreten ist, dann sollte er sich auch dazu bekennen. Darum sollte er auch nichts dagegen haben, daß dieser Austritt genauso wie eine Taufe auch im Gottesdienst abgekündigt wird!“ Aber viele wollen das nicht. Sie wollen zwar ihr Ansehen bei den Nachbarn wahren, wollen sich aber nicht wirklich engagieren.

Es gibt auch Leute, die meinen: „Die Kirche sollte trotzdem solche Leute gegen eine entsprechend hohe Geldzahlung beerdigen!“ Das ist ja nur auch wieder inkonsequent: Entweder hält einer etwas vom Glauben und beteiligt sich voll und ganz bei der Kirche, da wird er auch kirchlich beerdigt. Oder er ist dagegen, dann kann er logischerweise auch nicht mit Gebet und Segen beerdigt werden.

Die Kirche ist kein Dienstleistungsbetrieb, der für Geld alles macht. Hier muß sich schon jeder entscheiden - und zwar zu seinen Lebzeiten - wie er es einmal haben will. Man kann mit Gott kein unernstes Spiel treiben. Er nagelt uns fest, so wie die Menschen damals seinen Sohn Jesus festgenagelt haben. Selbst wenn wir gleichgültig bleiben oder unentschieden, haben wir damit dennoch eine Entscheidung getroffen.

Die Zugehörigkeit zu Christus ist nicht Sache unserer Wahl. So wie wir uns Vater und Mutter nicht aussuchen konnten, so können wir auch nicht den Ursprung aller Schöpfung aussuchen. Wir können uns die Sonne nicht aussuchen, von der wir alle leben, aber wir dösen oft gedankenlos unter dieser Sonne dahin.

Aber es ist nun einmal so, daß die „Religion“ bei wachsendem Wohlstand und zunehmender Sicherheit bei den Leuten an Interesse verliert. Aber wir irren, wenn wir meinen, mit steigendem Monatseinkommen könnten wir Gott für immer entbehrlicher halten. Wir irren aber auch, wenn wir meinen, Gott würde uns absichtlich kurz halten, damit er nicht überflüssig wird in unsren Augen. Er ist nicht ein Gott, der zum Ausgleich einige Trostpreise verteilt.

 

3. Auf Christus einlassen: Glaube und Wohlstand schließen sich nicht aus. Abrahams Glaube wird in der ganzen Bibel als beispielhaft erwähnt und doch war er sehr reich. Nur ist es eben falsch, wenn man den Wohlstand für den einzigen Sinn des Lebens hält. Es ist nicht bedenklich, wenn wir etwas haben. Es kommt nur darauf an, wie wir das ansehen, was wir haben:

ob wir uns darauf verlassen und Gott für überflüssig halten oder ob wir alles als Gottes Geschenk in Empfang nehmen.

Gott kennt aber unsre Schwächen auf diesem Gebiet. Deshalb warnt er uns und straft uns notfalls auch, aber aus Liebe. Es geht dabei nicht ohne Schmerzen ab. Aber was eigentlich so hart klingt, ist in Wahrheit ein großer Angriff seiner Liebe auf uns. Am Buß- und Bettag sind harte Töne üblich; es ist nicht alles so bequem, was wir uns von der Bibel sagen lassen müssen.

Aber wir wollen zum Schluß doch nicht der Trost vergessen, der uns auch heute gesagt wird: Jesus geht nicht einfach an unsrer Tür vorbei, sondern er klopft an und will hereinkommen, auch wenn wir im Grunde noch so schlechte Menschen sind. Nur wenn wir die Tür zulassen, wird uns das zum Gericht. Wenn wir Jesus aber hereinlassen, dann können wir noch einmal umkehren. Das ist nämlich mit dem Wort „Buße“ gemeint.

Auch wenn wir nicht nach ihm gefragt haben, so klopft er doch bei uns an und fragt nach uns. Dann können wir noch einmal von vorne anfangen. Wir brauchen eben nur die Tür zu öffnen, und zwar nicht nur einen Spalt, sondern richtig weit. Dann kann er hereinkommen und mit uns am Tisch sitzen und essen. Er kommt nicht zum Gericht, sondern zum Mahl. Er kommt als unser bester Freund. Aber gerade deshalb sollten wir für ihn bereit und offen sein. Aber dann sind nicht mehr wir die Gastgeber, sondern Christus lädt uns ein zu seinem Mahl.

 

 

Offb 5, 1 – 14 (1. Advent):

Die Geschichte unseres eigenen kleinen Lebens und unserer ganzen Welt ist voller Rätsel. Sie ist ein Buch mit sieben Siegeln. Das muß jeder auf seine Weise erfahren. Wir sehen es an unserer persönlichen Last. Wer eine Krankheit und Unfall erfährt oder wenn uns ein Unrecht zugefügt wird oder wenn wir etwas nicht verstehen oder von anderen nicht verstanden werden.

Aber ein Rätsel bleibt uns auch die Welt, in der es Krieg, Hunger, Rassismus, Unterdrückung und wer weiß was alles gibt. Warum ist das so? Wohinaus soll das führen? Werden wir als Spielball des Schicksals sinnlos hin und her geworfen? Ist unser Leben eine einzige Berg- und Talfahrt, mit der wir uns abfinden müssen oder möglichst das Beste daraus machen sollten? Oder sollen wir alles nur seinem Lauf überlassen?

Wir können und müssen die Zukunft planen, aber wir können sie nicht machen. Vieles bleibt doch unsicher und ungewiß, und deshalb haben wir auch vielfach Angst vor der Zukunft. In jedem Menschenherzen wacht einmal die Frage auf, warum und wozu man schwere Schicksalsschläge hinnehmen mußte und welcher Sinn in der eigenen Lebensgeschichte liegt. Auch für einen Christen können solche Fragen zu einer Anfechtung werden, wenn ihm der Glaube an die Führung Gottes getrübt wird oder verloren geht.

Das Buch der Offenbarung des Johanes wendet sich an Christen, denen es auch so ging, die ganz besonders solche Fragen haben mußten. Sie wurden nämlich vom römischen Staat hart verfolgt. Sie glaubten an die Macht ihres Herrn Jesus Christus. Aber einstweilen hatte noch der Kaiser Domitian die Macht.

Dieser Kaiser hat skrupellos Blut vergossen. Seine politischen Gegner ließ er verschwinden oder brachte sie um. Unliebsame Menschen ließ in der Arena mit wilden Tieren kämpfen und freute sich, wenn sie zerfleischt wurden. Es war ihm ein Vergnügen, wenn sich die Gladiatoren gegenseitig niedermetzelten. Er freute sich, wenn man vor ihm zitterte. Ein Hauptziel seines Wütens waren die Christen, weil sie bei dem Kaiserkult nicht mitmachten und sich nicht der herrschenden Ideologie beugten. Die Christen ließen sich schon immer schlecht einordnen - selbst in sogenannten „christlichen“ Staaten -so daß sie in besonderer Weise den Haß der Herrschenden herausforderten.

Wie konnte man da einer bedrohten Gemeinde Trost und Hilfe geben? Der Seher Johannes konnte es tun, weil er einen Blick in den himmlischen Thronsaal Gottes tun durfte. Er erlebt sozusagen einen Gottesdienst im Himmel mit, von dem unser irdischer Gottesdienst nur ein schwacher Abglanz sein kann.

Zunächst geht es um das Buch mit sieben Siegeln. Gott hat es auf seiner rechten Hand. Er hält es anbietend hin, damit es jemand nimmt, der die Siegel aufbrechen kann Aber niemand ist dazu fähig, niemand kann das Buch öffnen und seinen Inhalt erklären. Dabei wäre das so unheimlich wichtig. Das Buch enthält nämlich der Plan Gottes für die weitere Geschichte der Welt und der Kirche. Hier ist der unverbrüchliche Wille Gottes in Form eins rechtsgültigen Dokuments niedergelegt. Was auch kommt - Gott hat es beschlossen, das soll die Gemeinde wissen.

Aber wenn niemand das Buch öffnen kann, bleibt es ein Geheimdokument, dann kann es nicht vollstreckt werden. Denn indem ein Siegel nach dem anderen aufgebrochen wird, geschieht auch tatsächlich im Himmel und auf Erden, was Gott in dem Buch festgelegt hat. Die Heilsgeschichte ist also da, aber nicht zugänglich.

Dabei wäre es unbedingt notwendig, über den Plan Gottes Bescheid zu wissen. Die Gemeinde wird ja verfolgt und vermag an dieser Situation von sich aus auch nichts zu ändern. Der Seher muß das unheimliche Schweigen quälend empfunden haben, jene peinigende Unfähigkeit, das Buch aufzutun und damit das von Gott vorgesehene Geschehen in Gang zu bringen. Die Gemeinde möchte gern den Arm Gottes bewegen, aber es rührt sich nichts, die Heilsgeschichte stockt. Da kann man nur weinen, weil nichts weiterrückt und alles Geschehen total gelähmt ist.

Der Trost kommt vorn einem der 24 Ältesten, die um den Thron stehen und die sowohl die alttestamentliche als auch die neutestamentliche Gemeinde repräsentieren. Er weist hin auf den im Alten Testament verheißenen Messiaskönig, der nun die Macht hat, Gottes Plan mit der Welt Zug um Zug durchzuführen. Dem Seher wird gesagt: „Weine nicht! Christus ist ja der Sieger!“

Allerdings erscheint dieser Christus dann doch anders, als man es zunächst erwartet hatte: Er ist ein Lamm, das sich ohne Widerstreben hat schlachten lassen. Und doch ist er kein kleines wehrloses Lämmchen, wie man es oft auf Bildern sehen kann. Dieses Lamm hat sieben Hörner, die seine Fülle und Kraft andeuten. Und es hat sieben Augen mit denen es alles sieht und durchschau, auch die Not der Gemeinde. Dieses Lamm ist der Sieger geblieben, es ist in Wahrheit ein Löwe!

Dieses Lamm allein ist würdig, die sieben Siegel zu öffnen, denn es hat mit seinem Blut die Menschen aus allen Völkern erkauft. Der Kaiser Domitian war nicht würdig. Er ließ sich zwar wie ein Gott verehren und hatte überall Gottesdienste zu seinen Ehren eingerichtet. In der kaisertreuen Stadt Ephesus (in deren Nähe sich Johannes ja aufhielt) wurde er besonders unterwürfig verehrt. Aber aller Macht- und Prachtaufwand des Kaisers war eben nur eine kümmerliche und lächerliche Nachahmung des göttlichen Gottesdienstes. Ein Kaiser ist eben kein Gott!

Damit wird aber doch gesagt: Wir brauchen uns nicht zu fürchten. Jesus hat die Macht der Gewaltigen gebrochen. Er ist stärker als Mächtigsten dieser Welt. Die politischen Machthaber sind dabei heute nicht so gefährlich, jedenfalls nicht bei uns. Wie ist es aber mit den Mächten wie zum Beispiel Unglück und Leid? Christus ist auch stärker als diese Mächte, die so oft das Leben des Einzelnen bedrohen. Vor nichts und niemand brauchen wir Angst zu haben. Denn Jesus ist der Herr der Geschichte, die anderen sind nur kleine Rädchen.

Allerdings sieht die Macht dieses Christus ganz anders aus als irdische Macht. Er verschmäht ja bewußt alles, worauf der Kaiser seine Gewaltherrschaft aufbaut und womit er sie aufrecht erhält. Er geht als Sündenbock ans Kreuz und Trägt die Sünde anderer. Es ist eine stille Macht, die er ausübt. Wer davon nichts weiß, wird auch vor einem solchen König nicht viel Respekt haben.

Auch wir erliegen immer wieder denn Glauben an die Gewalt. Entweder beugen wir uns zu schnell einer weltlichen Macht, oftmals schon, wenn sie nur angedroht wurde. Oder wir verlassen uns im Notfall doch lieber auf „groß Macht und viel List“, um uns selber zu retten. Sicherlich wissen wir in der Theorie, daß nur Jesus unser Helfer ist. Aber wenn wir selber in Bedrängnis kommen und nervös werden oder verzagt, dann halten wir doch noch nach andern Helfern Ausschau.

Aber all das ist natürlich nutzlos und sinnlos. Wir müssen uns vor Augen halten: Unter uns ist nicht die Hölle los, aber wir haben auch nicht den Himmel auf Erden. Aber Jesus Christus ist unterwegs, um alles neu zu machen. Aber er geht seinen eigenen Weg. Seine Herrlichkeit verbirgt sich unter seiner Niedrigkeit.

Auch für uns liegt die Zukunft nur in seiner Art. Wir werden vielleicht widerstreben, wenn wir auch zu Sündenböcken gemacht werde sollen. Aber solche Leute sind notwendig in der Familie und am Arbeitsplatz, wenn es in unsrer Welt einigermaßen weitergehen soll. Das Vorbild Jesu kann dabei Kraft geben, manches auszuhalten, was man an sich gar nicht verdient hat.

All das wird nicht abgehen ohne Hingabe unsrer Zeit und Kraft, unsrer Liebe und unseres Geldes, unsrer Nerven und unsrer Bequemlichkeit. Doch dies bleibt nicht ohne Verheißung. Wer so handelt, wird immer mehr die Macht Jesu in dieser Welt spüren.

Solange die Weltgeschichte noch nicht an ihr Ende gekommen ist, wird die verborgene Herrschaft Christi aber die Welt nur im Bekenntnis und im Leben der Gemeinde deutlich. Wenn der himmlische Hofstaat zum Lobpreis vor dem Lamm niederfällt, dann sind die Christen mit ihren Gebeten daran beteiligt. Lob und Anbetung Gottes helfen, über die bedrängende Ge­gen­wart hinauszuschauen auf den König Jesus Christus.

Wenn wir mit den Problemen unseres Lebens fertigwerden wollen, auch mit den oft bedrängenden Zwängen und Notwendigkeiten unseres Alltags, denen wir uns nicht entziehen können, dann hilft nur eins: auf dem gekreuzigten Christus sehen, ihn anbeten und von ihm alles

Erwarten Das holt die Zukunft schon zu einem Stück in unsre Gegenwart hinein  und hilft dazu, diese Gegenwart zu bestehen.

 

 

Offb 15, 2 - 4 (Kantate):

Heutzutage wird fast nur noch in der Kirche gesungen. Natürlich gibt es Schlagersänger, es gibt die Oper und es gibt Chöre. Aber dabei handelt es sich um Berufssänger oder Fachleute. Es gibt auch noch das Gegröhle nach reichlichem Alkoholgenuß und gelegentlich einmal ein Arbeiterlied. Und die Fußballer singen nicht einmal die Nationalhymne wird mehr gesungen, wie das in anderen Ländern üblich ist.

Aber so richtigen Gesang, zusammen mit anderen, gibt es nur noch in der Kirche. Nur wir haben ein Gesangbuch mit über 400 Liedern, von denen allerdings 150 nicht singbar sind. Zu jedem Gottesdienst gehört das Lied dazu, so unabdingbar wie Predigt und Gebet. Bei der Liturgie oder bei den Lesungen kann man kürzen, aber nicht am Lied.

Gesungen wird auch ohne Orgel, auch wenn es der Pfarrer da schwerer hat, wenn er auch noch den Gesang anführen soll. Wo man allerdings einen müden und lustlosen Gesang hört, da wird auch meist geistlich etwas nicht stimmen. Das Lied und die Musik allgemein ist eine Lebensäußerung der Kirche.

Gesang gehört auch einfach zum Menschlichen. In Rhythmus und Melodie stellt sich die Bewegung des Lebens dar: Herzschlag, Atem und Schritt, das Auf und Ab der Gedanken und Gefühle verschaffen sich Ausdruck im musikalischen Geschehen. Schmerzenslaute, Freudenschreie, Ausrufe des Staunens, spontanes Aufatmen - das sind Urlaute, die im musikalischen Geschehen Zusammenhang und Gestalt gewinnen.

Käme es bei uns nicht zum Singen, dann hätten wir schon rein körperlich einen Mangel. Wer nicht singt, ist kurzatmig. Er hat ein verschlossenes und abgegrenztes Verhältnis zu seiner Umwelt. Wer nicht frei heraus singen kann, was in ihm vorgeht, verschließt sich in sich selbst und bleibt mit dem allein, was ihn bewegt. Im Singen geht man aus sich heraus, da wird Seelisches leibhaft.

Das gilt auch für die Kirche. Das Singen ist nicht etwas, das in der Kirche ohne Schaden wegbleiben könnte oder sogar etwas ihr Fremdes wäre. Gottes Wort ruft unsre Antwort hervor - in Gebet und Lobgesang. An dem Singe-Sonntag „Kantate“ wollen wir uns das wieder einmal besonders vergegenwärtigen.

Nicht alle Musik, die in der Kirche erklingt, ist auch Kirchenmusik. Wenn ein Dichter oder Komponist oder Sänger nur sich selbst darstellen will, dann ist das noch kein Gottesdienst. Der Gottesdienst ist Sache der Gemeinde. Gesungen wird, was alle angeht und allen gehört. Was nur mich allein bewegt, mich freut oder bedrängt, kann nicht anderen aufgenötigt werden.

Das klassische Lied der Kirche ist das „Wir“ - Lied. Es wird gesungen von der „christlichen Schar“, wie es im Wochenlied heißt. Und wenn in den Liedern einmal ein „Ich“ vorkommt, dann steht es stellvertretend für die ganze Gemeinde. In der Kirche geht es nicht um die Selbstdarstellung des religiösen Menschen, sondern um den Widerklang der großen Taten Gottes. Alle Musik in der Kirche ist daran zu messen, ob sie hervorgerufen ist durch die großen Taten Gottes, so wie es Paul Gerhardt sagt: „…des großen Gottes großes Tun erweckt mir alle Sinne!“

Deshalb kann die Kirche selbst dann singen, wenn sie in äußerer Bedrängnis ist. In der Offenbarung des Johannes erleben wir eine Kirche, die die Auseinandersetzung zwischen dem Drachen und dem Lamm schon erlebt hat, den Kampf zwischen Staat und Kirche. Man wartet auf der Fall Babylons und das Kommen Christi. Aber vorher kommt es noch einmal zu den letzten schrecklichen sieben Plagen. Das Vorspiel dazu hat schon begonnen.

Aber gerade in den großen Drangsalen singt die Kirche. Paulus und Silas haben im Gefängnis von Philippi gesungen. Die Christen, die man im römischen Zirkus den wilden Tieren vorgeworfen ha, gingen singend in den Tod. In den Konzentrationslagern wurde gesungen. Bis heute ist das Kirchenlied das unverfängliche Mittel, mit dem man den Diktatoren sagen kann, was man wirklich denkt. Und man kann sie empfindlich treffen, wenn man das Lied nicht singt, das sie befohlen haben, wenn man einfach absichtlich quer singt, so daß aufgehört werden muß.

Wenn die Gemeinde auf Erden singt, dann wird das gleiche Lied auch im Himmel gesungen. Mit dem gläsernen Meer ist der Himmel gemeint als der blaue Fußboden des himmlischen Thronsaals, der von dem feurigen Licht der aufgehenden Sonne bestrahlt wird. Dort stehen mit ihren Harfen die Sieger, die es geschafft und durchgehalten haben.

So sieht die kleinasiatische Kirche, an die sich die Offenbarung wendet, die Auseinandersetzung mit dem sich selbst vergottenden Kaisertum. Es galt, einen großen Kampf zu bestehen. Es sah alles so aus, als siegten die die Gemeinde bedrängenden Mächte: das Tier aus dem Abgrund als Symbol des gottfeindlichen Staates, das Bild, das der Kaiser Domitian nach Ephesus hatte bringen lassen, damit man ihm Verehrung erweise. Wer hier seinem Herrn und Gott treu bleiben wollte, riskierte sein Leben. Da galt es, nicht „umzufallen“ und schwach zu werden, sondern allein Gott die Treue zu halten. Das „Du allein bist heilig“ bekommt seine Aussagekraft erst auf diesem zeitgeschichtlichen Hintergrund.

Aber den Christen wird gesagt: Mitten im Gedränge des irdischen Geschehens siegt das „Lamm“, siegt Christus. Allerdings muß das für den Einzelnen nicht bedeuten, daß man sich äußerlich durchsetzt und ungeschoren davonkommt. Oft muß man auch unter Gefahr und Opfer das Gebotene durchhalten. Damals wie heute wird es auch welche gegeben haben, die sagten „Wer wird denn so dumm sein, seine Haut zu Markte zu tragen? Man muß sich auch etwas anpassen und kann doch nicht immer gegen den Strom schwimmen! Man kann es den Kindern doch nicht unnötig schwer machen!“

Doch in den Anfängen der Kirche hat man anders gedacht. Sie singen das Lied des Mose, der mit seinem Volk das andere Ufer erreicht hat. Sie haben durchgehalten und haben die Freiheit und Gottes Verheißungen gewonnen. Doch das ist kein Grund, sich selbst zu rühmen. Ihr Lied

ist ein großes Staunen über den herrlichen Gott.

Dann aber ist das Moselied nichts anderes als das Lied des Lammes. So wie Mose sein Volk durch das Wasser führte, so führt Christus durch das Wasser der Taufe zu einem neuen Leben. In diesem Wasser wird der alte schuldbeladene Mensch ertränkt, der Mensch ist nicht mehr in der Knechtschaft seiner Schuld gefangen. Eine neue Richtung wird gezeigt, ein Ausweg aus dem Karussell, in dem man sich nur immer um sich selbst gedreht hat. Nun kann man auch den Menschen neben sich ertragen und ihm vergeben, kann aus sich herausgehen und Liebe verschenken.

Wer es „geschafft“ hat, ist dem Mitmenschen und vor allem Gott zugewandt. Mancher wird vielleicht gar kein Verlangen danach haben, eine Ewigkeit lang Psalmen und Hymnen zu singen. Aber „im Himmel soll es besser werden“, nicht nur mit unserem Singen, sondern auch mit unserer gesamten Gotteserfahrung. Das unmittelbare Verhältnis zu Gott löst spontanes Gotteslob aus, das Staunen über Gott wird uns so überwältigen und Äußerungen der Freude wecken, die uns niemand zu befehlen braucht.

Man kann Gott verschieden loben: im Gebet, mit der Tat, in der Art wie man gehorcht und notfalls auch leidet. Das Singen ist das vergleichsweise „Himmlischste“ in unserem Leben. Es ist auch möglich, wenn die Vergangenheit mancherlei Rätsel und Wirrnisse aufgegeben hat. In der Kirche soll den Menschen nicht das Gruseln gelehrt werden, sondern sie sollen erkennen: Auch in dieser Welt der Konflikte und Störungen kann man singen und Gott loben. Man

kann Gott sogar noch für die Ungereimtheiten des Geschichtsverlaufs loben, denn er ist immer unser Gott und nichts mehr steht zwischen ihm und uns.

„Was uns singen macht, ist, was im Himmel ist!“ So hatten wir gesagt. Aber wir singen schon auf dieser Erde - und das mit gutem Grund. Der Glaube sieht alles mit neuen Augen. Er rechnet mit Gott. Er blickt nicht bloß auf die in der Welt vorliegenden Gegebenheiten und begnügt sich nicht mit der Frage: Was ist drin?

Natürlich wird auch der Glaubende die Welt durchforschen nach den Möglichkeiten zum Guten, die in ihr liegen. Zeitliches Leben ist nicht zu verachten, sondern auszukaufen. Und wir werden uns auch mit denen verbunden wissen, die sich nicht in der Lage sehen, auf Gott zu hoffen und seine neue Welt zu erwarten, die dafür aber selbst umso kräftiger zupacken. Wir werden selbst auch versuchen, alle Plagen - soweit wir können- zu mildern oder gar abzuwenden. Geschaffenes Leben zu erhalten und zu pflegen - das ist Aufgabe der ganzen Menschheit, zu der die Christen ganz besonders verpflichtet sind.

Doch der Christ rechnet dabei mit dem Kommen des Reiches Gottes. „Dann werden alle Völker kommen und anbeten vor dir, denn deine gerechten Gerichte sind offenbar geworden!“. Aber sind sie denn schon offenbar? Für uns sind sie es noch nicht. Der Lauf der Weltgeschichte ist uns undurchsichtig. Gott kann auch die Menschen, die er liebhat und denen er weiterhelfen will, erst recht in die Tiefen schicken.

Die Gemeinden Kleinasiens befanden sich in einer solchen Tiefe, als das Buch der Offenbarung sie erreichte. Sie hatten keinen Anlaß zum Triumphieren, aber sie singen. Sie sehen Gott noch nicht von Angesicht zu Angesicht, aber sie kennen ihn durch Jesus Christus. Sie wissen: Was jetzt geschieht, das geht vorüber. Wichtig ist allein, wer kommt. Weil man den kommenden Herrn kennt und weiß, wer die Weltgeschichte aus dem Hintergrund heraus steuert, kann man singen.

Wir können schon leben als gehörten wir zur Gemeinde der Vollendeten. Was sich jetzt noch in der Welt ereignet, ist nur Vorspiel für das Kommen des Herrn. Wir können uns nur freuen auf das, was uns bevorsteht. Auf jeden Fall haben wir guten Grund zum Singen.

 

 

Offb 21, 1 - 7 (Ewigkeitssonntag, Version 1):

Unser Leben ist vom Tod bedroht. Er trennt uns von den Menschen, die uns lieb waren. Er zerstört unsere Lebensziele und frißt unsere Hoffnungen auf. Vor allem aber will er uns den Glauben an den Sinn und die Zukunft der Welt nehmen. Der Tod zeigt uns, daß uns Grenzen gesetzt sind und wir oft nicht zum Ziel kommen mit dem, was wir wollen.

Wir haben Menschen begraben in diesem abgelaufenen Kirchenjahr, die noch hätten leben können und wollen. Zum Teil waren es Menschen auf der Höhe ihres Lebens, die morgens aufbrachen und abends nicht zurückkehrten. Aber auch Kranke, die sich monatelang oder gar jahrelang gegen den Tod gewehrt haben und ihm am Ende zum Teil mit schrecklichen Schmerzen doch unterlegen sind. Manches Jahr müssen wir auch Väter und Mütter kleiner Kinder beklagen oder auch Kinder und Jugendliche.

Aber wir haben sicherlich auch Lebensziele begraben in diesem Jahr. Manches von dem, was wir verwirklichen wollten, ließ sich nicht durchführen. Wir haben Entwürfe begraben müssen, an denen unser Herz hing. Vielleicht sind wir auch bescheidener geworden in unseren Ansprüchen: Nicht immer ist das ohne Schmerz abgegangen.

Wir haben auch Beziehungen sterben sehen in diesem Jahr. Freundschaften haben sich abgekühlt oder sind verlorengegangen, so als habe es sie nie gegeben. Ehen sind auseinandergegangen, an denen noch vor zwei Jahren niemand gezweifelt hat. Die Zusammenarbeit zwischen Menschen klappt nicht mehr; mancher findet sich plötzlich auf eine gefährliche Weise alleingelassen.

Schließlich haben wir auch Hoffnungen begraben müssen: Hoffnungen für uns selbst und für die Menschen irgendwo in der Welt, für die wir eine Veränderung erwartet haben. Hoffnungsvolle Anfänge wurden wieder erstickt. Politische Umstürze haben nur neue Unterdrückung gebracht. Ein Ausgleich zwischen Armen und Reichen findet nicht statt.

Das alles sind die Kennzeichen der alten Welt, in der wir leben und leiden. Aber in der Bibel wird uns eine Welt versprochen, in der das alles nicht mehr sein wird. Johannes sieht in seiner Offenbarung die Welt schon in ihrer Vollendung. Wir können sie noch nicht so erleben. Aber sie soll so werden, wie Johannes sie sieht: eine Welt, in der niemand mehr zu weinen braucht.

Im Grunde möchte jeder Mensch erfahren, wie es sein wird, wenn unsere Welt einmal an ihr Ende kommt. Es gibt natürlich auch solche, die rundweg erklären: „Wir wissen, was kommt, nämlich gar nichts mehr!“ Aber ein Christ darf anders denken. In seinem Glauben, gibt es Gründe, die ihn hoffen und warten lassen. Ihm ist klar, daß Gott ihn nicht aufgibt. Was man liebt, das läßt man nicht zugrunde gehen. Die Hoffnungen der Christen sind dabei nicht Wunschträume, sondern die beruhen auf der in Christus gewonnenen Gotteserfahrung. Das letzte Wort über uns und die Welt spricht der, der auch das erste Wort gesprochen hat: der das A und das O ist, der Anfang und das Ende.

Es gibt natürlich auch irdische Zukunftserwartungen. Als der frühere chinesische Ministerpräsident Chou-en-lai den Tod kommen fühlte, da sagte er: „Ich werde jetzt bald vor Karl Marx stehen!“ Meinte er damit, daß er sich vor Karl Marx verantworten müsse? Oder freute er sich nur darauf, jetzt mit ihm diskutieren zu können. Auch die Kommunisten haben eine Zukunftserwartung, wenn auch nicht unbedingt für den Einzelnen, so doch für ihre Sache. Sie erwarten ein kommunistisches Paradies, in dem es auch wieder so sein soll wie am Anfang der menschlichen Gesellschaft. Aber das bleibt alles innerweltlich.

Was die christliche Hoffnung vor diesen Erwartungen unterscheidet ist dies, daß Gott in der Mitte steht. Es ist der Gott, wie wir ihr in Christus kennen, der Gott für die Menschen und für die Welt. Er will uns nicht in ein unwirkliches Himmelreich versetzen, sondern hat durchaus unsere Welt mit im Auge. Wenn Johannes auch zu Gott aufschaut, so steht er doch mit beiden Beinen auf der Erde. Was er uns vor Augen stellt, wird für uns umso glaubhafter sein, je mehr es mit unsrer Erde zusammenhängt.

Gott will nicht mit sich allein sein, sondern er ist uns in Liebe zugewandt. Einst wird nichts mehr zwischen ihm und uns sein, wir werden ihn ganz nahe haben. In der Offenbarung wird es mit einem Bild gesagt: Die ewige Stadt wird auf die Erde herniederfahren. Gott wird seine Hütte bei uns haben und bei uns wohnen. Gott hat zwar seine eigentliche Wohnung im Himmel. Durch diese Redeweise wird angedeutet: Er ist von allen seinen Geschöpfen unterschieden und von ihnen aus unerreichbar. Aber er hat noch eine Zweitwohnung, ein Sommerhaus, bei den Menschen. Wenn er Lust hat, begibt er sich dorthin und läßt sich auch von uns dort finden.

Gott war zu finden, wo zu Zeiten Jakobs die Himmelsleiter stand. Er war zu finden in dem heiligen Zelt mit der Bundeslade und im Allerheiligsten des Tempels von Jerusalem. Für uns wurde er besonders sichtbar in Jesus Christus, über dem der Himmel offen stand. Und er ist heute noch sichtbar und greifbar in Brot und Wein, das uns beim Abendmahl gereicht wird.

Gott ist uns aber nicht nur ganz nahe, sondern er ist auch der „Gott-mit-uns“. Wir kümmern uns ja oft nicht um ihn, sondern wollen unsere eigenen Wege gehen. Wir sind nicht nur ein wanderndes, sondern auch oft ein irrendes Gottesvolk. Aber er gibt uns nicht auf, sondern holt uns immer wieder zurück.

In der Bibel wird dafür öfters das Bild von Bräutigam und Braut gebraucht. Gott hält trotz aller Enttäuschungen an seiner zweifelhaften Braut fest. Wenn er die Erde neu macht, dann wird auch seine Gemeinde eine richtige Braut, die sich für ihren Mann schön macht. Noch sind wir nicht soweit.

Jeder Gottesdienst ist aber von der sehnsüchtigen Vorfreude auf das Einswerden mit Gott erfüllt. Je mehr uns aufgeht, wie sehr Gott uns liebt, desto mehr werden wir auch unsere Liebe zu Gott entdecken. Es sollte auch niemand meinen, das ungestörte Verbundensein mit Gott werde die Ewigkeit langweilig machen. Eine Ehe ist ja auch nicht langweilig. Das Endliche und Unheilige hat man eines Tages über, aber Gott nicht!

Doch etwas von dieser Zukunft Gottes soll natürlich auch schon in unsrer heutigen Welt deutlich werden. Die Offenbarung des Johannes ist weit entfernt von einer düsteren Weltuntergangsstimmung. Das Vergehen der Welt wird nicht geleugnet, aber es ist doch durch die österliche Hoffnung überstrahlt. Deshalb können auch Christen alles Menschenmögliche unternehmen, um auf der alten Erde das Schlechtere durch das Bessere zu ersetzen. Es geht nur um das Menschenmögliche, aber der Spielraum dafür ist groß. Wir erwarten zwar, daß Gott alles Leid und allen Schmerz beseitigt. Aber wir werden doch alles tun, was in unseren Kräften steht, um dieser Hoffnung auch mit Taten Ausdruck zu geben.

Weil Gott die Tränen abwischen wird, hat es Sinn, hier schon die Tränen zu trocknen oder noch besser: von vornherein zu verhindern! Wir können nicht für immer die Tränen vermeiden, aber wir können immer wieder Tränen trocknen. Wir können die Lebensangst nicht für immer aufheben, aber immer wieder überwinden. Gott aber will, daß einmal kein Leid und Geschrei mehr sein wird.

Johannes spricht vom Wasser des Lebens. In der Bibel gibt es zwei Traditionen, wie das Wasser gesehen wird. Einmal ist es die lebensbedrohende Macht, das wilde Meer, das immer wieder die Schöpfung Gottes angreift. Schöpfung bestand nach dieser Sicht darin, daß Gott das Meer zurückdrängte und in seine Schranken wies. So wird er es am Ende der Zeit aber auch mit allem machen, was die Welt und das Menschenleben bedroht. Auch der Tod wird nicht mehr sein, auch ihm wird seine Grenze gesetzt.

Im Augenblick werden erst noch Tränen geweint. Vor unser Leben ist als Vorzeichen das Kreuz gesetzt. Wir haben erst einen Kampf durchzustehen und uns durchzuglauben zu Gott. Aber nur so können wir seine Kinder und damit auch Erben werden. Aber dann wird uns auch aufgehen, daß das Wasser auch noch eine andere Seite hat: Es ist auch das lebensspendende Element. Nach der zweiten Schöpfungserzählung der Bibel beginnt die Schöpfung damit, daß ein feuchter Nebel die trockne Steppe befeuchtet. Nur wo Wasser ist, kann etwas wachsen.

Das Wasser des Lebens besiegt auch den Tod. Solches Wasser hat uns Jesus schon in seinen Erdentagen versprochen. Er bietet es uns umsonst an. In diesem „umsonst“ liegt die ganze frohe Botschaft Jesu.

Wer darauf hofft, der sieht die alte Welt schon mit neuen Augen. Im Augenblick ist nur die Raupe wahrzunehmen; aber nach der Verpuppung wird ein schöner Schmetterling daraus. Gott wird noch allerhand mit unserer Welt und ihren Menschen machen. Er hat sie lieb und wird sie samt uns in sein Neuschaffen einbeziehen.

 

Offb 21, 1 – 7 (Ewigkeitssonntag, Version 2):

Juri Gagarin war der erste Mensch im Weltraum. Als er von seinem Raumflug zurückkehrte, da fragte man ihn auch, ob er da „oben“ auch Gott gesehen habe. Er verneinte natürlich, Gott sei ihm im Weltraum nie begegnet. Damit glaubte er, eine wer weiß wie atheistische Meinung geäußert zu haben. Dabei hätte er das auch schon vorher wissen können. Um so etwas festzustellen, braucht man nicht zum Mond oder sonst in den Weltraum zu fliegen. Wo die Raketen kreisen, da hat Gottes Thron nie gestanden. Und es ist an sich bedauerlich, daß ein so gebildeter Mann wie Juri Gagarin sich zu so einer unqualifizierten Äußerung hat hinreißen lassen.

Aber vielleicht hat uns auch schon die Frage mancher Spötter zu schaffen gemacht: „Wo ist denn nun euer Himmel, wo ist euer Jenseits?“ Aber diese ganze Diskussion ist doch fruchtlos, die Aufteilung in Diesseits und Jenseits an sich belanglos. Denn Himmel und Erde werden vergehen, Gott wird mit dem Alten völlig Schluß machen und etwas Neues an seine Stelle setzen.

Das Wort „neu“ ist ja der beherrschende Ausdruck in diesem Bibelabschnitt. Heutzutage soll ja alles neu sein oder neu werden. Das Alte wird abgewertet, höchstens Antiquitäten und Folklore kommen wieder in Mode, aber das sind mehr Randerscheinungen. Ansonsten aber will man den neuen Menschen, neue Methoden, neue Höchstleistungen, neue Technik, neue Wohnungen usw. Ja, es gibt sogar noch die Steigerung „das Neuste“ oder gar das „Allerneuste“! Man weiß eben, daß die Geschichte auf ein Ziel zuläuft und man sich immer diesem Ziel zuordnen muß.

Unser Ziel aber der neue Himmel, das „neue Jerusalem“. Doch vergessen wir nicht: Das ist ein Bild. Das neue Jerusalem ist noch nicht irgendwo vorhanden und würde dann nur auf die Erde herabgesenkt. Wir können nicht so tun, als hätten wir die kommende Welt Gottes schon gesehen oder wenigstens einen ausführlichen Reiseführer studiert.

Aber andererseits werden wir auch nicht nur mit Gott „auf du und du“ verbunden sein, während die Welt und die Natur ins Nichts versinken. Gewiß wird das Alte vergehen. Das müssen wir uns einmal klar machen: alle Menschen, Häuser, Berge, Maschinen werden einmal nicht mehr sein. Daß wir selbst einmal sterben müssen, müßten wir uns eigentlich jeden Tag sagen, obwohl wir den Gedanken doch von uns wegschieben wollen.

Daß unser Haus, unsere Kirche, unser Ort einmal zugrunde gehen können, das läßt sich noch vorstellen. Daß ganze Länder und Völker nicht mehr bestehen, das ist schon vorgekommen und wird weiterbestehen. Und die Wissenschaftler sagen uns auch, daß unsre Erde einmal ein Ende finden wird, zumindest alles Leben auf ihr. Doch immer denken wir: „Irgendwie wird es schon weitergehen!“

Aber hier geht es um mehr, nämlich um das Ende des gesamten Weltalls. So wenig wir uns vorstellen können, daß Gott den Himmel und die Erde aus dem Nichts hat erstehen lassen, so wenig können wir uns vorstellen, daß alles wieder spurlos ins Nichts verschwinden soll. Aber einmal wird eben das völlig Neue kommen, der neue Himmel und die neue Erde. Gott wird sie ebenso aus dem Nichts hervorbringen wie unsre jetzige Erde und unseren jetzigen Himmel. Das wird dann die Welt der Ewigkeit sein.

Allerdings wird unsere Welt in gewissem Sinne doch in der neuen Welt aufgehoben sein. Das Wort „aufheben“ hat ja eine doppelte Bedeutung: ein Vertrag kann aufgehoben werden und ist damit beendet. Er kann aber auch in einen neuen Vertrag übergeführt werden, der die wesentlichen Dinge des alten Vertrages für die Zukunft aufhebt. So wird zwar unsre Welt einerseits aufgehoben und beendet. Aber andererseits wird auch vieles von ihr in die neue Welt mit hineingenommen.

Man spricht ja heute davon, daß die ganze Welt zu einer riesigen Stadt geworden sei. Und hier in der Offenbarung des Johannes wird die neue Welt auch mit dem Bild einer Stadt beschrieben. Das himmlische Jerusalem wird zwar ganz anders sein als die Millionenstädte unserer Zeit, aber es wird doch etwas wie Heimat und Geborgenheit und Lebensqualität für die Menschen bieten.

Die Offenbarung des Johannes übernimmt ja viele Redewendungen aus dem Alten Testament. Dieses aber denkt welthaft und irdisch. Wenn es vom Frieden spricht, dann wird auch die Tierwelt in diesen Zustand mit einbezogen, keine Krankheit und keine Gebrechen wird es mehr geben. Aber es bleibt doch immer eine innerweltliche Hoffnung und der Tod behält das letzte Wort. Das Alte Testament meint immer nur die durchgreifende Reparatur eines alten Hauses, während das Neue Testament vom Abbruch des baufälligen Gebäudes und vom völligen Neuaufbau spricht. Seit Ostern fällt auf die ganze Schöpfung das Licht des Aufer­ste­hungsmorgens. Mit der Auferstehung Jesu Christi ist nicht nur den Menschen eine neue Zukunft eröffnet, sondern der ganzen Welt.

Man meint, zu Beginn dieses Kapitels ein großes erleichtertes Aufatmen zu hören. Der Abschnitt ist ganz auf Jubel und Freude gestimmt. Das Vergehen der Welt wird nicht geleugnet, aber es wird von vornherein durch die österliche Hoffnung überstrahlt. Vor allen Dingen aber ist die neue Welt unlösbar mit Gott verbunden. Sie wird die Welt des Gottes sein, der sich in Jesus Christus zum Gott der Menschen gemacht hat. Eine Stadt ohne Gott, wie wir sie heute zum Teil schon haben, wäre die Hölle. Aber unser Gott will bei uns wohnen. Er hat heute schon seine Sommerwohnung bei uns errichtet. In Jesus ist er uns nahegekommen und hat uns besucht. Jetzt will er uns nahe sein, so wie Braut und Bräutigam eng vertraut miteinander sein wollen. Er ist nunmehr unauflöslich mit den Seinen verbunden.

Dann werden auch Tränen, Schmerzen, Leid und Tod vor der Herrschaft Gottes weichen müssen. Es ist gut, wenn wir uns daran erinnern lassen, daß wir diese neue Welt noch nicht haben, sie ist immer noch eine kommende Welt. Auch das Gericht Gottes, von dem unmittelbar nach unserem Predigttext die Rede ist, können wir nicht unterschlagen. Uns kann nicht geholfen werden, ohne daß zwischen Gott und uns alles bereinigt und in Ordnung gebracht ist. Gott läßt uns noch warten. Er wirbt um uns und arbeitet an unserem inneren Neuwerden. Wir müssen einsehen, daß wir aus eigener Kraft nichts ändern können in dieser Welt. Im Gegenteil: Wir sind ja gerade im Verursachen von Tränen groß!

Aber wir können auch an das denken, was wir nicht unbedingt verschuldet haben, wie etwa Krankheit und Schmerzen. Wie viele Geduldsproben werden doch von kranken Menschen verlangt! Wie oft gibt es ein Entbehren und Sehnsucht nach Menschen und Dingen und einer Änderung der Verhältnisse! Wir leiden an anderen Menschen. Die uns zu schaffen machen. Und wir leiden auch an unserem eigenen Unvermögen und Scheitern.

Gott aber will uns das alles abnehmen. Wir sollen das Leiden der Welt nicht nur im Glauben durchstoßen und innerlich überwinden, sondern es soll ganz aus der Welt geschafft werden, wirklich weggeräumt und beseitigt. Die erneuerte Welt soll durch keine Gefahr und durch kein Böses mehr bedroht sein. Selbst das Meer, die das Leben der Menschen bedrohende Macht, soll nicht mehr sein. Die Möglichkeit und die Gefahr des Zusammenbruchs des ganzen Weltgebäudes werden ausgeschaltet. Der Mensch wird ganz in Ruhe und Frieden leben können.

„Wer überwindet, der wird das alles erben!“ heilt es am Schluß. Wer Sieger bleibt in den Anfechtungen, durch die Menschen und Christen hindurchmüssen, der wird Anteil haben an der kommenden Welt Gottes. Er wird jetzt schon von Herzen froh werden können. Fröhlichsein kann man nicht kommandieren. Aber wer sich über Gott und seine guten Gaben freut, der hat eine bleibende Freude, während die Lust an allem anderen einmal zu Ende geht.

Deswegen brauchen wir der bunten Welt, die uns umgibt, nicht untreu zu werden. Paul Ger­hardt hat in seinem Lied: „Die güldne Sonne“ auch seine Freude über den schönen Sonnenschein zum Ausdruck gebracht. Aber für ihn wurde die Morgensonne zum Gleichnis für die künftige Welt Gottes (besonders im letzten Vers).

Auch uns könnten der Anblick unserer Sonne und die Hoffnung auf die künftige Sonne zur Freude ermuntern. Wir sind der Welt das Zeugnis schuldig: „Christen sind fröhliche Leute“. Gewiß machen wir uns auch Sorgen mit den anderen, leiden wie sie und kämpfen wie sie. Aber wir bleiben dabei fröhlich und getrost, weil wir in Jesus unsere wahre Sonne haben.

 

 

 

 

 

 

 

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