Kirche ohne Stasi?

Das Verhältnis von DDR-Staat und Kirche im Kirchenkreis Schmalkalden

 

In jahrelanger Arbeit habe ich die Unterlagen der Behörde des „Beauftragten für die Unterlagen des ehemaligen Staatssicherheitsdienstes der DDR“ in der Außenstelle Suhl erforscht, soweit sie die Kirche im Dekanat Schmalkalden (heute Kirchenkreis Schmalkalden) betreffen. Dabei ist ein etwa 300 Schreibmaschinenseiten starkes Manuskript entstanden, das nicht alles aufhellen kann, aber doch manche Hintergründe aufzeigt. Im Schriftbild ist dabei kenntlich gemacht, was zusammenfassende Wiedergabe der Akten ist und was meine eigenen Ergänzungen und Wertungen dazu sind (Kursivschrift).

Das Manuskript beginnt nach einigen einleitenden Bemerkungen über das Dekanat Schmalkalden mit der Darstellung der Täter, also der vier hauptamtlichen Mitarbeiter der Staatssicherheit in der Kreisdienststelle Schmalkalden und des inoffiziellen Führungsmitarbeiters, der als Beauftragter für Kirchenfragen beim Rat des Kreises arbeitete.

Es folgt dann die Schilderung des Kampfes kirchlicher Mitarbeiter und Gruppen gegen die Versuche der Staatssicherheit, den vermeintlichen Einfluß der Kirche einzudämmen. Hier geht es um Christenlehre und Konfirmation, Jugendarbeit und Erwachsenenbildung und Nachteile in Schule, Armee und Beruf. Es geht um Umweltgruppen, Neubauarbeit und Gemeindetage. Das alles wird dann noch einmal dargestellt am Beispiel der handelnden Personen, vor allem der Pfarrer (in dieser zeitlichen Reihenfolge) Hülsemann, Heckert, Kramer und Hauser. Auch die Haltung der anderen Pfarrer wird beleuchtet.

Auf der kurhessen-waldeckschen Landessynode wurde der vorläufige Bescheid der Behörde des Bundesbeauftragten verkündet, wonach kein kirchlicher Mitarbeiter im Dekanat Schmalkalden ein sogenannter „Inoffizieller Mitarbeiter“ wa. Die Mitteilung wurde mit Beifall entgegengenommen. Das wird auch bei einem eingehenden Studium der Akten belegt: Es gab niemanden, der für Geld und mit einer Verpflichtungserklärung für die Staatssicherheit gearbeitet hat (und nur das beinhaltete die Auskunft an die Landeskirche). Es gab nur ein Mitglied des Kirchenkreisvorstandes, das von der Behörde als „Inoffizieller Mitarbeiter“ eingestuft wurde, das aber nicht bei der Kirche angestellt war.

Aber das ist nur ein Teil der Wahrheit. In Wirklichkeit gab es eine abgestufte Zusammenarbeit mit dem Staat, die gleichbedeutend war mit einer Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit, wie jeder damals wissen mußte. Jeder wußte, daß die „Beauftragten für Kirchen fragen“ alle Mitarbeiter der Stasi waren, in der Pfarrkonferenz wurde eigens darauf hingewiesen. Ihre Aufgabe war es in erster Linie, die Kirchen zu kontrollieren und zu beeinflussen.

Daß sie auch wohlwollende Ansprechpartner für die kirchlichen Mitarbeit sein sollten, war ihre Legende. Deshalb kann kein kirchlicher Mitarbeiter sich damit herausreden, er habe ja nur m it dem ihm zugewiesenen Vertreter des Staates geredet - er hat mit der Staats­sicherheit geredet. Er mußte auch damit rechnen, daß jeder Vertreter des Staates (zum Beispiel der Bürgermeister oder ein Lehrer) seine Aussage an die Staatssicherheit weiterleiten würde.

Das Spektrum der Mitarbeit mit der Stasi geht dabei bis hin zu „gleichbedeutend mit inoffizieller Mitarbeiter“. Ich habe in diesem Zusammenhang die Unterscheidung getroffen zwischen „offizieller IM“ (also mit Verpflichtungserklärung und Geldprämie) und „inoffizieller IM“. Diese Wortprägung ist meines Wissens neu.

Der „inoffizielle IM“ bezeichnet einen Menschen, der zum Beispiel wegen seiner kirchlichen Bindung niemals bereit wäre, eine Verpflichtungserklärung zu unterschreiben, weil er das als Verrat an der Kirche angesehen hätte. Er war aber bereit, gefragt oder ungefragt über alle innerkirchlichen Vorgänge Auskunft zu geben, so daß sie Stasi vorbeugende Maßnahmen ergreifen konnte. Und er war bereit, im Sinne der Stasi zu handeln. Natürlich geschah das nicht plump, sondern es wurde gesagt: „Im Interesse eines guten Verhältnisses zwischen Staat und Kirche wäre es doch besser, wenn man dies oder jenes unterließe und es stattdessen so machte!“

Dieser Begriff „gutes Verhältnis zwischen Staat und Kirche“, der ja auch in anderen Zusam­men­hängen immer wieder fiel, wurde von einigen Pfarrern mit der Zeit immer mehr so ausgelegt: Nur bei einem guten Verhältnis werden auch weiterhin Genehmigungen für Dienstreisen ins westliche Ausland erteilt! Jeder in der Kirche, ob Gemeindeglied oder Angestellter, der dieses Verhältnis gefährdete, wurde deshalb vorbeugend bekämpft. Dann wurde auf dem Dienstweg versucht, die betreffende Person einzuschüchtern, zu maßregeln und auf Linie zu bringen. Leider haben der Dekan und die Mehrheit im Kirchenkreisvorstand sich je länger je mehr in diesem Sinne gebrauchen lassen - aus Angst um ihre Westreisen.

Das ist der weitere Punkt, der nach meiner Ansicht sehr deutlich aus den Akten hervorgeht: Über die Dienstreisen in den Westen hatte die Staatssicherheit gar manchen Pfarrer in Abhängigkeit gebracht. Er hat sich das selber nicht eingestanden, aber er war nicht nur vorsichtiger in seinen Äußerungen, sondern war auch einfach bereiter, im Gespräch ganz unverbindlich innerkirchliche Dinge auszuplaudern, die er besser für sich behalten hätte, im Interesse des Schutzes der Kirche und der Gemeindeglieder.

Ein Gebiet ist in diesem Zusammenhang besonders belastend: die Ausreise in den Westen. Da kamen Gemeindeglieder zu ihrem Pfarrer, um mit ihm über ihre Ausreiseabsicht zu sprechen und sich Rat zu holen. Besonders ein Pfarrer hatte dann aber nichts Eiligeres zu tun, als sofort den Beauftragten für Kirchenfragen zu benachrichtigen im Sinne von: „Kümmert euch einmal um den, der hat eine Antragstellung vor!“ Das Ziel war, den Betreffenden „gemeinsam“ von der Antragstellung zurückzuhalten.

Zwei Pfarrer sind sogar in den Westen gereist, um ein Gemeindeglied zur Rückkehr zu bewegen, das von einer Westreise nicht zurückgekehrt war. Angeblich geschah das auf Wunsch der Familie. Aber eher war es so, daß die Initiative von der Stasi ausging. Aber auch wenn die Familie zuerst den Wunsch hatte, mußte man sich ja wegen des Visums an den Beauftragten für Kirchenfragen wenden. Man mußte ihm natürlich auch den Reisegrund nennen. Und schon wurden Aufträge mitgegeben. Der Pfarrer sollte nämlich den Ehepartner aushorchen, ob er an seiner Ehe festhalten wolle, weil davon die Entscheidung abhing, ob auch der Rest der Familie ausreisen durfte. Ein Pfarrer wollte bei dieser Gelegenheit von der Stasi sogar Westgeld für die Reise haben.

Nach der Rückkehr wurde dann haarklein dem Beauftragten für Kirchenfragen erzählt, was der Besuchte über seine Ehe erzählt hatte. Da erzählt jemand seinen Pfarrer Dinge, die unter das Beichtgeheimnis fallen und die er nicht einmal einem Kollegen hätte weitersagen dürfen. Aber er hat keine Hemmungen, dies einem Vertreter des Staates haarklein zu erzählen, weil davon seine Reisen in den Westen abhängen (oder die der Ehefrau).

Solche Vorgänge sind heute natürlich auch der Kirchenleitung zugänglich. Pfarrer Bunge aus dem Kirchenkreis Schmalkalden hat ja auch die Unterlagen gesichtet. Er kommt aber offenbar zu anderen Schlüssen als ich, obwohl die Tatsachen doch nicht wegzuleugnen sind. Vor allem hat er offiziell anders berichtet, als er privat sagte (Bei einem Pfarrer hat er gesagt, er habe nichts, aber auch gar nichts Negatives über ihn gefunden, aber die Ehefrau des Betreffenden hat er fertiggemacht mit Behauptungen, die sich aus den Akten gar nicht so herauslesen lassen).

 

 

Es bestehen Zweifel daran, ob man es bei der Kirihe  wirklich so genau wissen will. Nach der Wende hat man sich anders entscheiden: Die der Stasi nicht entgegengetreten sind oder ihr sogar zur Hand gegangen sind, die werden weiter geehrt. Ihre Opfer aber werden weiter ausgegrenzt und verfemt.

Das gilt vor allem für die Familie Emmermacher, die erst nach der Wende aus allen kirchlichen Funktionen herausgedrängt wurde, weil sie angeblich behauptet hatte, Pfarrer Nau-mann sei ein Mitarbeiter der Staatssicherheit gewesen. Nun hatte zwar Herr Emmermacher in einem für diese Zwecke eingerichteten Ausschuß der Stadt eine entsprechende Aussage eines hauptamtlichen Stasimitarbeiters zitiert, wie es seine Pflicht war. Aber in die Öffentlichkeit getragen hat es jemand anders aus diesem Kreis, nämlich eine Pfarrfrau, Frau From mannshausen, deren Mann die Ausreisewilligen dem Beauftragten für Kirchenfragen gemeldet hatte.

Für mich selber konnte ich den Akten entnehmen, daß es zwar eine Akte über mich gab (sogenannte „Operative Personenkontrolle“), aber kein aktives Programm der Stasi gegen mich (sogenannter „Operativer Vorgang“). Das war auch gar nicht nötig, denn die Kirche selber hat diese Aufgabe ja erledigt. Ich gehörte eben zu den sieben Pfarrern im Bezirk, die als „feindlich-negativ“ angesehen wurden. Das ließ man die leitenden Leute im Dekanat immer wieder wissen. Diese Leute haben dann auch wie erwartet gehandelt.

Es ging am Ende gar nicht mehr darum, wer Recht oder Unrecht hat. Die Kirchenleitung in Eisenach betonte immer wieder, disziplinarrechtlich sei mir nichts vorzuwerfen. Aber das Verhältnis sei zerrüttet und ich möge doch bitte eine Pfarrstelle außerhalb des Dekanats annehmen. Weil man deswegen nicht vorher mit mir gesprochen hatte (wie es Vorschrift war), war das Zutrauen zu dieser Kirchenleitung zerstört.

Außerdem hat mir der bald darauf als hauptamtlicher Stasimitarbeiter enttarnte Oberkirchenrat Kirchner gedroht: „Wenn es in einer anderen Pfarrstelle nicht besser mit dem Staat geht, dann werden wir Sie ganz aus dem Pfarramt entfernen“! (Aber um Politik ging es doch angeblich gar nicht). Ich habe deshalb von mir aus um Auflösung des Beamtenverhältnisses gebeten und mußte mir einen anderen Beruf an einem anderen Wohnort suchen.

Nur ein gewisser Rest an Bitterkeit bleibt: Wie aus den Jahresplänen der Stasi für 1989 her­vor­geht, wollte man mich als Mitarbeiter für die Stasi werben (gerade mich!). Hätte ich mich also Anfang des Jahres 1989 an die Stasi gewandt und um Hilfe gebeten und Wohlverhalten und Mitarbeit zugesagt, ich wäre bis zur Pensionierung noch Pfarrer in Steinbach-Hallenberg geblieben. Ich bin überzeugt, auf einen Wink der Stasi hin hätte man alles abgeblasen und mir auch so wie den anderen dienstliche Westreisen zugestanden - nur die Gemeindeglieder hätten sich dann wohl etwas gewundert.

 

 

 

Jetzt folgt noch nicht die ausführliche Ausarbeitung, sondern die Ergänzungen für die Zeit nach der Wende:

 

Ergänzungen Schmalkalden

 

Das Dekanat Schmalkalden

Der Kirchenkreis Schmalkalden ist der letzte Rest des Versuchs der hessischen Landgrafen, ihr Herrschaftsgebiet bis zum Rennsteig auszudehnen. Bis 1944 gehörte der ,,Kreis Herrschaft Schmalkalden“ zum Regierungsbezirk Kassel. Dann wurde er dem Regierungsbezirk Erfurt zugeteilt.

Die Kirche jedoch machte diese politischen Änderungen nicht mit: Obwohl Thüringen 1945 zur sowjetischen Besatzungszone kam und 1949 die sogenannte ,,Deutsche Demokratische Republik" gegründet wurde, gehörte der Kirchenkreis weiter zur Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck. Man verwendete allerdings im Laufe der Zeit den Namen der Dienststelle ,,Dekanat Schmalkalden" immer mehr für das ganze Gebiet, um es zu unterscheiden von den thüringischen Kirchenkreisen, die einen ganzen Aufsichtsbezirk umfaßten.

Seit 1951 gab es ein Verwaltungsabkommen mit der Ev.-Luth. Kirche in Thüringen, das für das Dekanat sehr vorteilhaft war: Der Landeskirchenrat in Eisenach vertrat das Dekanat nach außen, vor allem gegenüber staatlichen Stellen. Er gewährte Verwaltungshilfe (besonders auf dem Bausektor) und stellte prinzipiell seine Ausbildungsstätten zur Verfügung. Aber das Dekanat hatte außer Sachkosten (z.B. Fahrtkosten) keinerlei finanzielle Verpflichtungen.

So entwickelte sich im Thüringer Wald ein ganz eigenes Kirchenwesen, ein relativ ungebundenes Experiment, das in mancher Hinsicht zukunftsweisend für alle Kirchen in Deutschland hätte sein können. Kassel war fast außer Reichweite und Eisenach durfte sich nicht in die kirchlichen Angelegenheiten im Dekanat hineinhängen. Dadurch wurde automatisch die Verantwortung der Gemeinden gestärkt und vor allem die ,,mittlere Ebene" gewann gewaltig an Gewicht. Der Dekan in Schmalkalden war praktisch so etwas wie ein Bischof, das Dekanat Schmalkalden so etwas wie eine Landeskirche.

Die beiden Dekane haben diesen Platz auch voll und ganz ausgefüllt. Erich Döll war sowieso von seiner Natur und seiner Herkunft aus recht autoritär eingestellt, und Alfred Schreiber wurde es im Laufe der Zeit immer mehr. Ihre Amtszeit deckt sich ja fast zu gleichen Teilen mit der DDR-Zeit: Döll war von 1947 bis 1967 Dekan und Schreiber von 1967 bis 1991. Diese beiden Persönlichkeiten haben das Dekanat im Guten wie im Schlechten doch stark geprägt. 

Ein Vorteil war einfach, daß die Verwaltungswege kurz waren, daß man schnell und ohne große Formalitäten etwas absprechen konnte, daß lebensnah und gemeindefreundlich entschieden werden konnte. Die Gefahr war aber auch, daß der Dekan etwas allein entschied, aber praktisch keine Berufungsinstanz vorhanden war: Nach Kassel durfte man nicht schreiben, und nach Eisenach wollte man nicht, um der thüringischen Kirche nicht mehr Einfluß zu geben. So waren die Verhältnisse im Dekanat Schmalkalden nicht spannungsfrei, aber insgesamt zum Segen für die Gemeinden. Diese wußten, daß sie auf sich allein gestellt waren; das hat viele gute Kräfte geweckt.

Außerdem profitierte das Dekanat von zwei strukturellen Vorteilen: Einmal war die Bevölkerung (noch) nicht so entkirchlicht wie anderswo. Es wäre zu viel gesagt, wenn man noch von Volkskirche gesprochen hätte. Aber in manchen Orten gehörten 90 Prozent der Bevölkerung einer Kirche an und weitaus mehr als die Hälfte der Schulkinder kam zur Christenlehre, dem kirchlichen Religionsunterricht. Aus der Kirche ausgetreten waren vorwiegend diejenigen, die einen Posten hatten, während die kleinen Leute bei der Kirche bleiben, weil sie ja nichts zu verlieren hatten.

Der andere Vorteil lag in der Siedlungsstruktur und Größe der Gemeinden: Jeder Pfarrer hatte ungleich mehr Gemeindeglieder zu betreuen als anderswo. Das ging aber auch, weil die Dörfer relativ groß waren. Über 2.000 Gemeindeglieder in zwei Dörfern kann man leichter betreuen als die gleiche Zahl in 20 Dörfern. Dadurch hatte das Dekanat nur halb so viel Pfarr-stellen wie anderswo und sparte auch die Hälfte der Gehälter.

 

Dazu kam, daß es mit einem Minimum an Verwaltung auskam: Erforderte die Kirchensteuererhebung im Thüringen mehr als 20 Prozent an Kosten, so durften sie im Dekanat höchstens 7 Prozent betragen, lagen aber oft wesentlich darunter. Durch den Einsatz ehrenamtlicher Kräfte und eine starke Belastung der Pfarrer wurde erreicht, daß das Dekanat sich finanziell selbst erhalten konnte. Als einziges Gebiet in Deutschland erhielt es auch keine zentralen staatlichen Zuschüsse, weil sowohl Hessen als auch Thüringen gemeint hatten, die gehören ja nicht zu uns und deshalb eine Anmeldung der Forderungen unterlassen hatten (nur die Zahlung eines Teils der Baulasten an kirchlichen Gebäuden konnte nach 1978 durchgesetzt werden).

Damit das Dekanat aber nicht nur im eigenen Saft schmorte, suchte es Kontakte nach außerhalb, vor allem zu den Kirchen der Evangelischen Kirche der Union, die nicht ,,lutherisch" waren wie die Thüringer Kirche, sondern ,,evangelisch" wie die Hessen (innerkirchlich nennt man diese Konfession ,,uniert"). Die Vikare wurden auf das Predigerseminar in Brandenburg geschickt (andere junge Leute jedoch auf die Ausbildungsstätten in Eisenach), der Dekan war bei den Leitungssitzungen der Evangelischen Kirche der Union als Gast dabei, zum Theologischen und zum Ökumenischen Ausschuß fuhren Pfarrer des Dekanats als ordentliche Mitglieder.

Anfangs hatte die Kirchenleitung in Kassel auch noch darauf gedrungen, daß der Dekan als Gast an den Leitungssitzungen der Evangelischen Kirche in Deutschland - Bereich Ost - teilnehmen konnte. Das hatte den Erfolg, daß man aus erster Hand über die aktuelle Lage unterrichtet war. Aber mit der Gründung des ,,Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR" wollten die acht Bischöfe unter sich sein und die drei ,,Zaunkönige" aus Schmalkalden, Blankenburg und llfeld (beide ,,westliche" Enklaven im Harz) nicht mehr mit dabeihaben.

Angeblich erforderte die Verfassung der DDR von 1968 die Anpassung der Kirchengrenzen an die staatlichen Grenzen (Bischof Mitzenheim: „Staatsgrenzen sind Grenzen der kirchlichen Organisationsmöglichkeiten"). Aber das kleine Dekanat Schmalkalden war dabei nicht das Problem, das hätte man übersehen, wenn nicht die Kirche darauf aufmerksam gemacht hätte.

Diese einzigartige Struktur - die geordneten kirchlichen Verhältnisse und die Mittelstellung zwischen Ost und West - erregten natürlich auch die Aufmerksamkeit der staatlichen

Stellen der DDR und besonders der Staatssicherheit. Die politische Seite war dabei zunächst nicht so im Blick, weil durch das Verwaltungsabkommen von 1951 und die Praxis die Meinung vorherrschte, das Dekanat gehöre zu Thüringen. Erst mit der Gründung des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR und den damit verbundenen innerkirchlichen Diskussionen wurde den staatlichen Repräsentanten im Kreis Schmalkalden bewußt, daß es da ein Problem gibt. Aber man brauchte da gar keinen Druck auszuüben, die Kirchen regelten das schon von alleine.

Aufgabe der staatlichen Stellen blieb aber, den kirchlichen Einfluß auf die Bevölkerung zurückzudrängen. Immer wieder mußte man beim Vergleich der Statistiken feststellen, daß Schmalkalden das Schlußlicht bei den ,,Erfolgen" gegen die Kirche war: Immer noch gingen viel zu viele Kinder zur Konfirmation, immer noch brachte die Kirche bei übergemeindlichen Veranstaltungen hunderte von Menschen auf die Beine, immer noch gab es kirchliche Jugendgruppen und Rüstzeiten und eine Menge von Gemeindekreisen, immer noch konnten besondere Gottesdienste auch Jugendliche in nennenswerter Zahl anziehen. Innerkirchlich war man vielleicht enttäuscht über die geringe Beteiligung an den wohl vorbereiteten Veranstaltungen. Aber nach außen erschien es so, als sei bei der Kirche allerhand los, das man zumindest beobachten und nach Möglichkeit unterdrücken mußte.

Richtig daran war, daß tatsächlich mehr los war als in manchen anderen Gebieten. Aber der Einfluß der Kirche wurde doch beträchtlich überschätzt. Das lag aber wohl auch an dem Feindbild, das man von der Kirche hatte. Mancher Genosse wollte erst zufrieden sein, wenn es gar keine Konfirmation mehr gäbe. So hat sich zum Beispiel ein Funktionsträger im Rotterode verpflichtet, innerhalb von fünf Jahren die Konfirmation abzuschaffen.

So weit ist es mit Gottes Hilfe nicht gekommen. Es trat das ein, was der hannoversche Landesbischof Lilje 1959 auf dem Kirchentag in München gesagt hatte: „Die Kirche hat bisher noch alle ihre Gegner beerdigt!“ Aber das war nicht das Verdienst der Kirche, schon gar nicht der Amtskirche. Diese war zunächst geprägt vom Bild des ,,Überwinterns“: So wie man schon das ,,Tausendjährige Reich“ der Nazis überstanden hatte, so würde man auch den Kommunismus überstehen.

Als dieser sich dann aber doch mehr als zwölf Jahre hielt, verstand man sich als ,,Kirche im Sozialismus" und versuchte, zu einem schiedlich-friedlichen Miteinander zu kommen. Den Kirchenleitungen blieb dabei der schwierige Teil, das Schiff der Kirche um möglichst viele Klippen herumzubringen. Das konnte auch dazu führen, daß Pfarrer und andere kirchliche Mitarbeiter mehr oder weniger gemaßregelt wurden, weil sie das ,,gute Verhältnis“ zwischen Kirche und Staat störten. Auch im Dekanat Schmalkalden wurde dieses Stichwort im Laufe der Zeit immer wichtiger und mußte dazu herhalten, zum Beispiel Umweltgruppen kurz zu halten oder Beschwerden an staatliche Stellen einzudämmen oder nicht mehr für bestimmte Personen einzutreten.

Meine These dabei ist: Schon Dekan Döll versuchte eine Schaukelpolitik zwischen Staat und Kirche. Sein Nachfolger Schreiber erschien demgegenüber die ersten zehn Jahre in seiner Funktion eher als ein Gegner des staatlichen Systems. Aber durch die allgemeine kirchliche Entwicklung, durch persönliche Schlüsselerlebnisse wie die erste West-Reise nach Österreich und vielleicht auch noch andere Einflüsse schwenkte er ganz auf die Linie ,,Gutes Verhältnis“ über und scheute dabei auch nicht vor Disziplinierungsversuchen gegenüber Pfarrern zurück. Pfarrer Hülsemann ist rechtzeitig weggegangen, Pfarrer Heckert wurde verdrängt. Pfarrer Krahmer sollte der Nächste sein

 

Aber rein kirchlich gesehen war das Dekanat Schmalkalden ein Beispiel dafür, wie man sich die Kirche wünscht. Im Leitartikel „Angefragt“ von Christine Lässig in „Glaube und Heimat“ 11/98 ging es um das Verhältnis der Kirchen im Osten und Westen. Ich schrieb dazu einen Leserbrief:

Man muß sich davor hüten, von „den“ Kirchen im Westen oder im Osten zu sprechen. Jede Gemeinde ist anders, und es gibt „gute“ und „schlechte“ im Osten wie im Westen. Aber irgendwie ist es peinlich, wenn ein Westler in den Osten kommt, um seine Vorurteile bestätigt zu bekommen.

Das Vorurteil lautet: „Die wahre zukunftsweisende Kirche hat sich nur im Westen entwickelt, während der Osten seit 1933 stehengeblieben ist. Dort sieht man noch seine Hauptaufgabe im Gottesdienst und in Hausbesuchen, aber man wirkt nicht in die Gesellschaft hinein. Nach der Wende mußten erst wir aus dem Westen kommen und den Osten missionieren. Nur unser Geld hat die dortigen Kirchen noch einigermaßen gerettet!“

Als ich das in einer Predigt hörte, bin ich bald aufgesprungen. Es wurde in einer Gemeinde gesagt, in der sehr viel Aktivität herrscht: Das Gemeindehaus ist die ganze Woche über ausgebucht, es wird viel für die Kirchenmusik getan, bei vielen Festen ist die Kirchengemeinde dabei. Doch wenn man genauer hinsieht, dann verringern sich die kirchlichen Angebote auf ein Minimalprogramm: Gottesdienst, Amtshandlungen und Konfirmandenunterricht. Die Jung-schar ist ein Bastelkreis, beim Jugendabend paßt eine Sozialarbeiterin auf das Mobiliar auf, die Senioren spielen Bingo und die private Mutter-und-Kind-Gruppe trifft sich während des Gottesdienstes im Gemeindehaus.

Wie anders sah es dagegen im Osten aus: Da gab es all das auch, was im Westen als Äußerung kirchlichen Lebens angesehen wird: Kirchenkonzerte von europäischem Rang, Posaunenchor, Kirchenchor, musikalische Nachwuchsarbeit. Aber in den Konzerten wurde wenigstens ein kurzer Beitrag über den christlichen Glauben gegeben, im Jugendabend versuchten hauptamtliche kirchliche Angestellte ein biblisches oder kirchliches Thema zu besprechen, in der Christenlehre waren nicht immer wieder die Fremdreligionen dran, sondern die biblischen Geschichten. Keine Adventsfeier ohne Andacht, kein Frauenabend ohne Lied aus dem Gesangbuch.

Sicherlich lag das auch mit an dem Druck von Seiten des Staates, der nur wirklich kirchliche Aktivitäten zuließ und schon Kultur in der Kirche nicht dulden wollte. Diese Erfahrung und diese Übung sollte man guten Gewissens beibehalten. Es kann nicht Aufgabe der Kirche sein, alles Mögliche zu tun, sondern es ist ihr die biblische Botschaft aufgetragen. Man muß sie nicht dick auftragen, sie braucht auch nicht nur in einem frommen Schwänzchen zu bestehen, sie kann und soll sich auch an die Außenstehenden wenden. Aber die Kirche darf sich nicht selbst verleugnen und ihrem Auftrag untreu werden.

Es kann doch nicht sein, daß die Bewerbung eines Pfarrers um eine Pfarrstelle sich daran entscheidet, ob er ein guter Alleinunterhalter oder Organisator von rein weltlichen Festen ist. Weshalb ist man stolz darauf, nur ein „Konzert in der Kirche“, nicht aber ein „Kirchenkonzert“ zu machen? Es wäre bedauerlich, wenn die Gemeinden im Osten sich aus Minderwertigkeitsgefühlen heraus das durchschnittliche Bild westlicher Gemeinden zum Vorbild nähmen. Natürlich gibt es auch im Westen Gemeinden, die eine gediegene, wenn auch unspektakuläre Gemeindearbeit leisten. Und es gibt wohl auch im Osten Gemeinden, die tatsächlich Vorbehalte gegen den politischen Weg nach der Wende haben.

Aber Volkkirche gibt es nicht nur im Westen. Vielleicht ist sie sogar noch eher im Osten vorhanden, wenn man nicht nach den Zahlen geht, sondern nach der Substanz. Noch besser wäre allerdings, wenn man im Osten und im Westen einsähe, daß es keine Volkskirche mehr gibt und sich alle auf eine neue Zeit einrichten müssen. In ganz Deutschland haben sich die Kirchen auf den Weg zu machen. Die Gemeinden im Osten haben dabei keine schlechte Ausgangsposition, sie brauchen nicht den Umweg über die westliche Art von Kirche zu machen.

 

 

 

Dekan Alfred Schreiber

Er war von 1967 bis 1991 Dekan im Kirchenkreis Schmalkalden/Thüringen. Er ist im Juli 1998 im Alter von 73 Jahren während einer Bahnfahrt an einem Herzinfarkt gestorben, Der Kirchenkreis Schmalkalden war fast 20 Jahre aufgrund der politischen Lage der thüringischen Landeskirche angegliedert, aber finanziell und konfessionell autark. Dekan Schreiber war für die Verhandlungen mit staatlichen Behörden und für die Ordination der Pfarrer zuständig. Er setzte sich für die 1991 erfolgte Wiedereingliederung des Kirchenkreises Schmalkalden in die Landeskirche ein. Von seiner Ordination 1955 bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1993 war Alfred Schreiber auch Gemeindepfarrer in Floh.

 

Am 13. Juli 1925 in Brotterode geboren, wurde er nach dem Besuch des Gymnasiums im Alter von 17 Jahren- zum Kriegsdienst einberufen. Im Herbst 1945 kehrte er aus russischer Gefangenschaft nach Hause zurück. Durch diese Erfahrungen geprägt, blieb er zeitlebens ein leidenschaftlicher Gegner jeglichen Militärdienstes. Ab 1947 studierte er Theologie in Jena und Göttingen. In dieser Zeit heiratete er seine Ehefrau, die Lehrerin Edith vom Scheidt, in Brotterode kennen; die er 1947 in Berlin heiratete. Den Eheleuten wurden vier Kinder geschenkt, von denen zwei im Säuglingsalter starben.

Als Vikar der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck in verschiedenen Gemeinden des Dekanates eingesetzt, erhielt er 1955 die Pfarrstelle in Floh zur Versehung, wo er am 17. April des Jahres ordiniert wurde. Von hier aus übernahm er 1967 das Amt des Dekans, das er 25 Jahre innehatte.

Die Erfahrungen der Bekennenden Kirche, besonders in der Prägung - Dietrich Bonhoeffers, versuchte er lebendig in den Aufbau einer Kirche in der DDR einzubeziehen. Mit seinem Bruder Hugo, der aus dieser Tradition kam und selbst Pfarrer in der Bekennenden Kirche war, verband ihn eine innige Gemeinschaft, obwohl und gerade weil er diesen Dienst im westlichen Teil der Landeskirche von Kurhessen-Waldeck tat. Die Teilung Deutschlands und auch seiner Familie mußte Alfred Schreiber akzeptieren, er konnte aber nie begreifen, daß die Kirche diese Teilung später mitvollzog. Er blieb in seinem Verständnis kurhessischer Pfarrer, wie sein Bruder. Auch in schwierigsten Zeiten wurden regelmäßige Treffen mit Vertretern der kurhessischen Landeskirche organisiert und- aufrechterhalten. So entwickelte sich ein beispielhaftes Modell, wie ein Kirchenkreis mit eigenverantwortlichen Gemeinden als Zeugnis- und Dienstgemeinschaft leben kann.

Bei aller Kraft, die das Führen der Dekanatsgeschäfte forderte, blieb er in erster- Linie Gemeindepfarrer in- Floh und Struth-Helmershof. Die Rückkehr des Dekanates Schmalkalden, das zu DDR-Zeiten unter dem Dach und in enger Zusammenarbeit mit der Thüringer Landeskirche existierte, nach Kurhessen-Waldeck war für Alfred Schreiber die Erfüllung seines Dienstes, wiewohl er sich eine größere Begeisterung im westlichen Teil der Landeskirche gewünscht hätte.

Auf Wunsch der Synode blieb er noch bis zum 67. Lebensjahr als Dekan tätig. Im Ruhestand half er häufig in den. Gemeinden aus. Außerdem widmete er sich in den letzten Jahren der Aufarbeitung der Stasiakten über den Kirchenkreis [Das ist neu].

 

Dekan Schreiber war kein informeller Mitarbeiter der Stasi. Aber er vertrat je länger je mehr die Position des Staates. In einem Schreiben des Stasiministers Mielke vom September 1989 werden verschiedene Superintendenten erwähnt, darunter auch der Superintendent in Schmalkalden. Von einem dieser Superintendenten weiß man genau, daß er inoffizieller Mitarbeiter der Stasi war.

Bei Dekan Schreiber gibt es verschiedene Punkte, an denen er von der Stasi hätte geworben werden können:

1. Seine Schwiegertochter hat ihr medizinisches Examen erst im zweiten Anlauf geschafft.

2. Vor der Dienstreise nach Österreich (Kurprediger) wurde er sicher so wie alle anderen

auch vorher zum Staatssekretariat für Kirchenfragen bestellt, aber bei dem Gespräch war die Stasi mit dabei (Markus hat aus diesem Grund eine Dienstreise nach Italien abgelehnt).

3. Ein „Schreiber, Floh“ ist bei einem Fluchtversuch erwischt worden. Nun gibt es zwar in Floh noch einen Lehrer Schreiber. Aber es könnte sich zum Beispiel auch um Martin Schreiber handeln, der als Arzt in Roßdorf einen sehr positiven Artikel in die Zeitung setzte und der der einzige war, der aus Anlaß der Wahl mit Bild auf der ersten Seite erschien.

4. Dekan Schreiber hat in Pfarrkonferenzen in der letzten Zeit immer häufiger politische Themen aufgegriffen und dabei Ansichten geäußert, die noch staatsfreundlicher waren als die der CDU („Die Amerikaner haben die Mauer in Berlin gebaut“).

5. Sein Zusammenspiel mit Pfarrer Hoffmann und Pfarrer Schulte wurde immer offensichtlicher. Beide Pfarrer haben auch begehrte Dienstreisen ins Ausland machen können.

6. Interessant ist in diesem Zusammenhang noch ein Angriff auf Herrn Schreiber bei einer Versammlung nach der Wende in Schmalkalden. Dabei hat ein Teilnehmer behauptet, Herr Schreiber habe sich heimlich mit Staatsvertretern getroffen. Er konnte auch Datum und

Ort nennen. Herr Schreiber dagegen behauptete, an diesem Tag sei er woanders gewesen. Auch wenn der andere sich vielleicht in den Einzelheiten geirrt hat, so ist hier doch ein unabhängiger Hinweis in dieser Sache.

 

Landesbischof Werner Leich hat Als Superintendent in Lobenstein DREI Kriterien im Umgang mit der Stasi aufgestellt (G+H 4/17):

1. Keine Gespräche mit Mitarbeitern der Stasi unter vier Augen

2. Keine Treffpunkte an neutralen Orten

3. Kein Schweigeversprechen.

Diese Regeln wurden von verschiedenen Pfarrern im Dekanat Schmalkalden immer wieder gebrochen, vor allem auch die Treffpunkte außerhalb der kirchlichen Amtsräume, auch von Herrn Schreiber. Der Zeitpunkt seines Umkippens muß in die Zeit fallen, als er erstmals eine Dienstreise nach Österreich erhielt. Wir hatten kurz darauf eine Pfarrkonferenz in Fambach. Da wirkt er noch wie abwesend.

 

Dekan, Schreiber hat im Zusammenhang mit dem 7. Oktober 1989 (40. Jahrestag der DDR) die Verdienstmedaille der DDR erhalten. Es ist dies der gleiche Orden, den auch Herr Stolpe bekam. Er wurde ihm im Hinterzimmer einer Schmalkalder Gaststube übergeben. Er hat ihn gegen den ausdrücklichen Rat des Dekanatssynodalvorstandes angenommen, zu einer Zeit, als

andere Christen an der Spitze der Demonstrationen gegen das DDR-Regime marschierten, einen Monat vor dem Fall der Mauer.

Dekan Schreiber war zwar kein informeller Mitarbeiter der Stasi. Aber er vertrat je länger je mehr die Position des Staates. Er wurde erpreßt wegen eines Fluchtversuchs seines Sohns. Der Zeitpunkt seines Umkippens muß in die Zeit fallen, als er erstmals eine Dienstreise nach Österreich erhielt.

 

 

Martin Schreiber: (Artikel im „Freien Wort“ am 3. Mai 1989):

Warum wir uns für unser Heimatland so engagieren

Der kleine Bursche auf dem Foto könnte auch Markus sein, mit seinen elf Monaten der jüngste unserer eigenen drei Knaben. Für ihn ist seine kleine Welt noch ungetrübt, unser Großer dagegen, Andreas, weiß schon einiges darüber, daß viele Kinder der Welt nicht so unbeschwert leben wie er.

Als neulich im „Freien Wort“ die Bastelanleitung für ein Sparschwein zugunsten von UNICEF stand, hat er beschlossen, selbst eines zu basteln und damit Geld für notleidende Kinder dieser Welt zu sammeln. Erkenntnis eines Sechsjährigen, daß man - soll sich etwas verbessern - selbst aktiv werden muß. Im Grunde genommen ist es die gleiche Erkenntnis, zu der mich als junger Mensch mein Vater - er ist Kirchenrat in Schmalkalden - geführt hatte. und nach der zu handeln ich mich bemühe.

In meinem Beruf als Arzt für Roßdorf und drei Nachbargemeinden und in meiner Oberzeugung als Christ begreife ich die Worte Hoffen und Handeln als Einheit. Wie alt ist die Hoffnung der Menschheit auf eine Welt ohne Krieg, wie viele Menschen haben leidenschaftlich dafür gekämpft! Aber in welcher Gefahr schwebt heute unsere Erde! Mancher ist versucht, die Hoffnung aufzugeben, wenn er hört, wie manche westlichen Politiker vorn Frieden reden und zugleich zur Modernisierung ihrer Waffen schreiten. Um wieviel überzeugender dagegen sind die Abrüstungsmaßnahmen der sozialistischen Länder, die Friedensinitiativen und die Dialogpolitik von Erich Honecker wie von Michail Gorbatschow! Ich persönlich begrüße dies sehr und betrachte es als sehr wichtigen Beitrag zur Vertrauensbildung zwischen den Völkern.

 

Niemand auf der Welt kann heute den anderen einfach ignorieren, wir können nur gemeinsam, nicht gegeneinander überleben. Ein Lernprozeß, in dem wir alle mittendrin stehen auf der Ebene der großen Politik wie im normalen Alltag. Wie notwendig das ist, erkannte ich besonders während meiner Besuche in der BRD, wo ich mit den Vorurteilen vieler Menschen im Westen gegenüber denen im Osten konfrontiert wurde und die von einer erschreckenden Uninformiertheit zeugen. Die Angst vor dem Osten versuchte ich in vielen Diskussionen mit zu beseitigen. Ich bin froh, daß es aber auch in der BRD viele Menschen gibt. die sich wie wir in der DDR. für Frieden und Gerechtigkeit auf der Welt einsetzen.

Mein Heimatland ist die DDR. Hier werde ich als Arzt gebraucht, hier ist auch meine Mitarbeit als Christ gefragt, Christen und Nichtchristen haben in vielen Dingen die gleichen Vorstellungen vom Miteinanderleben, vor allem, wenn es um das gemeinsame Wirken für den Frieden, für die Erhaltung der Umwelt geht und darum, unser schönes Land so attraktiv zu gestalten, daß es einfach Spaß macht, hier zu leben. In diesen großen Anspruch ordne ich meine Kandidatur ein und meine begründete Erwartung, in der Gemeindevertretung mit jenen Roßdorfern zusammenzuarbeiten, denen ich dafür auch mein persönliches Vertrauen als Wähler schenke.

Unser Wort als CDU-Ortsgruppe wird man an der konkreten Tat prüfen können - bis zum nächsten Landschaftstag Rhön im September heißt unser „Mach-mit!"-Objekt: Instandsetzung von 30 Metern Bachmauer.

 

Kommentar: Nachdem er einen Fluchtversuch gemacht hatte, konnte man ihn natürlich zu einer solchen öffentlichen Erklärung in der Zeitung erpressen. Dazu kam, daß man seine Frau beim medizinischen Staatsexamen zu Unrecht durchfallen ließ, weil sie die „Weltanschauung“ gewechselt hatte. Man hat sie tatsächlich bei der Prüfung wegen ihrer kirchlichen Bindung benachteiligt - trotz aller gegenteiligen Beteuerungen. Anderseits ist die Frage nach der „Triage“ (Einteilung der Patienten nach dem Grad ihrer Schädigung) ein ganz gewöhnlicher Prüfungsgegenstand und nicht Teil der Militärmedizin, die nicht an der Universität gelehrt wird. In diesem Fall hat sich Herr Schreiber verständlicherweise sehr eingesetzt und uns an vier Tagen hintereinander zur Pfarrkonferenz nach Schmalkalden bestellt. Aber mit dem Satz von Martin Schreiber „Mein Heimatland ist die DDR“ kann es nicht so weit her gewesen sein, den gleich nach Wende zog die Familie nach Kassel.

 

 

 

 

 

 

Weil es bisher um das Dekanat Schmalkalden ging, seien hier erst einmal die inoffiziellen Mitarbeiter (IM) der Stasi genannt, die in deren Akten auftauchen (in Klammern die Klarnamen, soweit bekannt):

„Kai-Uwe“ (Rössner?), später IM „Bärwolf“, „Peter“ (Harald Möller), Mario Dölling, Roland Schleicher, Peter Schüler (in Steinbach), Kanis, Mayer, Heidrun, Weihe, Hella, Transistor, Schmidt („Dieter Schmidt“), Weigelt, Peter, Fritz (Stellvertreter für Inneres), Getriebe, Häfner, Helene, Heinz Hoffmann, Januar, Joachim, Kamerad, Klaus König, Kurt Maier, Redakteur, IMS „Roland Reumschüssel“, Schiedsrichter Horst Jäger (Steinbach-Hallenberg), Schüler, R. Schultz, GMS „G. Schröder“, IMS „Manfred“, Transmission, Dieter Weisheit, Uwe Weisheit, Winter, IM „Mathias“ (aus Oberschönau stammend),

Quelle „Sebastian Köhler“.  IMV „Oskar“, IMV „Erich“, IMV „Erwin“.

 

 

Pfarrer Reinhard Naumann

Großes Aufsehen und natürlich auch Bestürzung erregte der Selbstmord von Reinhard Naumann. Die Zeitschrift „Stern“ veröffentliche dazu einen Artikel von Peter Sandmeyer gekürzt, das Original liegt mir vor):

„Der Rufmord: Weshalb sich Pfarrer Reinhard Naumann in Schmalkalden das Leben nahm“.

Das Gerücht hat tausend Münder und tausend Ohren. Es kriecht durch die Gassen der winkligen kleinen Stadt. Das Gerücht ist von zwielichti­ger Herkunft und zweifelhaftem Leumund.

Am 30. Oktober 1990, einem Dienstag, dem Vortag des Refor­mationsfestes und 27. Tag nach der deutschen Wiedervereinigung. geht Pfarrer Reinhard Naumann - seit zwölf Jahren evange­lischer Seelsorger und seit sieben Monaten parteiloser Stadtverordneten-Vorsteher im thüringischen Schmalkal­den - in der Mittagszeit auf den Dachboden seines Pfarr­hauses und erhängt sich. Auf seinem Schreibtisch hin­terläßt er ein Gebet und ei­nen Abschiedsbrief an seine Frau. „Meine Kraft reicht ge­gen den Druck nicht mehr aus.“

Knapp drei Wochen zuvor hatte er nach einem Besuch in Schmalkaldens Partnerstadt Recklinghausen an dessen Bürgermeister Jochen Welt einen Brief geschrieben. Dar­in dankt er für genossene Gastfreundschaft und berich­tet dann von „einem neuen. wirklich existenzbedrohen­den Problem“, das ihn be­drü>Klaus Emmermacher ist DSU-Mitglied und seit den Kommunalwahlen Innen-De­zernent der Kreisverwaltung in Schmalkalden. Reinhard Naumann hat auf der SPD-Liste kandidiert und gegen eine erdrückende CDU-Mehrheit - über 60 Prozent bei den letzten Volkskammer­wahlen - das zweitbeste Wahlergebnis der kleinen Stadt erzielt. Auch für viele politisch Andersdenkende ist er ein Hoffnungsträger. Groß, vollbärtig, kräftig, warmherzig. Und einpacken­der Prediger.

„Der beste. den wir hat­ten“, sagt Angela Baumann, die junge SPD-Stadtverord­nete, „und der mutigste.“ Schon lange vor der Wende scheute er sich nicht vor offe­nen Worten. Dem Schulrat warf er öffentlich Machtmiß­brauch und Gesinnungsterror vor. Den jungen Rebellen der illegalen Opposition, die mit Kerzen gegen Maschinenpi­stolen kämpften, bot er Rüc­kendeckung und Zuflucht.

Als die Zeit haltlos gewor­den war, die alten Verhältnis­se nicht mehr und die neuen noch nicht stimmten, da such­ten sie wieder bei ihm Halt, all die Verstörten des Umbruchs, die die Orientierung verloren hatten, und die Ver­änderer, die den Weg in die Zukunft nicht wußten. Sie drängten ihn in die Politik, und er gab dem Druck nach. „Wir haben ihn auf ein Po­dest gehoben“, sagt Timo Bamberger vom Neuen Fo­rum. „Er war ein Mann, der das Bild eines Mannes war.“

„Du bist der Fels. auf den ich meine Gemeinde bauen will!“ So muß er sich in der Pflicht gefühlt haben. Ein feste Burg - für die anderen. Aber wie gefestigt war er selbst? Wer gab dem Hoff­nungsträger Hoffnung, dessen Galle krank war und im­mer wieder schwere Schmerz-Attacken verursachte.

Aggressiv wa die Menge , die sich am 6. Dezember 1989 vor dem Gebäude der ehemaligen SED-Kreisleitung versammelte. Reden wurden gehalten,Sprechchöre branden auf: Das Gebäude soll der Polilklinik zur Verfügung gestellot werden, um deren Raumnot zu lindern. Nach der Kundgebung for­miert sich ein Demonstra­tionszug zur Villa, in der die Staatssicherheit ihr örtliches Hauptquartier hat. Das Grundstückstor wird gewalt­sam geöffnet. Die Menge drängt hindurch und sieht plötzlich Container mit qualmenden Papierhaufen: Akten. Sie werden auseinanderge­rissen, viele sind noch lesbar. Eine Delega­tion drängt ins Haus, wo sie den Stasi-Chef Lehmann mit dem Kreisstaatsanwalt beim Kaffeetrinken vorfindet. Im Hintergrund läuft der Reiß­wolf.

Als die Menge draußen da­von erfährt. wird die Stim­mung gefährlich. Rufe: „Leh­mann. Ver-recke!“, „Spitzel an die Wand!“ Lynch-Justiz liegt in der Luft. Die Polizei läßt sich nicht blicken. Da greift der Stasi-Chef in Todesangst zum Telefon und ruft Pfarrer Naumann an. Der kommt sofort. Schiebt sich durch die Menschenmassen.  „Ruhe“, brüllt er, „so geht das nicht. Hier passiert keinem was. Alles läuft ruhig ab!“ Er schafft es. Die Menschen be­ruhigen sich. Die Revolution bleibt friedlich.

Tatsächlich sah auch der Neu-Anfang schon bald sehr alt aus. Die neue Zeit wurde von den alten Herren regiert. Der frühere stellvertretende Bürgermeister, ein Aktivist der alten Block-CDU. der Mauer und Schießbefehl ge­rechtfertigt und noch 1989 die Massenflucht aus der DDR allein mit „imperialisti­scher Abwerbung“ erklärt hatte, wurde wieder stellver­tretender Bürgermeister für die neue CDU. Sie machten einfach weiter, er und seine Partei, mit gleicher Organi­sationsstruktur, in den glei­chen Räumen, mit den glei­chen hauptamtlichen Mitar­beitern und dem gleichen Geld der alten Blockpartei. Ein anderer früherer Stellvertreter des Bürgermeisters, vormals der SED-Ideologe im Rathaus, saß plötzlich auf dem Stuhl des DRK-Kreis­vorsitzenden.

Der neue Amtsarzt kann jetzt die Gutachten überprüfen, die er früher als Kreisgutach­ter erstattet hat. Die alten Betriebsleiter der großen volkseigenen Betriebe sind nun Geschäftsführer der neu­en GmbHs und können mit der eiskalten Unerbittlich­keit, die sie schon immer be­herrschten, und mit dem Hin­weis auf die marktwirtschaft­lichen Notwendigkeiten, die jetzt zu beachten seien, ihre Arbeiter rausschmeißen. Die Mächtigen sind wieder da, und die Machtlosen sind wie­der ohnmächtig, und der alte Stasi-Chef und der Staatsan­walt sind mit ungekrümmten Haaren in Rente gegangen und brauchen vor der Zu­kunft weniger Angst zu ha­ben als die Arbeitslosen im Kreis, deren Zahl täglich steigt. „Die Angst steckt vierzig Jahre tief in uns drin“, sagt Oberkirchenrat Roland Hoffmann, der die Trauerrede auf Reinhard Naumann hielt, „ein Opfer unserer Zeit“.

„Unsere Worte müssen wieder stimmen!“ fordert Naumann. Erklärt: „Wir haben immer gedacht, eine Gesellschaft geht kaputt an der Masse der Waffen, die sie aufhäuft. Jetzt wissen wir: Eine Gesell­schaft kann daran kaputtge­hen, daß die Worte nicht mehr stimmen. Naumann findet sich nicht ab, findet keine Ru­he und gibt keine Ruhe. „Er war in der letzten Zeit so selt­sam geworden, so realitäts­fremd"“ sagt der Bürgermei­ster der kleinen Stadt, Herbert Johannei, nach Nau­manns Freitod. „Es mußte wohl so kommen!“

 

Nachträglich will keiner an ihm gezweifelt haben. Nach seinem Tod weist die Stadtverordnetenver­sammlung Schmalkaldens alle Beschuldigungen gegen Naumann zurück und macht ihn zum Ehrenbürger der Stadt. Doch für den lebenden Pfarrer tritt keiner öffentlich ein. Kein Bürgermeister stellt sich vor ihn, kein Superinten­dent, kein Kirchenältester. Kein Leserbrief ergreift Par­tei für ihn, keine Anzeige mit einer Ehrenerklärung für den angegriffenen Seelsorger er­scheint. „Er war allen zu links, zu unbequem“ sagt Angela Baumann. „Die hat­ten gar kein Interesse an sei­ner Rehabilitierung, die sa­hen tatenlos zu. Hätte er für die CDU kandidiert, wäre das alles nicht passiert!“

Die Stasi-Denunziation: Das war für Naumann mehr als ein individueller Ruf­mord. Das war der Beweis, daß das alte System seinen Tod überlebt hatte wie ein Vampir und die Lebenden auszehrte. Der Hoffnungsträger hat keine Hoffnung mehr. Mit seiner Jugendgruppe feiert er Abschied, weil er ins Kran­kenhaus muß, denkt die Gruppe. Seinen Mit-Pfarrern sagt er am Vormittag des 31. Oktober, daß er keinen Ver­leumdungsprozeß anstrengen wolle. „Es nützt nichts. Das Vertrauen ist zerstört.“ Dann geht er auf den Dachboden. „Seit er tot ist“, sagt die SPD-Stadtverordnete Angela Baumann, „schlafen hier viele ruhiger.“

 

Kommentar:

Hier wird wieder an der Legende Naumann gestrickt. Jetzt sollen es die neuen Rechten sein, die dem linken Pfarrer zusetzen (weil er von der SPD vorgeschlagen wurde). Oder Stasileute hätten Angst gehabt, er würde Beichtgeheimnisse verraten. Umgedreht war es: Herr Naumann hatte Angst, daß seine Nähe zur Stasi bekannt würde. In der dem Landrat übergebenen Akte stand nichts von einer Stasimitarbeit, aber der Name Naumann kam vor als Empfänger von Geschenken.

Herr Naumann war nicht der Pfarrer, zu dem sich die Gemeindeglieder drängten, wenn ihnen der Staat zusetze. Das war eher Herr Hülsemann. Und Antragsteller auf Ausreise hat er sofort der Stasi gemeldet („Kümmert euch mal um den, der hat ein Problem, das er durch Ausreise lösen will!“). Nur kurz vor der Wende hat er sich für eine Frau eigesetzt, die von den Aufträgen der Stasi loskommen wollte

Es ist doch bezeichnend, daß die Stasi Herrn Naumann zu Hilfe holte, als das Volk vor der Tür stand. Das war ihr Mann, nicht die Pfarrer Horst Krahmer oder Manfred Schreiber. Die „dunklen Mächte“ hatte nur er zu fürchten, nämlich die Stasileute, die ihn hätten verraten können. Aber mit seinem Tod hat er sich unangreifbar gemacht. Die Kirche war gezwungen, die Sache unter den Teppich zu kehren und zu hoffen, daß Gras darüber wächst. Der Stern-Artikel gibt nur die offizielle Lesart wieder, auf die man sich gleich nach dem Ereignis geeinigt hat.

 

Herbert Johannes      Zeitungsbericht „Blick in die Kirche“

Stolz trägt Bürgermeister Herbert Johannes zu festlichen Anlässen die goldene Amtskette sei-

ner geliebten Stadt Schmalkalden. Dem ehrenamtlichen kirchlichen Mitarbeiterbedeutet sie

viel, denn die Wappen erinnern an den Schmalkaldischen Bund (1530-1547). Die protestanti-

schen Städte haben die Kette gestiftet. Das Foto zeigt ihn mit Ministerpräsident Bernhard Vogel auf dem Marktplatz beim Stadtfest 1992.

 

Bürgermeister „Bruder Johannes

Mit der Wende 1989 hatte Herbert Johannes das Gefühl, als kirchlicher Mitarbeiter in der politischen Verantwortung für seine Heimatstadt Schmalkalden gebraucht zu werden. Er trat in die CDU ein, und nach dem Wahlsieg seiner Partei kam er in die engere Wahl für das Amt des Bürgermeisters. Kurz war die Bedenkzeit für den kaufmännischen Angestellten. Zweifel plagten ihn, ob er der großen Verantwortung gerecht werden könne. Doch seine Ängste überlagerte die Zuversicht, Gottes Hilfe werde ihn auch in diesem schwierigen Amt begleiten. Am 6. Juni 1990 wurde er für vier Jahre Bürgermeister der nunmehr 20.000 Anwohner zählenden Stadt.

Christliche Vorstellungen wollte er mit seiner Amtsführung verwirklichen. Das fiel schwer, denn das alte DDR-System hatte ganze Arbeit geleistet. Obwohl viele Menschen in dieser Stadt entchristlicht sind, lebte er als Bürgermeister bewußtes Christsein vor, brachte Zeit zum Zuhören auf und begleitete Bürgerinnen und Bürger ein Stück auf dem Weg durch ihre Unsicherheiten. Nach wie vor sind in Schmalkalden Eigentumsverhältnisse unklar - und fünfundzwanzig Prozent Arbeitslosigkeit schaffen große Probleme in einer Region, in der es bisher keine Arbeitslosen gab. Sie lassen die neu gewonnenen Freiheiten und die bessere wirtschaftliche Versorgung schnell vergessen.

In seiner Amtszeit als Bürgermeister ist er oft entmutigt worden. „Es tut weh, die Zerstückelung der Betriebe und Kombinate mittragen zu müssen, die Härten mitzuerleben, die den Menschen zugemutet wurden, wenn ihr Betrieb privatisiert wird“, bekennt er. Und es erforderte von ihm sehr viel Verhandlungsgeschick, Mindestgrößen der Betriebe zu erhalten und nach neuen Möglichkeiten für die Beschäftigten zu suchen, um ein weiteres Ansteigen der Arbeitslosigkeit zu verhindern.

Die Auseinandersetzungen bei der Rückführung der alten Besitzverhältnisse von Betrieben, Gebäuden, Anlagen und kommunalen Einrichtungen kosteten Zeit, zogen sich gummiartig in die Länge und wurden teilweise in so unverschämter Art und Weise geführt, daß es ihm schwerfiel, für das Geschehen in der Stadt die erste Verantwortung zu tragen. Für manche Entscheidung fehlte es an gesetzlichen Regelungen, daher war eigener Handlungsspielraum auszuloten, und es galt mit Kreativität die Probleme zu meistern. Ab und zu bedauerte er, keine juristische Ausbildung für dieses Amt mitzubringen.

Im Umgang mit Menschen in Stasi-Verstrickungen, so bekennt er offen, sollte endlich ein Schlußstrich für die kleinen, unbedeutenden Personen gezogen werden, die keine Verbrechen begangen oder Menschen geschädigt haben. „Wenn wir wirklich nicht eines Tages Schluß machen, wird immer wieder neuer Hader gesät“, meint Herbert Johannes. Mit diesen Äußerungen nimmt er in Kauf, nicht überall Beifall zu ernten, stellt aber überzeugt fest: „Da wir von der Gnade Gottes leben, müssen wir unsere vergebende Hand weiterreichen!“

Zu den erfreulichen Dingen zählt Bürgermeister Johannes das Stadtfest, das in diesem Jahr zum vierten Mal gefeiert wird. Es finanziert sich selbst und soll jetzt von den Vereinen und Sponsoren getragen werden. Die Bevölkerung Schmalkaldens ist mit Begeisterung dabei, und viele auswärtige Besucher feiern mit. Freude bereitet ihm jeder gelungene Abschluß mit dem Bundesvermögensamt oder der Treuhand. Dankbar ist er für gute Ratschläge und dafür, daß es Menschen im kirchlichen Bereich gibt, bei denen er sich aussprechen konnte oder die ihm zuhörten.

Der Full-time-Job Bürgermeister in der gesellschaftspolitischen Umbruchsituation hat ihm auch Kritik eingebracht und sein privates Leben ärmer gemacht. Freizeit wurde zu einem Fremdwort, und die kirchliche Mitarbeit mußte stark eingeschränkt werden. Jetzt hofft der gesundheitlich angeschlagene Vierundsechzigjährige auf die Tage seines Ruhestands im zweiten Halbjahr 1994. „Dann liegt es an meiner Frau Irmtraud und mir, unser Leben neu zu gestalten“, sagt er strahlend. Er möchte wieder verstärkt ehrenamtlich im Kirchenvorstand, in der Synode des Kirchenkreises Schmalkalden und in der Männerarbeit der thüringischen Landeskirche mitarbeiten, der er fast sein ganzes Leben angehört. Daß er kirchlicher Mitarbeiter geblieben ist, wurde bei der Grundsteinlegung für ein Diakoniezentrum des Kirchenkreises deutlich: viele gratulierten ihm spontan zum Geburtstag, eine Mitarbeiterin überreichte einen Blumenstrauß, der Posaunenchor blies ein Ständchen. Noch ist er für einige Wochen vielbeschäftigter Bürgermeister der Stadt Schmalkalden aber immer ist er der bekannte und geachtete, der bescheidene „Bruder Johannes“ geblieben (Manfred Liebrecht, Kassel).

 

Kommentar: Daß er einen Schlußstrich ziehen wollte, ist verständlich. Er zählte sich selber ja zu den „kleinen unbedeutenden Personen“, obwohl er von der Stasiunterlagenbehörde als inoffizieller Mitarbeiter eingestuft wurde (allerdings ohne Verpflichtungserklärung und Geld). Er selber wußte um seine „Verstrickung“, den etwa ein Jahr vor seinem Tod bat er mich über Dekan Bedbur zu einem Gespräch nach Schmalkalden. Dabei bat er mich, mein Wissen über ihn nicht öffentlich zu machen. Das konnte ich ihm zusagen, weil ich da damals sowieso nicht vorhatte

 

 

 

 

 

Ehepaar Emmermcher

Die Emmermachers sind die Einzigen, die nicht an der Legende mitgestrickt haben, die Pfarrer und kirchlichen Angestellten im Dekanat Schmalkalden hätten alle gegen die Machenschaften des kommunistischen Staates gekämpft und sich schützend vor die Gemeindeglieder gestellt, die wegen ihrer kirchlichen Bindung bedrängt wurden. Weil Emmermachers in dem nach der Wende für die Aufarbeitung gebildeten Ausschuß einige Informationen über Stasi-Verstrickungen einiger Pfarrer wiedergaben, wurden sie diszipliniert und mundtot gemacht, so wie die Pfarrer, die vor der Wende das „gute Verhältnis von Stat und Kirche im Dekanat“ störten.

 

Brief am 10. Juni 1991:

Frau Emmermacher schreibt: „Belastet hat uns beide die Klage der Pfarrfrau des aus dem Leben geschiedenen Pfarrers gegen Klaus wegen Verleumdung und übler Nachrede und wegen Stasizuträgerei“. Frau Naumann hat Herrn Emmermacher nach dem Tod ihres Mannes wegen Verleumdung angeklagt. Vor Ostern wurde Klaus das erste Mal vernommen, nachdem er im Herbst das ihm als Leiter des Ordnungsamtes zwecks Überprüfung der Abgeordneten angetragen worden war, daß der Pfarrer nicht sauber ist. Klaus hatte seine Information dem Ausschuß des Kreistages zur Überprüfung weitergegeben und doch kam es unter die Leute. Man be-drängte ihn von Seiten einer Pfarrfrau, die ebenfalls Abgeordnete einer anderen Partei ist, den Informanten zu nennen, was er nicht tat. Er hat darum gebeten, nachdem der Pfarrer tot war, die Sache ruhen zu lassen. Er wollte nicht gegen einen Toten kämpfen. Man ließ es nicht ruhen, legte seine Beschwichtigungen als Schwäche aus.

Der Staatsanwalt in Meiningen sagte ihm bei der Vernehmung, er möchte sich schuldig bekennen, da käme er mit einer kleinen Geldstrafe davon, sonst gäbe es einen Prozeß, wie ihn Schmalkalden noch nicht gesehen hätte.  Doch Herr Emmermacher ist nicht der Mensch, die Wahrheit zu unterdrücken. Es blieb ihm aber nichts anderes übrig, als seinen Informanten und die entsprechende Akte zu nennen. Er wußte nicht, ob der Informant dazu steht. Nach der Überprüfung stellte der Staatsanwalt fest, daß die Klage zurückgewiesen werden muß. Ende Mai wurde die Klage gegen Klaus wegen Verleumdung des Pfarrers wegen Stasimitarbeit nach 170 Abs. 2 eingestellt. Eine Kopie des Einstellungsbeschlusses benutzt Herr Emmermacher jetzt zu seiner Rehabilitierung.

Frau Emmermacher schreibt weiter: „Auch gegen mich ist von Seiten der Pfarrer und einiger Synodaler Einiges gelaufen, was sehr geschmerzt hat. Es fielen doch unter anderem die Worte: „Von so einem Mann müsse man sich scheiden lassen!" Ich glaube, ich habe diese Erfahrung gebraucht, um Gottes Bodenpersonal kritischer unter die Lupe zu nehmen. Unserem Glauben hat das jedenfalls keinen Abbruch getan im Gegenteil in kritischen Situationen durften wir Glaubenserfahrungen machen [Öffentlich gemacht hat die Aussagen im Ausschuß für Überprüfung der städtischen Angestellten nicht Herr Emmermacher, sondern Frau von Frommannshausen, die auch das mit der Scheidung gesagt hat und deren Schwiegervater auch Stasimann war. Als CDU-Mitglied wollte sie der politische Gegnerin DSU eins auswischen. Sie hat auch Frau Emmermacher aufgefordert, sich von so einem Mann scheiden zu lassen].

 

Gespräch am 10.10.1991:

Herr Emmermacher hatte in seiner Wohnung Besuch von Stasimann Rämisch aus Mittelstille, der bei der Stasi am Computer saß und über alle Eingänge und Ausgänge Bescheid weiß. Dieser übergab ihm eine Akte, in der die Geschenke der Stasi an bestimmte Pfarrer aufgelistet waren. Es waren nicht nur die Flasche Wein, die offiziell in der Pfarrkonferenz zugegeben wurden, sondern sehr viel mehr. Es waren auch schon einmal zwei Flaschen, dazu Pralinen und Apfelsinen aus der Kantine des Kreisrates. Es gab extra ein Konto für Repräsentationsaufgaben des Kreisrates gegenüber der Kirche. Damit wurden die Geschenke zu Neujahr finanziert. Manche Pfarrer hatten auch zweimal im Jahr Geburtstag. Oft revanchierten sich die Pfarrer mit einem Gegengeschenk, der Dekan sogar mit Sachen aus dem Westen.

Aus der Liste kann man ausrechnen, wer von den Pfarrern bei der Stasi als „fortschrittlich“ angesehen wurde oder sogar dazugehörte (Das andere Kriterium waren die Dienstreisen).

Es fehlen an sich nur Herr Fischer und Herr Eberlein sowie einige Schmalkalder Pfarrer und natürlich Herr Heckert. Es wird ausdrücklich gesagt, da nur Pfarrer bedacht werden, die ein gutes Verhältnis zum Staat haben.

Vor allem gilt das für die Ferienaufenthalte, die vom Kreisrat für die Pfarrer organisiert wurden. Es gab da ein Heim in Tabarz im Thüringer Wald, aber auch eins in Juliusruh bei Breege auf Rügen. Hier wurde nicht nur der ganze Aufenthalt bezahlt, sondern es gab auch einen Fahrtkostenzuschuß in Höhe von 200 Mark, den Herr Schulte zum Beispiel auch fein säuberlich quittiert hat.

Pfarrer sollten an sich gar kein Geschenk annehmen. Aber es ist schon ein Unterschied, ob das Geschenk von einem Gemeindekreis kommt oder vom Kreisrat und das heißt: von der Stasi. Zweihundert Mark waren bei einem Monatslohn von brutto 800 Mark kein Pappenstiel, dazu noch der Aufenthalt. Das war schon eine kleine Amigo-Affäre. Annahme von Geschenken ist aber nach den Richtlinien der Thüringer Kirche eins von sechs Kriterien für Stasimitarbeit,

Man kann sicher nicht sagen, daß jeder Pfarrer in diesem Aktenstück ein Stasimitarbeiter war. Mancher wurde auch eingeladen, weil er erst neu im Dekanat war. Herr Lieberknecht war sicher nicht bei der Stasi, obwohl er auch einmal hier erscheint.

Es war ja bezeichnend, daß zunächst a l l e Pfarrer in Diensträume des Rates des Kreises eingeladen wurden zu Gesprächen. Später wurden nur noch einzelne eingeladen in Nobel-Gaststätten wie den Pfalzkeller. Da hat es dann auch schon einmal etwas mehr gekostet. In der Pfarrkonferenz wurde zwar gesagt: „Das nächste Mal suchen wir dann die Leute aus, die hingehen“. Aber beim nächsten Mal waren es doch nur wieder die, die der Rat des Kreises ausgesucht hatte. Man wollte nur noch mit Freunden zusammen sein, wo es nicht zu so harten Konfrontationen kam und wo das Geld gut angelegt war.

 

Brisant war aber die Mitteilung, daß Pfarrer Naumann Stasi-Mitarbeiter war. Dies teilte Herr Emmermacher dem zuständigen Ausschuß der Stadtverordnetenversammlung mit. Alle Stadtverordneten hatten ja unterschrieben, daß sie mit einer Stasiüberprüfung einverstanden sind. Aber Entscheidendes hat sich dabei noch nicht getan, weil vielleicht jede Partei etwas zu fürchten hat

Man kann natürlich auch auf dem Standpunkt stehen, daß Herr Emmermacher die Mitteilung für sich hätte behalten können, aber das war an sich seine Pflicht. Dieser Ausschuß war zur Vertraulichkeit verpflichtet. Aber von dort ist es doch in die Öffentlichkeit gekommen. Doch nicht Herr Emmermacher hat es in die Öffentlichkeit getragen, sondern Frau von Frommannshausen,

Herr Naumann hätte durchaus die Möglichkeit gehabt, sich aus der Stadtverordnetenversammlung zurückzuziehen bzw. sich erst gar nicht hineinwählen zu lassen. Aber wahrscheinlich ist er von der SPD gebeten worden, die nach Persönlichkeiten suchte. Und da konnte er bei seiner Ehrsucht nicht widerstehen. Das Pikante ist noch, daß man Herrn Naumann gerade an dem Tage noch zum Ehrenbürger machte, als man bei der Stadt von seiner Stasiverstrickung erfuhr (aber Hitler war auch Schmalkalder Ehrenbürger und wurde dann wieder gestrichen).

In die Sache wurde ja auch Frau Emmermacher mit hineingezogen. Im Dekanatssynodalvorstand hatte man ihr zunächst nahegelegt, vom Vorsitz der Synode zurückzutreten. Dazu war sie auch bereit. Als sie das aber der Synode verkündete, redete Herr Hoffmann auf sie ein, doch zu bleiben (obwohl er ja vorher im Dekanatssynodalvorstand anders geredet hatte).

Frau Emmermacher trat nicht zurück.

Als Herr Naumann sich aber das Leben genommen hatte, wollte man doch wieder den Rücktritt. In der Herbstsynode gab es eine zweistündige Personaldebatte, die mit der Suspendierung von Frau Emmermacher endete. Bei der nächsten Synode verlangte sie, wieder in der Synode mitarbeiten zu dürfen, weil ja die Unschuld ihres Mannes erwiesen ist. Bei einer Suspendierung muß ja auch die Sache geklärt werden, sie kann nicht jahrelang bestehen bleiben.

Komisch ist natürlich auch diese Sippenhaft, die allzusehr an die alte Zeit erinnert

 

Herr Emmermacher hatte nach der Wende auch Kontakt zu Herrn Lehmann, dem früheren Stasichef in Schmalkalden. Die Stasileute waren verwundert, daß Herr Naumann von sich aus zur Stasi kam und seine Dienste anbot (!). Sein Führungsoffizier wurde dann Herr Möschter, der 40 Leute betreut hat. Eine Akte über Herrn Naumann wurde nicht angelegt, weil er ja freiwillig gekommen war. Weshalb er es tat, ist nicht bekannt, vielleicht war es auch seine Ehrsucht, vielleicht der Wunsch, seinem Sohn einen Studienplatz zu verschaffen.

Herr Rämisch wußte zum Beispiel, daß Pfarrer Gerstenberger auch für die Stasi gearbeitet hat. Weitere Namen hat er nicht genannt, auch um den Dekan hat er etwas herumgeredet.

Über Steinbach-Hallenberg wußte Herr Emmermacher nicht so sehr Bescheid. Die Sache mit der konspirativen Wohnung im Gemeindehaus war ihm nicht bekannt. Auch Erich Nothnagel scheint er nicht zu verdächtigen. Er teilte nur mit, daß Herr Nothnagel sich sehr um einen Dienstausweis für Westreisen bemüht habe, nachdem er schon privat gefahren war. Ging es ihm nur darum, daß er den Pfarrern gleichgestellt sein wollte (er hatte ja da immer seine Komplexe).

Herr Emmermacher wußte auch von den Stasileuten, daß ich ein Opfer der Stasi war und für das Internierungslager vorgesehen war. Andererseits ist damit zu rechnen, daß bis zur Hälfte der Pfarrer im Dekanat zumindest staatsfreundlich waren. Wenn man es gewußt hätte, dann hätte man eine neue „Bekennende Kirche“ gründen müssen.

Frau Naumann hat es jetzt schwer. Sie hat kein zweites Examen, sie möchte es gerne nachmachen, aber keine Kirche will sie. Die Wohnung hat sie noch inne, Sie hat dann aber doch noch zweites Examen machen können und eine Pfarrstelle übernommen.

Schmalkalden hat wieder einmal nur zwei Pfarrer, Steinbach-Hallenberg gar keinen, weil Herr Bär wieder geht. In die Oberstadt soll eine Frau kommen. Aber einstweilen wird nur der Kirchturm gemacht, kirchlicher Unterricht ist nicht.

 

Brief am 15. Dezember 1991:

Frau Emmernacher schreibt:  Klaus erlitt - für die, die es nicht misse - im Mai einen Herzinfarkt, Als er entlassen wurde, rutschte ich zusammen. Der Führungsoffizier des Pfarrers konnte enttarnt werden, es war der Vorgänger im Amt, den Klaus als ersten bei seiner Amtsübernahme entlassen hat. Damals hatte er das nicht geahnt, gewußt hat er nur, daß der Mann zur alten Seilschaft gehörte. Also war diese ganze Inszenierung ein Racheakt gegen Klaus gewesen. Wir wissen nun, daß dieser Mann 40 kirchliche Mitarbeiter betreut hat. Die Pfarrerschaft hat deswegen sauer reagiert und, mich bis zur Klärung der Klage vom Vorsitz der Synode suspendierte, weil man hoffte, daß keine Akten gefunden würden und Klaus im Gefängnis landen würde. Zur letzten Synode wurden wir rehabilitiert. Da meinerseits den Herren gegenüber keine Vertrauensbasis mehr gegeben ist, bin ich zurückgetreten. Natürlich nur vom Vorsitz, dabei bin ich noch in allen Gremien, man muß wissen, was gespielt wird. Inzwischen gab es den Film „Wanzen im Talar“.

 

Gespräch im Herbst 1993:

Es ergeben sich doch immer noch neue Aspekte. Zum Beispiel war uns ganz neu, daß Dekan Schreiber im Zusammenhang mit dem 7. Oktober 1989 (40. Jahrestag der DDR) die Verdienstmedaille der DDR erhalten hat. Es ist dies der gleiche Orden, den auch Herr Stolpe bekam. Er wurde ihm im Hinterzimmer einer Schmalkalder Gaststube übergeben. Er hat ihn gegen den ausdrücklichen Rat des Dekanatssynodalvorstandes angenommen, zu einer Zeit, als

andere Christen an der Spitze der Demonstrationen gegen das DDR-Regime marschierten, einen Monat vor dem Fall der Mauer.

In dieser Zeit fand sich aber auch ein Aktenvermerk des damaligen Referenten für Kirchenfragen Kaufmann, wonach der damalige Oberpfarrer Schulte im Jahre 1979 eine Medaille zum 30. Jahrestag der DDR erhalten hat, wegen seiner Verdienste um das gute Verhältnis zwischen Kirche und Staat. Herr Schreiber konnte sie damals nicht kriegen, weil er noch auf Konfrontationskurs zum Staat war. Zehn Jahre später so es anders aus. Dreimal darf man raten, wofür er da die Medaille erhalten hat! Der Dritte, der diese Medaille erhalten hat, war Pfarrer Naumann.

 

Gespräch am 18. August 2001:

Die Stadt wollte gern ein Gebäude haben, das Verwandten eines Stasimannes gehörte. Diese wollten es aber nicht hergeben und die Stasileute drohten Bürgermeister Johannes und Vizebürgermeister Handy mit Enthüllungen. Daraufhin versuchten diese, alle Stasiverdächtigungen zu unterdrücken. Deshalb wurde auch Pfarrer Naumann hochgejubelt.

Ein Fehler war nur, alles auf die parteipolitische Ebene zu heben mit der Formulierung: „Am Tod Naumanns war die DSU schuld!“ Das rief die bayerische CSU auf den Plan, selbst Vorsitzender Stoiber schaltete sich ein. Dadurch wurde die Staatsanwaltschaft Meiningen zu intensiven Recherchen angeregt.

Der Staatsanwalt hatte zunächst gegenüber Herrn Emmermacher einen „Schauprozeß“ angekündigt. Als er aber von der Stasiunterlagenbehörde in Erfurt die Unterlagen erhielt, wurde erst gar kein Verfahren eröffnet. Herr Emmermacher hat dazu aber keine Registriernummer einer Akte genannt, sondern die Staatsanwaltschaft hat von sich aus gehandelt.

Das Schriftstück, das er dem Landrat übergeben hatte, enthielt nichts zum Fall Naumann. Es war im Wesentlichen eine Liste der Bediensteten im öffentlichen Dienst in Stadt und Kreis, auf der die Stasileute angekreuzt waren (War es nicht eher die Liste mit den Namen der beschenkten Pfarrer?).

Der Landrat hat sich später bei Herrn Emmermacher persönlich entschuldigt. Auch Dekan Braner hat gegenüber ihm schon geäußert, sie hätten sich da doch wohl getäuscht. Aber das geschah immer nur privat und nicht öffentlich. Auch Dekan Bedbur, der erneut einen Anlauf unternehmen wollte, hat sich noch nicht gerührt. Emmermachers warten darauf und würden eine Initiative nicht zurückweisen. Aber sie erwarten eine öffentliche Erklärung. Dabei braucht man den Fall Naumann ja gar nicht anzusprechen. Es würde genügen, wenn man sagte: „Wir betrachten die gegen die Familie Emmermacher erhobenen Vorwürfe als gegenstandslos!“ Aber Herr Emmermacher meinte: Sie haben damit ihre Schwierigkeiten, weil das Haus ja nun einmal nach Naumann heißt!

Kommentar Heckert: Es nutzt gar nichts, wenn der Landrat und der Dekan Braner zu Emmermachers hingehen und zum Ausdruck bringen, daß sie die Dinge heute anders sehen. Wenn das nicht öffentlich gesagt wird, nützt es nichts. Die Rehabilitierung Emmermachers ist mir wichtiger als die eigene. Denn ich bin weit fort. Emmermachers müssen aber bis heute in ihrem sozialen Umfeld die ungerechtfertigten Vorwürfe erleiden. Kirche und politische Parteien haben damals einen Sündenbock gebraucht, um von der Wahrheit abzulenken. Aber heute sollte man doch etwas Abstand haben und die Sache wieder „glattziehen“.

In Schmalkalden wurden viele Angestellte in den öffentlichen Dienst übernommen, die früher auch schon in der Staatsverwaltung tätig waren, während die Bürgerrechtler so gut wie leer ausgingen. Herbert Johannes hatte außerdem dafür gesorgt, dass viele Mitarbeiter aus dem ehemaligen Werkzeugkombinat eingestellt wurden.

Die Anfrage über frühere Stasi-Mitarbeit von Angestellten des öffentlichen Dienstes in Schmalkalden wurde verspätet weitergegeben. Personalchefin war damals Frau Christa Krahmer, die Frau der Pfarrers Krahmer. Sie ließ die Anfrage liegen, erst durch erneutes Nachfragen wurde sie nach Suhl weitergegeben. Dadurch kam auch die Auskunft über Herbert Johannes zu spät, da war er schon Bürgermeister.

 

Fernsehsendung „Kennzeichen D“ am 2.1.1991, Z D F

Redakteur: Wolf Lindner (hat schon früher für den Hessischen Rundfunk eine Sendung über das Dekanat Schmalkalden gemacht)

Das Thema Kirche und Stasi hat viele Aspekte. Einer davon ist, daß die Staatssicherheit offensichtlich nach innen aus dem Untergrund heraus wirksam ist und auch in Kirchengemeinden Unheil und Verwirrung zu stiften vermag. Darauf ist Wolf Lindner jedenfalls in der Thüringischen Kleinstadt Schmalkalden gestoßen (soweit der Moderator)

Pfarrer Reinhard Naumann, ein Gerücht trieb ihn Ende Oktober in den Selbstmord, ein offensichtlich unbegründetes Gerücht, Naumann habe für die Staatssicherheit gearbeitet. Zu Lebzeiten ein nachdenklicher Seelsorger, ein politischer Pfarrer. In der alten DDR legte er sich offen mit der SED-Staatsmacht an, wo immer Christen Unrecht geschah, 1987 sogar vor den Kameras des Westfernsehens. Dazu mußte Naumann Gespräche führen mit der Abteilung Inneres. Die war fest in Stasi-Hand und hatte alles mit Name oder Deckname in ihren Akten festgehalten.

Im Herbst 1989 wurde Naumann zur Symbolfigur der friedlichen Revolution, weit über Schmalkalden hinaus, engagiert bis über den Rand seiner Kräfte für radikale demokratische Veränderungen. Über die SPD-Liste kam der parteilose Pfarrer ins Stadtparlament, wurde dessen Präsident. Wieder war er unbequem, diesmal für die neue politische Rechte. Die prägte das Schimpfwort vom „roten Pfaffen im Rathaus“.

Peter Handy: Ich glaube, man kann es vielleicht nicht ganz ausschließen, daß sein Wirken dem einen oder anderen durchaus ein Dorn im Auge war. Und vielleicht sollte man auch in Betracht ziehen, wenn so ein Gerücht losgeht: Er hat ja eine ganze Menge gewußt. Natürlich war er an das Schweigen gebunden, aber möglicherweise auch für den einen oder anderen ein Unsicherheitsfaktor, denn Pfarrer Naumann hat eine Menge gebeichtet bekommen von ehemaligen Stasi-Mitarbeitern oder noch damals Stasi-Mitarbeitern.

Schmalkalden heute. Die Staatssicherheit feiert ihre späten Siege. Ihr vergiftetes Gemisch aus Halbwahrheiten und Lügen wird weiter benutzt, um schmutzige politische Wäsche zu waschen. Soviel ist bekannt: Der Innendezernent und DSU-Funktionär Klaus Emmermacher wird von einem früheren Stasioffizier im vergangenen September zum konspirativen Treff bestellt. Der Stasimann übergibt eine fragwürdige Akte, die bis heute beim Landrat schlummert (der Landrat blättert in der Akte) und flüstert dem DSU-Mann zu: „Übrigens: der Pfarrer war auch dabei!“ Seitdem ist das Gerücht in der Welt, wie auch immer.

Wolf Lindner: Herr Luther, steht in diesem Akt irgendetwas drin über Reinhard Naumann? Landrat: In diesem Akt, da steht kein einziges Wort über Reinhard Naumann!" Ein Landrat - ratlos! Aus Angst, etwas falsch zu machen, unternimmt Ralf Luther nichts Entscheidendes gegen die Gerüchteküche. Er fragt seinen Dezernenten Emmermacher nicht einmal nach dem geheimnisvollen Stasioffizier (eingeblendet Zeitungsausschnitt: Rücktritt wäre die einfachste Lösung). Bald darauf äußert Emmermacher eine exklusive Verdächtigung öffentlich: Er könne einige Mitglieder der Landesregierung in Erfurt benennen, die für die Staatssicherheit gearbeitet hätten. Der Landrat erteilt ihm dafür eine Abmahnung und überträgt dem DSU-Funktionär die Verantwortung für Ausländer- und Asylfragen.

Wie Pfarrer Naumann sind zahlreiche kirchliche Mitarbeiter in den Verdacht geraten, mit der Stasi zusammengearbeitet zu haben. In der Tat geht aus Akten hervor, daß die Evangelische Kirche von allen gesellschaftlichen Gruppen in der DDR am stärksten im Visier der Staatssicherheit gestanden hat. Sie wurde nicht nur von außen beobachtet, sondern auch von innen zersetzt. So hat es jedenfalls seinerzeit das Westberliner Verfassungsschutzamt festgestellt.

Danach soll es kirchliche Mitarbeiter bis in die höchsten Ämter hinein als Stasizuträger gegeben haben. Seitdem findet in der Kirche eine heftige Auseinandersetzung darüber statt, ob überhaupt und wie man nach diesen Stasigehilfen suchen soll....

Zur Strategie gehörte die Beeinflussung kirchlicher Amtsträger. Pfarrer Führer: „In meinem Fall zielte es darauf hinaus, ein Amtszuchtverfahren gegen mich zu eröffnen, Handhaben zu finden, mich persönlich zu diffamieren, uns persönlich gegeneinander aufzuhetzen und meine Versetzung von der Nikolaikirche zumindest zu erreichen bzw. daß ich aus dem Pfarramt gejagt würde. Und wenn man das hinterher noch hört, wird es immer unwahrscheinlich, daß wir da überhaupt lebend hindurchgekommen sind. Wir haben die letzten zwei Jahre ... als sehr schwere Jahre erlebt!"

Kennzeichen D erhielt Originaldokumente: Zehn Leipziger Pfarrer als Mitarbeiter der Stasi, darunter die Namen. An der Echtheit dieser Dokumente besteht kaum ein Zweifel. Ihr Beweiswert aber ist fragwürdig, denn die Staatssicherheit hat die Akten oft angelegt für rein offizielle oder amtliche Kontaktaufnahme.

Einer der Verdächtigten ging schon vor Wochen mit gutem Beispiel voran. Peter Zimmermann: „Ich bin mitverantwortlich. Ich muß mich fragen, wo steckt auch ein Stück persönliche Schuld? Ich bin sehr froh darüber - Ich habe sofort Menschen gefunden, die gesagt haben, wir müssen gemeinsam erst einmal darüber reden und dann nachdenken, wie können wir jetzt wieder gemeinsam weiterleben!“

Matthias Berger, ein einsamer und heimlicher Grenzgänger zwischen Kirche und Staat, ist sich einer Schuld nicht bewußt. Er sei kein Mitarbeiter gewesen, habe keine Berichte geschrieben, sondern nur Einschätzungen geliefert. Ein Klima des Hasses habe ihn solange schweigen lassen.

Berger: „Es werden jetzt Akten zur Charakterisierung von Menschen benutzt, wobei jeder von uns weiß, z. B. Kaderakten, daß diese Akten angelegt wurden, ohne daß der Betroffene jemals über ihren Inhalt informiert worden ist. Ich würde meine Aufgabe darin gesehen haben, daß ich eine Art Vermittler war, so wie es die Kirche in 40 Jahren Sozialismus auch versucht hat zu sein, für Menschen, die in Not waren, die mit ihren Konflikten nicht weiter wußten, gleichzeitig aber auch diese Brücke zu diesem Staat aufrechtzuerhalten!"

Er hat Hunderten geholfen, den Preis dafür hält er für vertretbar, Hier mußten Sachgespräche geführt werden mit einem Beauftragten des Ministeriums für Staatssicherheit. Ute Wonneberger: „Er hat das Friedensgebet vorangebracht, er ist schnell einmal vorbeigekommen, um uns zu warnen, ich denke, das hat uns geholfen!“

Bischof Hempel: „Wir müssen den Fällen nachgehen, wo wir ausreichende Dokumente haben. Die Realität ist aber, daß die Aufhellungschance begrenzt ist. Wenn einer sagt: Das stimmt nicht! dann bin ich nicht sein Richter! Ich könnte ihm vergeben. Wenn die. Gemeinde es bejaht, kann er auch in der Gemeinde bleiben!“

 

Am Nikolaustag gedachte die CDU in Schmalkalden symbolträchtig der Erstürmung des Stasigebäudes vor einem Jahr. Damals hatten viele Bürger Akten mit nach Hause genommen, sogar Blankoformulare. Bei der Kundgebung mit von der Partie Emmermachers Ehefrau Rita, DSU-Stadtverordnete und pikanterweise Vorsitzende der Evangelischen Kreissynode. Die Schmalkalder Synode quälte sich stundenlang hinter verschlossenen Türen, sprach Pfarrer Naumann posthum das Vertrauen aus, der Rest war Schweigen, aus Angst vor den Verleumdern aus dem Hinterhalt, vor Enthüllungen, vor neuen Opfern.

Ein einziger Pfarrer fand nach langem Nachdenken öffentlich die Sprache wieder (im Hintergrund Dekan Schreiber sichtbar). Pfarrer Fischer: „Wir fürchten, daß unaufgedeckte, von uns selbst nicht wahrnehmbare Verbindungen oder Hinderungen von Menschen bestehen, die an das alte System gebunden sind. Der Begriff der heimlichen oder noch existenten Gruppen von Stasileuten, die im Untergrund irgendwo wirken, sie bestimmen mehr unseren Alltag, als so mancher glaubt. Auf dem Hintergrund dieser Ängste und dieser Furcht, muß man vieles verstehen, was dieser Tage bei uns vorgeht!“ (Fischer schaut die ganze Zeit zu Boden und

spricht sehr langsam).

Das Klima ist nachhaltig vergiftet. 40 Jahre DDR stoßen bitter auf. Im Nachbarort Seligenthal wurde Pfarrer Dietmar Hauser angeschwärzt, in einem Brief an den Dekan mit gefälschten

Unterschriften von zwei Gemeindemitgliedern. Pfarrer Hauser: „Ich denke, daß es in dem Sinne der Versuch ist, vielleicht bestimmte Leute im Dorf oder im Ort etwas zu denunzieren, und daß man versucht, auch wirklich schlechte Stimmung zu machen. Aber ich sehe in der Hauptsache wirklich den Versuch, daß man von denjenigen ablenkt, die ja eigentlich auch

Verantwortung tragen für die Dinge, die bis jetzt gewesen sind. Ablenkungsmanöver, würde ich denken, also anders kann ich es mir nicht vorstellen!"

Pfarrer Hauser machte den Vorgang öffentlich und damit unschädlich. Reinhard Naumann dagegen, durch Krankheit geschwächt, sah für sich nur noch einen Ausweg, den letzten! Das verantwortungslose Gerücht hat sein Ansehen in der Gemeinde unheilbar beschädigt. Die Stadt machte Reinhard Naumann posthum zum Ehrenbürger, eine hilflose Geste des schlechten Gewissens.

Die innere Verwahrlosung der DDR-Gesellschaft, so sieht es Pfarrer Fischer, wirft ihre langen Schatten in die Zukunft. Pfarrer Fischer: „Sie kennen die Gefahr, die darin besteht, wenn unter uns ein Klima entsteht, in dem es für manche leicht wird, durch Verleumdung anderer die eigene Existenz abdecken zu wollen. Wir sind deswegen so vorsichtig, wir können nur von

unserer eigenen Betroffenheit reden, Ängsten, die uns umtreiben, von den Problemen, die wir erkennen bei unseren Mitmenschen in unseren Gemeinden, in den Betrieben, unter den Kollegen. Paradebeispiel ist der Satz: Ich sage heute nichts mehr! Diesen Satz haben nicht etwa meine Kollegen gesagt, sondern den hören Sie an jeder zweiten oder dritten Stelle in irgendeinem Betrieb. Das alles umschreibt den konkreten Fall!"

 

Über die Arbeitsweise der Stasi (1991)

Je mehr Berichte über die Arbeitsweise der Stasi erscheinen, desto deutlicher wird, daß durchgängig die gleichen Maßnahmen ergriffen wurden. Bei gleichgelagerten Fällen kann man deshalb eventuell schlußfolgern, daß auch da die Stasi die Finger im Spiel gehabt hat, auch wenn dafür bisher keine Beweise vorliegen.

Die Veröffentlichung von Walter Schilling etwa zeigt diese Methoden, die man im Laufe der Jahre noch „verbessert“ hat. Nach dem 6. März 1978 konnte man nicht mehr direkt gegen einzelne kirchliche Mitarbeiter vorgehen. Deshalb versuchte man, kirchliche Leute zu gewinnen, die die Dreckarbeit machten. Dadurch sollte es so aussehen, als lägen nur innerkirchliche Probleme vor, die auch nur innerkirchlich behandelt würden.

Handlanger fand man auch allen drei Ebenen: Landeskirche, Superintendentur und Gemeinde. Man wollte sicher gehen und setzte gleich überall an. Vor allen Dingen sah es ja auch besser aus, wenn Klagen von verschiedenen Seiten kamen, da mußte man doch etwas unternehmen.

Nur läßt sich nicht erkennen, ob bis ins Einzelne Anweisungen gegeben wurden, oder ob man nur allgemein seine Wünsche angemeldet hat, die die Betreffenden dann in eigener Regie umsetzten.

Es ist auch anzunehmen, daß in der letzten Zeit nicht mehr so sehr mit Verpflichtungserklärungen gearbeitet wurde. Deshalb behaupten die Betreffenden ja heute, sie seien keine Stasimitarbeiter gewesen. Vielleicht hat es schon genügt, daß man die Erwartung auf bestimmte Gegenleistungen ausgesprochen hat.

Altbewährtes Mittel war die Erpressung wegen angeblicher krimineller Vergehen („Republikflucht“). Nachher kam die Lockung der Westreisen hinzu. Im Westen gewesen zu sein war ein Statussymbol, mehr als der Wartburg, den man sich leisten konnte.

 

Typisch war in Steinbach-Hallenberg das plötzlich irrationale Verhalten der betreffenden kirchlichen Mitarbeiter, die unter Druck standen. Da wurden zum Beispiel Dinge wieder aufgegriffen, die ein halbes Jahr zurücklagen und längst erledigt waren. Plötzlich wurde Anstoß genommen an der Osterkerze oder angeblich war zu einer besonderen Veranstaltung irgend-jemand nicht eingeladen worden. Angeblich hatten die Konfirmanden Bilder von Nackten gemalt (Es waren Kollagen aus DDR-Illustrierten). Aber es wurde abgelehnt, sich die Bilder selber anzusehen (auf sexuellem Gebiet versuchte man den Leuten gern am Zeug zu flicken). Ganz klare kirchliche Bestimmungen wurden nicht beachtet: Es war zum Beispiel möglich, daß ein Mitglied in der Kirchenvorstandssitzung offen erklärte, er werde das hier Besprochene in die Öffentlichkeit bringen und der Dekan schritt nicht dagegen ein, wozu er von Amts wegen eindeutig verpflichtet war.

Besonders „gefährlich“ waren Umweltfragen. In früheren Jahren konnte unbeanstandet ein Gemeindetag des Dekanats zum Thema Umwelt gemacht werden. Als aber Umweltgruppen entstanden, wurde dieses Thema „feindlich-negativ“. Die Schmalkalder Gruppe konnte man nur noch kanalisieren. In Steinbach-Hallenberg wollte man eine ähnliche Entwicklung sofort unterdrücken. Da paßte auf einmal eine fünfminütige Zusammenfassung kirchlicher Verlautbarungen nicht zum Charakter des Feiertages Palmsonntag, die Ausgabe des Textes nicht zum Karfreitag.

 

Je mehr ich mich zurückhielt und vorsichtig war, desto mehr suchte man in Nichtigkeiten. Hätte ich aber zu sehr die Augen zugemacht, wäre man mir mit dem Kirchenrecht gekommen und hätte mir Pflichtverletzung vorgeworfen. Das war die Zwickmühle, in der ich mich befand. Vielleicht war es nur im Rahmen der üblichen Betrügereien, daß man mich zu falschen Angaben in einem Versicherungsfall verleiten wollte; vielleicht sollte mir aber damit auch ein Bein gestellt werden (Verbrannter Fußboden im Haus hinter der Kirche).

Natürlich besteht auch die Gefahr, daß man bestimmte Dinge unter das Kapitel Stasi rechnet, obwohl es gar nichts damit zu tun hat. Aber meine Meinung ist, daß man eher zu wenige Dinge darunter rechnet. Etwas mehr Licht käme in die Sache, wenn die Akten vorlägen. Aber da ist es inzwischen ja so, daß die Akten nicht als beweiskräftig angesehen werden, sondern nur ein offizieller Bescheid der Gauckbehörde. Angeblich sei das allein rechtsstaatlich. Doch die Behörde ist damit überfordert, denn es sind ja längst nicht alle Unterlagen erfaßt.

Bis jetzt ist offenbar nur das Material aus den siebziger Jahren zugänglich. Das war schon archiviert. Die laufenden Vorgänge sind vielleicht vernichtet werden. Aber gerade in den letzten zwei Jahren hat die Stasi im Zusammenhang mit den Westreisen einen großen Aufschwung genommen.

Anders war in der letzten Zeit, daß man auch in der Kirche vor einem offenen Rechtsbruch nicht zurückscheute. Im Fall Walter Schilling sagte man noch, man könne einen Pfarrer nicht aus seiner Pfarrstelle vertreiben, wenn er nicht freiwillig gehe. Unter dem „Juristen“ Martin Kirchner ging das aber. Da wurde erst gar kein Verfahren durchgeführt, sondern einfach eine Beurlaubung ausgesprochen. Damit waren Fakten geschaffen, hinter die man nicht zurückkonnte. Man berief sich zwar auf einen Paragraphen aus dem Pfarrerrecht, nur traf der gar nicht zu bzw. war mit einem anderen vermengt worden. Vor allem hätte man vor der Beurlaubung den Betreffenden hören müssen und ihm die Möglichkeit geben müssen, von sich aus die Folgerungen zu ziehen. So etwas wäre „brüderlich“ und rechtsstaatlich gewesen, aber darauf nahm man keine Rücksicht mehr, um das Ziel zu erreichen.

Geschickt hat man gewartet, bis der Bischof nicht da war und dann schnell alles auf die Spitze getrieben. Der Bischof sagte zwar, die fünf anwesenden Oberkirchenräte hätten einstimmig beschlossen. Aber das Gespräch mit Herrn Kirchner zeigte, daß Herr Höser nur so dabei saß und nicht begriffen hatte, worum es ging. Besonders übel nehme ich ihnen die Behauptung, ich würde bei einem Ausscheiden jeden Pensions- und Rentenanspruch verlieren, obwohl ich doch sicher nicht der Erste war, der ausscheiden wollte. Nachher stellte sich ja auch heraus, daß es sogar einen Vordruck für diesen Fall gab.

 

Auch der Dekan konnte ungesetzlich handeln. Er war zwei Jahre lang in den Kirchenvorstandssitzungen dabei, angeblich um dafür zu sorgen, daß alles richtig zugeht, aber in Wirklichkeit sammelte er wie die Stasi Material und schürte jeden Ansatz von Konflikt.

 

Im Januar 1989 berief er sogar eine Kirchenvorstandssitzung ein und ließ über mich abstimmen, obwohl er nicht dazu berechtigt war. Er manipulierte die Abstimmung, indem er vorher sagte, daß der Landeskirchenrat schon entschieden habe. Er hat deswegen am Nachmittag in Eisenach angerufen. Nachher aber leugnete er, das gesagt zu haben, obwohl es doch alle gehört hatten (angeblich hätte er das erst in der nächsten Sitzung gesagt; aber bei der war ich gar nicht mehr dabei). Solche Dinge wären fünf Jahre früher nicht vorgekommen. Das ist eben das Irrationale, das durch den Druck der Stasi bewirkt wurde.

Man muß auch einmal überlegen, wo das Wohl der Gemeinde bleibt: Der eine Pfarrer fiel wegen Krankheit aus. Die Gemeinde wurde trotzdem voll versorgt. Da vertreibt man auch noch den anderen Pfarrer, dazu innerhalb eines Vierteljahres die Katechetin, den Verwaltungsleiter, den Kantor und den Hausmeister mit Frau. Die Pfarrstellen konnten erst nach drei Jahren mit Leuten aus dem Westen wieder besetzt werden, aus Thüringen ging keiner wegen dieses Kirchenvorstandes hin.

Meine Vermutungen beruhen auf ganz kleinen Einzelinformationen aus den Kreisen der Bürgerkomitees, die nach der Wende die Akten eingesehen haben (konspirative Wohnung im Gemeindehaus, Erpressung des Dekans, Inhalt meiner Stasiakte). Dazu gibt es Informationen

aus örtlichen Stasikreisen, die ich über die Familie Emmermacher in Schmalkalden erhielt (besonders über einzelne Pfarrer); dabei wurde ganz klar gesagt, daß ich zu den Opfern der Stasi gehöre. Doch die Vermittler der Information werden in kirchlichen Kreisen wie Aussätzige behandelt.

Dazu kommen eigene Beobachtungen. Wenn in einer Fernsehsendung ein Pfarrer beschuldigt wurde, dann überlegt man sich natürlich, wie er sich in bestimmten Dingen verhalten hat. Und dann erscheint es als wahrscheinlicher, daß er wegen seiner Stasiverstrickung so gehandelt hat als nur aus sich heraus.

Im Falle des Kirchenältesten kann man auf den Monat genau den Zeitpunkt angeben, von dem an der mitgemacht hat. Als er noch offen von einem Anwerbeversuch berichtete, war noch nichts. Dann aber kam die Ablehnung und nachher doch noch Genehmigung der Westreise und das entschiedene Leugnen der Stasimitarbeit. Im März und April ist er dreimal in den Westen gefahren. Dann noch Warnungen aus der Gemeinde, sich nicht mit dem Mann anzulegen, hinter ihm stünden stärkere Kräfte. So ergibt sich aus vielen Mosaikstücken ein Gesamtbild.

 

Es kann aber auch alles anders gewesen sein. Ich habe zwar zu dieser Frage eine Meinung und bin überzeugt, daß ich nicht allzu weit von der Wahrheit entfernt bin. Aber solange ich keine besseren Beweise habe (bisher sind es nur Hinweise), hüte ich mich in der Öffentlichkeit etwas zu behaupten. Allerdings habe ich unter vier Augen schon einmal von meinem Verdacht gesprochen. Aber wenn das dann in die Öffentlichkeit getragen wurde, ist das nicht meine

Sache. Ich weiß sehr genau zu unterscheiden zwischen Vermutungen und Tatsachen.

 

Es ist nämlich zu befürchten, daß die Täter erneut die Opfer anklagen wegen Verleumdung. Vielleicht wäre das ja eine Möglichkeit, die Sache zu klären. Dann müßten vielleicht die hauptamtlichen Stasileute vor Gericht erscheinen und aussagen. So wurde ja schon einmal eine Verleumdungsklage als unbegründet abgewiesen, weil ein Hinweis auf die Akte gegeben wurde. Nichtsdestotrotz nehmen kommunale staatliche Stellen und noch mehr die kirchlichen

Stellen diese Tatsache nicht zur Kenntnis. Es könnte aber auch sein, daß man vor Gericht in Beweisnot kommt, weil die Akten noch nicht erfaßt sind oder vernichtet wurden.

Deshalb stehen alle meine Aussagen unter dem Vorbehalt, daß ich sie nicht beweisen kann. Bisher kenne ich nur meine Sicht der Dinge. Für mich ist sie schlüssig. Aber das läßt sich nicht öffentlich verwerten. Wer meine Vermutungen als Tatsache weiterträgt, muß wissen, daß er dann auch dafür die Verantwortung trägt.

 

 

 

Gespräch mit Herrn Rämisch im September 1994 im Mittelstille

Leicht ist es mir nicht gefallen, Kontakt zu einem ehemaligen Stasimann aufzunehmen. Aber da man jetzt den Spieß umdrehen will und mich der Verleumdung bezichtigt, wollte ich doch etwas mehr zu den Hintergründen wissen. Da wir Mitte September 1994 sowieso nach Steinbach mußten und ich im Vorbeifahren das Geschäft in Mittelstille entdeckte, ging ich einmal hinein. Herr Rämisch war auch zugänglich. Meine Frau und seine Frau kamen zu unserem Gespräch hinzu.

Das Gespräch war offen und ehrlich, denn Herr Rämisch steht ja zu seiner früheren Tätigkeit. Sicher wollte er auch die Stasi reinwaschen und betonte, daß in Schmalkalden keine Ver­brechen vorgekommen seien. Sie hätten das Beste gewollt. Aber es sei ihnen gegangen wie der Kirche auch: Die Sache ist an sich gut, aber beide haben die Menschen dafür nicht gehabt. Das Gespräch war angenehmer als mit manchen kirchlichen Vertretern, wenn es um dieses Thema geht.

Herr Rämisch war früher bei der Kriminalpolizei und wurde 1981 in die Kreisdienststelle der Stasi berufen. Über seinen Schreibtisch gingen alle Berichte der inoffiziellen Mitarbeiter im Kreis. Allerdings konnte er sich nur an manche Einzelheiten noch erinnern. Die Kirche war ja nur eines der „betreuten“ Gebiete.

Besonders empört war er über Herrn Naumann, der selber seine Mitarbeit angeboten habe. Grund sei gewesen, daß er Pfarrer Krahmer weghaben wollte (daß das auch bei Herrn Hülse­mann so war, wußte er nicht, weil das vor 1981 war). Herr Krahmer war Opfer, weil er sich um die Umweltgruppe kümmerte, die Hauptgegenstand der Stasibeobachtung war. Darüber gibt es einen eigenen Vorgang, in dem ich auch vorkommen könnte.

Auch andere Pfarrer sind zur Stasi gekommen, wenn es etwa um Ziegel für das Kirchendach ging oder um die Verbesserung von Wohnbedingungen für Gemeindeglieder. Dafür zeigten sich die Pfarrer dann erkenntlich. Man war ja schon einmal dagewesen und hatte Kontakte geknüpft. Die Anlässe waren manchmal durchaus ehrenhaft, zum Beispiel wenn Umweltvergehen gemeldet wurden. Doch in der Pfarrkonferenz hat keiner der Pfarrer von diesen Kontakten erzählt.

Herr Rämisch bestätigte, daß auch der Dekan Schreiber mit der Stasi zusammengearbeitet hat. Er hat auch die Kreisdienststelle persönlich aufgesucht, obwohl er das immer geleugnet hat. Ein Beispiel ist der Besuch im Zusammenhang mit den Ermittlungen zu den Flugblättern, die bei der Maidemonstration verteilt wurden. Von einem Fluchtversuch des Sohns wußte er allerdings nichts; doch vielleicht war das auch schon vor 1981 im Zusammenhang mit dem Durchfallen der Schwiegertochter beim Staatsexamen (ein Racheakt, weil sie einen Pfarrerssohn geheiratet hatte).

Neu war mir, daß auch Pfarrer Peters ein Stasizuträger war und sich über mich dort beschwert hatte. Über Herrn Hoftinann wußte Herr Rämisch nichts. Getäuscht habe ich mich auch über Herrn Herbert Johannes, der aber keine Verpflichtungserklärung unterschrieben hat und jetzt Herrn Rämisch nur noch kennt, wenn sie allein sind. Kein Wunder, wenn die Stasileute frustriert sind, weil sie verachtet werden, aber andere als Ehrenmänner dastehen.

In meinem Fall kamen die Widerstände auf staatlicher Seite zunächst vom Schulrat, weil ich mich immer wieder wegen des Drucks auf die Christenlehrekinder beschwerte. Ausschlag­gebend war aber dann der Beschwerdebrief beim Kreisratsvorsitzenden. Viel entscheidender war aber, daß die kirchlichen Mitarbeiter mich weghaben wollten. Ich paßte nicht in das Deka­nat, weil ich mich zum Beispiel immer wieder über den Druck auf die Christenlehrekinder beschwerte. Das störte das gute Verhältnis zwischen Staat und Kirche im Dekanat. Zitat: „Die Thüringer Kirche war die staatstreueste innerhalb der DDR, und innerhalb dieser Kirche war wiederum das Dekanat Schmalkalden treueste! Aus diesem Grunde wurde ja auch das Westfemsehen dorthin geschickt, um einen Bericht über kirchliches Leben zu machen.

Die Stasi hat gern die innerkirchlichen Gegensätze ausgenutzt. Es war so, daß ich sowohl von der Stasi als auch von der Kirche ausgegrenzt werden sollte. Deshalb wurde ich zu den offiziellen Treffen mit Staatsvertretern bewußt nicht mehr eingeladen, und zwar von beiden Seiten.

Im (politischen) Kreis Schmalkalden stand außer mir nur noch der Pfarrer von Wernshausen unter Beschuß der Stasi. Über mich gibt es bei der Stasi ein Aktenstück, das noch vorhanden sein müßte.

Die Kreisdienststelle sollte nämlich sowieso aufgelöst werden und hatte all ihre Akten in etwas mehr als 20 Blechbehälter verpackt. Es durfte gar nichts vernichtet werden. Was im Hof verbrannt wurde, war nur Makulatur. Die Blechkisten wurden beim „Sturm“ auf die Kreisdienststelle von den Bürgerrechtlern nach Suhl geschafft und müssen sich jetzt bei der Stasiunterlagen­behörde befinden.

Über Herrn Erich Nothnagel konnte Herr Rämisch nichts sagen. Mir war ja von vornherein klar, daß er nichts unterschrieben hat. Herr Rämisch bestätigte, daß es sogar eine Anweisung gab, daß kirchliche Leute nicht unterschreiben sollten. Deshalb behaupten sie heute ja auch alle, daß sie keine Stasileute gewesen seien.

Er konnte aber mitteilen, daß Anfang 1988 die Stasi noch mitreden konnte bei der Vergabe von Visa für Westreisen. Erst nach dem Wegbleiben des Hautarztes Dr. Holland-Cunz, der vom Dienststellenleiter befürwortet worden war, wurde der Stasi dieses Recht entzogen. Überhaupt wurde sie gegen Schluß immer mehr entmachtet. Der ,,Sturm“ auf die Stasi-­Dienststellen wurde von der Partei angezettelt, damit diese von sich ablenken konnte. Der Geheimdienst hatte sowieso versagt, da konnte man ihn auch fallen lassen.

 

 

Anfrage an Möschter 2001

Am 6. Februar 2001 versuchte ich sogar, an Herrn Möschter zu schreiben, und zwar über seine Mutter:

Herrn Horst Möschter, über Frau Möschter, Auer Straße 17, Schmalkalden.

Sehr geehrter Herr Möschter, Sie werden sich an mich erinnern wegen meiner früheren Tätigkeit in Steinbach-Hallenberg. Ich wende mich mit einer Bitte an Sie, als Zeitzeuge mir Auskunft zu geben über die achtziger Jahre im Kreis Schmalkalden. Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen der Staatssicherheit hat mir die Erlaubnis erteilt, in der Außenstelle Suhl die allgemeinen Akten zum Thema „Das Verhältnis von Staat und Kirche im Dekanat Schmalkalden“ auszuwerten. Diese Arbeit ist fast abgeschlossen. Es bleiben aber dennoch Fragen, die aus den Unterlagen nicht beantwortet werden können. Wenn Sie mir hier weiterhelfen könnten, wäre ich Ihnen sehr dankbar.

Es fällt mir nicht unbedingt leicht, mich an Sie zu wenden. Wir hatten zwar immer ein sachliches persönliches Verhältnis, aber wir wussten doch beide, dass wir im Grunde Gegner waren. Doch das ist jetzt Geschichte, und man sollte diese Zeit mit dem nötigen Abstand betrachten. Ich habe keinesfalls vor, Ihre damalige Tätigkeit schlecht zu machen. Es war eben damals so, und die Mitarbeiter der Staatssicherheit waren der Meinung, etwas Gutes für ihren Staat zu tun.

Vor einigen Jahren hatte ich schon einmal Gelegenheit, mit Herrn Rämisch zu sprechen. Er konnte mir allerdings auf meine speziellen Fragen keine Antwort geben. Doch ich empfand es als angenehm, dass er zu seiner früheren Tätigkeit stand und ehrlich Auskunft gab.

Leider kann man das nicht von den Vertretern der Kirche sagen, die sich darauf festgelegt haben, jede Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit zu leugnen, bis sie aufgedeckt wird.  Aber auch dann noch spielt man die Tatsachen herunter und versucht sich herauszureden bzw. sich selbst freizusprechen.

Hier liegt die Stoßrichtung meiner Arbeit: Ich möchte diese Biedermänner entlarven und ein möglichst ungeschminktes Bild der Tatsachen wiedergeben. Ob das auch für die Öffentlichkeit möglich ist, weiß ich noch nicht. Die Stasiunterlagenbehörde erwartet das an sich, wenn sie einen Forschungsauftrag vergibt. Aber ich weiß nicht, ob ich mir da nicht unnötig Ärger und Anfeindung zuziehe, weil die heute herrschende Klasse in Politik und Kirche bestimmte Dinge nicht wahrhaben will. Vielleicht ist die Zeit noch nicht reif für die Wahrheit.

 

Hier meine konkreten Fragen:

1.) Über Reinhard Naumann kann ich mir aus den Unterlagen selber ein Bild machen (er war „nicht dabei“, hat sich aber verhalten wie ein inoffizieller IM). Dennoch wäre es gut, Ihre Sicht der Dinge zu erfahren.

2.) Die Stellung von Erich Nothnagel aus Steinbach-Hallenberg wäre für mich sehr wichtig zu erfahren. Den ersten Anwerbeversuch hat er abgewiesen. Aber blieb er auch dabei, als er unbedingt besuchsweise in den Westen wollte und dann auch innerhalb von zwei Monaten dreimal fuhr? Welche Rolle spielte Heini König, dessen Tochter auch überraschend in den Westen fahren durfte?

3.) Wie war das mit der konspirativen Wohnung im Evangelischen Gemeindehaus in Steinbach-Hallenberg, von der die Presse berichtete? Welche Rolle spielte die Schwesternstation?

 

4.) Wer war der Herr Schreiber aus Floh, der einen Fluchtversuch in den Westen unternahm?

5.) Wer war der/die kirchliche Angestellte im Kreis Schmalkalden, der in der Statistik als IM aufgeführt wird? Handelt es sich bei dem Kirchenvorsteher, der als IM in der Statistik erscheint, um Herbert Johannes oder gab es noch einen anderen?

6.) Gab es in meinem Fall Hinweise der Staatssicherheit, dass die kirchlichen Oberen mich aus dem Kreis entfernen sollten oder haben sie allein aus vorauseilendem Gehorsam gemerkt, dass ich das „gute Verhältnis“ zwischen Staat und Kirche belastete, d.h. die Dienstreisen in den Westen gefährdete?

 

Dies sind nur einige der grundsätzlichen Fragen, bei denen ich nicht so recht weiterkomme. Darüber hinaus gibt es noch eine Menge Einzelfragen, zu denen einer Auskunft geben könnte, der mittendrin war. Deshalb bitte ich Sie, mir zu meine Fragen Auskunft zu geben. Ich würde mich freuen, wenn Sie mich einmal anriefen oder mir schriftlich etwas zukommen ließen. Auf meine Verschwiegenheit können Sie sich verlassen, wenn Sie nicht wollen, dass Ihr Aufenthaltsort bekannt wird. Mit freundlichen Grüßen         [Eine Antwort ist nicht erfolgt].

 

Ich schrieb im Jahr 200 auch an die Pfarrer Gerstenberger und Hauser sowie an Frau Sickert, sie möchten mir doch die Einsicht in ihre teilweise geschwärzten Akten erlauben, aber sie haben nicht geantwortet. Herr Dalberg hat die Zustimmungserklärung unterschrieben.

 

Gesoräch mit Dekan Bedbur am 22. April 2001

 

Um das Gespräch hatte Herr Bedbur gebeten, weil er von mir etwas hören wollte über meinen Fall. Aber mir war klar, daß es weniger um die Vergangenheit ging. Landesbischof Hofmann hatte mir ja gesagt, daß man im Kirchenkreis Schmalkalden Befürchtungen hat wegen meiner Forschungen in Sachen Stasi. Es ging dann auch zunächst noch um meine Beweggründe für den Umzug in die DDR und die Umstände meiner Kündigung.

Ich betonte, daß es die Enttäuschung über eine Landeskirche war, die ohne vorher mit mir zu sprechen gehandelt hat und in der Sache nichts klären wollte, sondern nur nach dem Zerrüttungsprinzip meine Zwangsversetzung vorhatte. Ich erklärte die Hintergründe des Beschlusses des Kirchenvorstandes (Zusage von Martin Lieberknecht, daß er die Stelle übernehmen wolle). Und ich sprach auch den Beschluß der Pfarrkonferenz an, der mir eine Anstellung in Kurhessen verwehrte.

Ich fragte aber auch, ob es ein Protokoll gibt, in dem dieser Beschluß festgehalten ist, denn solange ich dabei war, haben sich nur zwei Kollegen dafür ausgesprochen, daß ich die Stelle wechseln sollte, die anderen äußerten sich zumindest nicht dazu. Da kann man nicht von einem Beschluß sprechen, wie es der Dekan nach Kassel meldete. Die Kasseler aber sagten, sie würden nichts gegen den Wunsch des Dekanats tun. Herr Bedbur meinte dazu nur: Die Pfarrkonferenz kann nur für ihren Bereich sprechen, nicht über das, was andere tun sollten.

Ich brachte dann zum Ausdruck, daß ich noch nicht weiß, was mit den mir zugänglich gemachten Unterlagen geschehen soll. Die Sache ist ja noch nicht abgeschlossen, weil bei der Gauckbehörde im Augenblick nicht auf diesem Gebiet gearbeitet wird. Außerdem muß ja auch etwas Geld da sein, ehe man ein Manuskript von 250 Seiten veröffentlichen kann. Und schließlich muß man überlegen, ob man alles nur anonymisiert darstellt oder ob man alle Namen nennt.

Ich bin schon bereit, so wie in der Vergangenheit schon, der Kirche nicht zu schaden. Aber meiner Ansicht nach muß sie sich selber ihrer Vergangenheit stellen und die Öffentlichkeit über das aufklären, was geschehen ist.

Der positiven Meinung des Dekans über Pfarrer Naumann widersprach ich sofort. Er sagte, daß er in der Gemeinde nach wie vor hohes Ansehen genieße und als Widerstandskämpfer bzw. als Opfer der Stasi angesehen wird. Er sah es aber auch so, daß man ihm die Ehrenbürgerwürde verliehen hat, um alle Diskussionen abzuschneiden und sich nicht der eigentlichen Frage stellen zu müssen.

Dem Dekan ging es auch noch um Herrn Johannes, der schon mehrfach von Herrn Möschter aufgesucht und erpreßt wurde. Er fragte, ob es da nicht Möglichkeiten der Rehabilitierung gäbe. Ich sagte darauf, daß es erst einmal auf die Rehabilitierung des Ehepaares Emmermacher ankomme, wo er ja korrekt gehandelt hat und sie gar nicht damit befaßt war (an die Öffentlichkeit ging ja aus parteipolitischer Gegnerschaft Frau von Frommannshausen). Herr Bedbur meinte, ob man Frau Emmermacher wieder für den Kirchenvorstand werben solle. Ich sagte ihm darauf: Ohne eine öffentliche Erklärung, daß die Vorwürfe unberechtigt waren, wird es nicht abgehen!

Was Herrn Johannes angeht ist es natürlich auch nicht recht, daß ein Herr Möschter ihm jetzt zusetzt, wo er doch ihn erst da hineingezogen hat. Insofern müßte man ihn schon in Schutz nehmen, zumal es Pfarrer gab, die mehr mit der Stasi zusammengearbeitet haben als er (zumindest was die kirchliche Seite seiner Zusammenarbeit angeht). Offenbar hat die Kirche ihn gebeten, aus dem Kirchenkreisvorstand auszuscheiden, nachdem er vorher schon aus dem Kirchenvorstand ausgeschieden war. Er habe sich aber völlig zurückgezogen, gehe nicht mehr zum Gottesdienst und beteilige sich nicht am kirchlichen Leben.

Aber ich sagte wiederum: Auch hier hilft nichts als die Flucht nach vorn, d.h. die Unterrichtung der Öffentlichkeit, die offenbar sowieso Bescheid weiß, denn es gab ja keine zweite Amtszeit als Bürgermeister. Mir ist nur unverständlich, weshalb er so wie auch Herr Nau-mann nach der Wende sich nicht zurückhielt und unbedingt in der Politik mitmachen wollte (die CDU hat ihn darum gebeten, weil er als kirchlich und unverdächtig galt).

 

Ich legte dann meine Einteilung der Pfarrer dar, wo es von fast weiß bis fast schwarz ging. Das war es ja, was mich besonders interessierte, diese Grauzone unterhalb der Schwelle des IM. Aber ich sagte ganz klar: Man brauchte keine IM, man erfuhr auch so alles und hatte über „kirchenleitende Kräfte“ genug Einflußmöglichkeiten auf Aktivitäten der Kirche und auf die Disziplinierung einzelner Pfarrer.

Ich bat Herrn Bedbur, die Pfarrkonferenz von dem Gespräch zu unterrichten und auszuloten, in wieweit man bereit ist, sich der Vergangenheit zu stellen. Herr Bedbur wies natürlich darauf hin, daß die Hälfte der Konferenz aus „Neuen“ besteht, die damit wohl nicht sehr viel zu tun haben wollen. Eventuell will er mich auch in die Konferenz einladen, denn Herr Bunge hat wohl nicht sehr viel erzählt. Ich sagte aber ganz deutlich, daß ich von Anfang an die Option hatte, von mir aus an die Öffentlichkeit zu gehen, wenn die Kirche nicht zu einer Änderung ihrer Haltung bereit ist.

Auch Steinbach-Hallenberg sprach ich an, daß es da eine konspirative Wohnung im Gemeindehaus gab (zumindest hat niemand die „taz“ wegen ihrer Meldung verklagt) und daß zwei Kirchenvorsteher plötzlich in kurzer Folge Reisen in den Westen genehmigt erhielten. Gegen mich gab es keinen operativen Vorgang der Stasi, aber jeder wußte, daß man beim Staat und bei der Stasi eine gute Nummer hatte, wenn man den Pfarrer Heckert vertrieb.

Herr Bedbur wunderte sich, daß man von einem „guten Verhältnis“ zwischen Staat und Kirche sprach. Aber ich sagte ihm, daß darunter vor allem die Möglichkeit zu dienstlichen Westreisen verstanden wurde. Es ging nicht um das Wohl der Kirche, sondern allein um die persönlichen Vorteile.

Ich schilderte dann noch das Verhalten der Pfarrer gegenüber Ausreisewilligen, daß sie der Stasi Namen nannten und umgedreht bereit waren, auf Wunsch der Stasi Antragsteller „seelsorgerlich“ zu bearbeiten, damit sie ihren Antrag zurückziehen. Und ich schilderte die beiden Fälle, wo Pfarrer in den Westen fuhren, um Ärzte zurückzuholen. Außerdem erwähnte ich die Verdienstmedaillen und die Urlaubsaufenthalte in Stasi-Objekten.

 

Er fragte mich auch, ob mir die Vorgänge noch innerlich Probleme bereiten. Ich sagte dazu: So etwas wird man nie im Leben los. Aber andererseits ist das auch jetzt abgeschlossen, es belastet mich nicht besonders. Eher habe ich den Eindruck, daß die Schmalkalder Pfarrer etwas befürchten von einer eventuellen Veröffentlichung.

 

Brief:

Lieber Bruder Bedbur, in Ihrem Anruf am 23. August stellten Sie die Frage, welches Ziel denn die Beschäftigung mit der Vergangenheit des Kirchenkreises zur DDR-Zeit haben soll. Ich hörte dabei Ihre Sorge heraus, daß mehr Porzellan zerschlagen werden könnte als eventuell Gewinn daraus entsteht.

Doch nach meiner Ansicht nach kommt die Kirche nicht darum herum, sich der Vergangenheit zu stellen, ehe sie sich der Zukunft zuwenden kann. Das Niederknüppeln jeder Diskussion vor zehn Jahren war ein Fehler. Weil da etwas nicht bewältigt ist, entsteht immer wieder Diskussion („Unruhe“, wie Sie sagen), zum Beispiel wenn ich i Steinbach-Hallenberg oder Schmalkalden erscheine, auch wenn ich gar nichts sage.

Meine Beschäftigung mit den Unterlagen des Bundesbeauftragten entsprang zunächst einmal einem allgemeinen Interesse an geschichtlichen Vorgängen. Wo hat man sonst schon einmal Gelegenheit, Unterlagen einzusehen aus einer Zeit, die man selbst mitgemacht hat und die zudem noch höchst umstritten ist? Außerdem hoffte ich natürlich auch, Hintergründe meines eigenen Schicksals zu erfahren.

Ursprünglich sah ich darin nur ein übliches Problem, wie es eben zwischen Menschen ergibt. Erst mit der Zeit verdichteten sich immer mehr die Hinweise, daß da auch ein Stasi-Hinter­grund gegeben sein könnte. Allerdings konnte ich inzwischen feststellen, daß kein „operativer Vorgang“ der Stasi vorlag, daß die Vorgänge nicht direkt gesteuert waren. Aber ich mußte auch erkennen, daß das gar nicht nötig war, weil man sein Ziel auch auf andere Art und Weise erreichte.

Kurz gesagt ergibt sich für meinen Fall: Ich galt als einer der sieben schlimmsten Staatsfeinde im Bezirk auf kirchlichem Gebiet. Diese versuchte man auszuschalten, indem man sie durch die kirchlichen Vorgesetzten „disziplinieren“ ließ. Leider hat man auch im Dekanat Schmalkalden dafür Helfer gefunden. Diese hatte man dadurch in der Hand, weil sie um ihre dienstlichen Westreisen fürchteten.

Seit ich den Beschwerdebrief an den Kreisratsvorsitzenden geschrieben hatte, gab es für mich keine Chance mehr. Je mehr ich mich zurücknahm und einlenkte, desto schwerere Geschütze wurden aufgefahren. Der Stasi hätte es genügt, wenn sie mich zum Schweigen gebracht hätte. Die Kirche aber wollte sicher gehen, daß ich nicht mehr „das gute Verhältnis zwischen Staat und Kirche im Dekanat“ stören würde. Deshalb setzte man sich meine Zwangsversetzung zum Ziel, wollte also dem Staat gegenüber den Plan übererfüllen.

Ich hätte nur noch eine Chance gehabt - und das ist die einzige Verbitterung, die heute bei mir zurückgeblieben ist: Wenn ich im Januar 1989 zur Stasi gegangen wäre und dort meine Dienste angeboten hätte (laut Jahresarbeitsplan sollte ich 1989 für den Geheimdienst geworben werden!), wäre alles noch zurückgedreht worden. Die Stasi hätte sofort signalisiert, daß ich mich „gebessert“ hätte und keine Gefahr mehr für das gute Verhältnis (sprich: Westreisen)

darstelle. Dann wäre ich heute noch Pfarrer in Steinbach-Hallenberg.

Mein Ziel ist eine allgemeine Information über eine geschichtliche Epoche, eine Offenlegung des Verhaltens einiger kirchlicher „Saubermänner“ und die eigene Rehabilitierung. Schon Anfang der Neunziger Jahre habe ich der Kirchenleitung in Kassel gesagt, daß ich eine Rehabilitierung erwarte, entweder öffentlich oder durch eine erneute Anstellung. Falls man dazu nicht bereit sei, bliebe mir nur der Weg, selber an die Öffentlichkeit zu gehen. Dieser Zeitpunkt ist jetzt gekommen, wenn mein Manuskript abgeschlossen ist.

 

Der Forschungsauftrag beim Bundesbeauftragten ist ja mit der Auflage verbunden, die Ergebnisse auch zu veröffentlichen. Öffentlichkeit bedeutet nicht Computer, Archiv, Zweiergespräch, sondern Vortrag, Presse oder Buch. Allerdings habe ich noch keine rechte Vorstellung davon, wie das technisch zu machen ist. Ich bin mir auch noch nicht darüber im Klaren, ob ich Namen und/oder Ort nennen soll oder nur ganz allgemein von Vorgängen berichte. Auf alle Fälle will ich den betroffenen Personen den sie betreffenden Teil des Manuskripts in die Hand geben zur Korrektur und Gegendarstellung. Im Vordergrund sollen aber Zitate stehen, damit sich der Leser selber ein Bild machen kann.

Eine Verurteilung liegt mir fern. Ich glaube auch, daß die Gemeinde und die Öffentlichkeit gelassen reagieren wird. Es gibt keine „Enthüllungen“, keine Abrechnung. Auch zu meinem Fall sage ich: Es ist nun einmal so gelaufen, es kann nichts mehr daran geändert werden, es besteht kein Anlaß, nachtragend zu sein oder nach Bestrafung zu rufen. Aber man sollte ehrlich und offen darüber reden.

Was dabei herauskommen könnte, will ich noch einmal an einem anderen Beispiel deutlich machen: In Schmalkalden sagt man, die Kirche kann ja gar nicht öffentlich verkünden, daß sie das Verhalten von Pfarrer Naumann jetzt anders beurteilt, weil doch das Gemeindehaus nach ihm benannt ist! Ich bin schon der Meinung, der Name des Hauses sollte bleiben. Aber es würde nicht an einen Märtyrer erinnern, der sich für seine Gemeindeglieder aufgerieben hat, sondern an einen Menschen, der - obwohl Täter - auch in gewisser Weise Opfer jenes Systems wurde.

 

Vorschlag für eine Erklärung der Synode und der Pfarrkonferenz des Kirchenkreises Schmalkalden:  (wie man sich das wünschen würde)

Das eingehende Studium der Akten des Bundesbeauftragten für die Unterlagen der ehemaligen Staatssicherheit hat gezeigt, daß kirchliche Mitarbeiter doch mehr mit dem DDR-Staat zusammengearbeitet haben, als bisher bekannt war. Es gab auch Pfarrer, die für die Rechte der Gemeinde eintraten und dabei Nachteile in Kauf nahmen. Es gab Pfarrer, die sich zumindest neutral verhielten. Aber es gab auch Pfarrer und andere kirchliche Mitarbeiter, die zum Teil der irrigen Ansicht waren, etwas für die Kirche zu tun, die zum Teil aber auch ihren eigenen Vorteil im Blick hatten, die viel zu sehr zu Auskünften bereit waren und Handlanger des Staates bzw. der Stasi wurden.

Besonders in der letzten Zeit konnte die Stasi schon im Vorfeld alles erfahren, was die Kirche oder einzelne Gemeindeglieder planten. Über „kirchenleitende Personen“ erteilte sie Auflagen, die auch sorgfältig durchgesetzt wurden. Die zum Teil im Rhythmus von vierzehn Tagen stattfindenden Gespräche liefen zwar vorwiegend über den Referenten für Kirchenfragen beim Rat des Kreises, aber jeder wußte, daß er ein Stasi-Mann war. Überschrift zu all diesen Gesprächen war das „gute Verhältnis von Staat und Kirche im Dekanat“. Aber den Nutzen davon hatte nur die Staatssicherheit - und diejenigen Pfarrer, die damit ihre dienstlichen Reisen in den Westen absichern wollten.

Besonders zugänglich waren hier Dekan Schreiber und Pfarrer Naumann, der sogar von sich aus um Gespräche bat und unverlangt Informationen lieferte, zum großen Teil unter Einhaltung der Konspiration. Es wurden Urteile über andere Pfarrer abgegeben und Namen und Mitteilungen von Gemeindegliedern genannt, die unbedingt unter das Amtsgeheimnis, wenn nicht sogar unter das Beichtgeheimnis fielen.

Ganz beschwerlich ist die Behandlung der Antragsteller auf Ausreise. Von den Schmalkalder Pfarrern wurden sie sofort der Stasi gemeldet, auch wenn sie nur eine mögliche Antragstellung ankündigten. Andere Antragsteller wurden von der Stasi genannt und die Pfarrer wurden gebeten, auf sie einzuwirken, daß sie ihren Antrag zurückziehen.

In zwei Fällen fuhren die Pfarrer Naumann und Gerstenberger im Auftrag der Stasi in den Westen, um Ärzte zur Rückkehr zu bewegen, die von einer Westreisen nicht zurückgekehrt waren. Dabei wurde auch der jeweilige Ehepartner in der DDR ausgehorcht und das Ergebnis der Stasi mitgeteilt.

Die Pfarrer Rudolf Schulte und Reinhard Naumann erhielten staatliche Auszeichnungen. Dekan Schreiber nahm die „Verdienstmedaille der DDR“ noch im Oktober 1989 im Hinterzimmer einer Schmalkalder Gaststätte an, entgegen dem ausdrücklichen Rat des Kirchenkreisvorstandes.

Keiner der kirchlichen Mitarbeiter hat eine Verpflichtungserklärung unterschrieben oder Geld für seine Dienste erhalten. Aber in einer statistischen Übersicht für das Jahr 1988 wird für den Kreis Schmalkalden (nicht Kirchenkreis) ein kirchlicher Mitarbeiter und ein Kirchenvorsteher als inoffizieller Mitarbeiter angegeben. Bei dem Kirchenvorsteher handelt es sich um Herbert Johannes, Mitglied des Dekanatssynodalvorstandes, der von der Stasiunterlagenbehörde als inoffizieller Mitarbeiter eingestuft wurde, auch wenn er dem Dekan seine speziellen Kontakte offenbarte.

Aus den bisher vorliegenden Unterlagen geht nichts hervor über die konspirative Wohnung, die nach Angaben der „tageszeitung“ im Gemeindehaus in Steinbach-Hallenberg war, auch nichts über die plötzlich gehäuften Westreisen zweier Kirchenältester bzw. ihrer Angehörigen, die daraufhin die schärfsten Kritiker Pfarrer Heckerts wurden. Dieser war zwar nicht das Ziel eines operativen Vorganges der Staatssicherheit. Aber aus den Unterlagen geht ganz eindeutig hervor, daß Pfarrer Heckert zu den sieben am schlimmsten „feindlich-negativ“ eingestellten Pfarrern im Bezirk gehörte und das „gute Verhältnis“ störte, und daß man seine Entfernung von Seiten des Staates wollte und begrüßte.

Pfarrer Heckert hat sich dienstlich nichts zuschulden kommen lassen und hätte jederzeit in der Ev.-Luth. Kirche in Thüringen wieder eine Anstellung finden können. Er hat es nur nicht verstanden, Schwierigkeiten mit kirchlichen Mitarbeitern diplomatisch auszuräumen. In der Sache gab man ihm recht, aber man ging nach dem Zerrüttungsprinzip und sah eine Umsetzung als die einfachste Lösung an.

Das Verhalten des Ehepaars Emmermacher aus Schmalkalden wird heute anders beurteilt. Herr Emmermacher hat pflichtgemäß gehandelt, als er dem zuständigen Ausschuß der Stadtverordnetenversammlung die Aussage eines Stasimitarbeiters über Pfarrer Naumann mitteilte. In die Öffentlichkeit gebracht wurde die Aussage aber nicht von ihm, sondern von einer Pfarrfrau, die Mitglied des Ausschusses war. Frau Emmermacher hatte mit diesen Vorgängen nichts zu tun; es war falsch, sie wegen des (korrekten) Handelns ihres Mannes aus der Synode entfernen zu wollen.

 

 

Gespräch mit Dekan Gebauer am 8. Juli 2013

Bei einem Pfarrkonvent beim Kirchenkreis Henneberger Land hatte Dekan Gebauer aus Schmalkalden unseren Sohn Markus angesprochen und dabei die Meinung geäußert, die IM „Gabriele“ sei noch die „Leiche im Keller“ der kurhesssischen Landeskirche. Ich rief ihn deshalb an und ergänzte:

IM „Gabriele“ war nicht ein Spitzel im Landeskirchenamt, sondern die damalige Jugendmit­arbeiterin und spätere Pfarrerin Christa Jähn. Die wollte sich auf eineen Stelleel beim Staat bewerben und dachte, es mache sich gut, wenn sie über gewisse Erfahrungen mit dem Bildungswesen der DDR verfügen würde. Sie wandte sich deshalb an den Rat des Bezirks, und zwei Männer führten ihr dann in Schulen dieses Bildungswesen vor. Sie meinte, es seieenn Lehrer, aber es waren Stasileute. Diese haben auch versucht, sie anzuwerben. Bei den ersten kleinen Aufträgen ging es um Ausspähung verschiedener Einrichtungen in Kassel. Frau Jähn ist dem zunächst auch nachgekommen; aber dann wurde es ihr wohl doch zu viel und sie stellte das ein.

Die „Leiche im Keller“ ist aber Herr Naumann. Herr Bunge hatte das anders dargestellt: Er habe alles hin und her g ewendet, aber da sei nichts! Dabei wurden ihm die gleichen Akten vorgelegt wie mir. Da sieht man einmal, wie zwei Theologen nicht nur die Bibel unterschiedlich auswerten, sondern auch die Stasiakten.

Da sieht man wieder einmal, wie zwei Theologen aus den gleichen Quellen ganz Unterschiedliches herauslesen.

Herr Naumann hatte ein enges persönliches Verhältnis zum Beauftragten für Kirchenfragen Horst Möschter, der bekanntlich ein hauptamtlicher Stasimann war (in der Pfarrkonferenz so besprochen). Man besuchte sich gegenseitig in den Privatwohnungen und tauschte Geschenke aus (wie andere PfarerPfarrer übrigens auch). Dabei erzählte Herr Naumann alles, was in der Kirche von Belang war. Wenn um 13 Uhr die Pfarrkonferenz zu Ende war, dann war Herr Naumann um 13.10 Uhr bei Herrn Möschter und berichtete alles haarklein, die Stasi brauchte nicht abzuhören.

Ganz bezeichnend ist die gespenstische Szene, wo die beiden im Keller des Pfarrhauses stehen. Jeder hat ein Dokument dabei, mit dem er den anderen in der Hand hat. Und dann werfen beide die Papiere in den Heizungsofen. Wenn das mal keine Konspiration ist! Auch der Spaziergang im Wald bei Struth-Helmershof ist natürlich konspirativ. Der Beweggrund für Herrn Naumann war, daß er ein gutes Verhältnis zwischen Staat und Kirche herstellen wollte. Er verstand sich als der große Vermittler, der mit Ehrgeiz das schaffen wollte, was angeblich andere nicht schaffen konnten.

Herr Naumann ließ sich dann von der Stasi in den Westen schicken, um Dr. Holland-Ciunz auszuhorchen, der von einer Reise nicht zurückgekehrt war. Das Gleiche geschah bei der Reise zu Doktor Gans. Dabei hat er das Vertrauen mißbraucht, das man auch danmals eiknenm Pfarrer entgegenbrachte. Aber immerhin hnat Herr Naumann wahrheitsgemäß berichtet, daß Herr Dr. Gans an der Ehe festhält, und Frau und Tochter durften dann auch ausreisen. Insofern hat Herr Naumann der Familie nicht geschadet, aber das ändert nichts an der Tatsache, daß er sich von der Stasi schicken ließ und Vertrauen mißbrauchte.

Natürlich ist auch Herr Naumann ein Opfer des damaligen Systems, aber in anderer Weise, wie er es nachher darstellte.  Die „dunklen Mächte“, von denen er sprach, waren die Stasi­leute, von denen er fürchtete, sie könnte seine Verstrickung öffentlich machen. So hatte es ja Herr Rämisch zu Herrn Emmermamcher gesagt: „Der Pfarrer war auch dabei!“ Er war nicht „dabei“ im Sinne von Verpflichtungserklärung und Geldzuweisungen, aber er hat gehandelt wie ein inoffizieller Mitarbeiter. Daher ist es nicht verwunddnerlich, daß die Stasi ihn zu Hilfe rief, als man die Dienststelle stürmen wollte. Aber deshalb ist es unverständlich, daß er nachher sich so in der Lokalpolitik engagierte. Das Gleiche gilt für Herbert Johannes, der von der Stasiunterlagenbehörde als IMm eiongestuft wurde, obwohl er sich geweigert hatteet, eine Ver­pflichtungserklärung zu unterschreiben.

Dem Ehepaar Emmermacher hat man schweres Unrecht getan.  Herr Emmermacher hat nur seine Pflicht getan, indem er in dem dafür zuständigen Gremium mitteilte, was der Stasimann ihm über Herrn Naumann gesagt hatte. Hinausgetragen hat es Frau von Frommannnshausen, und zwar aus parteipolitischen Gründen, weil sie in der CDU war und Emmermachers in der DSU (Schwesterpartei der bayerischen CSU). Aber Frau Emmermacher wurde als Vorsitzende der Synode hinausgemobbt und die Familie wurde in der Kirchengemeinde und in der Stadt geächtet.

 

Ebnenso Auch ließ sich Herr Gerstenbergergrer ließ sich schicken, nachdem eine Ärztin aus Brotterode drüben geblieben war. Er wollte soagarsogar noch Westgeld von der Stasi haben, aber daraus wurde nichts.

Offiziell war er (wie Herr Naumann) bei der Partnergemeinde. Dort war er auch tatsächlich und ließ sich noch Geld geben, damit er zu seinem eigentlichen Ziel fahren konnte. In d er Pfarrkonferenz wurde darüber aber nicht berichtet; allein das zeigt, daß man kein gutes Gewissen dabei hatte, denn sonst wurde dort alles verhandelt, was nur irgendwie mit dem Staat zu tun hatte.

Herr Frommannshausen hat ein Gemeindeglied an die Stasi verraten, das sich nur mit dem Gedankewn trug, einen Ausreiseantrag zu stellen und dazu Beratung vom Pfarre r haben wollte. Der aber hat sich gleich ans Telefon gehängt und gesagt: „Der hat da ein Problem. Kümmert euch einmal darum, daß es gelöst wird, daminot er keinen Antrag stellt!“

Der Dekan schließlich hat genauso mit der Stasi gekungelt, nicht nur mit gegenseitigen Geschenken, sondern auch mit Informationen. Anstatt sich vor seine Pfarrer zu stellen, sagte er zu Herrn Möschter: „Der Hülsemann ist von selber gegangen, den Heckert haben wir hinausgeworfen. Jetzt fehlt nur noch der Krahmer!“ (Dieser hatte die Umweltgruppe disziplinieren sollen, hatte sich dann aber mit ihr solidarisiert). Auch bei Dekan Schreiber ging es angeblich nur um das „gute Verhältnis von Staat und Kirche im Dekanat“. Aber in Wirklichkeit ging es nur um die „dienstlichen“ Westreisen. Damit haben sie wie überall in der DDR die Pfarrer gekriegt, da sind sie reihenweise umgefallen, auch diejenigen, die an sich zu „dringenden Familienangelegenheiten“ schon in den Westen gefahren waren. Herr Schreiber war sogar drei Wochen als Kurprediger in Villach in Kärnten und hat sich hinterher kaum wieder in die Verhältnisse in der DDR zurückgefunden.

Bei den Vorgängen in Steinbach-Hallenberg ging es nicht um übliche mensch­liche Schwierigkeiten, sondern um Gefälligkeiten an den Staat. Dabei hat dieser nichts aus­drücklich gefordert, sondern die Kirchenleute hatten nur das Gefühl, sie müßten dem Staat entgegenkommen, indem sie einen für den Staat unliebsamen Pfarrer vertrieben: Sie machten die Drecksarbeit, zu der sich der Staat nicht traute.

Herr Erich Nothnagel sollte jedenfalls für die Stasi geworben werden. Aber das hat er abgelehnt und auch öffentlich gesagt. Anders war es aber, als auch er in den Westen wollte. Da wandte er sich an den örtlichen Vorsitzenden seiner Partei NDPD, Alfred Zimmermann, ein bekannter Stasimann. Er hat zwar seiner Schwester gegenüber gesagt, Herr Nothnagel sei nicht bei der Stasi gewesen. Aber diese Aussage ist nicht verwunderlich, wenn er ihn selber geworben hat im Zusammenhang mit seinem Antrag auf eine Westreise. Innerhalb von zwei Monaten war er dreimal im Westen. Die Leute erzählten, er habe seinen Bruder für die Stasi werben sollen, der aber habe ihn hochkant hinausgeworfen.

Aber damit war er der Stasi verpflichtet. So hat er auch der Tochter (!) eines Kirchenvorstehers eine Westreise verschafft, der dann im Kirchenvorstand mit ihm ins gleiche Horn blies und auch vor Beleidigungen nicht zurückschreckte. Zu unserem Sohn hatte der Dekan noch gesagt, man habe Herrn Nothnagel aus dem Kirchenvorstand „entfernt“.

Es wurde dann ein Vorgang herausgeholt, der seit einem halben Jahr geklärt war: Der Kirchenvorstand hatte beschlossen, daß die Angestellten nicht an Weihnachten eine Zusatzvergütung erhalten sollten, sondern erst nach Rechnungslegung, wenn dann noch Geld da wäre. Herr Nothnagel aber wandte sich an den Dekan, der dann auch 11.00 Mark überwies als „Baubeihilfe“, die aber Herr Nothnagel nach Gutdünken an die Angestellten verteilte. Ich erfuhr davon erst, als auch meine Frau etwas erhalten sollte. Weil ich Herrn Nothnagel dafür im Kirchenvorstand rügte, hatte ich nach Ansicht des Dekans eine schwere Verfehlung begangen.

Der Dekan hat ja nicht die Wogen geglättet, sondern immer wieder Öl ins Feuer geschüttet. Es wäre ein Leichtes gewesen, auf die Einhaltung der kirchlichen und staatlichen Gesetze zu dringen, dann hätte es Ruhe gegeben. Aber das war ja nicht die Absicht.

Das Gleiche gilt auch für den Landeskirchenrat, der sich nicht in die Sachfragen hängen wollte, sondern nur nach dem „Zerrüttungsprinzip“ ging und mich nicht einmal anhörte, wie das im Kirchengesetz vorgeschrieben ist. Aus Enttäuschung über den Landeskirchenrat und weil man mir dort gedroht hatte, wenn ich auch anderswo nicht mit dem Staat zurechtkäme, würde man mich rauschmeißen, habe ich gekündigt (aber auch, weil ich die Mehrheit des Kirchenvorstandes nicht mehr hinter mir hatte).

Ich versuchte, alles möglichst emotionslos zu sehen: So ist es nun einmal gelaufen, man muß damit zurechtkommen. Nur eins läßt so ein wenig Bitterkeit zurück: Wäre ich im Januar 1989 zur Stasi gegangen und hätte meine Dienste angeboten, die Kirche hätte alle „Maßnahmen“ zurückgedreht, zumal die Stasi mich sowieso im Jahr 1989 anwerben wollte (!), wie es in ihrem Jahresplan steht. So aber bleiben die Verräter im Amt und wurden sogar posthum Ehrenbürger und Namensgeber für das kirchliche Gemeindehaus.

Als ich den Dekan sagte, heute interessiere man sich wohl nicht mehr so sehr dafür, entgegnete er aber: „Es wird jetzt nach fast einer Generation immer mehr danach gefragt, welche Haltung denn die Leute zur Zeit der DDR einnahmen, die nach der Wende öffentliche Posten hatten!“ Dazu hat er Einiges von mir erfahren.

 

 

Brief an Dekan Gebauer vom …..

Lieber Herr Gebauer, erst jetzt bin ich dazugekommen, die Kopien zu digitalisieren, die mir die Stasiunterlagenbehörde in Suhl in den neunziger Jahren übersandt hat. Die Ausdrucke in Papier möchte ich Ihnen gern für das Dekanatsarchiv zuschicken. Dadurch hätten Sie auch die Möglichkeit, sich selber zu informieren, denn bisher sind Sie ja aufs Hörensagen angewiesen.

Der Wahrheitsgehalt der Stasiakten wird allerdings von manchen Seiten angezweifelt. Sie enthalten in der Tat auch Mißverständnisse und vor allem sind sie von der Tendenz geprägt, Vorgänge als „feindlich-negativ“ anzusehen, obwohl sie ganz normal sind. Dennoch sind die Aufzeichnungen zuverlässig. Meine ganzen Beschwerden über den Druck auf die Christenlehrekinder - die im Pfarrarchiv Steinbach-Hallenberg verschwunden sind – habe ich dort wiedergefunden. Manches kann man auch gar nicht mehr klären. Aber trotz allen Vorbehalten gegenüber den Aufzeichnungen der Stasi sind sie nicht aus der Luft gegriffen: Daß Herr Gerstenberger sogar Westgeld von der Stasi haben wollte, als er in ihrem Auftrag in den Westen fuhr, um einen „Republikflüchtigen“ auszuhorchen, so etwas kann selbst die Stasi nicht erfunden haben.

Die Kopien sind allerdings nicht alles, was ich für den Forschungsauftrag des Stasibeauftragten ausgewertet habe. Ich habe damals mehrfach tagelang dort gesessen und mir Dinge herausgeschrieben. Nur die umfangreicheren Seiten habe ich mir kopieren lassen, um sie zuhause in Ruhe auszuwerten. Die Leitzordner enthalten also nicht alles zum Thema.

 

Es wird immer wieder gesagt, die Rolle der Kirche im Kirchenkreis Schmalkalden zur Zeit der DDR sei noch nicht aufgearbeitet. Dabei hat man doch Mitte der neunziger Jahre gewußt, daß ich an dem Thema arbeite. Deshalb hat man doch extra Herrn Pfarrer Bunge darauf angesetzt an der gleichen Sache zu arbeiten, um ein Gegengewicht zu mir zu schaffen. Herrn Bunge wurden die gleichen Unterlagen wie mir vorgelegt. Aber in der Pfarrkonferenz hat er nur berichtet, es sei alles in Ordnung, es sei niemand belastet. Laut Steffen Naumann hat er

„alles Negative und Erlogene der Akten unreflektiert in ein Extrakt presste und dies mit offensichtlichem Vergnügen dem damaligen Thüringer Landesbischof Hoffmann, meiner Mutter und mir präsentierte. Entwürdigend. Dazu könnte ich noch einen ganzen Aufsatz schreiben, besser nicht!“ Er hat Frau Naumann im spöttischen Ton berichtet, ihr Mann sei nach einer Feier mit der Stasi im Gasthaus Ehrental mit einem Schubkarren nach Hause gefahren worden. Ich kann mich nicht erinnern, den Vorgang gelesen zu haben (die Feier schon). Das ist so eine Wandererzählung, die auch anderen Pfarrern unterstellt wird (zum Beispiel dem Pfarrer Detzner in Oberschönau). Und selbst wenn es so gewesen wäre, erzählt man nicht ausgerechnet so etwas der Witwe.

Im Jahre 2001 sagte Herr Oberkirchenrat Weißpfennig in Kassel, man wolle jetzt endlich an die Aufarbeitung durch einen Historiker gehen. Aber nichts ist geschehen. Nach meinem Manuskript hat man nicht gefragt, sondern mir mit einem Prozeß gedroht. Ich wüßte allerdings nicht, was der Anklagepunkt sein sollte. Etwa Verleumdung? Ich habe niemand verleumdet, sondern nur die Stasiakten referiert. Meine eigenen Ergänzungen und Einschätzungen habe ich in Kursivschrift davon abgesetzt – das ist durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt. Beleidigungen sind nicht dabei. Und gegen eine Veröffentlichung kann man nicht klagen, das haben viele andre auch getan. Ich hätte vor Gericht Recht erhalten bzw. die Klage wäre gar nicht erst angenommen worden.

Aber sollte ich mich vor Gericht zerren lassen, wo die Wahrheit sowieso herauskommen wird? Vor allem meine Frau hätte das nicht ertragen nach allem, was wir durchgemacht haben. Nach der Naziherrschaft hat es auch 30 Jahre gedauert, bis man in der Kirche – aber immer noch hinter verhohlener Hand – über Verstrickungen des Thüringer Oberkirchenrats Herden in das Nazisystem gesprochen hat. Jetzt sind wieder über 30 Jahre seit der SED-Herrschaft vergangen. Da sollte man sich überlegen, ob es nicht an der Zeit ist, reinen Tisch zu machen.

Mit Interesse habe ich gelesen, daß das Gebäude Kirchhof 3 zum Gemeindehaus ausgebaut wurde. Das ist sehr sinnvoll, denn aus Denkmalschutzgründen muß es sowieso erhalten werden. Ein Gemeindesaal im Pfarrgarten ist auch sehr wertvoll. Warum ist man nicht vor 40 Jahren darauf gekommen? Es lag wohl an den beiden Pfarrwohnungen, für die man keinen Ersatz hatte: Aber das bedeutet nun auch, daß das Reinhard-Naumann-Haus jetzt leer steht. Es wird wohl verkauft werden. Und damit geht auch dieser Name unter, von dem ich schon vor 30 Jahren gesagt habe, er wird einmal verschwinden. Aber besser wäre gewesen, die Gemeinde hätte von sich aus drauf verzichtet.

 

Herrn Naumanns Einstellung sieht man besonders an folgenden Stellen:

 

1.) Am 9. September 1986 zu Herrn Möschter: „Sie kennen mich doch auch schon seit längerer Zeit und wissen, dass ich Ihnen vertraue. Wenn es Probleme gibt, dann melde ich mich und wir gehen das gemeinsam an… Auf jeden Fall müssen Sie mich wieder mal zu Hause besuchen. Man ist in unseren Kreisen schon der Ansicht, dass es zwischen uns Probleme gibt. Früher hatten Sie mich doch öfters besucht!“ (Möschter I, Band 13, Seite 260).

2.) Am 12. Mai 1888 führte Herr Möschter eine Aussprache mit Pfarrer Naumann (Tonbandabschrift): „Durch mich wurde am 12. 5. 1988 ein Gespräch mit dem Pfarrer Naumann auf vertraulicher Basis geführt. Dazu ist einzuschätzen daß N. diese Gespräche mir gegenüber damit begründet, bestehend: Probleme rechtzeitig anzusprechen, um das gute Verhältnis von Staat und Kirche im Dekanat Schmalkalden nicht zu stören, gleichzeitig aber die Absicht verfolge, durch seine gezeigte Kooperationsbereitschaft persönliche Ziele (Erlangung von Reisegenehmigungen zum Bruder, persönliche Entwicklung als Pfarrer im Dekanat Schmalkalden) durchzusetzen. Die bisher übergebenen Informationen erwiesen sich nach durchgeführten Überprüfungen als real. Durch N. wurde dabei bereits zurückliegend mehrfach geäußert, solche Gespräche während eines Waldspazierganges anzusprechen. Das Gespräch dauerte ca. 2 Stunden und fand im Waldgebiet Struth-Helmershof statt. Zu Beginn des Gesprächs sprach N. selbständig Probleme an: Besuch des BRD-Fernsehredakteurs Lindner bei Pfarrer N…!“

(Möschter II, Band 18, Seite 183).

3.) Abschnitt „Janett“ im Ordner „Spitzel“: Hier wird ein Schriftstück erwähnt, das versiegelt beim Landeskirchenrat hinterlegt wurde. Um ein ähnliches Schriftstück könnte es sich gehandelt haben, das noch nicht abgeschickt war und das Naumann und Möschter im Heizungsofen des Pfarrhauses verbrannt haben.

 

Ein offener Umgang mit den Stasi-Akten könnte auch helfen, Gerüchten entgegenzutreten. In Schmalkalden wurde behauptet, hinter IM „Gabriele“ stehe ein Oberkirchenrat aus Kassel, weil dieser sehr genaue Kenntnisse über den Anschlußvertrag mit Thüringen hatte, diese könnten an sich nur aus dem Landeskirchenamt Kassel stammen. Aber aufgeschrieben und der Stasi mitgeteilt hat sie eine Jugendmitarbeiterin, die mehrfach zu Treffen mit den Katechetinnen des Kirchenkreises in Schmalkalden war. Ich habe das auch schon einmal Herrn Nordmeyer geschrieben. - Ich weiß auch, daß man kirchlichen Mitarbeitern in Schmalkalden mit „Enthüllungen“ gedroht hat. Diesen Dingen kann man entgegentreten, wenn man die tatsächlichen Unterlagen hat.

 

Horst Möschter alias „Paul König“

Der Inhaber eines Detektivbüros in Meiningen hatte Kontakt mit Horst Möschter, weil der sich bei ihm beworben hatte. Er hat ihn aber nicht genommen, weil er zu sehr auf seine Fähigkeiten aus der Stasizeit pochte. Daraufhin ging er zur Konkurrenz. Aber die Personalunterlagen sind natürlich vorhanden („Ich kann dir fast alles, was dich zu Horst Möschter interessiert erzählen. Hauptsächlich die Jahre 2000 bis 2006 detailliert. Die Jahre 1980 bis 1986 kann ich aus erster Hand berichten. Die Jahre 1952 bis 2000 kann ich auch aus erster Hand und mit Dokumenten belegen.
 

Tabellarischer Lebenslauf bis 2006 (Originale vorhanden):
17.06.1952     geboren in Schmalkalden
1959-69          POS Siechenrasen Schmalkalden

1969-71          Berufsausbildung als Kachelofenbauer
1971-73          Wehrdienst
1973-77          Arbeit als Kachelofenbauer und Meisterlehrgang (nicht abgeschlossen)
1977-80          MA Sekretär der FDJ-Kreisleitung Schmalkalden

1980-88          MA Rat des Kreises, Amt für Arbeit, Innere Angelegenheiten
1988-90          Leiter der Abteilung Innere Angelegenheiten
1987-91          Studium der Rechtswissenschaften in Weimar
1991-96          selbstständig mit Ofen-  und Kaminbau (Pleite)
1996-99          Aushilfstätigkeiten (Versicherung, Sicherheitsgewerbe)
1999-2006      Leiter der Ermittlergruppe Detektei Baumbach (zwei Detektive)
2006                arbeitslos

Nach drei gescheiterten Ehen und fünf Kindern lebte Möschter bis 2004 bei seiner Mutter in Schmalkalden. Danach zog er mit seiner dritten Frau (eine Vietnamesin) bis 2006 nach Meiningen. Als die Ehe ebenfalls in die Brüche ging, zog er nach einer viermonatigen Pause in Erfurt wieder zu seiner Mutter nach Schmalkalden. Dort lebt er immer noch.

Nachdem Möschter den Kachelofenbau seines Vaters durch verschwenderische Lebensweise 1999 in den Ruin trieb und ihn die Detektei Baumbach (der Inhaber ist ebenfalls ein Stasioffizier) einstellte, entdeckte Möschter die Möglichkeit, alte Rituale neu aufleben zu lassen. Dem Inhaber der Detektei machte er glauben, er arbeite als verdeckter Ermittler des Landeskriminalamtes. So erschlich er sich dessen Vertrauen und belegte diesen mit fingierten Zahlungen und Vergünstigungen durch das LKA.

Diese Zahlungen kamen selbstverständlich nicht von diesen Behörden. Dieses Geld erschlich er sich von Kunden der Detektei, indem er diesen die unmöglichsten Szenarien darstellte und Geschichten erfand. Im Jahre 2006 flog diese Vorgehensweise auf und er wurde fristlos entlassen und Anzeige erstattet. Diese läuft bis heute noch.
Wie auch zu erkennen ist, ist Möschter kein Mensch für Bindungen. Zwei seiner Frauen verließen ihn, weil sie sich nicht in eine Organisation wie die Stasi drängen lassen wollten oder auch, weil sie seinen Lebensstil nicht tolerierten. Die dritte Frau verließ ihn, weil er sie mit Schlägen, Beleidigungen und falschen Tatsachen unter Druck setzte.

 

Ich hatte einmal einen Briefwechsel zwischen ihm und einem Schmalkalder Pfarrer lesen können. In diesem Briefwechsel ging es darum, dass sich eine IM dem Pfarrer anvertraute und ihm sagte, daß sie für die Stasi tätig sei und da nicht mehr mitmachen wolle. Dieser Pfarrer - im guten Glauben das Richtige zu tun und nicht wissend von Möschters Tätigkeit - wandte sich vertrauensvoll an Möschter und erzählte ihm - um Hilfe bittend - von dieser Frau. Kurze Zeit später erhängte sich der besagte Pfarrer. Da kann man sich vorstellen, wie weit die Menschen getrieben wurden

[Anmerkung: Pfarrer Naumann wußte natürlich, mit wem er es zu tun hatte. Aber dieser Schriftverkehr ist vielleicht der Schlüssel für den Tod Naumanns. Möschter hatte offenbar etwas in der Hand, mit dem er ihn erpressen konnte. Es wird zwar beschrieben, daß sie wechselseitig belastende Dokumente gemeinsam in der Heizung im Dekanat verbrannten. Aber offenbar ist das im Falle Möschter doch nicht oder nicht vollständig geschehen. Der Fall der Frau Eberlein, die sich von der Stasi lösen wollte, ist auch in den Stasi-Unterlagen dokumentiert. Hier hat sich Naumann wirklich einmal ohne Rücksicht auf eigene mögliche Nachteile für jemanden eingesetzt].

 

Auf einem Foto bezeichnet sich Möschter mit Pistole in der Hand und mit Dienstmütze aus vergangenen Zeiten - als Ex- KGB-Offizier Alexander Gorki, Bereich Terrorismus Saudi Arabien, ehemaliger Führungsoffizier, Osama bin Laden.

Horst Möschter ist infolge seines Alkoholmißtrauchs gestorben.

 

 

 

 

 

Steinbach-Hallenberg

 

Gespräch mit Pfarrer Scholz, Steinbach-Hallenberg im Jahre 1994

Zuerst wollte ich von Herrn Scholz wissen, ob der Wunsch zu einem Gespräch mit ihm von Herrn Nothnagel ausgegangen sei. Er mußte das verneinen, der Prälat habe ihn darum gebeten, in dieser Sache zu vermitteln. Das war für mich aus den Worten des Prälaten nicht hervorgegangen, ich war der Meinung, hier seien schon Signale einer Meinungsänderung von Herrn Nothnagel vorausgegangen. Aber offenbar sollte Herr Scholz erst nach dem Gespräch mit mir mit Herrn Nothnagel Kontakt aufnehmen.

Ich fragte ihn, ob Herr Nothnagel sich jetzt anders im Kirchenvorstand verhalte. Herr Scholz sagte, die Termine und Inhalte würden abgesprochen, es gäbe kein Einmischen mehr in Pfarrramtsangelegenheiten, das Protokollbuch sei nicht mehr bei Herrn Nothnagel. Daraus kann ich also entnehmen, daß es damals nur gegen mich persönlich gegangen ist, daß Herr Nothnagel nicht der Meinung ist, es müsse immer so verfahren werden, wie von ihm verfahren wurde. Aber Herr Scholz sagte klipp und klar: Es ist nicht zu erwarten, daß Herr Nothnagel oder auch der Kirchenvorstand ein Wort des Bedauerns finden für das, was damals geschehen ist! Damit ist natürlich jedes Gespräch sinnlos.

Sehr schnell wurde deutlich, was der eigentliche Grund für den Versuch des Prälats ist, die Sache mit Steinbach-Hallenberg aus der Welt zu schaffen: Die Gemeindeglieder fragen immer wieder nach Pfarrer Heckert. „Es vergeht kaum eine Woche, wo ich nicht auf dieses Thema angesprochen werde. Ich kann den Namen Heckert schon nicht mehr hören!“ Das ist es also: Sie wollen Ruhe haben, und ich soll die Hand dazu reichen, ohne daß etwas geklärt ist. Genauer noch: Ich soll mich schuldig bekennen und die Gemeinde dazu auffordern, Gras über die Sache wachsen zu lassen.

Herr Scholz hat auch in der Pfarrkonferenz nach mir gefragt. Man hat nicht verstanden, weshalb ich in Thüringen keine Pfarrstelle angenommen habe. Daß ich alles hinschmeißen würde, hat man nicht erwartet. Mit anderen Worten: Wer nicht in Thüringen Pfarrer sein will, der soll es auch nicht in Hessen sein. Das hat er nicht so deutlich gesagt, aber so muß man seine Ausführungen wohl doch verstehen. Nachdem man mir zuerst nicht sagen wollte, weshalb ich nicht angestellt werde, haben wir hier schon die dritte Version:

Erst hieß es, ich mische mich in unzulässiger Weise weiter in Steinbach-Hallenberg ein, dann waren es meine angeblichen Stasivorwürfe gegen den Landessynodalen Nothnagel und nun kommt der eigentliche Grund heraus: die Pfarrkonferenz in Schmalkalden will nicht, daß ich ein Vorrecht habe. Sie durften sich bisher nämlich auch nicht in Hessen bewerben (inzwischen ist aber der erste Fall da, wo es wohl zu einem Wechsel kommen wird).

Man übersieht dabei auch, daß es bei mir ja etwas anderes ist, weil ich ja direkt aus Hessen stamme. Mit Thüringen verbindet mich nichts, zumal mich der Landeskirchenrat so ungesetzlich behandelt hat. Die Schmalkalder können gut einem anderen raten, nach Thüringen zu gehen. Aber von ihnen ist ja auch keiner hingegangen. Aber wenn ich dorthin gegangen wäre, dann wäre die Sache aus der Welt gewesen, dann hätte es so ausgesehen wie ein normaler Wechsel. Dieser dritte Grund ist sicher der entscheidende, auch wenn man es nicht wahrhaben will.

Ich mußte Herrn Scholz erst klarmachen, daß ich die Beurlaubung einfach im Briefkasten fand und erst drei Wochen später ein Gespräch mit mir angesetzt war. Warum werden solche Tatsachen nicht klipp und klar mitgeteilt ? Falsch ist auch die Behauptung, ich hätte gesagt, eindeutige Beweise gegen Herrn Nothnagel zu haben. Ich habe gesagt, daß ich mehr als nur Hinweise auf einen Stasihintergrund habe, nämlich aus den Akten und aus mündlichen Aussagen. Aus diesen Mosaiksteinen ergibt sich für mich ein Gesamtbild, in das nach meiner Meinung auch Herr Nothnagel hineingehört. Das ist aber etwas ganz anderes, als es Herr Bielitz wiedergegeben hat.

Wie andere Beispiele auch aus jüngster Zeit zeigen, wird immer allein der Pfarrer versetzt, wenn es „Knatsch“ in der Gemeinde gibt. Man spricht dann vom Zerrüttungsprinzip, will aber keiner Seite Schuld geben. Anstatt die Sache juristisch einwandfrei zu klären (wie man dann danach handelt, ist eine andere Frage), will man es „brüderlich“ machen, ohne daß angeblich eine Seite den Kürzeren ziehen muß. Aber in Wirklichkeit straft man allein den hauptamtlich angestellten Pfarrer.

Besonders durchtrieben finde ich dabei, daß der Pfarrer dann noch einsehen soll, daß alles nur zu seinem Wohl und zu dem der Gemeinde geschieht. Aber in Wirklichkeit will man sich nur um eine klare Entscheidung drücken. Man sollte das jedem Pfarrer vorher sagen, was ihn eventuell erwartet, ehe er sich anstellen läßt: Wenn es darauf ankommt, erhält er von der Kirche keinen Schutz!

Der Sinn der ganzen Veranstaltung war offenbar, daß ich öffentlich zugeben soll, daß ich an der ganzen Misere schuld bin, damit das Gerede in der Gemeinde aufhört. Ich würde ja noch zugeben, daß ich zu vertrauensselig war und mich zu sehr darauf verlassen habe, daß die kirchlichen Vorschriften auch wirklich gelten. Ich hätte besser alles laufen lassen sollen oder die Verantwortung nach oben abschieben sollen.

Aber den Einbruch in der Gemeindearbeit kann man mir nicht zuschieben. In der Gemeinde war alles in Ordnung, sie war rundum wohlversorgt und hat sich an den Querelen nicht gestört (Zitat: „Es kommt überall etwas vor").

Herr Scholz bestätigte meine Vermutung, daß man schon einen Ersatz für mich zu haben meinte. Nur deshalb kam das Abstimmungsergebnis im Kirchenvorstand zustande (und natürlich durch die Manipulation des Dekans). Da es sich mit dem Weggang von Herrn Peters verzögerte, versuchte man es mit der Unterstädter Pfarrstelle. Der Kandidat hat dann abgesagt. weil seine Frau schon damals in der Ost-CDU schon zu Höherem ausersehen war (und nachher sogar Ministerpräsidentin wurde). Bis nachts ums 1 Uhr haben sie bei Martin Lieberknecht gesessen - ohne Erfolg. Nun stand der ,,Retter“ Nothnagel im Regen. Er allein ist auch dafür verantwortlich, daß nach einem Vierteljahr die Gemeinde ohne alle wichtigen hauptamtlichen Mitarbeiter dastand.

Deshalb spreche ich Herrn Nothnagel das Recht ab, die Gemeinde in der Synode zu vertreten, weil er der Gemeinde, der Kirche und unsrer Familie so geschadet hat. Wenn schon das Zerrüttungsprinzip gelten soll, dann muß man beide Seiten zurückziehen. Es stimmt einfach nicht, daß man nur den Pfarrer versetzen kann, im Kirchenvorstand aber alles beläßt. Das ist klar und eindeutig doch eine Schuldzuweisung.

Wenn Herr Nothnagel immer noch nicht einsieht, daß er der Gemeinde geschadet hat, wird er mit meinem Einspruch vor der nächsten Kirchenvorstandswahl rechnen müssen (auch wenn der Einspruch sicher vom Kirchenkreisvorstand abgeschmettert wird). Aber ohne einen Rücktritt von allen seinen kirchlichen Funktionen ist ein Gespräch mit ihm sinnlos.

Ich kann heute dem Kirchenvorstand und der Pfarrkonferenz kein gutes Gewissen geben. Man hat sich ja längst entschieden und will nie wieder davon abgehen. Ich soll jetzt nur noch klein beigeben und dazu helfen, daß die Gemeinde ruhig ist und das Gerede aufhört. Ich soll meine Opferrolle annehmen und auf alle Fälle auch weiter Opfer bleiben.

Herr Scholz äußerte, daß im Kirchenvorstand auch weiterhin noch „dicke Brocken“ sind. Seine Frau wurde noch deutlicher und sagte: „Es ist immer noch dasselbe!“ Nur müssen sie halt stillhalten, weil sie ja wissen, was sonst passiert. Deshalb hatte ich ja alle Unterlagen zu meinem Fall hinterlassen, damit ein möglicher Nachfolger gewarnt war,

Daß sich nichts geändert hat und Herr Nothnagel weiterhin das Sagen hat, zeigt ein aktuelles Beispiel, das Herr Scholz erzählte: Bei der Kirmes war Frau Bergit geborene Nothnagel tot umgefallen. Die Angehörigen kamen zur Kirchenkasse, um die Beerdigung anzumelden und diese wurde dort auch vereinbart (offenbar ohne Rücksprache mit dem Pfarrer). Erst nachträglich will man bemerkt haben, daß die Verstorbene aus der Kirche ausgetreten war. Nun war aber die Zusage schon gemacht.

Mir ist klar, was ich in einem solchen Fall gemacht hätte (zumal die Verstorbene zu Lebzeiten ausdrücklich abgelehnt hatte, ihr Kind zur Christenlehre zu schicken): Ich hätte die Trauerfeier abgelehnt und der Mitarbeiterin auf der Kirchenkasse gesagt, sie müsse den Fehler wieder ausbügeln. So ein Fehler kann gar nicht vorkommen, weil man ja als erstes die Karteikarte zieht. Doch hier war offenbar die Bekanntschaft (oder sogar Verwandtschaft?) wichtiger. Ich hätte dabei nicht mitgemacht, um der Glaubwürdigkeit der Verkündigung willen. Aber das wurde mir immer als Gesetzlichkeit ausgelegt.

In diesem Fall wurde der Kirchenvorstand zusammengerufen und Herr Nothnagel entschied: „Wir können doch nicht so sein, es wird christlich beerdigt!“ Herr Scholz sah das als einen Hinweis darauf an, daß Herr Nothnagel sich geändert hat. Meine Frau und ich sahen uns nur an, denn uns war klar: Nur weil es sich um eine alteingesessene Familie und um die Tochter des Kunstmalers handelte, wurde so entschieden, bei „Fremden“ hätte man es unter Hinweis auf kirchliche Bestimmungen abgelehnt.

Erich Nothnagel

Die Schwierigkeiten in Steinbach-Hallenberg ergaben sich aus einem Generationswechsel unter den kirchlichen Mitarbeitern. Anfangs gab es im Kindergarten drei Erzieherinnen und eine Aushilfskraft und bis zu 100 Kinder. Küche und Reinigung wurden von drei Frauen geleistet. Wenn wenig Arbeit war (keine Rüstzeit), gingen diese und schrieben auch nur die geleisteten Stunden auf. Wenn wieder mehr Arbeit war, machten sie anstandslos die erforderlichen Überstunden. Über das Jahr gesehen ergab sich so eine volle Anstellung.

Als diese Kräfte aber aus Altersgründen ausschieden, wurden neue Mitarbeiter angestellt, die nur zu der in der DDR üblichen Leistung bereit waren. Sie wollten jeden Tag ihren Acht-Stunden-Tag haben, mehr Angestellte und mehr Vergütung. Der Hausmeisterdienst wurde von zwei Arbeitskräften versehen. Im Kindergarten waren bis zu sechs Leute angestellt. Die Kinderzahl wurde auf 90 begrenzt, von denen im Durchschnitt nur zwei Drittel anwesend waren. Dafür wurden dem Kindergarten immer mehr Räume zur Verfügung gestellt, so daß am Schluß kein einziger Raum mehr für die Gemeindearbeit zur Verfügung stand.

Die Kirche wurde als Selbstbedienungsladen angesehen: Verwandte durften kostenlos und in immer größerer Zahl mit essen, die Bananen für die Kinder wurden zur Hälfte unter die Angestellten aufgeteilt usw. Andererseits waren die kirchlichen Tariflöhne regelmäßig erhöht worden. Mehr Personal verursachte natürlich auch höhere Personalkosten. So war in der Kirchengemeinde die Situation entstanden, daß trotz höherer Kirchensteuereinnahmen der Haushalt gerade noch so ausgeglichen werden konnte. Der Kirchenvorstand hatte beschlossen, daß die mehrere Jahre gezahlten freiwilligen Weihnachtsbeihilfe (13. Monatsgehalt) erst nach einem positiven Abschluß der Jahresrechnung ausgezahlt wird.

Das war die Ausgangslage für den Konflikt, der am Ende eskalierte. Auslöser war Herr Erich Nothnagel, der nach einer Gesetzesänderung in der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck zum Vorsitzenden des Kirchenvorstandes gewählt worden war (vorher war das automatisch der geschäftsführende Pfarrer). Wie Herr Nothnagel seine Aufgabe sah:

  • Er berief Kirchenvorstandssitzungen ein ohne Abstimmung von Termin und Inhalt mit den Pfarrern.
  • Er nahm Pfarramtsakten mit in seine Werkstatt und macht Vorschriften über die Beantwortung von amtlichen Briefen
  • Er nahm selber Lohnberechnungen vor und behauptet, sie seien richtig, auch wenn sie objektiv falsch sind
  • Er spielte sich als Vorgesetzter der kirchlichen Angestellten auf und gab ihnen Anweisungen ohne Rücksprache mit Pfarrern und dem Kirchenvorstand
  • Er verteilte zweckgebundene Baugelder (trotz eines gegenteiligen Beschlusses des Kirchenvorstandes) nach Sympathie und Antipathie unter die Ange­stellten auf mit dem Argument: Ich habe das Geld besorgt, also kann ich auch damit machen, was ich will!

 

Im Gegensatz zu ihm war ich in kirchlicher Verwaltung ausgebildet und habe mich auch immer in Sachen Verwaltung weitergebildet. Dennoch wollte man mir gerade in Verwaltungsdingen an den Wagen fahren. Ich habe mich immer auf den Standpunkt der staatlichen und kirchlichen Gesetze ge­stellt, weil mir dadurch am ehesten eine Sicherung gegen Willkür gegeben schien. Heute nehme ich an, daß man bewußt meine Genauigkeit in diesen Dingen, meine Unbestechlichkeit und meinen Gerechtigkeitssinn für seine Machenschaften genutzt hat. Man wußte, daß ich bei den Kungeleien und willkürlichen und eigenmächtigen Befehlen nicht mitmachen würde.

Ich war es gewohnt, Gesetze und Bestimmungen erst einmal ernst zu nehmen. Im Kirchenvorstand in Steinbach-Hallenberg aber ging man so weit, daß man schließlich sagte: „Gesetze sind nur so etwas wie Vorschläge, an die man sich halten kann, die man aber auch nicht beachten muß!“Und das in einem diktatorischen Staat wie in der DDR. Aber dort versuchte halt jeder, wenn es nur irgend ging, sich diesen Gesetzen zu entziehen. Man machte sich einen Sport daraus, „den Staat“ zu betrügen. Und wenn es beim Staat nicht ging, dann wollte man wenigstens bei der Kirche „Freiheit“ haben. Freiheit aber bedeutete, daß man machen konnte, was man wollte. Dabei wurden kirchliche Gesetze nicht beachtet und es wurde so entschieden, daß Ungerechtigkeiten gegenüber einzelnen Leuten in der Gemeinde oder gegenüber den anderen Gemeinden entstanden. Damit habe ich mich nie abgefunden, weil ich einen aus-gesprochenen Gerechtigkeitssinn hatte. Ich trat dafür ein, daß man erst einmal die Gesetze ernst nimmt und sich ehrlich und ernsthaft bemüht, sie einzuhalten. Sie stellen die schriftliche Form dessen dar, worüber man sich einig ist, worüber man eigentlich nicht mehr zu verhandeln braucht. Daß es darüber hinaus dennoch Dinge gibt, die durch ein Gesetz nicht geregelt werden konnten und die man dann aktuell entscheiden und regeln mußte, steht auf einem anderen Blatt. Aber ich war dagegen, daß man von vornherein sagte: Gesetze gehen mich nichts an, ich mache was ich will. In der Praxis führte das nur zu Willkür und immer neuen Streitigkeiten. Aber daß ein Gesetz die Überzeugungen der Allgemeinheit spiegelt, wurde nie anerkannt. Das Ergebnis aber war Willkür.

 

Ich war aber auch einfach in der Zwickmühle: Wäre ich nicht gegen die falschen Lohnberechnungen des Laienvorsitzenden eingeschritten, hätte man mir Amts-Pflichtverletzung vorwerfen können und mich haftbar gemacht, wie es ja auch in einem Fall geschehen ist. Hätte ich bei dem versuchten Subventions- und Ver­sicherungsbetrug mitgemacht, hätte man auch etwas gegen mich in der Hand gehabt (Ich sollte melden, die Gemeinde habe 300 Stunden an der Friedhofskirche gearbeitet, dabei waren es nur 30. Und als in dem Haus hinter der Kirche die Heizplatten auf dem Fußboden verkohlt waren, weil ich vergessen hate, die Elektroheizung auszuschalten, sollte ich sagen, es habe ein offenes Feuer gegeben, dann wäre die Versicherung eingesprungen. Ich habe dann den Fußboden mit farbigem Zweikomponentenlack für 29 Mark selber wieder gestrichen).

Mein Fehler war, daß ich bei der verbreiteten DDR-Mentalität nicht mit­gemacht habe und der Meinung war, daß es doch wenigstens in der Kirche anders zugehen müßte. Mein Gegensteuern stellte man dann als „Unruheschaffen“ dar. Daß der damals zu­ständige Landeskirchenrat mich ohne Prüfung der Umstände so hängen ließ, war der zweite Grund für meine Bitte um Entlassung aus dem kirchlichen Dienst. Ich hatte gehofft, daß die Verantwortlichen in sich gehen und sich sagen: Wir müssen die hauptamtlichen Mitarbeiter, die eine Aus­bildung und Zugang zu Erfahrungen haben, nach Kräften unterstützen; wir dürfen ihnen nicht aus Besserwisserei und Rechthaberei noch Knüppel zwischen die Beine werfen. Nur im Zusammenwirken zwischen Hauptamtlichen und Laien können die Probleme angegangen werden.

 

Vor der Kirchenvorstandssitzung im Januar 1989 suchte Herr Nothnagel alle Kirchenvorsteher mit Ausnahme der Altersbacher auf und forderte sie auf, in der Sitzung meine Abberufung zu fordern bzw. mir den Rat zu geben, eine andere Stelle zu suchen. Erst Jahre später (1994) wurde mir mehr oder weniger deutlich bestätigt, was meine Vermutung war: Man meinte schon einen Ersatz für mich zu haben, denn Pfarrer Martin Lieber­knecht wäre nach Steinbach-Hallenberg gekommen. Nur deshalb kam das Abstimmungsergebnis im Kirchenvorstand zustande (und natürlich durch die Manipulation des Dekans).

 

Nach dem Urteil eines langjährigen Pfarrers aus dem Kirchenkreis Schmalkalden (Bunge) gibt es im Kirchenkreis nur eine Gemeinde, die problematisch ist; „Das ist Steinbach-­Hallenberg. Und das liegt am Kirchenvorstand und besonders an dessen Laienvorsitzenden. Steinbach-Hallenberg ist in der Landeskirche das negative Beispiel für den Laienvorsitz!“ Soweit dieses Zitat eines Pfarrers, der die Verhält­nisse kennt. Deshalb hat sich ja auch so gut wie kein Pfarrer aus Thüringen für die zwei unbesetzten Pfarrstellen gefunden. Sie konnten nur von Leuten aus dem Westen besetzt werden, die sonst keine andere Stelle fanden.

 

Leider ist nicht ausgeschlossen, daß das Verhalten von Herrn Nothnagel einen Hintergrund hat, der mit der Staatssicherheit zu tun hat. Natürlich hat er nichts unterschrieben oder Geld erhalten und sagt deshalb mit dem Brustton der Überzeugung, er sei „nicht dabei gewesen“.

Tatsache ist aber, daß der für den Kirchenkreis Schmalkalden zuständige Führungs­offizier bei Herrn Nothnagel einen Anwerbungsversuch für die Stasi gemacht hat („Wir sind doch Feuerwehrkameraden“). Das hat er mir selber gesagt. Ich glaube ihm auch, daß er diesen Versuch damals zurückgewiesen und auch (relativ) öffentlich gemacht hat. Ich vermute aber stark, daß er in dem Augenblick schwach wurde, in dem er selber etwas wollte, nämlich als ihn das Visum für eine Westreise von der höchsten zivilen Stelle abgelehnt worden war. In diesem Fall gab es nur noch eine Möglichkeit: die Staatssicherheit! Ein stadtbekannter Stasimann hat ihm die Reise dann auch innerhalb von zwei Tagen vermittelt und innerhalb von zwei Monaten noch zwei weitere Reisen.

Von dem Tag an fing er an, die bekannten Schwierigkeiten in der Gemeinde zu machen. Nach meiner Meinung läßt sich das nur so erklären, daß er im Zusammenhang mit der Genehmigung der Westreise bestimmte Versprechungen in dieser Richtung gemacht hat oder zumindest erkannt hat, daß man nur mit solchen „Gefälligkeiten“ Erfolg haben kann (Gibst du mir, geb ich dir).

Kurz darauf hat er selber einer Angestellten der Kirchengemeinde eine Westreise vermittelt, obwohl diese unverheiratet war und dieser Personenkreis damals noch nicht fahren durfte. Der Vater dieser Angestellten war im Kirchenvorstand. Es ist doch erstaunlich, daß die Staatssicherheit in Schmalkalden aus dem Kirchenvorstand in Steinbach-Hallenberg nur die Namen Erich Nothnagel und Heini König kannte. Es gibt auch einen Vorgang „IMV Erich“ (Vorlauf IM)

Danach setzte das irrationale Verhalten Nothnagels und Königs ein, das vom Dekan und einigen Pfarrern in gleicher Irrationalität unterstützt wurde. Jetzt wurden auf einmal längst erledigte Dinge wieder aufgewärmt, unflätige Ausdrücke fielen in der Sitzung und wurden nicht gerügt, offen wurde der Bruch der Verschwiegenheit angekündigt, unnötige Veränderungen in der Geschäftsverteilung wurden vorgenommen, kleinlichste Kritik wurde geübt, der Vorwurf der Urkundenfälschung wurde erhoben.

Noch Mitte Januar 1989 hatte ich ein insgesamt sechsstündige Aussprache mit Herrn Nothnagel, in der alles geklärt wurde und er sich zu einer konstruktiven Zusammenarbeit bereit erklärte. Aber noch am Abend ließ er sich vom Dekan wieder umstimmen und ging am nächsten Tag mit nach Eisenach, um sich zu beschweren. Man hatte den Eindruck, daß verschiedene Leute wie unter Druck handelten. Damals konnte ich mir das nicht erklären. Daß da ein Stasihintergrund bestehen könnte, habe ich noch nach der Wende zurückgewiesen. Heute denke ich anders darüber.

 

Es gab dann nach der Wende noch einmal Verstimmung wegen eines Telefongesprächs, das ich mit dem Vorsitzenden der Synode von Kurhessen-Waldeck führte, einem ehemaligen Studienkollegen von mir. Ich fragte ihn: „Habt ihr auch bedacht, daß durch die Wiedereingliederung des Kirchenkreises Schmalkalden eine neue Situation entstanden ist und ihr die Synodalen von dort einer Überprüfung wegen möglicher Stasimitarbeit unterziehen solltet, so wie das in den östlichen Gliedkirchen geschieht?“ Er fragte sofort: „Meinst du Herrn Nothnagel?“ Ich antwortete: „Ich meine auch Herrn Bunge, er war immerhin Reisekader!“ Er beruhigte mich: „Alle Synodalen und kirchlichen Mitarbeiter haben einen Antrag auf Überprüfung gestellt.“ Das beruhigte mich etwas: „Dann ist es ja gut so. Das war mir nicht bekannt, denn mich hat man nicht dazu aufgefordert, denn es müßte ja nach dem Stand von 1989 gehen!“

Damit war das Gespräch für mich an sich beendet und hatte sein Ziel erreicht. Erst jetzt hat mich Herr Jockel noch einmal nach Herrn Nothnagel gefragt. Da habe ich mich dann doch verleiten lassen, meine Meinung zu dieser Sache zu sagen. Ich habe nicht gesagt, was behauptet wurde, nämlich daß er seit 1985 vertrauliche Dinge aus der Kirche verraten habe. Das wäre nichts Besonderes, denn das haben verschiedene Kirchenvorsteher in Sitzungen angekündigt, ohne daß der anwesende Dekan widersprachen hätte. Ausplaudern vertraulicher Dinge war in Steinbach-Hallenberg erlaubt.

Ich habe mich Herrn Jockel gegenüber sehr vorsichtig ausgedrückt. Ich wollte nicht speziell gegen jemand hetzen, sondern mich nur allgemein zu einem Problem erkundigen. Herr
Jockel mußte wissen, wie hypothetisch diese Aussagen waren und daß sie nicht an die Öffentlichkeit gehörten. Das war mir so selbstverständlich, daß ich nicht noch einmal extra darauf hingewiesen habe. Außerdem mußte er wissen, daß ein Gespräch unter vier Augen generell nicht an die Öffentlichkeit gehört. Eine Meinungs­äußerung unter vier Augen ist keine öffentliche Aussage. Wenn er es doch öffentlich gemacht hat, muß er das vertreten. Ich habe auch mit einem anderen Synodalen darüber gesprochen und der hat es auch für sich behalten. Eine Richtigstellung könnte doch wohl nur Herr Jockel vornehmen. Ich kann mich doch nicht für etwas entschuldigen, was ich nicht gesagt habe.

Ich unterscheide sehr genau zwischen Vermutungen, Behauptungen und Tatsachen. Natürlich habe nicht behauptet, daß irgendein kirchlicher Mitarbeiter im Kirchenkreis Schmalkalden ein offizieller Mitarbeiter der Stasi gewesen sei in dem Sinne, daß er eine Verpflichtungserklärung unterschrieben hat oder direkte Geldzuwendungen erhalten hat. Aber ich vermute anhand von mündlich mitgeteiltem Wissen von Stasi­auflösern und aus Indizien, daß der eine oder andere sich für Vergünstigungen erkenntlich gezeigt hat. Diese Vergünstigungen bestanden je länger je mehr in Dienstreisen in den Westen mit Diplomatenpaß und unkontrolliertem Grenz­übergang.

 

Doch die Stasifrage ist nicht einmal das Entscheidende. Der eigentliche Skandal ist: Da repräsentiert einer als „Muster-Laie“ den Kirchenkreis Schmalkalden, der aber nie auf direktem Weg von der Gemeinde gewählt worden ist. Nur dank seiner großen Verwandtschaft und der geringen Wahlbeteiligung hat er überhaupt die Mindeststimmen­zahl erreicht. Hier sieht man einmal die Schwächen des gemischten Wahlsystems in Kurhessen: Es gibt kaum eine Möglichkeit, jemanden abzuwählen, weil er immer berufen wird, notfalls durch die Kreissynode.

Weil man in den Synoden einen Vorzeige-Laien braucht, redet man dann lieber nicht über die Verhältnisse vor Ort.

In der Gemeinde ist Herr Nothnagel jedenfalls nicht beliebt. Man hat mich mehrfach vor ihm gewarnt. Man hat mir geraten, mich nicht mit ihm anzulegen, „weil hinter ihm noch ganz andere stehen!“ Damals habe ich darüber gelacht, heute kann ich mir einen Reim darauf machen.

Deshalb spreche ich Herrn Nothnagel das Recht ab, die Gemeinde in der Synode zu vertreten, weil er der Gemeinde, der Kirche und unsrer Familie so geschadet hat. Wenn schon das Zer­rüttungsprinzip gelten soll, dann muß man beide Seiten zurückziehen. Es stimmt einfach nicht, daß man nur den Pfarrer versetzen kann, im Kirchenvorstand aber alles beläßt. Das ist klar und eindeutig doch eine Schuldzuweisung. Man sagt, in so einem Fall seien immer beide Seiten schuld. Aber dann kann man nicht nur einen bestrafen, sondern muß beide zurückziehen. Ohne einen Rücktritt Herrn Nothnagels von allen seinen kirchlichen Funktionen ist ein Gespräch mit ihm sinnlos.

Man wird nicht verhindern können, daß die Gemeinde die Dinge anders sieht als die Verantwortlichen in der Kirche. Sie sagt: In der Kirche ist es so wie in der Gesellschaft auch überall trifft man auf die alten Leute - und die anderen sind in den Westen gegangen l

 

Herr Nothnagel hat dennoch in der Kirche Karriere gemacht. Er arbeitete in der Beratung der Kreis­diakoniestelle in Schmalkalden und ist Vorsitzender des Vereins ,,Fami­lienzentrum Schmalkalden e.V.“ und wurde Beisitzer Vorstand des Lan­desarbeitskreises Thüringen der Evangelischen Aktionsgemeinschaft für Familienfragen. Hier hat man Bock zum Gärtner gemacht, denn in seiner eigenen Familie gab es solche Probleme, daß sich die älteste Tochter in psychologische Behandlung begeben mußte. Später wurde er Leiter des Altenpflegezentrums in Steinbach-Hallenberg, nicht ohne seine zahlreiche Verwandtschaft dort mit untergebracht zu haben (so sagen jedenfalls die Leute). Für so eine Stellung braucht man sich eine Ausbildung als Sozialarbeiter oder Krankenpfleger oder wenigsten Verwaltunhskraft.

 

Wenn es an Herrn Nothnagel liegt, daß mir nicht wieder die Rechte des geistlichen Standes verliehen werden, so kann ich vor der nächsten Wahl genauso Einspruch gegen seine ehrenamtliche Tätigkeit in der Kirche erheben. Begründung ist: Er hat gegen kirchliche Vorschriften und Gewohnheiten und zum Schaden für die Gemeinde gehandelt.

Wenn Herr Nothnagel mir vorgeworfen hat, wegen mir seien drei Mitglieder aus dem Kirchenvorstand ausgeschieden, so muß man ihm vorhalten, daß wegen ihm innerhalb eines Vierteljahres sechs Angestellte der Kirchengemeinde gekündigt haben. Das waren aber keine ehrenamtlichen Mitarbeiter wie die Kirchenvorsteher, sondern hauptamtliche, so daß die Gemeinde plötzlich ohne Pfarrer, Katechetin, Kantor, Verwaltungsleiter und Hausmeisterehepaar dastand. Er allein ist auch dafür verantwortlich, daß nach einem Vierteljahr die Gemeinde ohne alle wichtigen hauptamtlichen Mitarbeiter dastand. . Über Jahre hinaus hat sich dann so gut wie kein Pfarrer für die zwei unbesetzten Pfarrstellen gefunden, vor allem nicht aus Thüringen, weil sich dort herumgesprochen hatte, was vorgefallen war. Was in Steinbach ge­schehen ist, wird noch überall im Lande erzählt.

 

Ich wehre mich gegen die Behauptung, daß ich auch noch an den gegen­wärtigen Schwierigkeiten schuld sein soll. Als ich die Gemeinde verließ, war sie eine Vorzeigegemeinde, auch wenn ich selber unzufrieden war und die Staatssicherheit mein Wirken und nicht zuletzt das meiner Frau maßlos überschätzt hat. Aber immerhin ist in über zwei Jahrzehnten kein Gottesdienst ausgefallen, jede Amts­handlung wurde abgesichert, es war wöchentlich kirchlicher Unterricht, alle Gemeindekreise wurden fortgeführt - auch auf den Dörfern - die Gebäude wurden instandgehalten, Rüstzeitenheim und Kindergarten wurden über die Zeit gebracht, fähige haupt- und nebenamtliche Mitarbeiter gewonnen, die Verwal­tung war in Ordnung (vor 1970 gab es zum Beispiel keinen einzigen Arbeitsvertrag oder Pachtvertrag). Und das alles trotz Krankheit und Babvjahr. Wahrscheinlich lief alles zu gut und weckte Neid bei den Kollegen und Besorgnis bei den staatlichen Stellen.

Die vielbe­schworenen ,,Steinbacher Verhältnisse“ haben erst nach meinem Weggang so richtig eingesetzt. Weiterhin hatten nur einige Laien das Sagen. Sie haben einen strom­linien­förmigen Kirchenvorstand geschaffen Gerade die jungen Leute sind wieder ausgeschieden, weil sie sich dem Diktat der ,,Macher“ nicht beugen wollten. Ein Laie kann eine viel schlim­mere Diktatur ausüben, als es ein Pfarrer je wagen würde. Das sage ich heute, obwohl ich immer für den Laienvorsitz im Kirchenvorstand war, auch für Herrn Nothnagel. Ich halte ihn auch heute noch für angebracht. Aber wehe, wenn hier jemand hochgespült wird, der anderswo nicht zum Zuge gekommen ist

 

Es könnte natürlich sein, daß er sich inzwischen geändert hat und nicht mehr die Probleme macht wie damals. Herr Pfarrer Scholz sagte im September 1994, die Termine und Inhalte der Kirchenvorstandssitzungen würden jetzt mit ihm abgesprochen, es gäbe kein Einmischen mehr in Pfarrr­amtsangelegenheiten, das Protokollbuch sei nicht mehr bei Herrn Nothnagel.

Daraus kann ich also entnehmen, daß es damals nur gegen mich persönlich gegangen ist, daß Herr Nothnagel nicht der Meinung ist, es müsse immer so verfahren werden, wie von ihm verfahren wurde.

Herr Scholz äußerte aber auch, daß im Kirchenvorstand weiterhin noch ,,dicke Brocken“ sind. Seine Frau wurde noch deutlicher und sagte: „Es ist immer noch dasselbe!“ Nur müssen sie halt stillhalten, weil sie ja wissen, was sonst passiert. Offenbar hat sich in den letzten fünf Jahren nichts geändert.

Daß sich nichts geändert hat und Herr Nothnagel weiterhin das Sagen hat, zeigt ein aktuelles Beispiel, das Herr Scholz erzählte: Bei der Kirmes war Frau Bergit geborene Nothnagel tot umgefallen. Die Angehörigen kamen zur Kirchenkasse, um die Beerdigung anzumelden und diese wurde dort auch vereinbart (offenbar ohne Rücksprache mit dem Pfarrer). Erst nachträglich will man bemerkt haben, daß die Verstorbene aus der Kirche ausgetreten war. Nun war aber die Zusage schon gemacht.

Mir ist klar, was ich in einem solchen Fall gemacht hätte (zumal die Verstorbene zu Lebzeiten ausdrücklich abgelehnt hatte, ihr Kind zur Christenlehre zu schicken): Ich hätte die Trauerfeier abgelehnt und der Mitarbeiterin auf der Kirchenkasse gesagt, sie müsse den Fehler wieder ausbügeln Ich hätte dabei nicht mitgemacht, um der Glaubwürdigkeit der Verkündigung willen. Aber das wurde mir immer als Gesetz­lichkeit ausgelegt; dabei habe ich nichts anderes gemacht, als was ich schon bei der Ordination versprochen habe, nämlich die Ordnung der Kirche zu wah­ren.

So ein Fehler, daß man nichts von dem Kirchenaustritt gewußt haben will, kann gar nicht vorkommen, weil man ja als erstes die Karteikarte zieht. Doch hier war offenbar die Bekanntschaft (oder sogar Verwandtschaft?) wichtiger. Ich hätte dabei nicht mitgemacht, um der Glaubwürdigkeit der Verkündigung willen. Aber das wurde mir immer als Gesetzlichkeit ausgelegt. Schwer ist für mich nur: Diese Leute wie Herr Nothnagel repräsentieren die Kirche und dürfen Gottesdienst halten. Aber mir wird selbst ein ehrenamtlicher Dienst in der Kirche verwehrt.

Herr Nothnagel hat mir vorgeworfen, ich hätte mich geändert. Aber in Wirklichkeit hat er sich geändert.

 

 

 

Kirchliche Mitarbeiter

Im Internet habe ich auf meiner Webseite zunächst zu dem Thema „Kirche ohne Stasi.  Das Verhältnis von DDR-Staat und Kirche im Kirchenkreis Schmalkalden“ einen kurzen Artikel veröffentlicht. Aber ich habe zu dem Thema ein etwa 300 Schreibmaschinenseiten starkes Manuskript zum Thema. In jahrelanger Arbeit habe ich als Rentner die Unterlagen der Behörde des „Beauftragten für die Unterlagen des ehemaligen Staatssicherheitsdienstes der DDR“ in der Außenstelle Suhl erforscht, soweit sie die Kirche im Dekanat Schmalkalden (heute Kirchenkreis Schmalkalden) betreffen.

Die arbeit kann nicht alles aufhellen, aber doch manche Hintergründe aufzeigen. Im Schriftbild ist dabei kenntlich gemacht, was zusammenfassende Wiedergabe der Akten ist (Normalschrift Times New Roman) und was meine eigenen Ergänzungen und Wertungen dazu sind (Kursivschrift).

Das Manuskript beginnt nach einigen einleitenden Bemerkungen über das Dekanat Schmalkalden mit der Darstellung der Täter, also der vier hauptamtlichen Mitarbeiter der Staatssicherheit in der Kreisdienststelle Schmalkalden und des inoffiziellen Führungsmitarbeiters, der als Beauftragter für Kirchenfragen beim Rat des Kreises arbeitete.

Es folgt dann die Schilderung des Kampfes kirchlicher Mitarbeiter und Gruppen gegen die Versuche der Staatssicherheit, den vermeintlichen Einfluß der Kirche einzudämmen. Hier geht es um Christenlehre und Konfirmation, Jugendarbeit und Erwachsenenbildung und Nachteile in Schule, Armee und Beruf. Es geht um Umweltgruppen, Neubauarbeit und Gemeindetage. Das alles wird dann noch einmal dargestellt am Beispiel der handelnden Personen, vor allem der Pfarrer (in dieser zeitlichen Reihenfolge) Hülsemann, Heckert, Kramer und Hauser. Auch die Haltung der anderen Pfarrer wird beleuchtet.

Auf der kurhessen-waldeckschen Landessynode wurde der vorläufige Bescheid der Behörde des Bundesbeauftragten verkündet, wonach kein kirchlicher Mitarbeiter im Dekanat Schmalkalden ein sogenannter „Inoffizieller Mitarbeiter“ war. Die Mitteilung wurde mit Beifall entgegengenommen. Das wird auch bei einem eingehenden Studium der Akten belegt: Es gab niemanden, der für Geld und mit einer Verpflichtungserklärung für die Staatssicherheit gearbeitet hat (und nur das beinhaltete die Auskunft an die Landeskirche). Es gab nur ein Mitglied des Kirchenkreisvorstandes, das von der Behörde als „Inoffizieller Mitarbeiter“ eingestuft wurde, das aber nicht bei der Kirche angestellt war.

Aber das ist nur ein Teil der Wahrheit. In Wirklichkeit gab es eine abgestufte Zusammenarbeit mit dem Staat, die gleichbedeutend war mit einer Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit, wie jeder damals wissen mußte. Jeder wußte, daß die „Beauftragten für Kirchenfragen“ alle Mitarbeiter der Stasi waren, in der Pfarrkonferenz wurde eigens darauf hingewiesen. Ihre Aufgabe war es in erster Linie, die Kirchen zu kontrollieren und zu beeinflussen.

Daß sie auch wohlwollende Ansprechpartner für die kirchlichen Mitarbeit sein sollten, war ihre Legende. Deshalb kann kein kirchlicher Mitarbeiter sich damit herausreden, er habe ja nur mit dem ihm zugewiesenen Vertreter des Staates geredet - er hat mit der Staats­sicherheit geredet. Er mußte auch damit rechnen, daß jeder Vertreter des Staates (zum Beispiel der Bürgermeister oder ein Lehrer) seine Aussage an die Staatssicherheit weiterleiten würde.

 

Ich habe in meiner Arbeit die Unterscheidung getroffen zwischen „offizieller IM“ (also mit Verpflichtungserklärung und Geldprämie) und „inoffizieller IM“. Diese Wortprägung ist meines Wissens neu. Das Spektrum der Mitarbeit mit der Stasi geht dabei bis hin zu „gleichbedeutend mit inoffiziellem Mitarbeiter“.  Der „inoffizielle IM“ bezeichnet einen Menschen, der zum Beispiel wegen seiner kirchlichen Bindung niemals bereit wäre, eine Verpflichtungserklärung zu unterschreiben, weil er das als Verrat an der Kirche angesehen hätte. Er war aber bereit - gefragt oder ungefragt- über alle innerkirchlichen Vorgänge Auskunft zu geben, sodaß sie Stasi vorbeugende Maßnahmen ergreifen konnte. Und er war bereit, im Sinne der Stasi zu handeln.

Im Dekanat Schmalkalden kann man folgende Abstufung treffen:

I. Herr Herbert Johannes hat zwar keine Verpflichtungserklärung unterschrieben und auch kein Geld erhalten, er hat sich aber mündlich zur Zusammenarbeit mit dem „Organ“ bereiterklärt und von Sitzungen berichtet und Disziplinierungen befürwortet. Deshalb wurde er von der Stasiunterlagenbehörde als inoffizieller Mitarbeiter („IM“) eingestuft.

II. Dekan Schreiber war die ersten Jahre eher auf der Seite der Staatskritiker (vor allem auch als es um das Examen seiner Schwiegertochter ging). Aber spätestens seit seiner Dienstreise nach Österreich war ihm sehr an einem „guten Verhältnis von Staat und Kirche im Dekanat“ gelegen, weil davon seiner Meinung nach und auch in Wirklichkeit die Dienstreisen abhingen

Wie kann man nur zu einem Stasimanns sagen: „Sicher waren wir beide nicht traurig, als Hülsemann nach Berlin ging und als Heckert aus dem Kirchendienst ausschied. Ich denke aber, daß wir mit Herrn Krahmer noch öfters zu tun haben werden!“

III. Reisen in den Westen im Auftrag der Stasi unternahmen Naumann und Gerstenberger, um „Republikflüchtlinge“ auszuhorchen.

IV.  Für ein staatsfreundliches Verhalten kommen vor allem die Pfarrer in Frage, die eine Dienstreise erhielten. Bekanntlich mußte jeder vor einer solchen Reise zum Staatssekretariat für Kirchenfragen und wurde dort instruiert, wie er im Westen die DDR zu vertreten hatte.

Alfred Schreiber: Österreich und Tansania, Gerstenberger mehrfach Tansania, Manfred Schreiber und Hauser nach Genf, Wolfgang Schulte nach den USA, Frau Penckert zum Sohn.

Einige Pfarrer reisten auch zu Verwandtenbesuchen

V. Sehr staatsfreundlich waren auch Herr Hoffmann und Herrn Wolfgang Schulte. Schulte wegen der USA-Reise und seines Eingreifens in Steinbach-Hallenberg, Herr Hoffmann hat sehr um eine solche Reise gekämpft. In meinem Fall hat er dann in meinen Brief an den Kreisratsvorsitzenden Einsicht genommen außerhalb der offiziellen Wege und ohne Zeugen.

VI. Übersicht (meine persönliche Einschätzung):

Feindlich negativ:                   Hülsemann, Heckert, Krahmer, Hauser

Neutral I:                                Eberlein, Penckert, Fischer, Ritter, Brehm, Eras, Bunge

Neutral II:                               Hoffmann, Manfred Schreiber

Anbiedernd zum Staat:          von Frommannshausen, Wolfgang Schulte, Hoffmann (später)

Positiv zum Staat:                   Dekan Schreiber, Gerstenberger (letzte Zeit, vorher negativ)

Wie inoffizieller Mitarbeiter: Naumann, Herbert Johannes.

 

In Steinbach-Hallenberg waren im Kirchenvorstand Herr Nothnagel und Herr König zwar keine inoffiziellen Mitarbeiter, aber sie waren auf dem Weg dazu. Beide wurden geworben im Zusammenhang mit Westreisen aus privaten Gründen, die zunächst vom Leiter des Volkspolizeikreisamtes abgelehnt waren, aber dann doch noch genehmigt wurden. Herrn Königs Tochter durfte als erste unverheiratete Jugendliche aus dem Ort in den Westen fahren und konnte sich seitdem alles erlauben.

 

Natürlich geschah das Einwirken der Stasi nicht plump, sondern es wurde gesagt: „Im Interesse eines guten Verhältnisses zwischen Staat und Kirche wäre es doch besser, wenn man dies oder jenes unterließe und es stattdessen so machte!“ Dieser Begriff „gutes Verhältnis zwischen Staat und Kirche“, der ja auch in anderen Zusam­men­hängen immer wieder fiel, wurde von einigen Pfarrern mit der Zeit immer mehr so ausgelegt: Nur bei einem guten Verhältnis werden auch weiterhin Genehmigungen für Dienstreisen ins westliche Ausland erteilt! Jeder in der Kirche, ob Gemeindeglied oder Angestellter, der dieses Verhältnis gefährdete, wurde deshalb vorbeugende bekämpft. Dann wurde auf dem Dienstweg versucht, die betreffende Person einzuschüchtern, zu maßregeln und auf Linie zu bringen. Leider haben der Dekan und die Mehrheit im Kirchenkreisvorstand sich je länger je mehr in diesem Sinne gebrauchen lassen - aus Angst um ihre Westreisen.

Das ist der weitere Punkt, der nach meiner Ansicht sehr deutlich aus den Akten hervorgeht: Über die Dienstreisen in den Westen hatte die Staatssicherheit gar manchen Pfarrer in Abhängigkeit gebracht. Er hat sich das selber nicht eingestanden, aber er war nicht nur vorsichtiger in seinen Äußerungen, sondern war auch einfach bereiter, im Gespräch ganz unverbindlich innerkirchliche Dinge auszuplaudern, die er besser für sich behalten hätte, im Interesse des Schutzes der Kirche und der Gemeindeglieder.

Da kamen Gemeindeglieder zu ihrem Pfarrer, um mit ihm über ihre Ausreiseabsicht zu sprechen und sich Rat zu holen. Besonders ein Pfarrer hatte dann aber nichts Eiligeres zu tun, als sofort den Beauftragten für Kirchenfragen zu benachrichtigen im Sinne von: „Kümmert euch einmal um den, der hat eine Antragstellung vor!“ Das Ziel war, den Betreffenden „gemeinsam“ von der Antragstellung zurückzuhalten.

Zwei Pfarrer sind sogar in den Westen gereist, um ein Gemeindeglied zur Rückkehr zu bewegen, das von einer Westreise nicht zurückgekehrt war. Angeblich geschah das auf Wunsch der Familie. Aber eher war es so, daß die Initiative von der Stasi ausging. Wenn ein kirchlicher angestellter den Wunsch nach einer Westreise hatte, mußte er sich ja wegen des Visums an den Beauftragten für Kirchenfragen wenden und den Reisegrund nennen. Und schon wurden Aufträge mitgegeben. Der Pfarrer sollte nämlich den Ehepartner aushorchen, ob er an seiner Ehe festhalten wolle, weil davon die Entscheidung abhing, ob auch der Rest der Familie ausreisen durfte. Ein Pfarrer wollte bei dieser Gelegenheit von der Stasi sogar Westgeld für die Reise haben.

Nach der Rückkehr wurde dann haarklein dem Beauftragten für Kirchenfragen erzählt, was der Besuchte über seine Ehe erzählt hatte. Da erzählt jemand seinen Pfarrer Dinge, die unter das Beichtgeheimnis fallen und die er nicht einmal einem Kollegen hätte weitersagen dürfen. Aber er hat keine Hemmungen, dies einem Vertreter des Staates haarklein zu erzählen, weil davon seine Reisen in den Westen abhängen (oder die der Ehefrau).

Solche Vorgänge sind heute natürlich auch der Kirchenleitung zugänglich. Pfarrer Bunge aus dem Kirchenkreis Schmalkalden hat ja auch die Unterlagen gesichtet. Er kommt aber offenbar zu anderen Schlüssen als ich, obwohl die Tatsachen doch nicht wegzuleugnen sind. Vor allem hat er offiziell anders berichtet, als er privat sagte (Bei einem Pfarrer hat er gesagt, er habe nichts, aber auch gar nichts Negatives über ihn gefunden, aber die Ehefrau des Betreffenden hat er fertiggemacht mit Behauptungen, die sich aus den Akten gar nicht so herauslesen lassen).

 

Es bestehen Zweifel daran, ob man es bei der Kirche wirklich so genau wissen will. Nach der Wende hat man sich anders entscheiden: Die der Stasi nicht entgegengetreten sind oder ihr sogar zur Hand gegangen sind, die werden weiter geehrt. Ihre Opfer aber werden weiter ausgegrenzt und verfemt.

Das gilt vor allem für die Familie Emmermacher, die erst nach der Wende aus allen kirchlichen Funktionen herausgedrängt wurde, weil sie angeblich behauptet hatte, Pfarrer Naumann sei ein Mitarbeiter der Staatssicherheit gewesen. Nun hatte zwar Herr Emmermacher in einem für diese Zwecke eingerichteten Ausschuß der Stadt eine entsprechende Aussage eines hauptamtlichen Stasimitarbeiters zitiert, wie es seine Pflicht war. Aber in die Öffentlichkeit getragen hat es jemand anders aus diesem Kreis, nämlich Frau Frommannshausen, eine Pfarrfrau, deren Mann schon früher die Ausreisewilligen dem Beauftragten für Kirchenfragen gemeldet hatte.

Nach der Wende hat man sich dafür entschlossen, dicht zu halten und alles zu leugnen. Es war bezeichnend, daß der Dekan nicht zum Fall Naumann Stellung nehmen wollte. In Schmalkalden muß man mit neuen Leuten anfangen. Leider meint auch die Ev.-Luth. Kirche in Thüringen auch immer noch, sie könnte die Verstrickung der Pfarrer unter der Decke halten. Die von der Synode erzwungene Überprüfung wird nicht viel bringen, denn es geht nur um die Beamten und das bisher zugängliche direkte Material, nicht die Nebenakten. Die übertriebene Aussage eines Stasi-Auflösers trifft die Sache besser: „Es gab auch Pfarrer, die n i c h t dabei waren!

 

Für mich selber konnte ich den Akten entnehmen, daß es zwar eine Akte über mich gab (sogenannte „Operative Personenkontrolle“), aber kein aktives Programm der Stasi gegen mich (sogenannter „Operativer Vorgang“). Das war auch gar nicht nötig, denn die Kirche selber hat diese Aufgabe ja erledigt. Ich gehörte eben zu den sieben Pfarrern im Bezirk, die als „feindlich-negativ“ angesehen wurden. Das ließ man die leitenden Leute im Dekanat immer wieder wissen. Diese Leute haben dann auch wie erwartet gehandelt.

Es ging am Ende gar nicht mehr darum, wer Recht oder Unrecht hat. Die Kirchenleitung in Eisenach betonte immer wieder, disziplinarrechtlich sei mir nichts vorzuwerfen. Aber das Verhältnis sei zerrüttet und ich möge doch bitte eine Pfarrstelle außerhalb des Dekanats annehmen. Weil man deswegen nicht vorher mit mir gesprochen hatte (wie es Vorschrift war), war das Zutrauen zu dieser Kirchenleitung zerstört.

Außerdem hat mir der bald darauf als hauptamtlicher Stasimitarbeiter enttarnte Oberkirchenrat Kirchner gedroht: „Wenn es in einer anderen Pfarrstelle nicht besser mit dem Staat geht, dann werden wir Sie ganz aus dem Pfarramt entfernen“! Ich habe deshalb von mir aus um Auflösung des Beamtenverhältnisses gebeten und mußte mir einen anderen Beruf an einem anderen Wohnort suchen.

So ging es auch den anderen hauptamtlichen Angestellten, die angeblich „Anhänger von Heckert“ waren. Es war mir klar, daß die Stellung des Verwaltungsleiters Hey, der Büroangestellten Heubel und des Hausmeisters und seiner Frau nicht zu halten waren. Bei Herrn Hey hat man die gleiche Methode angewandt wie bei mir: Es wurde eine Sache wieder hervorgezogen, die seit einem halben Jahr erledigt war. Weil er sich immer noch weigerte, einen persönlichen Brief an den Bischof vorzulegen, wurde ihm ohne Beachtung des Arbeitsrechts gekündigt, übrigens auch ohne Beschluß des Kirchenvorstandes und Zustimmung des Dekans. Aber mit Gesetzen hat man es sowieso nicht so ernst genommen Mein Fehler war, daß ich es anders machte, mich für das Recht stark machte und dann dafür ausgelacht wurde.

Nur ein gewisser Rest an Bitterkeit bleibt: Wie aus den Jahresplänen der Stasi für 1989 her­vor­geht, wollte man mich als Mitarbeiter für die Stasi werben (gerade mich!). Hätte ich mich also Anfang des Jahres 1989 an die Stasi gewandt und um Hilfe gebeten und Wohlverhalten und Mitarbeit zugesagt, ich wäre bis zur Pensionierung noch Pfarrer in Steinbach-Hallenberg geblieben. Ich bin überzeugt, auf einen Wink der Stasi hin hätte man alles abgeblasen und mir auch so wie den anderen dienstliche Westreisen zugestanden - nur die Gemeindeglieder hätten sich dann wohl etwas gewundert.

 

 

Schulleiter Walther

Am 14. November 1991 schreib ich noch einen Brief an den Schulrat in Schmalkalden:

Sehr geehrter Herr Schulrat! Wie ich gehört habe ist der frühere Leiter der Schule in Steinbach-Hallenberg, Gerhard Walther, immer noch als Lehrer in Schmalkalden tätig. Das wundert mich etwas, gehörte Herr Walther zusammen mit Herrn Kriemer in den 70er Jahren zu den Scharfmachern an der Schule in Steinbach-Hallenberg. Während andere Lehrer den politischen Forderungen hinhaltenden Widerstand entgegensetzten, verschärfte Herr Walther in vorauseilendem Gehorsam die Vorgaben von oben.

Es war durchaus möglich für einen Lehrer, die Werbung für die Jugendweihe abzulehnen. Dann wurde ein anderer Lehrer mit der Aufgabe betraut, und Herr Walther setzte sich in besonderer Weise in dieser Klasse ein.

Er hat die Regel aufgestellt: Wer zur Christenlehre geht, kann kein Pionier sein. Er erhält beim „Gesamtverhalten“ automatisch eine Note schlechter. Und er darf nicht auf eine weiterführende Schule. Schüler, die den Konfirmandenunterricht besuchten, wurden einzeln von Herrn Walther und Herrn Kriemer bearbeitet, sich nicht konfirmieren zu lassen, wenn sie auf die Erweiterte Oberschule wollten. Es sind dann allerdings jedes Jahr Schüler auf die Schule in Schmalkalden gekommen, obwohl sie konfirmiert worden waren. Das zeigt, daß die Drohungen eine örtliche Maßnahme waren.

Wir haben das auch an unseren eigenen Kindern erlebt. Der Älteste wurde nur durch die Fürsprache von Bischof Schönherr und über das Staatssekretariat zugelassen. Dennoch hat Herr Walther auch bei unserem zweiten Sohn eine Delegierung durch die Schule abgelehnt. Und bei aller angeblichen Demokratie an der Schule war er als Direktor der entscheidende Mann.

   Die Begründung für die Ablehnung war:    (in dieser Reihenfolge):

1.      Keine Verpflichtung für drei Jahre Armee

2.      Keine Mitgliedschaft in der FDJ

3.      Keine Jugendweihe.

Doch auch unser zweiter Sohn wurde drei Wochen später von der Kommission des Kreises zugelassen. Allerdings sind beide Söhne nach erfolgter Zulassung notgedrungen in die FDJ eingetreten. Doch gerade dieser Zwang hat sie zu Demokraten gemacht. An der erweiterten Oberschule hatten sie es auch nicht leicht, Lehrer wie Herr Sebothe, Herr Möhring und Frau Kellermann waren auch „politisch“. Aber in Steinbach-Hallenberg war das unter Herrn Walther alles noch einen Grad schärfer.

Wenn Frau Helga Baumeister aus Steinbach-Hallenberg nicht in den Schuldienst übernommen wurde, dann hätte das nach meiner Meinung erst recht nicht bei Herrn Walther geschehen dürfen. Nach dem Weggang von Herrn Kriemer und dem 6. März 1978, als von oben eine andere Schulpolitik angeordnet wurde, wurde es auch in Steinbach-Hallenberg nach außen etwas besser. Aber man hat jetzt mehr verdeckt und personenbezogen in alter Weise weitergewirkt.

Deshalb bitte ich um eine Überprüfung, ob Herr Walther in einer freiheitlich demokratischen Grundordnung als Lehrer tragbar ist.

Mit freundlichem Gruß

 

Am 23. Januar 1992 wurde mir der Eingang des Schreibens bestätigt und mitgeteilt, daß es zur weiteren Bear­beitung an die Überprüfungskommission beim Thüringer Kultusministerium weitergeleitet wurde.

 

Frau Helga Baumeister ging nach Nordbayern. Sie schrieb einen Brief an unseren Sohn Markus, in dem sie sich praktisch entschuldigte für ihr Verhalten während der Schulzeit. Sie sei damals gerade aus der Ausbildung gekommen und vom Sozialismus überzeugt gewesen. Aber schon ihre Tochter Indes hat sich kirchlich trauen lassen. In Bayern wurde sie nicht nur Vorsitzende des Kleingärtnervereins, sondern auch Mitglied des Kirchenvorstandes. Wenn doch auch einmal aus Steinbach-Hallenberg so ein Brief käme!

 

 

Konspirative Wohnung im Gemeindehaus 2009

In der Zeitung „taz“ war nach der Wende das Haus Karl-Marx-Straße 45 in Steinbach-Hallenberg als konspirative Wohnung der Stasi aufgeführt worden. Von kirchlicher Seite wurde das sofort dementiert. In den Schaukästen der Gemeinde stand eine „Garantieerklärung“:

„In einem Sonderdruck der „tageszeitung“ Berlin vom Juni 1990 wird das Evangelische Gemeindehaus „Dietrich Bonhoeffer“ in Steinbach-Hallenberg als Sitz einer konspirativen Wohnung der Staatssicherheit genannt.

Wir, der Kirchenvorstand der Evangelischen Kirchengemeinde Steinbach-Hallenberg, und die Mitarbeiter des Evangelischen Gemeindehauses „Dietrich Bonhoeffer“ möchten uns entschieden dagegen verwahren, mit dieser Veröffentlichung in Zusammenhang gebracht zu werden. Wir erklären hiermit öffentlich, zu keiner Zeit als Informanten der Staatssicherheit gearbeitet zu haben, noch von der Existenz einer konspirativen Wohnung gewußt zu haben. Unser Haus stand zu jeder Zeit kirchlichen Mitarbeitern, Behinderten, Jugendlichen und allen Christen offen, die sich bei uns zur Erholung und Gemeinschaft zusammenfanden und die wir in gutem Glauben beherbergt haben.

Unser Gemeindehaus soll auch weiterhin ein Ort des Zusammenfindens und Vertrauens sein, deshalb wenden wir uns mit Entschiedenheit gegen Gerüchte, die unseren Ruf schädigen.

Wir verlangen eine Offenlegung der Informationsquellen der ver­antwortlichen Verfasser dieser Listen und werden uns rechtliche Schritte gegen die ,,tageszeitung" vorbehalten. Sollte ein Bürger stichhaltige Beweise für eine Stasi-Mitarbeit eines Mitgliedes des Kirchenvorstands oder eines derzeitigen Angestellten des Gemeindehauses erbringen, setzen wir eine Belohnung von   5.000.00 DM aus.

Mitglieder des Kirchenvorstandes (Unterschriften)

Mitarbeiter des Gemeindehauses (Unterschriften)“.

 

Die gereizte Reaktion des Kirchenvorstandes mit der leichtfertigen „Ehrenerklärung“ zeigt mir jedoch, daß doch etwas daran ist. Ich dachte daran, daß mir ja schon einmal von Mitarbeitern des Gemeindehauses „ungeheuerliche Beschuldigungen“ (die ich gar nicht in dieser Form erhoben hatte) vorgeworfen wurden, die sich nachher als wahr herausstellten, in viel schlimmerem Maß, als ich es geahnt hatte (die Sache mit den Bananen). Es kann durchaus sein, daß die Unterzeichner die Wahrheit gesagt haben, denn die drei Täter waren nicht dabei. Manche haben sicher auch nichtsahnend und gutgläubig unterschrieben.

Mein Verdacht fiel dann - leider - auf die Schwesternstation, die ja wegen ihres starken Publikumsverkehrs sehr geeignet gewesen wäre. Schwester Irma war sowieso wegen ihrer Neugier bekannt. Und die allseits beliebte Schwester Christa war in das Mutterhaus zurückbeordert worden, um dort in der Wäscherei zu arbeiten; sie wäre im Weg gewesen. Schwester Anni aber war der Frau Waltraud Jäger in besonderer Weise verbunden, die wiederum über ihren Stiefschwager Horst Jäger Verbindungen zur Stasi hatte.

Als ich damals von der Meldung in der „taz“ hörte, sagte ich spontan: „Das kann nicht sein. Ich bin doch jeden Tag in dem Haus ein und aus gegangen, das hätte ich doch gemerkt!“ Ich vermutete eine Verwechslung mit dem Haus Karl-Marx-Straße 49, wo im Keller ein Lager der Zivilverteidigung war, oder mit dem Haus Nummer 51, wo der stadtbekannte Stasimann Alfred Zimmermann wohnte, der „Parteifreund“ (NDPD) von Erich Nothnagel.

Es wird eine Belohnung von 5.000 DM ausgesetzt für stichhaltige Beweise, worauf die Gemeindeglieder sich wunderten, daß die Kirche kurz nach der Währungsumstellung so viel Geld hat, denn man nahm an, das Geld würde dann von der Kirche und nicht von den Unterzeichnern aufgebracht. Es wurde auch rechtliche Schritte gegen die „TAZ“ angedroht, aber geschehen ist nichts; das sagt an sich schon alles.

 

Aufgeklärt wurde die Sache durch einen Brief vom 10. Oktober 2009. Herr K. R. aus Unterschönau schrieb: „Sehr geehrter Herr Heckert, mein Vater war politscher Häftling (4 Jahre Zuchthaus) während der DDR-Diktatur. Er hat mir vor seinem Tod am 11.04.2009 den Hinweis gegeben, dass im Evangelischen Gemeindehaus Dietrich Bonhoeffer, Steinbach-Hallenberg, eine konspirative Wohnung des MfS bestand. Er wurde dort verhört, wie auch der Bruder meiner Mutter, E. H., der z.Zt. in der Schützenstraße in Steinbach-Hallenberg wohnt. Außerdem bestand eine sehr enge Beziehung des Kirchenvorstandsmitglieds Erich Nothnagel mit dem Stasioffizier Alfred Zimmermann, der ihm sogar Exportmaschinen für seinen Betrieb besorgte. Nun müsste ich die 5000 D-Mark bekommen??

Mit freundlichem Gruß     gez. K. R.“

Ich antwortete am 14.10.2009. „Sehr geehrter Herr R., ganz herzlich danke ich für Ihren Brief. Ich muß auch sagen, daß ich mich sehr darüber gefreut habe. Ich nehme an, daß Ihr Vater derjenige ist, der nach der Wende eine Broschüre über sein Schicksal herausgegeben hat. Ich habe ihn auch einmal im Fernsehen gesehen. Es tut mir leid, daß er nun verstorben ist.

Ihre Nachricht ist deshalb so wertvoll, weil nun auch Augenzeugen dafür bekannt sind, daß im Gemeindehaus eine konspirative Wohnung war. Ich habe das zunächst auch nicht glauben wollen, aber es wurde mir schon damals klar, daß es so ist. Die sogenannte „Ehrenerklärung“ mit allen Unterschriften liegt mir im Original vor.

Erst jetzt hat mir mein Sohn, den ich von Ihrem Brief erzählte, eine Liste mit den konspirativen Wohnungen im Bezirk geschickt. Diese Liste wurde im Januar 1990 am Runden Tisch vom Leiter des Staatlichen Komitees zur Gegenkontrolle an die AG Sicherheit übergeben.

Daß die Liste zuverlässig ist hat sich in Jena gezeigt, wo man bis auf eine Ausnahme alle konspirativen Wohnungen gefunden hat. Auf der Liste für den Bezirk Suhl wird unter Nummer 120 aufgeführt: „Karl-Marx-Straße 47, 2. Etage, KW, KD Schmalkalden (KW = konspirative Wohnung, KD = Kreisdienststelle der Stasi).

Es wäre noch interessant zu wissen, ob Sie auch sagen könnten, in welchem Raum Ihr Vater und Onkel verhört wurden. In der Liste wird die zweite Etage angegeben. Wenn es sich nicht um eine Verwechslung handelt, wäre das nicht die Schwesternstation oder die Kirchenkasse, sondern die Hausmeisterwohnung oder ein Gästezimmer.

Was Sie über Herrn Nothnagel schreiben, ist mir bekannt. Er hat allerdings immer gesagt, diese Maschine sei ihm von seiner Partei (der NDPD) besorgt worden, ebenso wie die Reisen in den Westen. Daß Alfred Zimmermann bei der Stasi war, ergab sich schon daraus, daß er bei der 750-Jahr-Feier an der Spitze der sowjetischen „Freunde“ im Festzug mit marschierte. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Herr Nothnagel in Herrn Zimmermann nur den „Parteifreund“ sah und nicht wußte, daß er es hier mit der Stasi zu tun hatte.

Zu Ihrem letzten Satz kann ich nur sagen: Es wird schwer sein, wirklich die 5.000 Mark zu reklamieren. Ich weiß auch nicht, ob so eine „Ehrenerklärung“ rechtsverbindlich ist, vielleicht ist sie wie bei einer Wette mehr eine Ehrenschuld. Aber ich würde mich an Ihrer Stelle schon an das Pfarramt in Steinbach-Hallenberg wenden und das Geld einfordern, nicht von der Kirchengemeinde, sondern von den Unterzeichnern. Es wäre interessant zu sehen, wie sie reagieren. Aber es würde ihnen deutlich, daß es durchaus nicht so war, wie sie es immer behaupten. Ich danke Ihnen nochmals und grüße sie herzlich    Peter Heckert“.

 

Auf Nachfrage teilte Herr R. mir noch mit, daß sich die Wohnung im zweiten Stock ganz hinten rechts befunden habe. Die Männer seien damals von einem Herrn Mönch aus Brotterode verhört worden. Theoretisch könnte es sich auch um einen Raum des Rüstzeitenheims handeln, aber dann hätte auch der Hausmeister im Raum daneben etwas davon wissen müssen.

Und dann mußte sogar einer Schmiere stehen, damit nicht ein Ahnungsloser in das Zimmer kam. Auf jeden Fall müssen kirchliche Angestellte von dem allem gewußt haben. Wenn man seine Wohnung zur Verfügung stellt, mußte man diese ja verlassen. So kommt nur die Dienstwohnung des Hausmeisters in Fage. Hausmeister war damals 1985 die Familie Gießler. Herr Gießler war Bruder der Verwaltungsangestellten Waltraud Jäger, die wiederum (Halb-) Schwägerin des „IM Schiedsricher“ war, alias Horst Jäger.

Man fragt sich natürlich, weshalb die Stasi ausgerechnet auf ein kirchliches Objekt zugegriffen hat. Es gab in Steinbach-Hallenberg nur noch ein entsprechendes Objekt, nämlich in einem LVA-Objekt (Materiallager) bei der Schmiede. In der Nähe des Gemeindehauses war ja zum Beispiel das Rathaus mit vielen Räumen und einem Zimmer der Polizei, da hätte es ja auch Möglichkeiten gegeben. Aber so ein Gemeindehaus ist natürlich auch geeignet, weil da auch viele Leute ein und aus gehen. Und natürlich kann auch ein Hausmeister Besuch haben, auch von außerhalb.

Alles stimmt auch überein mit der Liste, die damals in der „taz“ veröffentlicht wurde. Diese Liste wurde im Januar 1990 am Runden Tisch von Herrn Halbritter, Mitarbeiter des Staatlichen Auflösungskomitees der Modrow- Regierung (Leiter des Staatlichen Komitees zur Gegenkontrolle) der AG Sicherheit übergeben. Diese die Liste wurde dann auf die Mitarbeiter in den einzelnen Bezirken verteilt. Von dem Verantwortlichen für den Bezirk Suhl hat unser Sohn Mrkus die Liste der konspirativen Wohnungen der Stasi erhalten. Daß die Liste authentisch ist, zeigt das Beispiel Jena, wo bis auf eine Ausnahme alle konspirativen Wohnungen identifiziert werden konnten. Auf der Liste für den Bezirk Suhl wird unter Nummer 120 aufgeführt: „Karl-Marx-Straße 47, 2. Etage, KW, KD Schmalkalden (KW = konspirative Wohnung, KD = Kreisdienststelle der Stasi).

Am 19. Oktober 2009 schrieb ich an Herrn von der Stasiunterlagenbehörde in Suhl, teilte ihm den Sachverhalt mit und fragte: „Für diese konspirativen Wohnungen gab es doch einen IMK, der sie verwaltete. Ist darüber etwas bekannt? Gibt es weitere Unterlagen zu diesen Wohnungen? Gibt es Unterlagen zu den genannten Personen?“ Die Behörde wußte, daß der zuständige GMS hatte den Decknamen „Herges-Hallenberg“ hatte, konnte aber nicht sagen, wer sich dahinter verbirgt. Dazu müßte erst ein neuer Forschungsauftrag beantragt und vergeben werden, zum Beispiel zum Thema „Konspirative Wohnungen in Steinbach-Hallenberg“.

Am 14. Oktober 2009 teilte ich dem Landeskirchenamt der Evangelischen Kirche von Kur-hessen-Waldeck den Vorgang mit, aber es erfolgte keine Reaktion. Sie wissen es also, wollen es aber nicht wissen.

 

 

 

 

 

 

 

Personalakten Peter Heckert

 

Eisenach:

Im zweiten Anlauf gelang es mir, daß ich beim Landeskirchenrat in Eisenach meine dortige Personalakte einsehen konnte. Sie war erstaunlicherweise nicht „gereinigt“ worden, sodaß mir nachträglich noch einige interessante Einzelheiten bekannt wurden:

Am 16. April 1989 schrieb Herr Nothnagel einen Brief an den Landeskirchenrat, weil ihn der Vorwurf getroffen habe, er sei an der Entfernung von Pfarrer Heckert schuld: „Den Vorsitz im Kirchenvorstand habe ich nicht aus Eigennutz übernommen“. Angeblich hat er über 150 Dienstbesprechungen durchgeführt, „um die Spannungen zwischen Pfarrer Heckert und Mitarbeitern zu mindern“

In Wirklichkeit hat er nur geschürt und erst zusätzliche Probleme heraufbeschworen. Zwar hat er zunächst aus seinem Posten keine materiellen Vorteile gezogen. Aber damals ging es ihm um die Ehre, um Ansehen, um Einfluß, um bestimmen zu können, so wie er in der Familie tat.

Herr Nothnagel fügt einen Lebenslauf bei, aus dem hervorgehen soll, aus welch christlicher Familie er kommt. Allerdings ist er dabei nicht genau, denn er hat nicht nur den Betrieb seines Vaters übernommen, sondern vor allem den seines Onkels, indem er die Situation ausnutze, als dieser im Gefängnis saß.

In der Personalakte Heckert befand sich sogar der ganze Schriftverkehr mit dem Verwaltungsleiter Hey. Dabei ging es um den Status des Dekanats innerhalb der Thüringer Kirche, die sich aus einer Bemerkung von Herrn Kirchner in einem Brief an Herrn Hey ergab, das Dekanat werde sowieso bald geschluckt (Diese Drohung Kirchners führte wiederum dazu, daß der Dekan Herrn Hey weghaben wollte). Hier mußte sich Herr Nothnagel praktisch beim Landeskirchenrat entschuldigen, weil er wiederum zu heftig reagiert hatte. Diese Sache war nachher sehr peinlich, weil Herr Kirchner als Staatssicherheit­sspitzel enttarnt war und man bestrebt war, alles unter den Teppich zu kehren. Am 19. Juli 1889 waren Pfarrer Schulte und Herr Nothnagel noch einmal beim Landeskirchenrat, um wieder über Herrn Hey zu sprechen (damals war ich längst ausgeschieden).

 

Bei den Akten war dann noch der ganze Schriftverkehr wegen der Rente mit dem Landeskirchenamt in Kassel. Da schreibt ein Herr Metzner im Auftrag des Landeskirchenrats: „Herr Heckert hat alle Versorgungsansprüche verloren und hat lediglich einen normalen Rentenanspruch. Diese Regelung gilt für alle Pfarrer, die aus dem Kirchendienst in den neuen Bundesländern aus­scheiden!“ Diese Stellungnahme antwortet nur auf das, was gefragt wurde. Es geht gar nicht darum, daß Hessen nach seinen Vorschriften nachversichern muß.

 

Bedauerlich ist auch ein Brief von Pfarrer Ulrich Lieberknecht, der mir (neben den Schwierigkeiten mit Herrn Nothnagel) im Februar 1989 beim Landeskirchenrat vorgehalten und in Auszügen vorgelesen wurde, um die Zerrüttung des Verhältnisses zu beweisen. Am 1. September 1987 schrieb Landesbischof Leich noch an Pfarrer Ulrich Lieberknecht, er habe den Eindruck, daß eine Normalisierung in Steinbach-Hallenberg allmählich durchgreift. Lieberknechts Brief zeige aber an, daß dies offenbar nicht so ist. In einem von religiösen Floskeln triefenden Brief hat Herr Lieberknecht seine tiefe Sorge um die Gemeinde Steinbach-Hallen­berg zum Ausdruck gebracht. Eine blühende Gemeinde sei durch Pfarrer Heckert zerstört worden. Ein verdientes Gemeindeglied aus Rotterode habe ihn unter Tränen gebeten, doch etwas zu unternehmen (allerdings hat Frau Döll offenbar nicht gesagt, er solle etwas gegen Pfarrer Heckert unternehmen, wie er es dann tat).

 

Am 17. August 1988 ist Dekan Schreiber der Meinung, daß die Mehrheit des Kirchenvorstandes ebenso denkt wie er, daß Pfarrer Heckert nicht zum Einlenken bereit ist. Erfragt im Kirchenvorstand hat Dekan Schreiber seine Aussage aber nicht, daß der Kirchenvorstand so denkt wie er.

 

In der Sitzung des Landeskirchenrats am 19. Dezember 1988 werden die Mitglieder Kirchner und Höser beauftragt, im Januar ein Gespräch mit Pfarrer Heckert zu führen. Dieses Gespräch mit den Oberkirchenräten wurde aber nicht geführt. Das wäre der richtige Weg gewesen. Weshalb Herr Kirchner es nicht tat, liegt auf der Hand.

 

Am 17. Januar 1989 behauptet Dekan Schreiber, die Geschäftsfüh­rung sei Pfarrer Heckert schon einmal am 17. September 1986 entzogen worden. Das stimmt nicht, denn im Gegenteil wurde mir die weitere Geschäftsführung befohlen, weil Pfarrer Peters das nicht könne.

 

 Oberkirchen­rat Kirchner hat schon im Oktober 1988 ein Gespräch über einen Stellenwechsel zugesagt. Schon damals wurde vom Dekan die Einleitung eines Verfahrens nach § 57 des Pfarrergesetzes erbeten. Im Januar 1989 wird diese Feststellung von allen Besuchern mit Nachdruck bekräftigt. Pfarrer Hoffmann: „Wir sind an dem Punkt angekommen, an dem gehandelt werden muß!“

 

Dieses Protokoll ist etwas dürftig. Es geht nicht daraus hervor, was eigentlich der Vorwurf ist. Offenbar genügten die Aussagen der drei Besucher Schreiber, Hoffmann und Nothnagel, das mit Nachdruck verlangte Verfahren zu beginnen, das aber dann doch nicht durchgeführt wurde.

Dekan Schreiber legte eine dicke Mappe vor, die aber im Wesentlichen nur den üblichen Schriftverkehr zwischen mir und dem Dekanat enthielt. Sie sollte aber beweisen, daß ich schon immer ein Querulant war. Oberkirchenrat Höser hat diese Akte durchgearbeitet. Angeblich war sie die Grundlage für den Beschluß des Landeskirchenrates, mich ohne Anhörung fristlos zu beurlauben mit dem Ziel der Strafversetzung. Aber offenbar hat die Akte in Wirklichkeit keine Rolle gespielt, in der Personalakte ist sie nicht erwähnt.

Das Min­deste wäre gewesen, die andere Seite zu hören, so ist es Gesetz und so ist es menschlich („brüderlich“). Daß der Landeskirchenrat so überstürzt handelte, lag wahrscheinlich an seiner Rücksichtnahme auf Kassel. Am 23. Januar 1989 beschloß der Landeskirchenrat einstimmig die Beurlaubung nach § 45,2 zum 1. Februar 1989.

 

In der Kirchenvorstandssitzung wird die Position von Dekan Schreiber übernommen, bei dem Schreiben von Herrn Schurig handele es sich nur um eine Rechtsauskunft, nicht um einen Beschluß des Landeskirchenrats. Aber immerhin hatte ich nicht an Herrn Schurig, sondern an den Landeskirchenrat geschrieben. Das Schreiben war von Herrn Kirchner an Herrn Schurig zur Bearbeitung übergeben worden. Dieser hat die Antwort auf Anweisung von Herrn Kirchner verfaßt. Als Empfänger des Briefes konnte ich nichts anderes vermuten, als daß es sich hier um eine offizielle Antwort des Landeskirchenrats han­delte (schon der Briefkopf zeigt das). Man muß doch annehmen, daß der Landeskirchenrat sich an Recht und Gesetz hält und nicht im Einzelfall nach Gutdünken oder auch „nach bestem Wissen und Gewissen“ auch anders entscheiden kann.

 

Herr Kirchner erhielt noch den Auftrag, Pfarrer Heckert zu einem Gespräch für den 21. Februar „vorzuladen“ (!). Am 17. Februar 1989 wird im Landeskirchenrat als Richtlinie mitgegeben, wenn es nicht zu einem Pfarrstellenwechsel oder einer Entlassung kommt, wird ein Verfahren nach § 57 des Pfarrergesetzes durchgeführt.

Es wurde dementsprechend bei dem Gespräch am 21. Februar auch gar nicht über die strittige Sache geredet, sondern es ging nur noch um Unterwerfung. Leider steht in den Akten nicht, welche Pfarrstellen angeboten werden sollten [Es war Dermbach oder die Superintendentur Dermbach]. Der Bischof schreibt auch nur, er sei gar nicht dazu gekommen, weil Pfarrer Heckert zu verbittert gewesen sei. Er sei zwar gegen Ende des Gesprächs nachdenklicher geworden, aber dabei ging es ihm nur noch einmal um eine Bedenkzeit.

 

 

Aus meiner Stasi-Akte 1994

Selbstverständlich wurde eine erste Stasi-Akte über mich angelegt bei n meinem Umzug nach Thüringen. Ich saß ja zwölf Tage bei der Stasi in Eisenach im Lager und wurde überprüft. Das war die operative Personenkontrolle.

Das erste Mal wurde ich dann wieder richtig aktenkundig und auffällig im Zusammenhang mit Pfarrer Hauskeller in Zella-Mehlis. Dieser hatte zusammen mit einer guten Band von Jugendlichen weit beachtete Jugendgottesdienste organisiert und ich hatte auch einmal mit ihm bei so einem Gottesdienst zusammengearbeitet. Deshalb ging auch mir wie einigen anderen Pfarrern Anfang der siebziger Jahre ein anonymes Schreiben zu, in dem Herr Hauskeller in seiner Arbeit angegriffen und vor allem in dem Verhältnis zu seiner Frau schlecht gemacht wurde. Auffällig war, daß in der Anschrift mein vollständiger Vorname enthalten war, wie er an sich mur den Behörden bekannt sein konnte (er stand nicht einmal im Pfarrertaschenbuch). Außerdem war alles sehr professionell gemacht: Schreibmaschinenschrift, Gedichtform, handcolorierte Karikaturen. Ich rief Herrn Hauskeller sofort an und teilte ihm meinen Verdacht mit, daß das Machwerk nur „vom Staat“ kommen könnte. Das aber soll schon genügt haben, Herrn Hauskeiler wieder innerlich aufzurichten, nachdem er schon fast am Boden zerstört war.

 

Der zweite Vorgang ereignete sich im Zusammenhang mit dem Selbstmord des Pfarrers Brüsewitz (mit Benzin übergossen aus Protest gegen die Verhältnisse im Staat), Ich schrieb einen Leserbrief an des Neue Deutschland und an die Bezirkszeitung Freies Wort. Darauf erhielt ich nie eine Antwort, weil die Briefe in Schmalkalden von der Stasi abgefangen wurden und dann in Stasikreisen in Steinbach-Hallenberg diskutiert wurden. Auch der Mathematiklehrer Gotthelf wußte davon und warnte mich und empfahl mir Vorsicht.

 

Der vorläufige Höhepunkt meiner staatsfeindlichen Handlungen war eine Äußerung in einer Predigte an die ich mich heute nicht mehr erinnern kann, die aber sicher von mir stammt. In  der Zeitung war gemeldet worden, daß in Kalkutta ein Karl-Marx-Denkmal von der DDR errichtet worden sei. Das hatte ich folgendermaßen kommentiert: „Ausgerechnet in diesem Teil der Welt - so ein Denkmal! Da hätte man das Geld lieber den armen Leuten dort geben sollen!“ Diese Äußerung brachte die Stasi im Bezirk in helle Aufregung. Sie gelangte als Beispiel bis in die Lagebesprechungen des Politbüros.

 

Es ist ganz klar, daß ich von vornherein als feindlich-negativ angesehen wurde und man auch gar keine Anstalten machte, mich für die Stasi zu werben (erst 1889 stand das im Jahresplan).

Anträge auf private Reisen in den Westen wurden mir zunächst abgelehnt, für Dienstreisen wurde ich gar nicht erst vorgesehen (eine für die USA ausgesprochene Einladung wurde einfach auf den Nachbarpfarrer übertragen).

 

Eine Kritik von staatlicher Seite kam mir nie zu Ohren, sodaß ich der Meinung war, soweit könne man sich durchaus vorwagen. Doch offenbar wurde ein operativer Vorgang eingeleitet, als ich die Neujahrsglückwünsche des Kreisratevorsitzenden zurückwies und mich über die fehlenden Reisemöglichkeiten beschwerte. Unser Sohn Markus hatte in gleicher Sache an Honecker geschrieben (nach Absprache mit der Leitung des Oberseminars und mit Billigung des Bischofs), aber unabhängig von mir und ohne mein Wissen. Für diesen (nichtöffentlichen) Brief sollte er von der Stasi in Suhl immerhin viereinhalb Jahre Gefängnis erhalten. Doch wegen seines Engagements in der Kirche hielt man es dann doch nicht für günstig, die Stasi in Berlin lehnte den Antrag der Suhler ab. Dafür wurde er dann mit einem Trick (Prüfung) aus dem Oberseminar entfernt.

Sicher war die gleiche Strafe auch für mich vorgesehen (ich säße 1991 noch!). Doch stattdessen griff man zu den bei der Stasi im ganzen Land bewährten Mitteln: Diskreditierung des öffentlichen Rufs, Organisierung beruflicher und gesellschaftlicher Mißerfolge, Erzeugung von Zweifeln an der persönlichen Perspektive, Erzeugen von Mißtrauen und gegenseitigen Verdächtigungen innerhalb von Gruppen, Verstärken von Rivalitäten innerhalb von Gruppen, gezielte Verbreitung von Gerüchten, gezielte Indiskretionen.

 

 

 

Pfarrer Nordmeyer                                      

Hallo Herr Nordmeyer,                                                                                             21.10.2016

unser Sohn Markus war bei uns zu Besuch und hat erzählt, daß Sie auch vom Kirchenkreis beauftragt waren, die Stasiakten durchzusehen. Das hat ja schon einmal Herr Bunge gemacht und dann dem Pfarrkonvent berichtet, er habe nichts Negatives gefunden, vor allem nicht bei Herrn Naumann. Seiner Frau hat er allerdings anderes gesagt, zum Beispiel, ihr Mann sei betrunken von einem Fest der Stasi heimgebracht worden (woran ich mich nicht erinnern kann). Deshalb ist es gut, wenn einmal jemand sich mit dem Thema befaßt, der von außen kommt.

Allerdings weiß der die Hintergründe nicht so wie einer, der dabei war. Das zeigt sich zum Beispiel bei IM „Gabriele“. Dahinter vermutet man ein hohes Tier im Landeskirchenamt.

Aber es ist doch ein kleineres Licht gewesen (das habe ich auch schon Herrn Dekan Gebauer am Telefon gesagt). Ich füge Ihnen den betreffenden Abschnitt einmal an.

Ich habe ja 300 Seiten zu dem Thema geschrieben. Im Pfarrkonvent hat man das nicht hören wollen, da hatte man ja Herrn Bunge, der mir entgegenarbeiten sollte. Ich habe den einzelnen Pfarrern das zugeschickt, was ich über sie geschrieben habe. Einige haben sachlich geantwortet und korrigiert oder ergänzt. Aber zwei haben mir mit Prozeß gedroht. Das wollte ich mir aber schon damals in meinem Alter nicht antun. Ich hätte ja nichts zu fürchten gehabt, denn ich habe getrennt zwischen Referat der Akten und meinem Kommentar in kursiver Schrift, und dieser Kommentar ist durch die freie Meinungsäußerung gedeckt.

So liegt mein Manuskript nun bei der Stasiunterlagenbehörde. Ich bin aber überzeugt, daß die Wahrheit ans Licht kommen wird, eine andere Generation wird alles leidenschaftsloser sehen. Ich bin auch überzeugt davon, daß die 1990 verliehene Ehrenbürgerschaft an Herrn Naumann widerrufen werden wird (so wie man in Schmalkalden schon andere Ehrenbürgerschaften widerrufen hat) und das Gemeindehaus einmal nach Pfarrer Kramer benannt werden wird.

Sie haben geäußert, daß es zu wenig sei, mir nur wieder die Rechte aus der Ordination wieder zu geben (die hat mir schon der hiesige Ortspfarrer von Anfang an gegeben). Als Bischof Hofmann das in die Hand nahm, war ja längst alles gelaufen. Aber ich hätte mir schon gewünscht, daß aus Steinbach-Hallenberg ein Signal gekommen wäre. Der Pfarrer Scholz hat das gewünscht und mich eingeladen. Man hat sich wohl gedacht, man könne stillschweigend über alles hinweggehen und damit sei es wieder gut. Aber schließlich hat man mir ja Arbeitsstelle, Beruf und Wohnung genommen und mir allein die Schuld zugeschoben. Der Landeskirchenrat hat zwar immer betont, mir sei disziplinarisch nichts vorzuwerfen, aber öffentlich hat man das nie gesagt.

So warte ich halt heute noch auf meine Rehabilitierung. Die frühere Klassenlehrerin unseres Sohnes Markus in der Grundschule hat jetzt Kontakt zu ihm aufgenommen und ihn um Verzeihung gebeten für die Behandlung, die er in der Schule erfahren hat. Sie sei damals jung gewesen und vom „Sozialismus“ überzeugt gewesen. Heute ist sie in ihrer neuen Heimat im Kirchenvorstand. Wenn doch auch einmal so ein Brief aus Steinbach-Hallenberg käme!

Ich will ja gar keine Entschuldigung. Aber der heutige Kirchenvorstand könnte wenigstens ein Wort des Bedauerns finden. Und die kurhessische Kirche könnte das Predigtverbot gegen mich im Kirchenkreis Schmalkalden aufheben (obwohl ich ja sowieso nicht vorhatte, dort zu predigen und das durch die Aberkennung der Ordinationsrechte ja sowieso nicht möglich war).

Ich hätte ja Verständnis dafür, daß mit dem „guten Verhältnis von Staat und Kirche“ vor allem die Westreisen der Pfarrer gemeint waren und auch ein Herr Nothnagel froh war, daß er in zwei Monaten dreimal in den Westen durfte (um seinen Bruder für die Stasi zu werben).

Ich habe die Sache von Anfang an ruhig angegangen und habe nach vorne geschaut. Aber so ganz abschütteln kann man die Vergangenheit doch nicht.

Nur in einem Punkt bleibt eine kleine Bitterkeit: Wäre ich im Januar 1989 zur Stasi gegangen und hätte meine Dienste angeboten (sie haben mich ja in diesem Jahr anwerben wollen!), die kirchlichen Vertreter hätten alle Maßnahmen abgebrochen und ich wäre weiter als Pfarrer in Steinbach-Hallenberg geblieben. Die Gemeinde war ja gut versorgt (im Gegensatz zu der Zeit danach), obwohl ich in fünf Jahren den anderen Kollegen rund zwei Jahre vertreten mußte.

Wenn Sie Interesse haben, könnten wir uns über das Eine oder Andere noch etwas austauschen. Im Internet habe ich übrigens unter „peterheckert.de“, Ausflugsziele Thüringen, auch etwas zum Thema geschrieben (vorerst das Einzige auf der Seite, aber da soll mehr rein).

Viele Grüße  Peter Heckert   (Hier noch der Teil über IM  „Gabriele“).

 

 

Allgemeines

 

Zuverlässigkeit der Quellen

Es wird immer wieder behauptet, die Stasi-Akten seien nicht zuverlässig. Aber auf ihnen steht jedenfalls eindeutig, ob der Betreffende nur Opfer der Stasi war oder Mitarbeiter. Gegen ihre Veröffentlichung sind nur Die, die dabei waren und etwas zu verbergen haben. Ich habe jedem Pfarrer habe ich den Teil meiner Arbeit zugeschickt, der ihn betrifft, zur Korrektur und Ergänzung oder überhaupt zur Stellungnahme. Besonders das Beispiel von Pfarrer Penckert (und auch anderer) zeigt, daß der „Protokollant“ Möschter manches falsch verstanden hat oder so wiedergegeben hat, wie es ihm in die Linie paßte. Vor allem merkt man immer wieder die Tendenz, Dinge als „feindlich-negativ“ zu werten, die gar nicht so gemeint waren. Die Beschwerden über die Behandlung der Christenlehrekinder in der Schule waren kein Kampf gegen den sozialistischen Staat. Die Kleinigkeiten, die man aus damaliger oder auch heutiger Sicht korrigieren muß, ändern nichts daran, daß Herr Möschter nicht die Dinge frei erfunden hat, sondern seine Aufzeichnun­gen im Wesentlichen den Tatsachen entsprechen.

 

Die Antworten der Pfarrer auf meine Ausführungen:

Herr Penckert sagt zu den Aufzeichnungen, den Ausdruck „Kommunisten“ habe er nicht gebraucht, sondern immer nur von Maßnahmen des Staates gesprochen. Er wollte seine Kinder nicht so erziehen, daß sie eine positive Haltung zum Staat einnehmen, sondern daß sie in der DDR ihren Weg gehen können. Finanzielle Probleme zwischen politischer und kirchlicher Gemeinde habe es nicht gegeben, die Gemeinde sei ihren finanziellen Verpflichtungen nachgekommen (vielleicht ging es um die Staatsleistungen im ganzen Dekanat).

Vom Schuldirektor Gärtner habe er keinen Stundenplan bekommen. Herr Gärtner hat alles versucht, die Kinder vom Besuch der Christenlehre abzuhalten und hat es abgelehnt, den Pfarrerssohn zur Erweiterten Oberschule zu delegieren (vielleicht hat aber ein einzelner Lehrer einen Stundenplan übergeben).

 

Pfarrer Schulte behauptet heute, er habe bei der Friedensdekade 1987 und 1988 sich kritisch zum Staat geäußert. Das ginge aus der Akte Möschter hervor, die von mir nicht richtig ausgewertet worden sei. Doch die Kopien liegen mir vollständig vor. Im Jahr 1987 heißt es nur: „Bei der Friedensdekade 1987 trat nur Pfarrer Heckert offen mit einer Konfron­tationsstellung auf!“ Von Oberschönau wird nur berichtet, daß an einer Veranstaltung der Friedensdekade 20 Personen teilnahmen, darunter 15 Konfirmanden. Im Jahr 1988 wird nur aus einem Gebet aus dem vorgegebenen Arbeitsmaterial zur Friedensdekade zitiert: „Gib uns die Kraft, dann sind wir stärker als alle Ideologien der Welt!“ Daraus einen entschiedenen Widerstand gegen den Staat herauslesen zu wollen, wie ihn andere Pfarrer geübt haben, ist doch etwas gewagt. Die Bemerkung, daß über kritische Äußerungen Pfarrer Schultes nichts bekannt wurde, ist von Herrn Möschter, aber eine durchaus zutreffende Einschätzung.

Er sagt selber, daß er „loyal“ gewesen sei im Sinne von „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist“. Er habe - wie viele der Kollegen auch - Spielräume für die Gemeinde gesucht im Sinne der Devise „Kirche im Sozialismus“. Er habe es auch für besser gehalten, sich in der DDR für Veränderungen einzusetzen statt wegzugehen. Auch habe es auf die Gemeindeglieder einen schlechten Eindruck gemacht, wenn kirchliche Mitarbeiter in den Westen gegangen sind und die Gemeinde mußte da bleiben. Aus dem Dekanat Schmalkalden ist allerdings vor der Wende keiner in den Westen gegangen mit Ausnahme des Verwaltungsleiters Hey, der nicht zuletzt auch durch das Handeln Pfarrer Schultes verdrängt wurde.

Mir wirft Herr Schulte vor, meine Arbeit sei tendenziös, weil sie Stasiberichte mit eigenen Wertungen vermische. Doch der Hauptteil der Ausarbeitung besteht aus einer Nacherzählung der Akten, geordnet nach Sachthemen. Wenn man sozusagen als Vorzeichen vor die Klammer noch die Bemerkung setzt: „Bedenken Sie, daß es sich hier um die Aufzeichnungen von Staats­sicherheitsmitarbeitern handelt, die in einem gewissen Sinne gefärbt sind!“ wird man dagegen nichts sagen können.

Der Leser kann sich sicher aus der Wiedergabe der Aufzeichnungen ein eigenes Bild machen. Auch wenn man die Übertreibungen und das Wunschdenken abzieht, wird doch sehr gut deutlich, wer Gegner, Mitläufer und Mittäter war. Erläuterungen und Kommentare von mir sind deutlich durch ein anderes Schriftbild (kursiv) gekennzeichnet. Da bleibt es jedem unbenommen, andere Folgerungen zu ziehen. Sicher darf man die Aufzeichnungen der Staatssicherheit nicht als die reine Wahrheit nehmen. Aber sie geben doch ein deutliches Bild der Verhältnisse. Über Einzelheiten wird man streiten können, aber die Tendenz wird doch deutlich.

 

Pfarrer von Frommannshausen will mir die Nennung seines Namens verbieten, auch die Nennung von Namen von Gemeindegliedern. Was die Gemeindeglieder angeht, ist das klar. Allerdings muß man sich schon fragen, weshalb sie angeblich ihren Namen nicht genannt wissen wollen. Schließlich werden sie ja - im Gegensatz zu dem Pfarrer - positiv dargestellt. Oder hat er ihnen etwas anderes gesagt, als ich dargestellt habe? Hat er ihnen meinen Entwurf gezeigt oder nur selber darüber berichtet? Aber weshalb sollte man den Namen eines Pfarrers verschweigen, der doch eine Person des öffentlichen Lebens ist und als Synodaler ausdrücklich im Gesetz über die Unterlagen der Staatssicherheit von einem besonderen Schutz ausgenommen ist.

Wenn ich nur die betreffende Gemeinde nenne, kann sowieso jeder Leser auf den Namen schließen, so wie ich das auch gemacht habe. Wenn ich aber nur schreibe: „In einer Gemeinde des Dekanats ist folgendes passiert,“ dann besteht die Gefahr von Fehlschlüssen beim Leser. Es gab ja durchaus Unterschiede im Verhältnis der einzelnen Pfarrer zum Staat.

Herr Frommannshausen sagt, er habe niemals Gespräche mit der Staatssicherheit geführt, sondern immer nur mit dem Vertreter des Kreises, der für Kirchenfragen zuständig war. So blauäugig kann man bei allem Wohlwollen nicht sein. Jeder DDR-Bürger mußte bei Gesprächen mit Vertretern des Staates damit rechnen, daß seine Aussagen an die Staatssicherheit weitergeleitet werden. Am Telefon und in Briefen mußte man sich vorsehen, zu Recht, wie die Akten heute zeigen.

Im Falle von Herrn Möschter aber war bekannt, daß er inoffizieller Mitarbeiter war, in der Pfarrkonferenz ist darüber gesprochen worden. Außerdem war bekannt, daß generell die Referenten für Kirchenfragen nicht dazu da waren, die Kirche zu unterstützen, sondern sie sollten der Kirche die staatlichen Auffassungen und Anliegen vermitteln und erläutern und sie sollten die Kirche aushorchen und ihren Einfluß eindämmen.

Aber auch unabhängig davon kann ein Pfarrer das nicht weitersagen, was ihm in Ausübung seines Amtes bekannt geworden ist. Das ist einer der vier Punkte, die jeder Pfarrer bei der Ordination versprechen muß. Er darf diese Dinge nicht einmal seiner Frau, auch nicht einem anderen Pfarrer und schon gar nicht staatlichen Stellen weitersagen (auch nicht in einem demokratischen Staat). Wenn ein Gemeindeglied, das einen Ausreiseantrag erwägt, zum Pfarrer kommt und sich mit ihm vertraulich darüber beraten will, dann fällt das unter das Amtsgeheimnis oder Beichtgeheimnis. Er wurde ja nicht als Bürger Soundso angesprochen, sondern als Pfarrer, der unter dem Schweigegebot steht.

Wenn sein Name der Staatssicherheit (oder genauer gesagt einem Vertreter des Staates - aber letztlich macht das keinen Unterschied) gemeldet wird, dann besteht natürlich die große Gefahr, daß dem Betreffenden dadurch Nachteile entstehen (vor allem Sanktionen am Arbeitsplatz).  Eine solche Meldung ist besonders schlimm, wenn der Betreffende - wie wohl in dem einen namentlich bekannten Fall - letztlich gar keinen Antrag gestellt hat und noch heute in Schmalkalden wohnt. Da kann man sich als Pfarrer nicht damit herausreden, man habe doch nur das Beste für den Betreffenden gewollt und ihn vor unbedachten Schritten bewahren wollen. Dann hätte man damals den Betreffenden fragen müssen, ob er damit einverstanden ist, daß man mit staatlichen Stellen über den Fall spricht.

 

Wie anders man mit Antragstellern umgehen konnte, zeigt mein eigenes Verhalten. In einem Fall kam eine Frau zu mir, die einen Finnen heiraten wollte und eine Art Melde-Bescheini­gung brauchte, damit die finnischen Behörden sich für sie einsetzen. Ich mußte ihr sagen, daß ich eine solche Bescheinigung auf Anordnung des Staates nicht ausstellen darf. Wäre sie aber damit zum Staat gegangen, hätte man die Sache sofort hintertrieben. Ich fand jedoch eine Lösung, die typisch für DDR-Verhältnisse war: Ich stellte der Frau eine Patenbescheinigung aus, so als ob sie in Finnland hätte Patin werden wollen. Darauf vermerkte ich auch die Namen der

Eltern, obwohl das bei einer Patenbescheinigung nicht üblich war, aber für die finnischen Behörden erforderlich war. Als diese Bescheinigung dann aber durch staatliche Maßnahmen unbrauchbar gemacht wurde, habe ich erneut eine Patenbescheinigung ausgestellt, die dann zum Erfolg führte.

In einem anderen Fall bat mich eine Frau um Rat, deren Mann von einer Besuchsreise in den Westen nicht zurückgekehrt war. Im Bus setzte sich niemand neben sie, obwohl Leute stehen mußten, weil man Angst hatte, durch Kontakt mit „Antragstellern“ selber Nachteile zu haben.

Eine Nachbarin durfte zum Beispiel nicht in den Westen reisen, weil sie den Namen der Antragsstellerin am Telefon genannt hatte. Man wollte die Frau und ihre Tochter nach langem Hin und Her ausreisen lassen, aber der siebzehnjährige Sohn sollte dableiben, weil er noch keinen Wehrdienst geleistet hatte. Ich riet der Frau, auf dem Antrag zu beharren, denn wenn erst einmal der größte Teil der Familie drüben wäre, könnte man auch dem Sohn die Ausreise nicht verwehren. Er war ja fast erwachsen und wäre selbst zurechtgekommen, notfalls boten wir auch unsre Hilfe an. Die Frau hielt ihren Antrag aufrecht. Sie durften dann alle kurz vor Weihnachten ausreisen. Man hatte nur testen wollen, wie ernst sie es mit dem Antrag meint. Das war ja auch das Hauptanliegen in den Fällen der Ärzte, die drüben geblieben waren und zu denen die Staatssicherheit zwei Pfarrer als Kundschafter schickte (diese berichteten vor allem darüber, ob es mit dem Antrag noch ernst sei).

Ich war der Meinung, jeder Pfarrer hätte einem Antragsteller so weitergeholfen, wie ich mich bemühte das zu tun. Jetzt mußte ich erfahren, daß man Gemeindeglieder auch dem Staat und damit der Staatssicherheit ausliefern konnte, daß man Vertrauen mißbrauchte und die Menschen im Auftrag der Staatssicherheit aushorchte. Dabei bestand die große Gefahr, daß man ihnen nicht half - wie behauptet wurde -, sondern ihnen schadete.

 

Mitte der neunziger Jahre hat man bei der Kirche gewußt, daß ich an dem Thema arbeite. Deshalb hat man doch extra Herrn Pfarrer Bunge darauf angesetzt, an der gleichen Sache zu arbeiten, um ein Gegengewicht zu mir zu schaffen. Herrn Bunge wurden die gleichen Unterlagen wie mir vorgelegt. Aber in der Pfarrkonferenz hat er nur berichtet, es sei alles in Ordnung, es sei niemand belastet. Laut Steffen Naumann hat er „alles Negative und Erlogene der Akten unreflektiert in ein Extrakt presste und dies mit offensichtlichem Vergnügen dem damaligen Thüringer Landesbischof Hoffmann, meiner Mutter und mir präsentierte. Entwürdigend. Dazu könnte ich noch einen ganzen Aufsatz schreiben, besser nicht!“

Ich habe auch gehört, Herr Bunge habe Frau Naumann im spöttischen Ton berichtet, ihr Mann sei nach einer Feier mit der Stasi im Gasthaus Ehrental mit einem Schubkarren nach Hause gefahren worden. Ich kann mich nicht erinnern, einen solchen Vorgang in den Akten gelesen zu haben (die Feier schon). Das ist so eine Wandererzählung, die auch anderen Pfarrern unterstellt wird (zum Beispiel dem Pfarrer Detzner in Oberschönau). Und selbst wenn es so gewesen wäre, erzählt man nicht ausgerechnet so etwas der Witwe. Ich verstehe nicht, weshalb Herr Bunge einmal so und einmal so geredet hat.

 

Zu den Argumenten von Herrn Bunge ist zu sagen: Auch er kann kein objektives Bild der Vorgänge liefern. Der subjektive Faktor spielt immer mit und muß eingerechnet werden. Herr Bunge hatte vom Dekanat den klaren Auftrag, ein Gegengewicht zu meiner Arbeit zu schaffen, von der man offenbar nichts Gutes für den Kirchenkreis erwartete. Als Angestellter der Kirche muß er - bewußt oder unbewußt - auf die Kirche Rücksicht nehmen. Das Kompliment, als Theologe müßte man gelernt haben, wie man mit Quellen umgeht, kann ich ihm zur zurückgeben: Auch er arbeitet nicht „objektiv“, sondern als Redaktor. Das fängt schon mit der Auswahl des Materials an. Da kann man Bestimmtes betonen und Anderes ausblenden, gar nicht einmal bewußt, sondern objektiv gar nicht anders möglich. Doch ich habe mich bemüht, die Aufzeichnungen möglichst wortgetreu wiederzugeben.

 

Meine Hauptarbeit war nur das Ordnen nach bestimmten Themen. Ich behaupte nicht, die „Wahrheit“ darzustellen, sondern nur das, was die Staatssicherheit aufgeschrieben hat. Ein Urteil darüber muß sich der Leser selber bilden. Mein Manuskript ist nicht auf der Bewertung einzelner Personen aufgebaut. Das sah jetzt nur so aus, weil ich nur diesen Teil versandt habe. Schwerpunkt sind aber große Themenbereiche wie Umweltgruppe oder Christenlehre. Im Vordergrund steht nicht die Kritik an manchen Pfarrern, sondern der Bericht vom tapferen Kampf einer ganzen Zahl kirchlicher Angestellter und Gemeindeglieder gegen Übergriffe des Staates in den kirchlichen Bereich und das Eintreten für selbstverständliche Menschenrechte. Die Angst vor persönlichen Nachteilen haben sie dabei hintenan gestellt.

Bedauerlich ist dabei, daß sie auch gegen die kirchliche „Leitung“ und eigene Kollegen in der Kirche kämpfen mußten. Wie anderswo auch hat der Staat die kirchlichen Vorgesetzten dazu benutzt, mißliebige „Amtsträger“ zu „disziplinieren“. Insofern konnte ich mich nicht auf die Aufklärung des eigenen Schicksals beschränken, wie das Herr Gerstenberger verlangt hat. Erst durch die Darstellung des Verhaltens der anderen Pfarrer wird deutlich, wie sehr einige Pfarrer sich von den anderen unterschieden und deshalb als Fremdkörper ausgeschieden werden sollten, zunächst Herr Hülsemann, dann ich und schließlich Herr Krahmer (eventuell wäre danach Herr Hauser dran gewesen, wenn der Staat es verlangt hätte).

Deshalb muß auch (schon um der Wahrheit willen) berichtet werden von denen, die die Kirche und ihre Gemeindeglieder verraten haben, wie ich meine aus Angst vor persönlichen Nachteilen (d.h. sie versprachen sich Vorteile bei der Erteilung dienstlicher Reisegenehmigungen). Ob diese Angst begründet war, sei dahingestellt. Aber immerhin hat Herr Hauser abgesehen von seiner Anfangszeit keine Genehmigung mehr erhalten, Herr Manfred Schreiber aber sehr wohl. Und die Einladung eines amerikanischen Pfarrers an mich zum Gegenbesuch wurde schon beim Landeskirchenrat in Eisenach auf Pfarrer Schulte in Oberschönau umgepolt. Dafür mußte er sich mit Wohlverhalten dankbar erweisen.

 

Die Haltung Herrn Bunges:

Herr Bunge schreibt, durch meine Arbeit hätte ich mich weit von den (ehemaligen) Kollegen entfernt. Früher wurde das Wort „Kollege“ von den Pfarrern abgelehnt, wenn ich es verwendete anstelle des bei vielen Pfarrern üblichen „Bruder“. Man wollte nicht Kollege sein, wie es im Sprachgebrauch der DDR üblich war (den hatte ich allerdings nicht im Blick, sondern die kirchliche Praxis in früherer Zeit). Hat Herr Bunge vergessen, daß ich schon Anfang 1987 aus dem Kreis der Kollegen ausgestoßen wurde, als die Pfarrkonferenz sich wegen meines kritischen Briefes an den Kreisratsvorsitzenden in einem Brief an den Kreisrat von mir distanzieren wollte? Wenn ich mich recht erinnere war es damals vor allem Herr Bunge, der diesen Vorschlag von Pfarrer Krahmer (ausgerechnet er!) verhinderte. Dennoch wurde später noch einmal der gleiche Antrag gestellt und wiederum von einer knappen Mehrheit abgelehnt. So wie man sich von den Vorgängen in Berlin distanzieren wollte, so wollte man auch mit meiner staatskritischen Haltung nichts zu tun haben und dem Staat Loyalität signalisieren, damit man keine Nachteile hatte,

Das Stichwort „gutes Verhältnis zwischen Staat und Kirche im Dekanat“ wurde immer von den staatlichen Stellen bzw. der Staatssicherheit ins Spiel gebracht, wenn man mit Drohungen etwas erreichen wollte, zum Beispiel die Disziplinierung eines kirchlichen Mitarbeiters oder die Verhinderung von Aktionen oder staatskritischen Beschlüssen. Das Stichwort wurde aber auch von kirchlicher Seite benutzt, um die Loyalität gegenüber dem Staat zu betonen. Es gab kein gutes Verhältnis, die Kirche wurde unterdrückt, wo es nur ging. Kleinere Erleichterungen, die nur erreicht werden konnten, weil die Kirchenleitungen etwas „ganz oben“ erreicht hatten, wurden von der Kirche vor Ort als große Erleichterung ausgewertet (Gottesdienst im Altenheim).

Aber in Wirklichkeit waren das nur Brosamen im Vergleich zu einem wirklich partnerschaftlichen Verhältnis, wie es im demokratischen Staat üblich ist. Aber in der Kirche meinte man schon, sich für die kleinen Erleichterungen bedanken zu müssen. Man machte sich vor, damit sei das Verhältnis in Ordnung, weil man sich wünschte, daß es keine Konfrontation geben sollte. Man wollte auch einmal Ruhe haben - ein verständlicher Wunsch. Andere wollten mehr, auch wenn das Unruhe machte. Doch diese wurden nicht vom Staat zur Strecke gebracht, sondern von der Kirche. Meine Gegner waren nicht nur die staatlichen Stellen, sondern in erster Linie waren sie auf kirchlicher Seite.

Herr Bunge hat sich an die Kirchenleitungen in Kassel und Eisenach gewandt und sich über mein Vorhaben beschwert. Damit versucht er genau das, was auch die Staatssicherheit versuchte, nämlich über kirchliche Vorgesetzte eine Disziplinierung zu erreichen. Nur vergißt er dabei, daß dies keine Vorgesetzten mehr sind. Das ist vorbei, denn auf meine Empfehlung, mich bei der Kirche wieder anzustellen, damit ich mundtot gemacht werde, ist man ja nicht eingegangen.

Deshalb droht Herr Bunge auch gleich noch zweimal mit juristischen Schritten. Doch er müßte wissen, daß mir solche Drohungen noch nie imponiert haben. Außerdem vergißt er, daß noch gar nichts geschehen ist. Nicht i c h verbreite Erkenntnisse in der Öffentlichkeit, sondern kirchliche Stellen: Wenn Herr von Frommannshausen mit Gemeindegliedern spricht, sorgt er für Verbreitung der Sache (wenn auch nicht unbedingt sachlich richtig). Wenn Herr Bunge sich an die Kirchenleitungen wendet, macht er sie damit darauf aufmerksam, daß da etwas ist. Sollte man sich von dort an mich wenden, würde ich die Gelegenheit ergreifen, den gesamten Text zu übersenden, weil man nur so sich ein Bild machen kann.

Herrn Bunge hat man doch darauf angesetzt an der gleichen Sache zu arbeiten, um ein Gegengewicht zu mir zu schaffen. Herrn Bunge wurden die gleichen Unterlagen wie mir vorgelegt. Aber in der Pfarrkonferenz hat er nur berichtet, es sei alles in Ordnung, es sei niemand belastet. Laut Steffen Naumann hat er „alles Negative und Erlogene der Akten unreflektiert in ein Extrakt presste und dies mit offensichtlichem Vergnügen dem damaligen Thüringer Landesbischof Hoffmann, meiner Mutter und mir präsentierte. Entwürdigend. Dazu könnte ich noch einen ganzen Aufsatz schreiben, besser nicht!“ Er hat Frau Naumann im spöttischen Ton berichtet, ihr Mann sei nach einer Feier mit der Stasi im Gasthaus Ehrental mit einem Schubkarren nach Hause gefahren worden. Ich kann mich nicht erinnern, den Vorgang gelesen zu haben (die Feier schon). Das ist so eine Wandererzählung, die auch anderen Pfarrern unterstellt wird (zum Beispiel dem Pfarrer Detzner in Oberschönau). Und selbst wenn es so gewesen wäre, erzählt man nicht ausgerechnet so etwas der Witwe.

 

Noch ein Wort zu der Zuverlässigkeit der Quellen. Nicht jede Aussage muß durch ein Dokument belegt sein. Manche bezweifeln den Wahrheitsgehalt von Stasi-Unterlagen sowieso generell. Es bleiben auch bei den Suhler Unterlagen nach meiner Ansicht noch vier Fragen offen. Wenn man dazu nicht die ehemaligen hauptamtlichen Stasileute fragen will, so kann man doch die kirchlichen Leute fragen. Wenn sie es ernst meinen mit der Bewältigung der Vergangenheit, werden sie heute dazu stehen. Es drohen ihnen ja keine Konsequenzen (keiner wird einen Brief der Kirchenleitung im Briefkasten finden, daß er zwangsversetzt wird). Aber man muß halt darüber reden.

Ich denke, daß dies aber jetzt erst einmal die Aufgabe des Dekans ist. Was ein Gespräch mit Herrn Bunge und mir bringen sollte, sehe ich nicht. Ich denke, der Dekan müßte erst einmal mit jedem Pfarrer einzeln sprechen, wie er sich zu seiner Vergangenheit stellt.

Und wenn es etwa um die Verdienstmedaille für Herrn Schreiber geht, dann braucht man nur die Leute im Kirchenkreisvorstand befragen, die ihm abgeraten haben, (oder das Protokoll der Sitzung heranzuziehen). Alles werden wir sowieso nicht klären können. Wir könnten aber vieles klären, wenn die Betreffenden dafür offen wären. Auch in ihrem eigenen Interesse wür­de ich es für gut halten, wenn ihnen Gelegenheit zum Gespräch gegeben würde und Ängste damit genommen würden.

Der Sänger Billy Joel, Enkel des jüdischen Wäschefabrikanten Karl Joel, dessen Besitz Josef Neckermann übernommen hat, sagte: „Man muß die Dinge im Gedächtnis behalten, aber ohne Haß und Bitterkeit, sonst behalten doch diejenigen noch die Überhand, die Zweitracht säen wollten“.

 

 

Kirche in der sogenannten DDR

Als der Osten Deutschlands von der Sowjetunion besetzt wurde, da atmeten die Kirchen dort zunächst auf. Sie hatten gerade zwölf Jahre einer Diktatur hinter sich und hofften auf eine ungestörte Religionsausübung als anerkannter Partner des Staates. In der schlimmen Nazizeit hatte man „überwintert“ (so ein offizieller Ausdruck), jetzt hoffte man auf einen neuen Frühling.

Diese Hoffnung wurde aber spätestens zerschlagen, als man 1953 (das Jahr des Volksaufstandes) gegen die „Junge Gemeinde“ vorging. Die kirchlichen Jugendgruppen wurden auf einmal als eine feindliche Organisation angesehen, die Jugend sollte allein in der „Freien Deutschen Jugend“ organisiert sein. Man war der Meinung, die FDJ-Arbeit werde erst dann gut, wenn es keine kirchliche Jugendarbeit mehr gibt. Dabei überschätzte man aber das Wirken der Kirche erheblich.

Die Kirchenleitungen merkten jetzt auch, daß ein anderer Wind wehte. Wie sollten sie sich verhalten? Die Versuchung war groß, wieder ein Überwintern zu versuchen nach dem Motto des hannoverschen Landesbischofs: „Bisher hat die Kirche noch alle ihre Gegner beerdigt!“ Die andere Möglichkeit war, sich dem kommunistischen Regime anzupassen, wie das der thüringische Landesbischof Mitzenheim versuchte. Dieser „Thüringer Weg“ wurde aber von den anderen Kirchen mißtrauisch beäugt. Doch der Staat suchte sich mit Vorliebe den thürin­gischen Landesbischof als Gesprächspartner aus, zum Beispiel 1964 bei dem „Wartburggespräch“, als Walter Ulbricht die Erlaubnis zu Westreisen für Rentner verkündete.

Im Jahre 1968 trat nach einer Volksabstimmung eine neue Verfassung in Kraft. Diese garantierte dem Buchstaben nach der Religionsfreiheit: Wer so rückständig sein wollte, daß er am christlichen Glauben festhielt, der sollte das tun können (aber sich nicht wundern, wenn er beruflich kaltgestellt wurde). Die Kirchenparagraphen wer Weimarer Verfassung wurden sogar indirekt bestätigt: Der Staat führte weiterhin die allgemeinen Staatsleistungen an die Kirche ab und auch die Gemeinden kamen ihrer Baulastverpflichtung an kirchlichen Ge­bäuden nach. Die theologischen Fakultäten an den Universitäten bestanden weiter und wurden auch mit internationaler Literatur ausgestattet. Es gab Kirchenzeitungen und christliche Verlage (auch wenn die Bücher der Zensur vorgelegt werden mußten und hin und wieder eine Zeitungsausgabe nicht ausgeliefert werden durfte).                   

Aber die allgemeine Tendenz war doch, daß die Kirche aus dem öffentlichen Leben verdrängt werden sollte: Nur selten gab es Berichte über kirchliche Ereignisse in den öffentlichen Medien, die Kultur sollte allein Sache des Staates werden (alle Konzerte mußten einen kirchlichen Bezug haben), der Religionsunterricht wurde aus der Schule verbannt (auch wenn er nur von kirchlichen Kräften erteilt wurde), die Herausgabe von Druckerzeugnissen wurde eingeschränkt. Die Aufgaben der Bahnhofsmission (der man Spionage vorwarf) wurden vom Roten Kreuz übernommen.

Anfangs meinte man auf Seiten des Staates, man könne auch Führungskräfte in Wirtschaft und Gesellschaft verzichten, wenn sie nicht Angehörige der SED waren. Nachher setzte man die Führungskräfte unter Druck, der Partei beizutreten und damit aus der Kirche auszutreten. Die einzige Rettung (und ihre alleinige Existenzberechtigung) war dann die CDU, weil man dort keinen Kirchenaustritt fordern konnte; aber dann konnte man auch keine Spitzenposition einnehmen. Die Allein auf karikativem Gebiet ließ man die Kirche noch etwas mitarbeiten: Es gab weiterhin kirchliche Krankenhäuser (auch weil diese vom Westen mit Medikamenten und Geräten versorgt wurden). Es gab kirchliche Kindergärten, aber keine Schulen. Vor allem aber überließ man den Kirchen die Alten und geistig Eingeschränkten, die man sowieso nicht für den Aufbau des Sozialismus gewinnen konnte.

 

Wenn von kirchlicher Seite angeregt wurde, man solle doch gemeinsam für Frieden und Fortschritt kämpfen, dann hieß es: „Der Atheismus ist die Speerspitze des Sozialismus. Wir achten zwar das religiöse Bekenntnis des Einzelnen, aber der Staat muß sozialistisch und damit atheistisch sein, sonst funktioniert die Gesellschaft nicht. Religion ist eine vorübergehende Angelegenheit, die mit der Weiterentwicklung der Sozialismus verschwindet!“ Das war an sich der Fehler, daß man den Atheismus zur Staatsdoktrin machte. Dabei war der Staat an  sich nicht atheistisch, denn die Verfassung garantierte ja die Religionsfreiheit. Aber die allein führende Partei war atheistisch, und das wirkte wie ein Staatsziel.

 

Dabei kannte man „Religion“ gar nicht aus eigener Anschauung, sondern nur aus den Werken von Karl Marx (bzw. den Schulungen darüber). Man meinte immer noch, es mit der Kirche des beginnenden 19. Jahrhunderts zu tun zu haben, anstatt die gegenwärtige Kirche einmal wahrzunehmen. Erich Honecker hatte das erste Mal Kontakt mit der Kirche, als er im Rah­men einer Delegationsreise im Flugzeug zufällig neben einem Bischof zu sitzen kam und mit diesem ein ihn interessierendes Gespräch führte.

 

Margot Honecker, die Frau des Staatsratsvorsitzenden verfolgte als Volksbildungsministerin einen sehr radikalen Kurs. Sie führte nicht nur den Wehrkundeunterricht ein, der viele christliche Schüler in Gewissenskonflikte brachte (bis man ihnen zugestand, nicht an der Schießausbildung teilnehmen zu müssen). Vor allem wurde ab 1972 der Druck auf die Schüler massiv erhöht, nicht zum kirchlichen Unterricht zu gehen und „nur Jugemndweihe“ zu machen. In den Klassen wurden an der Tafel ge naue Liosten aufgestellt, wer zur Jugendweihe und wer zur Konfirmation geht. Auf Proteste der Kirche hin wurde das dann geändert und nur noch danach gefragt, wer „nur Jugendweihe“ macht (was an der unerlaubten Befragung ja auch nichts änderte).

Besonders in Gegenden mit einem hohen Anteil an Christenlehrekindern mußten die Pfarrer sich ständig bei der Abteilung Inneres des Rates des Kreises beschweren (zum Kreisschulrat wurden sie nicht vorgelassen, selbst wenn sie als Eltern sich beschweren wollten). Es wurde den Schülern angedroht, sie würden nicht zur Erweiterten Oberschule (Gymnasium) zugelassen, wenn sie an der Konfirmation teilnähmen. Wer aber standhaft blieb, der kam doch auf die Oberschule, hatte aber auch dort weiterhin seinen Kampf.

Die Kirchen mußten natürlich auch eine Haltung zur Jugendweihe finden, die ja eine Konkurrenzveranstaltung zur Jugendweihe war. Eine Reihe von Kirchen konfirmierte erst ein Jahr später. Andere wiederum waren der Meinung: „Seit die Jugendweihe zu einer schulischen Zwangsveranstaltung wurde, ist sie kein Bekenntnis mehr gegen die Kirche!“ Es war besser, die Jugendweihe nicht ernst zu nehmen, vor allem wenn die Konfirmanden unmittelbar nach der Jugendweihe noch zum Gottesdienst kamen.

Die Kirchen beriefen sich in diesen Auseinandersetzungen immer wieder auf die Verfassung der DDR und auf die Schlußakte der „Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit“ aus dem Jahre 1975 in Helsinki. Auch der Ruf nach Reisefreiheit und Demokratisierung wurde immer mehr laut.

Der Druck auf die christlichen Schüler wurde 1978 schlagartig abgestellt, auch wenn es in einigen Gebieten etwas länger dauerte, weil die Parteifunkjtionäre den neuen Kurs noch nicht glauben wollten. Es gab 1978 nämlich ein Spitzengespräch zwischen Staatsvertretern mit Erich Honecker an der Spitze und Vertretern des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR. Den „Bund“ hatte man gegründet, weil die gemeinsame Arbeit der deutschen Kirchen in der „Evangelischen Kirche in Deutschland “ von Seiten des Staates praktisch unmöglich gemacht wurde.

Auf kirchlicher Seite bildete sich immer mehr der berlin-brandenburgische Bischof Schönherr

als Leiter der Gespräche mit dem Staat heraus. Zunächst war er nur Verwalter des Bischofsamtes im Ostteil der Landeskirche. Nachher aber fand man die Lösung, daß die Landeskirche zwei Bischöfe haben sollte.

Nach dem Spitzengespräch entspannte sich die Lage: Die Kinder in der Schule wurden weit­gehend in Ruhe gelassen, die Kirche durfte wieder in den Altersheimen ihre Gottesdienste halten, kirchliche Bauvorhaben wurden genehmigt (auch wenn zum großen Teil mit Devisen aus dem Westen finanziert). In Erfurt fand zum Beispiel ein Kirchentag mit über 30.000 Teilnehmern statt. Man konnte den Wehrdienst bei den „Bausoldaten“ ableisten (wenn auch unter manchen Schikanen).

Nach dem Ende der DDR hin nahmen kirchliche Vertreter immer mehr eine führende Rolle ein. Sie standen an der Spitze der Demonstrationen und öffneten die Kirchen für die Versammlungen. Aber es waren weniger die Kirchenleitungen, die hinter der friedlichen Revolution standen. Sie waren weiterhin staatsfreundlich und wollten ihren einmal errungenen Status nicht gefährden. Im Landeskirchenrat der „Evangelisch-lutherischen Kirche in Thüringen“ hatte die Staatsicherheit die Mehrheit, rühmte sich eins derer Mitglieder (doch nur bei den beiden Nicht-Theologen hat man das auch von kirchlicher Seite zugegeben).

Es gab auch vorher schon einzelne Pfarrer, die immer wieder staatstreue Stellungnahmen in den Zeitungen veröffentlichten wie die Pfarrer von Kappellendorf und Marisfeld (der wegen eines Fluchtversuchs erpreßt wurde). So waren die oppositionellen Kirchenmitglieder weitgehend auf sich allein gestellt und die Kirchenleitung sagte: „Du kannst das machen, aber wir können dich nicht schützen!“

Das war der eine Teil der Kirche, der andere hat sogar mit der Staatssicherheit zusammengearbeitet. Dabei wurde laut einer Anweisung schon von 1954 nicht unbedingt eine Ver­pflichtungserklärung verlangt und auch kein Geld bezahlt. Aber manche Pfarrer wirkten wie ein inoffizieller Mitarbeiter und verrieten Dienstgeheimnisse (zum Beispiel aus dem Pfarrkonvent) oder Beichtgeheimnisse (geplanter Ausreiseantrag) an die Stasi. Es gab in jedem Pfarrkonvent ein ganzes Spektrum von totaler Zusammenarbeit bis zu entschiedener Gegnerschaft.

Die Kirche aber hat sich dieser Stasivergangenheit nicht gestellt und sie nicht aufgearbeitet: Die Überprüfung fand zu einem frühen Zeitpunkt statt, die Bewertung war großzügig (es wur­de mehr nach Entlastungsgründen gesucht als die Schuld offen angesprochen). Nur wer so dumm war, sich gleich zu offenbaren, wurde entlassen. Die Kämpfer gegen den DDR-Staat aber gingen im Alltag unter.

Auch die Kirchenmitglieder haben den Einsatz der Kirche bei der friedlichen Revolution weitgehend vergessen. Zu DDR-Zeiten haben sie die Kirche noch weitgehend mit einem relativ kleinen Geldbetrag unterstützt, weil sie den Staat nicht leiden konnten oder unter ihm litten, aber die Kirche der einzig weitgehend staatsfreie Raum war, den man noch erhalten wollte. Aber als die jetzt ordentlich Kirchensteuer zahlen sollten, da haben sie der Kirche den Rücken gekehrt und das vollzogen, was d er DDR-Staat nicht erreicht hatte.

 

 

Verhältnis von Staat und Kirche in der Zeit der DDR

Im Juli 1952 hatte die II. Parteikonferenz der SED den „Aufbau des Sozialismus“ proklamiert. Dieser Aufbau äußerte sich in einem verschärften Kampf gegen die Kirchen. Ziele der planvoll vorgetragenen Angriffe waren die Studentengemeinden und die „Junge Gemeinde“.

Anfang 1953 wurden der Studentenpfarrer Johannes Hamel und der Vikar Althausen verhaftet. Die Kirchen antworteten mit Protesten und Kanzelabkündigungen. Anfang Juni 1953 wurde die SED von den Genossen in Moskau zurückgepfiffen, die einen neuen Kurs auch gegenüber den Kirchen forderten, um die Unzufriedenheit untere der Bevölkerung nicht noch zu vergrößern.

Nach dem Volksaufstand versuchte man deshalb, die „fortschrittlichen Kräfte unter den Gemeindekirchenräten und niederen Geistlichen“ zu beeinflussen und gegen die Kirchenleitungen aufzubringen. Dabei sollten aber in keiner Weise die religiösen Gefühle und Empfindungen dieser Menschen verletzt werden. Die Unterstützungsmaßnahmen der Regierung wie der Wiederaufbau von Kirchen und die Staatszuschüsse sollten bessert popularisiert werden.

Die Tage von Nuschkes Abteilung „Verbindung zu den Kirchen“ waren gezählt. Beim Zentralkomitee wurde eine Abteilung für Kirchenfragen geschaffen. Mit der Vorbereitung und Durchführung von Jugendweihen wurde ab 1955 begonnen. Die Propaganda für die Jugendweihe richtete sich vordergründig gegen die Konfirmation, zielte aber darauf, den kirchlichen Einfluß auf die Jugend zu unterbinden. Volksbildung und Kultur erhielten die Anweisung, die Jugendweihe allseitig zu unterstützen.

Am 21. Dezember 1954 wurde im damaligen Staatssekretariat für Staatssicherheit eine Abteilung für Kirchenfragen geschaffen „zur Durchkreuzung der Feindtätigkeit der Kirchen und Sekten“. Auch in den Bezirks- und Kreisverwaltungen wurden solche Referate eingerichtet. Diese sollten schon persönlich qualifizierte Werbungen von Geistlichen vorbreiten und durchführen. Vor allem dachte man dabei an Pfarrer und kirchliche Angestellte, die bereits aktiv in der Friedensbewegung mitarbeiten. Über die feindliche Tätigkeit verdächtiger Pfarrer sollten Überprüfungsvorgänge angelegt werden.

Von den traditionellen Zuschüssen des Staates an die Kirchen zweigte man Mittel ab zur Unterstützung bedürftiger und gemaßregelter Geistlicher, schlecht entlohnter Vikare und für die Unkosten bei der Durchführung von Aussprachen mit Geistlichen durch den Staatsapparat.

Im Jahre 1955 wurde „Glaube und Gewissen“ gegründet, eine „fortschrittliche Monatszeitschrift für die christliche Bevölkerung und die Geistlichen“ unter Mitarbeit fortschrittlicher Universitätsprofessoren und Pfarrer (Leipold, Fuchs, Hertzsch, Kleinschmidt, Lotz, Hauffe). . Aus den Staatsleistungen erhielt die Zeitung 36.000 Mark

Schon 1954 untersuchte man auch die materielle Lage der Pfarrer und wollte „fortschrittliche“ Pfarrer mit Urlaubsplätzen finanziell belohnen und korrumpieren. Jetzt kaufte das Staatssekretariat ein „Erholungsheim für fortschrittliche bzw. loyale Geistliche in Tabarz“ und entnahm dafür 100.000 Mark aus den Staatsleistungen.

Im Jahre 1956 beschloß das Politbüro die Bildung eines Staatlichen Amtes für Kirchenfragen, das mit den Kirchenleitungen zusammenarbeiten sollte, die ihren Sitz in der DDR haben (die gesamtdeutsche EKD wurde also nicht mehr anerkannt). Aus dem Amt erwuchs dann das Staatssekretariat für Kirchenfragen.

Am 1. April 1958 beschloß das Politbüro die Gründung des „Bundes evangelischer Pfarrer in der DDR“, das durch das Büro des Nationalrats der Nationalen Front kontrolliert wird. Alle diese Einrichtungen gingen nicht auf Initiativen von unten zurück, sondern waren eine Gründung des Staates.

(nach Armin Boyens: Staatssekretariat für Kirchenfragen und Militärseelsorgevertrag).

 

Die Widerstandsfähigkeit der Kirchenvertreter litt auch unter der Erfahrung mit der Jugendweihe. Wenn das Kirchenvolk an dieser Stelle ohne weiteres zu Kompromissen bereit war, mußten die Kirchenleitungen bei härterer Gangart damit rechnen, von ihren eigenen Mitgliedern allein gelassen zu werden,

In den 80er Jahren wurden politische Themen mehr und mehr von einzelnen Gruppen aufgenommen, die damit unter dem Dach der Kirche einen Platz suchten. Wie weit man sie dulden oder unterstützen sollte, beschäftigte die Kirchenvertreter in unterschiedlichem Maße

 

Der lange Atem der Friedensgebete

Der Argwohn hätte nicht größer sein können, mit dem die SED im Herbst 1980 auf den kirchlichen Vorschlag reagierte, den Buß- und Bettag mit einer DDR-weiten „Friedensminute“ zu begehen. Die Anregung stammte von der Evangeli­schen Jugend, die damals erstmals zu einer Friedensdekade unter dem Motto „Frieden schaffen ohne Waffen“ aufgerufen hatte. Als mah­nender Höhepunkt sollten am Bußtag um 13 Uhr alle Glocken des Landes zum Gebet für den Frieden einladen.

Doch daraus wurde nichts, denn die SED witterte das Schlimmste: Konterrevolution oder Generalstreik. Grund war die schlichte Tat­sache, daß der Bußtag immer auf einen Mittwoch fällt und in der DDR regelmäßig mittwochs um 13 Uhr die Sirenen auf ihre Funktionstüchtigkeit überprüft wurden. Zusammen mit dem Läuten der Glocken wäre wohl mancher an den Aufstand der Werftarbeiter in Danzig erinnert worden, der mit Glocken und Sirenen begann.

Dabei hatten die Initiatoren der Friedensminute alles andere als Aufstand oder gar Aufruhr im Sinn. Ihnen ging es vielmehr darum, auf die Gefahren militärischer Frie­denssicherung hinzuweisen und für gewaltfreie Wege der Konfliktbewältigung zu werben. Das Vorha­ben mußte abgesagt werden. Doch der Grundimpuls wirkte fort: Vor allem in Form regelmäßiger Frie­densgebete und -andachten, bei denen schon damals die bren­nende Kerze als Symbol der Hoff­nung und der Gewaltlosigkeit eine zentrale Rolle spielte.

So laden die Leipziger Gemein­den und ihre Gruppen bereits seit 1982 außer in den Sommerferien jeden Montag um 17 Uhr zum Friedensgebet in die Nikolaikirche ein. An das Montagsgebet schloß sich erstmals Anfang September 1989 eine stumme Demonstration auf dem Platz vor der Kirche an. Sie wurde wie auch in den folgenden Wochen von Sicherheitskräften ge­waltsam aufgelöst.

Anfang Oktober 1989 folgten weitere Gemeinden mit der Ein­ladung zu regelmäßigen Friedens­gebeten, in denen zunehmend auch die Bitte um gesellschaftliche Erneuerung zu einem zentralen Anliegen wurde. Wie in Leipzig ent­wickelten sich in Magdeburg, Halle oder Dresden, in Berlin oder Jena die Friedensgebete zu Orten, an denen sich Gleichgesinnte über gemeinsame Vorhaben verständig­ten.

Und wie in Leipzig gingen bald auch an anderen Orten die Men­schen von den Friedensgebeten mit brennenden Kerzen auf die Straße. Ihr Ruf „Keine Gewalt“ und „Wir sind das Volk“ wurde bald durch politische Forderungen nach Presse- und Meinungsfreiheit, freie Wahlen, Rechtssicherheit oder auch nach Reisefreiheit ergänzt.

Die Bereitschaft, Konflikte auf friedlichem Weg   beizulegen, machte es denn auch den Vertre­tern der neuen Parteien und Re­formgruppen ab Dezember 1989 möglich, sich mit den alten politi­schen Kräften am „Runden Tisch“ zusammenzusetzen. Die Ergeb­nisse der Beratungen mögen ange­sichts der rasanten Entwicklungen nach den ersten freien Wahlen im März 1990 längst Makulatur sein. Der Impuls, der 1980 von der „Friedensminute“ ausging, hat von sei­ner Bedeutung         bis heute nichts eingebüßt.

 

 

 

Ergänzungen Thüringen

 

 

Fernsehsendung ,,Panorama" am 6. November 1990:

Zwar hatte die Kirche in der ehemaligen DDR entscheidenden Anteil an der demokratischen Revolution. Im Miteinander von Kirche und Sozialismus mußte sie aber auch manches Zugeständnis machen, das sie heute reut. Manche Pfarrer, Superintendenten und Oberkirchenräte hatten sogar einen Pakt mit dem Teufel geschlossen, mit der Stasi. Sie hatten sich als geistliche Agenten beim Geheimdienst verdingt. Über 40 Jahre war es in der DDR allein die Kirche, die Freiräume für oppositionelle Gruppen bot, in Fürbittgottesdiensten und Friedensgebeten konnten Fragen wie Menschenrechte und Umweltprobleme ohne direkte staatliche Zensur angesprochen werden.

Doch genau diese Freizügigkeit machte die Kirche zu einem zentralen Beobachtungsobjekt der Staatssicherheit. Daher setzte die Stasi Pfarrer, Superintendenten und selbst Oberkirchenräte als Spitzel ein. Da der Staat offiziell mit der Kirche in Frieden lebte, waren harte Methoden nicht opportun. Die Stasileute gingen vor allem mit Heimtücke gegen die Bürgerrechtler vor. Sie versuchten Zwietracht in den Gruppen zu säen. Die Infiltration der Gruppen wurde generalstabsmäßig vorbereitet. Der geheime Jahresplan für die Stasibezirksverwaltung in Leipzig verlangte: die Schürung von Differenzen und Meinungsverschiedenheiten unter den Führungskräften des Arbeitskreises „Gerechtigkeit" und zwischen den Arbeitskreis- und kirchenleitenden Personen. Es sind Voraussetzungen zu schaffen, um über inoffizielle Mitarbeiter Einfluß auf die Mitglieder der Kirchenleitung zu nehmen, und es sind inoffizielle Mitarbeiter in das Landeskirchenamt einzuschleusen.

 

Frage von Andreas Orth an Landesbischof Leich: Ist eine geheimdienstliche Tätigkeit mit dem Pfarramt vereinbar? Leich: „Das ist mit dem Ordinations­gelöbnis auf keinen Fall vereinbar, weil das Ordinationsgelöbnis uns an Menschen weist, die uns vertrauen und deren Vertrauen wir zu bewahren haben, zum Beispiel das Beichtgeheimnis. Aber auch die Überwachung anderer Menschen, die ihnen Schaden bringen kann, steht gegen das Ordinationsgelöbnis!“

Die Stasi konnte unauffällig in der Kirche ihr genehme Würdenträger unter­stützen, wie zum Beispiel. Bischof Hempel, der die offene Konfrontation mit der SED mied. „Auf die inhaltliche Ausrichtung des Kirchentages und seinen Verlauf ist Einfluß zu nehmen“. Die Stasileute verfügten in Kirchenkreisen über zahlreiche Informanten mit Decknamen wie Maria, Fuchs oder Carl. Der Letztgenan nte war der bedeutendste. Die Stasi vernichtete die Akten über die kirchlichen Mitarbeiter mit Vorrang.

Doch von der Akte „Carl“ fertigten Stasi-Auflöser eine Abschrift an. Es handelt sich um Dr. Dr. Matthias Berger. Berger ist Pfarrer an der Erlöserkirche in Leipzig. Über ihn heißt es in der Abschrift: „Beurteilung: Bereits vor seiner Verpflichtung zur Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit unterstützte der inoffizielle Mitarbeiter Berger unser Organ, indem er umfangreiche kirchen­interne Materialien zur Vorbereitung des Kirchentages in Leipzig dem Mitarbeiter des Ministeriums übergab!“ Pfarrer Berger war als Vorsitzender des Synodalausschusses, einem Zusammenschluß aller Basisgruppen, eine wichtige Person der Leipziger Opposition. Er weist alle Vorwürfe zurück, will aber selbst nicht Stellung nehmen

 

Rückblick 9.10.1989: Aufruf von Kurt Masur und anderen, darunter Pfarrer Dr. Peter Zimmermann, Theologe an der Karl-Marx-Universität. Zimmermann offenbarte sich jetzt als Informant der Staatssicherheit. „Ich wollte selber sagen: Ich bin es, ich habe seit Jahren mit Vertretern des Ministeriums für Staatssicherheit Gespräche gehabt, also zusammengearbeitet. Mein Motiv war, ein Stück weit Politik mit zu gestalten, die für alle hier im Land diese Gesellschaft zu einer lohnenswerten macht. Als Spitzel fühle ich mich jetzt. Ich fühle mich schuldig, daß ich eine schlechte Politik mitgemacht habe, und das ist wohl nur gegangen, weil ich auch in meinem Beruf als Theologe nicht sehr gut war, sonst hätte mir diese Aufgabe, das was ich tue, sehr kritisch anzuschauen einleuchten müssen!"

Sieben Pfarrer haben in Leipzig für die Stasi gearbeitet, in Erfurt waren es mindestens fünf Pfarrer, in der thüringischen Landessynode gab es mindestens fünf Stasi-Informanten. Matthias Büchner, Erfurt: „Die Folgen waren, daß wesentliche Beschlüsse der Kirchenleitungen, aber auch Synodenbeschlüsse, zum Teil durch die Staatssicherheit manipuliert wurden durch indirekte Einflußnahme. Ziel aller Stasiaktionen war es, diese Basisgruppen in den Kirchen möglichst zurückzudrängen. Bischöfe konnte die Stasi nie gewinnen, aber häufig ihre engsten Berater.

 

Bischofssitz Eisenach. Hier war auch der der Stasizuträgerschaft verdächtigte Oberkirchenrat und frühere CDU-Generalsekretär Kirchner tätig. Kirchner dementiert das bis heute. Nach Aussagen eines ehemaligen Führungsoffiziers der Staatssicherheit gegenüber Panorama war Bischof Leich von mindestens vier inoffiziellen Mitarbeitern geradezu umstellt. Unter ihnen soll auch Oberkirchenrat Johannes gewesen sein. Frage: „Es gibt den Vorwurf, daß Sie für das Ministerium für Staatssicherheit gearbeitet haben?“ Johannes: (zaghaft, leichtes Kopfschütteln): „Nein!“ Frage: „Sie sollen täglich aus der Synode berichtet haben!“ Johannes: „Die tagt ja nur einmal im Jahr!“ Frage: „Immer wenn die Synode getagt hat, sollen sie täglich berichtet haben. Man war sehr zufrieden mit Ihnen, sagen die Leute!“ Johannes: „Kann ich nichts dazu sagen!““ Frage: „Stimmt es oder stimmt es nicht?“ Johannes: „Nein!“(kaum hörbar). Oberkirchenrat Johannes war bei den Basisgruppen nicht gerade beliebt, er galt als Bremser.

Belastet wurde durch den Stasioffizier auch der Weimarer Oberkirchenrat Schäfer. Er bestreitet, Informant der Stasi gewesen zu sein. Er soll den Decknamen „Gerstenberger“ geführt haben. Schäfer: „Den Namen kenne ich nicht!“ Reporter: „Sie werden teilweise richtig als Informant geführt!“ Schäfer (fragend): „Ja? Ich habe von Anfang an gesagt, ich möchte nicht wissen, wie viele Aktenstücke es gibt, wo steht: Oberkirchenrat Schäfer berichtet! denn wir haben ja ständig mit den Leuten zu tun gehabt, und da waren sicher immer welche dabei!" Aussage steht gegen Aussage. Sicher aber ist: Es gab Spitzel am Bischofssitz.

Ein geheimes Telex an Mielke: „Durch einen inoffiziellen Mitarbeiter in kirchenleitender Funktion wurde bekannt, daß im Anschluß an die Sitzung des Landeskirchenrates Landesbischof Leich über seinen Besuch beim Bundeskanzler in Bonn berichtete. Diese Berichterstattung erfolgte unter mehrfachem Hinweis auf den streng vertraulichen Charakter dieser Aussage!"

Die Kirche ist zerstritten. Jüngere Pfarrer fordern die Überprüfung aller Geistlichen. Vielen Bischöfen reicht die Beichte bei einem Seelsorger (zum Beispiel Bischof Forck). Doch Beichtgespräche allein sind den Bürgerrechtlern zu wenig

Hans-Jürgen Fischbeck, Synodaler: „Ein Pfarrer, der als inoffizieller Mitarbeiter für die Staatssicherheit gearbeitet hat und belastende Berichte über andere gegeben hat, kann nur Pfarrer seiner Gemeinde sein, wenn er sich seiner Gemeinde in einem ganz ernsthaften und sorgfältig durchdachten Prozeß offenbart hat!“ Vertrauliches Gespräch oder öffentliche Offenbarung, Vergebung oder Rausschmiß? In der Kirche herrscht noch Ratlosigkeit bei der Frage, wie man mit geistlichen Agenten der Staatssicherheit umgehen soll.

 

 

 

Oberkirchenräte

 

Oberkirchenrat Lotz:

Zum Artikel in der jüng­sten Spiegelausgabe vom 22.6.1992, Nr. 26. stellt der Landeskirchenrat fest:

1. Aus den dem Landeskirchenrat zur Verfügung stehenden Unterlagen ergibt sich kein Hinweis auf eine Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit, wie sie im Spie­gel-Artikel vom 21.6.1992 dem ehe­maligen Oberkirchenrat Gerhard Lotz angelastet wird.

2. Die vom Spiegel zitierte Akte des Ministeriums für Staatssicher­heit steht dem Landeskirchenrat nicht zur Verfügung. Nach gelten­den Rechtsgrundsätzen sind Ver­storbene jedem Dienstrechtsverfah­ren entzogen. Deshalb konnte und kann der Landeskirchenrat keine Überprüfung wegen einer vermuteten Tätigkeit für den Staatssicher­heitsdienst für den Verstorbenen OKR Dr. Lotz beantragen. Nach geltendem Recht können lediglich lebende Angehörige Ver­storbener Antrag auf Überprüfung und Akteneinsicht stellen.

3. Der Landeskirchenrat hat mit anderen Gliedkirchen der EKD der Bildung einer Arbeitsgruppe zuge­stimmt, die sich mit der Aufarbei­tung der jüngsten Geschichte der Kirchen des Bundes befaßt. Er betei­ligt sich selbst durch ein Mitglied des Landeskirchenrates an dieser Arbeit und öffnet dafür die Unterla­gen des Landeskirchenrates. In dieser Arbeitsgemeinschaft sind die vom Spiegel vorgetragenen Beschuldigungen zu überprüfen.

4. In allen Fällen von Beschuldi­gungen von Mitarbeitern der Kirche gehen Synode und Landeskirchenrat von dem Grundsatz aus, daß vor Be­urteilung, öffentlicher Stellung­nahme oder dienstrechtlicher Ent­scheidung die Beschuldigten zu hören sind. Auch deshalb sind Vorfahren zur Vergangenheit Verstor­bener nicht möglich.

5. Das gültige Urteil über Schuld und Unschuld eines abgeschlossenen Lebens liegt nach unserem christli­chen Glauben allein beim lebendigen Gott, der ein Richter ist der Leben­den und der Toten. Seinem Urteil greifen wir nicht vor.

6. An den Vorwürfen gegenüber dem ehemaligen Oberkirchenrat Lotz, wie an anderen Vorgängen wird deutlich, daß die Verbindungen eines hauptamtlich kirchlichen Am­tes; das Vertrauen braucht und ver­trauliche Vorgänge berührt, mit ei­ner politischen Funktion außerhalb der Kirche. (Lotz war Volkskammerabgeordneter und Mitglied des CDU-­Hauptvorstandes) dem innerkirchli­chen Dienst nicht zuträglich ist. Der Landeskirchenrat spricht seine ern­sten Bedenken gegen eine solche Verbindung aus. Das gilt auch heute. Die Pflicht zur Verschwiegen­heit im Vertrauensamt einer Kirche verträgt sich nur schwer mit einer zusätzlichen, davon abgetrennten politischen Beauftragung außerhalb der Kirche, die Loyalität gegenüber einem Dritten verlangt.

7. Erneut muß der Landeskir­chenrat die Frage stellen, ob die Ver­öffentlichung von Akten ohne gel­tende Rechtsgrundlage, deren Inhalt tief in das Leben von Bürgern unse­res Landes eingreift, einem Rechts­staat angemessen ist und wider­spruchslos hingenommen werden kann.

 

Landesbischof Hoffmann zeigte sich noch von den Vorwürfen gegen den früheren Oberkirchenrat Lotz überrascht. Dieser war im März 1955 geworben wurden und wurde erst wieder von der Stasi „aufgebaut“, weil das Amt in der Kirche schon wieder aufgeben wollte. Er erreichte die Gründung eines DDR-Kirchenbundes und eine laxere Haltung der Thüringer Kirche gegenüber der Jugendweihe. Abgelehnt wurde noch die Behauptung, der frühere Landesbischof Braecklein sei 1960 geworben worden und 1970 mit Hilfe der Stasi zum Landesbischof berufen worden.

 

Oberkirchenrat Braecklein

Der spätere Bischof wurde beim Ministerium für Staatssicherheit unter dem Decknamen

Ingo“ geführt Reg. Nr. 10679/60 (im Sack 957) und MfS (Berlin) 24028/91 Teil I.

Anlaß zur Kontaktaufnahme ist die Unterschlagung eines Kassierers im Kreiskirchenamt, mit dem Braecklein aber als Superintendent gar nichts zu tun hatte. Die beiden Männer erklären, daß sie vom Ministerium für Staatssicherheit sind. Er wird GM bzw. GI und erklärt sich zu weiteren Gesprächen bereit. Er soll nicht verpflichtet werden, aber auf die Vertraulichkeit der Gespräche hingewiesen werden.

 

Auf dem Superintendentenkonvent am 19. März 1956 sagt Braecklein: „Der Innenminister Maron hat vollkommen recht. Mir gefällt auch manches nicht, aber müssen wir immer nur das Negative sehen. Meiner Meinung nach sollten wir unseren Kurs ändern!“ Von der Tagung des Ökumenischen Arbeitskreises, auf der Braecklein über die Konferenz Europäischer Kirchen berichtet, gibt es eine Tonbandabschrift. Am 17. April 1959 erhält Braecklein 300 Mark als Geschenk

Am 15. Juni 1973 heißt es über ihn: „Der IM ist zuverlässig und auf die Einhaltung der Konspiration bedacht. Er hat zum Staat der DDR eine loyale bzw. positive Einstellung. In der Zusammenarbeit entwickelt der IM keine besondere Eigeninitiative, führt aber die übertragenen Aufgaben mit Umsicht durch!“

Am 9. September 1976 erhält er ein Sachgeschenk im Wert von 1.500 Mark, nämlich ein Kaffeeservice aus Meißner Porzellan. Außerdem ein), festliches Essen mit mehreren Gängen, Servierung durch Kellner und festliche Musik vom Tonband.

Zwischen 27. November 1956 bis 27. Februar 1987 gibt es insgesamt 37 Treffberichte mit zum Beispiel Informationen über die Bischöfe, einschließlich Bischof Leich (er habe es „nicht verstanden, seine hinterwäldlerischen Lebensanschauungen- und Gewohnheiten seiner Amtszeit in Lobenstein zu überwinden.“).

Über Pfarrer Westphal in Biberau gibt er folgende Einschätzung: „Im Landeskirchenamt galt er als großer Nörgler und Intrigant unter den Pfarrern.  Er war immer unzufrieden und lag ständig mit kirchlichen und staatlichen Stellen in Fehde. Das Vorkommnis im Zusammenhang mit Verleumder`‘ sei dennoch ein starkes Stück und für eine Pfarrer einzigartig.  Die getroffene Lösung - Auswertung des Vorkommnisses mit dem Leiter des Sekretariats der BEK  - wurde vom IM als wirkungsvoll und richtig eingeschätzt. Andererseits hätte Bischof Leich versucht, alles zu verschweigen. Ein solcher Pfarrer müßte vom Dienst suspendiert werden. Die Vermietung von Zimmern ist für Dienstobjekte untersagt. Auch hier hat Westphal mit kirchlichen Disziplinierungsmaßnahmen zu rechnen“.

Am 21. August 1996 heißt es über Braecklein: Das Magazin „Der Spiegel“ hatte unter anderem berichtet, Braecklein hat kostbares Meißener Porzellan als Geschenk erhalten und nahm z.B. in Potsdam an festlichen Essen der Stasi teil. er versprach, mißliebige Angestellte zu feuern. Aber er handelte im guten Glauben. Zitat Braecklein: „Wir haben mit dem Gegner geredet und eigene Ziele dabei verfolgt!“ Nach der Wende wurde Braecklein Leiter des Vertrauensausschusses, der Stasi-Verstrickungen kirchlicher Mitarbeiter feststellen sollte und natürlich kaum Fehlverhalten entdeckte. Nach seiner Pensionierung zog er bei der Stasi über seinen Nachfolger Leich und über Bischof Forck her

Nach dem Bericht im „Spiegel“ über Bischof Braecklein schaltete der Landeskirchenrat den Überprüfungsausschuß ein. Danach gab der Landeskirchenrat folgende Erklärung ab:

Die Gespräche sind auf Initiative des Ministeriums zustande gekommen. Er wollte dabei Fehldeutungen kirchlichen Handelns begegnen, die Absichten der staatlichen Seite erkennen und sich vor seine Mitarbeiter stellen. Das Gespräch sei von Braecklein nicht als konspirativ angesehen worden und er habe es auch nicht vertraulich behandelt. „Aus damaliger Sicht dienten die Gespräche dem Zweck, alle Möglichkeiten für die kirchliche Arbeit offen zu halten und zu einem guten Verhältnis zwischen Staat und Kirche beizutragen!“

 

Landesbischof Leich

Wie anders sahen dagegen die Gespräche Bischof Leichs mit Stasivertretern au. Er war der Meinung, der Staat habe die Stasi mit den Gesprächen beauftragt. Er empfing Klaus Roßberg von der Abteilung XX/4 zu insgesamt 17 Gesprächen in seinem Arbeitszimmer. Fast immer zog er einen Mitarbeiter hinzu. Stets diktierte er einen Aktenvermerk und gab ihn dem Landeskirchenrat zur Kenntnis. Er sollte auch als IM gewonnen werden, nachte aber immer alles öffentlich. Deshalb mußte er von 17 (?) echten IM umstellt werden.

 

Oberkirchenrat Martin Kirchner

Am 17. August 1990 wird der Generalsekretär der CDU der DDR, Martin Kirchner, wegen Vorwurfs der Stasimitarbeit entlassen. Die Vorwürfe bezeichnete der CDU-Politiker als falsch. Der frühere Oberkirchenrat im Landeskirchenrat in Eisenach und spätere Generalsekretär der CDU soll mindestens 15 Jahre für die Stasi gearbeitet haben. Er war inoffizieller Mitarbeiter der Stasi, sogar hauptamtlich mit einem Rang bei der Stasi. Man muß dazu wissen, daß Herr Kirchner einmal einen Ausreiseantrag gestellt hatte, diesen aber zurückzog, weil man ihm dafür das Amt des Oberkirchenrates antrug. Es heißt über ihn: „Er hat den Verlauf einer Synodensitzung genau wiedergegeben, das war fast so gut wie eine Wanze im Sitzungssaal!“ Er überließ der Stasi auch Dokumente zum Kopieren.

Er ist auch erwähnt in einem Schreiben des Stasiministers Mielke vom September 1989. Damals wollte man die sehr nach rechts gerückte Kirche und CDU wieder mehr auf DDR-Kurs bringen. Zu diesem Zweck suchte man sich kirchliche Würdenträger heraus, über die man auf die Kirche einwirken wollte. Erwähnt wird das „juristische Mitglied des Landeskirchenrates“ und später wird Herr Kirchner auch noch einmal namentlich erwähnt.

Kirchner leugnete und sprach lediglich von „Kontaktgesprächen im Zuge meiner kirchlichen Tätigkeit“. Ein erster Verdacht war schon im März 1990 geäußert worden, als beim hessischen Verfassungsschutz ein ehemaliger Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit auspackte. Im Juli konnte dann ein anderer hochrangiger Stasi-Offizier die Decknamen nennen, unter denen Kirchner geführt wurde.  Kirchner erhielt anfangs 300 Mark monatlich, ab 1986 aber 1.000 Mark und ab 1989 sogar 1.500 Mark (bei 900 Mark Gehalt).

Eine Telefonnummer aus Ost-Berlin dagegen führte den STERN auf eine heiße Spur. Sie gehörte einem hohen Stasi-Offizier. Der war nach stundenlangen Gesprächen bereit, in einem Fall sein Wissen preiszugeben: Martin Kirchner, der Generalsekretär der Ost-CDU. sei einer der ehemaligen Informanten gewesen. Dann kamen die Namen von Stasi-Offizieren, die mit Kirchner zu tun gehabt hätten. Was sie an Eides Statt versicherten und was dem STERN aus Kreisen des westdeutschen Verfassungsschutzes inzwischen als glaubwürdig bestätigt wurde, belastet Martin Kirchner aufs schwerste. Kernsatz der eidesstattlichen Versicherung von Ebert: „Für den Bereich der thüringischen Landeskirche war Herr Kirchner der operativ bedeutsamste Inoffizielle Mitarbeiter, für die ganze DDR einer der wichtigsten.“

Das Geld für 1989 habe der CDU-Politiker, so Klaus Schäfer weiter, Anfang des Jahres im Voraus erhalten, 18.000 Mark bar auf die Hand. Kirchner habe mit seinem letzten Decknamen „Hesselbart“ quittiert. Das Stasi-Zubrot hätte damit am Schluß weit über Kirchners Grundgehalt von nur 900 Mark als Chefjurist der Thüringer Landeskirche gelegen. Er residiert in einer riesigen, auf Kirchenkosten renovierten Wohnung in einem prächtigen Jugendstilhaus - mit Blattgold an den Stuckdecken. Kirchner denkt im Übrigen nicht daran, das noble Domizil zu räumen. „Ich komme nach Eisenach zurück als Ministerpräsident von Thüringen“, vertraute er Kollegen im Landeskirchenamt beim Abschied im Januar an.

Kirchner besaß Sitz und Stimme in allen wichtigen Gremien: Landeskirchenrat und Landessynode Thüringen, Bundessynode und Konferenz der Kirchenleitungen der DDR. Wenige Tage nach den Sitzungen, so versichern die Führungsoffiziere, habe der Kirchenfunktionär ihnen über alles berichtet: Personen und Protokolle, Seminare und Seilschaften, Vorhaben und Veränderungen in der Kirche; wer wann, wo und wie welche Meinungen vertrat, wer mit wem konnte, wer Einfluß hatte und wer nicht.

Auf Wunsch habe Kirchner der Stasi auch Schriftliches besorgt. Zum Beispiel bei der Früh-jahrssynode der Thüringischen Landeskirche vom 13. bis 16. April 1989 auf dem Hainstein in Eisenach. Die Tagung war hochbrisant. So wurden konfliktträchtige Themen wie Kirchenbesetzungen durch Oppositionelle, die bevorstehenden Kommunalwahlen und die vom Staat initiierte Gründung eines Freidenkerverbandes als Konkurrenz zur Kirche diskutiert.

: „Der letzte mir bekannte Bericht von Kirchner an das MfS datiert von Ende Oktober/Anfang November 1989“, versicherte dort Kirchenspezialist Dieter Heisig*. Auch seine Aussagen liegen dem STERN als eidesstattliche Erklärung vor.

„Es ging uns beiden wesentlich darum. das Wirksamwerden kirchenfremder, staatsfeindlicher Kräfte im Schutz der Kirche zu verhindern“, erinnert sich Ebert an die „hervorragende Zusammenarbeit mit Kirchner“. Folgt man dem Stasi-Major, entwickelte sich zwischen ihnen eine regelrechte Männerfreundschaft. In einer konspirativen Wohnung im Hochhaus am Jenaer Saalbahnhof hätten sie manches Mal mit einem Cognac angestoßen, sich Würstchen heiß gemacht und über Gott und die Welt geredet

Mitte der achtziger Jahre, behauptet Ebert, hätten er und Kirchner den Schlachtplan für den Kampf um den Stuhl des Eisenacher Oberkirchenrates entworfen: Entschuldigung bei der Präsidentin der Landessynode. Christa Schultheiß, die Kirchner einmal im Landeskirchenrat „alte Kuh“ genannt hatte; öffentliche Sympathiebekundungen für den konservativen Landesbischof Dr. Werner Leich; Seitenhiebe gegen Partei- und Staatsführung, um sich bei den tonangebenden Rechten in der Kirchenhierarchie zu profilieren. Den Rest würde die Stasi schon richten.

Gerüchte über angebliche Spitzeldienste Kirchners tauchten in Thüringen immer wieder auf. So kursierten Weihnachten 1984 anonyme Briefe, in denen zahlreichen Kirchenvertretern sexuelle Ausschweifungen und Martin Kirchner Stasi-Kontakte unterstellt wurden. „Wir haben uns noch am Heiligabend an der Autobahn getroffen“, erzählt Kurt Ebert. „Meine Karriere ist erledigt, ich bin ruiniert“, soll der Kirchenrat geschluchzt haben. „Da habe ich ihm gesagt: Laß man, Martin. Das kriegen wir schon hin mit unseren Mitteln“. Die Stasi startete den „Operativen Vorgang Judas“ und fand den Schmähbrief-Schreiber bald. Pfarrer Erwin Westphal aus dem thüringischen Nest Biberschlag gestand. Beweise für seine Behauptungen hatte er nicht. Der Geheimdienst bereinigte die Affäre elegant: Er informierte die Kirche, die Westphal in einem „Amtszuchtverfahren“ mit einem strengen Verweis ruhig-stellte. Das bestätigte Westphal jetzt dem STERN.

Selbst als Martin Kirchner im September 1989 mit einem offenen „Brief aus Weimar“ als CDU-Reformer hervortrat und Glasnost und Perestrojka für die DDR einforderte, hielt ihm die Geraer Staatssicherheit nach Schilderung Klaus Schäfers noch die Stange. Der Mann, der ihn bis zuletzt geführt haben will: „Wenig Tage später kam der Befehl von Mittig (Anmerkung der Red.: Stellvertreter von Stasi-Chef Erich Mielke) per Fernschreiben, diesen Mann als Konterrevolutionär sofort abzuschalten“. Der Befehl sei ignoriert worden, es habe sogar noch zwei weitere Treffs mit Kirchner gegeben.

Etwa einen Monat nach Kirchners Wahl zum Generalsekretär der DDR-CDU am 16. Dezember 1989 will sich Klaus Schäfer ein allerletztes Mal bei ihm gemeldet haben, per Telefon in der Ost-Berliner CDU-Zentrale. Kirchner habe ihn gefragt: „Und, wie sieht's aus?“ Er habe geantwortet: „Du brauchst keine Angst zu haben. Mach dir keine Sorgen. Ich für meinen Teil halte den Mund“.

Eigenhändig habe er rund 25 Ordner voller Dokumente zerrissen, die Fetzen seien zu Papierbrei verarbeitet worden, versicherte Ebert an Eides Statt. „Bei diesen Akten“, heißt es in Schäfers eidesstattlicher Erklärung, „befanden sich auch seine Verpflichtungserklärung als Inoffizieller Mitarbeiter des MfS aus den siebziger Jahren und Befehle über Auszeichnungen an Herrn Kirchner“.

 

Oberkirchenrat Wolfram Johannes

Nach Aussagen eines ehemaligen Führungsoffiziers der Staatssicherheit gegenüber „Panorama“ war Bischof Leich von mindestens vier inoffiziellen Mitarbeitern geradezu umstellt. Unter ihnen soll auch Oberkirchenrat Johannes gewesen sein. Frage von „Panorama“: „Es gibt den Vorwurf, daß Sie für das Ministerium für Staatssicherheit gearbeitet haben?“ Johannes:(zaghaft, leichtes Kopfschütteln): „Nein!“ Frage: „Sie sollen täglich aus der Synode berichtet haben!“ Johannes: „Die tagt ja nur einmal im Jahr!“ Frage: „Immer wenn die Synode getagt hat, sollen Sie täglich berichtet haben. Man war sehr zufrieden mit Ihnen, sagen die Leute!“ Johannes: „Kann ich nichts dazu sagen!“  Frage: „Stimmt es oder stimmt es nicht?“ Johannes: „Nein!“ (kaum hörbar). Oberkirchenrat Johannes war bei den Basisgruppen nicht gerade beliebt, er galt als Bremser.

Der Landeskirchenrat hat am 24. Mai 1994 gegen Kirchenoberrechtsrat Wolfram Johannes, Jurist am Gericht in Arnstadt von 1976 bis 1986 Oberkirchenrat, ein Disziplinarverfahren eingeleitet und ihn vom Dienst beurlaubt.  Vom Landeskirchenrat wurden die Unterlagen der Gauck-Behörde dem Vorermittlungsausschuß der EKD in Hannover zugeleitet. Der Landeskirchenrat hat nicht früher handeln können, „weil er an dem Rechtsgrundsatz festhalte, daß nicht Unschuld, sondern Schuld durch rechtsstaatliche Auskünfte bewiesen werden müsse.“

 

Oberkirchenrat Christoph Thurm

In dem Bericht des ZDF im Januar 1992 „Wanzen im Talar. Das Stasi-Erbe der Kirche“ geht es vor allem um Oberkirchenrat Thurm in Gera mit dem Decknamen „Entymologe“.oder „Bruno Köhler“. Er sprach von innerkirchlichen Schwierigkeiten, weil die Umweltgruppen nicht unbedingt mit der Kirchenleitung kooperierten: „ Man hat uns oft vor vollendete Tatsachen gestellt, und wir

mußten dann versuchen, wie wir die Leute noch herausziehen konnten… Wir hatten eigentlich alle Hände voll zu tun, um die Leute aus den Umweltgruppen, die sich in den Vordergrund stellten, vor staatlichen übergriffen zu schützen. Wir sind zu den Staatsvertretern hingerückt und haben mit ihnen gesprochen!

Stasioffizier S.B. , Referatsleiter Kirche im MfS Gera, sagt: Staatlicher Druck war zum großen Teil nicht notwendig, weil auch dort in der Kirche ganz normale Menschen aus Fleisch und Blut saßen, die feige waren, die ihre Ruhe haben wollten in der Gemeinde, oder die einfach ein ganz anderes Verständnis von Problembewältigung hatten. Es ist natürlich bequem zu sagen: „Die Staatssicherheit ist dagewesen und hat gesagt: wenn du das jetzt machst, kriegst du eine Menge Ärger!" Aber oftmals war das gar nicht notwendig!

 Bereits im Frühjahr 19692 hatte die Synode beschlossen, alle Mitglieder, alle Pfarrer und kirchlichen Mitarbeiter auf Stasikontakte überprüfen zu lassen. Im September ließ die Kirchenleitung stolz in einer Pressemitteilung erste Ergebnisse mitteilen, die zeigten, daß die massiven Versuche der Stasi in der Kirche nicht den erwünschten Erfolg hatten. Aber vor drei Wochen mußte der Bischof seinen Synodalen eingestehen, daß die Gauck-Behörde in Berlin noch nicht einmal die Unterlagen der Thüringer Pfarrer erhalten hatte.

Bischof Leich gibt zu: „Es gibt Belege, daß vieles, was im Landeskirchenamt gesprochen wurde, bei der Stasi angekommen ist. Es gibt drei Methoden 1. der Überbringer, 2. das direkte Abhörverfahren durch Wanzen, 3. die Fernabhörung“. Der Stasioffizier fragt: „Im Bischofssitz Wanzen? Das glaube ich nicht, das wäre eine Entweihung gewesen, die such auch eine Staatssicherheit nicht getraut hätte zu tun. Es war einfach nicht nötig!“ Leich war es lieber, an die technischen Möglichkeiten zu glauben als an die menschliche ....

Der Stasioffizier sagt: „Es gab viele Informanten, nicht sehr viele, aber viele, so daß eine flächendeckende Arbeit nie verwirklicht werden konnte, aber daß man dort verankert war, wo man sein mußte. Der Pfarrer, der seine Gemeinde betreute und ansonsten nicht aktiv wurde, der war doch für mich nicht interessant, sondern es war der, der sich aktiv in gesellschaftliche Prozesse eingebracht hat. Die Frage stellte sich: Wie kann ich den in eine bestimmte Position bringen, wo ich auch über andere mehr erfahre.

Reporter: So erfolglos, wie der Bischof glauben lassen möchte, kann die Personalpolitik der Stasi doch nicht gewesen sein. Bevor beispielsweise Christoph Thurm zum Oberkirchenrat gewählt wurde, brauchte der Kirchenmann noch dringend Ermunterung und Beistand. Den hat er damals auch von einem Stasimann bekommen. In der Stasikartei wird er als „“ geführt (Zitat)

 

 

„Mit dem IV wurde ein ausführliches Gespräch von zwei Stunden geführt über seine Bereitschaft, sich als Kandidat für das Oberkirchenratsamt in Gera zur Verfügung zu stellen. Dabei brachte der IM folgende Argumente vor, die im Augenblick dagegen sprächen: Ein erneuter Umzug stelle eine starke finanzielle Belastung dar. Es wurde ein Unterstützungsmöglichkeit angedeutet, die vom IM nicht abgewehrt wurde. Der IM befürchtet ein persönliches Mißerfolgserlebnis. Dieses Bedenken wurde dadurch abgebaut, daß aus verschiedenen Bereichen Hinweise vorlägen, daß man übereinstimmend sich für ihn entscheiden würde!“ (Umzugskosten trägt die Kirche).

Thurm: Ich habe mich nicht vorher gemeldet als Mitarbeiter, weil ich ja noch nicht wußte, daß man mich in Gera so eingestuft hatte.... Ich habe die Kontakte hingenommen als eine Dienstpflicht, die ich wahrnehmen mußte, um Menschen zu schützen, vor allem! ….Ich bin natürlich angesprochen worden und besucht worden von Vertretern des MfS ..... Das war nicht regelmäßig, das war bei Bedarf. Wenn in der Kirche etwas im Gange war, dann versuchte man, mit der Kirche Verbindung aufzunehmen… Ich hatte in gewisser Weise Verständnis für das Anliegen der Stasi, Ruhe zu schaffen an der Basis, weil wir ja damit rechneten, daß es noch sehr lange mit diesem System würden leben müssen.

Reporter: Nun droht die Verdrängungslust, das Ansehen der Kirche erst recht zu beschädigen. Diese Sorge hat die Synode im September veranlaßt, einen zweiten Anlauf zur Aufarbeitung der Vergangenheit zu nehmen, nachdem der erste Thüringer Vertrauensausschuß so kläglich gescheitert ist. Vorsitzender ist Walter Schilling, der beim Durchblättern seiner Akte auf 43 kirchliche Mitarbeiter gestoßen ist, darunter 9 Oberkirchenräte und 11 Superintendenten, die der Stasi zu Diensten waren. In Stasi-Kontakten allein sieht Schilling noch keinen Grund für ein Versagen. Aber Schilling sagt: „Man mußte auch mit der Stasi reden. Aber nur unter zwei Bedingungen: 1. Ich erzähle es Hinz und Kunz, 2. Wenn Sie denken, Sie könnten mich zum Spitzel machen, dann haben Sie sich geschnitten - das habe ich wörtlich gesagt. Der Unterschied ist der, daß man sich bindet („Bindung an unser Organ“"). Daß ein Vertrauensverhältnis geschafft wird, damit haben sie ja gearbeitet. Dazu brauchte die Staatssicherheit die Konspiration. In der Kirche ist fast überhaupt niemand schriftlich verpflichtet worden, mitunter mit Handschlag. Ziel des Werbegesprächs war es, daß der IM-Kandidat einwilligt, nichts weiter zu erzählen.

 

Oberkirchenrat Hans Schäfer

Belastet wurde durch den Stasioffizier auch der Weimarer Oberkirchenrat Schäfer. Er bestreitet, Informant der Stasi gewesen zu sein. Er soll den Decknamen „Gerstenberger“ geführt haben. Schäfer: „Den Namen kenne ich nicht!“ Reporter: „Sie werden teilweise richtig als Informant geführt!“ Schäfer (fragend): „Ja? Ich habe von Anfang an gesagt, ich möchte nicht wissen, wie viele Aktenstücke es gibt, wo steht: ‚Oberkirchenrat Schäfer berichtet!‘ denn wir haben ja ständig mit den Leuten zu tun gehabt, und da waren sicher immer welche dabei“" Aussage steht gegen Aussage.

Im November 1991 teilte Pfarrer Schilling mit, Oberkirchenrat Schäfer aus Weimar sei Stasi-Mitarbeiter gewesen. Schilling sagte, ihm seien neun Oberkirchenräte, elf Superintendenten und drei Kirchenräte bekannt, die dem Staatssicherheitsdienst zugearbeitet hätten. Dazu gehöre auch der frühere Oberkirchenrat Christoph Thurm aus Gera.

Am 19. Mai 1993 erhielt die Thürin­ger Kirche von der Gauck-Behörde belastende Auskünfte über Oberkir­chenrat Hans Schäfer. Schäfer, des­sen Versetzung in den Ruhestand we­gen Erreichens des 65. Lebensjahres bereits zum 30. Juni 1993 beschlossen war, gab eine entgegenstehende Dar­stellung von den Vorgängen.

 

Der Landeskirchenrat übergab den Vorgang nicht seinem eigenen Überprüfungsausschuß   dem bei 5 stimmberechtigten 3 Mitglieder des Landeskirchenrates angehören, da dessen Ergebnisse dem Vorwurf der Befangenheit ausgesetzt gewesen wären. Der Landeskirchenrat wandte sich aber gegen jegliche Vorverurteilun­gen, das gilt auch für Oberkirchenrat Schäfer.

Laut einer Pressemeldung des Landeskirchenamtes vom 14. Juli 1999 zur zweithöchsten Disziplinarstra­fe verurteilt worden, die das Diszi­plinargesetz der VELKD vorsieht: Das Ruhegehalt werde gekürzt, es sei ihm die öffentliche Wortverkün­digung untersagt, auch dürfe er weder die Sakramente verwalten noch Amtshandlungen vornehmen. Das gelte für die Dauer von fünf Jahren. 

Die Disziplinarkammer wertete als schwere Amtspflichtverletzung, daß Schä­fer einem Gesprächspartner -von dem er wußte, daß er auch für das Ministerium für Staatssicherheit tätig war - Informationen über Per­sonen und aus kirchlichen Sitzun­gen zukommen. und ihn Einblick in kirchliche Unterlagen nehmen ließ. Die Kammer habe Hans Schä­fer. Aber zugutegehalten, daß sein Gesprächspartner ihn im Auftrag des Staatssekretariats für Kirchenfra­gen aufsuchte und er mit ihm in seiner Eigenschaft als Ökumene­dezernent des Landeskirchenrates offiziell verhandelte.

 

 

Überprüfung aller beamteten Mitarbeiter und Synodalen auf Stasi-Mitarbeit

Synodenbeshluß 1991:

Am 24. März 1991 beschloß die Thüringer Synode, alle beamteten Mitarbeiter und Synodalen auf Stasi-Mitarbeit überprüfen zu lassen. Der Sonderbe­auftragte der Bundesregierung für die personenbezogenen Unterlagen des Ministeriums für Staatssicher­heit im Bereich Erfurt, Pfarrer i. R. Heinrich Eber, seit Sommer 1990 im Amt, sagte dazu, es gehe nicht darum, daß Köpfe rollen. Weder Samthandschuhe noch Boxhand­schuhe seien angebracht. Man arbei­te sachlich und behutsam mit sorg­fältiger Recherche aufgrund des vor­liegenden Aktenmaterials und im Kreuzvergleich mit dem Zentralar­chiv in Berlin, damit eindeutige Aus­sagen möglich werden.

Die kirchlichen Mitarbeiter sollen dar­aufhin überprüft werden, ob sie sich mit Unterschrift zur Zusammenar­beit mit der Staatssicherheit ver­pflichtet, Geld dafür bekommen und Berichte geliefert haben. Es sei uner­träglich, so eine Synodale zur Be­gründung, wenn Tür und Tor für Verleumdungen offen blieben und das Vertrauen in die Kirche dadurch in Frage gestellt werde [Das ist natürlich ein sehr enger Begriff für Zusammenarbeit mit der Stasi].   

 

Im April 1992 (G+H 16/92) heißt es in der Synode:  Im Zusammenhang mit einer sachgemäßen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit verwahrten sich die Synodalen gegen eine Vorverurteilung kirchlicher Mitarbei­ter. Die Ergebnisse der Überprüfung auf eventuelle Zusammenarbeit mit dem MfS durch die Gauck-Behörde seien das rechtsstaatliche Funda­ment für weitergehende Entschei­dungen des Überprüfungsausschussses und des Landeskirchenrates.

Gespräche und Begleitung vor Ort seien für alle Betroffenen unent­behrlich, da der Überprüfungsausschuß überwiegend dienstrechtliche Konsequenzen im Blick haben müsse. Die Synode schlug vor, daß Professor Klaus-Peter Hertzsch, Jena, und Kirchenrat Johann Friedrich Krüger, Oberhof; als An­sprechpartner in seelsorgerlichen Fragen zur Verfügung stehen soll­ten. Der Landeskirchenrat wurde gebeten, die Ergebnisse des Überprüfungsausschusses den Gemein­den auf direktem Wege zur Kenntnis zu geben.

Der Landeskirchenrat hat ein Rechtsgutachten in Auftrag gege­ben, um herauszufinden, welche Schritte möglich sind, um gegenüber unbewiesenen Vorwürfen und öf­fentlichen Rufmord im Zusammen­hang mit Stasi-Mitarbeit vorzuge­hen. Die Mitarbeiter stünden „unter dem Schutz der Kirche und ihrer Or­gane", und das erbetene Gutachten solle. Möglichkeiten eröffnen, diese Zusage einzulösen.

 

Dienstrechtliche Konsequenzen für Thüringer Pfarrer wegen Stasimitarbeit:

Laut „Glaube und Heimat“ vom 5. April 1992 sind zwei Mitarbeiter der Thüringer Kirche aufgrund der von ihnen eingestandenen Beziehungen zum ehemaligen Ministerium für Staatssicherheit (MfS) durch den Landeskirchenrat aufgefordert worden, ihre Entlassung aus dem Dienst der Kirche zu beantragen. Nach drei Jahren kann über eine Wiederanstellung entschieden werden.     

Es handelt sich dabei um den Kapellendorfer Pfarrer Peter Franz (50), der im Zusammenhang mit der ARD- Fernsehsendung „Kumpanei mit der Stasi“ neuerlich beschuldigt worden war, Inoffizieller Mitarbeiter des MfS (IM) gewesen zu sein. Peter Franz, der von der Stasi als IM „Johannes“ geführt wurde und seit 20 Jahren in Kapellendorf tätig ist, hat konspirative Gespräche zugegeben. Er habe Informationen über Veranstaltungen mit ausländischen Gästen im Gemeindezentrum Kapellendorf weitergegeben, um „die kirchliche Arbeit des Brückenschlags über den Eisernen Vorhang hinweg nicht zu gefährden“.

Im Jahre 1996 hat die Disziplinarkammer im Verfahren gegen Pfarrer Peter Franz aus Kapellendorf „sauf seine Entfernung aus dem Dienst erkannt“. Massive Vorwürfe nach der Wende führten zunächst zur Versetzung in den Wartestand.

Wolfgang Kerst (57), ausgebildeter Pfarrer und gegenwärtig als Gemeindehelfer in Weimar-Schöndorf tätig, hat inzwischen seinen Rücktritt eingereicht. Wolfgang Kerst, der von der Stasi als IM „Goya“ geführt wurde, zieht damit die Konsequenzen, die ihm durch den Landeskirchenrat nahegelegt wurden.          

Auch der Geraer Pfarrer Helmut Egert (49) war in der ZDF-Fernsehsendung „Wanzen im Talar“ der Stasi-Mitarbeit beschuldigt worden. Gegen diese Form der Berichterstattung hatte der Landeskirchenrat seinerzeit Beschwerde beim Fernsehrat eingelegt. Inzwischen hat Helmut Egert jedoch seine vorübergehende Beurlaubung bei der Landeskirche beantragt. Wie er gegenüber G+H bestätigte, wolle er sich an anderer Stelle wieder als Pfarrer bewerben.

 

[Die sich gleich als Spitzel bei der Kirchenleitung offenbarten - wie der Pfarrer Hochstrate von Gerstungen - wurden sofort entlassen. Aber das waren nur wenige, die sich „vertrauensvoll“ an ihre Vorgesetzten wandten. Der Pfarrer Wolfgang Hochstrate aus Gerstungen gestand 1990 seine Staiskontakte, als dazu aufgefordert wurde, sich zu offenbaren. Er mußte seine eigene Kündigung einreichen und ist heute Nachtportier. Aber er führt jetzt ein ehrliches Leben, sagt er. Außerdem leitet er den Kirchenchor in Herleshausen. Dort akzeptiert man ihn, während man in Gerstungen abfällig über ihn spricht. Er sagt: „Die schlimmsten Erfahrungen habe ich mit der Kirchenleitung gemacht. Seit 1992 habe ich Anfragen und Vorschläge an sie gerichtet, aber es ist keine Reaktion erfolgt!“ Oberkirchenrat Große sagt dazu: „Es ist seine Aufgabe, sich den Menschen zu nähern, an denen er schuldig wurde!“ Das hat er auch getan. Aber sein Stasimann hat zu ihm gesagt: „Du warst schon dumm, ich hätte alle Eide geschworen, daß du nicht zu uns gehört hast!“ Das Leugnen ist sogar den der Stasi dem IM angeraten worden].

 

Eine umfassende und abschließende Beurteilung der belasteten Pfarrer könne erst mit dem Untersuchungsergebnis der Gauck-Behörde gegeben werden, betonte Oberkir­chenrat Ludwig Große als amtieren­der Vorsitzender des kirchlichen Überprüfungsausschusses. Für die Arbeit dieses Gremiums und die darauf aufbauende Entscheidung des Landeskirchenrates gelten sechs Kri­terien, die insgesamt gesehen ein Raster bilden für dienstrechtliche Konsequenzen:

  1. bewußter Kontakt zum MIS ohne Wissen der Kirchenleitung, der vor­gesetzten Dienststelle und der Betroffenen
  2. mündliche oder schriftliche Ver­pflichtung zur Information
  3. Bereitschaft zu konspirativen Treffs
  4. mündliche oder schriftliche Berichte im Gespräch, auf Tonband oder durch Diktat bzw. Niederschriften
  5. Annahme von Vergünstigungen, Geschenken, Aufwandsentschädigungen und Geld
  6. Übernahme von Aufträgen, auch unbewußt als Verinnerlichung von Gesprächsinhalten.

 

Zwischenbericht des Landeskirchenrates Ende Juni 1993:

Auf Beschluß der Synode im Frühjahr 1991 sind etwa 900 Anfra­gen an die Gauck-Behörde gerichtet worden. Bis Ende Juni 1993 lagen 461 Bescheide vor. Bei 446 Pfarrern und kirchlichen Mitarbeitern be­scheinigt die Gauck-Behörde, daß keine Hinweise auf eine Zusammen­arbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit (MIS) vorliegen. Es gab 13 belastende Bescheide; und ein Teil der Betreffenden war schon beurlaubt.

1. Bereits ohne Vorliegen von Gauck-Bescheiden sind 3 Pfarrer und 1 kirchlicher Mitarbeiter wegen Zu­sammenarbeit mit dem MfS aus dem kirchlichen Dienst ausgeschieden.

2. Für 10 Pfarrer, 4 Superinten­denten und 1 Oberkirchenrat sind Gauck-Bescheide mit belastenden Hinweisen ganz unterschiedlicher Qualität eingegangen. Bisher hat der Überprüfungsausschuß mit 13 Be­schuldigten einzeln gesprochen und Empfehlungen für den Landeskir­chenrat erarbeitet. Das Gespräch mit einem der Belasteten steht noch aus. Den Bescheid für Oberkirchenrat Schäfer hat der Landeskirchenrat di­rekt an den Vorermittlungsausschuß der EKD weitergegeben.

Der Landeskirchenrat faßte auf der Grundlage der 13 Empfehlungen fol­gende Beschlüsse:

Einen der Betroffenen hat der Landeskirchenrat auf eigenen Antrag in den Ruhestand versetzt.

 In drei Fällen sind Ermittlun­gen nach dem Disziplinargesetz ein­geleitet worden; einer davon hat bisher zur Einrichtung einer Anschuldi­gungsschrift bei der Disziplinarkam­mer geführt.

In drei weiteren Fällen sind noch Abklärungen nötig.

 

Stasi-Verstrickung von Pfarrern deutlich geringer als befürchtet 1993:

Von den rund 4700 evangelischen Pfarrern in Ostdeutschland gelten derzeit knapp 60, also 1,3 Prozent, als Stasi-belastet. Das ergab eine am 7. Januar 1994 abgeschlossene epd-Umfrage bei den acht evangelischen Landeskirchen der Ex-DDR. Die gegen die betreffenden Seelsorger eingeleiteten Ermittlungs- oder Disziplinarverfahren seien allerdings erst in weni­gen Fällen abgeschlossen. Dennoch hatten sich die Stasi-Verstrickungen kirchlicher Mitarbeiter als deutlich geringer als befürchtet erwiesen, hieß es in den kirchlichen Auskünften von Greifswald bis Eisenach. Das Bild einer „stasi-ver­seuchten Kirche“ habe sich nicht bestätigt.

In der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen sind von rund 800 Pfarrern und Synodalen bislang 647 durch die Gauck-Behörde über­prüft worden. Bei 27 der Überprüf­ten habe die Behörde Kontakte oder Zusammenarbeit mit der Staatssi­cherheit festgestellt. Neun von ih­nen hätten allerdings ihre Dienstpflicht nicht verletzt, erklärte der Thüringer Bischof Roland Hoffmann.

 

 

 

Überprüfungsergebnisse liegen vor September 1993 (G+H 45/93):

Über die Ergebnisse der Überprü­fung von Pastorinnen, Pfarrern und Synodalen durch die Gauck-Behörde informierte Landesbischof Roland Hoffmann in seinem Synodenbericht:

von den rund 800 Anträgen auf Überprüfung durch die Gauck-­Behörde sind bisher 620 entlastende Endbescheide über Pastorinnen und Pfarrer und über Synodale eingegan­gen. Dazu haben wir 27 Endbescheide mit Einzelberichten und Anlagen erhalten. In diesen Einzelbe­richten wird auf Kontakte oder auf Zusammenarbeit mit dem Ministe­rium für Staatssicherheit hingewie­sen: In dem vom Landeskirchenrat eingesetzten und von der Synode bestätigten Überprüfungsausschuß wird mit jedem Beschuldigten ein­zeln gesprochen. Auf Grund der Empfehlungen des Überprüfungs­ausschusses entscheidet der Landeskirchenrat nach der Ordnung unse­rer Kirche:

  1. Bei neun Vorgängen konnte der Landeskirchenrat den Betroffenen das Vertrauen aussprechen. Es lag kerne Dienstpflichtverletzung vor.
  2. Bei vier Personen wird eine Wei­terarbeit nötig, zum Beispiel Akteneinsicht.
  3. In einem Fall wurden die Unterlagen an den Vorermittlungsaus­schuß der EKD nach Hannover gege­ben Dies geschah, ohne daß der Überprüfungsausschuß vorher hätte votieren können. Nach Meinung des Ständigen Ausschusses wäre doch dieser Gesprächsgang mit dem Über­prüfungsausschuß notwendig gewe­sen  Der Vorermittlungsausschuß der EKD, dem zwei Synodale von uns angehören, arbeitet noch..
  4. In einem Fall wird ein Ermitt­lungsverfahren beginnen, das ist die Vorstufe zu einem Disziplinarverfahren.­
  5. Ein Amtsbruder hat die Entlas­sung beantragt
  6. Ein Amtsbruder hat seinen Ruhe­stand beantragt
  7. Bei acht Vorgängen sind noch keine Gespräche gewesen oder aus anderen Gründen die Entscheidun­gen noch offen.

Das Stasi-Unterlagengesetz er­möglicht jetzt auch für Ruheständler, die Überprüfung zu beantragen, Forschungsaufträge bei und durch die Gauck-Behörde in Auftrag zu ge­ben oder gegen ehemalige Stasi-Offi­ziere Strafanzeige zu stellen. All diese Möglichkeiten sind bis jetzt - außer einem Teilforschungsauftrag - noch nicht in Angriff genommen wor­den. Wir müssen entscheiden, ob wir um der Kirche willen auch für be­schuldigte Ruheständler beantragen sol­len. Es könnten auch in breiterer Weise Forschungsaufträge vergeben werden.

Ein kirchlicher Mitarbeiter sagt: Es ist besonders schwierig, mora­lisches Vergehen auf der juristisch­-disziplinarischer Ebene zu verhan­deln. Damit will ich nicht sagen, daß bewußte Zusammenarbeit mit dem MfS keine disziplinarischen Folgen haben sollte je länger, je mehr, macht mich traurig, daß es uns nicht gelingt, mit diesen dunklen Stellen im Leben der Betroffenen geistlich, dem Evangelium gemäß, umzuge­hen. Fest steht, daß wir mehr oder weniger geschwätzt haben, zu vertrauensselig waren, uns zu stark ge­fühlt haben, abgeschöpft werden konnten. Einige haben aber auch aus ganz verschiedenen Gründen die Zu­sammenarbeit gewollt und manche sogar monatlich einen bestimmten Geldbetrag erhalten. Diese Tatsache ist genauso schmerzhaft wie unser Unvermögen, mit den Opfern in der rechten Weise umzugehen. Auch diese Sache hindert uns an dem Auf­bruch, den ich mir wünsche.

 

Im Jahre 1995 (G+H 14/95):                                     

Von den 800 Anträgen auf Überprüfung stehen noch 19 Auskünfte aus. Zu 58 Auskünften hat die Gauck-Behörde einen Zusatzbericht beigefügt:

17 Personen hatte die Stasi als Vorlauf-IM geführt

41 Personen hatten eine IM-Registratur (bei einigen nur Karteikarten)

Der Landeskirchenrat hat 24 Personen das Vertrauen ausgesprochen und 14 Personen die Entlastung mitgeteilt. 7 Anträge wurden inzwischen neu gestellt Es sind 8 Disziplinarverfahren zu erwarten, erst eins ist abgeschlossen.

 

Tagung der Evangelischen Akademie Guthmannshausen bei Kölleda:

 Bischof Kähler sagte: Die Stasi-Verstrickungen der Thüringer Kirche waren nach einem Bericht der Kirchenleitung geringer als bisher angenommen. Mit 20 nachgewiesenen Einzelfällen sei die Zahl der Inoffiziellen Mitarbeiter (IM) in der Landeskirche „deutlich kleiner als in vielen Veröffentlichungen behauptet“, sagte der evangelische Bischof Christoph Kähler bei der Vorstellung eines entsprechenden Berichts in Erfurt. Eine »Gesamtsteuerung« der Landeskirche durch das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) sei anhand der Stasi-Akten »überhaupt nicht nachweisbar«.

Der Bericht dokumentiert die 1992 begonnene Regelüberprüfung in der Landeskirche, die sich auf der Grundlage von Auskünften der Stasi-Unterlagenbehörde auf den Zeitpunkt der Auflösung des MfS beschränkte. Danach sind 38 Pfarrer und kirchliche Mitarbeiter sowie ein Theologiestudent als IM registriert gewesen.

26 dieser 39 Personen haben den Angaben zufolge mit der Stasi zusammengearbeitet. Bei 13 Betroffenen lasse die Unterlagenbehörde eine Zusammenarbeit „ausdrücklich offen“. Nach dem Urteil des Landeskirchenrates, der als Dienstherr im Zweifel zugunsten des Betroffenen entschied, sind sechs weitere Personen keine IM gewesen. Entsprechende Dienstpflichtverletzungen seien nicht nachweisbar.

„Jeder Fall der Stasi-Mitarbeit ist einer zu viel““, bekräftigte Kahler. Er räumte auch ein, der vorgelegte Bericht enthalte zur Stasi-Problematik „deutliche Lücken“. Kähler sprach sich deshalb nachdrücklich gegen einen Schlußstrich in der Debatte um die kirchlichen Stasi‑Verstrickungen in der DDR aus. Die Aufarbeitung dieses Kapitels könne nur durch unabhängige Historiker geleistet werden und finde die Unterstützung der Landeskirche.

Leicht gemacht hat es sich der Untersuchungsausschuß nicht. Nachdem der im Herbst 1990 eingesetzte Vertrauensrat, der unabhängig vom Dienstherrn Kirche für Gespräche bereit stand, kaum genutzt worden war, wurden nun die Auskünfte der Gauck-Behörde durch weitere Akten und Befragungen ergänzt. Es wird nach den Kriterien geprüft, die Bischof Leich in Sammelrundschreiben 1983 und 1988 jedem an die Hand gegeben hatte: kein Gespräch unter vier Augen, kein Treffen am neutralen Ort (immer im Dienstzimmer), keine Schweigepflicht, im Gegenteil die Ankündigung, daß der Bischof informiert wird. Dazu wurde die Frage nach eventuellen Gegenleistungen für eine IM-Tätigkeit gestellt, nach Aufgaben, die gegebenenfalls vom MfS übernommen wurden und danach, ob der Kontakt anderen zum Schaden gereicht hat. Nachweisliche Dienstpflichtverletzungen wurden letztlich bei 20 Personen festgestellt, 773 Anträge waren gestellt worden.

Eine bittere Bilanz für den, der es nicht für möglich gehalten hat, daß die Stasi überhaupt Kirchenleute zur Mitarbeit überreden konnte. Eine Korrektur allerdings für alle, die von der totalen Durchdringung besonders der Thüringer Kirche durch die Stasi geredet haben. Und nur die eine Seite der Medaille: Die gescheiterten Anwerbungsversuche - weit mehr als die 18 angeführten in der Dokumentation - werden von der Gauck-Behörde nicht mitgeteilt, bedauerte Pfarrer i. R. Walter Schilling aus Braunsdorf, der als Kenner der Szene im Untersuchungsausschuß mitgearbeitet hat. Er weiß um die Unmengen Operativer Personenkontrollen und die vielen Bände über die Operativen Vorgänge

Das Verbot der Konspiration mit Geheimdiensten   (26.11.1995)

Dem Thema „Stasi und Kirche“ räumte Landesbischof Roland Hoff­mann in der Synode diesmal breiten Raum ein, ob­wohl er keinen Abschlußbericht, sondern nach 34 Sitzungen nur einen Zwi­schenbericht der Arbeit des seit Ja­nuar 1992 eingesetzten Überprü­fungsausschusses geben konnte.

Von den gestellten 849 Über­prüfungsanfragen fehlen noch 15 Auskünfte. Bereits vor der Antragstellung waren drei Pfarrer und ein Mitarbeiter entlassen worden. Für die Ruheständler, die 1991 schon aus dem aktiven Dienst ausgeschie­den waren und heute nicht über 75 Jahre alt sind, werden erst jetzt Anträge auf Überprüfung ge­stellt.

Bei den 72 Auskünften, die mit einem Zusatzbericht zurückgekom­men sind, befinden sich 20 Personen, die sich erfolgreich einer Werbung widersetzt haben. 11 Zusatzberichte basieren lediglich auf einer Kartei­karte, die eine Umregistrierung zum IM belegen, und 41 sind belastender Natur.

Bei diesen 11 und 41 Auskünften sind 11 Personen dabei, die mit dem Wissen ihres Dienstvorgesetzten, des Pfarrkonventes oder der betrof­fenen Person Gespräche mit dem MfS geführt hatten. Ihnen wurde vom Überprüfungsausschuß das Vertrauen ausgesprochen. Fünf Perso­nen sind schon vor 1989 aus eigener Kraft ausgestiegen, und bei weiteren sieben liegen die Kontakte zur Staatssi­cherheit vor dem Beginn ihres kirch­lichen Dienstes.

Bleiben also 29 Beschuldigte, die 3,4 Prozent der Überprüften ausma­chen. Von ihnen haben zwei selbst die Konsequenzen gezogen und sind aus dem Dienst ausgeschieden. Wei­tere zwei wurden in den Ruhestand versetzt. Sieben Disziplinarverfahren sind im Gange oder stehen an.

Zwei Beschul­digten wurde eine Mißbilligung aus­gesprochen. Sechs Untersuchungen sind mangels Unterlagen ausgesetzt wor­den, fünf weitere sind noch nicht abge­schlossen, drei stehen noch an. Eine be­lastende Auskunft wurde wegen Krankheit und Ruhestand niederge­schlagen, ein Betroffener ist verstor­ben.

Aus der Erfahrung mit diesem Kapitel unserer jüngsten Kirchenge­schichte zog der Landesbischof die Lehre. Im Pfarrerdienstrecht muß künftig der konspirative Umgang mit Geheimdiensten generell verbo­ten werden. Die Synode pflichtete ihm ausdrücklich bei.

Herzblut hätten die ungerechte öffentliche Diffamierung; unkorrekte Berichte und pauschale Verurteilungen geko­stet. Es falle schwer, solche Unge­rechtigkeiten zu ertragen. Dennoch gestehe er ein, daß „Einige von uns durch ihre MfS-Gespräche schuldig geworden sind“. Er bitte die Opfer um Vergebung. Die Synode schloß sich dieser Bitte an und unterstrich den vom Bischof geäußerten Gedan­ken, „daß wir den Opfern bisher we­der zu ihrem Recht noch zu einer Ge­nugtuung“ helfen konnten. Damit sei eine bleibende Aufgabe der Lan­deskirche beschrieben [Hier ist nicht deutlich, ob die tatsächlichen Opfer der Stasi gemeint sind oder diejenigen, die wegen Stasikontakten verleumdet wurden].

 

Dichtes Netz Inoffizieller Stasi-Mitarbeiter in der Kirche (November 1996):

Die SED-Führung ist nach Ansicht der Stasiunterlagen-Behörde durch ein dichtes Netz Inoffizieller Stasi-Mitar­beiter (IM) „umfassend“ über inne-kirchliche Verhältnisse, Entwicklungen und vertrauliche Beratungen von Leitungsgremien in der DDR infor­miert gewesen Unter den Informan­ten hätten sich „in beachtlicher An­zahl“ auch hochrangige Kirchenleute befunden, erklärte der für Kirchenfragen zuständige Fachbereichsleiter am 7. März in Berlin.

Vor allem Kirchenjuristen und theologische Oberkirchenräte habe die Staatssicherheit anwerben können, und selbst Bischöfe seien zu inof­fizieller Zusammenarbeit mit dem Stasi-Ministerium bereit gewesen. Als Beispiele nannte der Historiker die Altbischöfe Ingo Braecklein (Ei­senach) und Horst Gienke (Greifs­wald) sowie die früheren Görlitzer Bischöfe Hans Joachim Fränkel und Joachim Rogge. Fränkel sei ein auf­rechter und geradliniger Kirchenver­treter gewesen, habe sich aber in der Endphase seiner Amtszeit noch auf Gesprächskontakte mit einem Stasi­-Offizier eingelassen.

 

Eine notwendige Klarstellung des Landeskirchenrats 1996:

Seit Jahren werden von Vertre­tern der gliedkirchlichen Überprü­fungsausschüsse Untersuchungser­gebnisse von allgemeiner Bedeutung mit Vertretern der Gauck-Behörde erörtert und mit deren Erkenntnissen verglichen. Zwei wichtige Klarstellungen aus der letzten der regelmäßigen Zusammenkünfte von Ver­tretern der gliedkirchlichen Überprüfungsausschüsse   und   der Leitung der Gauck-Behörde seien hier mitgeteilt. Sie beziehen sich auf das immer wieder abgegraste Feld der „Inoffiziellen Mitarbeiter“ (IM) und machen deutlich, daß die müh­selige Kleinarbeit der letzten Jahre das ursprüngliche Bild von Umfang und Wirkung des MfS korrigiert. Es gab auch fiktive IM.

In der letzten Zusammenkunft der Vertreter der gliedkirchlichen Überprüfungsausschüsse und der Leitung der Stasiuntterlgen-Behörde am 13. März in Berlin wurde wieder einmal festge­stellt:  Die ursprüngliche Ansicht, daß „Fiktive IM“ wegen der gründli­chen Überprüfung der Führungsoffi­ziere durch die eigene Organisation nicht denkbar seien, muß korrigiert werden.

Mehrfach hat Minister Erich Mielke in zentralen Beratungen darüber geklagt, daß Personen als „Inof­fizielle Mitarbeiter“ geführt würden, ohne daß diese von einer solchen Zusammenarbeit wüßten oder dazu be­reit seien. Für solche Fälschungen drohte er harte Strafen an. Soweit bekannt ist, konnten diese bis zum Ausschluß aus der Organisation ge­hen. Der mehrfache Appell aber läßt den Schluß zu, daß die Zahl fiktiver Mitarbeiter größer gewesen sein muß, als ursprünglich angenommen.

Wo tatsächlich in den Akten Per­sonen ohne ihr Wissen und ohne ihre Zustimmung „als IM geführt wur­den", handelte es sich in der Regel darum, daß Mitarbeiter des MfS oberflächliche Kontakte privater oder auch dienstlicher Natur ausge­nutzt haben, eine Kontaktperson als „IM“ auszugeben. So konnten Mitar­beiter in Arbeitsbereichen der Ver­waltung, der Wirtschaft oder auch der Kirchen, die in Verantwortungs­bereichen tätig waren, die das Sicherheitsbedürfnis der DDR berühr­ten (Ein- und Ausreisen aus dienstli­chen Gründen, Mitteltransfer West-Ost, Mitarbeit in ökumenischen und anderen internationalen Gremien), ohne ihr Wissen und ohne ihre Zu­stimmung in die IM-Kartei geraten. IM-Kartei bedeutet noch nicht erwiesene Mitarbeit.

Wer sich also auf der Grundlage der Kenntnisse der Experten über „IM“ äußert, muß sorgfältig zwi­schen „als IM geführt“ und wirkli­cher Bereitschaft zur Zusammenar­beit unterscheiden. Dies gilt auch hinsichtlich der Behauptung des Mitarbeiters der Gauck-Behörde, Dr. Vollnhals, daß Landesbischof i.R. D. Ingo Braecklein in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Landeskirchenrates und des Superintendentenkonventes und der Synode er Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen immer wieder Sachfragen zu verhandeln hatte, die das Sicherheitsbedürfnis des Staates tangierten und daß er darüber den betroffenen kirchlichen. Gremien jeweils Bericht erstattet hat bzw. in ihrem Auftrag handelte.

Wo nachgewiesen werden kann, daß jemand im dienstlichen Auftrag und in der Verantwortung für den ihm anvertrauten Aufgabenbereich Gespräche mit unterschiedlichen

Partnern geführt hat, um Hinder­nisse für die kirchliche Arbeit aus dem Weg zu räumen, und darüber nicht nur der vorgesetzten Dienststelle, sondern im Falle von Mitglie­dern der Kirchenleitung eben diesem Gremium berichtet hat, kann er nicht ohne weiteres der Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit der Stasi bezichtigt werden (Für den Landeskirchenrat der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen, Ludwig Große, Eisenach, 29. April 1996).

 

Gutachten von Oberkirchenrat Weispfennig 2006

Im Jahre 2006 beauftragt der Landeskirchenrat Oberkirchenrat Walter Weispfennig aus Kassel, eine umfassende gutachterliche Würdigung, wie viele Personen nachweislich als IM tätig gewesen sind. Außerdem soll geprüft werden, wie der Landeskirchenrat mit Verdachtsfällen und nachgewiesener IM-Tätigkeit umgegangen ist. Die Überschrift zu dem Artikel in „Glaube und Heimat“ vom 15. Januar 2006 lautet „Abschlußbericht über Stasi-Tätigkeit“.

Das Ergebnis dieser Untersuchung steht durch die Aufgabenstellung schon fest: Es soll lediglich noch einmal aufgelistet werden, was bisher geschehen ist, und dann ein Schlußstrich gezogen werden. Es geht nicht um eine neuerliche Prüfung, sondern nur um die Feststellung, daß man mehr getan habe, als in der Öffentlichkeit angenommen wird. Beauftragt wird jemand, der nie die DDR kennengelernt hat und als Jurist nur das sieht, was juristisch faßbar ist. Daß dies nur einen kleinen Bruchteil der kirchlichen Mitarbeiter betrifft (wenn auch nicht unwesentliche Mitarbeiter), ist bekannt, denn es wurden ja nur wenige vom Landeskirchengericht zu lächerlichen Strafen verurteilt (Bewährung, Berufsverbot bei Rentnern).

Das erfaßt aber nicht die alltäglichen Fälle von Verstrickung - ohne Verpflichtungserklärung und ohne Geldzahlung - die aber erst recht eine Untreue gegenüber der Kirche und ein Verrat an den Gemeindegliedern darstellen. Damit ist alles nur eine Alibi-Veranstaltung, die den Aufwand nicht wert ist, denn was da herauskommen darf, kann sich jeder aufmerksame Zeitgenosse auch selbst zusammenstellen.

 

In allen evangelischen Kirchen gab es zumeist mündlich mitgeteilte Regeln für den Umgang mit den Vertretern des MfS. Für die Evangelisch-Lutherische Kirche in Thüringen erwies es sich in der internen und der öffentlichen Diskussion als hilfreich, dass sie (als einzige Kirche in der DDR) in schriftlicher Form Regeln für den Umgang mit staatlichen Stellen – also auch für den Umgang mit Vertretern des MfS – formuliert hatte. In zwei Sammelrundschreiben 1983 und 1988 hatte Landesbischof Werner Leich als Vorsitzender des Landeskirchenrats die Pfarrer und kirchlichen Mitarbeiter angewiesen, Gespräche mit staatlichen Stellen nur in enger Abstimmung mit dem Superintendenten als unmittelbarem Vorgesetzten und in der Regel unter Beteiligung eines weiteren kirchlichen Vertreters zu führen sowie den Superintendenten vor dem Gespräch zu beteiligen und ihn nachher über den Inhalt zu informieren. So war klar, dass jede Zusammenarbeit mit dem MfS nicht nur nach dem allgemein geltenden kirchlichen Dienstrecht pflichtwidrig, sondern auch von Landesbischof und Landeskirchenrat nicht gewollt und untersagt war. Die entsprechenden Regeln für die Superintendenten wurden in den Superintendentenkonventen erläutert:

1. Kein Gespräch unter vier Augen

2. Kein Treffen am neutralen Ort, immer Dienstzimmer wählen

3. Kein Eingehen einer Schweigepflicht. Im Gegenteil ist mitzuteilen, dass der Bischof

    verständigt wird.

Die Regeln haben die zum Schaden für die Kirche vorgenommenen Grenzüberschreitungen von zu vielen Pfarrern und kirchlichen Mitarbeitern nicht verhindert. Sie machen aber deutlich, dass Landesbischof und Landeskirchenrat das ihnen Mögliche taten, IM-Tätigkeit zu verhindern. Diese Aussage hat für beide Verfassungsorgane auch dann Gültigkeit, wenn sich einzelne Mitglieder des Landeskirchenrats persönlich nicht an diese Regeln hielten und IM waren.. Im Raum standen Forderungen nach rückhaltloser Aufklärung und Entlassung aller belasteten Pfarrer und Mitarbeiter. Demgegenüber stand fast beschwörend die Warnung, man dürfe den Unterlagen des MfS nicht mehr glauben als den Pfarrern und Mitarbeitern, die zwar durch Unterlagen des MfS belastet wurden, aber ihre Unschuld beteuerten. Pointiert wurde auf die Gefahr hingewiesen, dass dem MfS nach seiner Auflösung gelingen könnte, was es in der DDR nicht geschafft hatte: Die Gemeinschaft der Pfarrer und Mitarbeiter in der Kirche zu zerstören und die Kirche als Handlanger des Staates erscheinen zu lassen.

Im Rahmen der kirchlichen und rechtsstaatlichen Grundsätzen verpflichteten Überprüfung durch den Landeskirchenrat ging es nur darum, welche derzeit im Dienst befindlichen Pfarrer und Mitarbeiter belastet und welche nicht belastet sind. Eine weitergehende Fragestellung kann Gegenstand unabhängiger wissenschaftlicher Forschung sein, ist aber nicht Aufgabe des Dienstherrn.

Bei der Ausführung des Beschlusses im LKR setzte sich die Überzeugung durch, dass die Ruheständler, die nicht mehr in der täglichen Pflicht standen, ganz überwiegend eine generelle Anfrage beim Bundesbeauftragten als kritische Anfrage an ihren Dienst in schwerer Zeit missverstehen würden [Vielleicht hätten sie aber auch Wert darauf gelegt, als nicht belastet erwiesen zu werden]. Im Jahr 1995 modifizierte der LKR seine Haltung und beschloss, Ruheständler in hervorgehobene Funktion, nämlich Oberkirchenräte, Superintendenten und überregional tätig gewesene Pfarrer, die das 75. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, um ihre Zustimmung zu ihrer Überprüfung durch den Bundesbeauftragten zu bitten. So bleibt manch spektakulärer Fall unerwähnt, wie der der Chefjuristen und Oberkirchenräte Gerhard Lotz und Martin Kirchner oder der der Weimarer Kreiskirchenrätin Inge Schütz.

Nach dem Urteil des LKR haben somit insgesamt 20 kirchliche Verantwortungsträger (18 Pfarrer, ein Jurist und ein Mitarbeiter im Verkündigungsdienst) im Zeitpunkt der Auflösung des MfS pflichtwidrige Kontakte zum Geheimdienst der DDR gehabt. Weitere 6 Pfarrer waren zeitweise – in der Regel für kurze Zeit – inoffizielle Mitarbeiter gewesen. Bei 6 Pfarrern und einem Kirchenbeamten erschien dem LKR eine abschließende Bewertung nicht möglich, ob sie im Zeitpunkt der Auflösung des MfS IM‘s waren; dies gilt auch bei drei Pfarrern, die verdächtigt werden, zeitweise mit dem MfS zusammengearbeitet zu haben.

 

Dass es signifikante Unterschiede zwischen den Auskünften des Bundesbeauftragten und den Beurteilungen des LKR geben muss, ergibt sich schon daraus, dass die Akten des MfS die einzige Grundlage für die Auskünfte des Bundesbeauftragten sind, während der LKR sein Urteil daneben auch auf Aussagen der Betroffenen und von Zeugen stützen konnte. Eine weitere Erklärung für die unterschiedlichen Ergebnisse liegt darin, dass der LKR als Dienstherr bei der Beurteilung des Handelns von Mitarbeitern dem Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“ verpflichtet war, er also zu einem für den Betroffenen negativen Urteil nur gelangen konnte, wenn die Belastungen bewiesen waren.

Oberkirchenrat Große sagt: „Im Zweifelsfall sind wir für den Angeklagten. Die Stasi hatte die Kirche viel weniger im Griff, als man das behauptet. Schaden wurde der Kirche erst nach 1989 zugefügt!“

Wenn der LKR kein Fehlverhalten feststellte, hat er unterschieden, ob er das Verhalten des Belasteten für dienstrechtlich einwandfrei gehalten hat (dann hat er öfters ausdrücklich „das Vertrauen“ ausgesprochen) oder ob er die Entscheidung offen lassen musste. Das geschah insbesondere dann, wenn trotz deutlicher Verdachtsmomente nicht auszuschließen war, dass der Betreffende mit dem MfS nicht konspirativ zusammengearbeitet hat. [Die die Inoffiziellen IM hat man also gar nicht sehen wollen]

Zwölf von denen, bei denen die MfS-Unterlagen auf eine IM-Tätigkeit hinweisen, haben eingeräumt, zeitweise als IM tätig gewesen zu sein. Wer diese Zahlen für sich genommen als Mosaikstein für eine IM-Verstrickung der Thüringer Landeskirche nimmt, geht mit der Wirklichkeit unsauber um. Bei vieren handelte es sich um junge Menschen, die zum Zeitpunkt ihrer IM-Verpflichtung keine besondere Beziehung zur Kirche hatten, einer von ihnen war zu der Zeit noch nicht getauft. Aber auch bei den sieben Betroffenen, die zu dieser Zeit schon Pfarrer waren, ist neben ihrem Schuldigwerden mindestens auch zu sehen, dass sie sich den Gesprächen mit den Vertretern des MfS überwiegend mit großer Distanz stellten, ihre Aussagen also wenig ergiebig waren, und dass die Loslösung von der IM-Tätigkeit unter Ängsten erfolgte und Mut brauchte [Er hat es wenigstens zugegeben und bedauert].

Verstrickung der Kirche

Die Abteilung XX/ 4 hatte 106 inoffizielle Mitarbeiter in den acht Landekirchen im Osten und etwa 40 in den westlichen Landeskirchen. Heinz Eggert, früherer Studentenpfarrer in Zittau, sagt dazu: „Die Kirche ist nicht mehr, aber auch nicht weniger verstrickt als andere Teile der Gesellschaft!“ (Die Kirche in der DDR war weder eine Heldenkirche noch eine Stasi-Kirche. Die meisten Kirchenglieder waren einmal so und einmal so. Sie versuchten das zu tun, was sie für recht hielten. Aber was dem einen Recht war, war oft dem anderen Unrecht. Schatten gab es schon, aber viel mehr Licht. Manche waren mehr solidarisch, manche mehr kritisch, natürlich mit menschlichen Schwächen, aber selten zum Verrat bereit.

In der DDR gab es kein berufliches Fortkommen ohne ein gewisses Maß an Anpassung. Nur einzelne waren in der Lage, einen Daue-Akt von Widerstand durchzustehen. Die Klugheit bestand darin, sich den direkten Einfluß der Unterdrücker vom Hals zu halten, auch um den Preis, daß man sie mit Schmeicheleien besänftigte.

Die Synode der Ev. Kirche in Deutschland am 1.-6. November 1992 in Suhl sagte: „Kontakte zum MfS dürfen nicht nachträglich als etwas Normales angesehen werden. Wer dennoch eigenmächtig Kontakte unterhielt – und sei es in bester Absicht – muß sich jetzt der kritischen Überprüfung stellen.

Joachim Gauck, der Leiter der Stasiunterlagenbehörde sagt : „Kirchenleitungen erwecken manchmal den Eindruck, „daß nicht Buße und Umkehr im Zentrum protestantischer Verkündigung stehen, sondern das Element der Image-Pflege mindestens ebenso wichtig ist!“ Bei 5 Prozent der überprüften Fälle kirchlicher Mitarbeiter sei ein Stasi-Kontakt festgestellt worden. Nur die Kirche von Anhalt hat vollständig überprüfen lassen, Berlin-Brandenburg hat nur relativ wenige Anträge gestellt. Es hat alle Typen von inoffiziellen Mitarbeitern gegeben. Darunter haben sich auch regelrechte Verräter befunden, die zum Beispiel den Transport von Bibeln in die Sowjetunion oder die Fluchtabsicht von DDR-Bürgern preisgegeben haben (G+H 35/96).

 

Willigte beispielsweise ein Bischof in eine größere  Kooperationsbereitschaft  mit  dem Staat ein, so sah man darin nicht selten eine Art zumindest partieller Konversion: nicht der tatsächlich ausgeübte Druck auf den Amtsträger oder dessen potentielles Kalkül, noch bestehende Freiräume für seine Kirche zu retten, wurden in den Einschätzungen als mögliche Motive in Rechnung gestellt, sondern man sprach dann für gewöhnlich von einem beachtlichen  „Lernprozeß ....unter Bedingungen des real existierenden Sozialismus“.

Diese Interpretation enthielt zweifellos Wahrheitsmomente, erfaßte jedoch kaum die für eine urteilsbildende Analyse notwendigen viel komplexeren politisch-psychologischen Abläufe und theologischen Überlegungen im Prozeß kirchenleitenden Handelns. So rechtfertigen

etwa kirchenleitende Persönlichkeiten ihre Kompromißbereitschaft dem SED-Regime gegenüber - und zwar vor der eingeschränkten innerkirchlichen Öffentlichkeit wie vor sich selbst – mit dem Bemühen, nur den Menschen in der DDR helfen zu wollen, was partiell natürlich auch zutraf.     

Als beispielsweise die Kirchenleitungen durch das Protestpotential der Gruppen ihren Handlungsspielraum gefährdet sahen, suchten sie deren Aktivitäten einzudämmen und schreckten auch nicht davor zurück, sich öffentlich vom Verhalten ihrer Pfarrer - siehe Eppelmann - zu distanzieren. Auf der anderen Seite setzten sie in internen Verhandlungen mit dem Staat alles daran, Eppelmanns Freilassung zu erwirken.

Mit dieser nicht immer transparenten „Doppelstrategie" kopierten die Kirchenleitungen nicht nur die Taktik der SED, sondern traten auch in die nahezu alle Lebensbereiche der DDR umfassende Atmosphäre des Undurchsichtigen, Zwielichtigen, ja Konspirativen.

 

Die Gefahr der Bildung einer „Verweigerungsgemeinschaft“ ehemaliger DDR-Bürger ähnlich der gesamtdeutschen in der Nachkriegszeit, wächst in dem Maße, wie die Fiktion aufrecht er­halten wird, man könne zumeist die Täter von den Opfern scharf trennen und maßgebliches Diskriminierungsinstrument dafür sei die Stasi-Tätigkeit.

 

Ebenso unzulässig ist natürlich der oft wie selbstverständlich gezogene Umkehrschluß, alle von der Stasi-Tätigkeit entlasteten Personen seien in unlautere oder gar kriminelle Vorgänge nicht verwickelt und rundum integre Persönlichkeiten gewesen.

In vielen Fällen beispielsweise ließen sich auch kirchliche Mitarbeiter bereitwillig „abschöpfen“, gaben also die gewünschten Informationen und mehr, erhielten dafür selbstverständlich Vergünstigungen, unterzeichneten aber nie irgendeine Verpflichtungserklärung, was angesichts der Sachlage auch völlig überflüssig gewesen wäre.      

Auch eine Dämme brechende Redelust, verbunden mit einem starken unter den  konkreten gesellschaftlichen Bedingungen aber nicht zu stillenden Geltungsbedürfnis, waren oft die Ursache für die große  Mitteilsamkeit  kirchenleitender  Persönlichkeiten.

 Andere wiederum ließen sich - angeblich sogar mit Wissen kirchlicher Amtsträger und des Direktors der Sektion Theologie - über viele Jahre hinweg auf  Gespräche mit dem MfS ein,

um den Bewegungsspielraum für ihre Arbeit und den ihrer Institution zu erweitern. Sie unterschrieben. keine Verpflichtungserklärung und informierten sowohl Verantwortungsträger in Sektion und Kirche als auch die Betroffenen über die Gesprächsinhalte.

 

„Die Kraft des Wortes“ hieß eine Veranstaltung, zu der die Bundesstiftung Aufarbeitung gemeinsam mit der Evangelischen Akademie in Berlin kürzlich eingeladen hatte. Thema war die Rolle der Kirchen vor, während und nach der friedlichen Revolution. Dabei zeigte sich sehr bald, wie unterschiedlich die Diskutanten die Rolle der DDR-Kirchen und ihrer Akteure im Rückblick bewerten. „Es gab viel Wagemut, aber auch viel Zurückhaltung“, sagte der frühere Berliner Generalsuperintendent Martin-Michael Passauer. Die evangelische Kirche habe den revolutionären Kräften einen Ort geboten, sich zu formieren, und mit ihrer offenen Arbeit Menschen eine Stimme gegeben, die in der DDR sonst keine hatten.

Das Verhältnis von Kirchen und oppositionellen Gruppen war ein großes Problem und werde nach seiner Einschätzung bis heute verkannt, sagte der Magdeburger Altbischof Christoph Demke. „Der Umgang mit den Gruppen war in den Kirchenleitungen der einzelnen Landeskirchen sehr unterschiedlich.“ Er selbst habe den oppositionellen Gruppen immer geraten auszutesten, wie weit sie gehen können, aber gleichzeitig auch nicht zu erwarten, dass er „mit vorprescht“, so Demke, der von 1983 bis 1997 an der Spitze der Kirchenprovinz Sachsen stand.

Für Christian Halbrock, als Mitbegründer der Berliner Umwelt-Bibliothek ein Protagonist der damaligen oppositionellen Gruppen, setzte hingegen auf Kirchenseite eine „Wischiwaschi-Politik“ gegenüber dem SED-Regime ein. „Es begann eine schleichende Entsolidarisierung mit den Menschen, die sich auflehnten, die vieles kaputt gemacht hat“, sagte der Historiker, der heute bei der Stasi-Unterlagenbehörde arbeitet. Deshalb seien viele der Gruppen später aus der Kirche „herausgewachsen“. Das Schutzdach der Kirche - wie oft behauptet - habe es „absolut“ nicht gegeben. „Es waren einzelne Diakone und Pfarrer, die sich engagierten. Die haben die Kirche gerettet“, fügte Halb rock hinzu.

 

 

 

„Kein Grund für öffentliches Schuldbekenntnis“   1.09.1995

Die evangelischen Kirchen in Ostdeutschland sollen kein öf­fentliches Schuldbekenntnis für ihr Wir­ken zu DDR-Zeiten ablegen. Dazu bestehe nach dem Ende der DDR anders als 1945 nach dem Ende des Nationalsozialismus kein Anlaß, heißt es in einer Studie zum Weg des Evangelischen Kirchenbundes in der DDR. Sie wurde vom Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Auftrag gegeben und Ende August 1995 jetzt in Berlin veröffentlicht. An der Studie wirk­ten neben ostdeutschen Kirchenvertre­tern wie dem Bischof der Herrnhuter Brü­dergemeine, Theodor Gill, auch der würt­tembergische Bischof i.R. Hans von Keler mit.

Die Studie räumt ein, die DDR-Kirchen hätten „auch Irrtümer und Versäumnisse zu beklagen“. Ausgeblieben seien vor al­lem „Stellungnahmen zur Rechtssetzung und Rechtsanwendung bei Enteignungen, im Strafvollzug und bei Wahlen“. Aus Rücksicht auf die Handlungsfähigkeit staatlicher Funktionäre habe man „Kritik an offensichtlichem Unrecht in nichtöf­fentliche Gespräche“ verlagert und sei erst dort für Abhilfe eingetreten. Doch stehe daneben der Einsatz für Diskriminierte, Benachteiligte und Behin­derte. Der Dank dafür verbiete es, „die Vergangenheit einseitig negativ zu beur­teilen“. Dies sei auch der Grund, warum kein Schuldbekenntnis nötig sei. Die Fehler der evangelischen Kirche in der DDR seien also durch gute Taten ausgeglichen

Im Freiraum evangelischer Kirchen und Gemeinden sei, was sich langsam vorbereitet habe, „nicht ohne Ängstlich­keit und innerkirchliche Spannungen" öf­fentlich geworden, urteilt die Studie. Das Prinzip Gewaltlosigkeit, jahrelang in Friedensgebeten ausgereift, sei aufgenom­men worden. Auch habe die Sowjetunion die Veränderungen in Mittel- und Osteu­ropa mit Gewalt aufhalten wollen.

Zu Gesprächen mit der Stasi heißt es: Das Ministerium für Staatssicherheit sei bei allen Sicherheitsfragen, Vorgängen im Sperrgebiet oder an der Grenze, Inhaftie­rungen, Ein- und Ausreisen einbezogen gewesen, ohne offiziell in Erscheinung zu treten. Deshalb sei „das offizielle Ge­spräch mit dem MfS“ (Ministerium für Staatssicherheit, d. Red), also ein Ge­spräch mit klarem Auftrag durch die Kir­chenleitung, in Ausnahmefällen unver­meidbar gewesen. Doch hätten mitunter Mitarbeiter, die sich auf Gespräche einließen, der Stasi „Kenntnisse über Persönlichkeiten und Kirche zugänglich gemacht und ihr da­durch Einwirkungsmöglichkeiten auf ein­zelne, auf Gruppen und die Kirchen insge­samt eröffnet“. Auch bei leitenden Mitar­beitern, die im Auftrag mit staatlichen Stellen verhandelten, sei zu fragen, „ob sie die mit dem Auftrag verbundenen Grenzen immer beachtet haben“. „Sicher ein Fehler“ sei gewesen, daß solche Über­legungen in der Kirchenleitung „kaum zur Sprache“ gekommen seien (von Karl-Heinz Baum).

 

Kommentar: Wirklich kein Grund für ein öffentliches Schuldbekenntnis?

Soviel Selbstgerechtigkeit ist unverfroren. Haben wir nicht als evangelische Christen die refor­matorische Grunderkenntnis gelernt, daß Sünde nicht durch gute Werke aufgewogen werden kann? Welche Theologen waren denn hier am Werk, die sich selber einen Persilschein ausstellen mußten? Geht jetzt auch noch der letzte Rest an Glaubwürdigkeit verloren?

Im Stuttgarter Schuldbekenntnis von 1945 hat man immerhin gesagt: Wir haben uns zwar be­müht, aber wir beklagen und bedauern, daß wir nicht mehr getan haben. So war es auch noch in der ersten Zeit nach der Wende im Gespräch. Die Äußerungen der Bischöfe Leich und Hoffmann zu dieser Frage klangen damals ganz anders. Aber je mehr Zeit vergeht, desto mehr wird versucht, alles unter den Teppich zu kehren.

Es wird doch von den wahren Problemen abgelenkt, wenn nur auf Versäumnisse bei Enteig­nungen, Strafvollzug und Wahlen hingewiesen wird. In Wirklichkeit sind es doch ganz andere Dinge, die das Ansehen der Kirche schwer belastet haben. Da kam ein Ausreisewilliger zum Pfarrer und bat um Kontakt zu einem kirchlichen Juristen, um einmal unabhängig beraten zu werden; aber dadurch hat man den Hilfesuchenden wie bei Graf Dracula nur dem Vampir von der Stasi ausgeliefert (natürlich nicht in jedem Fall).

Sicher hat die Kirche als Ganzes Widerstand geleistet. Doch dieser kam von den Gemeindegliedern und von einem großen Teil der kirchlichen Angestellten. Das Problem war, daß sie von den kirchlichen Vorgesetzten diszipliniert wurden, damit das gute Verhältnis zwischen Staat und Kirche nicht gestört wird.

Teilweise durften ja nicht einmal kirchliche Verlautbarun­gen zu Umweltfragen verlesen werden. Und mancherorts wollten kirchliche Funktionäre noch in der Zeit der Wende die Kirchen nicht für Versammlungen zur Verfügung stellen, obwohl die Landeskirche längst eine entsprechende Anordnung erlassen hatte.

Hat man das alles schon wieder vergessen? Warum zieht man die kirchlichen Mitarbeiter nicht zur Verantwortung, die sich nicht an ihren Auftrag gehalten haben und aus Geltungsbedürfnis gequasselt haben? Es soll ja niemand disziplinarisch bestraft werden; aber es muß doch einmal darüber gesprochen werden, damit diese Leute innerlich entlastet werden und nicht immer wieder ihre „Unschuld“ beweisen müssen („niemand geschadet“).

Ob ein Schuldbekenntnis nötig ist oder nicht, können höchstens die Opfer entscheiden. Sie können vergeben, wenn die Schuld vorher ausgesprochen wurde. Letztlich wird Gott darüber entscheiden, wo Schuld vorliegt oder nicht. Keine Kirche kann von Schuld lossprechen. Sie kann auch nicht die Vergebung Gottes zusprechen, wenn keine Einsicht in die Schuld vorliegt. Verfällt die evangelische Kirche in den Fehler, den die katholische schon weitgehend über­wunden hat?

Natürlich hat die Kirche ihre Eigenständigkeit bewahrt und stand nicht immer den Regierenden zu Diensten. Aber das war mehr das Verdienst der kleinen Leute in der Kirche, während manche Kirchenleitung bzw. einzelne ihre Mitglieder in Kumpanei verfallen sind. Vor allem war doch beschwerlich, daß hinter den Kulissen sicher vieles erreicht wurde, aber nach außen anders geredet wurde oder geredet werden mußte.

In der Studie heißt es, es sei ein Fehler gewesen, daß solche Widersprüche damals in der Kirchenleitung kaum zur Sprache gekommen seien. Aber heute ist es doch anders, heute kann man doch darüber reden. Warum scheut man da weiter das Gespräch und will die belastende Vergangenheit einfach aussitzen?

 

Der Aufruf der Bischöfin der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) Ilse Junkermann zur Versöhnung mit Stasi-Spitzeln und ehemaligen Funktionären des DDR-Regimes stößt weiter auf Kritik. Im Jahre 1999 erklärte die Vereinigung der Opfer des Stalinismus in Berlin, die Äußerungen Junkermanns und der entsprechende Beschluß der EKM-Synode seien eine „schallende Ohrfeige“ für Verfolgte der SED-Diktatur. Eine Versöhnung könne nur dann erfolgen, wenn „die Täter des SED- Regimes“ Reue zeigten „oder reflektieren“. Dies gelte auch für ehemalige Stasi-Mitarbeiter in den Reihen der Kirche selbst.

Die Landessynode hatte zum Ende ihrer Tagung in Wittenberg am vergangenen Sonnabend den Aufruf von Bischöfin Junkermann ausdrücklich unterstützt. Wörtlich führte die Bischöfin aus: „Auch wenn viele in unserer Kirche während und unter der DDR-Zeit gelitten haben und sich berechtigt als Opfer verstehen, sollten wir Menschen, die dem Regime nahestanden, nicht in Schubladen sperren. Mit Menschen in Schubladen läßt sich nicht reden und nicht Gesellschaft bauen“.

 

Martin Hanusch fragt: Darf eine aus Westdeutschland stammende Bischöfin die Versöhnung mit Stasi-Spitzeln und DDR-Altkadern anregen, wie es Ilse Junkermann auf der Synode der EKM getan hat? Eigentlich dürfte das keine Frage sein. Natürlich ist es Aufgabe der Kirche, nicht nur über Versöhnung zu reden, sondern sie auch zu suchen. Wer, wenn nicht die Kirche, ist dazu berufen. Offensichtlich hat die Magdeburger Bischöfin mit ihrem Vorstoß einen Nerv getroffen.

Daß der Vorschlag der Bischöfin einen solchen Wirbel ausgelöst hat, kommt nicht ungefähr. Die Opferverbände und Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen befürchten ein allzu leichtfertiges Entgegenkommen ohne Reue. Doch um eine Verniedlichung von Schuld geht es hier nicht. Aufgabe der Kirche sei es, bei der Aufarbeitung nicht nachzulassen und Versöhnung zu suchen, wo Bereitschaft vorhanden ist, meinte die Bischöfin am Rande der Synode. Menschen dürften nicht ihr ganzes Leben mit einem „negativen Etikett“ versehen werden. Das ist nicht nur gut biblisch, sondern ganz im Sinne Jesu, der auch nicht davor zurückschreckte, sich mit Zöllnern an einen Tisch zu setzen.

Schließlich hat sich die Bischöfin weder für einen Schlußstrich noch für eine stillschweigende Generalamnestie ausgesprochen. Es geht lediglich um ein Signal, auf die Verantwortungsträger von einst zuzugehen. Daß das die Gesprächsbereitschaft der anderen Seite voraussetzt, versteht sich fast von selbst. Es ist für die Opfer des SED-Regimes sicher schwer zu ertragen. Aber 20 Jahre nach der Wende scheint es an der Zeit zu sein, die Hand zur Versöhnung auszustrecken. Jeder Straftäter hat irgendwann das Recht, in die Gesellschaft integriert zu werden. Das muß, so schwer es fallen mag, auch für die IM und Altkader gelten, die strafrechtlich nicht zu belangen sind.

 

 

 

 

 

Schriftverkehr Landeskirchenrat

 

Brief an Landesbischof Leich vom 22. Dezember 1990:

Lieber Herr Leich! Was über die Tätigkeit der früheren Stasi im Rahmen der Kirche bekannt geworden ist, hat mich doch bestürzt gemacht. Uber die inoffiziellen Mitarbeiter im Landeskirchenrat wird in Büchern, Zeitschriften und Fernsehsendungen berichtet. Es muß zwar nicht sein, daß fast der gesamte Landeskirchenrat der Stasi verpflichtet war (wie eine Zeitung schrieb).. Aber wenn nur fünf Oberkirchenräte zu einer Sitzung anwesend waren, konnten die Stasileute schnell einmal die Mehrheit haben.

Auch im Dekanat Schmalkalden kommt immer mehr ans Tageslicht. Daß Herr Schreiber und Herr Krahmer inoffiziellere Mitarbeiter waren, erfuhr ich vor etwa einem halben Jahr aus Kreisen der Stasi-Auflöser in Berlin. Eine Beteiligung von Herrn Naumann soll aus Schriftstücken hervorgehen, die beim Sturm auf die Stasidienststelle in Schmalkalden erbeutet wurden. Grundsätzlich ist jeder Pfarrer oder andere kirchlicher Mitarbeiter verdächtig, der eine Dienstreise erhielt, auch wenn nicht jeder Dienstreisende ein Stasimitarbeiter war. Zitat eines Stasi-Mannes: „Die Pfarrer waren ja so schnell zur Mitarbeit bereit; bei einer Dienstreise fielen sie reihenweise um!“

Auf der Gemeindeebene das gleiche Bild. Steinbach-Hallenberg wurde von einem, der es wissen muß, als „Stasi-Nest“ bezeichnet. .Bei den Nachforschungen nach „großen Fischen“ tauchte zufällig der Name „Schwester Christa“ auf. Sie war die Erste, die aus Steinbach-Hallenberg vertrieben wurde, weil sie der Einrichtung einer konspirativen Wohnung im Wege war. .Mit anderen Worten: Die Meldung der „Tageszeitung“, daß im Evang. Gemeindehaus Steinbach-Hallenberg eine konspirative Wohnung war, stimmt doch.

Vielleicht erinnern Sie sich daran, wie ich zum ersten Mal von meinem Verdacht gegen Dekan Schreiber sprach. Sie wiesen das damals zurück, wollten es nicht wahrhaben. Aber man wußte ja damals noch nicht, daß er wegen eines Fluchtversuchs seines Sohnes erpreßt wurde. Ich selber habe vor einem halben Jahr auch noch gesagt: Bei der Meldung der TAZ muß es sich um einen Irrtum handeln. Ich nahm eine Verwechslung mit dem Nebenhaus an, wo die ZV untergebracht war. „Wenn in unserem Gemeindehaus eine Wohnung der Stasi gewesen wäre, hätte ich das gemerkt, wo ich jeden Tag aus und ein ging“" Heute würde ich meine Hand nicht mehr dafür ins Feuer legen, so wie Sie als Bischof das nicht für Ihre Mitarbeiter tun können.

Heute bin ich überzeugt, daß ein ganzer Teil der kirchlichen Angestellten in Steinbach-Hallenberg inoffizielle Mitarbeiter/der Stasi waren, dazu ein ganzer Teil des Gemeindekirchenrates. Was sich nach außen als persönliches Nicht-miteinander-können und als sachlicher Gegensatz darstellte, war in Wirklichkeit eine gezielte Aktion der Stasi, durch die eine mehr als durchschnittliche Gemeindearbeit zerstört werden sollte Ich weiß nur nicht, ob die Stasi nur allgemeine Anweisungen gab oder ob sie die Schritte bis ins Einzelne vorgeschrieben hat. Ich konnte mir damals nicht erklären, weshalb Dinge, die jahrelang unbeanstandet liefen auf einmal kritisiert wurden, oder weshalb auf einmal in der Gemeindekirchenratssitzung unflätige Ausdrücke fielen, die weder vom Vorsitzenden noch vom Dekan zurückgewiesen wurden [Das mit den Stasibelastungen sehe ich später anders: Herr Krahmer war Opfer, im Kirchenvorstand waren nur zwei stasihörig, und die konspirative Wohnung war nicht in der Schwesternstation.

 

Eine im Juni auf Veranlassung des Vorsitzenden des Gemeindekirchenrates herausgegebene „Ehrenerklärung“ ist wertlos, weil dabei nur einer dem anderen einen „Persilschein“ erteilt hat bzw. Leute unterschrieben haben, die die Sache gar nicht beurteilen können und wegen ihrer Arbeitsstelle Abhängige sind.  In der Gemeinde hat Verwunderung hervorgerufen, daß gleich nach der Währungsumstellung eine Belohnung von 5000 Mark ausgesetzt werden konnte, weil man annahm, sie würde aus Gemeindemitteln bestritten. Für mich war noch mehr empörend, daß die ausgeschiedenen Angestellten der Kirchengemeinde als mögliche Stasi-Mitarbeiter verdächtigt wurden.

Ich halte es für grundsätzlich falsch alle diese Vorgänge totschweigen zu wollen. Es sickert immer mehr durch, vielleicht auch mancher unbegründete Verdacht. Bei der Kirche bleibt nichts geheim! Und selbstverständlich packen auch die hauptamtlichen Stasileute aus, die keine neue Arbeit gefunden haben (deshalb wird ja von manchen versucht, sie wieder unterzubringen).

Wie können die Täter nur meinen, ausgerechnet die eigene Akte sei nicht mehr vorhanden. Wahrscheinlich haben ihnen das die Stasileute gesagt, aber nicht bedacht, daß auch in anderen Akten noch etwas steht. Denken diese Leute vielleicht, sie könnten auch im Jüngsten Gericht noch leugnen? Soll es noch einmal wie nach der Nazizeit 40 Jahre dauern, bis offen über diese Verwicklungen gesprochen wird? Buße und Vergebung kann es doch nur geben, wenn Schuldbekenntnis und Reue vorausgegangen sind. Die Bereitschaft zur Vergebung und das Verständnis der Gemeinde sind doch vorhanden. Aber man kann nicht sagen: „Wir machen einen Strich darunter und fangen neu an!“ Das ist keine Bewältigung.

Deshalb halte ich es auch nicht für richtig, den Stasi-Mitarbeitern in der Kirche den Verlust ihres Arbeitsplatzes anzudrohen. Das wird sie erst recht zum Leugnen verleiten. Schon in der Frühzeit der Kirche wurde den „Gefallenen“ vergeben. Die Vergebung ist nicht das Problem, sondern das Eingeständnis der Schuld. Ich kann doch nicht hingehen und sagen: „Ich vergebe euch alles, was ihr mir angetan habt!" wenn die Betreffenden standhaft leugnen, etwas getan zu haben!

Andererseits kann es wohl auch nicht angehen, wenn man den Opfern die Rechte aus der Ordination nimmt („ruhen läßt“),die Täter aber ungebrochen Gottesdienste halten. können sich sogar als Widerstandskämpfer aufspielen, wie kürzlich auf der Synode in Hofgeismar geschehen. Man kann doch diejenigen nicht einfach zu weitermachen lassen, die ihr Ordinationsgelübde gebrochen haben, den Opfern aber, die nach ihrem Ordinationsversprechen gehandelt haben, sogar die ehrenamtliche Tätigkeit in der Kirche versagen. Es soll ja noch einem Pfarrer aus dem Bezirk Gera so gegangen sein wie mir (etwa am gleichen Tag?).Auch ein Pfarrer Westphal aus Biberschlag sollte rehabilitiert werden.

Ich würde für gut halten, allen kirchlichen Mitarbeitern eine Erklärungsfrist zu geben mit der Zusage, daß keine beruflichen Nachteile entstehen. Aber dann sollte mit aller Härte gegen die vorgegangen werden, die erst danach enttarnt werden. Es geht dabei nicht darum, ob Beweise in Form von Dokumenten vorliegen. In meinem Fall hat man sich ja auch nur auf das Zerrüttungsprinzip berufen. Das sollte man jetzt besser machen mit den Verdächtigen beraten, was zu tun ist, den Gemeindekirchenrat befragen, so wie man das auch macht, wenn es zu einer Ehescheidung gekommen ist. Das ist das Mindeste, das man in jedem Fall tun sollte.

Ich bitte einstweilen um Folgendes:

1. Einsicht in meine kirchliche Personalakte. Dabei denke ich nicht nur an die offizielle Akte, sondern an die dicke Mappe, die Dekan Schreiber vorlegte, die Oberkirchenrat Höser durchgearbeitet hat und die Grundlage für den Beschluß des Landeskirchenrates war, mich ohne Anhörung fristlos zu beurlauben mit dem Ziel der Strafversetzung.

2. Aufnahme in den Wartestand. Sagen Sie nicht gleich: „Das ist rechtlich nicht möglich“. Wenn die Juristen etwas wollen, finden sie auch eine Lösung. Im Grunde bitte ich um Nachholung des Verfahrens, für das ich vor zwei Jahren nicht die innere Kraft hatte. Man hätte mir damals wenigstens einen Abgang ermöglichen sollen, wie das jetzt bei OKR Thurm geschieht.

In meinem Fall wurde nicht nur das Pfarrerdienstgesetz nicht geachtet (um nicht zu sagen „gebrochen“). Es wurde auch unnötigerweise Schaden für meine Familie und die Kirchengemeinde verursacht. Unnötigerweise insofern, als man auch damals alles unter der Decke hätte halten können. Hätte man mich damals nach Eisenach bestellt und gesagt: „Wir geben Ihnen ein Jahr Zeit, sich ohne Ehrverletzung zu verändern, wäre alles anders gelaufen. Sicherlich

muß es auch die Möglichkeit einer sofortigen Amtsenthebung geben (z.B. Fall Wünschendorf). Aber in Steinbach-Hallenberg war das unnötig. Was angeblich der Gemeinde diente, hat ihr geschadet

Ich weiß, daß Sie in all dem auf der anderen Seite gestanden haben und daß Sie genauso entsetzt sind wie ich von welchen Mitarbeitern, mit denen Sie und ich umgeben waren. Aber heute bekommen die Recht, die gesagt haben: „Wir sorgen schon dafür, daß der keine neue Pfarrstelle kriegt!" Was hätte man denn gesagt, wenn i c h mir das Leben genommen hätte, also nicht ein Täter, sondern ein Opfer? Warum ist man heute so besorgt um den Ruf und das Ansehen der Kirche, während das damals alles gleichgültig erschien?

Auch das Pfarrergesetz der EKD kann nichts nützen, wenn nicht Menschen da sind, die es auch einhalten wollen, Irgendwie will es nicht in meinen Kopf hinein, daß man Täter und Opfer bis heute so unterschiedlich behandelt.

Die Täter sitzen auf den Synoden in der ersten Reihe, so auch kürzlich in Hofgeismar. Da halten Leute Gottesdienst, die nie eine Ausbildung erhalten haben (nicht einmal als Lektor).Aber bei mir tut man so, als hätte ich nie dazugehört.

Verstehen Sie bitte, daß ich zum jetzigen Zeitpunkt und vielleicht überhaupt nicht mehr in einer der östlichen Landeskirchen Dienst tun kann. Solange nicht die Vergangenheit aufgearbeitet und eine wirkliche Wende herbeigeführt ist, zweifle ich am Sinn der kirchlichen Arbeit. Wenn man für sich selber nicht die Sündenvergebung und die frohmachende Gnade annehmen will, dann kann man sie auch nicht anderen predigen. Hier entsteht ein Krebsschaden

arider Kirche, der immer verheerendere Folgen haben will. Wie soll man als Pfarrer in einem Land innerlich bestehen, wo der von der CDU gestellte Ministerpräsident lieber die Stabü-Lehrer auf Religion umschulen will, als die „linken“ Pfarrer in die Schule zu lassen? Da kann man doch nichts aufbauen, weil da die Kirche genauso vor die Hunde geht wie im Westen.

Ich bitte Sie um Hilfe nicht nur für die Täter, sondern auch für die Opfer. Für beides ist es höchste Zeit, wenn es nicht schon zu spät wird. Aber je länger man wartet, desto schlimmer wird es. - Mit den besten Wünschen für ein gesegnetes neues Jahr grüßt Sie

[Axel Noack, der spätere Bischof der Kirchenprovinz Sachsen, stellte Anfang der achtziger Jahre in der Landessynode den Antrag, Mitglieder der Landeskirche sollten solange keine dienstlichen Westreisen antreten, bis alle Menschen in der DDR in den Westen fahren könnten. Der Antrag wurde abgelehnt (Meldung vom 18.11.1996).

 

 

 

 

Antwort Leich am 21. Februar 1991:

Lieber Bruder Heckert! Ihr Brief vom 29. Dezember 1990 hat einen sehr langen Weg bis zu uns gebraucht. Er ist erst am 4. Februar 1991 eingegangen und wurde dann von mir Herrn Oberkirchenrat Weispfenning unseren juristischen Dezernenten, zur juristischen Beratung

vorgelegt. Deshalb komme ich erst heute dazu, Ihnen zu antworten.

Zunächst danke ich Ihnen dafür, daß Sie sich in aller Offenheit mir gegenüber aussprechen. Ich kann aber nicht verschweigen, daß mich die Tendenz Ihres Briefes verwundert. Er erweckt den Anschein, daß alle beschwerlichen Vorgänge um Ihren Dienst in Schmalkalden ausschließlich mit der Tätigkeit des Ministeriums für Staatssicherheit zusammenhängen. Wenn Sie die Frage an andere, ob sie auch im jüngsten Gericht noch leugnen könnten, auch für sich selbst ernst nehmen, werden Sie die von Ihnen vorgetragenen Vorgänge sicherlich differenzierter sehen müssen.

Auch Ihre Aussage, daß die Stimmenverhältnisse im Landeskirchenrat so gewesen sind, daß sich bei geschwächter Anwesenheit die vom Ministerium für Staatssicherheit Beeinflußten hätten durchsetzen können, entbehrt jedes Beweises. Ich kann mich nicht erinnern, auch nur ein einziges Mal in kirchenpolitischen Fragen vom Landeskirchenrat überstimmt worden zu sein.

Sie wissen, daß ich Ihnen im Gespräch andere Pfarrstellen in unserer Thüringer Landeskirche angeboten habe. Wir haben schließlich auch schriftlich darauf hingewiesen, daß wir jederzeit bereit sind, die Rechte aus der Ordination wiederbeizulegen, wenn Sie von einer anderen Landeskirche in den Dienst übernommen werden. Auch Herrn Präsident Bielitz gegenüber habe ich betont, daß das Ruhen der Rechte aus der Ordination in Ihrem Fall nicht disziplinarisch zu begründen ist, sondern allein aus der Tatsache, daß Sie durch Ihre Ortsbindung in Schmalkalden sich nicht für die Übernahme einer anderen Pfarrstelle in unserer Landeskirche bereit erklären konnten.

Einsicht in die bei uns geführten Personalakten kann jeder Pfarrer und ehemalige Pfarrer unserer Landeskirche nehmen. Selbstverständlich steht dieses Recht auch Ihnen zu. Auf Akten, die im Dekanat Schmalkalden geführt werden, haben wir keinen Einfluß. Da das Dekanat Schmalkalden in absehbarer Zeit wieder in das Gebiet der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck zurückgegliedert wird, empfehle ich Ihnen, einen entsprechenden Antrag an den Landeskirchenrat in Kassel zu richten.

Da Sie auf Ihren Antrag aus dem Dienst ausgeschieden sind und der Landeskirchenrat mehrfach deutlich gemacht hat, daß die Rechte aus der Ordination in Ihrem Fall nicht aus disziplinarischen Gründen ruhen, sehe ich nicht, an welcher Stelle durch uns Rehabilitationsbedarf besteht.

Da Sie annehmen, durch die Tätigkeit des Ministeriums für Staatssicherheit geschädigt worden zu sein, können Sie bei dem Sonderbeauftragten der Bundesregierung für die personenbezogenen Unterlagen des ehemaligen Staatssicherheitsdienstes, Bezirksarchiv Erfurt, Andreasstraße 38, 0-5020 Erfurt, die Überprüfung ihrer Akten und die entsprechende Auskunft zum Zwecke der Rehabilitation beantragen. Der Sonderbeauftragte im Bezirksarchiv Erfurt ist ein pensionierter Pfarrer, der seinen Aufgaben mit großer Sorgfalt nachgeht.

Lieber Bruder Heckert, ich hoffe, daß Sie einen guten Weg finden, wieder in den Dienst im Amt der Kirche zu kommen. Bitte grüßen Sie Ihre liebe Frau, und seien Sie selbst von mir herzlich gegrüßt und „Gott befohlen!“  von Ihrem Dr. Werner Leich.

[Die „beschwerlichen Vorgänge wurden nicht von der Stasi hervorgerufen, sondern von kirchlichen Funktionären, die damit – zum eigenen Vorteil – der Stasi einen Gefallen tun wollten. Von der Übermacht der Stasi im Landeskirchenrat habe ich nur gesprochen im Zusammenhang des Beschlusses über mich, bei dem der Bischof nicht dabei war. Daß die Vermutung mit der „Ortsbindung“ nicht stimmt, zeigt sich daran, daß wir ihn sehr bald verlassen haben, nachdem wir unseren Grundbesitz den Kindern übertragen hatten].

 

 

Brief an Landesbischof Leich am 1. Juli 1991:

Lieber Herr Leich! Auf Ihren letzten Brief möchte ich doch noch einmal antworten. Nach den mir zugegangenen Informationen hat in meinem Fall tatsächlich die Staatssicherheit entscheidend mitgewirkt. Es wurde ein „operativer Vorgang“ archiviert, d.h. erfolgreich abgeschlossen. Bei Pfarrern war eine Versetzung ein halber Erfolg für die Stasi, eine Entfernung aus dem Amt ein voller; vielleicht war in meinem Fall sogar die Vertreibung aus der DDR das Ziel.

Damals habe ich das nicht erkannt und war deshalb so ratlos, weil auf einmal in irrationaler Weise das kritisiert wurde, was jahrelang in Ordnung war. Hätte ich jenen Hintergrund geahnt, hätte ich mich entscheiden müssen: entweder ohne Aufhebens freiwillig zu gehen oder bei der Stasi mitzumachen. Im letzteren Fall wäre ich heute noch im Amt und würde einstmals ehrenvoll in den Ruhestand verabschiedet.

Ich bin aus der Gemeinde gewarnt worden: „Legen Sie sich nicht mit diesen Leuten an, da stehen ganz andere Kräfte dahinter!“  Aer meine Dummheit war, daß ich mich auf die Geltung der kirchlichen Bestimmungen verließ und von meinem Amt her meinte, den ehrlichen und demokratischen Weg gehen zu müssen.

Auch nahm ich an, daß im Notfall der Landeskirchenrat hinter mir stehen würde. Anfang Januar 1989 wurde mir das ja auch noch mündlich und schriftlich versichert. Meine Bemerkung über die Mehrheitsverhältnisse im Landeskirchenrat bezog sich nur auf die Sitzung am 21. Januar 1989 und nur auf den Punkt, in dem es um mich ging.

Daß ich keine andere Pfarrstelle annehmen wollte, lag nicht an der Ortsbindung an Schmalkalden; Ich habe ja von vornherein gesagt, daß ich diese aufgeben würde. Grund dafür war vielmehr die schnelle Entscheidung des Landeskirchenrates. Er hat es nicht einmal für nötig gehalten, mich vorher zu hören, wie das auch das Pfarrergesetz vorschreibt. Ich kann es nicht anders sehen, als daß hier eine Disziplinarmaßnahme ergriffen wurde, ohne daß ein Disziplinarverfahren durchgeführt wurde. Es blieb ja nur die Möglichkeit der Strafversetzung.

Ich sollte ja sogar mit falschen Behauptungen über die Rentenregelung unter Druck gesetzt werden. Aber mir war klar, daß die Stasi-Leute ihre Drohung wahr machen würden, mich auch in einer anderen Pfarrstelle zu verfolgen. Letztlich habe ich natürlich „freiwillig“ um Entlassung gebeten. Aber man darf nicht vergessen, was vorausgegangen ist.

Ich bin schon der Meinung, daß ein Rehabilitierungsbedarf besteht. Schließlich ist in aller Öffentlichkeit von der Kanzel herab meine Beurlaubung verkündet worden, ohne daß nähere Erläuterungen gegeben wurden. Was Sie in Briefen später zur Klarstellung an mich geschrieben haben, sollte in gleicher Weise öffentlich bekannt gemacht werden, also zum Beispiel daß keine dienstlichen Verfehlungen vorliegen, daß ich jederzeit eine Pfarrstelle erhalten könnte, usw. Daß man sich zu mehr durchrinnen könnte, wage ich nicht zu hoffen. Da muß wohl erst noch mehr ans Tageslicht kommen. Daß auch bei mir Schuld und Versagen vorliegen, will ich schon zugestehen. Aber ich bin sicher, daß alles seinen geordneten Gang gegangen wäre, wenn nicht die Stasi im Hintergrund die Fäden gezogen hätte und Leute unter Druck gesetzt hätte. Der Kirche kann hier nur die Flucht nach vorn helfen, indem sie sich ihrer Vergangenheit stellt.      Mit freundlichem Gruß

 

 

[Domprediger Magdeburg Juli 2011:

„Glaube und Heimat“ (27/2011) berichtet von dem Konflikt zwischen dem Magdeburger Domprediger Giselher Quast und dem Gemeindekirchenrat über Fragen der Geschäftsführung und der künftigen Ausrichtung der Gemeinde. Im September 2010 sollte für Quast eine zusätzliche Predigerstelle geschaffen werden, die mit der Geschäftsführung verbundene Stelle sollte neu ausgeschrieben werden.

Doch im Februar klagte Quast vor dem kirchlichen Verwaltungsgericht dagegen: Die Vereinbarung sei unter zu großem Zeitdruck zustande gekommen, er habe nur 48 Stunden Zeit gehabt und habe nicht Pfarrvertretung und Juristen zu einer Prüfung heranziehen können. Vor allem aber sei das Ergebnis der Visitationskommission verlassen worden. Auch sei das Bewerbungsverfahren zu frühzeitig gestartet worden. Vor allem aber stößt er sich an der öffentlichen „Degradierung“ und dem drohenden Verlust der Dienstwohnung (sechs Jahre vor dem Ruhestand).

Der Personalreferent sagt, nun können nur das bereits eingeleitete Abberufungsverfahren weitergeführt werden. Dazu müssen Gespräche mit dem Gemeindekirchenrat, dem Kreiskirchenrat, dem Propst und Pfarrer Quast geführt werden.

Es gibt also ein eigenes (kirchen-) gerichtliche Abberufungsverfahren. Das gab es sicher zu meiner Zeit auch, aber über diese Möglichkeit hat man mich nicht unterrichtet, sondern behauptet, der Landeskirchenrat könne ohne Verfahren einen Pfarrer beurlauben (mit dem Ziel der Zwangsversetzung), denn disziplinarisch liege ja nichts vor. Bei einem Verfahren müssen Gespräche mit allen möglichen Leuten geführt werden. In meinem Fall hat der Landeskirchenrat nicht mit dem Gemeindekirchenrat gesprochen (höchstens mit seinem Vorsitzenden) und mir erst nachträglich (aber da auch nicht über die Sache, sondern nur über die Versetzung). Eine öffentliche Degradierung ist natürlich auch erfolgt, noch dazu ohne jegliche Begründung.

Man kann also sagen: Nicht nur die DDR war ein Unrechtsstaat, sondern auch der Landeskirchenrat der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen von 1989 sowie drei Mitglieder des Vorstandes der Kreissynode des Dekanats Schmalkalden].

 

Antwort Leich am 130. August 1991:

Sehr geehrter Herr Heckert! Ihren Brief vom 1. Juli 1991 habe ich nach meiner Rückkehr aus meinem Urlaub unserem juristischen Dezernenten zur Beurteilung vorgelegt. Nachdem diese erfolgt ist, möchte ich Ihnen eine Antwort geben. Sie umfaßt nur bestimmte Punkte aus Ihrem Brief.

1. Mehrheitsverhältnisse im Landeskirchenrat in der Sitzung am 21. Januar 1989: Der Beschluß,

Sie zu beurlauben, ist einstimmig ergangen. Etwa vorhandene unterschiedliche Einstellungen von Mitgliedern des Landeskirchenrates waren also nicht erheblich für die Entscheidung. Für den Beschluß des Landeskirchenrates waren maßgeblich die anhaltenden Querelen in Steinbach-Hallenberg sowie die in einem Gespräch im Landeskirchenrat am 17. Januar 1989 von Dekan Schreiber, Prodekan Hoffmann und dem Laienvorsitzenden des Kirchenvorstandes ausgesprochene Bitte an den Landeskirchenrat, tätig zu werden. Eine Beurlaubung nach § 45 Absatz 2 Pfarrerdienstgesetz braucht keine disziplinarischen Gründe zu haben. Bei akuten, gravierenden Schwierigkeiten kann nach § 45 Absatz 2 eine vorläufige Regelung ohne vorherige Anhörung des betroffenen Pfarrers getroffen werden. Im Kirchenrecht gilt: Bei akuten Schwierigkeiten in einer Gemeinde geht der Pfarrer. Es bleibt die Gemeinde. Diese Bereitschaft des Pfarrers, seinen Dienst gegebenenfalls in einer anderen Gemeinde fortzusetzen, gehört zu den Amtspflichten eines jeden Pfarrers.

 

2. Rehabilitierungsbedarf

Ich habe mehrfach klargestellt, daß der Landeskirchenrat bereit ist, Ihnen eine andere Pfarrstelle zu übertragen. Die entsprechenden Mitteilungen können von Ihnen verwendet werden. Unabhängig davon ist zu sagen, daß Steinbach-Hallenberg jetzt zum Kirchengebiet der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck gehört. Jetzt ist Ihre alte Landeskirche für Sie zuständig.

 

3. Zur Anlage

Die von Ihnen mitgeschickte Anlage „Aus meiner Stasi-Akte“ enthält Verleumdungen, zumindest üble Nachreden, zum Nachteil mehrerer Personen. Dies muß ich entschieden zurückweisen.

Bitte verstehen Sie, daß ich diesen Brief sehr ungern geschrieben habe. Aber Offenheit muß sein.  Es grüßt Sie Dr. Werner Leich

 

[Es lagen keine „gravierenden Schwierigkeiten“ vor, die Gemeinde war wohl versorgt, obwohl der andere Pfarrer total ausfiel. Schwierigkeiten machte nur der Vorsitzendes Kirchenvorstandes und der Dekan. Soviel ich weiß waren bei der Sitzung des Landeskirchenrat nur fünf Mitglieder anwesend, der Bischof fehlte. Im zweiten Teil des Schriftstücks „Aus meiner Stasi-Akte“ stehen in der Tat falsche Behauptungen (Krahmer und Hauser waren Opfer, nicht Täter), aber auch der Bischof konnte nicht wissen, was ich erst später aus dem Studium der Akten entnahm].

 

 

Brief von Oberkirchenrat Große vom 10. März 1992:

Sehr geehrter, lieber Bruder Heckert, nach dem vorliegenden Gesetz über den Umgang mit den Akten des früheren Ministeriums für Staatssicherheit sieht sich der Landeskirchenrat der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen außerstande, die Überprüfung auf Pfarrer auszudehnen, die in keinem dienstrechtlichen Verhältnis zur Landeskirche mehr stehen. Wohl leuchtet Ihr Argument ein, daß für die Frage der Überprüfung das Jahr 1989 von erheblicher Bedeutung ist. Andererseits ist die Zuständigkeit einer Dienstaufsichtsbehörde durch Dienstbeginn und Dienstende klar begrenzt.

Andererseits steht es Ihnen völlig frei, Ihre Überprüfung selbst zu beantragen. Dies müßte freilich nicht beim Landeskirchenrat geschehen, sondern als Antrag direkt an die Gauck-Behörde gerichtet werden. Beschuldigte Amtsbrüder in unserer Landeskirche haben diesen Weg gewählt und entsprechende Auskunft bekommen.

Sollten Sie auf diesem Weg nicht zum gewünschten Ziel kommen, können Sie sich gern wieder an uns wenden, um andere Möglichkeiten zu prüfen.

Ihnen, lieber Bruder Heckert, wünsche ich behütete Tage und Gottes Geleit alle Wege.

Herzlich grüßt Sie Ihr Ludwig Große.

 

Brief an den Landeskirchenrat der Ev.-luth. Kirche in Thüringen vom 9. Juli 1992:

Sehr geehrte Damen und Herren! Da mir zurzeit die Rechte aus der Ordination nicht zustehen bitte ich um eine Sondererlaubnis, mein Enkelkind taufen zu dürfen. Der Ortspfarrer ist damit einverstanden. Mit freundlichem Gruß

Antwort am 4. August: Sehr geehrter, lieber Bruder Heckert, nach Rücksprache mit dem Leiter der Rechtsabteilung, Herrn Oberkirchenrat Weispfenning, kann ich Ihnen mitteilen, daß Ihnen für diesen Fall die Genehmigung zum Vollzug der Taufe gegeben wird, da die Zustimmung des Ortspfarrers vorliegt. Der Landeskirchenrat wünscht dem Täufling, der Familie und der Gemeinde den spürbaren Segen Gottes und behütete Zeit.

Mit freundlichen Grüßen Ihr Ludwig Große

 

 

                                                                                              

Brief an den Landeskirchenrat der Ev.-Luth. Kirche in Thüringen vom 10. April 2000:

Sehr geehrter Herr Landesbischof, sehr geehrte Damen und Herren,

als ich im Jahre 1989 aus dem kirchlichen Dienst ausschied, mußte ich meine Ordinationsurkunde zurückgeben und verlor die Rechte aus der Ordination. Ich frage heute an, ob mir diese Rechte nicht wieder beigelegt werden können. Inzwischen bin ich nicht mehr berufstätig und würde sehr gerne beim Gottesdienst und evtl. auch bei Amtshandlungen in meiner Heimatgemeinde aushelfen. Weitere Rechte brauchten ja nicht mit einer entsprechenden Erlaubnis verbunden zu sein.

Ich finde es widersprüchlich, wenn jedes Gemeindeglied sich zum Prädikanten ausbilden lassen kann, mir aber nach 25 Jahren pfarramtlicher Praxis nicht einmal ein Lesegottesdienst erlaubt ist. So sitze ich dann unter der Kanzel und staune über die Leistungen der verschiedenen Prediger. Dabei kann es schon einmal vorkommen, daß mir statt einer eigenerarbeiteten Predigt eine Lesepredigt vorgesetzt wird.

Aber das eigentliche Problem liegt woanders. In meiner aktiven Zeit bildete ich mir ein, mit den Menschen in der Gemeinde doch noch einigermaßen verbunden zu sein. Heute ist mir klar, daß ich auch über den Köpfen schwebte. Es ist ein Unterschied, ob man über Arbeitslosigkeit redet oder ob man selber davon betroffen ist und „Klinken putzen“ muß.

Eine der ersten Bedingungen für den Zugang zum Pfarramt ist, daß man fünf Zeilen Hebräisch und fünf Zeilen Griechisch übersetzen kann. Dementsprechend füllen Pfarrer ihre Predigten mit dem, was sie gelernt haben, und erzählen biblische Geschichten und legen sie mehr oder weniger gut exegetisch aus. Und am Schluß heißt es dann noch: „Was das für unser Leben heute bedeutet, das müßt ihr euch jetzt selber überlegen!“

Dabei kann ich als Fachmann immer wieder feststellen, daß nicht einmal die Auslegung korrekt ist. Da wird ganz unbedarft ein Paulustext mit Hilfe der Apostelgeschichte erläutert, da ziehen Hunderttausende von Israeliten aus Ägypten und irren 40 Jahre in der Wüste umher und da wird das Jesajazitat aus Jes 43,1 einfach Jesus zugeschrieben. Sicherlich: Die Gemeinde merkt es nicht, es trägt für das Verständnis auch nicht viel aus. Aber wenigstens das Handwerkliche sollte bei den Predigten schon stimmen, nachdem man sieben Jahre Theologie studiert hat. Vor allem wundere ich mich immer wieder, daß man nach all der historisch-kritischen Forschung nachher doch wieder rein biblizistisch reden kann.

In der pfarramtlichen Praxis werden ganz andere Fähigkeiten erwartet, als im Studium vermittelt werden: Da soll man Feste organisieren und Geldquellen erschließen. Da ist man Bauleiter und Büroangestellter. Man soll eine ansprechende Amtshandlung bieten und alte Leute zum Geburtstag beehren. Theologie ist dabei weniger gefragt. Dabei ist eine theologische Bildung wichtig, weil sie vor Irrlehre und Irrwegen bewahren kann. Aber wenn sie zur Kopflastigkeit und Einseitigkeit führt, ist auch nichts gewonnen.

Ich halte es für die Kirche sehr hilfreich, wenn in ihr auch Menschen tätig werden dürfen, die mehr im Leben stehen, als ein Pfarrer das kann. Hier würde ich mich gelegentlich gern einbringen und bitte deshalb darum, daß ich wieder das Recht der freien Wortverkündigung erhalte (es müssen ja nicht alle Rechte aus der Ordination sein).

Mit freundlichen Grüßen

 

Brief an den Landeskirchenrat vom 6. November 2000:

Sehr geehrte Damen und Herren, im April schickte ich Ihnen einen Brief, den ich unten noch einmal wiedergebe. Ich habe mir ja gleich gedacht, daß es damit nicht einfach werden würde und konnte mir auch denken, wer da Einspruch erheben würde. Dennoch bitte ich wenigstens um eine Antwort und eine Begründung.

Die Fernsehpfarrer Fliege und Hahne oder Politiker haben doch auch die Rechte behalten. Das Gleiche gilt von Schulpfarrern, die erklärt haben, nicht wieder in den kirchlichen Dienst zurückkehren zu wollen. Wem würde es denn schaden, wenn ich hin und wieder Gottesdienste halten würde?

Ich weise noch einmal darauf hin, daß ich auf eigen Wunsch aus dem kirchlichen Dienst ausgeschieden bin. Es lagen keinerlei disziplinarische Gründe vor, wie man mir mehrfach versicherte. Auch hat man mir damals die Übernahme eines Pfarramts angeboten. Weshalb werde ich immer noch diskriminiert, nur weil ich das Angebot damals aus persönlichen Gründen ausgeschlagen habe?

Mit freundlichen Grüßen

 

 

 

 

Ergänzungen Kurhessen-Waldeck

 

Es fällt mir schwer, dieses Kapitel wiederzugeben. Es ist so voll von Demütigungen und Drumherumgerede und Unwahrheiten. Dabei ist die einfache Wahrheit: Ich wurde nicht wie in Kurhessen-Waldeck angestellt, weil der Dekan Einspruch erhoben hatte und deswegen extra in Kassel war. Wahrheit ist aber auch, daß der Prälat gelogen hat, die Pfarrstellen seien alle voll besetzt, während es in der Kirchenzeitung von 1992 ganz anders stand

 

Brief an den Prälaten am 9. August 1989:

Sehr geehrter Herr Prälat! Am 1. März 1989 bin ich aus dem Dienst der Ev. -Luth. Kirche in Thüringen ausgeschieden, weil ich den von mir verlangten Wechsel der Pfarrstelle nicht akzeptieren konnte. Das sollte aber nicht bedeuten, daß ich damit für immer aus dem kirchlichen Dienst ausscheiden wollte. Meine Meinung war: Wenn ich schon die mir hier geschaffene Existenz (u.a. ein Wohnhaus) verlassen muß, denn auch ganz, auch. damit Verleumdungen nicht so leicht mitwandern können.

Deshalb möchte ich mich um eine Pfarrstelle in der Evangelischen Landeskirche von Kurhessen--Waldeck bewerben. In dieser Landeskirche bin ich aufgewachsen. In Marburg habe ich studiert und (landeskirchliches) Examen gemacht. Ich stand auf der Liste der Theologiestudenten. Meine Ordinationsurkunde liegt in Kassel in Abschrift vor. Allein aus persönlichen Gründen (Eheschließung) ging ich in  Ev.-Luth. Kirche in Thüringen und bald darauf ins Dekanat Schmalkalden, das damals noch zur Evangelischen Landeskirche von .Kurhessen-Waldeck gehörte.

Auch heute ist es mein Wunsch, wieder in meiner Heimatkirche Dienst tun zu können. Die äußeren Voraussetzungen dafür müßten allerdings die Behörden der DDR schaffen.  Am 21. August 1989 haben wir einen Antrag auf Rückkehr in die Bundesrepublik gestellt. Falls ihm stattgegeben würde, möchte ich mich um eine Pfarrstelle in der Hanauer Gegend bewerben (von der man früher sagte, daß die Besetzung schwierig sei). Hoffnungsvoll stimmt mich auch, daß es bei Ihnen noch keine Warteliste für Theologiestudenten gibt, also doch noch ein gewisser Bedarf vorhanden ist.

Ich bitte um Verständnis, daß ich mich erst jetzt schriftlich melde. Wir mußten erst vermögensrechtliche Dinge regeln, ehe wir einen Antrag stellen konnten. Unter normalen Verhätnssen hätten wir ganz normal die Pfarrstelle gewechselt. Da die Verhältnisse aber nicht so sind, mußte ich erst aus dem kirchlichen Dienst ausscheiden und ein Arbeitsrechteverhältnis eingehen; Außerdem sollte mein Antrag nicht der Kirche angelastet werden können. Aber meine Verbindungen zur Evangelischen Landeskirche von Kurhessen-Waleck sollte dadurch nicht zerstört werden.

Ich bitte Sie, meinen Wunsch zu registrieren, auch wenn sich nicht sagen läßt, ob und wann er sich realisieren läßt. Senden Sie mir bitte aber keine Post an meine jetzige Anschrift.

Mit freundlichem Gruß

 

Brief an das Wissenschaftliches Prüfungsamt für die Lehrämter an der Gesamthochschule:

Datum: 20.12.1989, Antwort auf Schreiben vom 9.12.1989

Sehr geehrter Herr Heckert, auf Ihr Schreiben vom 9.12.1989 teile ich Ihnen mit, daß die Einstellung in den hessischen Schuldienst die Erste und Zweite Staatsprüfung für ein Lehramt mit zwei Fächern voraussetzt. Ob von Seiten der Evangelischen Kirche eine Möglichkeit besteht, Sie als Religionslehrer an einer Schule einzusetzen, entzieht sich meiner Kenntnis.

Sollten Sie die Absicht haben, die Befähigung zu einem Lehramt zu erwerben, könnten auf entsprechenden Antrag Ihrerseits aufgrund Ihrer abgelegten Ersten Theologischen Prüfung Studien- und Prüfungsleistungen in einem noch zu prüfenden Umfang auf Studium und Erste Staatsprüfung für das angestrebte Lehramt angerechnet werden. Ich übersende Ihnen hiermit die Vordrucke für ein Anrechnungsverfahren. Für eine persönliche Beratung stehe ich Ihnen während unserer Sprechstunden (Montag - Donnerstag 8.00 - 12.00 Uhr und 14.00 - 15.00 Uhr, Freitag 8.00 - 12.00 Uhr) gern zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen I. A. Kramer.

 

Erneutes Schreiben am 10. Januar 1990:

Sehr geehrter Herr Kramer, Ihr Vorschlag, einen Lehramtsstudiengang an der Gesamthochschule zu belegen, läßt sich in meinem Falle wohl nicht verwirklichen. Bei einer Studiendauer von 5 Jahren und einer Referendarzeit von 2 Jahren könnte ich bei meinem Alter fast gleich in den vorgezogenen Ruhestand hinübergleiten. Mit anderen Worten: Mit einer Anstellung wäre nicht zu rechnen.

Meine Anfrage richtete sich auch dahin, ob ich nicht mit nur e i n. e m Fach angestellt werden kann. Es gibt ja auch Lehrer, die als zweites Fach Religion gewählt haben und sich nun „aus Gewissensgründen“ weigern, in diesem Fach Unterricht zu erteilen und die deshalb nur in einem Fach unterrichten. Da ließe sich. doch in der Praxis vielleicht ein Ausgleich herstellen.

Nach Auskunft des Staatlichen Schulamtes besteht in unserem Bereich ein Mangel an evangelischen Religionslehrern. Der gesetzlich vorgeschriebene Unterricht muß ausfallen.

 Die Pfarrer werden dringend gebeten, noch mehr Unterricht zu übernehmen. Sie weigern sich aber wegen anderer Verpflichtungen. Ich dagegen hätte Zeit, diesen Aufgabenbereich. hauptamtlich abzudecken. Meine Qualifikation ist die gleiche wie die der Pfarrer im Amt, die doch auch Religionsunterricht erteilen dürfen. Besteht nicht doch. noch eine andere Möglichkeit als ein vollständiges Lehrerstudium. Mit freundlichen Grüßen

 

Gespräch mit Prälat Giesler am 26. Januar 1990:

Durch den persönlichen Besuch in Kassel wollte ich meinen Wunsch unterstreichen, wieder in der kurhessischen Kirche angestellt zu werden. Viel konnte ich nicht erwarten, da.ich ja über Herrn Brill schon schriftlichen Bescheid erhalten hatte. Herr Brill war mit dabei und half mit bei der Diskussion.

Zunächst erklärte der Prälat, daß ich ein Pfarrer der Thüringer Kirche gewesen sei. Er hätte das von Juristen prüfen lassen. Allerdings ist es bei Juristen so, daß sie nach Möglichkeit ein Türchen finden, wenn sie eine bestimmte Vorgabe erfüllen sollen. Hier ist ihnen offenbar die Vorgabe gegeben worden: „Wir können niemanden zusätzlich nehmen, es ist alles voll“. Im Jahre 1990 müssen 50 Pfarrer untergebracht werden und nur 30 gehen ab. Auch die Religionslehrerstellen sind alle besetzt. Niemand wird aus einer anderen Kirche übernommen, es sei denn, er ist ein Spezialist, den man unbedingt braucht.

Letztlich wurde alles auf die Thüringer geschoben: die müßten die Freigabe erteilen! Aber damit ist natürlich nicht zu rechnen. Es gibt offenbar noch mehr Fälle dieser Art, und noch mehr fürchtet man, daß eine Lawine entsteht, wenn man in einem Punkt nachgibt. Der Prälat sagte allerdings, bisher hätte man in der Regel die Freigabe nach zwei Jahren erteilt: Ob das aber so bleibt, ist fraglich (und dann stünde immer noch die Frage der Anstellung).

Später sagte er noch einmal, meine Personalakte sei in Eisenach, das sei das Kriterium dafür, daß ich ein Thüringer Pfarrer gewesen sei. Wenn man es so sehen will, findet man auch Argumente [Aber in Kassel gab es auch eine Personalakte von mir].

Ich könnte einen Antrag stellen, als Assistenzpfarrer eingesetzt zu werden. Aber auch da müßten die Thüringer im Grunde gefragt werden. Das könne Herr Weispfennig über Herrn Krech machen. Aber die Eisenacher seien in diesen Dingen jetzt sehr empfindlich (aber umgedreht haben die Eisenacher Angst vor den Kasselern). Er bestätigte, daß ich jetzt nicht einmal Gottesdienst halten darf. Das finde ich schon belastend, daß man jetzt auf einmal so tut, als habe ich nie dazugehört.

Der Prälat sagte ganz offen: Für einen Pfarrer sind die Grundrechte in einem gewissen Maße eingeschränkt. Das ist aber auch in anderen Berufen so, denn ein Arzt müsse auch Bereitschaftsdienst rund um die Uhr leisten. Und im Rheinland mit seiner presbyterialen Verfassung würden auch die Pfarrer auf einem Schleudersitz sitzen und öfter gefeuert.

Ich dagegen meinte: Die Kirchenleitung muß doch auch einen Sinn haben. Man hätte in Steinbach-Hallenberg schon viel früher eingreifen müssen und nicht dem Dekan und einem Laienvorsitzenden freie Hand lassen dürfen. Was nützen denn alle Gesetze, wenn der Landes-kirchenrat erklären kann, er stehe über den Gesetzen und könne im Einzelfall auch anders entscheiden. Da müßte man das Ordinationsversprechen ändern:Nicht die Ordnung der Kirche wahren, sondern das tun, was die Vorgesetzen und die Kirchenvorsteher sagen.

Schließlich legte er mir nahe, doch wieder in die DDR zu gehen. Dort würden Menschen gebraucht, und es sei ja jetzt auch nicht mehr so schlimm. Ich entgegnete: In Steinbach war man offenbar der Meinung, daß man keinen Pfarrer braucht. Das heißt schon etwas, wenn der andere Pfarrer wegen angeblicher Krankheit ausfällt auch dann noch den davonzujagen, der noch alles aufrechterhalten hat. Und nicht nur ihn, sondern weitere wichtige Mitarbeiter, für die kein Ersatz und nicht einmal eine Wohnung da ist. Was war da das „Wohl der Gemeinde“?

Dann kam das Argument: „Man könnte doch nicht einen ganzen Kirchenvorstand entlassen“.

Darum ging es ja nicht, es ging nur um die, die sich nicht an die Ordnung der Kirche gehalten haben. Wenn ich als Pfarrer mir das erlaubt hätte, was der Laienvorsitzende gemacht hat, wäre mir mit recht ein Disziplinarverfahren gemacht worden. So aber heißt es: „Der ist nicht bei der Kirche angestellt, da können wir nichts machen!“ Auch der Prälat in Kassel meinte: „In solchen Fällen wird der Pfarrer versetzt, auch wenn er nicht daran schuld ist. So einfach machen es sich die Herren!“ Dann sollten sie es aber auch von vornherein jedem Theologiestudenten sagen.

Zu dem Rat, wieder in die DDR zu gehen, kann man nichts sagen. So kann nur einer reden, der nie da war. Würde er denn hingehen? Würde er seinem Sohn diesen Rat geben? Ich habe immerhin meinen guten Willen gezeigt, indem ich meine besten Jahre drangegeben habe.

Ich hätte mich damals besser von der kurhessischen Kirche nach Schmalkalden delegieren lassen sollen, dann hätten sie mich heute nehmen müssen, so wie das bei den Auslandspfarrern der Fall ist. Aber wer hat damals daran gedacht?

Es wird mir ja jetzt das Bewerbungsrecht verwehrt. Ich darf nicht mit anderen Bewerbern um eine Pfarrstelle konkurrieren. Eine Gemeinde könnte sich zwar einen wünschen, aber er müßte immer erst von der Landeskirche übernommen werden, wenn er von außerhalb kommt.

Hier gilt ehren nicht das Leistungsprinzip. Und wenn einer einmal angestellt ist, wird man ihn nicht wieder los, es sei denn, er habe silberne Löffel geklaut (das denken sie ja noch heute von

mir in Steinbach, weil es sonst nur solche Fälle gibt).

Es war die Rede davon, daß ein Pfarrer aus Kurhessen in die Provinz Sachsen gehen will, nicht nur für ein Jahr, sondern lebenslänglich bzw. mindestens für fünf Jahre. Das halte ich ja noch für besonders problematisch, wenn nicht wenigstens ein Ehepartner dabei ist, der

die Verhältnisse kennt. Dabei geht es gar nicht einmal nur um die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, sondern zum Beispiel um den Unterricht und das Eintreiben der Kirchensteuer, so etwas gibt es im Westen doch gar nicht. Es ist unverantwortlich, einen Menschen ohne vorherige Erfahrung dorthin zuschicken.

Ich sagte aber auch: In der DDR wird sich so schnell nichts ändern, vor allen Dingen bei den Menschen nicht. Das steckt nun einmal drin, daß man zuerst Beziehungen haben muß und daß man den Staat hintergehen darf, wo man nur kann. Das sind doch die Dinge, mit denen ich

mich nicht abgefunden habe (Beispiele: Geschenke an Angestellte, falsche Angaben gegenüber Denkmalpflege, Versicherungsbetrug). Aber all diese Dinge interessierten den Prälaten nicht. Ich sagte: „Diese Frage haben wir vor einem Jahr entschieden: Lieber härteste körperliche Arbeit, wie wir sie jetzt tun müssen, aber nicht mehr in der DDR. Dort wären wir über kurz oder lang vielleicht wieder in der gleichen Situation.

Der Prälat machte auf mich den Eindruck eines Opas, der bald in den Ruhestand gehen wird und es mit niemand verderben will, dem auch in der Tat die Sachzwänge und bestimmte Leute im Nacken sitzen.

Er sagte zum Schluß noch, es sei sicher gut, daß man sich einmal persönlich gesprochen habe. Aber ich solle doch einmal sehen, wenn erst einige Zeit darüber vergangen ist und ich meine jetzige Arbeit vielleicht satt habe, ob ich nicht doch wieder in die DDR zurückgehe, Ob er das wohl in ähnlicher Weise auch seinen 20 überzähligen Pfarrern sagt: „Geht dorthin, dort werden Menschen gebraucht!“

 

 

 

Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck: Bewerbungsrecht für eine Pfarrstelle:

Datum: 5. März 1990

Auch nach dem Gespräch mit dem Herrn Prälaten am 26. Januar 1990 möchte ich meinen Antrag auf Erteilung des Bewerbungsrechts für eine Pfarrstelle erneut vorbringen. Die in dem Gespräch mit dem Herrn Prälaten genannten Gründe für die Verweigerung dieses Rechts sind nach meiner Ansicht nicht ausreichend:

1. Ich bin in der Evang Kirche von Kurhessen-Waldeck aufgewachsen, stand auf der Liste der Theologiestudenten und habe in Marburg landeskirchliches Examen gemacht.

2. Aus persönlichen Gründen mußte ich danach in die DDR ziehen. Auf Wunsch des damaligen Dekans Döll in Schmalkalden leistete ich die Vikariatszeit in der Thüringer Kirche ab. Aber augestellt wurde ich von der Evang. Kirche von Kurhessen-Waldeck. Auf der Berufungsurkunde steht: „Im Einvernehmen mit der Kirchenleitung“. Diese war in Kassel, dort wurde auch eine eigene Berufungsurkunde hinterlegt. Ich wurde angestellt auf einer Pfarrstelle des kurhessischen Kirchenkreises Schmalkalden. Leider wurde damals versäumt, eine spezielle Delegierung auszusprechen wie bei einem Pfarrer, der im Ausland tätig ist. Aber das war ja auch nicht erforderlich, da es sich nach wie vor um eine Pfarrstelle der Evang. Kirche von Kurhessen-Waldeck handelte.

3. Durch den Vertrag vom 1. Februar 1972 mit der Ev.-Luth. Kirche in Thüringen wurde ich zwar formal Pfarrer dieser Kirche. Aber in dem Vertrag ist auch festgelegt, daß sich am Status der Pfarrer und ihrem „Besitzstand“ nichts ändert. Sie gelten nur als Pfarrer der Ev.-Luth. Kirche in Thüringen. Folglich erhielt ich auch bis 1989 Bezüge aus der Landeskirchenkasse in Kassel (ich habe sogar Kirchensteuer an das Rentamt Hanau gezahlt).

4. Ich habe zwar zum 31.März 1989 mein Dienstverhältnis mit der Ev.-Luth. Kirche in Thüringen gekündigt, aber über Herrn Pfarrer Brill zum Ausdruck gebracht, daß dieses sich nicht auf mein Verhältnis zur Evang..Kirche von Kurhessen-Waldeck auswirken soll. Das Ausscheiden aus dem Dienst geschah aus Gewissensgründen, weil ich die Anbiederung an den Staat und die Korruption in Gemeinde und Kirchenkreis nicht mehr mitmachen konnte. Da auch der Landeskirchenrat in Eisenach nichts „gegen die Organe des Dekanats unternehmen“ wollte, war es mir innerlich unmöglich, in dieser Kirche weiter Dienst zu tun. Die ausgesprochene Beurlaubung war formal nicht korrekt ‚weil ich vorher nicht gehört wurde, wie es das Pfarrergesetz vorschreibt. Sie war aber auch inhaltlich nicht in Ordnung, denn es lag keine Disziplinarverfehlung vor und es war auch nicht Gefahr im Verzug. Man hätte nach den eigenen Gesetzen einen ganz anderen Weg mit einer ausführlichen Prüfung wählen müssen.

5. Die Abmachungen der deutschen Kirchen aus den fünfziger Jahren treffen in meinem Fall nicht zu, denn ich habe keine Gemeinde verlassen. ich mußte auch den Eindruck haben, daß ich an anderer Stelle nicht gebraucht werde in einer Landeskirche, die einen Pfarrer überstürzt beurlaubt, obwohl die andere Pfarrstelle in der Gemeinde praktisch nicht versehen wird. Andererseits wollte ich nicht zum Schein eine andere Pfarrstelle nur zum Schein antreten, aber die Ausreise weiter betreiben. Mein Antrag sollte nicht der Kirche angelastet werden, deshalb schied ich erst aus ihrem Dienst aus und stellte erst geraume Zeit später den Antrag. Immerhin hat der Staat meine „nur“ humanitären Gründe anerkannt und die Genehmigung erteilt. Warum tritt da die Kirche nicht wenigstens in die Prüfung dieser Gründe ein?

6. Man kann nicht sagen, daß ich aus einer „fremden“ Landeskirche komme. denn ich heute mit dem Theologiestudium begönne, würde sich die Evang. Kirche von Kurhessen-Waldeck auch für mich verantwortlich fühlen, weil ich in ihrem Bereich lebe. Ich bin ein „Landeskind“ und kein „Ausländer“.

7. Es liegt eine Ungleichbehandlung vor, wenn Pfarrer aus dem Dekanat Schmalkalden (die ja dann auch aus einer „fremden“ Landeskirche kommen würden) ihre Pension beim Umzug in die Bundesrepublik nicht aus der Ostpfarrerversorgung der EKD in Stuttgart erhalten, sondern aus Kassel. Das geschieht auch, wenn der Betreffende nur relativ kurz im Dekanat war und sich zum Beispiel vorzeitig pensionieren ließ oder wenn er sich politisch wohlverhalten hat und gar nicht in die Gefahr kam, eine Pfarrstolle zu verlieren.

 

Ich erwarte nicht, sofort von der Landeskirche auf eine Pfarrstelle gesetzt zu werden. Aber die Aufnahme in eine Warteliste wäre nur recht und billig, nachdem ich meine besten Jahre für diese Landeskirche eingesetzt habe (noch dazu im „hessischen Sibirien“). Es geht nur darum“ das Bewerbungsrecht zu erhalten, so daß ich wie bei Stellenausschreibungen im „weltlichen" Bereich mit anderen Bewerbern konkurrieren könnte. Diese Entscheidung liegt nach meiner Asicht allein beim hat der Landeskirche und bedarf keiner „Freigabe“ durch den Landeskirchenrat in Eisenach. Bei mir liegt der Fall nicht anders als bei irgendeinem Pfarrer in der Bundesrepublik, der einmal für einige Zeit beurlaubt oder auch ganz ausgeschieden war und nun wieder in den Dienst der Landeskirche zurückmöchte.

Einstweilen bitte ich darum, einen ehrenamtlichen Dienst als Assistenzpfarrer gemäß Kirchengesetz vom 16. Mai 1984 tun zu dürfen. Zum Ortspfarrer habe ich ein gutes Verhältnis, zumal er ein Studienkollege ist (wir haben am gleichen Tag Examen gemacht). Er sowie die anderen Pfarrer in der Stadt würden meine Mithilfe in den großen Gemeinden begrüßen.

Mit freundlichen Grüßen

 

Antwort am 22. März 1990:

Sehr geehrter Herr Heckert, auf Ihr o.a. Schreiben hin haben wir die Sach- und Rechtslage noch einmal gründlich bedacht. Das Landeskirchenamt hat dem Herrn Bischof empfohlen, Ihren Antrag auf Erteilung des Bewerbungsrechts für eine Pfarrstelle bzw. auf Übernahme in unseren kirchlichen Dienst abzulehnen. Der Herr Bischof lehnt deshalb Ihren Antrag ab.

Entscheidender Gesichtspunkt ist, daß Sie aus dem Pfarrdienst in Thüringen und Schmalkalden auf Ihren Antrag hin ausgeschieden sind. Damit haben Sie gleichzeitig alle Rechte gegenüber unserer Kirche verloren.

Wir können Ihnen nur empfehlen, sich an die Thüringer Kirche zu wenden mit der Bitte, dort wieder in den Pfarrdienst aufgenommen zu werden. Aus dem gleichen Grunde kann auch Ihrer Bitte, einen ehrenamtlichen Dienst als Assistenzpfarrer zu tun, in unserer Kirche nicht entsprochen werden.

Uns ist deutlich, daß unsere Entscheidung von Ihnen als eine harte Entscheidung angesehen wird. Wir sind es Ihnen schuldig, Ihnen eine klare Antwort zu geben, damit Sie sich in Ihrer Lebensplanung entsprechend einrichten können.

Mit freundlichen Grüßen Weispfennig

 

Brief an Bischof und Prälat an 2. Juli 1990:

Sehr geehrter Herr Bischof! Sehr/geehrter Herr Prälat!

In der Anlage übersende ich Ihnen die Ablichtung eines Schreibens des Landeskirchenrates der Ev.-Luth. Kirche in Thüringen, das er mir schon jetzt vor Ablauf der üblichen Fristen übersandte. Vielleicht können Sie daraus entnehmen, daß mein Fall anders liegt als andere Fälle.

Als ich am 5. März 1990 an Sie schrieb, wollte ich damit nicht ein Rechtsposition aufbauen. Ich wollte nur um eine Prüfung der besonderen Umstände bitten, die zu dem nicht leichten Schritt der Entlassung aus dem Dienst der Kirche geführt haben. Nähere Einzelheiten dazu könnten Sie ja in Eisenach erfahren. Dort sieht man die Dinge jetzt offenbar anders als vor eineinhalb Jahren, weil jetzt mehr Informationen vorliegen über die Hintergründe.

Ich bitte Sie um Verständnis, daß ich nicht wieder in den Dienst der Ev.-Luth. Kirche zurückkehren kann. Zwar ist der Staatssicherheitsdienst dort erst einmal entmachtet, aber mit meiner anders geprägten Erziehung und meinen Überzeugungen passe ich dort nicht hin.

Ich bitte Sie noch einmal, alles zu überdenken und zu prüfen, ob Sie mir nicht doch das Bewerbungsrecht geben können. Auch verstehe ich nicht, weshalb zunächst ein ehrenamtlicher Dienst in der Kirche nicht möglich sein soll.  Mit freundlichem Gruß

 

Antwort am 14. August 1990:

Sehr geehrter Herr Heckert, wir haben gerne zur Kenntnis genommen, daß der Landeskirchenrat der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen keine Einwendungen dagegen hat, daß Sie sich um eine Pfarrstelle in einer anderen Landeskirche bewerben können. Wir müssen freilich feststellen, daß dies unseren Bescheid vom 22. März 1990 nicht berührt. Wir haben in dem Bescheid vom 22. März 1990 festgestellt, daß Sie aus dem Pfarrdienst in Thüringen und Schmalkalden auf Ihren Antrag hin ausgeschieden sind und damit alle Rechte gegenüber unserer Kirche verloren haben. In unserer Kirche haben wir genügend geeignete Pfarrerinnen und Pfarrer, denen gegenüber wir verpflichtet sind. Die Kirchen in der DDR benötigen Pfarrer.

Als Assistenzpfarrer können wir Sie nicht einstellen, weil Sie damit die Erwartung verbinden würden, zu einem späteren Zeitpunkt in den hauptamtlichen Dienst unserer Kirche übernommen zu werden. Wir sehen uns nicht in der Lage, Ihnen eine andere als diese klare Antwort zu geben.  Mit freundlichen Grüßen   Weispfennig

 

 

Evangelische Kirche in Deutschland Kirchenkanzlei, 11. Dezember 1990

Ich schrieb auch an die Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland:

Sehr geehrte Damen und Herren!

Mit der Bitte um Auskunft wende ich mich an Sie als das übergeordnete Organ: Ist eine Landeskirche nicht für die in ihrem Bereich wohnenden Theologen verantwortlich? Gibt es darüber nicht Absprachen zwischen den Landeskirchen?

Ich habe mich bei der für meinen Wohnort zuständigen Kirche, in der ich auch aufgewachsen bin und bei der ich auch einmal Examen gemacht habe, um eine Pfarrstelle beworben. Doch man hat es abgelehnt, mir das Bewerbungsrecht zu erteilen mit der Begründung, man habe genug fähige Leute

Daß die nahegelegene Nachbarkirche (in deren Bereich ich zur Schule gegangen bin) mir abgesagt hen kann ich verstehen, wenn das Territorialprinzip gilt. An welche Kirche kann ich mich denn nun noch wenden.? Können Sie mir da einen Hinweis geben?

Mit freundlichem Gruß

 

Das EKD-Kirchenamt antwortete am 05.02.1991: Sehr geehrter Herr Heckert,

in der Regel gilt, daß für die Bewerbung eines Pfarrers die Landeskirche zuständig ist, in der das zweite Examen abgelegt worden ist. Allerdings ist in einigen Landeskirchen die Situation so, daß nicht mehr alle, die über ein entsprechendes Examen verfügen, angestellt werden können. Es bestünde dann die Möglichkeit, sich bei anderen Landeskirchen zu erkundigen, ob dort der Bedarf so groß ist, daß er nicht allein besorgt werden kann durch diejenigen, die ihre Prüfung in der Landeskirche gemacht haben.

Ich kann Ihnen also nur empfehlen, sich an die Personalreferenten der Landeskirchen zu wenden und sich dort zu erkundigen. Die Anschriften bzw. Telefonnummern der Landeskirche entnehmen Sie bitte der beigefügten Informationsschrift.     Mit freundlichen Grüßen

 

Brief an die Evangelische Landeskirche von Kurhessen-Waldeck 11. Dezember 1990:

Nachdem die Synode neue Festlegungen getroffen hat, bitte ich darum, als ehrenamtlicher Pfarrer eingesetzt zu werden.

Antwort am 10.01.1991; Sehr geehrter Herr Heckert, wir haben Ihren kurzen Antrag vom 11. Dezember 1990 zur Kenntnis genommen und teilen Ihnen noch einmal mit, was Sie bereits durch unser Schreiben vom 14. August 1990 wissen: Wir sehen keine Möglichkeit, Sie als Pfarrer im Ehrenamt einzustellen. Auch durch die Überarbeitung des sogen. Erprobungsgesetzes hat sich an unserer Entscheidung nichts geändert. Mit freundlichen Grüßen     im Auftrag Dreisbach,

Entgegnung am 27.01.1991: Sehr geehrter Herr Dreisbach! Entschuldigen Sie, daß ich mich noch einmal an Sie wende. Aber vielleicht habe ich mich nicht richtig ausgedrückt. Ich wollte anfragen, ob es nicht irgendeine Möglichkeit gibt, ehrenamtlich in der Kirche tätig zu werden und zum Beispiel Gottesdienste zu halten. Wenn „echte“ Laien einen ganzen Gottesdienst ohne Anleitung eines Pfarrers einen ganzen Gottesdienst gestalten können, dann müßte es doch auch eine Möglichkeit geben für einen, der des gelernt hat und praktische Erfahrung hat, aber jetzt: wieder Laie ist. Meines Wissens gibt es in unserem Kirchenkreis jemand, der am Filmmuseum in Frankfurt arbeitet, aber. vertretungsweise Gottesdienst hält; ich nehme an, daß er nicht Lektor ist, sondern Prädikant oder so etwas. Diese Möglichkeit müßte doch auch für mich offenstehen.

An den jetzigen Verhältnissen ändert sich dadurch nichts. Im Schreiben vom 14. August 1990 sprechen Sie davon, daß ich die Erwartung haben könnte, zu einem späteren Zeitpunkt in den hauptamtlichen Dienst übernommen zu werden. Das ist die einzige Begründung, weshalb Sie die Einsetzung als ehrenamtlicher Pfarrer ablehnen. Doch die-Möglichkeit, sich um einen hauptamtlichen Dienst zu bewerben, hat doch wohl jeder, der die Voraussetzungen mitbringt Das heißt aber doch nicht, daß er auch einen Anspruch hat. Insofern würde sich doch nichts ändern, wenn ich in irgendein (ehrenamtliches) Dienstverhältnis übernommen würde. Daß ich zunächst einmal nach einer hauptamtlichen Anstellung gefragt habe, ist etwas anderes als das, wonach ich jetzt frage.  Mit freundlichem Gruß

 

Ich wandte mich auch an di Evangelische Kirche von Hessen-Nassau, aber da sagt man mir, sie hätten keinen Bedarf, Auch eine Bewerbung beim Frankfurter Evangelischen Regionalverband auf eine Bibliothekarstelle in Frankfurt blieb man erfolglos, weil man lieber einen gelernten Bibliothekar haben wollte als einen Theologen.

 

 

Anfrage wegen Pfarrstelle am 28.08.1991:

Wie ich gehört habe wird die Pfarrstelle von Frau Teichmann-Keim in Maintal-Dörnigheim frei. Ich möchte anfragen, ob ich mich um Ofäse Stelle bewerben kann. In den Jahren 1967 - 1971 war ich im Dienst der kurhessischen Kirche (meine erste Anstellung). Zurzeit bin ich berufsfremd beschäftigt.

Antwort am 5.09.1991: Sehr geehrter Herr Heckert, da Ihnen die Anstellungsfähigkeit für den Pfarrdienst in unserer Landeskirche nicht zuerkannt worden ist, würden wir eine von Ihnen evtl. eingehende Bewerbung weder um die vorgenannte Pfarrstelle noch um irgend eine andere Pfarrstelle in unserer Landeskirche akzeptieren. Wir verweisen auf den in der Sache geführten Schriftwechsel. Bereits mit unserem Schreiben vom 22.03.1990 hatten wir Ihnen eine eindeutige Antwort gegeben. An der Situation hat sich nichts geändert.Wir empfehlen Ihnen, Kontakt mit der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen bzw. mit deren Partnerkirche aufzunehmen. Mit freundlichen Grüßen  im Auftrag Dreisbach.

 

 

Personalbericht von Prälat Giesler 1992: Viele Pfarrstellen unbesetzt

„Blick in die Kirche“, Nummer 6-7/1992, Seite 19

.In der Landeskirche von Kurhessen-Waldeck waren Ende April 58 von insgesamt 811 Pfarrstellen unbesetzt. Wie Prälat Erhard Giesler in seinem Personalbericht vor der Landessynode erklärte, hänge das mit der ungewöhnlich hohen Zahl der Pensionierungen in den Pfarrer-Jahrgängen 1926 bis 1928 zusammen. Anfang Mai wurden 13 Stellen von jungen Pfarrerinnen und Pfarrern besetzt, und Giesler rechnet damit, daß bis zum Jahresende nicht mehr als 45 Stellen vakant bleiben.

Für die Zukunft schlug er eine Reihe von neuen Maßnahmen vor, um die Versorgung der Gemeinden zu sichern: Theologen-Ehepaare sollten nicht mehr eine Stelle teilen, sondern anderthalb Stellen besetzen;            Pfarrerinnen und Pfarrer aus anderen Landeskirchen sollten übernommen werden können; die Ausbildung von „Pfarrverwaltern“ (ohne universitäres Theologiestudium) könnte wieder eingeführt werden; und in absehbarer Zeit müßte die Pensionierungsgrenze möglicherweise wieder nach oben verlagert werden.

Von 803 Pfarrerinnen und Pfarrern, die zum 1. April dieses Jahres in der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck beschäftigt waren, sind weit mehr als die Hälfte unter 45 Jahre alt. Der Anteil der Frauen liegt zurzeit bei rund 23 Prozent, aber „erst in den nächsten 15 Jahren dürfte er bei 40 Prozent liegen“, meinte Giesler.

Die Stellenlage für junge Theologen bezeichnete der Prälat als „entspannt“; bisher habe man alle geeigneten Kandidaten in das Pfarramt übernehmen können. Der Rückgang der Theologiestudentenzahlen sei sogar bedenklich: „Abiturienten sollten wieder zum Theologiestudium ermutigt werden“, sagte Giesler wörtlich [Mir gegenüber hat der Prälat also glatt gelogen]..

 

Beschwerde von Erich Nothnagel 1992:

Der Vizepräsident der Ev. Kirche von Kurhessen-Waldeck am 22. Dezember 19692:

Sehr geehrter Herr Heckert, unser Landessynodaler, Herr Erich Nothnagel, Steinbach-Hallenberg, Kirchenkreis Schmalkalden, hat kürzlich von einem Gespräch berichtet, das Sie mit dem Mitglied des Synodalvorstandes der Landessynode von Kurhessen-Waldeck, Herr Dekan Rudolf Jockel, geführt haben mit dem Inhalt, Herr Nothnagel habe Mitte der achtziger Jahre für den Staatssicherheitsdienst der ehemaligen DDR gearbeitet und dabei kirchliche Interna preisgegeben.

Ich gehe davon aus, daß der Gegenstand dieses Gesprächs korrekt wiedergegeben worden ist, und verbinde dies mit der Bitte, Behauptungen dieser Art - wenn erforderlich - nur dann zu verbreiten, wenn sie tatsächlich belegbar sind. In diesem Fall sollten Sie diese Tatsachen auch gegenüber dem Landeskirchenamt offenlegen, damit ich hier die Möglichkeit habe, Ihren Informationen nachzugehen. Mit freundlichen Grüßen

 

Antwort am 12. Januar 1993: Sehr geehrter Herr Bielitz, zu Ihrem Brief vom 22.12.92 möchte ich bemerken: In einem Telefongespräch wies ich Herrn Jockei darauf hin, daß durch die Wiedereingliederung des Dekanats Schmalkalden eine neue Situation entstanden ist und man die dortigen Synodalen auf eventuelle Stasimitarbeit untersuchen sollte, wie das auch in den östlichen Synoden geschieht. Er fragte mich, ob ich Herrn Nothnagel meine. Ich antwortete darauf weder mit ja noch mit nein, sondern sagte: „Auch Herrn Bunge, er war immerhin Reisekader!“ Ich habe also ganz allgemein gesprochen.

Herr Jockel sagte mir, alle Synodalen lind kirchlichen Mitarbeiter hätten einen Antrag auf Überprüfung gestellt. Das war mir neu, denn mich hat man ja nicht dazu aufgefordert (man müßte ja nach dem Stand von 1989 gehen).

Ich war mir mit Herrn Jockel auch darin einig, daß man nicht die ganze hessische Synode überprüfen sollte, um die Gauck-Behörde nicht zu überlasten (Inzwischen ist mir das allerdings wieder fraglich geworden, denn in dem mir bisher zugegangenen Teil meiner Stasi-Akte ist ein in „Gabriel“ aus der Kirchenleitung in Kassel vertreten, wo ich die Gauckbehörde um Entschlüsselung des Decknamens gebeten habe). Aber für mich war das Gespräch an sich beendet bzw. hatte sein Ziel erreicht, als ich von der Überprüfung der Mitarbeiter aus Schmalkalden hörte. Ich sagte ausdrücklich: „Dann ist es ja gut so!“

Erst danach hat mich Herr Jockel noch einmal nach Herrn Nothnagel gefragt. Doch ich habe nicht behauptet, was Sie dementieren. Es ging nicht um die Preisgabe kirchlicher Interna. Aber ich bin fest davon überzeugt, daß Herr Nothnagel seine Reisen in den Westen dadurch erkauft hat, daß er seit Anfang 1988 zusammen mit anderen in der Kirchengemeinde im Sinne der Stasi (oder gar in ihrem Auftrag) gehandelt hat. Er hat mir selber von einem Anwerbeversuch der Stasi berichtet. Ich glaube ihm, daß er zunächst standhaft geblieben ist. Aber er dürfte „umgefallen“ sein, als ihm die Polizei die Westreise verweigerte und ihm ein stadtbekannter Stasimann doch noch die Genehmigung besorgte. Doch ich werde mich hüten, so etwas in die Öffentlichkeit zu tragen, solange ich keine schriftlichen Beweise habe. Ein Telefongespräch oder ein Gespräch unter vier Augen rechne ich nicht zur Öffentlichkeit.

Der eigentliche Skandal liegt meiner Meinung auch nicht in möglichen Stasiverstrickungen, sondern in der Berufung Herrn Nothnagels in die Landessynode. In der Gemeinde hat er nie die erforderliche Stimmenzahl für eine Direktwahl erhalten (hier zeigt sich, daß das Wahlsystem nur bedingt demokratisch ist). Er war die treibende Kraft, daß innerhalb eines Vierteljahres sechs hauptamtliche Mitarbeiter der Gemeinde kündigten und die Gemeinde mit zwei Pfarrstellen fast drei Jahre nur notdürftig versorgt wurde und bis heute keinen Kantor hat.

 

Im Übrigen habe ich den Eindruck, daß die Kirche sich gar nicht intensiv genug um die Aufklärung ihrer Stasi-Vergangenheit müht. Die Gauck-Behörde ist natürlich überlastet. Alle Bescheide von dort können auch nur vorläufig sein, denn es ist längst nicht alles Material archiviert, vieles steht noch in Säcken herum, die Verfilmung ist noch nicht erschlossen: Aber es gibt ja auch noch andere Möglichkeiten. Im Landratsamt Schmalkalden gibt es zum Beispiel. ein Aktenstück der ehemaligen Abteilung Inneres, in der die Geschenke an die kirchlichen Mitarbeiter aufgelistet sind (mit Klarnamen). Dabei ist man aber so ungeschickt vorgegangen, daß teilweise zweimal im Jahr der Geburtstag als Grund für das Geschenk angegeben wurde. Übermäßige Geschenke zählen aber zu den sechs Kriterien, die die Ev.-Luth. Kirche in Thüringen als belastend angesehen hat.

Natürlich muß man vorsichtig sein mit Behauptungen und Verdächtigungen. Aber es wurde in Schmalkalden schon einmal eine Verleumdungsklage einer Pfarrfrau wegen erwiesener Grundlosigkeit abgewiesen. Herr Bunge hat schon recht, wenn er vor ungerechtfertigten Verdächtigungen warnt, weil das bis zu Selbstmorden führen könnte. Aber ich habe noch nicht von ihm gehört, daß er sich die gleiche Sorge auch um die Opfer der Stasi gemacht hätte, die ja vielleicht in der gleichen Gefahr gestanden haben.

Ich danke Ihnen, Herr Bielitz, für Ihr Angebot, eventuell bekanntgewordene Tatsachen gegenüber dem Landeskirchenamt offenzulegen. Für mich ist klar, daß zunächst einmal dieser Weg der gegebene ist. Ich behaupte nichts leichtfertig, weil ich ja selber nicht wahrhaben wollte, was mir an Informationen zugegangen ist; diese sind zwar aus den Quellen gekommen, aber für mich nicht schriftlich belegbar. Doch zusammen mit den eigenen Beobachtungen ergeben sie für mich schon ein ziemlich deutliches Bild.

Ich habe Verständnis für jeden, der den Verlockungen der Stasi erlegen ist. Ich bin voll und ganz bereit zu christlicher Vergebung. Aber dazu muß die Schuld erst einmal ausgesprochen sein. Aber solange das nicht geschieht, wächst dieses Krebsgeschwür am Leib der Kirche weiter und wird eines Tages fürchterlich aufbrechen. Hätten die Betroffenen gleich alles offengelegt, wäre es jetzt schon überwunden. Wenn sich etwas Neues ergibt, hören Sie wieder von mir. Mit freundlichem Gruß

[Es ist auch zu fragen, woher Herr Jockel etwas von möglichen Verdächtigungen gegen Herrn Nothnagel wußte. Nur weil er ein alter Studienkollege von mir ist, habe ich ihn nicht wegen Bruch des Amtsgeheimnisses angezeigt, denn er mußte wissen, daß so ein Telefongespräch vertraulich ist. Das Landeskirchenamt hat nicht auf spätere Informationen zum Beispiel wegen der konspirativen Wohnung reagiert].

 

 

Brief an Bischof Zippert am 12. Januar 1993:

Sehr geehrter Herr Zippert! Am 31. Oktober werden Sie in Hochstadt den Gottesdienst halten. Wenn es Ihre Zeit irgendwie erlaubt, wäre ich für ein Gespräch dankbar. Ich kann immer noch nicht verstehen, daß die eine Kirche mir versichert, ich könne jederzeit ein Pfarramt bei ihr übernehmen, und in meiner Heimatkirche darf ich nicht einmal einen Gottesdienst halten. Für mich ist das nicht allein eine juristische Frage. Deshalb wende ich mich an Sie als den Bischof. - Der Bischof hatte aber anschließend in Wiesbaden einen Termin. Deshalb wurde ich für den 9 Dezember zu einem Gespräch in Kassel eingeladen.

 

Gespräch mit Bischof Zippert am 10. Januar 1994 in Kassel, 11 Uhr:

Ich hatte den Bischof gefragt, weshalb die eine Kirche mir versichert, ich könnte jederzeit bei ihr eine Pfarrstelle erhalten, und die eigene läßt mich nicht einmal einen Gottesdienst halten. Der Bischof redete sich erst langsam an den Punkt heran, aber immerhin nannte er mir dann den Grund: Die Landeskirche wird nichts gegen den Kirchenkreis Schmalkalden tun! Dort sei man nicht damit einverstanden, daß ich ein Pfarramt erhalte, weil da noch Dinge aus der Vergangenheit im Raum stünden, die nicht bereinigt seien und die ich immer wieder neu belebe, Zum Beispiel wäre ich öfter in Steinbach-Hallenberg und würde hetzen, und auch über Rudolf Jockel hätte ich Behauptungen ausgestreut.

Ich antwortete darauf: Da haben sie doch ihre Drohung wahr gemacht, dafür zu sorgen, daß ich nie wieder eine Pfarrstelle kriege! Ich brachte auch zum Ausdruck, daß dies mit ein Grund war, nicht in eine Thüringer Pfarrstelle zu gehen. Der andere Grund war, daß ich von dieser Kirche enttäuscht war, die sich nicht einmal die Mühe gemacht hatte, mich anzuhören und die einfach den Weg des geringsten Widerstands ging.

Ich schilderte noch einmal die Wirkung der öffentlichen Verkündigung der Beurlaubung: weil eine Begründung fehlte, konnte jeder alles annehmen. Und wenn ich dann sagte, es ginge nur um die allgemein bekannten Streitigkeiten, dann unterstellte man mir, ich würde immer noch loyal zur Kirche halten. Außerdem sagte ich, daß ich nur schwer mit Leuten arbeiten könne, die immer wieder ihre Unschuld in Sachen Stasi beteuern und heute noch genauso wie früher den Staat betrügen wollen.

Die Sache mit Rudolf Jockel konnte ich richtigstellen, ich glaube, das hat mir Herr Zippett abgenommen, daß ich da nicht speziell gegen jemand hetzen wollte, sondern nur allgemein auf das Problem hinweisen wollte. Ich betonte noch einmal, daß ich sehr genau zwischen Vermutungen, Behauptungen und Tatsachen unterscheide und natürlich selbstverständlich annahm, daß der Inhalt des Gesprächs vertraulich bleibt.

Ich brachte dann zum Ausdruck, daß es ja nicht an mir liege, wenn da etwas unbereinigt ist. Ich sei zu einer Aussprache bereit. Aber es scheitert ja daran, daß die Gegenseite ganz steif und fest jede Verstrickung leugnet und mich wiederum auf die Anklagebank setzt. Hätte man gleich über die Vergangenheit gesprochen, wäre längst alles ausgestanden. Jetzt ist schon sehr viel Zeit vergangen und es wird immer schwerer, aber das Krebsgeschwür wächst.

Ich machte dann deutlich, daß mehr als Vermutungen bestehen, daß schon konkrete Nachrichten vorliegen und auch Material vorhanden ist. Es gibt eine Akte Naumann, es gibt eine Akte Geschenke an kirchliche Mitarbeiter, es gibt Veröffentlichungen in der Presse (zum Beispiel konspirative Wohnung im Gemeindehaus; zwar widersprochen, aber keine Klage). Daß Herr Schreiber die Verdienstmedaille der DDR zum 40. Jahrestag erhalten hat, war dem Bischof nicht bekannt. Er versuchte auch, von diesen Einzelheiten wegzukommen. Ich wies aber darauf hin, daß die Kirche als Arbeitgeber Möglichkeiten hat, die Dinge aufzuklären. (Vergessen habe ich den Fluchtversuch des Schreibersohnes).

Zum Thema Nothnagel sagte ich noch, daß er einen Anwerbeversuch ja zugegeben hat, aber nach meiner Meinung „umgefallen“ ist, als er die Westreise wollte und diese nur über die Stasi bekam. Wahrscheinlich hat er nichts unterschrieben und behauptet deshalb, er habe nichts mit der Stasi zu tun gehabt. Aber ich vermute weiter, daß er der Stasi behilflich gewesen ist, weil er von diesem Zeitpunkt an so intensiv querschoß.

Jedenfalls machte ich deutlich, daß es mir um eine Rehabilitation geht. Dazu gibt es nach meiner Meinung drei Möglichkeiten:

1. Rücknahme der Beurlaubung: Formal war sie nichtig, weil ich vorher nicht gehört wurde, aber auch sachlich war sie unangebracht, weil sie eine Zwangsversetzung erreichen wollte, ohne daß disziplinarisch etwas vorlag. - Hier sagte Herr Zippert, daß das Sache der Thüringer sei. Ich wies ihn jedoch darauf hin, daß sein gutes Verhältnis nach dort auch in die Waagschale geworfen werden kann (früher sagte Eisenach: „Wir müssen auf Kassel Rücksicht nehmen“).

2. Die Zulassung auf eine Pfarrstelle wäre mir auch Rehabilitierung, gerade weil jetzt deutlich wird, daß man gerade dieses von Schmalkalden aus verhindern will. Der Bischof fragte mich noch einmal, ob ich das wirklich wolle. Ich sagte: „Vor zwei Jahren hätte ich sofort ja gesagt, heute würde ich mir das überlegen!“ Ich verwies darauf, daß ich inzwischen eine zweite Berufsausbildung gemacht habe und ein zweites Standbein habe.

3. Wenn die Kirche nicht zur Rehabilitierung bereit ist, muß ich selber versuchen, die Hintergründe aufzudecken. Ich weiß allerdings nicht, ob ich jemals etwas dazu in die Hand bekommen. Und zu den Stasileuten möchte ich im Augenblick nicht gehen. Wenn die Betroffenen selber die Wahrheit sagten, wäre mir das lieber. Bei der Gelegenheit sprach ich noch von dem Stasispitzel im Landeskirchenrat, der Landesverrat begangen hat und mir sehr hätte schaden können.

 

Es ist nicht so ganz einzusehen, weshalb die Einstellung in einer neuen Stelle abhängen soll von der „Freigabe“ der früheren Stelle. Das Landeskirchenamt ist doch souverän und sollte sich nicht durch so eine Aussage selber die Hände binden. Die Thüringer lassen sich offenbar doch auch nicht dadurch binden.

Leider habe ich vergessen zu fragen, wer in diesem Fall denn den Kirchenkreis Schmalkalden repräsentiert. Meiner Meinung nach wäre das eine Sache der Pfarrkonferenz. Aber vielleicht sind es in der Praxis nur Schreiber, Nothnagel und Bunge.

Leider habe ich auch vergessen, daß bei Herrn Nothnagel der eigentliche Skandal woanders ist: Er repräsentiert als Musterlaie den Kirchenkreis Schmalkalden, ist aber nie auf direktem Weg von der Gemeinde gewählt worden. Im Gegenteil, man hat mich gewarnt, mich mit ihm anzulegen, weil „stärke Kräfte hinter ihm stehen“. Wahrscheinlich soll er bewußt im Zentrum des Geschehens sein, um unangreifbar zu werden.

 

Stellungnahme zu den Antworten von Bischof Zippert und Präsident Bielitz:

Die Landeskirche ist frei, anzustellen wen sie will. Es ist aber sicher einmalig, wenn sie sich dabei von Gerüchten aus einem Kirchenkreis beeinflussen läßt. Außerdem bleibt der Widerspruch, daß diese Behauptungen für die eine Kirche die entscheidende Rolle spielen, für die andere aber nicht.

Ich weise die Behauptung zurück, ich würde an meinem früheren Dienstort ungerechtfertigte Stasibeschuldigungen verbreiten. Nach Rücksprache mit meiner Frau können wir uns nur an ein Gespräch etwa im Jahre 1991 erinnern, wo uns ein Ehepaar nach dieser Sache gefragt hat und wir unsre Meinung sagten (sie haben aber versprochen, nichts davon weiter zu sagen).

Es ist wohl eher so, daß die Leute innerhalb und außerhalb der Gemeinde immer noch von den Vorgängen reden, die ja doch ungewöhnlich sind. Sie haben ja auch schon davon geredet, als ich noch da war. Durch mein persönliches Erscheinen werden solche Diskussionen vielleicht wieder angeregt. Aber ich brauche dazu gar nichts zu tun. Man wird mir doch nicht verbieten wollen, nach Steinbach-Hallenberg zu gehen! Wenn ich weiter dort hätte wohnen wollen, hätte man mir das doch wohl auch nicht verbieten können.

Weil man das Gerede nicht unterdrücken kann, sucht man einen Schuldigen. Damit will man wohl auch von der eigenen Schuld ablenken. Inzwischen ist schon der dritte Pfarrer aus dem Dekanat Schmalkalden bekannt, der die Verdienst-Medaille der DDR bekommen hat. Man sollte die Betreffenden einmal fragen, ob sie die Medaille noch in ihrem Besitz haben, was sie mit den 1.000 Mark Prämie gemacht haben und weshalb sie sie (zum Teil gegen den Rat des Kirchenkreisvorstandes) angenommen haben, aber nie öffentlich dazu gestanden haben, damals nicht und heute nicht.

Solche Pfarrer sind weiterhin im Amt oder im Ruhestand und sollen darüber entscheiden können, daß ein anderer nicht wieder ins Amt kommt! Wahrscheinlich werden sie erst anders darüber denken, wenn ihre Verstrickung erwiesen ist und sie selber mit Maßnahmen rechnen müssen. Ich wünsche es aber keinem! Doch bisher setzt man noch auf diese Leute und will die anderen mundtot machen (ich bin ja nicht der Einzige, dem es so geht). Klüger wäre es jedoch nach meiner Meinung, statt Diskriminierung die Kritiker einzubinden durch eine Anstellung, damit sie nichts mehr sagen können.

 

Mein Ziel ist weiterhin eine Rehabilitierung. Es ist nicht damit getan, daß der Landeskirchenrat in Eisenach im Brief schreibt, es bestehe dafür kein Bedarf, weil mir ja kein Schaden entstanden sei, ich könne ja jederzeit eine Pfarrstelle in Thüringen übernehmen. Zur Rehabilitierung gehört auch Öffentlichkeit. denn man hat ja auch mit Kanzelabkündigungen den Eindruck erweckt, daß ich etwas verbrochen hätte (dadurch, daß man überhaupt keinen Grund genannt hat, ist allen Spekulationen Tor und Tür geöffnet). Zumindest gehört dazu auch das Eingeständnis, daß man formale Fehler gemacht hat und die eigenen Bestimmungen nicht beachtet hat, wodurch erst meine Reaktion hervorgerufen wurde.

Die andere Möglichkeit wäre eine Anstellung in der Ev. Kirche von Kurhessen-Waldeck. Das würde ich als eine stillschweigende Rehabilitation ansehen. Wenn man dazu nicht bereit ist, muß ich selber an meiner Rehabilitierung arbeiten. Vielleicht gibt es kein gerichtsverwertbares Material mehr oder es wird mir nicht zugänglich. Aber wenn ich etwas erhalten sollte, würde ich es auch einsetzen. Wahrscheinlich würde ich es erst über das Landeskirchenamt in Kassel gehen lassen. Herr Vizepräsident Bielitz hat darum gebeten. Er ist der Erste, der einmal danach gefragt hat, das ist immerhin ein hoffnungsvolles Zeichen. Nur indem man die Vergangenheit bearbeitet, kann sie bewältigt werden.

 

Die Kirche – auch die Pfarrkonferenz - hat verschiedene Möglichkeiten, zu einer Klärung zu finden, unabhängig von der Auskunft der Gauck-Behörde. Eine solche Auskunft könnte sowieso nur vorläufig sein, weil viele Datenbestände noch gar nicht erfaßt, geschweige denn ausgewertet sind. Doch folgende Möglichkeiten gibt es schon jetzt:

1. Die Meldung der „Tageszeitung“, im Ev. Gemeindehaus Steinbach-Hallenberg sei eine  

    konspirative Wohnung der Stasi gewesen, ist nicht widerlegt. Die angekündigte Strafan-

   zeige gegen die Zeitung ist unterblieben.

2. Über Herrn Naumann existiert eine Akte, die der Arbeitgeber auf Antrag einsehen über die

    er von der Gauck-Behörde Auskunft erhalten kann. Die von Frau Naumann eingereichte

    Verleumdungsklage wurde abgewiesen

3. Ein Aktenstück der Kreisverwaltung über Geschenke an Pfarrer bis hin zu Ferienreisen

    wurde dem Dekanat schon angeboten, aber nicht angenommen. Daraus geht hervor, daß

    manche Pfarrer nicht nur eine Flasche Wein zu Neujahr erhalten haben, sondern zum Bei-

    spiel Bananen aus der Kreisratskantine und Geschenke für die Frau bis hin zu ganzen

    Ferienreisen einschließlich Fahrtkosten. Manche Pfarrer hatten sogar zweimal im Jahr

    Geburtstag, um Geschenke zu erhalten.

4. Die Gründe für die Verleihung der Verdienstmedaillen wären zu erfragen. Inzwischen ist

   schon der dritte Pfarrer im Kirchenkreis Schmalkalden bekannt, der die Verdienst-Medaille

   der DDR bekommen hat. Man sollte die Betreffenden einmal fragen, ob sie die Medaille

   noch im Besitz haben, was sie mit den 1.000 Mark Prämie gemacht haben und weshalb sie

   sie (zum Teil gegen den Rat des Kirchenkreisvorstandes) entgegengenommen haben, aber

   niemals öffentlich dazu gestanden haben, damals nicht und heute nicht. Aber diese Pfarrer

   sind weiterhin im Amt oder im ehrenvollen Ruhestand und entscheiden mit darüber, daß ein

   anderer nicht wieder ins Amt kommt. Wahrscheinlich werden sie erst anders darüber den-

   ken, wenn ihre Verstrickung einmal erwiesen ist und sie selber mit Maßnahmen rechnen

    müssen. Ich wünsche es keinem!

5. Über anonyme Briefe vor und nach der Wende wäre zu reden

6. Angeblich soll es auch (konspirative) Treffen von Pfarrern mit „Staatsvertretern“ gegeben

    haben, bei denen kein kirchlicher Zeuge dabei war. Die Gast-stätte „Ehrental“ mag dabei

   eine entsprechende Rolle gespielt haben.

7. Die Meldung der „Tageszeitung“, im Ev. Gemeindehaus Steinbach-Hallenberg sei eine

    konspirative Wohnung der Stasi gewesen, ist nicht widerlegt. Die angekündigte Straf-

    anzeige gegen die Zeitung ist unterblieben.

8. Die Umstände des Fluchtversuchs eines Pfarrerssohnes wären zu klären

9. Die Bedingungen für die Vergabe von Auslandsreisen wären zu diskutieren

10. Über die anonymen Briefe schon vor der Wende wäre zu reden

11. Die Landeskirche sollte einen Studienauftrag zur selbständigen Sichtung des Archivs in

     Suhl vergeben, sie braucht nicht auf eine Einzelauskunft zu warten. Allerdings muß man

    dabei bedenken, daß die Bestände in Suhl besonders schlecht erschlossen sind. Jede Aus-

    kunft kann also nur vorläufigen Charakter haben, weil sie sich nur auf die Zeit bis 1975

    bezieht.

12. Laut Angaben der Gauckbehörde waren etwa 1 Prozent der Bevölkerung inoffizielle Stasimitarbeiter. Wenn bisher in Thüringen von den 300 überprüften kirchlichen Mitarbeitern 12 als deutlich belastet eingestuft wurden, dann sind das 4 Prozent. Was bei den noch zu überprüfenden 500 Mitarbeitern herauskommt, bleibt abzuwarten. Bisher zählt man ja nur die Fälle, bei denen es nichts zu deuteln gibt, wo Verpflichtungserklärungen und Geldzahlungen vorliegen. Dazu kommt aber noch die Grauzone, in der man staatlichen Stellen Gefälligkeiten erwiesen hat, selten aus Überzeugung, sondern meist um persönlicher Vorteile willen. Diese waren Urlaubsreisen und Geschenke, vor allem aber Westreisen mit Diplomatenpaß und unkontrolliertem Grenzübergang. Nur zum geringen Teil ging es bei den Kontakten zur Stasi um Vorteile für die Gemeinde (weniger Schwierigkeiten, Materialzuteilungen).

13. Die Landeskirche hätte die Möglichkeit, einen Studienauftrag zur selbständigen Sichtung Gauckarchivs in Suhl vergeben, sie braucht nicht auf eine Einzelauskunft zu warten. Allerdings muß man dabei bedenken, daß die Bestände in Suhl besonders schlecht erschlossen sind. Jede Auskunft kann also nur vorläufigen Charakter haben, weil sie sich nur auf die Zeit bis 1975 bezieht.

 

Zur Angelegenheit des Synodalen Nothnagel ist zu sagen: Ich habe nicht gesagt, was behauptet wurde. Der Name wurde nicht von mir ins Spiel gebracht. Eine Meinungsäußerung unter vier Augen ist keine öffentliche Aussage. Daß etwas davon nach außen gedrungen ist, habe ich nicht zu vertreten (Der Verlauf der Telefongesprächs mit Herrn Jockel wurde schon oben gschildert.

Ich habe nicht behauptet, daß irgendein kirchlicher Mitarbeiter im Kirchenkreis Schmalkalden ein offizieller Mitarbeiter der Stasi gewesen sei in dem Sinne, daß er eine Verpflichtungserklärung unterschrieben hat oder direkte Geldzuwendungen erhalten hat. Aber ich vermute anhand von mündlich mitgeteiltem Wissen von Stasiauflösern und aus Indizien, daß der eine oder andere sich für Vergünstigungen erkenntlich gezeigt hat. Diese Vergünstigungen bestanden je länger je mehr in Dienstreisen in den Westen mit Diplomatenpaß und unkontrolliertem Grenzübergang.

Tatsache ist, daß der für den Kirchenkreis Schmalkalden zuständige Führungsoffizier bei Herrn Nothnagel einen Anwerbungsversuch für die Stasi gemacht hat. Diesen Versuch hat er damals zurückgewiesen und auch (relativ) öffentlich gemacht. Ich vermute aber stark, daß er es sich anders überlegt hat, als ihn das Visum für eine Westreise von der höchsten zivilen Stelle abgelehnt worden war. In diesem Fall gab es ur noch eine Möglichkeit: die Stasi! Ein stadtbekannter Stasimann hat ihm die Reise dann auch innerhalb von zwei Tagen vermittelt und innerhalb von zwei Monaten noch zwei weitere Reisen. Kurz darauf hat er selber einer Angestellten der Kirchengemeinde eine Westreise vermittelt, obwohl diese unverheiratet war und dieser Personenkreis damals noch nicht fahren durfte. Der Vater dieser Angestellten war im Kirchenvorstand.

Danach setzte das irrationale Verhalten dieses Kirchenvorstehers und Herrn Nothnagels ein, das vom Dekan und einigen Pfarrern in gleicher Irrationalität unterstützt wurde. Jetzt wurden auf einmal längst erledigte Dinge wieder aufgewärmt, unflätige Ausdrücke fielen in der Sitzung und wurden nicht gerügt, offen wurde der Bruch der Verschwiegenheit angekündigt, unnötige Veränderungen in der Geschäftsverteilung wurden vorgenommen, kleinlichste Kritik wurde geübt, der Vorwurf der Urkundenfälschung wurde erhoben.

 Noch Mitte Januar 1989 hatte ich eine insgesamt sechsstündige Aussprache mit Herrn Nothnagel, in der alles geklärt wurde und er sich zu einer konstruktiven Zusammenarbeit bereiterklärte. Aber noch am Abend ließ er sich vom Dekan wieder umstimmen und ging am nächsten Tag mit nach Eisenach, um sich zu beschweren. Man hatte den Eindruck, daß verschiedene Leute wie unter Druck handelten. Damals konnte ich mir das nicht erklären. Daß da ein Stasihintergrund bestehen könnte, habe ich noch nach der Wende zurückgewiesen. Heute denke ich anders darüber.

Doch die Stasifrage ist nicht einmal das Entscheidende. Der eigentliche Skandal ist, daß in der Landessynode jemand sitzt, der in seiner eigenen Gemeinde nie die nötige Stimmenzahl für eine Direktwahl erhalten hat und nur dank seiner großen Verwandtschaft und der geringen Wahlbeteiligung überhaupt die Mindeststimmenzahl erreicht hat. Hier sieht man einmal die Schwächen des gemischten Wahlsystems in Kurhessen: Es gibt kaum eine Möglichkeit, jemanden abzuwählen, weil er immer berufen wird, notfalls durch die Kreissynode. In der Gemeinde ist Herr Nothnagel jedenfalls nicht beliebt.

Wenn Herr Nothnagel mir vorgeworfen hat, wegen mir seien drei Mitglieder aus dem Kirchenvorstand ausgeschieden, so muß man ihm vorhalten, daß wegen ihm innerhalb eines Vierteljahres sechs Angestellte der Kirchengemeinde gekündigt haben. Das waren aber keine ehrenamtlichen Mitarbeiter wie die Kirchenvorsteher, sondern hauptamtliche, so daß die Gemeinde plötzlich ohne Pfarrer, Katechetin, Kantor, Verwaltungsleiter und Hausmeisterehepaar dastand. Aber weil man in den Synoden einen Vorzeigelaien braucht, redet man dann lieber nicht über die Verhältnisse vor Ort.

 

Die Begründung für meine geplante Zwangsversetzung war, bei Vorliegen eines zerrütteten Verhältnisses zwischen Pfarrer und einem Gemeindeglied sei es einfacher, den Pfarrer zu versetzen, als zu klären, welches die Ursachen sind. Die Gemeinde könne man nicht versetzen, aber es gehöre zum „Berufsrisiko“ eines Pfarrers, in so einem Fall gehen zu müssen.

Man sagt, in so einem Fall seien immer beide Seiten schuld. Aber dann kann man nicht nur einen bestrafen, sondern muß beide zurückziehen. Wenn es an Herrn Nothnagel liegt, daß mir nicht wieder die Rechte des geistlichen Standes verliehen werden, so kann ich vor der nächsten Wahl genauso Einspruch gegen seine ehrenamtliche Tätigkeit in der Kirche erheben. Begründung ist: Er hat gegen kirchliche Vorschriften und Gewohnheiten und zum Schaden für die Gemeinde gehandelt.

Es könnte natürlich sein, daß er sich inzwischen geändert hat und nicht mehr die Probleme macht wie damals. Dann wäre er aber zu fragen:

1. Beruft er immer noch Kirchenvorstandssitzungen ein ohne Abstimmung von Termin und Inhalt mit den Pfarrern?

2. Nimmt er immer noch Pfarramtsakten mit in seine Werkstatt und macht Vorschriften über die Beantwortung von amtlichen Briefen?

3. Nimmt er immer noch selber Lohnberechnungen vor und behauptet, sie seien richtig, auch wenn sie objektiv falsch sind?

4. Spielt er sich immer noch als Vorgesetzter der kirchlichen Angestellten auf und gibt ihnen Anweisungen ohne Rücksprache mit Pfarrern und dem Kirchenvorstand?

5. Ist Herr Nothnagel immer noch der Meinung, daß er recht gehandelt hat, als er zweckgebundene Baugelder nach Sympathie und Antipathie unter die Angestellten verteilt hat mit dem Argument: „Ich habe das Geld besorgt, also kann ich auch damit machen, was ich will?“

 

Nach dem Urteil eines langjährigen Pfarrers aus dem Kirchenkreis Schmalkalden gibt es im Kirchenkreis nur eine Gemeinde, die problematisch ist: „Das ist Steinbach-Hallenberg. Und das liegt am Kirchenvorstand und besonders an dessen Laienvorsitzenden. Steinbach-Hallenberg ist in der Landeskirche das negative Beispiel für den Laienvorsitz!“ Soweit dieses Zitat eines Pfarrers, der die Verhältnisse kennt. Deshalb hat sich ja auch so gut wie kein Pfarrer aus Thüringen für die zwei unbesetzten Pfarrstellen gefunden. Sie konnten nur von Leuten aus dem Westen besetzt werden, die sonst keine andere Stelle fanden.

Dabei war Steinbach-Hallenberg einmal eine Vorzeigegemeinde. Ich war zwar immer unzufrieden über die meiner Meinung nach zu geringe Beteiligung am Gemeindeleben. Die Stasi hat mein Wirken und meinen Einfluß und nicht zuletzt den meiner Frau maßlos überschätzt. Aber immerhin ist in über zwei Jahrzehnten kein Gottesdienst ausgefallen, jede Amtshandlung wurde abgesichert, es war wöchentlich kirchlicher Unterricht, alle Gemeindekreise wurden fortgeführt, auch auf den Dörfern - und das trotz Vakanzen in der eigenen Gemeinde und in der Umgebung, trotz Krankheit und Schwangerschaftsurlaub. Trotz unsäglicher Mühen wurden die Gebäude instandgehalten, Rüstzeitenheim und Kindergarten über die Zeit gebracht, fähige Mitarbeiter gewonnen (hauptamtlich und ehrenamtlich). Die Verwaltung wurde in Ordnung gebracht (vor 1970 gab es zum Beispiel keinen einzigen Arbeitsvertrag oder Pachtvertrag). Wahrscheinlich lief alles zu gut und weckte Neid bei den Kollegen und Besorgnis bei den staatlichen Stellen.

Ich hatte gehofft, daß die Verantwortlichen in sich gehen und sich sagen „Wir müssen die hauptamtlichen Mitarbeiter, die eine Ausbildung und Zugang zu Erfahrungen haben, nach Kräften unterstützen, wir dürfen ihnen nicht aus Besserwisserei und Rechthaberei noch Knüppel zwischen die Beine werfen. Nur im Zusammenwirken zwischen Hauptamtlichen und Laien können die Probleme angegangen werden.

Stattdessen haben weiterhin nur einige Laien das Sagen. Sie haben einen stromlinienförmigen Kirchenvorstand geschaffen. Gerade die jungen Leute sind wieder ausgeschieden, weil sie sich dem Diktat der „Macher“ nicht beugen wollten. Ein Laie kann eine viel schlimmere Diktatur ausüben, als es ein Pfarrer je wagen würde. Das sage ich heute, obwohl ich immer für den Laienvorsitz im Kirchenvorstand war. Ich halte ihn auch heute noch für angebracht. Aber wehe, wenn hier jemand hochgespült wird, der anderswo nicht zum Zuge gekommen ist!

 

Ich kann heute meinen Weg auch ohne die Kirche gehen. Eine zweite Berufsausbildung habe ich inzwischen abgeschlossen und übernehme im Herbst eine Dozentenstelle am Hessischen Verwaltungsseminar. Für das Theologiestudium bin ich sehr dankbar, weil es mir persönlich viel Gewinn gebracht hat. Aber es fällt mir schwer, mit ansehen zu müssen, wie die Täter in einflußreichen Stellungen sitzen und äußerlich ungebrochen ein Amt in der Kirche innehaben, während die Opfer auch nach der Wende noch die Opfer bleiben. Es bedrückt mich, wenn in manchen Gemeinden außer dem Pflichtprogramm Gottesdienst, Amtshandlungen und Unterricht fast nur Allotria getrieben wird und das dennoch als kirchliche Gemeindearbeit angesehen wird.

Es tut mir auch leid um die Gemeinde, in der ich mit meiner Familie über zwei Jahrzehnte versucht habe, das zu halten, was zu halten war, in der aber nun alles platt gemacht wird.

Ich gehe nicht so weit wie meine Frau, die meint, ihr Lebenswerk sei vergeblich gewesen. Aber ich sage weiterhin: „Ihr habt den Falschen in die Wüste geschickt!“ Der wahre Sündenbock meckert noch vor der Herde her, von der sich aber immer mehr absetzen. Die Gemeinde hat durchschaut, was gespielt wurde. Sie sagt: So wie in der Gesellschaft, so ist es auch in der Kirche: Überall trifft man auf die alten Leute, und die anderen sind in den Westen gegangen! Nur weiter oben will man das noch nicht wahrhaben!

 

Meine Genauigkeit in Verwaltungsdingen, meine Unbestechlichkeit und meinen Gerechtigkeitssinn hat man offenbar für seine Machenschaften genutzt. Dennoch wollte man mir gerade in Verwaltungsdingen an den Wagen fahren. Ich habe mich immer auf den Standpunkt der staatlichen und kirchlichen Gesetze gestellt, weil mir dadurch am ehesten eine Sicherung gegen Willkür gegeben schien. Heute nehme ich an, daß man bewußt meine Genauigkeit in diesen Dingen, meine Unbestechlichkeit und meinen Gerechtigkeitssinn für seine Machenschaften genutzt hat. Man wußte, daß ich bei den Kungeleien und willkürlichen und eigenmächtigen Befehlen nicht mitmachen würde. Ich wollte nicht der verbreiteten DDR - Mentalität erliegen, sondern war der Meinung, wenigstens in der Kirche müsse es anders zugehen. Mein Festhalten an staatlichen und kirchlichen Gesetzen schien mir die beste Sicherung gegen Willkür zu sein.

Ich war aber auch einfach in der Zwickmühle: Wäre ich nicht gegen die falschen Lohnberechnungen des Laienvorsitzenden eingeschritten, hätte man mir Amtspflichtverletzung vorwerfen können und mich haftbar gemacht, wie es ja auch in einem anderen Fall geschehen ist. Hätte ich bei dem versuchten Subventions- und Versicherungsbetrug mitgemacht, hätte man auch etwas gegen mich in der Hand gehabt. Mein Fehler war, daß ich bei der verbreiteten DDR-Mentalität nicht mitgemacht habe und der Meinung war, daß es doch wenigstens in der Kirche anders zugehen müßte.

Mein Gegensteuern stellte man dann als Unruheschaffen dar. Daß der damals zuständige Landeskirchenrat mich ohne Prüfung der Umstände so hängen ließ, hat zu meiner Bitte um Entlassung aus dem kirchlichen Dienst geführt. Leider stellt sich auch die neue (alte) Kirchenleitung auf den Standpunkt: Wir wollen gar nicht wissen, was früher gewesen ist! Ich fürchte, diese Vergangenheit wird noch einmal fürchterlich hervorbrechen.

Dabei könnte längst alles ausgestanden sein. Die Gemeinden hätten bestimmt Verständnis, die persönlichen Verletzungen wären geheilt. Aber vergeben kann man nur, wenn Schuld und Versagen erst einmal ausgesprochen und bekannt wurden. Dann würde auch in Steinbach-Hallenberg manches ändern.

 

Die vielbeschworenen „Steinbacher Verhältnisse“ haben erst nach meinem Weggang in anderer Weise eingesetzt. Man hat einen stromlinienförmigen Kirchenvorstand geschaffen, aus dem gerade die jungen Leute wieder ausgeschieden sind, weil sie sich dem Diktat der „Macher“ nicht beugen wollen. Ein Laie kann eine viel schlimmere Diktatur ausüben, als ein Pfarrer das je wagen würde. Das sage ich heute, obwohl ich immer für den Laienvorsitz im Kirchenvorstand war. Aber wehe, wenn hier jemand hochgespült wird, der anderswo nicht zum Zug gekommen ist

Dabei war Steinbach-Hallenberg eine Vorzeigegemeinde. In über zwei Jahrzehnten ist kein Gottesdienst ausgefallen, jede Amtshandlung wurde abgesichert, es war wöchentlich kirchlicher Unterricht, alle Gemeindekreise wurden fortgeführt - auch auf den Dörfern -, die Gebäude wurden instandgehalten, Rüstzeitenheim und Kindergarten wurden über die Zeit gebracht, fähige haupt- und nebenamtliche Mitarbeiter gewonnen, die Verwaltung war in Ordnung gebracht worden.

Alt das wurde durch Herrn Nothnagel von einem auf den anderen Tag heruntergewirtschaftet. Nur durch den Einsatz der kurhessischen Landeskirche konnte der Einbruch wieder abgefangen werden. Doch weil man in den Synoden einen Vorzeigelaien braucht, sieht man über die Verhältnisse vor Ort hinweg. doch wer hier versagt hat, kann die Kirche nicht in übergemeindlichen Gremien repräsentieren. So kann ich Herrn Nothnagel nur auffordern, wenn er etwas zum Wohl der Gemeinde tun und die Vergangenheit bereinigen will, auf all seine kirchlichen Ehrenämter zu verzichten.

Offenbar hat sich in den letzten fünf Jahren nichts geändert. Man hat einen stromlinienförmigen Kirchenvorstand geschaffen, aus dem gerade die jungen Leute wieder ausgeschieden sind. Ein Laie kann eine viel schlimmere Diktatur ausüben, als ein Pfarrer das je wagen würde. Das zeigt auch ein Beispiel aus jüngster Zeit: Bei der Kirmes war Frau Bergit geborene Nothnagel tot umgefallen. Die Angehörigen kamen zur Kirchenkasse, um die Beerdigung anzumelden, und diese wurde dort auch vereinbart (offenbar ohne Rücksprache mit dem Pfarrer). Erst nachträglich will man bemerkt haben, daß die Verstorbene aus der Kirche ausgetreten war. Nun war aber die Zusage schon gemacht.

Mir ist klar, was ich in einem solchen Fall gemacht hätte (zumal die Verstorbene zu Lebzeiten ausdrücklich abgelehnt hatte, ihr Kind zur Christenlehre zu schicken): Ich hätte die Trauerfeier abgelehnt und der Mitarbeiterin auf der Kirchenkasse gesagt, sie müsse den Fehler wieder ausbügeln. So ein Fehler kann gar nicht vorkommen, weil man ja als erstes die Karteikarte zieht. Doch hier war offenbar die Bekanntschaft wichtiger. Ich hätte dabei nicht mitgemacht, um der Glaubwürdigkeit der Verkündigung willen. Aber das wurde mir immer als Gesetzlichkeit ausgelegt; dabei habe ich nichts anderes gemacht, als was ich schon bei der Ordination versprochen habe, nämlich die Ordnung der Kirche zu wahren.

In diesem Fall wurde der Kirchenvorstand zusammengerufen und Herr Nothnagel entschied : "Wir können doch nicht so sein, wir müssen doch Barmherzigkeit üben, es wird christlich beerdigt !" Das ist kein Zeichen dafür, daß Herr Nothnagel sich geändert hat. Nur weil es sich um eine alteingesessene Familie und um die Tochter des Kunstmalers handelte, wurde so entschieden, bei "Fremden" hätte man es wahrscheinlich unter Hinweis auf kirchliche Bestimmungen abgelehnt. Aber der Pfarrer muß auch heute machen, was Herr Nothnagel entscheidet.

Aus all diesen Gründen spreche ich Herrn Nothnagel das Recht ab, die Gemeinde in der Synode zu vertreten. Wenn Herr Nothnagel immer noch nicht einsieht, daß er der Gemeinde geschadet hat und heute noch schadet, wird er mit meinem Einspruch vor der nächsten Kirchenvorstandswahl rechnen müssen (auch wenn der Einspruch sicher vom Kirchenkreisvorstand abgeschmettert wird). Wenn Herr Nothnagel durch sein Wort die Existenz einer ganzen Familie vernichten konnte, werde ich doch auch Einspruch erheben können, wenn es sich nur um ein Ehrenamt handelt. Ohne einen Rücktritt von allen seinen kirchlichen Funktionen, den ich als Zeichen einer Einsicht ansehen würde, ist ein Gespräch mit ihm sinnlos.

Zudecken und Verschweigen hilft nichts. Hier eitert ein Geschwür, das eines Tages noch schlimm hervorbrechen wird. Es könnte längst alles ausgestanden sein. Die Gemeinde hätte bestimmt Verständnis, wenn ein Schlußstrich von beiden Seiten gezogen würde. Doch möglich ist das nur, wenn Versagen auch eingesehen wird und Worte des Bedauerns ausgesprochen werden. Nur wenn Schuld erst einmal bekannt wird, kann sie auch vergeben werden.

 

Gespräch mit Prälat Giesler am 27. Januar 1994 in Kassel:

Ziel des Gesprächs war, meine Bereitschaft zu erreichen, mit Pfarrer Scholz in Steinbach-Hallenberg über Herrn Nothnagel zu sprechen mit dem Ziel, die Vergangenheit zu bereinigen. Daß ich zum Gespräch bereit sei, hatte ich ja schon im Januar dem Bischof gesagt. Bisher war ja die andere Seite nicht dazu bereit. Jetzt liegt aber offenbar doch der Pfarrkonferenz daran.

Ob das auch bei Herrn Nothnagel der Fall ist, wurde nicht so recht deutlich. Jedenfalls teilte der Prälat mit, daß sich bei der Überprüfung von Herrn Nothnagel durch die Gauckbehörde nichts ergeben hat. Er war sich allerdings dessen bewußt, daß das heute noch gar nichts besagen muß.

Ich habe in das Gespräch von einer Stunde alles eingepackt, was ich wußte oder dachte. Dabei habe ich auch gesagt, daß es mir gar nicht so sehr um die Stasisache geht. Vielmehr bin ich der Meinung, daß ein Mann wie Herr Nothnagel nicht die Kirche repräsentieren kann. Falls er heute anders ist als damals, wäre das nur ein weiterer Hinweis auf seine Stasiverstrickung. Gegen eine (formal) demokratische Wahl kann ich aber nichts mache. Packen könnte man ihn nur auf der anderen Schiene. Der Prälat bestätigte, daß es bei Stasimitarbeit keine ehrenamtliche Arbeit in der Kirche mehr geben könnte.

Ich zitierte dann die Aussage von Pfarrer Bunge über die Problemgemeinde Steinbach-Hallenberg, führte die Beispiele der falschen Lohnberechnung und des Subventionsbetrugs an. Vor allem aber verwies ich darauf, daß sechs Hauptamtliche wegen Herrn Nothnagel gekündigt haben. „Diese Leute repräsentieren die Kirche und dürfen Gottesdienst halten. Aber mir wird selbst ein ehrenamtlicher Dienst in der Kirche verwehrt. Das ist schon schwer“ Der Prälat war aber der Meinung, eine Landeskirche dürfe nicht die Rechte des geistlichen Standes verleihen, wenn jemand gewichtigen Einspruch erhebt (aber dann müßte man auch Einspruch erheben gegen Herrn Nothnagel).

Ich machte dann aber auch deutlich, daß ich die Sache mit Herrn Nothnagel nur für nachgeschoben halte. Schon im September 1991 hat man mir das Bewerbungsrecht für irgendeine Stelle in Kurhessen abgesprochen, wo noch gar keine Rede von Stasivorwürfen war.

Ich habe nochmals betont, daß ich nichts öffentlich gegen Herrn Nothnagel gesagt habe. Aber der Prälat meinte, ich sei nun einmal der Urheber, die Sache sei schnell herum gewesen und habe Aufsehen erregt. Doch eine Richtigstellung könnte doch wohl nur Herr Jockei vornehmen. Ich kann mich doch nicht für etwas entschuldigen, was ich nicht gesagt habe. Hier soll doch der Spieß herumgedreht werden: nicht ich habe die kirchlichen Gesetze mißachtet, sondern Herr Nothnagel.

Um Gewißheit zu erlangen müßte ich jetzt vielleicht doch die Stasileute befragen, wie das damals gewesen ist. Wenn sie mir sagen würden, daß mit Herrn Nothnagel nichts war, würde ich meine Vermutungen auch bei Herrn Jockel richtigstellen, Aber ich kann natürlich nicht Herrn Nothnagel eine weiße Weste geben.

Es müßte natürlich auch mit dem Dekan und der Pfarrkonferenz geredet werden über die Dinge, die den Kirchenkreis angehen. Und von der Landeskirche verlange ich den Widerruf der Kanzelabkündigung, weil sie schon rein formal nicht rechtskräftig war (vorher kein Gehör)

Der Prälat sagte: Wenn ein Schlußstrich unter die Vergangenheit gemacht werde, stünde auch einer Verleihung der Rechte des geistlichen Standes nichts mehr im Wege. Nur kann ich mir dafür heute nichts mehr „kaufen“, weil die Übernahme einer Pfarrstelle nicht mehr in Frage kommt. Und nur für das Predigtrecht zu Kreuze zu kriechen, lohnt sich wohl doch nicht.

 

Brief an Prälat Giesler vom 22.10.1994:

ehr geehrter Herr Giesler! Sie hatten mich ins Landeskirchenamt gebeten, damit noch einmal über die Hindernisse gesprochen wird, die der Verleihung der Rechte des geistlichen Standes nach Meinung der Kirchenleitung entgegenstehen. Dazu habe ich aus einer größeren Dokumentation auf den beiliegenden Seiten etwas zusammengestellt. Die Sache bleibt für mich weiterhin enttäuschend, weil sich offenbar nichts bewegt.

Ich kann heute dem Kirchenvorstand und der Pfarrkonferenz kein gutes Gewissen geben. Man hat sich ja längst entschieden und will nie wieder davon abgehen. Man kennt sicherlich längst die Wahrheit, aber man will sie unter den Teppich kehren und ich soll offenbar dazu helfen. Ich soll klein beigeben und dazu helfen, daß die Gemeinde endlich ruhig ist und das Gerede aufhört. Dabei soll ich dann meine Opferrolle annehmen und auf alle Fälle auch weiter Opfer bleiben.

Angeblich haben bei vorliegender Zerrüttung beide Seiten Schuld. Doch wie andere Beispiele aus jüngster Zeit zeigen, wird immer nur der Pfarrer versetzt. Angeblich geschieht das ohne Schuldzuweisung und nur zum Wohle des Pfarrers, aber in Wirklichkeit wird nur er bestraft. Anstatt die Sache juristisch einwandfrei zu klären, will man die Sache „brüderlich“ regeln. Doch das geht sicherlich nicht über einen Brief im Briefkasten und durch eine Kanzelabkündigung ohne nähere Begründung, so daß wilden Spekulationen Tor und Tür geöffnet wird. Man sollte das jedem Pfarrer sagen, der in die Dienste der Kirche tritt, daß man bei Schwierigkeiten nicht auf seiner Seite stehen wird.

Man wird nicht verhindern können, daß die Gemeinde die Dinge anders sieht als die Verantwortlichen in der Kirche. Sie sagt: „In der Kirche ist es so wie in der Gesellschaft auch : überall trifft man auf die alten Leute - und die anderen sind in den Westen gegangen!“

Ich sehe nicht so recht, wie ich in dieser Situation helfen kann. Überall soll nur zugedeckt werden. Doch hier eitert ein Geschwür, das eines Tages schlimm hervorbrechen wird. Dabei könnte längst alles ausgestanden sein. Die Gemeinde hätte Verständnis dafür, wenn wirklich ehrlich und offen aufgearbeitet würde. Doch möglich ist das nur, wenn wenigstens irgendwo ein Versagen eingesehen würde und Worte des Bedauerns ausgesprochen würden.

Vielleicht bleibt wirklich nur der andere Weg, die Wahrheit ans Licht zu bringen. Ich weiß jetzt, daß auch aus der letzten Zeit eine Stasi-Akte über mich existiert. In Schmalkalden ist nichts fortgekommen, sondern es wurde in Blechbehälter verpackt und nach Suhl gebracht und ist heute bei der Gauckbehörde. Wenn sich in dieser Hinsicht etwas Neues ergibt, werde ich Sie unterrichten bzw. Herr Bielitz, der als Einziger bisher eine Prüfung zugesagt hat, während andere das vorgelegte Material ungesehen beiseite gelegt haben.

 

Antwort des Prälaten vom 29.11.1994:

Sehr geehrter Herr Heckert, ich bestätige den Eingang Ihres Briefes vom 22.10.1994. Mit Bedauern habe ich zur Kenntnis genommen, daß Sie keinen Schritt in die für Christen einzig denkbare Richtung riskieren wollen und einen Versuch der Versöhnung nicht wagen. Er kann ohnehin nur von zwei Seiten erfolgen. Die Verantwortlichen in Steinbach-Hallenberg und im Kasseler Haus der Kirche wollten Ihnen dabei gern behilflich sein.

Zu den Einzelheiten Ihres Briefes möchte ich keine Stellung nehmen. Manche Vorfälle sind mir auch unbekannt. Nur in Gesprächen wäre die aufgearbeitete Problematik lösbar gewesen, an deren Ende vielleicht gegenseitiges Verzeihen und Vergeben, vor allem aber ein neuer Anfang auch für Sie gestanden hätte.

Im Blick auf die Überprüfung der gesamten Pfarrer- und Mitarbeiterschaft, die Sie in Ihrem Schreiben zur Sprache bringen, möchte ich Ihnen wenigstens mitteilen, daß eine Untersuchung der Gauck-Behörde ergeben hat, daß bei allen Betroffenen keine Zusammenarbeit mit den Stasi-Instanzen festgestellt wurde. Die kurhessische Landessynode hat den entsprechenden Bericht des Präsidenten mit lebhaftem Beifall aufgenommen. Ob Sie das Ergebnis der Untersuchung der Gauck-Behörde nicht zum Umdenken veranlaßt?

Unter den gegebenen Umständen sehe ich - ebenso wie der Herr Bischof - auf absehbare Zeit leider keine Möglichkeit, daß Ihnen die Rechte des geistlichen Standes wieder beigelegt werden können. Dankbar wäre ich, wenn Sie Ihre Positionen erneut überdenken würden.

 

Antwort am 30.12.1994:

Sehr geehrter Herr Giesler, ich verstehe nicht so recht, weshalb Sie der Meinung sind, ich sei nicht zum Gespräch und zur Versöhnung bereit. Ich habe doch immer wieder um Gespräche gebeten, Ich war mehrfach in Kassel. Und ich war auch bei Herrn Scholz, wie Sie es erbeten hatten. Nur nahm ich an, daß schon Signale zu einem Gespräch mit mir erfolgt seien. Leider mußte ich hören, daß sowohl die Pfarrkonferenz in Schmalkalden als auch der Kirchenvorstand in Steinbach-Hallenberg nicht zum Überdenken ihrer Position bereit sind.

Ich hatte schon Listen für Gesprächsthemen dabei, so ernst habe ich die Sache genommen. Ich weiß echt nicht, was ich noch tun soll. Soll ich es so machen wie der Stadtjugendpfarrer von Jena, der seinem Visitator zur Verabschiedung geschrieben hat: „Ich vergebe Ihnen, was Sie mir angetan haben, auch wenn Sie nicht einsehen, daß Sie mir etwas angetan haben!“ ?

Nichts wäre mir lieber als eine Versöhnung. Aber da muß doch erst einmal etwas vorausgehen. Ich habe ja nur den milden Ausdruck gebraucht, daß wenigstens so etwas wie Bedauern hörbar werden sollte.

Auch die Kirchenleitungen sind nicht bereit zur Aufarbeitung. In Eisenach will man den formalen und den moralischen Fehler nicht einsehen. Und auch Sie in Kassel wiederholen immer wieder, daß Sie nicht in die Einzelheiten einsteigen wollen. Aufarbeitung geht aber nur vom Anfang an. Da muß dann schon gesagt werden, wer sich an die kirchlichen Regeln gehalten hat und wer nicht. Was vor mehr als fünf Jahren versäumt wurde, liegt heute noch als Hindernis im Weg.

Es geht mir nicht um die Stasifrage, die ist ja erst nachträglich dazugekommen. Es geht mir darum, daß man so nicht mit Menschen verfahren kann, wie in meinem Fall verfahren wurde. Aber offenbar darf die Kirche keine Fehler gemacht haben, und deshalb geht man konsequent den einmal eingeschlagenen Weg weiter.

Auch die Pfarrkonferenz hat nie den Wunsch zu einem Gespräch mit mir geäußert. Bekanntlich hat man ja keinen Einspruch gegen eine Tätigkeit in Thüringen erhoben, sondern nur in Hessen, weil ich da einen vermeintlichen Vorteil gegenüber den anderen hätte.. Nachdem sie sich ab dem neuen Jahr in der ganzen Landeskirche bewerben können, fällt der eigentliche Grund für den Einspruch doch weg. Wenn dieser Einspruch aufgehoben würde, könnte man auch über Einzelheiten reden. Aber anscheinend erwartet man allein ein einseitiges Schuldbekenntnis von mir, damit man in Richtung auf die Öffentlichkeit sagen kann: „Beruhigt euch, fragt nicht mehr nach, wir haben uns geeinigt!“

Was geschehen ist, läßt sich sowieso nicht wieder aufheben. Die Folgen muß ich sowieso allein tragen, lebenslang. Daran ändert keine Aussprache und keine Versöhnung etwas. Die aber weiterhin in Amt und Würden sind, sollten vielleicht doch einmal überlegen, ob sie nicht doch zur Milderung des Schadens beitragen können. Hier warte ich auf ein Zeichen, damit es weitergehen kann. Mit freundlichem Gruß

 

Schreiben von Prälat Schmidt am 26.01.1995:

Sehr geehrter Herr Heckert, Ihr Brief vom 30. Dezember 1994 ist am 3. Januar 1995 hier eingegangen. Er ist mir als dem Nachfolger von Herrn Prälaten Giesler vorgelegt worden. Bitte haben Sie Verständnis dafür, daß ich derzeit auf Ihre Ausführungen inhaltlich nicht reagieren kann. Ich muß mich zunächst mit dem Vorgang im Ganzen vertraut machen. Ich will Ihnen deshalb jetzt nur einen Zwischenbescheid geben, den Eingang bestätigen und versichern, daß ich mich im Laufe des Frühjahres wieder bei Ihnen melde. Mit freundlichen Grüßen

Schmidt  [Er hat sich nicht wieder gemeldet].

 

 

 

 

 

 

Gründe für meine Nichtanstellung:

  1. Prälat Giesler sagte am 26. Januar 1990: „Wir können niemanden zusätzlich nehmen, es ist alles voll“. Im Jahre 19692 sagte er allerdings im Personalbericht, man könne 20 Stellen nicht besetzen. Er hat also bewußt gelogen.
  2. Bischof Zippert sagte am 10. Januar 1994: „Die Landeskirche wird nichts gegen den Kirchenkreis Schmalkalden tun! Dort sei man nicht damit einverstanden, daß ich ein Pfarramt erhalte, weil da noch Dinge aus der Vergangenheit im Raum stünden, die nicht bereinigt seien und die ich immer wieder neu belebe. Zum Beispiel wäre ich öfter in Steinbach-Hallenberg und würde hetzen, vor allem gegen den Landessynodalen Nothnagel, über den ich über Rudolf Jockel angebliche Behauptungen ausgestreut. Doch schon im September 1991 hat man mir das Bewerbungsrecht für irgendeine Stelle in Kurhessen abgesprochen, wo noch gar keine Rede von Stasivorwürfen war. Die Sache mit Herrn Nothnagel war also nur für nachgeschoben
  3. Die Pfarrkonferenz in Schmalkalden will nicht, daß ich ein Vorrecht habe. Sie durften sich bisher nämlich auch nicht in Hessen bewerben (inzwischen ist aber der erste Fall da, wo es wohl zu einem Wechsel kommen wird). Dabei ist mir klar, daß die dritte Aussage der eigentliche Grund ist, das andere ist nur nachgeschoben.

 

Nachdem man mir zuerst nicht sagen wollte, weshalb ich nicht angestellt werde, haben wir hier schon die dritte Version: Warum diese Herum-Geeierei? Das hätte man doch gleich sagen können: „Wer nicht in Thüringen Pfarrer sein will, der soll es auch nicht in Hessen sein!“ Das hat er nicht so deutlich gesagt, aber so muß man seine Ausführungen wohl doch verstehen.

 

Zu den drei Gründen nehme ich wie folgt Stellung:

1.. In meinem früheren Dienstort habe ich mich nicht in unzulässiger Weise eingemischt. Es ist aber wohl so, daß die Leute innerhalb und außerhalb der Gemeinde immer noch von meiner Zwangsversetzung reden. Durch mein persönliches Erscheinen werden solche Diskussionen vielleicht wieder angeregt. Aber ich brauche dazu gar nichts zu tun. Man wird mir doch nicht verbieten wollen, nach Steinbach-Hallenberg zu gehen, so wie man mir auch nicht hätte verbieten können, weiter dort zu wohnen. Das Gerede wird man nur beenden können, wenn man rückhaltlos alles klärt. Und man könnte etwas dafür tun, indem man mich nicht weiter ausgrenzt, sondern mir eine Anstellung gibt. Die Leute spüren sehr genau die Ungerechtigkeit, daß die Täter in allen Ehren im Gottesdienst auftreten dürfen, während die Opfer weiter Opfer bleiben sollen.

2. Gegen Herrn Erich Nothnagel habe ich keine ungerechtfertigten Beschuldigungen erhoben. Ich habe nicht gesagt, was behauptet wurde, nämlich daß er seit 1985 kirchliche Interna verraten habe. Das wäre nichts Besonderes, denn das haben verschiedene Kirchenvorsteher in Sitzungen angekündigt, ohne daß der anwesende Dekan widersprochen hätte. Ausplaudern kirchlicher Interna war in Steinbach-Hallenberg erlaubt. Auch die Jahreszahl ist falsch wiedergegeben. Ich habe mich immer gehütet, etwas in die Öffentlichkeit zu tragen, solange ich keine stichhaltigen Beweise habe. Das Gespräch mit Herrn Jockel ist falsch wiedergegeben, wenn man behauptet, ich hätte von Beweisen gegen Herrn Nothnagel gesprochen. Ich habe Hinweise von Leuten, die die Akten in der Hand hatten, daß in meinem Fall die Stasi mit im Spiet war und kirchliche Leute als Handlanger gefunden hat. In dieses Gesamtbild fügt sich nach meiner Meinung auch der Kirchenvorstand und sein Vorsitzender ein. Ich habe allerdings auch keine Beweise für die Unschuld von Herrn Nothnagel.

3. Der eigentliche Grund von Anfang an ist der Einspruch der Pfarrkonferenz in Schmalkalden: Sie will nicht, daß ich ein Vorrecht habe gegenüber denen, die sich bisher auch nicht in Hessen bewerben durften. Man übersieht dabei aber, daß es bei mir ja etwas anderes ist, weil ich ja direkt aus Hessen stamme. Mit Thüringen verbindet mich nichts, zumal mich der Landeskirchenrat so ungesetzlich behandelt hat. Die Schmalkalder können gut einem anderen raten, nach Thüringen zu gehen. Von ihnen ist ja auch keiner hingegangen. Aber wenn i h dorthin gegangen wäre, dann hätte es so ausgesehen wie ein normaler Wechsel und die Sache wäre aus der Welt gewesen. Daß ich mich da nicht gebeugt habe und bis heute Gesprächsstoff biete, nimmt man mir halt übel.

Der Einspruch richtete sich ja offenbar nicht gegen das Pfarramt an sich, sondern gegen ein Pfarramt in Hessen. Die Landeskirche ist natürlich frei, anzustellen wen sie will. Aber es ist doch erstaunlich, wenn sie nicht souverän entscheidet, sondern sich abhängig macht von Leuten, die Partei sind. Die Thüringer Kirche hat jedenfalls keine Bedenken gegen eine Anstellung, da ist es unverständlich, daß meine Kirche andere Gründe zu haben meint.

 

 

Personalakte in Schmalkalden und Kassel

Sehr geehrte Damen und Herren,                                                                03.10.2020

Von 1967 bis 1989 war ich Pfarrer der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck mit Einsatzort in Steinbach-Hallenberg im Kirchenkreis Schmalkalden. Jetzt sehe ich, daß im Archiv der Landeskirche zwar alle Personalakten der Pfarrer aus jener Zeit vorhanden sind (bis auf diejenigen, die in eine andere Landeskirche gegangen sind), nur meine Personalakte fehlt. Bisher habe ich nur meine Personalakte in Eisenach eingesehen. Ich weiß aber, daß auch in Kassel eine Akte geführt wurde und natürlich auch eine in Schmalkalden. Diese wurde dem Landeskirchenrat in Eisenach vorgelegt und war der Hauptgrund für meine Suspendierung zum Zwecke der Zwangsversetzung. Ich möchte diese Akte einsehen, sie kann doch nicht einfach so verschwunden sein, denn Personalakten sind ganz sorgfältig aufzubewahren.

Noch etwas: Ich finde es „unbrüderlich“, wenn die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck in Jena Theologiestudenten abwerben will mit dem Lockangebot von 500 Euro im Semester. Die Pfarrer in Ostdeutschland erhalten im Monat 1.000 Euro weniger als die im Westen, da muß man nicht schon die Studenten abwerben, zumal zurzeit in Kurhessen keine Gemeindepfarrstelle ausgeschrieben ist, aber in der Superintendentur Hildburghausen zum Beispiel fünf Stellen unbesetzt sind. Und mich persönlich wundert es, daß man auch meinen Enkel angesprochen hat, wo man mich doch vor 30 Jahren nicht in Kurhessen haben wollte.

Mit freundlichen Grüßen Peter Heckert

Auch ein entsprechender Brief an Dekan Gebauer blieb unbeantwortet.

 

 

 

 

 

Brief an das Landeskirchenamt wegen der konspirativen Wohnung am 14.10.2009:

Sehr geehrte Damen und Herren, ich sende Ihnen eine Kopie eines Briefes, der mir dieser Tage von Herrn R.aus Unterschönau zuging. Er teilt mit, daß es zwei Augenzeugen gibt, die im Evangelischen Gemeindehaus in Steinbach-Hallenberg von der Stasi verhört wurden. Schriftlicher Beleg dafür ist eine Liste, die auch in der „taz“ veröffentlicht wurde (siehe Anlagen).

Herr R. nimmt auch Bezug auf eine „Ehrenerklärung“, die mir mit allen Unterschriften im Original vorliegt. Ich kann nur empfehlen, sich außergerichtlich mit ihm zu einigen, ohne allerdings die Kirche zu belasten, sondern die Unterzeichner.

Der in dem Brief erwähnte Herr Erich Nothnagel ist der langjährige Vorsitzende des Kirchenvorstandes und Leiter der Alteneinrichtung in Steinbach-Hallenberg, der einen Baukostenzu­schuß des Kirchenkreises nach Gutdünken unter die Angestellten verteilt hat, und als ich ihn deswegen zur Rede stellte, sich beim Landeskirchenrat in Eisenach über mich beschwerte, so daß ich suspendiert wurde und zwangsversetzt werden sollte.

Mit freundlichem Gruß   Peter Heckert

 

Nachaussage von Herrn R. war die konspirative Wohnung im zweiten Stock rechts, wo man zum Arzberg sehen konnte. Theoretisch könnte es sich auch um einen Raum des Rüstzeitenheims handeln, aber dann hätte auch der Hausmeister etwas davon wissen müssen. So wird es wohl eher die Dienstwohnung des Hausmeisters selber gewesen sein. Hausmeister war damals 1985 die Familie Gießler. Herr Gießler war Bruder der Verwaltungsangestellten Waltraud Jäger, die wiederum (Halb-) Schwägerin des „IM Schiedsricher“ war, alias Horst Jäger.

 

Das Landeskirchenamt in Kassel hat auf meinen Brief nicht reagiert. Sie wissen es also, wollen es aber nicht wissen. Und Herrn R. schrieb ich, daß er auf die 5.000 Mark nicht zu hoffen braucht, weil das sowieso nur ein Luftnummer war, so etwas wie Spielschulden. Außerdem würden alle, die unterschrieben haben, natürlich behaupten, daß sie nichts davon gewußt haben (Gießlers haben nicht unterschrieben, weil sie damals ja nicht mehr im Amt waren).

 

 

Brief an Bischof Hein am 25.09.2017:

Sehr geehrter Herr Hein, die Kirchenzeitung der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland berichtet in Nummer 38 vom 24. September 2017 über Ihren Besuch im Kirchenkreis Schmalkalden. Sie zitiert Sie: „In Schmalkalden gibt es eine hohe kirchliche Verbundenheit der Gläubigen!“ Das stimmt auch in gewissem Maße. Aber es ist auch ein wenig eine überkommene Meinung aus der Vergangenheit. Es war schon schön, wenn in einem Ort von etwas über 5.000 Einwohnern im Jahr 1970 durchschnittlich 200 Menschen zum Gottesdienst kamen und 1990 immerhin noch 100, wenn zum Familiengottesdienst 300 und zum Krippenspiel 500 kamen und zum kreisweiten Gemeindetag über 1.000. Aber wie es heute ist, will ich gar nicht fragen.

Sie sprechen auch davon, daß in der Vergangenheit viele auch Nachteile in Kauf genommen haben. Das stimmt auch in gewissen Fällen. Aber wichtiger ist an sich der Widerstand den viele erfolgreich geleistet haben: Da war die Lehrerin, die der CDU angehörte und der man zur Werbung für die Jugendweihe und für die Armee einen Lehrer zur Seite stellte. Da war die Lehrerin, die auch die Kinder des Pfarrers fair behandelte, da war der Ingenieur, der auf den Posten des Betriebsleiters verzichtete, weil er dann in die SED eintreten und aus der Kirche hätte austreten sollen. Da waren die Eltern und kirchlichen Mitarbeiter, die gegen jede Benachteiligung christlicher Kinder protestierten bis hin zum Staatsratsvorsitzenden.

Und mit dem Konflikt zwischen Konfirmation und Jugendweihe war es durchaus nicht so, daß man dann Nachteile bei der Ausbildung hatte. Es wurde damit zwar immer massiv gedroht. Die SED-Leute sagten offen, daß sie damit nur testen wollten, wie weit es mit dem Glauben der Betroffenen stand.

Aber mir ist kein Fall bekannt, daß ein Schüler wegen der Teilnahme an der Konfirmation von der erweiterten Oberschule ausgeschlossen wurde. Im Grunde hat jeder sein berufliches Ziel erreicht, wenn auch manchmal auf Umwegen wie die Berufsausbildung mit Abitur. Gefordert wurden nur Jugendweihe, Mitgliedschaft in der FDJ und Verpflichtung zu verlängertem Wehrdienst. Aber Oberschülerinnen konnten durchaus Helferinnen im Kindergottesdienst sein. Und wie ernst sollte man die Jugendweihe nehmen, wenn die Schüler nach der Feier zu den Lehrern sagten: „So, jetzt gehen wir noch zum Gottesdienst!“

Aber es gibt auch noch die betrübliche Seite: Der Lehrer, der fast jeden Sonntag zum Gottesdienst kam, aber ein inoffizieller Mitarbeiter der Stasi war. Der stellvertretende Betriebsdirektor, der in mehreren kirchlichen Gremien saß, aber von der Stasiunterlagenbehörde wie ein ininoffizieller Mitarbeiter eingeschätzt wurde, obwohl er keine Verpflichtungserklärung unterschrieben hatte. Auch ein Pfarrer war Zuträger für die Stasi. Zwei Pfarrer fuhren im Auftrag der Stasi in den Westen, um Republikflüchtige auszuhorchen. Einer verständigte die Stasi, nachdem ein Mann ihn um Rat gefragt hatte, ob er einen Ausreiseantrag stellen solle. Ein Pfarrer schwärzte ungefragt seien Kollegen am Ort bei der Stasi an.

Und was soll man über einen Dekan sagen, der zu einem Stasimann sagt: „Der Hülsemann ist von selber gegangen, den Heckert sind wir jetzt los, nun ist der Krahmer dran!“ Da standen die Gläubigen eher für ihren Glauben ein als die Pfarrer.

Nur hat die politische Wende nicht den erhofften Aufschwung für die Kirchen gebracht. Was die SED nicht schaffte, das bewirkte die Kirchensteuer nach westlichem Muster. In der DDR-Zeit haben viele noch die 30 oder 49 Mark Kirchensteuer im Jahr gezahlt, obwohl sie auch da so taten, als hätten sie es jeden Monat zahlen sollen. Der Hintergrund dabei war bei manchen, daß sie den einzigen relativ staatsfreien Bereich der Gesellschaft noch unterstützen wollten. Aber als es mit dem staatlichen Einzug der Kirchensteuer genau nach dem Einkommen ans Eingemachte ging und die Einkommenssteuerprogramme vorschlugen, noch mehr Steuern zu sparen durch den Kirchenaustritt, da machten viele den Schritt und traten aus. Vierzig Jahre SED-Herrschaft und antikirchliche Propaganda trugen doch noch ihre Früchte. Insofern muß man Ihre Rede von der „kirchlichen Verbundenheit“ wenigstens innerkirchlich doch etwas ergänzen.

In dem Zeitungsartikel (aus idea) wurde dann noch erläutert, wie das mit der Exklave Schmal­kalden ist. Das ist auch so ein trauriges Kapitel, bei dem gern Geschichtsklitterung betrieben wird. Der Kirchenkreis Schmalkalden wurde 1972 nicht auf Druck der DDR-Führung der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Thüringen zugeschlagen. Der Staat sah hier überhaupt gar kein Problem, weil es seit 1952 ja das Verwaltungshilfeabkommen mit Thüringen gab. Vielmehr waren es die Landeskirchen bzw. die Bischöfe, die ohne Not über den Kopf der Betroffenen hinweg einen Vertrag schlossen. Die treibende Kraft dabei könnte die hessische Landeskirche gewesen sein, die den Kirchenkreis loswerden wollte.

Die Schmalkalder aber leisteten Widerstand, weil der Vertrag sie finanziell ausgehungert hätte ohne entsprechende Gegenleistung. Es wurde noch ein Nachtrag zu dem Vertrag gemacht. Vor allem aber machte man die Pfarrer gefügig, indem man ihnen androhte, man würde die Sonderleistungen für sie in Form von West-Geld einstellen. Es ging also nur ums Geld. Aber mit den Thüringern ging es dann besser als befürchtet, weil die sich nicht in die inneren Angelegenheiten des Kirchenkreises einmischten, sondern mit dem gezahlten Geld zufrieden waren.

Der Kirchenkreis wurde aber nicht der Thüringer Kirche „zugeschlagen“, sondern es wurde „angegliedert“, nicht „eingegliedert“. Im Nachtrag stand sogar, daß die Vertragsschließenden bei Änderung der Verhältnisse wieder über den Vertrag beschließen könnten. Da haben die DDR-Oberen aber etwas übersehen, denn das bedeutete, daß immer noch eine westdeutsche Stelle über DDR-Bürger beschließen konnte.

So kam es auch 1991, als es die DDR nicht mehr gab. Doch auch hier ging es wieder vorwiegend ums Geld. Den Pfarrern persönlich hat es zumindest vorerst nichts genutzt, wohl aber den Gemeinden. Was die kurhessische Kirche damals an Geld für die Kirchenbauten zur Verfügung stellte, ist wirklich anerkennenswert. Aber die konfessionelle Frage spielte überhaupt keine Rolle mehr. Im Jahre 1972 wurde noch als Vorwand angeführt, als unierte Kirche könnte der Kirchenkreis nicht an eine lutherische Kirche angeschlossen werden. Aber heute ist die lutherische Kirche in Thüringen mit der unierten Kirche der Provinz Sachsen eine Verbindung eingegangen (wenn auch noch nicht ganz vereint). Das zeigt doch, daß alte konfessionelle Unterschiede wirklich nur noch Geschichte sind. Auch die hessische Enklave in Thüringen ist heute überholt.

Als Anlage füge ich Ihnen noch einen Brief an den „Beirat für Versöhnung und Aufarbeitung“ bei der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland bei. Wenn Sie von Wunden reden, die auch heute nicht vernarbt sind, dann gehört auch das dazu.  Mit freundlichen Grüßen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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